Amerikanische Briefe. 1. New-York

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Amerikanische Briefe. 1. New-York
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, 7, 26, S. 79–83, 92–94, 342–345
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[79]

Amerikanische Briefe.

1. New-York.
Seine Lage und Gestalt. – Begrüßung, bei der Ankunft durch Gauner. – Vergleichung mit London. – Die Geschäftsgegend. – Die Bedeutung New-Yorks als amerikanisch-europäischer Haupt-Spediteur und Einwanderungs-Hafen. – Für deutsche Auswanderer ein Wink. – Herr Gerhard und sein Unternehmen für dieselben. – Die Auswüchse an der Freiheit Nord-Amerika’s aus Europa. – Physiognomie New-Yorks. – Broadway. – Der Kleiderhandlungs-Marmor-Palast.

Da bin ich endlich in der europäischen Mündung des amerikanischen Lebensstromes, in New-York, dem buntesten, leidenschaftlichsten Gemisch der alten mit der neuen Welt, der weltmeerumspülten Inselhauptstadt aller Völker. Wenn man New-York zuerst vom Meere aus sieht, bekommt man einen bessern Totaleindruck von dieser universellen Bedeutung des Platzes; mich brachte die Eisenbahn aus dem Innern her, so daß ich zunächst mich ringsum nur in Verlegenheiten und Mystificationen befand. An dem linken Ufer des Hudson, der hier ein großes, dichtbelebtes Becken mit den malerischen Bergen des New-Jerseystaates bildet, donnerte unser Zug in die Stadt hinein. Wo blieb nun die die Insel Manhattan, auf der sich New-York vom Festlande trennen soll?

Ich hatte den engen Kanal, der das Vorgebirge der Manhattainsel vom Festlande trennt, auf der darüber hinfliegenden Eisenbahn gar nicht bemerkt. Doch nun fand ich den Hudson, an welchem wir hereingekommen, ganz wo anders weit im Westen, und dann hieß er nicht Hudson, sondern Nordfluß (North river). Ein enger Meeresarm, der Long Island von New-York trennt, heißt der Ostfluß. Beide verbindet ein Kanal, der Haarlem River. So bildet sich das Terrain New-Yorks zu einer Insel von ungefähr drei deutschen Meilen Länge und höchstens einer halben Breite, im Süden sich zu einem engen Streifen zuspitzend, der „Battery.“ Von diesem strategischen Punkte lief New-York, sich schnell ausbreitend, nordwärts über die ganze Insel hinweg mit starken Versuchen, darüber hinweg auf’s feste Land über zu springen. Doch hat sie hier vorläufig noch Raum für die wildeste Anarchie ihrer Entwickelung, von der ich ganz zuerst ein drastisches Bild bekam. Die Eisenbahn hielt zwischen verirrten, halbfertigen Straßen, Holz-, Stein-, und Erdhaufen, Pfützen, zerbrochenen Töpfen und Flaschen, schmutzigen Holzhütten und endloser Unordnung, ohne eigentlich einen Eisenbahnhof erreicht zu haben. Die Locomotive lief allein fort. Ein Paar Dutzend Leute nahmen den Zug auseinander, spannten vor die Theile je zwei oder vier Pferde und schickten dieselben in verschiedenen Richtungen nach der Stadt, so daß die Compagnie Droschkenkutscher und Omnibussen das Vergnügen nicht gönnt, die Passagiere einzeln auseinander zu nehmen und zu prellen. Beinahe eisenbahnschnell rollten unsere vier Pferde Straßen auf, Straßen ab bis mitten in das Herz der Stadt hinein, in eine Confusion der Geld- und Betrugs-Gier, der Rohheit und Unverschämtheit, so daß ich für mich eine gerechte Strafe wegen der Mißliebigkeit fand, mit der ich früher oft von unserer deutschen Polizei gesprochen und geschrieben. Ein Kerl „mit Wuth und Knotenstocke im Blicke,“ beraubte mich gewaltsam meiner Reisetasche, [80] 



New York

[82] zwei Andere arretirten mich und schleppten mich gewaltsam in eine elende Miethskutsche, wo ich von einem Vierten angefallen ward, der sich eine Kleinigkeit für’s Thüröffnen in der zuversichtlichsten Weise ausbat. Der Räuber meiner Reisetasche stand daneben und hielt seine Beute mit dem Bemerken hin, daß er sie mir für einen Spottpreis wieder zustellen wolle. Ich kaufte mich los und accordirte mit dem Kutscher den Preis für die Fahrt nach dem berühmten Astor-Hotel. Kaum waren wie handelseins geworden, stellte er eine Wache vor der Kutschenthür auf, um meine Flucht zu verhindern, und schleppte bald eine zweite Person herein, die neben mich placirt ward, obgleich der Herr bat und fluchte, daß er ganz in entgegengesetzter Richtung zu thun habe. Es half nichts: er mußte mit nach Astors, um erst dann mit seiner Fahrt an die Reihe zu kommen[1].

In meinem Astor-Hotel binnen zwei Minuten wie durch zauberische Maschinerie „häuslich" eingerichtet, fand ich hier so viel zu bewundern und zu notiren, daß ich mit einer bloßen Schilderung dieses amerikanischen Hotel-Lebens allein einen doppeltwiegenden Brief füllen könnte. Doch ich will mich kurz fassen und zunächst sagen, was ich von New-York im Allgemeinen sah und halte. Auf den ersten Blick sieht es, besonders in der Geschäftsgegend von der Battery an eine englische Meile nordwärts eben so enge, wimmelnd, drängend, rücksichtslos geschäftstoll aus, wie die Straßen der City von London, nur nicht ganz so farblos-nüchtern, da große, helle, renommistische Schilder an den Häuserstirnen die öden, schwarzen Namen an den Thürpfosten der City-Handelshäuser Londons ersetzen, und alle zehn Schritte sich verführerische Abgründe vor unsern Augen öffnen: Austern-Keller („Eier-Salons“ genannt), Tavernen, Grog-Kneipen und Spiellöcher aller Art, welche ihre besondern Zwecke hinter dem allgemeinen, verführerischen Titel: „Zufluchts-, Erholungsörter“ verbergen. Die Häuser bestehen aus unschönen Back- und Mauersteinhaufen, und nur da, wo eins eingefallen war, hat man neuerdings durch substantielle, schönere Bauten aus Sandstein dem gestiegenen Reichthum und Geschmacke Denkmäler gesetzt. Gleichzeitig macht das hier von Erstickung bedrohte Geschäft ungeheuere Fortschritte, sich nordwärts und über die Wassergrenze hinaus zu erweitern. Aber das Herz des Geschäfts, dieser schmale Inselstreifen im Süden, kämpft gleichwohl vermittelst enorm steigender Miethe einen harten Kampf gegen den immer gierigeren Andrang der Geldmacher, die aus der ganzen Welt keinen bessern Platz für ihre Leidenschaft zu finden scheinen. Die günstige Lage New-Yorks für Lokal-, Küsten- und Welthandel zugleich ist bekannt, man muß aber die besondere Gunst dieses schmalen Streifens sehen, um die daselbst gezahlten Miethen und die Masse und Größe der Geschäfte zu begreifen. Dieser Streifen ist dicht vom Weltmeere, der Brücke für die Völker, und einem unabsehharen Gewimmel von Segel-, Dampf- und Küstenschiffen, von allen Arten und Größen der Transportmittel auf dem Wasser umgeben. Die Weltmeerschiffe können dicht heranfahren an riesige Lagerhäuser, um hier ohne Mühe und Umstände zu laden oder zu löschen. Das Land erhebt sich nach der Mitte hin, hat also guten Ab- und Zufluß, letztern durch kleinere und größere Wassereinschnitte mit Ebbe und Fluth, so daß die Fahrzeuge, welche die Fluth herauftrug, Stunden lang auf festem Boden liegen, um während der Zeit ihre mühelose Abfahrt mit der nächst beginnenden Ebbe vorzubereiten. Im Süden von einem Halbcirkel befestigter Inseln umgeben, welche im Nothfalle die ganze Hafenbucht schützen würden, verbindet diese Spitze New-Yorks die größten Geschäfts- und Handelsvortheile mit dem Gefühle der Sicherheit für Kriegsfälle.

