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Am San Croix-River in Minnesota

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DCLXXI. Hartford in Connecticut Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
Am San Croix-River in Minnesota
DCLXXIII. Ivrea
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MOUTH OF THE ST CROIX RIVER
(MINNESOTA)

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Am San Croix-River in Minnesota.




Die Naturwissenschaften haben seit einem halben Jahrhundert an Fortschritt, Umfang, Kraft und Wirksamkeit außerordentlich gewonnen. Schon dehnen sie ihre Herrschaft auf die verschiedensten Gebiete des menschlichen Geistes aus und auf alle Verhältnisse und Beschäftigungen des Lebens üben sie mehr oder weniger Einfluß.

Diese rasche und beständig fortschreitende Entwickelung danken wir vorzüglich dem Umstand, daß die heutige Naturforschung den lange verfolgten Pfad der Spekulation verließ, um den der Erfahrung und Beobachtung ausschließlich zu betreten. Es ist dies der nämliche Weg, auf welchen schon Franz Bacon und Galilei hingewiesen hatten, von dem aber die Philosophie später wieder wegdrängte. Auf die Naturphilosophie der vergangenen Zeiten sehen wir jetzt zurück wie auf einen abgestorbenen Baum, der das schönste Laub, die prächtigsten Blüthen, aber keine Früchte trug. Sie hatte mit unendlichem Geist und Scharfsinn neue Theorien zur Erklärung von Erscheinungen geschaffen; aber was sie mit den glänzendsten Farben ausgemalt, waren doch nur Bilder ihrer Phantasie. Die neuere Naturforschung hingegen hält sich an das Reale: sie sucht nichts als die Wahrheit auf dem mühseligen Wege der Beobachtung. Sie betrachtet als ihre Aufgabe die Erkenntniß, welche nur erwerben wird durch unermüdliche Arbeit und Anstrengung. Die hypothetischen Erklärungen der Phänomene durch die philosophischen Schulen von Aristoteles an bis auf die Neuzeit haben in ihren Augen nur noch ein historisches Interesse.

Die Naturphilosophen gingen auf eine Weise zu Werke, die zu dem jetzt üblichen Verfahren in umgekehrten Verhältnisse steht. Sie unterlegten jeder Erscheinung, jeder Wirkung ein Wort und dieses Wort nannten sie Ursache, um – die Wirkung damit zu erklären. Die Ursache des Falls eines Körpers, behauptete Aristoteles, ist die Schwere; die Schwere ist aber das in dem Körper wirksame Streben zur Bewegung abwärts, die [30] Kraft zu fallen. Ein Stein fällt also, weil er schwer ist; weil er die Kraft und das Streben hat, sich abwärts zu bewegen. Das Opium, sagten die Philosophen, macht Schlaf, weil es die Kraft oder Eigenschaft in sich hat, Schlaf hervorzubringen. Der Kalk ätzt vermöge seiner Aetzkraft; die Citrone wird sauerschmeckend durch das Acidum universale; eine Eigenschaft gibt dem Gold die Farbe; eine zweite gibt ihm die Unveränderlichkeit; eine dritte die eigenthümliche Schwere; Eigenschaften machen Körper hart, andere weich, andere flüssig; ein Ding, Phlogiston, nannten sie die Ursache alles Feuers, aller Brennbarkeit. Indem man so jede Wirkung in der Natur und ihren Körpern eine Eigenschaft nannte und diese als Ursache annahm, war man fertig; Beobachtung und Forschung wurden überflüssig; man wußte ja, worauf es ankam und wußte es ohne Anstrengung, ohne Mühe, ohne Widerspruch. Die Rolle der Wahrheit in der Naturwissenschaft hatte der blinde Autoritätsglaube übernommen; die Wissenschaft sank zu einem gedankenlosen Nachbeten ganz unbewiesener Ansichten der Philosophen herab.

Wie viel erhabener erscheint sie in unserer Zeit! Will der Forscher eine Naturerscheinung, das Brennen eines Kraters oder einer Kerze, das Gestalten eines Gebirgs oder eines Sandhäufchens, das Wachsen einer Pflanze, das Gefrieren des Wassers, das Bleichen einer Farbe, das Verdichten eines Gasbläschens oder eines Weltkörpers erklären, so stellt er die Frage nicht an seine Phantasie, sondern an die Erscheinung, an den zu erklärenden Zustand selber. – Er fragt: was geht dieser Erscheinung voraus und was ist es, was darauf folgt? Was vorausgeht, nennt er Ursache; was folgt, Wirkung.

