Auf dem Capellenberg von Trautenau

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Autor: P.
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Titel: Auf dem Capellenberg von Trautenau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31/32, S. 489–491, 494
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schlacht bei Trautenau
Nach Mittheilungen eines österreichischen Gefangenen
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[489]
Auf dem Capellenberg von Trautenau.
Nach Mittheilungen eines österreichischen Gefangenen.


Auf dem tiefausgefahrenen Feldwege von Hohenbruck nach Pilnikau zog sich eine österreichische Heersäule die Höhe hinan. Der Tag graute eben, doch der dunkle Regenhimmel ließ noch kaum einen röthlichen Schimmer an seinem östlichen Saume hervortreten. Ein scharfer Wind strich über die aufgeweichten Felder. Mühsam schleppte sich Mann und Roß vorwärts. Der Nachtmarsch unter strömendem Regen und, wie seit Tagen schon, ohne jede geregelte Verpflegung schien die Truppen völlig erschöpft zu haben.

Die Stärke der Colonne mochte zwischen sechstausend und siebentausend Mann betragen, nach allen Anzeichen durfte dieselbe jedoch nur als Avantgarde eines größeren österreichischen Corps betrachtet werden. In der That ließen sich auch mit der allmählich gelichteten Aussicht von dem endlich erstiegenen sattelförmigen Höhenrücken hart über Hohenbruck in der Richtung nach Zernow schwere dunkle Massen bemerken, welche, scharf abgehoben von dem lichteren Hintergrund, nur als marschirende Truppen gedeutet werden konnten.

Alle Waffengattungen zeigten sich in der vorderen Marschsäule vertreten. Eine Escadron Dragoner formirte die Spitze derselben, danach folgten Jäger, dann eine Batterie und zwei Regimenter Infanterie. Den Beschluß bildeten abermals Dragoner mit noch einem Geschützzuge.

Seit einer Viertelstunde beinahe schon war aus weiter, weiter Ferne gelegentlich ein schwacher Schall wie von einem bald mehr, bald minder lebhaften Gewehrfeuer vernehmbar geworden, ohne daß indeß irgend wer darauf geachtet hätte. Plötzlich dröhnte der dumpfe Knall eines Kanonenschusses durch die dämmernde Morgenfrühe. Ein zweiter und dritter Schuß folgten rasch aufeinander. Schlag um Schlag erschütterte die Luft. Auch ganze Salven der Infanterie krachten dazwischen. Ein nach der Heftigkeit des Feuers jedenfalls nicht unbedeutendes Gefecht hatte augenscheinlich in der Richtung des Schalles, rechts oder vielmehr eigentlich schon im Rücken der marschirenden Colonne, seinen Anfang genommen.

„Halt!“ Ein Stutzen machte sich bei dem unerwarteten Kampfeslärm durch die ganze Marschsäule bemerkbar. Mehrere Oberofficiere sprengten von der Spitze derselben zu der Kuppe einer seitwärts gelegenen Anhöhe, um von dort einen freieren Blick über die Gegend zu gewinnen. Auch die meisten Bataillonsführer schlossen sich dieser Gruppe an, und schon nach einigen Minuten sah man aus derselben einen Adjutanten quer über Feld in gestrecktem Galopp in der bisher verfolgten Richtung davonstürmen. Bei anderen Bataillonen waren die Officiere hart über dem Rande des Weges unter sich oder um ihren Commandeur zusammengetreten und tauschten ihre Bemerkungen untereinander. Auch von den Mannschaften hatten hier und dort einzelne langgediente Corporale und Capitulanten diesem Beispiele Folge gegeben, bei dem Haupttheile derselben überwogen indeß die Müdigkeit und Ermattung jede andere Empfindung und die Leute ruhten auf dem nassen Rasen zu beiden Seiten der Straße ausgestreckt bei ihren Waffen.

„Da kommt der Major vom ersten Bataillon des Regiments Welden von der Versammlung um unseren General zurückgeritten,“ machte einer der Officiere die andern auf einen von der Gruppe oben auf dem Hügel zurückkehrenden Reiter aufmerksam.

