Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Das Pater-Kleid und der Pater-Busch zu Visselhövede

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Johann Bornemacher, ein Märtyrer der Reformation Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Vorrede zu der Wurster Kirchen-Ordnung von 1534
[117]
17.
Das Pater-Kleid und der Pater-Busch zu Visselhövede.
(Aus dem Stader Sonntagsblatte. 1855. № 1.)

An einer Anhöhe im südöstlichen Theile des jetzigen Herzogthums Verden sprudeln mehrere starke Quellen ihr krystallhelles Wasser, das bei der größten Hitze des Sommers fast eiskalt bleibt und bei der größten Kälte des Winters wie heißes Wasser dampft. In der sumpfigen Vertiefung fließt dieses Wasser sofort zu einem muntern reichen Bache zusammen, der nunmher inmitten der öden Haidegegend ein frischgrünes Wiesenthal tränkt; das ist die Vissel die nach kurzem Laufe in die Rodau mündet und sodann durch die Wümme dem Weserstrome ihren Beitrag liefert. An diesen Quellen ließen sich vor Zeiten Anbauer nieder; man nannte daher den Ort Visselhövede.

In den Zeiten des mittelalterlichen Faustrechts, als der Bischof von Verden bereits seinen Krummstab über das schon mehr bevölkerte Visselhövede streckte, mußte das schöne Wasser der Vissel den Einwohnern auch Schutz gegen die Raubritter gewähren; denn der Bischof ertheilte den ersteren das Bürgerrecht und die wasserreiche Vissel füllte zum Aerger der letzteren den Burggraben von Visselhövede. Später, in den Zeiten der eingetretenen Sicherheit ist dieser wieder mit Erde angefüllt; jetzt findet man unter Häusern und Straßen des Fleckens nur noch Spuren von den [118] Spitzpfählen des alten Burggrabens. So ist die Vissel ihres kriegerischen Dienstes wieder enthoben; sie fließt unaufgehalten ihren friedlichen Lauf. Ehe sie aus dem Flecken in das üppige Wiesenthal gelangt, bietet sie dem Durstigen den reinen frischen Trank, liefert den Köchinnen das weiche Wasser, in dem harte Erbsen bald mürbe kochen, und bildet die kleine Tränke, aus welcher die Feuerspritze Wasser schöpft und in der die Wäscherinnen die Leinewand schneeweiß spülen, wobei das milde Wasser im kalten Winter die Hände bald heiß macht. Und an jener Stelle des Ursprungs der Vissel befindet sich noch ein schöner Friedhof; das ist der Kirchhof von Visselhövede.

Die Kirche darauf stammt noch aus der mittelalterlichen Zeit; sie ist nur durch einen späteren Anbau erweitert worden. In der alten Mauer, welche die Bogen des steinernen Gewölbes trägt, befindet sich an der Seite des Altars ein kleiner Schrank. Er ist mit gedoppelten Thüren versehen, zuerst mit einer starken eisernen Gitterthür und dann mit einer festen hölzernen; durch ein Bord ist er in zwei Abtheilungen geschieden. Früher mögen darin die heiligen Geräthe, oder irgend ein Heiligthum in der katholischen Zeit aufbewahrt worden sein; jetzt befinden sich in dem unteren Raume die Gesangnummerbretter und in dem oberen – das Paterkleid.

Es findet sich dort eine runde lederne Kappe; ferner sind da mehrere Stücke Leinenzeug, das aber schon theilweise vergangen ist und anscheinend verblichene Blutflecken enthält. Das eine davon erkennt man als ein Hemd, das am Halse und an den Aermeln noch mit Spitzen besetzt ist; ein Tuch davon ist mit Sternen und Buchstaben, aus Silberdraht gestickt, verziert. Das merkwürdigste Stück ist aber das Gewand, welches etwa fünf Ellen lang ist und an den beiden Enden allmählich breiter wird, als in der Mitte, wo sich eine Querschlitze befindet. Wenn hierdurch der Kopf gesteckt wird, bedeckt es bis auf die Arme und Füße den Leib eines Mannes. Es besteht aus festem Seidenstoffe, der auf blauem Grunde röthlich geblümt ist, und ist mit leinenem Futter versehen. Auf der einen Hälfte entlang ist ein Kreuz mit verschieden und schön gefärbter [119] Seide gestickt, woran man in der Mitte das Bild des Heilandes, unten das der Mutter Maria und auf den beiden Enden des Querpfahls zwei Gesichtsbilder erblickt. Das ist das Paterkleid.

