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Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Plinius und Tacitus über das Land und Volk der Chauken

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Die in den Herzogthümern Bremen und Verden noch vorhandenen alten Grabhügel und Steindenkmäler Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Eine Scene aus dem Zuge der Sachsen nach Britannien
[42]
4.
Plinius und Tacitus über das Land und Volk der Chauken.

Diese beiden römischen Schriftsteller aus dem Ende des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt schildern, jener das Land der Chauken, und dieser seine Bevölkerung folgendermaßen.

Plinius der Aeltere, in seiner Naturgeschichte, Buch 16. Kap. 1., sagt:

Im Norden haben wir den Volksstamm der Chauken gesehen, welche die großen und die kleinen heißen. Da treibt auf ungeheurer Strecke, zwei Mal in den Abschnitten jedes Tages und jeder Nacht, unermeßlich sich ergießend der Ocean, so daß er einen ewigen Streit der Natur zudeckt; und zweifeln möchte man, ob das Gebiet des Landes sei, oder des Meeres. Dort sitzt ein elendes Volk auf hohen Hügeln, oder mit Händen gebauten Erdhaufen (tribunalia); indem man, nach der Erfahrung der höchsten Fluth, Hütten darauf stellt: Schiffenden gleich, wenn die Gewässer die Umgegend bedecken: Schiffbrüchigen aber, wenn sie sich verlaufen haben; da man denn die mit dem Meere fliehenden Fische um die Wohnungen her fängt. Sie können nicht, wie die Nachbaren, Vieh halten, noch sich von Milch nähren; können nicht einmal mit wilden Thieren kämpfen, weil alles Gebüsch weit entfernt ist. Aus Schilf und Sumpf-Binsen flechten sie Stricke, um den Fischen Netze zu stellen, und indem sie mit Händen ergriffenen Koth durch die Winde mehr, als durch die Sonne trocknen, erhitzen sie mit Erde ihre Speisen und ihre vom Nordwinde starrenden Eingeweide. Getränk haben sie nur vom Regen, welchen sie durch Gruben aufbewahren im Vorplatze des Hauses. Und diese Leute meinen, wenn sie jetzt von den Römern besiegt würden, in Knechtschaft zu gerathen! Fürwahr, so ist’s: Viele verschont das Geschick zur Strafe.

Ein anderes Wunder kommt von den Wäldern. Diese erfüllen das ganze übrige Germanien, und fügen zur Kälte [43] (des Klima’s) den Schatten. Die höchsten aber sind nicht fern von den genannten Chauken; vornämlich um zwei Seen her. Bis an die Ufer stehen Eichen vom üppigsten Wachsthume, und durch die Wellen untergraben, oder vom Winde getrieben, führen sie große Inseln durch die Verflechtung ihrer Wurzeln mit sich fort, und also feststehend, schiffen sie vermöge des Geräths ihrer mächtigen Aeste: so daß oft unsere Flotten geschreckt wurden, wenn jene Inseln, wie mit Fleiß, durch die Wellen auf die Schiffs-Vordertheile der bei Nacht vor Anker Liegenden getrieben wurden, und Letztere, rathlos, was zu thun sei, ein Seetreffen gegen Bäume begannen.“

Dieser Bericht ist dadurch so wichtig, weil Plinius aus eigner Anschauung redet, indem er mit einer römischen Flotte an die Mündung der Elbe gelangte. Was er sah und beschreibt, sind also die noch uneingedeichten Elbmarschen; und wenn er große und kleine Chauken unterscheidet, so scheint jenes die Geestbewohner, dieses die Marschleute (bei Tacitus Friesen genannt) zu bezeichnen. Wie sehr nun auch unsere Kehdinger, Hadeler u. s. w. zu dieser Beschreibung ihres Landes lächeln mögen, sie ist doch vollkommen naturgetreu, wenn man sich die schützenden Deiche hinwegdenkt. Ebbe und Fluth, die auf Worthen belegenen Wohnungen, die Seefische als Nahrung, der Backtorf als einziges Brennmaterial, das Reeth, woraus Stricke geflochten werden, und endlich die Wasser-Cisternen – das Alles sehen wir hier vor Augen, wie es sich noch jetzt z. B. auf den uneingedeichten Elbinseln findet. „Und dies armselige Volk,“ ruft der stolze Römer aus, „achtet unsere Herrschaft für Sclaverei! nicht wissend, daß er damit dem Freiheitssinne der Bewohner eine Lobrede hält.“

Weiterhin bewundert Plinius „das schwimmende Land,“ desgleichen sich bekanntlich noch jetzt bei Waakhausen im Amte Osterholz findet. Und wenn er unsere Eichen als die schönsten und höchsten in ganz Deutschland preiset, so wollen wir es ihm zu Gute halten, daß er den Kampf der römischen Flotte gegen die schwimmenden Bäume etwas in’s Romanhafte ausmalt.

[44] Tacitus (Germania Kap. 35) erzählt in seiner gedrängten Sprechweise Folgendes:

„Im Norden Deutschlands der Volksstamm der Chauken, fängt an von den Friesen, und hat einen Theil des Meeresufers inne, dehnt sich aber auch zur Seite aller vorher genannten Stämme aus, bis er sich zu den Katten hin krümmt. So ungeheuren Länderraum besitzen nicht nur, sondern erfüllen auch die Chauken. Das edelste Volk unter den Germanen, und welches seine Größe am liebsten durch Gerechtigkeit schützt: ohne Begier, ohne Unbändigkeit, ruhig und zurückgezogen, rufen sie keine Kriege hervor, verwüsten nicht durch Plünderungs- oder Raubzüge. Und das ist ihrer Tapferkeit und ihrer Kräfte bester Beweis, daß sie, den Vorrang zu haben, nicht durch Ungerechtigkeit erlangen. Bereit jedoch sind Allen die Waffen, und wenn es Noth thut, das Heer, Männer und Rosse in Menge; und ruhend haben sie denselbigen Ruf.“

Man sieht es dieser Schilderung an, daß sie blos nach Hörensagen gemacht ist, und stark idealisirt. Aber wichtig bleibt für die Geschichte die Unterscheidung der Friesen oder Küstenbewohner, und der Chauken oder Geestleute. Letztere werden nach Ausbreitung und Volksmenge übertrieben vergrößert: aber ihre Grenzen, von der Elbe bis an den Rhein, und südlich bis an die Katten oder Hessen, scheint etwa das jetzige Niedersachsen und Westphalen umfaßt zu haben. Die Gerechtigkeit und Friedensliebe der Chauken, neben Achtung gebietender Kriegsbereitschaft, so wie ihr Vorrang vor allen deutschen Stämmen, sind ebenfalls verschönert dargestellt: aber immerhin mögen die Nachkommen sich dieses Lob zum Vorbilde dienen lassen. Noch bemerke man, wie die Friesen schon damals sich durch Freiheitsliebe vor den Chauken auszeichneten. Denn Letztere dienten als Söldner im Heere des römischen Feldherrn Civilis[1] (Tacit. Histor. 4, 79. 5, 19); jene hingegen sträubten sich fortwährend gegen die unterjochende Politik der Römer (daselbst 4, 72. 13, 54).


  1. [273] Zeile 3 v. u. ist irrthümlich der batavische Häuptling Civilis genannt, statt des römischen Feldherrn Cerialis. Daß aber die Chauken williger als die Friesen das Römische Joch trugen, sieht man besonders aus Tacit. Annal. 1, 60 vergl. mit 4, 72.
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