Ueber die hohe Mitte der Stadt läuft die Hauptstraße hin, Broadway, der breite Weg, mit den engen Seitenstraßen, die in das Weltmeer und in unzählige Dampfschiff- und Fährten-Omnibus münden, zum Theil kleine, schwimmende Paläste, in denen man alle fünf Minuten für das kleinste Stück Kupfermünze, einen Cent, nach Brooklyn, Williamsburg und für drei Cent in einen ganz andern Staat, New-Jersey, dessen Gestade hier dicht von Städte- und Villa-Trauben strotzen, hinüberfliegen kann. Für ein werthloses Stück Kupfer mehr gleitet man in unaufhörlich hin- und herdampfenden Prachtschlössern nach dem eine deutsche Meile entlegenen Staten Island am Ende der wundervollen Hafenbucht, an deren sich zu Hügeln erhebenden Gestaden ringsum Städte und Landhäuser blühend auf das wimmelnde Leben des großen Wasserspiegels herableuchten. Der Lokal-Dampfschiff- und Fährtenverkehr um die New-Yorkspitze herum ist vielleicht das allerglänzendste und figurenreichste Kulturbild der Erde. Für einen Cent tritt man in einen während der Hitze kühlen, im Winter warmen Pracht-Salon, sitzt auf Teppichen und Sammetpolstern, besieht sich in goldumrahmten Riesenspiegeln, trinkt aus diamantgeschliffenen Karaffen und Gläsern das reinste Wasser (nichts anderes) und weidet seine Augen über Hunderte vorbeidampfender oder segelnder wirklicher Luftschlösser hin an New-York selbst, an Jersey und Hoboken drüben, an Brooklyn und Williamsburg und an der üppigsten Fülle von Städteblüthen, die von allen Seiten nah und fern zwischen dem glänzenden blauen Himmel und dem zweiten Himmel unten, dem eingerahmten Meere, herabglänzen. Der Lokaldampfschiffverkehr auf der Themse zur ununterbrochenen Verbindung der vier deutsche Meilen sich erstreckenden Theile von London ist auch großartig, viel massenhafter, aber die Dampfschiffe dort gleichen schmutzigen Höhlen und die Themse ist die stets rauchbehangene Mündung für alle Cloaken Londons.

Auf einem für den Verkehr mit Europa und dem Innern Amerika’s so günstigen Terrain schwoll New-York bald zu einer reichen, leidenschaftlich geschäftigen Bevölkerung von 700,000 Seelen an, in welche sich alle Farben, Racen und Völker bald schwächer, bald stärker mischen. Am Meisten unter den Farbigen ragen außer den Schwarzen, Schwärzlichen, Braunen, Gelben und Brünetten – die Deutschen und Irländer hervor. Die Deutschen sind hier auch Farbige, insofern man ihre sociale und moralische Position durchschnittlich nicht über den schwärzesten Neger stellt. Unter Deutschen versteht man hier im Allgemeinen Linden-Müller und Louis Drucker aus Berlin, die in Broadway ihr Kneipen-Unwesen treiben, Rowdies, Runners und sonstige Bummler und Beutelschneider, die unter dem „französischen Louis“ für billige Preise Alles zer- und todtschlagen und zerstören, was man ihnen aufgiebt, bei den Wahlen die Männer des Schreckens spielen und für Eisenbahn-Compagnien stets unter den 300,000 Einwanderern, die jährlich hier ankommen, umher irren, um jeden nach zwei bis drei verschiedenen Seiten zu ziehen. Der deutsche Bauer, der hier an’s Land tritt, mit einem Sack harter Kasse in der Hosentasche, wird gleich von vier Seiten als Bruder umarmt, wobei einem Zärtlichen nicht selten die ganze Geldkatze an den geübten Fingern kleben bleibt. Ist der Bauer recht pfiffig und hält die Hand auf die Tasche, lässt er sich doch nicht selten in eine Spelunke locken, wo man ihn ausplündert oder auf eine Eisenbahn, die expreß dazu eingerichtet ist, daß auf dem Wege bis Cincinnati ein Paar in jedem vollgepropften Waggon ersticken. Doch das beiläufig. New-York, als solches, kann nicht dafür, und man muß sich hüten, „den Spucknapf der Nationen,“ wie man es titulirt hat, nach dem Inhalte dieses Napfes zu beurtheilen. Nur noch so viel im Interesse deutscher Auswanderer, daß Schwindel und Betrügerei in räuber- und mordbrennerartigen Banden auftreten, welche von Schwindel-Compagnien aller Art besoldet werden. Vorsicht, Courage, Polizei schützen nicht gegen sie. Und die Presse, welche gegen sie aufzutreten suchte, wurde theils von andern Organen überschrieen, theils zu Schanden oder gar todtgeschlagen.

Herr Gerhard, früher Buchhändler in Danzig und Berlin, jetzt in Hoboken, hat nun, um diesen Hydern der Auswanderer dennoch die Köpfe abzuschlagen, sich erst neuerdings die unsägliche Mühe genommen, selbst nach London, Hamburg, Bremen u. s. w. zu reisen und Anstalten zu treffen, daß die Auswanderer, ehe sie in New-York an’s Land steigen, sich selber klug machen. Diese Anstalten werden in einem unentgeltlich an alle Auswanderer vertheilten Anzeige-Blatte bestehen, welches die Namen, Bureaux, Manieren und Manipulationen aller Schwindel-Compagnien und ihrer helfershelferischen Banden enthalten und von besondern Agenten in den Auswanderungshäfen und auf den Schiffen jedem Auswanderer zur Lectüre auf der Reise empfohlen werden wird. Die Kosten des Unternehmens glaubt er durch Anzeigen decken zu können. Das Mittel ist einfach, aber allem Anscheine nach sehr gründlich und einer großen, segensreichen Zukunft fähig. Hierbei will ich noch in Parenthese erwähnen, daß ich in der liebenswürdigen Familie Herrn Gerhards, der wie ein kleiner Prinz auf einer umgrünten Hügel-Terrasse von Hoboken wohnt, einige herrliche deutsche Abende verlebt, und viele deutsche Familien und [83] auch einige amerikanische sich in Freundschaft und Gemüthlichkeit herzlich anschließen. Eine seiner Töchter, an den Hauptlehrer eines „College“ verheirathet, wurde die reizendste Vermittlerin mit den gebildetsten, liebenswürdigsten Kreisen von Yankees, denen Yankeeismus und Know-nothings eben so lächerlich erscheinen, wie andern wahrhaft gebildeten Amerikanern.

Um die Bedeutung und Physiognomie New-Yorks richtig zu zeichnen, müssen wir von Auswüchsen und Mißbräuchen absehen. New-York ist der Welthandels-Spediteur aus Europa in das Innere Amerika’s und aus letzterem nach Europa zurück. Mit diesem Begriffe wird uns auf einmal das unabsehbare Kommen und Gehen von Segel- und Dampfschiffen auf der einen Seite klar, wie die stets dicht belebten Flüsse, Kanäle und Eisenbahnen, welche auf der andern Seite in’s Innere Amerika’s laufen, besonders nach dem großen Westen, und ausgetauschte Güter von da zurückbringen. Die rasche, politisch und polizeilich nie verhinderte Entwickelung dieser Bedeutung und Functionen des Platzes hat viele Auswüchse dieser freien, jungen Lebenskraft mit angesetzt, an welchen aber die Unfreiheit Europa mehr Schuld trägt, als die Freiheit Amerika’s. Können wir diese deutschen, französischen, irländischen Räuberbanden und Bummler den Yankees zum Vorwurf machen? Im Gegentheil, die Yankees sagten zu ihnen: Hier ist Freiheit, hier Geld für eure Arbeit, arbeitet nur. Und viele wurden freie Männer und lebten von ihrer freien Arbeit. Die Hefe, die zurückblieb, war europäische, durch das Blut der alten Welt unverbesserlich verdorbene Hefe. – Amerika selbst erzeugt aus seinem Boden keine schmutzigen, mit schiefgetretenen Stiefeln Broadway decorirenden Pflastertreter, sondern nur reinliche, gerade auftretende Arbeiter, die ihre Mußestunden in wissenschaftlichen Instituten, glänzenden Lesehallen und zu Hause im reinlichen Familienkreise zubringen. Der eigentliche Yankeeismus, in den Know-nothings momentan hervortretend, und die unbeschreibliche, freche Rohheit und Bestechung bei den Wahlen – diese beiden Hauptgebrechen der jetzigen Socialität, verunstalten den wirklich gebildeten Theil Amerika’s nicht. Ersterer sieht etwa so aus, wie die früher in Preußen hervortretende, aus Gevatter Schneider und Handschuhmacher rekrutirte Treubündelei, und die Wahl-Räuberbanden bestehen aus deutschen, französischen, irländischen Auswürflingen aller Parteien, sehr wenig aus Yankees. Durch sie kommt die Rohheit und Geldgier, der stellensüchtige Ehrgeiz treubündlerischer Schuster, Schneider und Schacherer hauptsächlich an’s Ruder. – So viel von den Auswüchsen der Freiheit, an denen hauptsächlich die alte Welt Schuld trägt. Von den Achillesfersen des amerikanischen Lebens selbst an einer andern Stelle.

Als Hauptspediteur des amerikanisch-europäischen Weltverkehrs hat New-York besondere Züge in seiner Physiognomie, die man in andern amerikanischen Städten nicht wiederfindet, schmutzige von dem Schlamme, der von dem durchfließenden Hauptstrome der Auswanderung sich ablagert, kalte, gespannte, harte Züge des hier am Atemlosesten im dichtesten Gewühl raffinirtester Concurrenz spedidirenden und speculirenden Handels-, Börsen- und Schwindelgeistes und dann Züge von Trunkenheit, Liederlichkeit und Lasterhaftigkeit, wie sie sich überall in jeder großen Stadt wiederfinden. Brillanter, unerschöpflicher Stoff für Romanschreiber oder Reisende, die in Bänden auftreten wollen, in einem Briefe aber beinahe schon des Porto wegen unzulässig. In unserer Physigognomik halten wir uns blos an die Hauptzüge: Broadway mit seinem Geschäftsleben, die Wasserleitung, die Hotels und die Umgegend.