„Major T…, was giebt’s? Wo findet das Gefecht statt?“ hatte der vordere Bataillonscommandeur denselben angerufen.

„Die Preußen scheinen halt unsere Arrieregarde oder irgend ein Seitendetachement angegriffen zu haben,“ erwiderte gleichmüthig der Gefragte. „Es mag wohl so bei Eipel oder sonst da herum [490] sein. Wissen’s aber, Herr Camerad, ich wünschte schon, daß dieser verflixte Nachtmarsch endlich mal ein Ende nähme. Was zu arg ist, ist zu arg. Sechs Meilen marschirt bei Nacht und Regen, ohne nur eine Rast und einen Bissen zu essen. Ich sage Ihnen, Major Heide, denken’s an mich, wenn das so fort geht mit dem vertrackten Hin- und Hermarschiren, geht die ganze Armee zu Grunde, bevor noch eine Schlacht geschlagen worden ist.“

Das Anlangen mehrerer höheren Officiere bei der Gruppe auf der Anhöhe überhob den mit Major Heide angeredeten zweiten Bataillonsführer der Verpflichtung, auf diese freimüthige Herzensergießung seines Cameraden zu antworten.

„Da ist der Feldmarschall-Lieutenant in Person!“ hatte einer der Officiere ausgerufen.

„In der That,“ äußerte Major Heide mit einem Blick hinauf zu der Höhenkuppe, „es ist unser Corpsbefehlshaber. Nun denn, Herr Camerad, da meine ich, daß die Erfüllung Ihres Wunsches wohl noch lange auf sich warten lassen dürfte. Und in der That, da jagen auch schon die Adjutanten nach allen Richtungen.“

„Achtung, es wird marschirt! Bataillon Marsch!“ schallte das Commando. Mit einem in den Bart gebrummten schweren Fluche war der Major von T… zu seinem Bataillon gesprengt.

Stunden waren seit dem Halt bei dem Sattelberge von Hohenbruck verflossen und es mochte etwa um neun Uhr Morgens sein, als die Truppen nach einem abermaligen Gewaltmarsche wieder bei dem südöstlich von Trautenau gelegenen Höhenzuge anlangten. Ein heftiges Feuer bei oder in dieser Stadt hatte sie von Pilnikau wieder nach dieser Richtung zurückgerufen. Auch jetzt dauerte das Schießen noch an, ohne daß jedoch wegen der vorgelegenen Höhen das Object, um welches, und die Oertlichkeit, wo gestritten wurde, zu erkennen gewesen wären. Dagegen fiel aus der Gegend, wo bei Tagesaubruch das erste Gefecht stattgefunden hatte, kein Schuß mehr. Das der Brigade angehörige Jäger-Bataillon und das Bataillon T… vom Infanterie-Regiment Baron Welden befanden sich, das erstere nach Trautenau selbst, das andere auf den als Endpunkt des vorerwähnten Höhenzuges unmittelbar neben und hinter dem südlichen Ausgang der genannten Stadt gelegenen Capellenberg vorgeschoben. Der Rest des Wehrzuges lagerte unter dem diesseitigen Abhang dieses Berges auf dem Wege nach Hohenbruck, welches von dem neuen Lagerplatz nur etwa drei Viertel Stunden entfernte Dorf indeß wegen eines andern rückwärtigen Höhenzuges ebenfalls nicht gesehen werden konnte. Eine zweite österreichische Brigade rastete neben der ersten, noch eine dritte schien weiter abwärts nach rechts, hart hinter dem Kamm des Trautenauer Höhenrückens einen Lagerplatz bezogen zu haben, doch blieben von derselben wegen des Gehölzes, das sich nach dieser Seite von dem Capellenberge etwa bis zur halben Höhe desselben hinabzog, nur einzelne Abtheilungen und eine mehr zurück aufgefahrene Batterie zu bemerken. Der frische Morgenwind hatte die nächtlichen Regenschleier verscheucht und die Morgensonne strahlte von dem wolkenlosen Himmel in goldenem Glanze. Eine zauberhaft schöne Beleuchtung lag über der ebenso anmuthigen wie fruchtbaren Landschaft gebreitet. Die Capelle namentlich mit ihrem kleinen spitzen Thurme und ihren weißen Mauern oben im kühlen Waldesschatten bildete einen Ruhepunkt, von welchem sich das Auge kaum loszureißen vermochte.