Wenn z. B. der Schmied eine Eisenstange in seiner Esse weißglühend macht und dann herauszieht, so bedeckt sie sich unter Funkensprühen mit einer schwarzen porösen Kruste, welche beim Schlagen mit dem Hanımer als Hammerschlag abspringt. Das Eisen verbrennt. – Zünden wir hingegen eine Lampe an, so wird das Oel mit leuchtender Flamme verbrennen. Der Naturforscher fragt: was geht dem Verbrennen des Eisens, des Oels voraus, und was ist es, was folgt? was sind die Bedingungen des Verbrennens und was ist sein Resultat? Die Antwort ist: dem Verbrennen geht in diesen Fällen das Eisen, das Oel, die Luft, eine höhere Temperatur, die Wärme voraus. Das Eisen nimmt, indem es verbrennt, an Gewicht zu; die Luft, in der es verbrennt, nimmt um eben so viel an Gewicht ab; die Luft aber, in welcher das Oel verbrennt, wird um das Gewicht des verbrannten Oels schwerer. In Folge dieser Beobachtungen wird der Verbrennungsprozeß des Eisens und des Oels klar und verständlich. Das verbrannte Eisen ist nämlich Eisen, welches einen Bestandtheil der Luft in sich aufgenommen hat; das verbrannte Oel hingegen ist Luft, welche die Bestandtheile des Oels in sich aufnahm. Den Uebergang der Luftbestandtheile zum Eisen aber, so wie den Uebergang des Oels zur Luft begleitete Wärmeentwickelung, die Feuererscheinung. Der Naturforscher fragt nun weiter: woher kommt die Wärme und das Licht bei der Verbrennung? warum brennt das Eisen nicht fort, während [31] das Oel in der Lampe fortbrennt? warum brennt das Eisen mit Funkensprühen, daß Oel mit Flamme? und er löst diese Fragen in ähnlicher Weise. Er zerlegt die Erscheinungen in ihre Theile und findet für jeden die Erklärung. Die Bedingungen, unter denen die Erscheinung überhaupt wahrzunehmen ist, nennt er Ursachen, jene Ursachen aber, welche durch die Sinne nicht wahrzunehmen sind, nennt er Kräfte. Sind aber die Ursachen einer Erscheinung ganz unbekannt oder unerforscht, so läßt er die Frage offen. Wenn er Eisen im Blut, Kalk in den Knochen der Thiere findet, ohne zu wissen, wo sie herkommen, so sagt er nicht, sie seyen durch den Lebensprozeß erzeugt; wenn er den Ursprung mikroskopischer Thiere nicht darzulegen vermag, so sagt er nicht, sie seyen von selbst entstanden; wenn er Personen todt oder verbrannt in ihren verschlossenen Zimmern findet und nicht ermitteln kann, wie dies zugegangen, so sagt er nicht, daß sie eine Selbstverbrennung getödtet. Diese Art von Schlüssen oder Erklärungen hält er für Selbstbetrug, oder für eine Verschleierung der Unwissenheit.

Die Ermittelung der Bedingungen einer Erscheinung ist allemal das erste Erforderniß zu ihrer Erklärung. Sie müssen aufgesucht und durch Beobachtung festgestellt werden. In der Aufsuchung ist der Forscher auf sein Nachdenken, den einzigen zuverlässigen Führer, verwiesen; aber keine Kunst ist schwieriger, als die Kunst der Beobachtung. Es gehört dazu ein gebildeter, nüchterner Geist, der durch die genaue Bekanntschaft mit den wirkenden Ursachen im Stande ist, sich die Thatsachen klar zu machen und den Schlüssel zu finden, der dem Forscher die verschlossenen Thüren der Natur öffnet.