Broadway ist für New-York, was Strand und Fleetstreet für London, die Hauptader des stets fieberhaft pulsirenden Verkehrs- und Gesellschaftsblutes, im Sommer zugleich Aequator tropischer Hitze, wie im Winter Haupttummelplatz scharfer, arctischer mit den Messern eisiger Kälte bis auf die Knochen eindringender Winde. Doch weiß die Kultur beide Feinde mit deren eigenen Waffen vortrefflich zu bekämpfen, den Winter mit dem prächtigen Pelzwerk hintercanadischer Wildnisse, den Sommer mit dem conservirten und hunderttausendkannenweise durch Verschiffung nach dem Süden zu Gelde gemachten Eise. Geeis’tes Wasser wird im Sommer stets in den Eisenbahnwaggons herumgereicht, im Winter zwar kein Pelzwerk, aber doch die Wärme des stets in der Mitte lustig flackernden Ofens. Dabei verdient Jeder, der irgend etwas arbeitet, so viel Geld, daß Niemandem ein guter Pelz unzugänglich wird. Broadway ist eine Welt in Form der stolzesten Straße aller Städte. Seitdem die wenigen hölzernen Häuser, die sich von Alters her zwischen den braunen Sandstein- und Granit- oder vor weißen Marmor-Palästen der Handels-Potentaten zu erhalten suchten, verschwunden sind, sieht der breite Weg einer Doppelreihe europäischer Königsschlösser ähnlich, mit dem bedeutenden Vorzuge, daß darin nirgends Leere herrscht, sondern fabelhafte Fülle des Geschäfts, obgleich viele sich fünf bis sechs Stockwerke erheben und der Straße Stirnen von 300 Fuß Länge zeigen. Die in England sich seit Jahrhunderten breitmachende Geschmacklosigkeit der Architektur ist hier zum Theil den geschmackvollsten Stilen gewichen. Dabei ist die Pracht und Größe einzelner Geschäftshäuser und Hotels für unsere Augen rein fabelhaft, und New-York zeichnet sich besonders durch Handel mit „dry goods“ (trockenen Gütern) aus, wie man alle Arten von Gegenständen der Bekleidung mit einem Male nennt. Für diese trockenen Güter giebt es am Parke des breiten Weges einen massiven Marmor-Palast, beinahe so groß, wie Semper’s neues Museum in Dresden, („Stewarts Store“) worin jährlich für acht Mill. Thaler Waaren umgesetzt werden. Unter den Buchhandlungen des breiten Weges tritt die von Appleton und Comp. in ihrem neuen marmornen Lustschlosse hervor, als hätte sich hier ein Crösus zu seinem Vergnügen in’s Privatleben zurückgezogen. Man vergleiche damit die lichtlosen Höhlen größerer Buchhändler in Pater noster Row hinter der Paulskirche in London. Man würde vielleicht Wunderdinge von der Lädenpracht in Broadway und Bowery (der nächsten Hauptstraße) hören, wenn die Hotels nicht Alles verdunkelten.

[92]
1. New-York.
Die Hotels. – Astor-House. – Die hingehauchten Damen und die hingeflegelten Herren. – Vergleich mit deutschen Mädchen. – Familienleben im Hotel. – Die Hotel-Telegraphen. – Das Militair des Hotelstaates. – Ihr Triumph im Wasch-Departement. – Die große Wasserkunst. – Der Luxus in Privatbauten und deren innere Einrichtungen. – Das Verdienst der Deutschen dabei. – 1400 deutsche Kneipen und zwei deutsche Theater. – Umgegend New-Yorks. – Das deutsche Dorf Morrisania. – Die Zukunft New-Yorks. – Die „fünf Punkte“ der Stadt und die „vier Punkte“ der europäischen Diplomatie.

Die Hotels von New-York sind nicht nur als Gebäude und Wirthschaften wahre Wunderwerke, sondern auch als eine ganz neue Formation des bürgerlichen und Familienlebens. Wir können hier nicht von Taylor’s Restaurant, dem gigantischen [93] Feenpalaste für blasirte, ungerathene Söhne der Millionäre, sprechen, da unsere Kasse für innere Studien nicht ausreichte, auch nicht von Irving oder Prescot-House, dem Metropolitan oder St. Nicholas (ersteres für 600 Gäste mit 250 Dienern, erbaut für 1,500,000 Thalern, letzteres für 2 Millionen Thaler von weißem Marmor für mindestens 1000 Gäste); wir beschränken uns auf unser Astor Haus, eines der berühmtesten und in seinen Zurichtungen vollkommensten, für Personen und Familien mittleren Geldranges, obgleich man auch mit sehr beschränkter Kasse darin wohlfeiler lebt, als in einem Privathause. Es ist ein von allen Seiten frei stehender, quadratischer Koloß von silbergrauem Granit mit 200 Fuß Front in Broadway. Der Erdflur besteht rings herum aus glänzenden Läden. Das Hotel beginnt eigentlich erst eine große Marmortreppe hoch mit einem marmornen, säulengetragenen, großen Vorsaale, dicht besäet mit allerlei ankommendem und gehendem Gepäck mit kaltphysiognomirten Herren dazwischen auf Stühlen hingeflegelt, laufenden und überspringenden dienstbaren Geistern, Aus- und Einströmenden ohne Unterlaß und langen Corridoren und Treppen in die Privatzimmer. Der stets geräuschlos aus- und einschwingenden Hauptthür gegenüber führen besonders bezeichnete Eingänge zu der Schenke und andern Bequemlichleiten und dicht neben denselben an einen Zahltisch mit Büreau, wo die ganze Wirthschaft gebucht wird. Der Ankommende schreibt hier seinen Namen in ein Buch, erhält seinen mit einer Nummer auf Metall eingegrabenen Schlüssel, giebt dem wartenden Träger einen Wink und verschwindet mit ihm, stumm, wie er gekommen, oben in Nr. 320 oder 326 (so viel Zimmer giebt es gerade). In den Zimmern ist Alles scrupulös rein und comfortabel, und ein großer gedruckter Bogen an der Thür überhebt den Angekommenen jeder Mühe, Fragen zu thun. Er sieht hier, was er zu zahlen, wenn er Frühstück, Mittagsessen u. s. w. zu erwarten hat. Der eine Corridor führt zu Zimmern für einzelne Herren, der andere zu Familienwohnungen. Im Flure der Eingangshalle finden wir den Eßsaal und große, glänzende Sprechzimmer, die immer offen stehen, so daß man die schönen, auf Sammet-Sopha’s hingehauchten Damen neben hingeflegelten Herren genau beobachten kann, wie sie sich eifrig mit Langeweile beschäftigen. Die ganze „Phalanstere" schwärmt wie ein Bienenstock, worunter sich besonders gelockte, schreiende, springende und spielende Kinder, die hier im „Gasthofe" geboren und erzogen werden, auszeichnen. Der junge Kaufmann, der hier heirathet, findet nichts bequemer, als sich im Gasthofe einzumiethen. Die ganze Wirthschaft ist gleich da, und die aus Aether gewobene junge Frau versteht nichts von Kochen und Braten und Einkaufen. Sie hat nichts gelernt, als Tag für Tag auf dem Wiegestuhl zu sitzen und Conditorwaaren dazu zu naschen. Auch als Frau setzt sie dieses Geschäft mit geübten Sitz- und Saugmuskeln fort und der Mann bezahlt alle Wochen die Rechnung. Zum Lieben hat er weder Herz noch Zeit: er ist fast immer sehr reich und macht sehr viel Geld. Damit vertreibt er sich die Zeit und das Leben. Und die Frau sitzt und lutscht, weiter nichts? O ja, sie, die nicht braten kann, läßt sich wenigstens rösten. In den goldenen, teppich-, sammet-, spiegel- und luxusreichen Sprechzimmern, wo sie sich wiegt und liest oder dann und wann auf dem Piano klimpert, wird mit Anthracit-Kohlen stets ein so gewaltiges rothes Feuer unterhalten, wie in einer Eisengießerei. Damen, die hier dem Schmelzen nahe sind, gehen dann heraus auf die eben so elegant möblirten Corridors und sitzen hier Parade und Abkühlung für sich und gelegentlich auch für die Herren, welche in der Entfernung von ihnen erwärmt wurden. Wenigstens machte ich diese Erfahrung. Sie sehen von Weitem fast immer feenhaft, bezaubernd aus. Aber in der Nähe? Wo ist der rosige Hauch der Jugend? Das frische, runde, schönheitslinige, quellende, mit Grübchen in den Backen lächelnde Amor-Zeughaus unserer deutschen Schönen, welche verschämt die Augen von unten aufschlagen, um zu verrathen, daß sie unter Umständen nicht abgeneigt seien, die Rolle einer „bessern Hälfte“ zu übernehmen? Diese Amerikanerinnen schlagen, wie ihre plumperen Schwestern in England, die schönen, aber reizlosen Augen von Oben nach Unten auf. Das allein macht sie häßlicher, als zwei Höcker. Den Kopf zurückgeworfen, die Nase parallel mit den Wolken, blicken sie kalt und steif an dieser Nase entlang über die Durchschnittshöhe der Herrenhüte hin (die Engländerinnen außerdem stets mit offenem Munde), und lassen dann aus dieser Höhe manchmal einen erbarmenden Blick bis auf die Herrenvorhemdchen herunterfallen, um sofort wieder aufzusteigen, wenn keine Diamantnadel unter der Halsbinde glänzt.