Mit dem Anlangen der Truppen auf der neuen Lagerstelle war zugleich der langerwartete Provianttranssport bei denselben eingetroffen, und Dank diesem Umstande wie der gebesserten Witterung blieb deren Stimmung mit der von einigen Stunden zuvor durchaus nicht zu vergleichen. Das Knattern des nahen Gewehrfeuers schien bei diesen leichtblütigen und lebensfrohen Söhnen Siebenbürgens und Mährens vollends jede Spur der früheren Ermattung verscheucht zu haben.

Der Major Heide war mit seinem Adjutanten, einem jungen Lieutenant, und einem schon älteren Officier, den Gradabzeichen an dem Kragen seiner Uniform nach einem Hauptmann desselben Regiments, zu der Capelle hinaufgeritten. Der Erstere erschien trotz des erfreulichen Wechsels auch jetzt noch düster und in sich gekehrt, wie er es zuvor gewesen war, der Lieutenant trällerte ein fröhliches Liedchen zwischen den Zähnen.

„Was hast Du heute nur?“ richtete der dritte Officier, sein Pferd auf einer hervorspringenden Bergkuppe etwas verhaltend, die halblaute Frage an den Major.

„Ich? O, Nichts,“ erwiderte derselbe wie aus einem Traume emporfahrend. „Und doch,“ fügte er nach einer langen Pause mit bis beinahe zu einem Geflüster gedämpfter Stimme hinzu: „Ich weiß nicht, was mir ist; Du kennst mich, wir haben vor sieben Jahren damals in Italien, bei Magenta und Solferino, Seite an Seite gestritten, und früher schon, noch als junger Mann, habe ich in Ungarn in so manchem Kampfe gestanden, aber, was mich heute bedrückt, habe ich noch an keinem Schlachttage empfunden. Es lastet wie die Ahnung eines furchtbaren Unheils auf meiner Seele.“

Der Andere hatte einen fast bestürzten Blick auf den Major geworfen. „Pah, Unsinn!“ äußerte er endlich mit gepreßter Stimme, „schlage Dir die Grillen aus dem Sinn. Wie an so manchem früheren blutigen Tage werden wir auch heute unversehrt aus dem Treffen hervorgehen, wenn es noch zu einem solchen kömmt. Betrachte nur diese Position; die Preußen müßten mehr als tollkühn sein, wenn sie uns in derselben angreifen wollten.“

Die von dem augenblicklichen Standpunkte der drei Officiere vollkommen sichtbare österreichische Stellung konnte in der That unmöglich günstiger gedacht werden. Hart über dem südlichen Ausgang der in der Tiefe gelegenen Stadt ragte als Schlüssel zu derselben der bei sechshundert Fuß hohe Capellenberg empor. Ein dichter, hochstämmiger Fichtenwald zog sich nach dieser Seite etwa von dessen halber Höhe bis zum Gipfel hinaus und ging fünfzig bis hundert Schritt weiter aufwärts in ein Eichen- und Akaziengehölz über, welches sich über die ganze Kuppe dieser und der nächsten Höhen fortpflanzte. Mit Getreide bestellte, noch höhere Berge schlossen sich nach rechts oder gegen Norden in der ganzen Ausdehnung der Stadt an und fielen bei dem jenseitigen Ausgang derselben steil gegen die Aupa ab, von welchem allerdings für gewöhnlich wenig wasserreichen Flusse Trautenau von Nordwest nach Südost durchströmt wird. Das Schuß- wie das Gesichtsfeld zeigte sich von diesem Höhenzuge nach allen Richtungen völlig unbehindert und ein gewaltsames Ersteigen desselben mußte bei dem Mangel jedes Deckungsgegenstandes nahezu unmöglich erscheinen. Die Stadt an sich bildete noch ein neues Annäherungshinderniß an diese furchtbare Stellung, und die jenseitigen weit niedrigeren Höhen lagen überdies vollkommen in dem Bereich der Kanonen und unter der Beherrschung derselben. Nur ein einzelner, weiter südlich an der von Trautenau nach Königinhof führenden Landstraße und gerade gegenüber der Capellenhöhe gelegener Berg vermochte dieser Position gefährlich zu werden; allein die Lage desselben erschien andererseits doch zu entfernt und der Zugang zu demselben durch die noch österreichischerseits in Besitz gehaltene Stadt zu gesichert, als daß man vorläufig wegen desselben irgend eine ernste Besorgniß hegen sollte.

