Auf vulkanischem Boden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Woldemar Kaden
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auf vulkanischem Boden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5–6, S. 74–77, 92–95
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[74]
Auf vulkanischem Boden.
Zeitbilder aus Sicilien von Woldemar Kaden.
1.

Jede Insel, mag sie Korsika oder Irland, Rügen oder Capri heißen, bildet eine kleine eigenartige Welt für sich.

Sicilien erschien schon den an so viele Weltwunder gewöhnten alten Römern als eine ganz absonderliche Wunderwelt. Trotz ihrer protzigen Selbstherrlichkeit staunten sie die Naturerscheinungen des Landes an, besuchten es seines von dem des Festlandes so verschiedenen milden frühlinghaften Winters wegen, priesen die Schönheit und antike Berühmtheit seiner Städte. Jeder einigermaßen anständige römische Tourist mußte Sicilien besucht haben; noch heute ist es der Endpunkt der Reise unserer Italienfahrer.

Und noch heute ist ja die Sonne Siciliens eine andere als die der sonnigsten Striche des Festlandes, der Boden ist anders in seiner Gestaltung, die Vegetation mächtiger als selbst die Neapels, fast tropisch.

Auf Sicilien ist des Sommers lichtglänzendes, fruchtprangendes Reich, der Winter eilt flüchtigen Fußes über den Aetna hin, nur an den äußersten Hängen seine Stapfen mit Schnee füllend. In den immergrünen Thälern blühen die Rosen ohn’ Unterlaß und neben den Rosen reift der feurige Wein, auf den breiten Feldern die goldene Halmfrucht. Orangen, Citronen haben hier ihre eigentliche Heimat, und das Land trieft von Milch, Honig und Oel. Wo Wasser fließen, baut der fleißige Insulaner seine Baumwolle, Mais, Reis und Zuckerrohr. Auf den meilenbreiten hügeligen Weidestrichen des Innern gehen stattliche Pferdeherden, weiden Hunderttausende von Rindern, Ziegen und Schafen, während ein kühnes Fischer- und Schiffervolk den Strand und die Welle mit seinen Barken und Segeln belebt. Der vielbegehrte Thun- und Schwertfisch, die in alle Welt versandte Sardelle sind ihre Beute, wie sie in ihren Netzen auch die purpurnen Schätze der Korallen zu Tage fördern. Die Brüder daheim wühlen in Schächten und Gängen nach dem „Golde Siciliens“, dem kostbaren Schwefel, die Frauen und Mädchen betreiben mit Fleiß und Geduld die Zucht des Seidenwurms und haspeln die schimmernden Fäden.

Schöne, vornehme, durch eine bedeutsame geschichtliche Vergangenheit ausgezeichnete Städte, Palermo, Messina, Catania, Syrakus, Girgenti, bilden einen Kranz um die Küsten. Zwischen dem Neuesten, Modernsten malerische Reste altgriechischer, maurischer, [75] normannischer Vergangenheit. Und über dem Ganzen der tiefblaue segenstreuende Himmel ...

Auf dieser Insel also könnte das Glück wohnen, das aus aller Welt jetzt geflohen scheint?

Aber nein, auch Sicilien ist unglücklich: die Natur spendet mit so unendlich reichen Händen und die große Masse des Volkes darbt und hungert. Unter den drei Millionen Menschen, denen die Insel frohe Tafel decken könnte, sind nur wenige Tausende, die als Menschen leben, wenige Hunderte, die die Herren machen und schwelgen in Schlössern und Palästen, prunken in seidenen Kleidern, voll Gleichgültigkeit oder gar Hohn für die bleiche Armut ringsum. Diese Armut hat heute die tiefste Stufe erreicht, sie verschwistert sich mit dem Verbrechen, und ihr Gebahren stört bereits den Schlaf der Regierenden. Besondere Gewaltmaßregeln, Belagerungszustand und verstärkte Besatzung der Insel haben sich als nötig erwiesen.

Alles klagt und – droht. Der Kleingrundbesitzer will sein Stückchen Land los sein und gemeiner Feldarbeiter werden. Er hat drei Scheffel Ackerboden und bezahlt jedes Jahr an gemeinen Steuern 127 Lire. an Bodensteuer 100, andere Abgaben 50, mehr als 300 sodann für Wirtschaftsbetrieb, wogegen er im Mittel nicht mehr als 550 bis 600 Lire einnimmt.

Der Feldarbeiter klagt, er habe nur sechs Monate im Jahre Arbeit und verdiene 7 bis 8 Lire die Woche, wenn es nicht regnet. In der arbeitslosen Zeit geht er Grünzeug sammeln an Hecken und Bachrändern („va a erbe“, wie der Volksausdruck lautet) und brüht es, ohne Salz, mit heißem Wasser ab. Für ein schmutziges feuchtes Kämmerchen, das er mit seiner kleinen Familie bewohnt, zahlt er jährlich 70 Lire, Stroh bildet seine Lagerstätte; arbeitet er auf dem Felde, so schläft er unter freiem Himmel, ist er naß, muß ihn der Wind trocknen. Auf das schwarze Brot muß dennoch Verzehrsteuer gezahlt werden. Der Lohn wird in lauter Kupfermünzen, darunter so manche, die keinen Kurs mehr hat, ausbezahlt.

Geben die Besitzer, natürlich immer nur durch die Hand ihrer durchweg spitzbübischen Unterbeamten, einen Vorschuß, so geschieht es in schlechtestem Getreide, sogenannter „Solame“, das sind die auf der Tenne zusammengekehrten, stark mit Kalk und Erde vermischten Körner; bei der Zurückerstattung, die mit mehr als 25% Zinsen erfolgt, muß aber erste Sorte geliefert werden.

Auch der Bettler ist nicht frei von Steuern, wenn er nicht im Freien schläft. Für das schäbigste Maultier zahlt man jährlich 10 Lire Steuer, für jeden Esel 5. Das veranlaßt die Herren, die deren zwanzig und mehr besitzen, nur drei oder vier anzugeben, und danach kräht kein Hahn.

Ein sicilianischer Menschenfreund, eine Ausnahme, der Baron Mendola, hat mit seinen unglücklichen Bauern gerechnet; er versichert, daß es nicht möglich sei, die Bilanz einer sicilianischen Bauernfamilie zu machen, ohne mit einem Fehlbetrag abzuschließen. Davon erfahren aber die Grundbesitzer nichts, die sind von der undurchdringlichen Mauer ihrer Groß- und Kleinbeamten umgeben, ihre Beziehungen zu den Bauern sind die von Herren zu Sklaven.

Geregelt werden diese Beziehungen durch den dem Padrone zunächst stehenden Oberaufseher, meist einen rohen entschlossenen Menschen, emporgekommen nicht durch Fleiß, Treue, technische Befähigung. sondern durch seinen gewaltthätigen Charakter, seine ausgebreiteten Bekanntschaften in der Maffia[1], der er natürlich selbst angehört, und – ein paar für ihn gut ausgegangene Prozesse. Mit den ihm vom Herrn jährlich ausgeworfenen 300 Lire kann er nicht leben, aber er lebt dennoch sehr gut und macht sich reich. Er weiß genau gegen wen er sich freigebig oder rücksichtsvoll zu bezeigen hat, und entläßt die Gendarmen mit trockenem Munde, während er den Briganten prächtige Tafel hält und die Viehräuber unter seine Fittiche nimmt.

