Aufzählung der Hauptfolgerungen, zu welchen die Entdeckung des schwefelsauren Stickstoffoxyds Anlaß gegeben, nebst einer experimentellen Beweisführung vom Nichtdaseyn dieses Salzes

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Annalen der Physik und Chemie
Band LXIII, Heft 11, Seite 455–459
Corneille Jean Koene
Aufzählung der Hauptfolgerungen, zu welchen die Entdeckung des schwefelsauren Stickstoffoxyds Anlaß gegeben, nebst einer experimentellen Beweisführung vom Nichtdaseyn dieses Salzes
Hinweis: Die Anzahl der Sauerstoffatome in den Verbindungen wird hier nach Berzelius mit Punkten über den chemischen Zeichen angegeben. Stets zwei-atomige Partner des Sauerstoffs werden mit einem waagerechten Strich durch das untere Drittel ihres chemischen Zeichens dargestellt.[WS 1] Beispiel: für lies .
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XIII. Aufzählung der Hauptfolgerungen, zu welchen die Entdeckung des schwefelsauren Stickstoffoxyds Anlaß gegeben, nebst einer experimentellen Beweisführung vom Nichtdaseyn dieses Salzes; vom Dr. Koene;
Professor der Chemie in Brüssel.

Als Hr. H. Rose Stickstoffoxyd über wasserfreie Schwefelsäure leitete, erhielt er eine weiße feste Verbindung, die an der Luft nicht rauchte, und sich erst in ziemlich hoher Temperatur verflüchtigte.

Obwohl diese neue Verbindung mit Alkohol salpetersaures Aethyloxyd bildete, betrachtete der deutsche Chemiker sie doch als bestehend aus Schwefelsäure und Stickstoffoxyd, und gab ihr die Formel [1].

Die Entdeckung dieser Verbindung veranlaßte bald verschiedene theoretische Betrachtungen, und erlaubte sich über die Natur, Constitution und Reaction mehrer Verbindungen auszusprechen.

Die Untersalpetersäure (l’acide hypoazotique) statt, wie bisher angenommen worden, die Zusammensetzung [456] zu haben, war dagegen nach der Formel constituirt[2].

Das Product der ersten Phase der Einwirkung des Phosphors auf die Salpetersäure war eine Verbindung analog jener[3].

Das krystallinische Product, welches Herr Kuhlmann erhielt, als er ein Atomgewicht wasserfreier Schwefelsäure mit einem Atomgewicht Salpetersäure destillirte, hatte dieselbe Zusammensetzung wie das schwefelsaure Stickstoffoxyd[4].

Dasselbe Sulfat bildete sich durch Wirkung siedender Schwefelsäure auf kleine Mengen von Salpetersäure[5].

Dieselbe Verbindung entstand auch bei Eindampfung englischer Schwefelsäure[6].

Durch Wirkung von trocknem oder feuchtem Stickstoffoxyd auf gewöhnliche Schwefelsäure erhielt Herr Adolph Rose dieselbe Verbindung[7].

Auf die Existenz dieses Salzes hat Hr. Pelouze eine Darstellungsweise desselben gegründet[8].

Nach Hrn. Reinsch bilden Phosphorsäure[WS 9] und Arsensäure mit dem Stickstoffoxyd Verbindungen analog dem schwefelsauren Stickstoffoxyd[9].

Allein die aus dem Daseyn dieser Sulfate hergeleiteten Folgerungen würden hiebei nicht stehen bleiben. Es würde andere, noch wichtigere geben, wenn die Beobachtungen der HH. H. und A. Rose richtig wären.

[457] In der That, wenn das Stickstoffoxyd fähig wäre, sich mit der Schwefelsäure, Salpetersäure u. s. w. zu verbinden, so würde es offenbar gegen Säuren die Rolle einer Basis spielen, und die Nitro-Sulfate des Hrn. Pelouze könnten alsdann anders betrachtet werden, als es dieser Chemiker thut. Nun aber gab es, ehe ich die Natur der Oxysulfo-Schwefelsäure kennen lehrte, unter den vielen Verbindungen der schwefligen Säure nur eine, welche annehmen ließ, die schweflige Säure spiele eben sowohl die Rolle eines Radicals als die eines zusammengesetzten Körpers, und diese Verbindung war die Nitro-Schwefelsäure. Alle übrigen, welche die schweflige Säure mit einfachen oder zusammengesetzten Radicalen eingeht, konnten als binäre Körper mit einfachem Radical oder als Gruppen binärer Körper mit einfachem Radical betrachtet werden. Dasselbe gilt von einer großen Anzahl analoger Verbindungen, namentlich von folgenden:

[10]

Gegenwärtig, da wir die Natur der schwefligen Säure besser kennen und die Constitution der Sauerstoffsäuren des Schwefels kein Räthsel mehr ist[11], läßt sich leicht beweisen, daß das in der unorganischen Chemie rücksichtlich der sauerstoffhaltigen Verbindungen aufgestellte Princip in einer großen Zahl von Fällen mangelhaft ist; und wenn Hr. H. Rose nicht die Existenz des [458] schwefelsauren Stickstoffoxyds angegeben hätte, würde hinsichtlich der Functionen dieses Oxyds kein Zweifel existiren.