Das Gefecht schien nach dem über den Dächern der Stadt gelagerten Pulverdampf noch innerhalb derselben bei der an deren jenseitigem Ausgang befindlichen Aupabrücke und etwa bis zu der hochgelegenen Kirche und dem Marktplatz stattzuhaben. Die beiderseitige Artillerie kanonirte sich über Trautenau fort von den diesseitigen und jenseitigen Höhen. Geschlossene feindliche Abtheilungen, ja selbst einzelne Schützenzüge waren noch nirgend zu bemerken. Ueberhaupt aber trug der gegenseitige Zusammenstoß noch durchaus das Gepräge eines gelegentlichen Versuchs, die Standhaftigkeit des Gegners zu erproben, und nichts deutete preußischerseits auf die Absicht, einen ernsten Kampf herbeizuführen.

„Es ist nicht um meinetwillen, daß ich diese Beängstigung fühle,“ hatte der Major Heide mit einem kalten, gleichgültigen Blick auf die österreichische Stellung und das Gefechtsbild zu seinen Füßen auf die Bemerkung seines Freundes erwidert. „Mag mir dort oben auf dem Berge mein Ziel gesteckt sein, meinen Tod bin ich als Soldat und Officier meinem Kaiser und dem Vaterlande schuldig und für mein Weib und meine Kinder wird der Erstere Sorge tragen. Indeß der Gedanke, daß Oesterreich in diesem Streit unterliegen sollte, preßt mir das Herz zusammen, und eine düstere Ahnung, die ich seit dem Ausbruch des Krieges schon vergeblich zu bekämpfen versucht habe, verkündet mir: es wird unterliegen.“

„Na schaun’s, Herr Camerad, wie sie die Preußen da unten in dem Städtel in die Presse genommen haben,“ ließ sich, bevor noch der Hauptmann die schlimme Muthmaßung seines Freundes zu bekämpfen vermochte, die fröhliche Stimme des Major T… hinter den Dreien vernehmen. „Ich hab’s halt ja immer behauptet, unsere Jäger werden mit den preußischen Zündnadelgewehren schon fertig werden, und auch die Bürger von [491] Trautenau haben, wie mir der Rittmeister W… von der Dragonern eben mitgetheilt hat, an dem Kampfe Theil genommen. Denken’s an mich, Herr Camerad, binnen einer Viertelstunde ist Alles aus und zu …“

„Was sind das für Leute, welche dort von der Stadt aus durch das Korn die Höhe hinanschleichen?“ war ihm der Major Heide in’s Wort gefallen.

„Wo denn? I seh’ halt nix.“

„Dort! Sehen der Herr Camerad nicht die schwarzen Käppis über den Halmen emporragen?“

„Bei Gott, Heide, Du hast Recht!“ stimmte auch der Hauptmann E… seinem Freunde bei; „die Leute verfahren zu vorsichtig, als daß sie von den Unsern sein könnten.“

„Na, wenn sie Käppis tragen, so müssen sie doch zu uns gehören. Und ich sehe halt noch immer nichts,“ verharrte der Major T… bei seinem Zweifel.