Es folgen, als ihm untergeben, der Magazinverwalter, der Brotmeister, der Pferdeknecht, der Viehaufseher, der Bardonaio (Führer von sieben Maultieren), der Verwalter der Ackergeräte, der Ochsenwärter, der Stutenwärter, eine ganze Schar von „Campieri“, die des Herrn Leibgarde bilden, etc. Sie sind in die Höhe gekommen, kraft ihrer moralischen und – strafrechtlichen Verdienste, welche die sicilianischen Gepflogenheiten nun einmal verlangen. Mehr als 90% behanptet der sicilianische Rechtsschriftsteller Alongi, mehr als 90% dieser Gesellen haben mit den Strafgesetzen, und mehrfach, zu thun gehabt.

Wie nun sieht es aus in einer solchen Ackerbaugemeinde im Innern der Insel? Scheffel singt:

„Ein Dorf, was ist’s? . . . Nur Mist und Rauch –“

und hat damit die Charakteristik der meisten Inseldörfer gegeben. Abgesehen vom Herrenschloß, das noch einigermaßen mittelalterlich anständig aussieht, und vier, fünf anderen Häusern, die noch etwas scheinen wollen, ist für die Baulichkeiten, die den Menschen beherbergen sollen, der Ausdruck „Stall“ viel zu fein gewählt, denn wir könnten dabei an die sauberen Kuh- und Pferdeställe unserer Gutsbesitzer denken. Unförmliche Steinhaufen, schwarz und ohne irgend ein Bindemittel zusammengefügt, mit Dächern aus Scherben, die dem Regen kein Hindernis bieten, ohne Fenster, nur durch einen Eingang als „Wohnung“ gekennzeichnet, einen Eingang, der zugleich als Fenster und Schlot dient – das sind die „Bauernhäuser“.

Hier leben und weben die Weiber und Kinder, von Millionen Fliegen und anderen dem Schmutz entstammenden Insekten umschwärmt. Wir treten ein: einen einzigen Raum enthält das Haus, eine Höhle ohne Fußboden, von Rauch und üblen Gerüchen erfüllt, denn dort in die Ecke hinein ist der Herd gemauert und neben dem erbärmlichen Strohlager der Familie steht in seinem selbstgeschaffenen Sumpfe der Esel, das Maultier, das vielgeliebte Schwein, hocken die Hühner und Tauben. Mit diesem unsauberen Getier zusammen in feuchter verpesteter Luft schläft Mann, Weib und Kind, groß und klein. Auch das Essen ist eine Schmutzerei in dem, wie es bereitet, und in dem, was gegessen wird. Fleisch kommt nur auf den Tisch. wenn man es verstohlenerweise von einem verendeten Stück Vieh auf die Seite bringen kann. Oft fehlt, des teueren Preises wegen (das Kilo ½ Mark), das Salz in diesen Häusern, noch öfter das Trinkwasser.

Auf diesem Boden, in dieser Luft wächst das Kind heran, ungewarnt allen brutalen Instinkten hingegeben. Von Liebe der Eltern ist keine Rede. Der Vater sieht „ein fressendes Maul“ in ihm, die Mutter hat nur für das säugende Kind eine gewisse wilde Zärtlichkeit bedenklichster Art. Das kleine Geschöpf wird mit tollen Küssen überfallen, und die Lippen der Mutter saugen ihm an den Armen, am Halse, an den Wangen gierig das Blut, herzlos und wollüstig beißen die Zähne in das zarte Fleisch. Unbekümmert um das krampfhafte Geschrei des dergestalt mißhandelten Würmchens. ruft sie immer und immer wieder leidenschaftlichsten Tones: „Brigantiellu miu, chi ssi duci, ti mangiu, ti rusicu tuttu.“ („Wie süß bist Du, mein Brigantchen, ich freß’ Dich auf, ich nag’ Dich ganz ab.“) Soll ein Größeres bestraft werden, so geschieht es in ähnlicher Weise. Die Mutter ruft bei irgend einem Vergehen dem Schuldigen auf offener Straße nach, reißt es zu Boden und beißt es in Arme und Wangen, bis aufs Blut, gleich einer tollgewordenen Bestie.

[76] Wie andre der rote Wein, so berauscht das Blut dies unerzogene Volk, und die Farbe des Blutes ist seine Lieblingsfarbe.

Das sind Reste uralter Barbarei und bis heute hat kein Gesetz gegen sie aufkommen können, auch die Kirche hat nichts zu bessern gewußt.

Und doch hat man in diesen ländlichen Behausungen, mit diesen Bauernbarbaren den tiefsten Schlamm, das größte menschliche Elend noch nicht erreicht. Das alles ist noch ein Idyll im Vergleich mit dem Leben und Leiden der Arbeiter in den ausgebeuteten sicilianischen Schwefeldistrikten, mit dem Höllenleben und Höllenleiden der „Zolfatai“!

Wer je eine Einsicht genommen in das Treiben der sicilianischen Schwefelarbeiter, der fühlt noch spät sein Herz sich zusammenziehen. Hier ist die menschliche Geduld, diese arme Sklaventugend, auf die Marterbank gespannt. Unsagbar traurig ist, unglaublich, was in gewissen Bezirken an Menschenentwürdigung geleistet wird. Der verlotterte Grubenbetrieb ist oft in den Händen der rücksichtslosesten Camorristen und Maffiosi, die, von niedrigster Geldgier geleitet, jeder Moral fernstehend, ihre Arbeiter, von denen ihnen einer weniger gilt als eine neue Hacke, hinsterben lassen, oder besser hinmorden, als wären’s Fliegen. Wer sich muckt, wird einfach beiseite geräumt, und auch danach kräht kein Hahn.

Die Obrigkeit kümmert sich auch nicht um das nunmehr in allen civilisierten Ländern beseitigte Trucksystem,[2] das hier noch in voller Blüte steht.

Unter diesem System leiden alle Arbeiter überhaupt, aber auch niedere Beamte. Sind die Löhne schon durch camorristische Vergewaltigung mager genug festgesetzt, so werden sie noch bezahlt mit elendestem, in den Niederlagen verdorbenem Getreide; dieses wird gemahlen verabfolgt, damit es noch bequem weiter gefälscht werden kann, verabfolgt nach falschem Maß und Gewicht. Soviel Mehl jedoch dient den Arbeitern nicht, sie brauchen auch bar Geld. Wer kauft ihnen das überschüssige schlechte Mehl ab? Wer es kauft, zahlt einen elenden Preis dafür, der dem ausbedungenen elenden Lohn lange nicht mehr entspricht. Auch mit Fleisch wird bezahlt, wenn etwa der Fall eintritt, daß dem „Herrn“ eine Kuh stürzt. Oder es verdirbt ihm ein Faß Wein: mit Gips wird die Säure gebrochen, die „Zolfatai“ erhalten dies Getränk an Lohnesstelle. Fernere Tauschmittel sind ranziges Oel, verschimmelter Käse, muffige Hülsenfrüchte. Sofortige Entlassung steht auf verweigerter Annahme. In den kleinen Gemeinden erhalten die Feldhüter, Schulmeister, Straßenkehrer u. a. ihre monatliche Besoldung von 25–50 Lire vom „Gemeindeschatzmeister“ sehr oft in schlechtem Korn ausbezahlt.