Und der Paterbusch befindet sich in der Nähe von Visselhövede an dem Wege von da über Jeddingen nach Verden. Wenn man aber auf diesem Wege nahe bei dem Flecken hinter dem neuen Kirchhofe an einem Gehölze vorbei kommt, so ist das noch nicht der Paterbusch; das ist das Schützenholz von Visselhövede. Freilich ist dies nur ein neuer Name für den alten Hundehop, seitdem in den letzten zehn Jahren, wie ein alter Bürger des Fleckens bereits vor zwanzig Jahren im Gesichte gesehen hat, Schützen ohne Tornister aus Visselhövede dahin maschiren und das Gehölz alljährlich an einem Abend zu brennen scheint, ohne daß es davon verzehrt wird; denn das neugebildete Jägercorps feiert allda das Schützenfest und illuminirt mit vielen Lichtern das Gehölz. Zehn Minuten weiter auf dem Wege stehen an demselben einige unbedeutende Buchbäume; die haben ihren alten Namen behalten, der uns jedoch weit hinter alle Paterzeit hinaus führt; diese wenigen Holzgewächse heißen nämlich noch Hünenholz. Das erinnert uns an die heiligen Haine unserer heidnischen Vorfahren. Wenn aber die starken Wurzeln von riesigen Buchen, an die selbst längst schon die Art gelegt worden ist, und welche nur die jetzigen verkrüppelten Nachwüchse gebildet haben, nicht Widerstand geleistet hätten, wäre jetzt auch wohl die letzte Spur von diesem Hünenholze verschwunden. Die mächtigen Hünensteine, die hier vor nicht langer Zeit noch als merkwürdige Zeugen von einer heidnischen Vorzeit an- und aufeinander gehäuft lagen, sind nunmehr gänzlich verschwunden. Man hat die großen Granitblöcke, welche die starken Vorfahren in Einem Stücke zusammen geworfen hatten, nach und nach gespalten und manches feste Fundament daraus gebildet. Die letzten Reste hat der Bauer hinweggeschafft, dem bei der Gemeinheitstheilung dieses Grundstück zugefallen ist und der von den alten Hünensteinen die neue Grundsteuer nicht zahlen wollte. Ein Riesenstück, das man weder zu spalten noch [120] sonst fortzubringen vermochte, hat man sogar in die Erde vergraben, so daß nun die Pflugschaar, wie vielleicht vor Zeiten das Opfermesser, darüber hinweg fährt; aber bald hätte dieser mächtige Stein, gleich dem Simson, in seinem Falle den Feind mit dem Tode gestraft, und wäre somit der alte Hünenstein in seinem eigenen Grabe wiederum ein neuer Leichenstein geworden. Wo ist denn nun der Paterbusch? Wir gehen von dem Hünenholz, das wir zur rechten Hand hart am Wege liegen lassen, etwa eine Viertelstunde weiter, bis wir zu einem kleinen Abhange gelangen. Da stehen zu beiden Seiten am Wege einzelne kleine Büsche von Hainbuchen; auch erheben sich zwischendurch einige Wachholdersträuche, die Einem in den wüsten Haiden dieser Gegend, wie die Wachholder oder eigentlich der Ginsterstrauch dem Propheten Elias in der Wüste, Schutz und Schatten gewähren. Das ist – der Paterbusch.

Was erzählt nun die Sage von dem Paterkleide und dem Paterbusche?

Jenes Kleid hat dem letzten katholischen Pater zu Visselhövede gehört; und dieser Busch ist seine Begräbnißstätte und sein Grabmal geworden.

Denn als zu den Zeiten der Reformation längst die Herzen dieser Gemeinde von der katholischen Lehre abgefallen waren und sich der lutherischen zugeneigt hatten, hat dieser Pater bis auf die letzte Stunde seinen Posten behauptet. Da ist aber ein Prediger der neuen Lehre in Visselhövede aufgetreten, um den sich alle gesammelt haben. Der Pater ist nun mit der Drohung davon gelaufen, die Gemeinde bei dem Bischofe in Verden zu verklagen und sich von da Hülfe gegen den neuen Eindringlich zu holen. Man hat ihn wieder zurück holen wollen und auch bei dem jetzigen Paterbusch eingeholt. Er hat sich aber zur Wehre gesetzt und ist von seinen Verfolgern erschlagen worden. Den Pater hat man nicht wieder mit zurück gebracht, sondern sofort an seiner Todesstätte begraben; seine blutigen Kleider aber sind als das letzte Ueberbleibsel aus der katholischen Zeit in der nunmehrigen lutherischen Kirche bis auf diesen Tag aufgehoben worden.

Das ist das Paterkleid und der Paterbusch zu Visselhövede.

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