Die Kräfte der Natur, jene nicht wahrnehmbaren Ursachen gleichartiger Erscheinungen, standen noch vor wenigen Jahrzehnten isolirt. Dies ist jetzt anders. Der erste Physiker der Gegenwart, Michel Faraday, hat auf dem empirischen Wege eine unmittelbare Verbindung zwischen jenen einzelnen Kräften nachgewiesen, indem er um die Licht- und Wärmestrahlen galvanische Streme kreisen ließ. Nur die Beziehung zur Gravitation (Schwerkraft) fehlt noch, um alle Grundkräfte der Natur mit einander zu verknüpfen. Jener große britische Forscher, welcher sich mit der Aufsuchung dieser Beziehung beharrlich beschäftigt, zweifelt nicht an dem endlichen Erfolge und spricht schon gegenwärtig die Vermuthung aus, daß alle Naturkräfte sich auf die Eine – die Gravitation, – als auf ihre gemeinschaftliche Ursache und Mutter, werden zurückführen lassen.

Die wissenschaftliche Verbindung der Naturgebiete hat das Reich der Forschung sehr erweitert. Wir wissen, daß die chemische Verbindung aller Stoffe auf dem elektromagnetischen Gegensatz beruht, wodurch also die chemischen mit den physikalischen Erscheinungen verbunden sind. Alle Stoffe sind auch schwer und gravitiren auf einander. So führt die physische Welt zur mechanischen hinüber.

Daß unsere Erde einst gasförmig war, hat schon la Place zu beweisen gesucht und ist jetzt als eine unbestreitbare [32] bestreitbare Thatsache anerkannt. Durch Abkühlung des Gasballs bildete sich nach dem Gesetz der Schwere allmählig der feste Weltkörper. Auf ihm entstand und entsteht unter fortdauernden geologischen Prozessen, in Folge und noch unbekannter Bedingungen, das organische Leben, dessen bis jetzt erreichte höchste Entwickelungsstufe der Mensch selber ist. Dieser, von Geselligkeitstrieb angeregt, einte sich, bei größerer Zahl der Individuen und Familien, auf allen Punkten seines Vorkommens, zur Gesellschaft, zur Horde, zum Stamme, zur Völkerschaft und unter günstigen Verhältnissen zum civilisirenden Staate, um größere Sicherheit und Freiheit des Individuums zu erlangen und die höchsten menschheitlichen Zwecke durch das Leben im Staate zu erreichen. Das Auge des Forschers sieht vom Welten-Embryo an durch tausend und aber tausend Formen-Wechsel und Bildungsstufen bis zur Erscheinung des geistesgroßen Menschen im Kulturstaate Alles in allmähliger Stufenfolge durch einfacheund ewige Gesetze sich entwickeln, er gewahrt überall und immer Harmonie, selbst in den anscheinend widersprechendsten Erscheinungen. Die volle Kenntniß jener Gesetze und die Erkenntniß dieser Harmonie ist das Höchste, was der Menschengeist erstreben kann. Sie führen zur Erkennung des Weltgeistes, zur Bewunderung, zur Anbetung Gottes.

„Der Mensch, der Priester an Gottes Altar,
Der eifrig erforscht, was ist und was war,
Er allein aller Wandlung Sinn versteht: –
Das Leben bleibt – nur die Hülle vergeht –“.