Unter den „Carusi“, wie die Schwefelminenarbeiter auch genannt werden (carusare, sicil. = den Kopf ganz kahl scheren, caruso = Kahlkopf, mit der Nebenbedeutung: in äußerste Armut verfallen), unter den Carusi sind neunzig von hundert körperlich und moralisch durchaus verkommen, unter ihnen walten die entsetzlichsten Laster. Und Kinder von sechs Jahren an arbeiten in den Schwefelgruben!

Der Dr. med. Alfonso Giordano, ein Menschenfreund der Provinz Girgenti, der die Kinderarbeit in den Gruben seit Jahren bekämpft, findet in Bezug auf die Körperentwicklung zwischen den armen kleinen Carusi und den ebenfalls armen gewöhnlichen Dorfkindern einen gewaltigen Unterschied zu gunsten der letzteren.

Bei den Carusi schlechteste Ernährung in verdorbener Luft, schlechtestes Blut, Mißverhältnis unter den Leibesgliedern, Rückgratsverkrümmungen, arme ausgemergelte, fortwährend mit Fußtritten mißhandelte Kinderleiber, die in der Entwicklung ganz auffallend zurückbleiben. Die aus diesen Bezirken sich stellenden Rekruten haben das Aussehen von 13-, 14jährigen Knaben.

Es kommt oft vor, daß geflohene Züchtlinge, verfolgte Verbrecher sich als Arbeiter in die der Obrigkeit unzugänglichen Gruben verdingen. Nach kurzer Zeit jedoch stellen sie sich wieder, des gräßlichen Maulwurfslebens müde, und erklären, lieber ihr ganzes Leben im Zuchthaus verbringen zu wollen, das mit der Grube verglichen ein Paradies sei.

Um es hier bei 14stündiger täglicher Arbeit auszuhalten, muß man sozusagen in der Grube geboren sein. Giovanni Verga, der Verfasser sehr poetisch behandelter sicilianischer „Dorfgeschichten“, hat in seinem „Rosso Malpelo[3]“ auch das Leben eines solchen verkommenen Caruso behandelt, dort lernt man die weiteren Schrecknisse kennen. Kennt man sie aber, so wagt man gewiß nicht, einen Stein gegen die Armen aufzuheben.

Jene Feldarbeiter und diese Carusi sind durchweg besitzlos. Ihnen gegenüber stehen die „proprietari“, die „padroni“, die „signori“ oder Herren, meist Nachkommen jener berüchtigten antiken Barone, die von den Vätern als Erbe die ungemessenen Landstriche bekommen haben, die Latifundien, die schon des alten Rom Verderben waren. Sie haben auch Sicilien so weit heruntergebracht: ökonomisch und sittlich. Durch ein solches Besitztum wandert man tagelang, ohne ein Haus oder eine Hütte zu finden, kein Baum ist zu sehen, kein Kornhalm, kein Brunnen, keine Blume, nichts, was auf das Dasein von Menschen könnte schließen lassen. Diese Latifundien sind aber die ungestörten Zufluchtsorte der Briganten, die Pflanzschulen des gemeinen Straßenräuberwesens. Der ganze Groll des Bauernvolkes, der tiefe Haß, der trotzige Widerstand einzelner und ganzer Verbindungen, vor allem der „fasci“, sind gegen diesen nichtsnutzigen Großbodenbesitz gerichtet. Alle Briganten, berühmte und unberühmte, sind aus dem Bauernstande hervorgegangen, ohne Ausnahme. Ohne Ausnahme auch bekennen sie, daß sie „tediati dalla mala vita“, überdrüssig ihres Hundelebens, sich nach und nach brigantenmäßige Kleidung und Waffen verschafft und eines schönen Morgens, nach feierlichem Abschied von Verwandten und Freunden, beneidet von diesen, mit Sack und Pack in das feindliche d. h. Räuberlager übergegangen waren, ihre Arme der „rivendicazione sociale“, der socialen Vergeltung, zu widmen.

Der auf Sicilien, neuerdings auch in der römischen Provinz, in den Abruzzen u. a. O. wieder sehr im Schwange stehende Brigantaggio ist die am klarsten ausgesprochene Form der vielberufenen Maffia. Freilich der mythische Typus des sicilianischen Briganten, wie ihn auch A. Dumas der Vater mit verlogenen Farben malte, als einen Kämpfer für das Recht der Unterdrückten gegen die Vergewaltigungen des Adels und der reichgewordenen Bürger, als Helfer der Dürftigen, Versorgungsvater armer heiratsfähiger Mädchen, wie ihn selbst Garibaldi in seinem Räuberroman noch hinstellte – dieser Typus hat längst seinen Glanz verloren, und der sicilianische wie der römische Brigant haben sich als ganz gemeine Halunken entpuppt. Denn wenn alle sicilianischen und römischen Hirten, Bauern, Winzer, Wirte, selbst Geistliche sich in den Dienst der „Herren der Campagna“ stellen und immer bereit sind, sie den Nachforschungen der Behörden zu entziehen, sie demgemäß in ihren Häusern und Ställen zu verbergen, ihnen schnelle Nachrichten von den Bewegungen ihrer Feinde zukommen zu lassen, sie mit Kleidern, Waffen, Nahrungsmitteln, Reittieren zu versehen, wenn der Brigant durchs ganze Land Vorschub findet, so ist das nicht auf seinen diesen Leuten gezeigten Edelmut zurückzuführen, sondern auf die ganz bedeutenden, nach Tausenden zählenden Löhne und Abfindungssummen, die er ihnen zahlt.

Der sogenannte „Brigantaggio militante“, das wohlgeordnete Bandenwesen, der „Malandrinaggio“, die gemeine Straßenräuberei, der „Abigeato“ oder Viehraub, die „Omerta“, das organisierte Falsch-Zeugniswesen, der „Manotengolismo“ oder die Hehlerei und alle andern Verbrechergenossenschaften der Insel: aus einer Wurzel stammen sie, aus der Maffia, dieser sicilianischen Camorra. Die Maffia hinwiederum wurzelt in der sicilianischen Geschichte, in den traurigen ökonomischen und politischen Zuständen – und diese Wurzel auszugraben, hat sich noch keine Regierung stark genug erwiesen: heute sitzt sie fester als je zuvor.

Mit den einstigen politischen Geheimbünden Italiens, die vor 1860 wie Pilze aus der Erde schossen, hat die Maffia nichts zu thun. Ich erinnere vorübergehend an jene dereinst der italienischen Idee dienenden, an die mit Katechismen, Satzungen und Ritualen wohlversehenen Carbonari, Calderari, Decisi (Entschlossenen), an „La giovine Italia“, wo der Dolch eine große Rolle spielte, an die „Selvaggi“ (Wilden), die „Unitá Italiana“, die ihre Mitglieder auf einen dreischneidigen Dolch schwören ließ und einen „Ausschuß der Erdolcher“ niedersetzte, an die „Compagnia di Morte“, die Todeskumpanei, deren Mitglieder gemeine Verbrecher waren unter dem Deckmantel der Politik, gerade wie die livornesischen „Ammazzatori“, die bolognesischen „Terroristen“, die „Sicarii“ von Faënza, die „Höllenbrüder“ von Sinigaglia. Diese alle – sie waren meist nicht so schlimm [77] wie ihre Namen – sind längst dahin. Heute faßt man das Verbrecherleben Italiens unter dem Gesamtnamen „Malavita“ zusammen.