Nicht als ob in Amerika und England der Artikel Liebe gar nicht mehr ächt producirt würde, aber in respectabeln Kreisen, wo mit der Elle des Vermögens gemessen wird, kommt sie nur gleichsam polizeiwidrig und ohne Paß noch ächt vor.

Familien und Kinder im Hotel bedürfen noch eines Wortes. Für die Flitterwochen junger Paare giebt es fast in jedem Hotel auch feenhaft möblirte Wohnungen für 30 bis 100 Dollars wöchentlich. Später ziehen sie in gewöhnliche Zimmer und wohnen da Jahre lang aus Bequemlichkeit und Oekonomie. Die Hotels sind durchschnittlich Musterwirthschaften, so daß keine Familie Lebensmittel so excellent und wohlfeil sich selbst bereiten kann, als sie ihr im Hotel fix und fertig in schönster Form regelmäßig vorgesetzt werden. Inlofern sind diese Hotels wirkliche Phalansteren des Socialismus, doch mit der „Familie" ist es denn auch in dem Grade vorbei, daß z. B. die Kinder für sich ohne Aeltern besonders table d’hôte speisen und von besonders angestellten Hotel-Hauslehrern und Gouvernanten en gros möglichst im Zaume gehalten werden, was die kleine Welt jedoch nicht hindert, der großen überall mit Reifen, Kreiseln, Pferden und Eseln an langen Bindfaden oder durch Fallen von Treppen und über Reisetaschen und die dabei übliche Naturmusik unbequem zu werden.

Was die Oekonomie betrifft, so bezahlte ich z. B. für ein ganz gemüthliches Zimmer (freilich ganz hoch), Frühstück (von 8 bis 10 Uhr), Mittag mit 20 Gerichten (um 3 Uhr), Abendessen mit Thee und Auswahl aller möglichen Speisen, Aufwartung aller Art und Trinkgeld 1 Dollar täglich. Die halbe Bequemlichkeit in einem Privathause kostet aber, wenigstens um Broadway herum, mindestens das Doppelte, so daß man im Hotel vierfach billiger wohnt und für sein Privateigenthum beinahe absolut sicher ist. Und welche andere Bequemlichkeiten! In der großen Halle guckt da erstens ein Mann durch ein Fenster wie von Außen herein, um uns unentgeltlich Alles, was wir ihm übergeben, Hut, Stock, Mantel u. s. w. aufzuheben. Daneben steht ein Mann mit Wichs- und Reinigungs-Apparaten in einem besondern Käfig bereit, uns auf Verlangen vom Kopfe bis zur Zehe zu wichsen. Dann kommt eine große geräumige Nische mit Marmortischen, Federn, Tinte, Papier, Couverts und Personen, die Dir den Brief augenblicklich befördern. Ein Paar Schritte weiter sitzt ein Mann in eine Art von Schilderhaus eingeklemmt und doch mit ganz Amerika in elektrisch-blitzender Verbindung stehend. Eines Tages steckte ihm ein Herr ein Streifchen Papier hinein mit dem Bemerken zu einem andern, daß er erst bei Mr. So und So in Philadelphia anfragen und dessen Autwort abwarten wolle. Inzwischen gingen die Beiden zur „Schenke", das von Oben erleuchtete Centrum des ganzen „Staates im Kleinen" mit Cigarrenverkauf, Barbierladen, Lesetischen und Hunderten von Zeitungen, mehreren kleinen Verschlägen mit Waschapparaten, Eingängen zu warmen und kalten Bädern, Kaffee-, Liqueur- und Bierabtheilungen u. s. w. Hier tranken und rauchten sie etwa eine halbe Stunde, worauf ihnen ein Kellner die niedlich couvertirte Antwort von Philadelphia aus dem Telegraphenbureau des Hotel einhändigte, und die Herren zum „Geschäft" abgingen. Das ist kein besonderer Vorzug Astor’s: jedes größere Hotel steht mit allen größeren Städten Amerika’s in direkter telegraphischer Verbindung.

Das Militär des Hotel-Staates besteht aus (größtentheils irländischen) Dienern und Kellnern, welche das Mittagsessen in genauesten Paradelinien, bewaffnet mit silberbedeckten Schüsseln, auftragen, Mit einem Schritte an der langen Tafel Halt machend, setzen sie auf einen Wink die Schüsseln hin, nehmen sie mit einem Griff die Deckel ab, machen sie mit einem Ruck Kehrt und marschiren sie in einem Schritt ab, den der Lieutenant auf der Parade nicht besser wünschen kann. Sie kommen und gehen mit ihren Schätzen stumm und pünktlich, wie durch den großartigsten Mechanismus getriebene Marionetten, so daß ich in der ersten Zeit mehr lachen mußte, als essen konnte, obgleich ich noch jetzt mit gerechter Bewunderung an die Ordnung und Accuratesse zurückdenke, womit die ganze kolossale Wirthschaft Tag und Nacht unverdrossen arbeitete, als sei sie ein Triumph der Dampfmaschinen-Baukunst. Letzterer Triumph liegt besonders im Wasch-Departement, welches so wunderbar schnell arbeitet, daß jeder Herr, der nur ein Hemde hat, täglich ein reines anziehen kann. Man giebt früh um sieben Uhr ein Bündel schmutzige Wäsche hin und [94] erhält sie um acht Uhr schneeweiß und glänzend geplättet zurück. Die Wäsche wird in Dampf-Cylindern durch einen energischen Strom von Dampf mit Seife gereinigt, dann in Centrifugalmaschinen zu zwei Drittel und von Dampfmaschinen beworfen, Plätteisen zum letzten Drittel getrocknet und spiegelblank geglättet. Die Frauen „mit Wasch-, Scheuer- und Raspellagen," mit ihrem verkochten, verstrickten, verflickten und verstopften Leben (wie Jean Paul sagt) sind hier unbekannte Größen, und insofern die amerikanischen Hotels Seminarien einer bessern, socialen Zukunft.

Das hier überall bereitwillig fließende Wasch-, Dampf-, Bade- und Trinkwasser (mit einem ganzen Springbrunnen in der „Schenke") erinnert mich an die große Wasserkunst New Yorks (Croton Aqueduct), wohl das großartigste Bauwerk der Art, das selbst mit den bewunderten Wasserleitungen des alten Rom Vergleiche aushalten würde. Es bringt für ganz New-York über acht volle deutsche Meilen weit her täglich 60 Millionen Gallonen Wasser durch eine ungeheuere Brücke über den Haarlemfluß hinweg und vertheilt sich hier in Tausende von Adern und Aederchen durch Küchen, Häuser, Fabriken bis in die höchsten Etagen. Dieses Adersystem kostete nach seiner ersten Vollendung über 30 Millionen Thaler und hat diesen Preis seitdem durch Erweiterung um Millionen überstiegen. Das Geld dazu kam aus freien Privatmitteln. Berlin, das seit Menschenaltern durch seine Rinnsteine an eine Wasserleitung erinnert wurde und mit Plänen dazu umging, deren Ausführung kaum den zehnten Theil kosten würde, hat noch nicht angefangen, an einen Anfang zu denken. Und Berlin ist eine Residenz, während in New-York nur Kaufleute schachern.

In New-York residirt kein Hof, keine Geburts-Aristokratie. doch nimmt es in Luxus, Pracht und Geschmack die Aufforderung jeder europäischen Residenz auf. Weiter im Norden, wo die Handels-Aristokratie ihre Privat-Paläste aufbaute, sieht es vornehmer, reicher und vor allen Dingen geschmackvoller aus, als im reichsten Viertel Londons, Belgrave, Square. Schon die architektonischen Fronts dieser Stein-, Granit- und Marmor-Paläste zeugen von dem höchsten Geschmack. Und hinter den großen Spiegelscheiben (in der Regel blos je einer zu einem ganzen kolossalen Fenster) und den ächt silbernen Thürgriffen. Klingelknöpfen und Namensschildern prangen über Mosaik-Fußböden freskogemalte, große Vorhallen, Treppen und Ballustraden von schwarzem Wallnußholz, und oben thun sich hinter Flügelthüren Zimmer mit Marmor-Fußböden und pompejanisch gefelderten und gemalten Wänden auf, mit Meubles und Decorationen, in denen der höchste Kunstgeschmack Meisterwerke bewundern muß. Ich erwähne nur den Marmor-Kamin in einem dieser Zimmer mit Relief-Figuren, die Burns’ Gedicht von der Hochland Manie veranschaulichen und wofür allein der deutsche Bildhauer 1500 Dollars bekam. Man besucht hier solche Paläste (besonders die in der fünften „ „Avenue,“ wie hier die Straßen heißen) wie die Schlösser der Könige in deren Abwesenheit, nur daß hier die Eigenthümer lieber selber da sind, um sich des Staunens ihrer Gäste zu freuen. Einer dieser Herren sprach mit der größten Anerkennung von den Deutschen, durch welche es ihnen allein möglich geworden, ihr Geld zur Ehre des Geschmacks anzuwenden und über die hartnäckige, englische Plumpheit hinauszukommen. Durch die Deutschen in Amerika und die Einfuhren von Frankreich sei es ihnen gelungen, alle Zufuhr der Art von England abzuweisen. Für die Zukunft der Deutschen in Amerika ist mir also nicht bange, obgleich jetzt die Know-nothings triumphiren und allen Einwanderern nicht nur das Bürgerrecht, sondern als Temperanzler auch vierzehnhundert deutschen Kneipiers und Restaurateurs von New-York allen Spiritus und alles Bier confisciren wollen. Die Know-nothings haben ihre Zeit, deutsche Kunst aber (inclusive der des Trinkens) ist ewig.