So dringt die Naturforschung auch in das Gebiet des Glaubens, erweckend, erwärmend, Licht verbreitend, fragend und stützend! Wie schon zu den ältesten Zeiten die größten Geister die Behauptung aufgestellt haben, daß alles Wissen endlich zum Glauben führe, – zum Glauben, in dem alle Unruhe aufhört und das Menschenglück seinen Abschluß findet: – so wird die empirische Naturforschung nothwendig alle Zweifel über den streng gesetzmäßigen Verlauf der Dinge entfernen und zu der Ueberzeugung führen, daß der Gesetzgeber der höchste Inbegriff der Weisheit, Gerechtigkeit und Güte sey und daß das Sittengesetz, welches Er allen Menschen in’s Herz gelegt, ebenfalls am festesten auf empirischem Boden stehe. „Es ist nicht gleichgültig, auf welchem Wege der Mensch die letzten Stufen der religiösen Erkenntniß erreicht. Die Naturforschung ist der sicherste Weg. Freilich in der erhabenste aller Pfade, die Spende der höchsten Glaubensseligkeit, nur jenen bevorzugtesten Geistern zugänglich und beschieden, die, wie unser großer Alexander von Humboldt, sich in allen Gebieten der erkannten Welt mit gleicher Sicherheit bewegen.“ –Um so mehr ist es daher zu beklagen, daß die Schätze, welche die Naturforschung alle Tage als ein Gesammtgut für die Menschheit zu Tage fördert, doch, vergleichsweise, nur erst [33] einer kleinen Minorität zu Gute kommen, und die Bildung der großen Mehrzahl nicht einmal fähig in, sie zu heben und sie so zu gebrauchen. Mußte doch unser Liebig seine diesjährigen Vorlesungen über allgemeine Chemie an der Münchener Universität (also vor einem erlesenen Publikum), mit der Bemerkung beginnen, daß er unter seiner Zuhörerschaft die Bekanntschaft mit den ersten Anfangsgründen der Naturwissenschaften kaum voraussetzen dürfe. – „Die Natur“ – sprach er, „ist wohl für die Mehrzahl von Ihnen ein mit unbekannter Schrift beschriebenes Buch. Sein Inhalt ist Ihnen verschlossen. Indem Sie darin lesen lernen wollen – lernen Sie es verstehen. Die Worte, die Zeichen, in denen sie zu Ihnen redet, sind Chiffern besonderer Art; Sie werden sie kennen lernen. Gewisse Erscheinungen, welche beim Zusammenbringen einer Anzahl von Körpern mit einander zum Vorschein kommen, sind gleichsam als das Alphabet zu betrachten – der Schlüssel, durch den wir den Sinn des Buchs entziffern können. Alle Namen von Dingen und Stoffen aber, die Sie hören werden, sind für das Verständniß ohne Werth, wenn Sie versäumen, sich mit ihrer Bedeutung bekannt zu machen“.

Und dennoch ist, seitdem die Menschheit lebt, nicht im Entferntesten ein solcher Eifer und Wetteifer für Erlangung naturhistorischer Kenntnisse bemerkbar gewesen, und kaum wird es noch einen Gebildeten geben, welcher das Bedürfniß dafür nicht täglich lebhaft fühlt. Mögen immerhin die Geister der Finsterniß fortfahren, die Verbreitung naturwissenschaftlicher Begriffe im Volke zu verdammen; mögen sie immerhin in dem Geiste, welcher einst Galilei, der Lehre wegen, daß die Erde sich bewege, in den Kerker warf und mit dem Scheiterhaufen bedrohete, gegen das Licht der Forschung im Reiche der Schöpfung wüthen: – ihr Versuch, es auszulöschen, wird nicht gelingen. Der Tag kann nicht mehr sehr entfernt seyn, wo selbst das Kind, auf dem Wege der Anschauung, die großen Gesetze des Weltalls, diesen Spiegel des alleinigen Gottes, begreifen wird, und wo jeder Volksschullehrer seinen Schülern diese Gesetze experimentirend erklärt. Das nächste Jahrhundert wird in jeder Schulstube physikalische Apparate aufgestellt sehen, wo jetzt nur Eselsbank und Rechentafel zu finden sind, und an der Stelle des geistestödtenden, mechanischen Gedächtnißwerks, welches die Seele der Kinder verdunkelt und die edelsten Anlagen im Keime zu zerstören trachtet, wird der Lehrer bemüht seyn, das kindliche Nachdenken durch die Resultate der empirischen Naturforschung auf die Brücke des Glaubens und zur wahren Erkenntniß Gottes zu leiten. Ich sehe den Volksschullehrer des 20. Jahrhunderts, wie er die Gravitation, indem er sie auf Gasgemenge einwirken macht, als jenen ersten Impuls erkennen läßt, welcher das göttliche „Werde!“ bezeichnet. Ich sehe, wie durch ein weiteres Experiment vor den Augen der Schüler die Gasballen nach jenem ersten Anstoß, den sie erhalten, wirbeln und kreisen in gesetzmäßiger Weise: wie sie sich drehen in Linien, ausgehend von gewissen Punkten, als vielfach gewundene Kurven, als Epicyklen, Parabeln, Ellipsen – gleich den Embryonen der Welten und Gestirne. „Seht, Kinder“, [34] wird er sagen, „so entstand die Erde, die wir heute bewohnen; die Gasform war ihre erste Kindheit!“ – Er wird dann die Gasballen nach den Gesetzen der Abkühlung sich verdichten lassen; ihr Volumen wird vor den Augen seiner Schüler sich verkleinern und in gleichem Maße wird die Schnelligkeit ihrer Umdrehung sich vergrößern. Und so wird er, von Experiment zu Experiment stufenweise fortschreitend, dem Kinde faßlich machen, wie sich von der größern Gaskugel während des Verdichtungsprozesses Theile abreißen können und sich unter der von der Gravitation hervorgerufenen rotirenden Bewegung wieder zu Kugeln gestalten müssen, die sich zu der größern wie unser Mond zu der Erde verhalten. Das Kind wird fassen lernen, wie die Erde, bei größerer Abkühlung, auf einmal aus dem gasförmigen in den tropfbarflüssigen Zustand überging und die dabei freiwerdende latente Wärme die Kugel zum Glühen brachte. Es wird fassen, wie sie in dieser Lebensphase eine Kugel von Metallen, Metalloiden und Erden im geschmolzenen, feuerflüssigen Zustande war. Der Lehrer wird dann erklären, wie beim Kälter- und Kälterwerden im Laufe von Zeiträumen, welche Billionen Jahre begreifen, sich erst einzelne Schlackenschollen auf dem feuerigen Ocean der Erdoberfläche bilden konnten, welche sich allmählig, von Wind und Fluth hin- und hergetrieben, wie das Eis auf dem nordischen Meere, zu großen Massen anhäuften und so endlich die erste feste Kruste entstand, welche die feuerige Erdkugel von Pol zu Pol umgürtete. Wie der auf den Radkranz gelegte glühende Reif mit unwiderstehlicher Gewalt auf die Speichen drückt, weil er, abkühlend, sich zusammenzieht, so mußte auch die erkaltende Erd-Kruste mit immer gewaltigerer Macht den feuerflüssigen Erdkern pressen. In gleichem Maße aber mußte auch der innere Widerstand steigen, bis er die Kräfte der Anziehung und Schwere überwand und die feste Erdkruste entweder gewaltsamt zersprengte, oder sie zu Blasen auftrieb, oder sie auf großen Strecken, – ganze Kontinente bildend – aus der Ebene emporhob. Im erstern Fall ward ein Theil des feuerflüssigen Breies, die zunächst unter der starren Oberfläche befindliche Masse desselben, genöthigt, durch die Sprünge und Spalten der Kruste, zwischen ihren aufgerechten Rändern, emporzuquellen. Er mußte sich theilweise über dieselben ergießen, oder zwischen denselben stehen bleiben und erstarren. Im andern Fall bildeten die Blasen der Erdrinde Erhöhungen. Auf diese Weise wird das Kind begreifen lernen, wie die ältesten Berge und Gebirge auf der Grde entstanden, es wird in dem beständigen Kampfe der zusammendrückenden Kraft der starren Erdrinde mit dem durch den Druck erregten und gesteigerten Widerstand des flüssigen Erdkerns – die Ursache der zahlreichen Revolutionen erkennen, welche der Erdoberfläche nach und nach ihre jetzige Gestalt gegeben haben.