Ihre Sonderarten sind, wie wir aus allerjüngsten Prozessen erfahren, in Andria „L’infame Legge“ (das schimpfliche Recht oder Gesetz), in Barletta die Verbrüderung der „Picciuotti“ (Jünglinge), in Bari und Neapel die speziell sogenannte „Malavita“, die richtigen Töchter der noch heute durch ganz Süditalien in Ansehen stehenden Camorra oder der sicilianischen Maffia, was schließlich auf eins herauskäme, denn diese wie jene sind Verbindungen oder Genossenschaften zum Zwecke des Verbrechens gegen das Eigentum und gegen die Personen.

Das ist die juridische Begriffsbestimmung, sie paßt auch auf alle Zweigverbindungen, sie mögen heißen, wie sie wollen; diese unterscheiden sich voneinander nur durch ihre Satzungen, deren Hauptgrundzüge aber überall die gleichen sind.

Blinder, rascher, unerschütterlicher Gehorsam gegen die Obern.

Unbedingtes Schweigen über die Mitglieder der Verbindung und über ihre verbrecherischen Unternehmungen.

Körperliche, moralische und pekuniäre Hilfe für die Genossen, besonders die eingekerkerten.

Ueber alles und jedes Benachrichtigung der Obern, unter keiner Bedingung Anrufung der Behörde.

Die Uebertretung einer dieser Hanptvorschriften gilt als Verrat und wird mit dem raschen, sicheren Tode bestraft.

Mitglied kann werden, wer einen „Notfall“ zu entschlossener Erledigung bringen will; erst muß er Beweise geben von Unempfindlichkeit, Tollkühnheit und – Unterwerfung worauf er sich einem längeren oder kürzeren Noviziat zu unterziehen hat.

Die Einführungsgebräuche sind in den verschiedenen Provinzen verschieden. Dypisch sind die bei den Maffiosi von Girgenti. Hier wird der Neuling den Sektionsvorstehern durch zwei wohlverdiente Mitglieder vorgestellt. In dem Zimmer tritt er vor den Tisch, auf dem irgend ein Heiligenbild liegt. Seine Paten stechen ihn in den Daumen der Rechten und lassen das Blut über das Heiligenbild tröpfeln. Darauf muß der Neuling den folgenden Eid leisten: „Ich schwöre auf meine Ehre, der Brüderschaft treu zu sein, wie die Brüderschaft sich mir treu erweisen wird. Wie man dieses Bild mit meinem Blute verbrennt, so werde ich mein Blut für die Brüderschaft vergießen, und wie diese Asche nicht wieder Papier werden und dieses Blut nicht wieder flüssig werden kann, so kann ich die Brüderschaft nicht wieder lassen.“

Hierauf wird das Bild an der angezündeten Kerze verbrannt. An anderen Orten kommt es vor, daß der neu zu Weihende auf ein Kruzifix einen Schuß abgeben muß, um darzuthun, daß er nicht zögern würde, irgendwelche Person, selbst die ihm teuerste, zu töten.

Die Mitglieder der Malavita in Bari leisteten folgenden Eid: „Mit einem Fuße im Grabe und mit dem andern an der Kette, schwöre ich, Vater und Mutter zu verlassen, um den Zweig der ‚Umiltà‘ (Demut, Unterwerfung im schlechtesten Sinne) zur Blüte zu bringen und die Sekte der Ehrlosen zu zerstören.“

Nach diesem Eide wird der Geweihte als „Gevatter“ begrüßt und hat die Ehre, der erste zu sein bei der nächsten von der Hauptversammlung beschlossenen Unternehmung.

Colacino berichtet noch mehr über die „Sprache“ der Verbündeten. Ist ein „Bruder“ in Gefahr, so ruft er: „Hundert hab’ ich durchgemacht und mit diesem hundertundeins!“ Hört ihn einer der Brüder, so muß er ihm Hilfe und Schutz angedeihen lassen. Um sich zu erkennen zu geben, dient die an den andern gerichtete Frage: „Habt Ihr ein Cigarrenstümpfchen? Mich schmerzt der Backenzahn.“ Die Antwort ist: „Ich hab’ eins.“

Oder das Gespräch nimmt folgenden Verlauf:

„Wie spät habt Ihr?“ – „Meine Uhr geht dreißig Minuten nach.“

„Seit wann geht sie so?“

„Seit dem 25. März.“

„Wo wart Ihr an jenem Tage?“

(Hier wird der Ort genannt, wo er eingeweiht wurde.)

„Wer war da?“

„Schöne Leute.“

„Zu wem betet Ihr?“

„Zu Sonne und Mond.“

„Wer ist Euer Gott?“

„Aremi“ – eigentlich „Oremi“, eine „Farbe“ im italienischen Kartenspiel, unserem „Schellen“ (Carreau) entsprechend.

Die Maffia hat ihre unmittelbaren Oberhäupter und ihre geheimen Beschützer, mittelbare Helfershelfer, die den Großhehlern im Brigantaggio entsprechen. Diese werden zu solchem Amte getrieben teils durch Furcht, teils durch Ehrgeiz, teils durch Bosheit oder durch all diese Gründe zusammengenommen. Sie gehören jener Klasse an, die ihren Einfluß gewinnt aus dem Namen und dem Reichtum, die voll leidenschaftlichen Ehrgeizes danach trachtet, die Uebermacht zu haben, die keine Beleidigung verträgt, sich grausam rächt und dabei auch einen unrechten Gewinn nicht verschmäht.

Wer auf Sicilien seine Ehre und seine Habe respektiert sehen will, muß eine bewaffnete Macht von einiger Bedeutung zur Verfügung haben und wissen und fühlen lassen, daß er sie hat. Dafür einige Beispiele in einem zweiten Artikel.



[92]
II.

Die allgemeine Schilderung der Zustände auf Sicilien, welche wir in unserem ersten Artikel gegeben haben, sei im folgenden durch ein paar aus dem Leben gegriffene Beispiele ergänzt, deren Sprache deutlich genug ist. In Siculiano, einem Bezirksvorort in Kreis und Provinz Girgenti mit etwa 6500 Einwohnern, ist Herr und König, d. h. Besitzer des Gesamtbodens, der Baron Aniello, mehrfacher Millionär, der aus seinem Schlosse hervorgeht genau wie die mittelalterlichen, noch von Manzoni in seinem Roman „Die Verlobten“ geschilderten gewaltthätigen Barone: begleitet von zwölf schwerbewaffneten uniformierten „Bravi“, könnte man sagen, denn Maffiosi sind sie ohne Ausnahme, aber trotzdem gemeine Vasallen, da sie (wie alle sicilianischen abhängigen Bauern!) gezwungen werden, ihren Bart zu scheren, den erst der freie Brigant wieder wachsen läßt. Das Schloß ist durch eiserne Thore, Fallgitter und Zugbrücken von der Außenwelt abgesperrt, nur eine Person auf einmal hat Zulaß. In ähnlicher Weise halten sich viele Grundbesitzer eine Art von Leibwache. Sicher ist so ein Herr aber doch nie und seine eigenen Kreaturen scheuen den Verrat nicht, wenn es gilt, ihm gehörig zur Ader zu lassen, zu welchem Zwecke dann die Maffia ihre besten Truppen, den Brigantaggio, ins Gefecht führt. Der Feldzugsplan wird stets im Hauptlager entworfen und von diesem geht der Befehl zum Angriff aus.