Kirchen, Banken, Theater[2] und sonstige öffentliche Gebäude, obwohl größtentheils nicht unbedeutend von Ansehen, boten mir nichts Charakteristisches.

Um noch ein Wort von der schon im Allgemeinen angegebenen Umgegend zu sagen. Das eigentliche New-York ist schon eben so wenig zum Leben geeignet, als das eigentliche London. Die Städte selbst sind nur noch Bureaux, zum Geldmachen. Arbeiter, Handwerker und Geldmacher besserer Klasse wohnen bereits vier bis fünf deutsche Meilen weit im Umkreise der Stadt und verbinden den Vortheil hoher Löhne und Gewinne „am Platze“ durch Eisenbahn, Dampfschiff, Fuhre und Omnibus mit den Annehmlichkeiten eines wohlfeilen eigenen Herdes auf dem Lande draußen. New-York ist bis 5 deutsche Meilen im Umkreise ziemlich dicht mit Vorstädten, Dörfern und Kolonien umsternt, von denen manche schon über tausend Einwohner zählen, unter denen die Deutschen besonders stark vertreten sind. Das Dorf Morrisania ist eine durchaus deutsche, wunderhübsche Kolonie von etwa 300 niedlichen, weißen Holzhäuschen, die durch kleine Einzahlungen an Landvereine leicht gewonnen wurden und oft bald darauf für den doppelten Preis verkauft werden können, da Grund und Boden um New-York mit jedem Tage steigen. Der Arbeiter wohnt hier für 90-100 Thaler selbstständig und gesund, in New-York bekommt er dafür kaum die schlechteste Kammer.

Ein neuer, gewaltiger Kolonisationszug bewegt sich um Hoboken herum. Hier sind in den letzten zwei Jahren beinahe ein Dutzend villaartige Dächer entstanden: ein Washington, mehrere Hoboken, ein Gutenberg u. s. w. zum Theil mit glänzenden Läden, Vergnügungsörtern, Kirchen und Schulen und allen Anzeichen eines raschen Gedeihens. Mancher „York Stater“ (Bewohner New-Yorks), der nach zwei bis drei Jahren dort wieder eine schöne, einsame Wald- oder Felsenparthie besuchen will, findet sie dicht bebaut und kultivirt von Dörfern und Gärten und Feldern. So sind alle Anlagen New-Yorks für ein Wachsthum zur Größe Londons vorhanden, ohne dessen Rauch, ohne dessen architektonische und sociale Geschmacklosigkeit, die Anlagen zu einer wahrhaft kosmopolitischen Weltverkehrsstadt, so sehr sich auch die Know-nothings jetzt bemühen, eine nirgends existirende sogenannte amerikanische Nationalität geltend zu machen.

Es bleibt noch Manches übrige, z. B. Schilderung der New-Yorker Gauner und Schwindler im Einzelnen und in Aktien-Compagnien, der Neger- und Irländer-Spelunken, der deutschen Verbrecherkeller und vor Allem der „five points“ („fünf Punkte“, wie das verrufenste Stadtviertel heißt), aber erstens haben wir an unsern „vier Punkten“ des Friedens schon genug und zweitens und letztens kann man sich aus dem „Leben des Phineas Taylor Barnum, geschrieben von ihm selbst,“ das nöthige Material zur Kenntniß der höhern Gauner- und Schwindlerwirthschaft selbst herauslesen.

[342]
II. New-York. (Schluß.)
Der Verfall des Republikanismus in Amerika und dessen Neigung zum Absolutismus. – Der Wahlcensus für die Aristokratie des Gesindels. – Die „Rowdies, runners, suckers und strikers.“ – Bestrafte Verbrecher als Beamte. – Die Praxis bei den Wahlen. – Das Municipal-Reform-Comitee in New-York. – Das Verbrecher- und Regierungs-Viertel „five points“. – Wie die ankommenden Einwanderer empfangen, beraubt und geschunden werden. – Guter Rath für Auswanderer. – Ein aus dem Meere gezogener deutscher Bruder. – Aussichten.

Ehe ich von meinen Reisen durch Virginien, über den Sclavenmarkt von Richmond, durch Washington und den Congreß, dem Besuche bei Pierce im weißen Hause, durch Boston, Lowell, Rhode Island, Philadelphia und die Städte vieler Menschen, über das Wasser vieler Seen und Kanäle und die tausendmaligen, durch Wälder und über Sümpfe hingeworfenen eisernen Bahnen und von meinen Total-Eindrücken die Sahne abschöpfe, um sie dem Leser oder vielmehr der schönen Leserin in der Gartenlaube zum Thee oder Kaffee vorzusetzen, bleibt noch manche charakteristische Erscheinung New-Yorks übrig, die man nicht übergehen darf, wenn mein Zweck, ein getreues Bild von Amerika, so weit ich es kennen lernte, zu skizziren, erreicht werden soll.

Ich spreche nicht von untergeordneten Eigenthümlichkeiten, den in den Straßen umherlaufenden Eisenbahnen, den übervollen Omnibus mit Damen auf dem Schooße der Herren, dem Schmutze und Hausauswurfe auf den Trottoirs von Broadway, Pearl-, Nassau-, Fulton- und andern prächtigen Straßen trotz der 1600 beschäftigten Magistrats-Schmutzkarren, die 1853 über 250,000 Dollars kosteten, und sonstigen Skandalen magistratlicher Betrügerei und Nachlässigkeit. Diese Betrügereien und Nachlässigkeiten führen mich auf die Wurzel alles amerikanischen Republikanismus, die hervorgehoben und gezeigt werden muß, so unangenehm die Operation auch sein mag. Der amerikanische Republikanismus geht, wie der englische Parlamentarismus, durch seine eigene Ausartung zu Grunde. Das ist ein hartes Wort für freisinnige Herzen, aber was haben wir davon, wenn wir uns selbst betrügen und Hoffnungen der Freiheit für Thatsachen nehmen?

Die Sache ist, daß in Amerika gerade durch das allgemeine Wahlrecht dieses erste politische Recht freier Männer zu Grunde geht. Es ist in New-York unerträglich geworden. Der amerikanische Republikanismus ist eine verfaulte, hohle oder von Schmutz erfüllte Form ohne Republikaner, der sich ebenso wenig halten kann, als der Körper, aus dem das Leben gewichen, so daß zerfressende Luftarten und Würmer sich dessen bemächtigen, um seine Bestandtheile den ewigen Elementen zurückzugeben. Die Republikaner sind „alle geworden“, wie lange kann sich da noch der Republikanismus halten? Unter der Sclaverei des Mammon, des Geldmachens, der Baumwolle erstarb jede republikanische Tugend. Die Staats- und Stadtangelegenheiten verfielen, vermittelst des allgemeinen Wahlrechts, durch den Census der Fäuste, der Knüttel, der Bestechung und Verworfenheit aller Art auf organisirte Räuberbanden beschränkt, den gewissenlosesten, frechsten Wucherern und Schacherern, welche die letzten Reste republikanischen Sinnes austreiben und eine strenge, reinigende, absolutistische Regierung als Erlösung erscheinen lassen.

Dieser Proceß ist morgen noch nicht zu Ende, aber er hat sich unter republikanischen Formen bereits so weit ausgebildet, daß es nur irgend eines Ruckes und Stoßes bedarf, um den ganzen Plunder zusammenzustürzen. Der umgekehrte Census in England für die Abkömmlinge der normannischen Eroberer, die Lords, die Aristokratie, für den großen Grund- und Geldbesitz führt zu demselben Ergebnisse. England und Amerika arbeiten sich einem absolutistischen Attila in die Hände, der wahrscheinlich als „Gottesgeißel“ wirthschaften und die Staats- und Communal-Tempel von Wucherern und Wechslern, von dem altersschwachen, aristokratischen und dem plebejen, „scrophulösen Gesindel“ reinigen wird, um einer schöneren, freiern Entfaltung socialer und politischer Zustände Platz und Stelle zu verschaffen. Man braucht deshalb in unsern Andeutungen keine Schwarzsehkunst zu vermuthen. Uebrigens lasse ich Thatsachen reden.