Gestehen wir indeß, daß unter den sauerstoffhaltigen Verbindungen, welche man die Rolle einfacher Körper spielen läßt, sich welche befinden, deren Natur noch nicht hinreichend studirt worden ist, um sie als Radicale zu betrachten. Dahin gehört z. B. die Untersalpetersäure, welche die französischen Chemiker eine wichtige Rolle bei organischen Verbindungen spielen lassen. Auch habe ich, um die Natur dieser Säure besser kennen zu lernen, mir vorgesetzt, die Wirkung derselben auf die Chlorwasserstoffsäure zu studiren, deren Element eine analoge Rolle zu spielen scheint, wie die Untersalpetersäure gegen Verbindungen mit zusammengesetztem Radical. Allein da diese Untersuchungen die Kenntniß der Eigenschaften des schwefelsauren Stickstoffoxyds erfordern, und diese Eigenschaften noch nicht recht ermittelt sind, so habe ich zuvörderst versucht, diese Verbindung mittelst wasserfreier Schwefelsäure und darauf mittelst einfach gewässerter Schwefelsäure zu bereiten. Ich traf die Sorgfalt, vor der Operation die Luft des Apparats mittelst eines Stroms von Kohlensäure auszutreiben. Dieser Apparat war so eingerichtet, daß das Stickstoffoxyd gewaschen und getrocknet werden konnte, ehe es mit der Schwefelsäure in Berührung kam. Nach der Operation trieb ich das gasige Stickstoffoxyd aus, durch Herstellung des Gasstroms, der zuvor die Luft ersetzt hatte. Bei Untersuchung des Productes der Reaction habe ich an demselben keine anderen Eigenschaften gefunden als die, welche einer mit einigen Spuren salpetriger Säure verunreinigten Schwefelsäure zukommen.

Schließen wir aus diesen Thatsachen:

1) Daß die HH. H. und A. Rose, indem sie das Stickstoffoxyd nicht wuschen und auch nicht bei Ausschluß der Luft arbeiteten, nur analoge Krystalle entstehen sahen, wie sie in den Bleikammern sich bilden.

[459] 2) Daß es auch diese Verbindung ist, durch deren Erhitzung mit schwefelsaurem Ammoniak Hr. Pelouze sich Stickstoff verschafft hat.

3) Daß es analoge Verbindungen sind, die Herr Reinsch dargestellt hat.

4) Daß in den Oxynitrosulfaten das Stickstoffoxyd die Rolle eines einfachen Körpers spielt.

In Betreff der Wirkung, welche siedende Schwefelsäure auf Stickstoffoxyd ausübt, werde ich in einer Abhandlung über die Natur des Königswassers und die der Untersalpetersäure nächstens zeigen, daß das aus dieser Reaction entspringende Product eine Verbindung von Schwefelsäure und salpetriger Säure ist.

  1. Poggendorff’s Annalen, Bd. XLVII S. 605.[WS 2]
  2. Poggend. Ann. Bd. 47 S. 605[WS 3] Berzelius, Jahresb. 1843, S. 29[WS 4]
  3. Berzelius, Jahresbericht, 1841, S. 32.[WS 5]
  4. Ebendaselbst, 1843, S. 31.[WS 6]
  5. Poggendorff’s Annalen, Bd. 50 S. 161.[WS 7]
  6. Ebendaselbst.
  7. Ebendaselbst.
  8. Ann. de chim. Ser. III T. II p. 49.[WS 8]
  9. Journal f. pract. Chemie, Bd. XXVIII S. 391. [WS 10]
  10. Das Symbol bezeichnet ein Aequivalent Chlor.
  11. S. meine Betrachtungen über die Constitution der Producte, die aus der gegenseitigen Einwirkung von schwefliger Säure und Eisen oder Zink entspringen. (Annalen, dies. Band, S. 245 und 431.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. J. J. Berzelius: Lehrbuch der Chemie. 5., umgearbeitete Auflage. Arnoldische Buchhandlung, Leipzig 1856, Bd. 1, S. 120 ff. MDZ München
  2. Heinrich Rose: Ueber eine Verbindung der wasserfreien Schwefelsäure mit dem Stickstoffoxyde. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 123, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1839, S. 605 Quellen
  3. Heinrich Rose: Ueber eine Verbindung der wasserfreien Schwefelsäure mit dem Stickstoffoxyde. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 123, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1839, S. 605 Quellen
  4. Jacob Berzelius: Jahres-Bericht über die Fortschritte der Chemie und Mineralogie. 22. Jg. (1843), S. 49 Thulb Jena
  5. Jacob Berzelius: Jahres-Bericht über die Fortschritte der physischen Wissenschaften. 20. Jg. (1841), S. 57 [vertauschte Seitennummer?] Google
  6. S. 54 Google
  7. Adolph Rose: Ueber die Verbindung des Schwefelsäurehydrats mit Stickstoffoxyd. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 126, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1840, S. 161 Quellen
  8. J. Pelouze: Observations sur la décomposition de l’ammoniaque par les combinaisons de l’azote avec l’oxygène. In: Annales de chimie et de physique. 3. Ser., Bd. 2 (1841), S. 47 Gallica
  9. Vorlage: Phosporsäure
  10. Reinsch: Ueber die Verbindungen des Stickstoffoxyds mit Säuren. In: Journal für praktische Chemie. Bd. 28 (1843), S. 391 MDZ München