Hier vorerst ein leichter Fall aus jüngster Zeit.

Der Baron Antonio Spitalieri, ein allbekannter catanesischer Großgrundbesitzer, begab sich am 21. August 1893 in Begleitung seines Sohnes von Catania aus auf eines seiner Grundstücke in der Nähe von Paternò, 21 km von Catania, am Aetna. Der Abend kam, und um der hier herrschenden Malaria auszuweichen, suchte der Baron Nachtquartier im Landhause seiner ihm befreundeten [93] Nachbarin, der Baronin Ciancio in Poiera, um am nächsten Morgen zur Besichtigung seiner Felder zurückzukehren. Diesmal begleiteten ihn vier bewaffnete Campieri. Er war noch nicht weit gekommen, als ihm sechs Reiter auf trefflichen Tieren den Weg versperrten. Die Campieri waren rasch entwaffnet und geknebelt, der Baron wurde in die Mitte genommen. Er hatte kein Geld bei sich und die Briganten führten ihn kecklich vor das Hans der Baronin Ciancio, die als Loskaufssumme 50000 Lire zum Fenster hinauswarf. Diese Summe wurde als zu klein befunden, so stürmten die Briganten in das Haus, erbrachen Thüren und Schränke und brachten endlich 110000 Lire zusammen. Damit erklärten sie sich vorläufig zufriedengestellt, ließen den Baron los und verabschiedeten sich von ihm mit ehrerbietigem Handkuß. Die Ausführung oder richtiger Aufführung hatte von früh 8 bis nachmittags 4 Uhr gedauert und war so ziemlich glatt (sogar mit Frühstück) verlaufen, bis auf einen eigenartigen Zwischenfall. Bei der Baronin zurückgeblieben war der vierzehnjährige Sohn Spitalieris. Als er vom Balkon aus seinen Vater in den Händen der Räuber sah, schoß er unter die Bande – eine kindliche Thorheit, die ihn beinahe teuer zu stehen gekommen wäre, denn fünf Schüsse wurden auf ihn abgegeben, von denen einer ihm die Haare versengte. Uebrigens waren die Briganten selbst über diese That erstaunt und umarmten und küßten später den jugendlichen Helden zum Zeichen der Bewunderung.

Schwerer ist der folgende Fall, der sich in der Provinz Palermo, in der Nähe der schönen Kreisstadt Termini Imerese, zutrug. Er gestattet auch Einblick in den wohlorganisierten „Manotengolismo“, den Helfershelferdienst, dem selbst Priester angehören.

An einem Maientage des Jahres 1892 ging der Kavalier Filippo Arrigo, ein schöner starker und wohlgelittener Mann und Großgrundbesitzer, mit seiner Familie zur Villeggiatura auf sein Landgut. Am 25. Mai stand er um fünf Uhr früh auf, ließ sich durch den Inspektor ein Pferd satteln, um auf eine andere Besitzung zu reiten, und führte, außer dem Inspektor, noch seinen vierzehnjährigen Sohn Francesco auf einem Esel mit. Nach Erledigung der Geschäfte nahm Signor Arrigo, da es die Zeit des Wachtelstrichs war, die Flinte und wanderte ein wenig durch die Saatfelder. Er traf auf zwei andere Jäger, die ihn grüßten und weitergingen, dann stieß er wieder mit seinem Sohne und dem Inspektor zusammen. Da, vor der Oeffnung eines Thälchens, entdeckte der Inspektor plötzlich fünf Carabinieri. Hierbei war freilich nichts Auffälliges, denn bei den unsichern Zeitläufen hatte diese Waffe in zahlreichen Streifwachen die Campagna abzusuchen.

Die Carabinieri kamen langsam näher und der Wachtmeister grüßte höflich: „Guten Tag, Herr Arrigo. wie geht’s?“ In diesem Augenblick traten weitere drei Personen an die Gruppe heran, sie hatten durchlöcherte Taschentücher vor dem Gesicht, und nun wußte Herr Arrigo, woran er war: die vermeintlichen Carabinieri waren [94] Briganten. Dem Inspektor wurden die zwei Gewehre, die er über der Schulter trug, abgenommen, dann ward er geknebelt. Einer der falschen Carabinieri ergriff das Pferd des Herrn beim Zügel, und vorwärts ging’s. Der Sohn, der die Lage seines Vaters vollständig begriff, begann bitterlich zu schluchzen. An Flucht war nicht zu denken. Ein Bauer, der seines Weges kam, wurde gleichermaßen geknebelt mitgenommen. Dasselbe Schicksal hatten die beiden Jäger, denen Signor Arrigo kurz vorher begegnet war. Bei einer Strohhütte wurde Halt gemacht. Die drei zuletzt Aufgegriffenen, ferner der Inspektor und Arrigos Sohn mußten eintreten. Diesem hatte der Wachtmeister noch in drohendem Tone gesagt. „Ich bin Giorgio Bruno (ein landein, landaus wohlbekannter Bandenführer), sage Deiner Mutter, daß sie so rasch als möglich dreißigtausend Onzen[4] flüssig mache und mir schicke; sage ihr aber auch, daß sie das fein stille abmache und nicht etwa die Gewalt aufbiete, da Ihr sonst Euren Vater nicht wiederseht.“

Herzzerreißend war der Abschied zwischen Vater und Sohn. Der Vater wurde weiter dem Gebirge zugeführt, bei der Strohhütte blieben als Wache bis zu hereinbrechender Dämmerung jene drei vermummten Bauern zurück. Nach deren Entfernung flohen die Eingeschlossenen nach Termini, wo die Sache bald ruchbar wurde. Die erschreckte Familie Arrigo that, wie es bisher ohne Ausnahme alle gethan, sie schwieg der Obrigkeit gegenüber und begann insgeheim durch Zwischenträger, die sich rasch anboten, mit den Briganten zu unterhandeln. Die Behörden in Anspruch nehmen, würde heißen, das Todesurteil des Gefangenen unterschreiben. Aber auch so ist der Ausgang immerhin zweifelhaft. Denn wenn die „Sequestration“ – so nennt man die Aufhebung einer Persönlichkeit durch die Briganten – aus Rache erfolgte, so verliert die Familie das Geld und dazu die geliebte Person. Der Gefangene wird unterdessen aufs strengste bewacht, erfährt aber meist eine rücksichtsvolle Behandlung, die Räuber sind um ihn herum wie treue Diener.