Die Wahlberechtigten des allgemeinen Wahlrechts treten in New-York am Exclusivsten auf. Der Census zu Gunsten organisirter Banden, die unter dem Namen „Rowdies,[3] Runners, u. s. w.“ floriren, ist in New-York am Weitesten durchgeführt. Die Aristokratie des „Gesindels“ genießt hier ihre politischen Privilegien ganz unbestritten. Sie beherrscht die staatlichen und städtischen Wahlen, und da diese nicht hinlängliches Brot geben, macht sie auch in Industrie und Handel, zerschlägt gegen Pränumerando-Zahlung dem Concurrenten eines Geschäfts Fenster und Thüren, plündert jährlich 300,000 Einwanderer aus und schleppt sie concurrirenden Eisenbahn- und Dampfschiff-Compagnien in die Klauen. Außerdem treibt sie noch die Profession, Eigenthum und Leben in New-York überhaupt unsicher zu machen, und mit Allem, was die alten mittelalterlichen Ritter und Räuber keusch und verschämt in einsamen Wäldern und polizeilich nicht geschützten Kreuz- und Hohlwegen thaten. Magistrat und Polizei sind ja von ihnen gewählt und außerdem viel zu sehr mit ihrer eigenen Sicherheit, mit ihrer eigenen Amtskuhmelkerei beschäftigt, als daß sie diese zu „Stadtleuten,“ politischen Corporationen avancirten Rinaldo’s, Kohlhase’s, Käsebier’s und Guitzow’s in ihren noblen Passionen beeinträchtigen könnten.

Ich habe mir eine Stelle des „New-York Herald“ vom 28. November ausgeschnitten, welche in der Uebersetzung so lautet: „Die Unsicherheit des Lebens ist in New-York sprüchwörtlich geworden, und bei Vielen ist es schon keine Frage mehr, ob es nicht besser sei, unter der Tyrannei eines einzigen aristokratischen Despoten zu leben, statt unter den Knütteln ruchloser, schmutziger Haufen. Unsere Polizei ist die schlechteste in der Welt. Es ist notorisch, daß sie selten zu finden sind, wenn ein Verbrechen begangen worden ist, daß sie sich davon schleichen, wenn sie merken, daß sie als Arme der Gerechtigkeit zu Hülfe gerufen werden könnten. Wenn eine Bank oder ein reiches Individuum um Geld beraubt ward, finden sie es leicht wieder, weil sie dann auf gute Belohnung rechnen. Mit dem Glück und den Gliedern gewöhnlicher Bürger, von denen sie bezahlt werden, geben sie sich nicht ab. Ihr Gehalt ist neuerdings gesteigert worden, ihre Wachsamkeit nicht. Das ganze Uebel liegt in einer Nußschale, in dem verfluchten System der Politik, der Wahlen, welches seine Aeste und Zweige über alle anderen Lebenskreise ausdehnt, da die Rowdies viel Geld brauchen und von der Politik allein nicht leben können. Zerhacke die Wurzeln und der Giftbaum wird fallen!“

Das „Municipal-Reform-Comitee,“ bestehend aus den angesehensten Bewohnern New-Yorks, welches sich 1853 bildete, um die Fällung dieses Giftbaums zu versuchen oder den politischen Augiasstall zu reinigen, erließ unlängst einen Aufruf um Hülfe, worin folgende charakteristische Stellen vorkommen: „Die betrübendste Thatsache unter uns ist beinahe absolute Vernachlässigung ihrer politischen Pflichten von Seiten der Wähler von Ehre und Ehrlichkeit. Unsere politischen Beamten vom Höchsten bis zum Niedrigsten gehen aus Primärwahlen in Primärversammlungen [4] hervor, in denen verhältnißmäßig wenige gewissenlose Personen beider großen Parteien (der Whigs und Demokraten, d. h. der Centralisationsgesinnten der politischen Macht und der Separatverwaltungs-Interessenten für Staaten und Städte) durch Gewaltmittel oder Betrügereien die Candidatenernennungen und dann auch die definitiven Wahlen beherrschen. Die Niederträchtigkeit dieses Primärwahlsystems übersteigt allen Glauben. Bis vor einigen Jahren [343] standen die Primärwahlen unter der Leitung der beiden großen Parteihäupter selbst; jetzt existiren bekanntlich große wohlorganisirte Banden ehrloser Subjekte, die ihre Dienste jedem Candidaten, jeder Partei an den Meistbietenden verkaufen. Wenn eine demokratische Magistratsperson des einen Stadtbezirks seine Wiederwahl sichern will, wendet sie sich an eine whiggistische Magistratsperson eines andern Bezirks, der ihr seine Rotte unter der Bedingung leiht, daß ihr der Demokrat für seine Wiederwahl seine Rotte leihe. So werden beide wieder gewählt. Die ehrlichen Bürger, die nach Ueberzeugung stimmen wollen, müssen Gott danken, wenn sie überhaupt an den Wahlkasten herangelassen werden. Doch man hindert sie in der Regel nicht besonders, denn auch die größte Stimmenmehrheit der Unabhängigen hat nichts zu sagen. Die Wahlinspectoren stecken dann ganz offen ein paar Hände voll Stimmzettel in den Kasten, um sich die Majorität zu schaffen, oder verzählen sich oder werfen die Zettel ihrer Gegner in’s Feuer. Wo diese Mittel bedenklich erscheinen, müssen Helfershelfer ein Dutzendmal jeder unter beliebigen Namen stimmen oder man schleppt „Grüne“ herbei (nicht Wahlberechtigte) und giebt ihnen ein paar Cents für die Mühe, die ihnen zugesteckten Zettel in den Stimmkasten zu werfen. In manchen Wahlbezirken ist’s sogar schon lebensgefährlich, nicht „nach Vorschrift“ zu stimmen, weshalb die gekauften Rowdies und deren gekaufte Helfershelfer ausschließlich die politische Freiheitsbühne beherrschen, da sich alle anständigen Bürger von jeder Betheiligung an den Wahlen fernhalten. „Sauger“ und „Schläger“ machen ein Gewerbe daraus, in Verbindung mit angeworbenen Fremdenlegionen die Comitee’s in der gewünschten, bezahlten Weise zusammenzusetzen, was ihnen fast ohne Ausnahme gelingt. Sie verkaufen nicht nur ihre Stimmen den Meistbietenden, sondern auch oft an andere, minder hohe Bieter zugleich. Außerdem ist es eine bekannte Thatsache, daß die Nominations-Comitee’s (welche die „regulären“ Candidaten ernennen) eben so käufliche Artikel sind, als Vieh und Negersclaven, nur mit dem Unterschiede, daß diese nur einmal verkauft werden, während jene Wahl-Unholde sich im Handumkehren so oft verkaufen, als sie Narren zum Betrügen oder Stellenjäger finden, die sie bezahlen.

„Es läßt sich denken, was für Gesindel unter diesen Umständen an’s Staats- und Stadtruder kommen, z. B. ein bankerotter Branntweinverkäufer, der sich als Vater des Stadtviertels „five points,“ der Verworfenheitshöhle von New-York 80,000 Thaler baares Geld machte und dafür eine – Staatssenatorstelle kaufte. Der Theilnehmer eines Mordes und als solcher eine Zeit lang flüchtig, ist Mitglied des Gemeinderaths. Der Stadtverordneten-Candidat Holmes ermordete am Tage vor seiner Wahl einen Policeman. Von den vier Bürgermeister-Candidaten erwies sich einer, Fernando Wood, als sechsfach gerichtlich bestrafter Fälscher und Betrüger. Ein Herr Barker, Candidat der Know-nothings, ergab sich als derselbe, der sein Schnittwaarengeschäft, nachdem er es zum dreifachen Werthe versichert, abgebrannt hatte. Erst neulich kam es im Congreß wieder zur Sprache, daß Staatsbeamte, wenn sie ihre „auf Zeit“ erschwindelten Aemter verlassen, ihre Rechenschaftsbücher und auch den baaren Vorrath von Kasse mitzunehmen pflegen. „Die Bücher sind ihr Privateigenthum,“ sagen sie, in denen allein Rechenschaft über die mitgenommenen Gelder zu finden wäre. Thatsachen der Art ließen sich in’s Unendliche häufen. Sie reichen hin, um zu der Annahme zu berechtigen, daß irgend ein energischer, als despotischer Retter aus dieser „Freiheit“ auftretender Charakter von allen „anständigen“ Bewohnern als Heiland begrüßt werden, und so die absolute Staatsform auf einmal wie über Nacht fix und fertig erscheinen würde. Die Stimmung ist ganz danach, die ganze staatliche und sociale Maschinerie arbeitet darauf hin.

„Ich mache besonders auf ein interessantes Zeichen dieser Art aufmerksam. In Amerika finden die englischen Lordsstammbaumbücher Tausende von Käufern, und jede amerikanische Familie, die eine Verwandtschaft zehntausendsten Grades mit einer solchen Familie des „Stammlandes“ ausfindig machen kann oder auch nur im guten Glauben eine solche Verwandtschaft annimmt, lässt auf jede Seite der Kutschenthür ein großes Wappen anmalen und zwei reichbetreßte Diener hinten stehen. Jeden Tag kann man von 11 Uhr Vormittags an in Broadway Hunderte solcher Equipagen fahren und vor Conditoreien und Frühstückssälen halten sehen, in denen die Damen der guten Gesellschaft Zuflucht gegen Langeweile suchen, bis der Geld machende Mann und Vater und Gesellschaft nach Hause kommt. Diese furchtbar und lächerlich ausgebildeten aristokratischen Gelüste nähren sich nicht von republikanischen Tugenden. Sie gedeihen nur als Trabanten und Monde königlicher Sonnenpracht. Die Know-nothings sind wesentlich aristokratischen Schlages. Sie wollen eine breite Aristokratie der Eingebornen gegen die spätern Einwanderer überhaupt staatlich und social etablirt und mit Privilegien ausgestattet wissen. Nur beiläufig erwähne ich die Sympathien aller „guten“ Yankees für Rußland und die entschiedene Russenfreundschaft des New-York Herald, der Times Amerika’s, ebenso die Eifersüchtelei und Kleinstaaterei der einzelnen Staaten gegen einander, die gern demokratisch unabhängig sein möchten mit einem Staatsoberhaupte für sich. Die Hauptsache ist und bleibt und vergrößert sich: die immer unerträglicher werdende Wirthschaft der bis in’s Tiefste, Breiteste und Frechste corrumpirten republikanischen Beamten und Formen. Jeder Anständige, jeder Freie verabscheut diese Karikatur der Freiheit und steht einer „starken Regierung,“ einer Freiheit aufhebenden Gewalt aus Freiheitsliebe als einer Wohlthat entgegen.