Wir wissen, daß mit der fortschreitenden Abkühlung die Dicke der Erdrinde und folglich auch die Widerstandsfähigkeit derselben gegen die aus dem Erdinnern nach der Oberfläche hin wirkenden Gewalten wächst. [35] Daher verlieren die plutonischen und eruptiven Veränderungen allmählig an Kraft, Umfang und Allgemeinheit und sie nehmen ein lokaleres Gepräge an. Die chemischen Prozesse zur Veränderung der Erdrinde haben über die plutonisch-mechanischen bereits das Uebergewicht gewonnen und die physikalischen sind in Bunde mit jenen in den Vorgrund getreten. Die Wirkungen, welche die Wärme, die Elektricität, das Licht und der Magnetismus hervorbringen, verbinden sich mit der Thätigkeit der Atmosphäre und des Wassers, welche, fortwährend ab- und anschwemmend, zersetzend, auflösend und niederschlagend auf die Formen der Erdrinde verändernd wirken. Unter den Verhältnissen, die das Zusammenwirken jener chemischen und physikalischen Kräfte hervorgerufen haben, hat sich das organische Leben entwickelt; – zuerst das Pflanzenleben im unscheinbaren Zellchen seines ältesten und untersten Gliedes, des Kryptogams, welchem die einfachsten Formen des Thierlebens folgten. Wie sich dann die Grenzen von Wasser und Land deutlicher steckten, wie die Periode des beständigen Regens und andauernder Sumpfbildung vorübergegangen, wie süße Wasserbecken neben dem Salzmeere entstanden und das Land abtrocknete, so entwickelten sich neue, höhere Organismen nach dem unwandelbaren Gesetz stufenweiser Vervollkommnung. Die innere Erdwärme trat in ihrem Einfluß auf die starre Oberfläche, in dem Maße, als diese an Dicke zunahm, gegen die Sonne zurück. Nun entstehen die Klimate: – ein großer Abschnitt in der Entwickelung des organischen Lebens; denn die Klimate allein schon mußten viele ältern Formen verschwinden machen. Von Zeit zu Zeit wiederholten sich die Revolutionen. Zwischen denselben liegen friedliche, ruhige Epochen, in denen sich die reformatorischen Einflüsse milderen, allmähligern Wirkens, die, wegen ihrer unausgesetzten Thätigkeit, für die Schöpfungsgeschichte nicht minder wichtig sind als jene, geltend machen. In solcher Weise stieg eine Welt von Organismen nach der andern, jede jüngere auf den Schultern der ältern stehend und beständig nach dem ewigen Ziel der Vollkommenheit strebend, empor, und jede neue erscheint mannichfaltiger, vielseitiger, lokaler als die frühere, in dem Maße, als die Erdrinde selbst sich nach der Verschiedenheit von Klima, Temperatur, Zone, Wind, Strömungen, Regenmengen etc., lokaler ausbildet und gleichsam mehr und mehr individualisirt.