„Ew. Excellenz möchte rauchen? Wir haben hier ‚Minghetti‘, denn wir wissen, daß Sie nur diese Sorte lieben.“

„Excellenza möchte einen Bissen essen? Es thut uns unendlich leid, daß wir nichts Ihrer Würdiges haben, aber in der Campagna muß man die Dinge nehmen, wie sie sind.“

Und doch wird zumeist eine Tafel bereitet, auf der weder das Weißbrot, noch ein wohlgebratenes Huhn, noch ein guter Wein fehlen. Ja, oft giebt es silberne Bestecke und ein feines Kaffeeservice. Die Herren Wächter erlauben sich dabei nicht, mit „Sr. Excellenz“ zusammen zu essen, sie verkennen den socialen Abstand durchaus nicht und tragen ihm Rechnung, trotzdem sie eben das Heft in Händen haben.

Alongi erzählt eine Anekdote von einem jungen Baron S., der bei seiner Sequestration gegen 150 Lire in der Tasche hatte. Davon bereiteten die Briganten dem Herrlein ein prächtiges Mahl und übergaben ihm am Schlusse, genau wie in einem Speisehause Neapels oder Palermos, auf einem Teller die Rechnung, in welche natürlich auch das abseits von den Briganten verzehrte Essen einbegriffen war. So gut wurde es dem Cavaliere Arrigo nicht, und zwar aus dem Grunde nicht, weil die Soldaten und Gendarmen den Räubern auf den Fersen waren und ihnen nirgends lange Rast zu machen erlaubten. Oft ward der Gefangene mit verbundenen Augen geführt, oft in Höhlen versteckt, oft fehlte es an einem Bissen Brot. Vier bis fünf Tage lag er unter einem Treppenabsatz in irgend einer Behausung und ward mit dem Tode bedroht, weil Nachrichten von den Seinen ausblieben. Hierauf mußte er einen neuen dringlichen Brief nach Hause schreiben.

Endlich kam einiges Geld (man braucht bei diesen Gelegenheiten die Vorsicht, nur wenig auf einmal zu schicken, um die Mühsal des Herbeischaffens deutlich zu machen), den nächsten Tag mehr, und als 120000 Lire beisammen waren, wurde der Cavaliere Arrigo eines Abends in die Felder hinabgeführt und seinem Schicksal überlassen. Nach einer Abwesenheit von drei Wochen traf er, schwer an der Gesundheit geschädigt, bei den Seinigen ein. Die Gattin fand er sterbend.

Was hatte die Maffia bei diesem Fall zu thun?

Es ist natürlich, daß ein so gewichtiger Streich wie ein „Sequester“ nicht im Handumdrehen gemacht werden kann, er wird von lange her vorbereitet und verlangt die höchste maffiose Technik. Die Briganten sind dabei nichts als der Arm, das Werkzeug, alles andere ist Werk der unbekannten Verbrecher und Hehler. Von diesen studiert eine Gruppe lange und genau die Gewohnheiten des auserlesenen Opfers und der es umgebenden Personen. Zu diesem Zwecke wird einer der Knechte oder Campieri gar leicht gewonnen. Dieser treulosen Diener einer ist es auch immer, der sich zum nachherigen Vermittler beim Loskauf anbietet. Die Familie weiß genau, wes Geistes Kind der Mann ist, der ihr diesen Dienst leistet; sie nimmt aber dennoch gern und dankbar seine Hilfe an. So kommt es, daß der Gefangene draußen in irgend einer Schlucht seine Cigarrensorte, seinen Lieblingswein findet. Ebenso peinlich genau wird der zur Ausführung bestimmte Platz studiert. Eine zweite Gruppe, aus Bauern, Winzern, Hirten, Feldhütern, Hausierern und Bettlern bestehend, bildet die Gegenpolizei. Sie beschäftigt sich mit steter Berichterstattung über die Bewegungen der wirkliche Polizei und bestimmt die Wege der ihr Opfer führenden Briganten.

Zuletzt wird der Bergungsort ausgewählt. Ein Häuschen, ein Stall inmitten der zahlreichen Baulichkeiten eines großen Besitztums, eine von außen nicht sichtbare Höhle, meist in größter Nähe des Schauplatzes der That, oft auch ein Haus mitten in einem Dorfe. Alle diese Orte werden schon vorher reichlich mit Lebensmitteln versehen. Sind diese, wo sich die Dinge in die Länge ziehen, aufgezehrt, so finden sich auf verabredete Zeichen Lieferanten genug, die das Nötige an vorher bestimmten Stellen niederlegen. Verräter kommen hierbei fast nie vor und wenn dennoch, so sind sie früher oder später sicherem Tode verfallen.

Der Befreiung Arrigos folgten zahlreiche Verhaftungen. Der erste, der festgenommen wurde, war der Vermittler zwischen der Familie und der Bande. Der aber schwieg. Ein anderer jedoch, der lange im Kerker gesessen hatte und inzwischen von seinem Weibe verraten worden war, hatte sich, um Rache an diesem und dem Schädiger seiner Ehre zu nehmen, in die Bande Giorgio Brunos aufnehmen lassen; und durch diesen erfuhr man nun, daß Bruno einen großen Streich hatte ausführen wollen, daß die Uniformen seit langem bereit gelegen waren im Hause des Apothekers Pasquale Quattrocchi in Termini Imerese, der zusammen mit seinem Bruder Liborio, Seelsorger der Gemeinde, Haupt und Leiter des Unternehmens gewesen sei.

Inzwischen hatte auch ein auf den Feldern aufgefundener Knopf einer Carabinieri-Uniform Licht in die Dinge gebracht. Der Knopf trug die Firma eines Schneiders von Novara und dieser gab die Adresse des Bestellers in Termini an. Alle Fäden liefen in dem Hause des Seelsorgers Don Liborio Quattrocchi zusammen, der, wie sich im Verlaufe des Prozesses durch Zeugen, durch sein und fast aller Mitschuldigen Geständnis herausstellte, der „Capo assoluto“, das gebietende Haupt der Maffia war und bereits gegen acht „Se- questrationen“ geleitet hatte. Sein Bruder, der Apotheker, und sein Neffe, Giuseppe Giulio, waren Helfershelfer gewesen. Der Großrat der massiosen Verbrüderung versammelte sich abends unter dem Vorwand eines Spielchens in dem Laboratorinm der Apotheke.

Das Geschäft war einträglich, denn der Kassierer der Maffia zahlte von Arrigos Gelde dem Priester allein 30000 Lire aus; 10000 erhielt dieser für gehabte Auslagen, 20000 als Direktor der Maffia. Der Prozeß konnte wegen Bedrohung der Richter und Geschworenen durch die Maffia nicht auf Sicilien geführt werden, er wurde vor das Tribunal von Trani in Apulien verwiesen.

Bis zu welchem Grade von Frechheit, meinetwegen Tollkühnheit, die Hehler der Maffia gelangen, ist aus folgendem Geschichtchen, das in dem Büchelchen „I Masnadieri Giulianesi“ (die Räuber von Giuliana) erzählt wird, zu ersehen.