„Wie der europäische Absolutismus als Wohlthat, als Fortschritt aus dem Faustrechte hervorging, wird die Freiheit der Fäuste und des Geldes darin auch in Amerika zu diesem Ergebnisse führen, obwohl wir annehmen, daß die allgemeine Bildung und Rührigkeit der Amerikaner, d. h. einer neuen Mischung von Europäern, Asiaten und Afrikanern auf neuem, zur Freiheit aufforderndem Boden ein Absolutismus der Freiheit, statt der Knechtschaft werden mag. Tyrannei und Despoten für die Freiheit haben wir mehrere in der Geschichte. In Amerika wird sich vielleicht der größte Held der Art als Heiland bewähren.

„Ich bin im „regierenden“ Viertel New-Yorks , den „five points“ (fünf Punkten) den „seven Dials“ (sieben Straßenecken) Londons entsprechend, gewesen. Jede große Stadt hat ihre Augiasställe des Auswurfs, der Armuth und des Verbrechens, aber diese five points haben etwas für sich: das Gefühl und Bewußtsein, daß sie herrschen und die Republik begraben. Armuth und Verbrecher sind hier stolz und frech. Sie wissen, daß sie als Rowdies oder Gehülfen derselben Fabrikanten der Obrigkeit sind. Arbeitslöhne stehen ungemein hoch, 40 bis 90 Silbergroschen täglich für bloße Handarbeit und grobe Handlangerei. Dienstboten, Tagelöhner, Handwerker, Mechaniker werden bis nach Californien hinüber über viele Tausende von Meilen stets gesucht und jeder Gefundene mit Gold aufgewogen. Die „Fünfpunkter“ sehen mit stolzer Verachtung aus ihren Schmutzhöhlen und Lumpen auf diese Noth der Industrie und des Ackerbaues herab: sie leben vom „allgemeinen Wahlrecht“ und in den Zwischenpausen von allerlei aristokratischen Passionen und Prokliken, von ihrem Witz und der Flasche. Ihr Witz ist praktisch und bewährt sich in allerlei Gaunerei, Diebstahl und organisirter Gewaltthat. Sie bestehen aus allen Nationen, haben aber alle eine besondere Bruderliebe für Einwanderer, denen sie zum Theil entgegenfahren, um sie gleich auf dem Schiffe so fest zu umarmen, daß sie nicht eher wieder loskommen, bis der letzte Groschen heraus ist. In diesem großartigen Betrugs- und Ausplünderungssystem ist Methode und Organisation. Im Durchschnitt kommen täglich tausend Einwanderer in New-York an (1853 über 370,000), diese müssen gegen 10,000 Bewohner der „fünf Punkte“ und eine Menge „solide“ Leute außerdem ernähren. Die Hudson- und Erie-Kanal- und eine Menge Eisenbahn-Compagnien bezahlen Tausende von Rowdies zum Einfangen von Einwanderern, die dann natürlich nicht nur das ausgelegte Geld ersetzen, sondern auch die Compagnien ernähren müssen. Unabsehbare Massen von Grog-Kneipen, Bier- und Logirhäusern, Kellern und Läden drängen sich in engen Gassen um die Bollwerke, auf denen die Einwanderer in einem unabsehbaren Gewirre von Kindern, Kisten, Kasten, Tonnen, Schiffen, Booten und Kähnen, von deutschen, irländischen, englischen, schottischen, französischen und amerikanischen Brüdern aussteigen. Verwirrt und blaß mit ellenlangen Bärten, beladen mit Kindern und Karren und unendlichen Massen Gepäck suchen die deutschen Bauern vergebens festen Fuß zu fassen. Drei- und vierfach werden sie gepackt und hin- und hergezerrt, daß sie dahin, dorthin sich wenden, mit dem Schiffe, dem Dampfboote, der Eisenbahn fahren und zunächst hier, nein da, dort logiren sollen. Wohin er sich auch wendet, von allen Seiten lauert schamloses Raubgesindel auf seine lebenslang mühsam zusammengescharrten und Jahre lang in Strümpfen und Töpfen versteckt gehaltenen Thaler.

[344] „Sobald ein Schiff von den „Narrows" (der engen Meereszunge zwischen Staten Island und New-York) auftaucht, rüsten sich die „Runners" (die gemietheten Einfänger von Auswanderern) zu einem Ausfall auf ihre Beute. So wie das Schiff vor Staten Island Anker wirft, beginnt die Verauctionirung der Passagiere. Muß das Schiff Quarantaine halten, kommen die Runners mit kleinen Dampfbooten heran und nehmen die (vom Kapitain) gekauften Passagiere in Empfang, um sie nach New-York zu bringen. Dies thut der Runner großmüthig auf eigene Kosten, nachdem er dem Kapitain 100 bis 300 Dollars Kaufgeld bezahlt hat. Außerdem verkauft er an die Ankömmlinge, die gleich weiter wollen, Eisenbahn- oder Dampfschiff-Billets giltig auf Hunderte und Tausende von Meilen, unter dem Preise, d. h. Billets zweiter Klasse für eine Tour von zehn Meilen zu dem dreifachen Preise erster Klasse für Tausende von Meilen, so daß der Betrogene auf der nächsten Station erst das wahre Billet kaufen muß, wenn er dort von Beamteten-Billetverkäufern nicht wieder betrogen wird. Aber wenn er sich nicht betrügen lassen will? So bekommt er Hiebe von knochigen Fäusten, außerdem wird sein Gepäck einbehalten; zuweilen wird er auch von einem „Retter“ erlös’t, der ihn in ein Lagerhaus bringt, wo er für beide Freunde (denn Retter und sein Feind sind Compagnons) mit bezahlen muß.

„Die Billetverkaufsverschwornen hängen nicht selten mit den meisten deutschen und englischen Häfen zusammen und stehen in Rechnung mit einander, so daß es keine Rettung gegen Betrug giebt, wenn der Auswanderer nicht wie ein Fels im Meere steht und jeder angebotenen Gefälligkeit, jedem menschenfreundlichen guten Rathe ein stocktaubes Ohr entgegenhält, nöthigenfalls auch einen geladenen, sechsläufigen Revolver. Zwischen Löwen und Tigern kann er auf Menschenfreundlichkeit rechnen, unter den entzückten Brüdern und Landsleuten im Hafen von New-York nicht.

„Der einzige gute Rath, den man als wirklich praktisch geben kann, ist: Kaufe nur immer ein Billet für eine bestimmte Eisenbahn, eine Schiffstour derselben Compagnie. Ferner: Belade dich nicht mit Kisten und Kasten, die dich auf jedem Schritte hindern und dich unfehlbar aus einer Gaunerkralle in die andere werfen. Der alte Plunder in den Kisten und Kasten, den besonders Bauern und ärmere Leute mit sich herüberschleppen, muß zehn-, zwanzigfach theuerer bezahlt werden, als wenn du dir dieselben Sachen an Ort und Stelle neu kaufst. Welche Jammerscenen hab’ ich gesehen, blos weil die Leute mit großen Kisten und Kasten an’s Land stiegen. Da saßen sie auf ihrem alten Plunder, unfähig, nur einen Schritt zu gehen, auf den Kasten genagelt, von Raubvögeln umkreis’t zu Fuß und mit Droschken und erbötig, die kostbare Last für zehn Dollars zwölf Schritte weit zu schaffen oder sie umsonst in dieses oder jenes wohlfeile Gasthaus zu liefern, wo der Kasten sofort Pfand für die fabelhafteste Rechnung wird.

„Verkaufe Alles, was du hast, ehe du auswanderst und streiche das Geld ein. Mußt du durchaus ungewöhnlich viel Gepäck mitnehmen, stecke es nie in einen Kasten, sondern allemal nur in eine gute, starke, runde Tonne, welche du mit Spaß vor dir hinrollen kannst. Noch praktischer ist der Rath, gar nicht mehr über New-York einzuwandern, sondern einen weniger räubervollen, nördlicheren Hafen zu wählen, da die Eisenbahnverbindungen im Innern fast jede Gegend im Fluge erreichbar machen.

„Von New-York kommt man selten unmittelbar nach der Ankunft weiter. So fällt fast jeder in die Räuberhöhle eines Logirhauses, in welchem unlängst ein Engländer mit Mutter, Bruder und Tochter für zwei Tage 184 Dollars, d. h. viel über 200 Thaler bezahlen mußte! Wer durchaus übernachten muß, gehe in ein gutes, anständiges Hotel mit gedruckten, festen Preisen, wo Jeder seine Rechnung gleich vorher machen kann. Der glänzendste Palast in Broadway ist nicht so theuer, als die finstere Spelunke an den Quais unten.