Erst nach der letzten großen Revolution, die unserer Erdkruste die jetzige Gestalt gab, nachdem die Lüfte ihre gefiederten Bewohner empfangen und das Meer die seinigen erhalten hatte, lange nachdem der Elephant auf den grasreichen Ebenen der tropischen Kontinente weidete und die mannichfaltigsten Thiergeschlechter Wälder und Gründe belebten – erschien auch der Mensch, in der Kette der Schöpfung das letzte und jüngste Glied und darum das vollkommenste von Allen. Was Mythe und Fabel erzählen von dem einzigen Menschenpaare als dem gemeinschaftlichen Urahn eines in Gestalt, Farbe, Raçenausdruck so mannichfachen und verschiedenen Geschlechts – das verschwindet vor der Forschung wie ein Ammenmährchen vor dem reiferen Verstande. Eben so gut könnte man [36] sagen, daß alle Katzenarten vom Löwen, und daß alle Affen von der Meerkatze abstammen. Jede Region des Erdballs hat ihre eigene Menschenschöpfung, und in der That zeigt kein Thiergeschlecht solche Verschiedenheit in den charakteristischen Formen, als der Mensch in seinen Arten und Raçen. Diese sind einander unähnlicher als Katze und Leopard, Esel und Pferd, Hund und Wolf. Im Pariser Jardin des plantes hatte man während der Kaiserzeit einmal charakteristische Exemplare verschiedener Menschenarten ausgestellt: – den Feuerländer, den Eskimo, den Rothhäuter vom Orinoco und Missouri, den thierischen Australier, den edlen Tscherkessen, den Neger vom Zambeze, den Chinesen aus Peking, den athletischen Bewohner der Sandwichinseln und den Kannibalen Neuseelands; – wer sie so neben einander sah, dem schwand der Glaube an die mosaische Mythe von dem einen Stammvater des ganzen Menschengeschlechts gewiß für immer aus der Seele. Indem die Menschen sich mehrten, indem die Familien sich ausbreiteten, sie sich zu größeren Gesellschaften vereinigten, diese sich berührten, sie ihre Jagdgebiete gegen einander abgrenzten, wurde der Keim zu der Stammgenossenschaft gelegt. Man sieht den Prozeß der Entwickelung gesellschaftlicher Verhältnisse, er geht vor sich nach ethischen Gesetzen, und nach denselben erfolgt auch der Verfall – gleichsam als wären es organische Gebilde. Die Interessen verfeinden sich, indem sie sich begegnen; die Spannungen wachsen; Noth und Habgier gebären den Krieg; das Recht des Stärkern verdrängt das sittliche Recht, und aus den nicht durch die Kultur gezähmten Völkerschaften werden wandernde Heerhaufen, Banden, deren Lebensbestimmung, nachdem sie das rohe Bedürfniß des Daseyns, der Nahrung, erfüllt haben, keine höhere ist, als Befriedigung der Mordlust, der Blutrache, des Raubs und der Plünderung. Die Zeit allein hat keinen sittigenden Einfluß. In einem rohen, wilden Zustande können die Menschen ganzer Kontinente verbleiben, ohne daß ein Jahrtausend irgend Etwas zu ihrem Wissen, ihrer Vervollkommnung, zu ihrer Veredlung und Gesittung fügt. Australien und Amerika geben davon Beweise. Der Australier ist noch derselbe dem Thiere zunächststehende Barbar, der er an dem Tage seiner Schöpfung war; und der Rothhäuter Amerika’s, die Indianerstämme von der Küste der Straße Maghellans bis zu den Ufern des Kupferminenflusses, die in 180 Sprachen ihre Schlachtgesänge ertönen lassen, haben seit den Jahrtausenden ihres Daseys ihre Beschäftigungen, ihre Kleidung, Bedürfnisse, Sitten und Gebräuche, ihre Vorstellungen und Neigungen nicht im geringsten geändert. Selbst der Kontakt mit den civilisirten Menschen konnte sie nicht anders machen; unzähmbar, wie der Bison ihrer Ebenen, oder der Bär ihrer Gebirge, entlehnten sie der herandrängenden Civilisation nur die Werkzeuge und Mittel, ihre wilden Leidenschaften vollständiger und nachdrücklicher zu befriedigen, und Europa hat nur dazu beigetragen, den Vernichtungsprozeß zu beschleunigen, welchem die ganze rothhäutige Menschheit Amerika’s verfallen scheint. –