Ein gewisser Signorelli war von der Bande, die in Giuliana, Kreis Corleone, „ansässig“ war, sequestriert worden. Er wurde eifrig gesucht, war aber nirgends aufzufinden. Eines Tages rückt ein Trupp von fünfunddreißig Soldaten unter Führung des Kommandanten von Mazzara dem stark anrüchigen „Gevatter“ Castrenze Tamburello vors Haus. Der Kommandant tritt ein und findet den Mann „schwerkrank“ zu Bett. „Wie geht’s, Gevatter Castrenze?“

„Wie’s eben mag, teurer Herr Kommandant. Schlecht, in Monreale hab’ ich mir ’s Fieber geholt.“

„Das thut mir leid, und um so mehr, als ich Euch einen guten Vorschlag zu machen hätte.“

„Das ist gleich. Sagen Sie, Herr Kommandant, womit ich Ihnen dienen kann!“

„So hört, Gevatter Castrenze, ich habe einen guten Platz als Flurschütze zu Eurer Verfügung, und das ist nicht alles. [95] Ich füge die schöne Summe von 4000 Lire hinzu, wenn Ihr mir den bewußten Dienst erweist. Ihr wißt Näheres von der Sequestration Signorellis, Ihr wißt auch, daß sie ein Werk der Giulianesen ist. Gebt mir nur einen Faden, an dem ich mich halten kann, um die Bande und den Gefangenen zu finden.“

Und hier ist zu sagen, daß der arme, schon lange so schmerzlich Gesuchte im Nebenzimmer lag, von den Sprechenden nur durch eine dünne Wand getrennt, behütet von zwei Briganten!!

„Ich bin schwer krank, Herr Kommandant, zu nichts gut. Das Fieber wird mich verbrennen; um aber Ihrem Vertrauen, mit dem Sie mich beehren, entgegenzukommen, nehme ich den Vorschlag an. Sobald ich mich nur einigermaßen wieder rühren kann, werde ich etwas thun und Sie von dem, was ich in Erfahrung bringe, schleunigst, auch telegraphisch, in Kenntnis setzen.“

Und der Kommandant, der eine Luft mit den Räubern atmete, solche Frechheit aber nicht ahnte, ging weg, zufrieden, einen „Confidente“, einen „Vertrauensmann“ gefunden zu haben.

Siebenunddreißig Tage schon lag der Gefesselte in Gevatter Castrenzes dumpfiger Kammer, als an einem Novemberabende das Haus plötzlich und gänzlich unerwartet von einem Trupp Bersaglieri und Carabinieri umstellt wird. Gevatter Castrenze steht auf der Schwelle und schaut, die Hände in den Hosentaschen, dem Vorgange gelassen zu. Das Volk läuft neugierig herbei. Der Offizier tritt kurz auf Castrenze zu und fragt:

„Seid Ihr Castrenze Tamburello?“

„Zu dienen, Herr Lieutenant.“

„Gut. Wen habt Ihr im Hause, Tamburello?“

„Niemand.“

„Dann öffnet die Thür!“

„Ihnen zu dienen. Ecco!“

„Gut! Oeffnet auch die Thür zu jenem Zimmer!“

„Das thut mir wirklich leid. aber den Schlüssel hat mein Bruder mitgenommen.“

„Wenn der Schlüssel fehlt, so ist hier eine Axt, die als Schlüssel dienen kann. Brecht die Thür auf!“

„Trotz des Schadens, der meinem Eigentnm zugefügt wird, gehorche ich, Herr Lieutenant.“

Durch diese Bereitwilligkeit glaubte er den Offizier zu überzeugen, daß wirklich niemand da drinnen sei, und er hatte sogar die Frechheit, die ersten Schläge gegen die Thür zu thun. Da er aber sah, daß der Lieutenant ruhig wartete, bis die Thür aufspränge, setzte er ab und suchte einen andern Ausweg.

„Ich bin ein ehrlicher Mann,“ sagte er, „und will mein Gewissen nicht mit dem Schaden belasten, der daraus entstehen könnte. Hören Sie, meine Herren, ich sage Ihnen die Wahrheit ... Hier drinnen stecken wirklich die Räuber und ihr Gefangener Signorelli mit ihnen. Wenn Sie mir erlauben – es ist nur, um größeren Schaden zu verhüten – so gehe ich hinein und werde alles thun, die Dinge zu einem friedlichen Abschluß zu bringen.“

Und Offizier, Carabinieri und Bersaglieri gingen wiederum auf den Leim. Sie ließen ihn im guten Glauben eintreten, die Thür hinter sich schließen und mit den Briganten unterhandeln.

Die Kapitulation schien gesichert. Gevatter Castrenze aber hatte kaum die Thür fest hinter sich geschlossen. als er den befreundeten Räubern zurief: „Eine Flinte her und geben wir Feuer!“

Sofort wurde das Feuer eröffnet und die überraschte Truppe sah einen der Ihrigen nach dem andern fallen durch die wohlgezielten Schüsse der Verzweifelten, die ihr Leben teuer verkauften, nur mit großer Mühe überwältigt und der Behörde überliefert wurden.

Das sind Fälle des in seiner „Technik“ wohlbewanderten, vortrefflich organisierten (vortrefflicher jedenfalls als bisher die öffentliche Gewalt) „Brigantaggio militante“. Handwerkspfuscherei, bloßes Dilettantentum ist der gemeine „Malandrinaggio“ (Straßenräuberei), der sich schließlich an jedermann vergreift, der auch in seiner jüngsten Ueberhandnahme dem fremden Besucher der Insel verderblich werden könnte.

Hier ein letzter Fall vom 29. Oktober 1893. An diesem Tage erschienen vier lumpige Kerle, mit Hinterladern bewaffnet, vor einer einsamen Meierei der Herzogin Fernandina und sprachen den Campiere Salvatore Albo um Brot an. Albo suchte sie rasch zu bedienen, ging ins Haus und ließ sie allein mit dem Aufseher Ortolevo. Dieser wurde jetzt zu Boden geworfen, gebunden und beraubt. Plündernd drangen die Räuber darauf in die Wohnung ein, raubten 200 Patronen, 4 Kilo Pulver, 3 Flinten und für 500 Lire Geld und Wäsche. Der Campiere Albo entfloh, doch schossen die Räuber ihm nach und töteten ihn. Der am Boden liegende Aufseher erhielt mehrere lebensgefährliche Dolchstiche und blieb hilflos liegen. Die Nacht verbrachten die Burschen auf dem benachbarten Landhaus Montoscuro, wo sie am nächsten Morgen durch eine Abteilung Carabinieri und Bersaglieri umzingelt wurden. Es waren drei polizeilich „Vorgemerkte“ aus Alcamo dabei, die schon viel auf dem Kerbholz hatten.

Man spricht von der Schwäche der Behörden und von ihrer Bestechlichkeit, man weiß für seine Sicherheit keinen Rat und unterwirft sich dem mächtigeren Gesetz, dem der Maffia. Es ist wahr, die hierher versetzten, meist oberitalienischen Beamten, Präfekten, Unterpräfekten, Präfekturräte, Justizbeamte, Quästoren und Prätoren kennen die Sitte des Volkes nicht, beleidigen den Stolz und die Eitelkeit der Sicilianer und werden doch von diesen als „Hungerleider“ angesehen. Daneben wird tausendfach geklagt, daß die Insel als Strafplatz angesehen werde, daß die, die in den anderen Provinzen „drüben“ sich unmöglich gemacht, Bestecher und Bestochene, hierhergeschickt werden. Die Gerichtsbehörden sind überfaul, ihr Ruf ist sehr bedenklich. Ganz öffentlich erzählt man sich entsetzliche Geschichten von ihrer Bestechlichkeit und grausamen Ungerechtigkeit. Auf der andern Seite freilich ist die Arbeit an den Tribunalen und Schwurgerichtshöfen erdrückend groß und nicht zu bewältigen. Mit der überhandnehmenden Not wächst das Verbrechen. So lagen Ende 1893 allein in dem Gefängnisse von Girgenti, das für 375 Gefangene knapp eingerichtet ist, deren 450, und obschon sich die Gerichtshöfe in Dauer erklärt haben, müssen doch viele Gefangene zwei, drei, vier und mehr Jahre warten, ehe die „Reihe“ an sie kommt.