„Aus dem Logirhause wird der Einwanderer auf eine Eisenbahn oder in ein „wohlfeileres“ Dampfboot geschwindelt. Sein Plunderkasten wird gewogen und behalten, bis er die haarsträubendste Summe Fracht dafür bezahlt hat. Der „Runner“ giebt ihm ein „wohlfeileres“ Billet für’s Deck nach Albany, welches doppelt so viel kostet, als eins für die niedrigste Kajüte. Die unglücklichen Opfer bringen, wie Schafe unter freiem Himmel zusammengehuddelt, eine schreckliche Nacht bis Albany zu, während die Kajüten-Passagiere in der weichsten Koje für ein Drittel des Preises ganz comfortable schlafen. In Albany werden sie wieder in ein Logirhaus maltraitirt und des Morgens nach dem „Westen“ in schmutzige Eisenbahnwaggons so dicht verpackt, daß regelmäßig mehrere unterwegs sterben und ohne Testament die Eisenbahn-Compagnie als lachende Erben hinterlassen. So gehen sie wie ein Stück Metall in der Hand des Drahtziehers, immer dünner werdend, ihre Linie entlang, nicht selten versponnen und ausgezogen bis auf den letzten Cent, ehe sie den Ort ihrer Bestimmung erreichen, blos reich an Erfahrung von der Schönheit republikanischer Tugend, Freiheit und Gesetzlichkeit.

„Ein Gesetz gegen die Runners und Rowdies giebt es nicht, weil sie über dem Gesetze stehen, über den Beamten – „ihrer Wahl.“ Der Runner ist ein Ungethüm (um eine Stelle der „New-York Tribune“ zu citiren), welches kein Feuer verbrennen, kein Strick hängen, kein Wasser ersäufen will, ein Kerl mit Eisenhämmern statt der Hände, mit Muskeln, zu stark für einen Bullen. Als solcher erntet er von seinem Arbeitgeber 30 bis 180 Dollars wöchentlich, außer den „Sporteln“, die er auf eigene Rechnung aus seinen Opfern heraushämmert.

Es sind jetzt „strenge Gesetze“ zu Gunsten der Einwanderer und gegen Anhäufung und Beschwindelung derselben in New-York unterwegs. Die Gesetze sind entweder ohnmächtig, oder es müssen Gewaltmaßregeln an die Stelle der jetzigen „freien“ Beamten und ihrer „Wähler“ treten. Also ein Schritt zu strenger „Regierung“ oder vorläufig Fortsetzung dieser Freiheit.

Ein anderer, häufiger Schwindel gegen Ankömmlinge besteht in Ausposaunung der vortheilhaftesten Beschäftigungen. So machten unlängst die braven deutschen Brüder Rosenstein und Thalheimer, Nr. 421 Broadway, in allen Zeitungen bekannt, daß 400 Arbeiter à 9 Schillige (3 Thaler) täglich gesucht würden. Die deutschen Brüder und Ireländer strömten hundertweise zu diesen Wohlthätern der Menschheit und bezahlten Jeder die verlangten 2 Dollars 50 Cents für Passagiergeld nach dem gelobten Lande. Sie wurden für 1 Dollar 60 Cents à Person mit der Eisenbahn nach Lockawaxen geschickt, wo täglich die drei Thaler zu verdienen sein sollten. Dort kehrte ihnen Jeder den Rücken. Niemand hatte etwas zu thun für die armseligen Leute. Einige machten eine Rückfahrt möglich, klagten beim Lordmayor, der die beiden deutschen Juden sofort verhaften ließ, jedoch ohne daß Jemand seitdem ein Wort von deren Verurtheilung vernahm.

Noch einen guten Rath. Kein Mittel ist absolut sicher gegen die privilegirten Gauner- und Räuberbanden, wohl aber eins, welches für die die ganze Welt gilt. Es besteht darin, ohne einen Pfennig in der neuen Welt auszusteigen, ohne Pfennig und krank dazu. In diesem Falle kommt der Unglückliche in die Hände von Menschen, der Emigrations-Commissionäre, deren Wohlthätigkeit und Aufopferung allgemein gerühmt wird, nur daß ihre Mittel jetzt nicht mehr ausreichen dem furchtbaren Elend gegenüber, das sich jetzt in New-York dichter und schrecklicher als je zusammendrängt, da die periodisch wiederkehrende große Geldkrisis jetzt ungeheuere Summen aus dem Verkehre zurückschreckt und Tausende von Arbeitern, die sonst im Lande nirgends hinreichen, brotlos macht. Tausende leben in New-York von Almosen, obgleich 1853 nicht weniger als 20,000, und im vorigen Jahre über 25,000 Auswanderer der alten Welt nach Europa zurückkehrten.

Wer durchaus auswandern muß, der bleibe lieber wo möglich noch ein Weilchen zu Hause, um sich’s noch einmal zu überlegen, und dann, wenn’s durchaus nicht länger auszuhalten sein sollte, gehe er nach dem deutschen Westen über Philadelphia, oder auch über Boston, für Canada über den besten, ehrlichsten, wohlfeilsten und am Schnellsten befördernden aller Häfen, Portland, wohin jetzt gute Dampfschiffe für Passagiere erster, zweiter und dritter Kajüte monatlich mehrmals von Liverpool abgehen.

So eben hat mich ein „deutscher Bruder“, frisch aus dem Meere gezogen, besucht. Er beschäftigte sich auf eine solide Weise mit Einfangen deutsche Kapitaine den „Runners“ vor der Nase weg, um sie zu anständigen „Brokers“ (Schiffmäklern) zu bringen. So ward er den Runners bald ein Dorn im Auge. Als er nun mit einem Runner zugleich auf ein ankerndes Schiff zusteuerte, schoß letzterer heran, sprang in sein Boot und warf ihn mit einem Stoße in’s Meer. Zufällig konnte er schwimmen, so daß er sich hielt, bis ihn ein Boot herauszog.

Von „unerlaubter“ Selbsthülfe, der Pöbeljustiz, dem Lynchen, der Furcht des Gesetzes und Rechtes vor dem Pöbel, der Furchtlosigkeit [345] der „Fünfpunkter“ vor Magistrat und Polizei und sonstigen handgreiflichen Zeichen, daß die amerikanischen Republiken ohne Republikaner bestehen und daher nicht mehr bestehen können, daß die Freiheit, die Schöpfung Washington’s zur Karikatur, zur unverschämtesten Selbstsucht, zur Tyrannei Aller gegen Alle geworden ist, und dem daraus zunächst hervorgewachsenen Know-nothingismus, der faulen oder weinigen Gährung (je nach dem chemischen Produkte) zwischen Germanen- und Yankeethum später und gelegentlich.


  1. Ich erwähne solche Scenen nicht in Voraussetzung eines Interesses an den persönlichen Schicksalen des Schreibenden, sondern weil sie ganz wesentlich New-York charakterisiren helfen.
  2. Das neue deutsche Theater von Otto Hoym, d'Ardenne (früher in Ulm), August Siegrist, dem Haupt-Barrikadenhelden von Berlin und Worret, früher Direktor in Bockenheim, ist zwar sehr schön und geräumig und gut besetzt, wird sich aber schwerlich eben so wenig halten, wie das kleinere Charles-Theater, da die reichen Deutschen im Durchschnitt geschmack- und kulturlose Deutschverächter sind und die Aermeren sich in 1400 Kneipen zerstreuen und bei Linden-Müller Theater noch umsonst zukriegen. Die amerikanischen Dichter sprechen und ehren Deutsch, die deutschen Prosaiker setzen eine Ehre hinein, es nicht zu verstehen.
  3. Rowdies nennt man die sehr zahlreichen Gauner, Tagediebe und Herumtreiber in den größern Städten, eine Klasse der Gesellschaft, die um so gefährlicher ist, als sie keineswegs aus dem niedern Volke, sondern aus der großen Masse derer hervorgeht, die irgend einen moralischen oder ökonomischen Schiffbruch erlitten haben.
  4. Primär-Versammlungen sind ursprünglich Partei-Versammlungen, um den Umfang der Stimmen der einzelnen Parteien vor den Wahlen kennen zu lernen und Zersplitterung bei den Wahlen zu verhindern. Sie wählen jetzt Comitees, die einen Candidaten für ein zu besetzendes Amt aussuchen, aufstellen, ernennen. Dieser Candidat ist der „reguläre“, alle andern sind „Stump-Candidaten“ (von dem Baum-Stumpfe, den sie in der Regel als ihre Rednerbühne wählen). Die so primär ernannten Candidaten werden gegen die „Stumps“ von gemietheten Rowdies, Strikers and Suckers und gegen die „Primären“ schwächerer Parteien, die nicht so viel Geld bieten konnten, ausschließlich beschützt und Anderswählende durch List und Gewalt überstimmt, von der Wahlurne weggeprügelt und sonst unschädlich gemacht. Strikers (Schläger) heißen die verwegensten, körperlich misshandelnden Rowdies, Suckers (Sauger), die durch List, Ueberredung und Vorspiegelung Geld erpressen.