Auf dem Canal grande (Meyer)

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Textdaten
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Autor: Conrad Ferdinand Meyer
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Titel: Auf dem Canal grande
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 116-119
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von H. Haessel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA* und Scans auf Commons
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[116]
Auf dem Canal grande.


Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem Canal grande,
An Giorgione lehnt die Blonde mit dem rothen Sammtgewande.
„Giorgio, Deiner Laute Saiten hör’ ich leise, leise klingen“ –
„Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlst du mir zu singen?“

5
Nichts von schönen Augen, Giorgio! Solches Thema sollst du lassen!

Singe, wie dem Meer entstiegen diese wunderbaren Gassen!
Fessle kränzend keine Locken, die sich ringeln los und ledig!
Giorgio, singe mir von meinem unvergleichlichen Venedig!"

„Meine süße Muse will es! Es geschieht!“ Er präludierte.

10
„Weiland, eh’ des heil’gen Marcus Flagge dieses Meer regierte,

Drüben dort, wo duftverschleiert Istriens schöne Berge blauen,
Sank vor ungezählten Jahren eine Dämm’rung voller Grauen.

Durch das Dunkel huschen Larven, angstgeschreckte Hunde winseln,
Schreie gellen, Stimmen warnen: „Löst die Böte! Nach den Inseln!“

15
In den Lüften haucht ein Odem, wie es in den Gräbern modert –

Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und lodert!

[117]
Von der Stätte, wo die stillen, ungezähmten Flammen wogen,

Kommt ein dumpfes Menschenbrausen nach dem freien Strand gezogen:
Attila, die Gottesgeißel, jagt auf blutbesprengten Pfaden

20
Krieger mit zerbrochnen Schwertern, Fraun mit Schätzen schwer beladen.


Wie zum Hades Schatten wandern, ziehn zum Meere die Gescheuchten,
Das die purpurroth gefärbten Wolken weit hinaus beleuchten,
Wittwen, Waisen schreiten jammernd, schweigend stürzen wunde Männer,
Mitten im Gewühle bäumen Wagen sich und scheue Renner.

25
Kniee wanken, Füße gleiten, Kästchen brechen, draus die hellen

Goldnen Reife rollend springen und die weißen Perlen quellen.
Nackte Küstenkinder starren gierig auf das rings zerstreute
Gold, und doch betastet’s keines, – Etzel’s ist die ganze Beute!

Schiffer rüsten dunkle Nachen, drüber Wogen schäumend schlagen,

30
Durch die weiße Brandung werden bleiche Fraun an Bord getragen –

Mit der Rechten an die phryg’sche Mütze langt der Meerplebejer,
Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer.

Schon entflieht ein Schiff mit weh’nden Segeln, flatternden Gewanden,
Drin sich weitgetrennte Loose sonder Wahl zusammenfanden,

35
Unbekannte Hände drücken sich in angstbeklommnem Traume,

Aquileja’s Ueberbleibsel schmiegen sich in engem Raume.

[118]
Letzte Scheideblicke wendend, sehn sie noch den Himmel bluten

Aber tiefer stets und ferner brennen die gesunknen Gluten.
Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel. Auf die Ruder

40
Beugt sich Unglück neben Unglück, Bruder seufzend neben Bruder.


Eine Fürstin küsst ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes,
Eine Sclavin wärmt ein fürstlich Kind im Schooß des Wollenhemdes –
Unter ihnen Eine Tiefe, über ihnen Eine Wolke –
Liebe thaut vom Himmel, Liebe wächst in diesem neuen Volke.

45
Ueber eines Mantels Flattern, sturmverwehten greisen Haaren

Will das Schweben einer Glorie einen Heil’gen offenbaren,
Dieses ist der heil’ge Marcus, rüstig rudernd wie ein Andrer –
Nach den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der sel’ge Wandrer.

Neben ihm der Jugendschlanke schlägt die Wellen, daß sie schallen,

50
Wirren Locken sind die Kränze schwelgerischer Lust entfallen.

Der Bacchant wird zum Aeneas. Niederbrannte Troja’s Feuer.
Mit den rudernden Genossen sucht er edles Abenteuer.

Mälig lichtet sich der Osten. In der ersten Helle schauen
Kecke Männer tief ins Antlitz morgenstiller schöner Frauen –

55
Lieblich Haupt, das blonde Flechten wie mit lichtem Ring umwinden,

Bald an einem tapfern Herzen wirst du deine Heimat finden!

Scharfgezeichnet neigt sich eines Helden narb’ge Stirne denkend,
In das göttliche Geheimniß ew’gen Werdens sich versenkend;
Rings in Stücke sprang zerschmettert Roma’s rost’ge Riesenkette,

60
Neue Weltgeschicke gönnen junger Freiheit eine Stätte . . . .


[119]
Wie geworfen aus dem Himmel heiter spielend von Auroren,

Schwimmt ein lichter Kranz von Inseln in die blaue Flut verloren –
Jubelnd grüßen den beschwingten, den beseelten Ruderschlägen
Fischer bis zum Gurt umbrandet, netzezieh’nde, schon entgegen.

65
„Fleh’nde kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit Verderben!

Unsre Seelen sind entronnen einem ungeheuern Sterben!“
„Freuet euch! Ihr lebt und athmet! Hier ist euch Asyl gegeben!
Friede sei mit euren Todten! Freude denen, die da leben! . . .“

Schwert und Ruder tragend wallen ernste Genien vor den Böten;

70
Auch ein Schwarm von Liebesgöttern flügelt durch die jungen Röten –

Ueber das Gestein der Inseln geht ein Hauch von Lust und Wonne,
Ahnungsvollem Meer entsteigend, prangt Venedigs erste Sonne.

Blonde Julia, Deiner Heimath Ursprung hab’ ich dir verkündet,
Liebe hat die Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet –

75
Deiner Augen strahlend blauer Himmel würde bleichen ohne

Liebesfeuer und verstummen, wie die Laute des Giorgione.“