Das Volk ist müde und hungrig. Es nimmt den letzten Rest seiner Kraft zusammen, schüttelt die letzte Scheu ab, und was vordem im Finstern rachsüchtig sich der Maffia anschloß, tritt jetzt offen auf den Markt. Wie schon einmal!

Damals, im römischen Altertum, wo die Sklavenkriege das unerträgliche Joch brechen sollten. Das war vor 2000 Jahren. Wie Feuer im Stroh strich der Brand des Aufruhrs über die Insel und 200000 Sklaven liefen alsbald dem Freiheitsbanner zu. Das machte dem mächtigen Rom viel zu schaffen, fast sechs Jahre lang hielten sich die schlechtbewaffneten Knechte gegen die Kohorten der Römer, den Staat hart bedrohend.

Nur wenig hat sich seit jener Zeit im „Herzen“ Siciliens geändert; mag es mit Eisenbahnen, Maschinenfabriken, Telegraphen und elektrischem Licht beglückt worden sein: das Sklavenwesen dauerte an und Moder und Staub des Mittelalters liegt auf allen socialen Verhältnissen und Einrichtungen.

Es sind die Nachkommen jener antiken Sklaven, die sich heute, von wirklicher Not gedrängt, zu Bünden (Fasci), zu einem großen Inselbunde zusammenschlossen, zahlreicher als ihre Vorfahren, denn der lawinenhaft anwachsende Körper zählte Ende letzten Jahres bereits über 350000 Mitglieder, Männer und Weiber.

Auf den Fahnen des alten deutschen Bundschuhs stand geschrieben: „Nichts als die Gerechtigkeit Gottes!“ Mit Gott und Kirche wollen aber die sonst so demutsvollen, religiös fanatischen Bauern und Arbeiter der „Fasci“ nichts mehr zu thun haben, sie wollen ihre Wunder selbst verrichten, dazu hat man sie aufgerufen. Ihre Vorsteher huldigen fast alle socialistischen Dogmen; von diesen versteht das tief unwissende Volk nichts, aber man hat ihm gesagt, daß aus der Union eine Revolution, aus dieser eine Verbesserung ihrer Lage hervorgehen werde. Sie folgen ihren Führern, die leider oft genug der Maffia angehören, blindlings, legen Hacke und Schaufel nieder und wollen die Herren aushungern.

Das Volk hat einen neuen Glauben gefunden, läutet die Glocken, schwingt die Fahnen und sein Feldgeschrei lautet: „Abbasso le tasse! pane e lavoro!“ „Nieder mit den Steuern! Brot und Arbeit!“

Für den Augenblick scheint es, als ob das Massenaufgebot von Truppen, die man nach Sicilien gesandt hat, den lodernden Brand etwas gedämpft habe. Aber es steht zu fürchten, daß dies nur eine trügerische Ruhe sei, daß unter der scheinbar geglätteten Oberfläche die alten vulkanischen Gewalten weiter kochen, um eines Tages mit erneuter Glut hervorzubrechen, Schrecken und Zerstörung um sich her verbreitend. Nur von einer gründlichen Neugestaltung der verrotteten Zustände auf der Insel – und das wird eine lange, mühevolle, von einem zielbewußten Geiste geleitete Arbeit erfordern – darf man für dieses von der Natur so verschwenderisch ausgestattete Land wirklich bessere Tage erhoffen.




  1. Das Wort „Maffia“ findet sich im italienischen Wörterbuch und bedeutet „Elend, Unglück“. Aber das sicilianische „Maffia“ hat damit nichts zu thun, es ist ein Dialektwort von einer ursprünglich durchaus guten Bedeutung. In Palermo nannte man, ehe die Bedeutung sich so auf die schlimme Seite verschoben, ein nettes, sich in Kleidung. Gang und Haltung auszeichnendes Mädchen „maffiusa, maffiusedda“, ebenso war ein sauberes, freundliches Häuschen, das die Blicke auf sich lenkte, „maffiusedda, ammaffiata“, ja ein in die Augen fallendes hübsches Hausgerät war „maffiusa“, selbst Früchte und Besen wurden auf den Straßen als „maftiusi“ ausgerufen. So erzählt der Sicilianer Luigi Capuana. So wurde also mit dem Worte „Maffia“ die Idee von etwas Hübschem, sich aus dem gewöhnlichen Hervorhebenden verbunden, und wandte man es auf den „Mann“ an, so wollte es sagen: „Bewußtsein, Mann zu sein, Sicherheit des Geistes, Kühnheit“, nie aber „Prahlerei, Frechheit, Verwegenheit“ – gerade wie unser „schlecht“ ursprünglich „schlicht, grad, einfach, klar, sanft, freundlich“ bedeutete und erst in seiner Weiterentwicklung den schlimmen Sinn erhielt. So nahm das Wort „Maffia“ von 1800 ab seine böse Bedeutung an und behielt sie nach dem Drama eines gewissen Rizzotto: „I Maffiusi di la vicaria“, das in packend geschriebenen Scenen das Leben und Treiben der palermitanischen Camorristen schilderte. Bonfadini bestimmt die Maffia von heute so: „Die Maffia ist nicht durchaus eine genau präcisierte Geheimgesellschaft, sondern die Entwicklung und die Vervollkommnung der Gewaltthätigkeit, der das Böse Zweck und Absicht ist. Sie ist die instinktive, brutale, interessierte Solidarität, die zum Schaden des Staates, der Gesetze und der geregelten Organismen alle jene Individuen und socialen Schichten vereint, die es lieben, ihre Existenz und ihr Wohlbehagen nicht aus der Arbeit, sondern aus der Vergewaltigung. dem Betruge und der Einschüchterung zu ziehen.“ Die Maffia steht somit als eine gesetzlose Masse zwischen den großen Grundbesitzern und dem arbeitenden Volke mitten inne, beide gleichermaßen vergewaltigend und aussaugend. Die „fasci dei lavoratori“, die Arbeiter- und Bauernbünde, welche neuerdings auf Sicilien zu so großer Bedeutung gelangt sind, richten ihre Spitze sowohl gegen die Maffia als gegen den Großbodenbesitz, sie sind gleichsam eine Gegen-Maffia.
  2. Truck = Tausch. Der Arbeiter wird nicht in barem Geld, sondern in Naturalien u. a. abgelohnt.
  3. Deutsch von W. Kaden in „Sonnenbrut“, Dresden 1887.
  4. Onze, eine sicilianische Rechnungseinheit alten Stils = drei neapolitanische Ducati = 10 Mark unseres Geldes; 30000 Onzen also = 300000 Mark.