„Es sind preußische Jäger,“ verfolgte der Major Heide seine Beobachtung, „das grüne Collet des Mannes, der sich dort halb über dem Getreidesaum aufrichtet, hebt jedes Bedenken. Schnell, Herr Camerad, lassen Sie die Schützenzüge Ihres Bataillons wider die feindlichen Plänkler ausschwärmen, bevor dieselben noch die Höhe gewonnen. Lieutenant F…, sprengen Sie zu dem Feldmarschall-Lieutenant, um ihm von dem, was hier vorgeht, Mittheilung zu machen. Vorwärts zu unserm Bataillon!“

Die ausschließlich der einen Richtung zugewandte Aufmerksamkeit der vier österreichischen Officiere hatte sie eine andere, weit nähere Gefahr ganz übersehen lassen. Bereits einen Moment, bevor Major Heide seine Begleiter auf die aus der Stadt heranschleichenden Preußen aufmerksam machte, waren unter Führung eines Capitäns einige preußische Jäger auch hinter dem einzeln vor dem südlichen Ausgang von Trautenau gelegenen Gasthofsgehöft eingetroffen. Gedeckt durch die Baulichkeit desselben, sammelten sich dort immer mehr, binnen einer Minute mochte die Zahl der daselbst zusammengestoßenen Mannschaften bereits eine Compagnie betragen. Der Führer derselben hatte sich in Begleitung noch eines zweiten Officiers und dreier Oberjäger den Zaun entlang bis unmittelbar zur Landstraße vorgeschlichen und befand sich hier von der am Saum des Fichtengehölzes vereinigten Gruppe keine fünfhundert Schritt mehr entfernt. Ein ganzes preußisches Bataillon stieg jetzt, durch eine Senkung des Geländes der Beobachtung der Obenstehenden entzogen, aus dem Bette der Aupa empor und nahm im Laufschritt die Richtung nach dem einzelnen, der Capellenhöhe gegenüber gelegenen Berge. Die Preußen hatten den niedrigen Wasserstand des Flusses benutzt, um vermittels desselben den Gegner zu umgehen und ihm die unbeschützte Flanke abzugewinnen. Die zu große Zuversicht der Oesterreicher auf die Unzugänglichkeit ihrer Stellung stand im Begriff, ihnen die schlimmsten Früchte zu tragen.

„Mit dem Waldsaum dort oben befindet sich die feindliche Stellung in unsern Händen,“ äußerte der preußische Hauptmann mit einem Blick hinauf zu dem Capellenberge zu dem in seiner Begleitung befindlichen zweiten Officier. „Vorwärts denn im Laufschritt hinauf, Sie, Lieutenant Sch…, halten sich mit Ihrem Zuge links, ich werde den meinigen nach rechts ausschwärmen lassen. Gleichzeitig mit unserem Hervorbrechen mögen von Ihnen, meine Herren Oberjäger, die feindlichen Officiere dort von ihren Gäulen herabgeblitzt werden.“

Das Hervorbrechen der Preußen und die Ausführung dieses letzten Befehls trafen in der gleichen Secunde zusammen. Major T… glitt von einer Kugel durch den Kopf getroffen aus dem Sattel zur Erde, bevor seine Ungewißheit über die Feindesnähe noch gehoben worden. Eine zweite Kugel hatte den Lieutenant F… niedergestreckt. Die kriegerische Laufbahn des muthvollen jungen Mannes war beendet, noch ehe sie eigentlich begonnen hatte. Nur der Major Heide und der Hauptmann E… waren unverletzt geblieben, doch eine Secunde später bäumte des Ersteren Pferd von einer oder einigen der plötzlich gleich Hagelschlag niederprasselnden Kugeln tödtlich verwundet hoch auf und überschlug mit seinem Reiter. Nur wie durch ein Wunder war dieser noch unter dem schweren Sturz auf seine Füße gesprungen.