[37] Das schöne, naturgetreue Landschaftsbild aus dem „fernen Westen“ der nordamerikanischen Freistaaten, welches den Titel dieses Aufsatzes als Unterschrift trägt, versetzt uns in das Gebiet eines der bekanntesten Indianerstämme des Welttheils, der Chippewäer. Die vom Urwald begrenzte kleine Prairie an der Mündung des St. Croix River, zwischen diesem Strom und dem Mississippi, war der Ort, wo das aus Bisonhäuten gebildete Zelt des Stammoberhaupts am öftersten gestanden hatte, wo die Aeltesten der Nation zu Rathe saßen um den Altar des großen Geistes, wenn sie Krieg und Frieden beschlossen, oder über Verbrecher ihr Urtheil fällten. Dort, wo das Blockhäuschen des ersten Ansiedlers steht, stand noch vor zwanzig Jahren die heilige Tanne, unter welcher schauerliche Feste des Cannibalismus gefeiert wurden, bei denen man kriegsgefangene Feinde lebendig am Pfahle briet und sie unter Tanz und kriegerischen Spielen verzehrte. Dort wurden auch die allgemeinen Volksversammlungen gehalten, wenn es Tausch oder Verkauf von Jagdgebieten betraf, oder Veränderungen vorgenommen werden sollten, die den ganzen Stamm angingen; denn bei den Chippewäern war, wie bei den alten Deutschen, das Volksleben stets demokratischer Natur, und das ist es unter allen Stämmen der Rothhäute Amerika’s noch bis auf diese Stunde. Die Gewalt des Oberhaupts ist nur im Kriege diktatorisch; in allen übrigen Beziehungen ist sein Wille dem der Majorität der Stammältesten unterworfen, und in allgemeinen Fragen entscheidet immer das Votum der berufenen Volksversammlung.