„Zurück, E…!“ rief der tapfere Mann seinem allein noch berittenen Gefährten zu. „T… ist todt; ich werde an seiner Statt hier den Befehl übernehmen, übernimm Du die Führung meines Bataillons. Fort, fort!“

„Auf sie mit dem Bajonnet!“ An der Spitze der nächsten von der Capellenhöhe herbeigeeilten Mannschaften versuchte er durch einen Bajonnetsturm die bereits hinter den vordersten Bäumen eingenisteten preußischen Jäger wieder in das freie Feld zurückzuwerfen. Von dem furchtbaren preußischen Schnellfeuer empfangen, flüchtete der noch aufrecht verbliebene kleine Rest der Seinen die Anhöhe hinauf. Ein zweiter Versuch, mit einer von der Capelle herzugeeilten Compagnie dem Gegner den gewonnenen Boden wieder zu entreißen, trug keine bessere Frucht. Der Sturmlauf stockte schon nach den ersten Schritten, Mann an Mann brach unter den sicheren, auf kaum fünfzig Schritt Entfernung abgegebenen Schüssen zusammen. Nur das Leben des Majors erschien wie gefeit; die Zielscheibe so vieler Büchsen, war er doch bisher noch völlig unverletzt geblieben.

„So recht, meine Herren Jäger,“ vernahm man aus der jenseitigen Feuerlinie die Stimme des preußischen Führers, „ruhig gezielt und scharf geschossen. Gebt’s ihnen! Doch nun vorwärts, hinauf zu der Capelle. Die feindliche Stellung muß von uns genommen werden. Ausgeschwärmt! Feuer, Feuer!“ Ein ganzes österreichisches Bataillon war der einen preußischen Compagnie entgegengetreten. Der österreichische Major schien sich, die Feuerlinie der Seinen auf- und abfliegend, zu verdoppeln. Dem preußischen Führer war bei dem vorigen Vordringen die rechte Hand zerschmettert worden; er warf den Degen in die Linke. „Festgestanden!“ übertönte sein Zuruf das Knattern des Gewehrfeuers und den plötzlich über die ganze Ausdehnung des Höhenzuges losgebrochenen Donner des Geschützes. „Die preußischen Grünen werden sich von diesen Oesterreichern doch nicht werfen lassen wollen!“

„Hurrah, Hurrah!“ Ein preußisches Bataillon stürmte von dem Gasthofsgehöft die Anhöhe hinan. Die Oesterreicher, von einem furchtbaren Feuer überschüttet, wichen ruckweise immer weiter zurück. „Hurrah, Hurrah!“ jubelte es jetzt auch von dem der Capellenhöhe gegenübergelegenen Bergrücken. Der Gipfel der ersteren war erklommen, über die ganze Ausdehnung des von der Capelle anhebenden Höhenzuges knatterte das Gewehrfeuer, bereits hatten die auf den freien Bergkuppen weiter abwärts aufgefahrenen österreichischen Batterien, um nur von den plötzlich vor ihnen wie aus der Erde auftauchenden Preußen nicht genommen zu werden, ihre bisherige Stellung aufgeben müssen.

„Steht! Haltet aus!“ Von dem Major Heide war auf der Plattform um die Capelle ein letztes Häuflein der Seinen zusammengerafft worden. „Hoch der Kaiser!“

„Hoch der Kaiser!“ Neue österreichische Massen hatten auf dem jenseitigen Abhang des Berges die Capelle erstiegen. Von dem unerwarteten Andrang sahen sich die Preußen bis beinahe wieder zu dem Saume des Fichtengehölzes zurückgeworfen, doch auch ihnen kam Unterstützung. Hin und wieder, jetzt im scharfen Feuergefecht, jetzt im Zusammentreffen mit blanker Waffe, wogte das Gewühl. Plötzlich schmetterte mit hohlem Sausen von links her eine Granate durch die Wipfel der Bäume und Schlag um Schlag sendete das Geschütz seine eisernen Boten herüber. Die Preußen hatten auf der einzelnen Höhe gegenüber dem Capellenberge eine Batterie aufgefahren, und von deren Feuer in die Flanke gefaßt, konnten die Oesterreicher auf dem ersteren nicht länger halten. Mit einem letzten Sturm ward preußischerseits die Höhe erstiegen und der Feind von derselben herabgeworfen. –

Der Kampfeslärm war seit lange verhallt, die Schlacht in die Ferne gezogen. Nur das Stöhnen der Verwundeten und das Röcheln der Sterbenden unterbrachen das unheimliche Schweigen, das sich über die Capellenhöhe gelagert hatte. Zu vielen Hunderten, wo nicht Tausenden, lagen die Todten und Wunden im Gehölz und auf der Plattform vor dem kleinen Gotteshause ausgestreckt. Selbst in diesem aber hatte der Tod seine grause Ernte gehalten. Die Thür sperrte weit aus ihren Angeln; zwanzig Leichen deckten den Boden, hundert Kugelspuren zeigten sich über die Wände zerstreut. Sogar die Orgel und der Hochaltar mit dem heiligen Tabernakel waren von den Wirkungen des furchtbaren Kampfes und der allgemeinen Verwüstung nicht verschont geblieben.

„Hier gleich links von der Capelle muß es sein, wo unser Hauptmann gefallen ist,“ äußerte eine Stimme. Drei preußische Jäger waren, mühsam den Berg emporklimmend, aus dem dichten Unterholz auf die freie Plattform vor dem kleinen Gotteshause hinausgetreten.

[494] „Ja, ganz recht, dort liegt er, den Degen noch fest in die linke Faust gepreßt und die Brust dem Feinde zugewendet. Verdammt die tückische Kugel, die seinem Heldenleben ein Ende gemacht hat! Einen braveren Officier als unsern Hauptmann besitzt die ganze preußische Armee nicht mehr.“

„Der müßte lügen wie ein Schelm, wer es anders sagen wollte,“ stimmte einer der andern beiden Jäger ein. „Aber seht doch! Da, keine zehn Schritt entfernt, lehnt an der Mauer der Capelle auch der österreichische Hauptmann oder Major, welcher uns bei dem Sturm des Berges so viel zu schaffen gemacht hat.“

„Er ist ebenfalls schon kalt und steif,“ bemerkte der dritte Jäger, von einer Untersuchung des Leichnams emporblickend. „Aber was bedeutet denn das? Statt des Degens hält dieser Todte hier einen Bleistift in der Hand. Und seht doch hier an der Wand! Mit zitternder Hand hat der Sterbende seinen letzten Willen an dieselbe geschrieben.“

„Lies doch, lies: ‚Major Heide. Hier will ich ruhen.‘“

„Cameraden,“ hatte sich der erste Jäger an die andern beiden gewendet, „weiß Gott, auch dieser österreichische Officier war ein tapferer Mann. Sein letzter Wunsch soll ihm erfüllt werden. Wißt Ihr, die Beiden, unser Hauptmann und er, sollen gleich hier auf dieser Stelle unmittelbar an der Mauer der Capelle in Einem Grabe ruhen. Seid Ihr einverstanden? Nun, dann faßt an, die Gruft auszuwerfen. An Werkzeug dazu kann es uns hier ja nicht fehlen. – So! Jetzt legt die Todten hinein und schaufelt die Erde über sie. Noch ein Kreuz von Tannenzweigen zu ihren Häuptern und ein stummes Gebet. Mögen sie ruhen in Frieden! Und nun fort zu unserm Bataillon. Hört Ihr, das Gefecht entbrennt von Neuem? Wer weiß, ob nicht nach wenigen Stunden schon uns irgendwer den gleichen Dienst, wie wir diesen hier, leisten wird.“ – Noch heute sieht man die vom österreichischen Hauptmann gekritzelten Worte an der Capellenwand.
P.