Jetzt hat die sonst so mächtige und gefürchtete Nation der Chippewäer, welche ostwärts das ganze Land um den Obern-, den Huron- und den Michigansee bis in die Gegend von Detroit am Erie, zu ihrem Jagdgebiet rechnete, westwärts das seenreiche Minnesota und die Ufer des Redriver bewohnte und um den Besitz des obern Missouri mit der nicht weniger mächtigen Nation der Sioux in ewiger Fehde lag, – über zwei Dritttheil ihres ehemaligen Territoriums an die Vereinigten Staaten verkauft, und sie empfängt von denselben Subsidien als Zeichen der Abhängigkeit. Der Stamm, der noch vor 50 Jahren 30,000 Krieger mit Pfeil, Bogen und Tomahak in’s Feld schickte, ist auf 20,000 Köpfe herabgesunken und Krankheiten und Laster, die ihnen die weißen Menschen zutrugen, dezimiren sie noch viel rascher, als ihre blutigen Kriege. Vergeblich war alles Bemühen der Centralregierung, die Chippewäer, welche doch als eine der intelligentesten Indianerstämme gelten, zu civilisiren, sie ihrem vagabondirenden, auf Jagd, Raub und Fehde gerichteten Leben zu entziehen und den regelmäßigen Beschäftigungen des Ackerbaus zu gewinnen; vergebens war das Bestreben der Missionäre, sie durch die Lehren des Christenthumes zu sittigen und Abscheu vor ihren kannibalischen Gewohnheiten und Gebräuchen zu erwecken: – sie haben alle Geschenke der Civilisation beharrlich zurückgewiesen, und noch im vorigen Jahre fraßen sie acht Kriegsgefangene auf, die bei einer ihrer Razzia’s gegen die Sioux, mit welchen sie seit Jahrhunderten in Erbfeindschaft leben, lebendig in ihre Hände gefallen waren. [38] Bei feierlichen Volksversammlungen schmücken sie ihre Gürtel noch jetzt mit den Skalps der überwundenen Feinde und dem großen Geist bringen sie ihre Trankopfer in den Schädeln der Erschlagenen dar.

Vor einigen Jahren waren die Ufer des San Croix noch ohne Ansiedelungen und nur die Trappers der amerikanischen Pelzkompagnie wagten sich in diese einsamen Regionen, um von den Chippewäern die Felle der wilden Thiere, ihre Jagdbeute, gegen Branntwein, Munition, Schußwaffen und Nürnberger oder Sonneberger Tand und Schmuck zu tauschen. 1844 gründete ein Deutscher aus Baden die erste Ansiedelung am San Croix River, 1 Meile oberhalb seiner Mündung; ihm sind seitdem viel Einwanderer nachgefolgt, großentheils Deutsche, die mit den benachbarten Indianern in freundlichem Verkehr stehen. – Oft schlagen letztere in unmittelbarer Nähe der Ansiedlerwohnungen ihre zuckerhutförmigen Zelte von Büffelhäuten auf, besonders wenn sie in kleinen Gesellschaften jagen und die Ueberfälle feindlicher Sioux fürchten, gegen welche ihnen die Ansiedelungen der Weißen Schutz gewähren – denn innerhalb 1 engl. Meile von einer Farm darf, vertragmäßig, keine Indianerfehde ausgefochten werden. Die Ufer des St. Croix sind anmuthig, gesund und meistens fruchtbares Bottomland, weshalb auch von Jahr zu Jahr die Kolonisation dieser Gegenden wächst. Der Fluß ist auf einer ziemlichen Strecke von seiner Mündung schiffbar; aber die Schifffahrt wird durch die häufigen Inseln beschwerlich und oft gefährlich durch die Menge Treibholz, welches jeder Gewitterregen aus den undurchdringlichen Föhrenwaldungen des Oberlandes herabführt.

Grandioseres als jene Urwälder von Tannen und Kiefern, in denen noch niemals die Axt einem der Riesen, die, Stamm an Stamm, dicht zusammengedrängt zu den Wolken aufstreben, die Rinde verletzt hat, kann man sich nicht denken, und die Pelzjäger, welche diese Wildnisse zuweilen betreten, reden von denselben mit Bewunderung. Tiefer Ernst ist der Hauptcharakter dieser Wälder; doch fehlt es auch an heitern Scenerien nicht gänzlich. Anmuthige Wiesengründe, welche die Flora in bunte Farben kleidet, liegen, wie Oasen in der Wüste, in den Waldungen zerstreut und dann und wann schmückt ein spiegelglatter See die Landschaft. Einzelne Eichen oder Pappeln beschatten gewöhnlich die Ufer desselben, die mit dichtem Rasen vom dunkelsten Grün bedeckt sind, wahre Sammetteppiche, gegen die der gepflegteste Bowlinggreen vor dem Jagdschlosse eines englischen Herzogs dürftig und mager erscheint. Um diese Waldseen sieht man beständig Hirsche und Rehe in Rudeln weiden, mitunter auch den gemächlich daher schreitenden Bär, oder den schleichenden Wolf, oder den zottigen Bison; doch besucht der letztere diese Gegenden nicht zahlreich. Des Bison rechte Heimath sind die Prairien am Missouri, wo wir ihm später begegnen werden.