Aus Karl Vogts Jugendzeit

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Textdaten
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Autor: Johannes Proelß
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Titel: Aus Karl Vogts Jugendzeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 816–819
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus Karl Vogts Jugendzeit.

Unter den vielen bedeutenden Forschern, deren gemeinsames Lebenswerk unserm Jahrhundert die Bezeichnung des „naturwissenschaftlichen“ eingetragen hat, ragte Karl Vogt bis an sein Ende unter denen hervor, die neben dem Drange, selbst zu forschen, den Trieb in sich fühlten, die Resultate der Forschung allen Kreisen des Volkes mitzuteilen. Wie wenige hat er es verstanden, dies in einer wirklich volkstümlichen, gemeinverständlichen und anregenden Weise zu thun. Der gelehrte Zoologe und Geologe, der in hundert Specialarbeiten die großen Erkenntnissätze der natürlichen Entwicklungslehre erprobt und bestätigt hat, war zugleich ein deutscher Volksschriftsteller ersten Ranges, der als solcher wesentlich dazu beigetragen hat, jene Forschungsresultate der allgemeinen Volksbildung zu vermitteln. Als solchen ihn zu rühmen, war nach seinem am 5. Mai vorigen Jahres erfolgten Tode ganz besonders die „Gartenlaube“ berufen, die er so oft als Tribüne benutzt hatte, um in seiner frischen, von Geist und Laune belebten Darstellungsweise neue Fragen und Errungenschaften der Naturwissenschaft vor das Forum des weitesten Leserkreises zu bringen. Wie auf seiner ersten großen Forschungsreise nach dem Nordkap hat er in allen Phasen seines späteren Gelehrtenlebens unter dem frischen Eindruck neuer Eroberungen des Wissens zur Feder gegriffen, um mit froher Entdeckerlust in der „Gartenlaube“ über dies Neue zu berichten und dessen Wert festzustellen für das Gemeinwohl und den allgemeinen Bildungsschatz der modernen Menschheit.

Schon damals ist an dieser Stelle Karl Vogts Eigenart als Volksschriftsteller im Zusammenhang gewürdigt worden mit seiner Thätigkeit als Volkstribun in jenen Freiheitskämpfen des deutschen Volkes, welche das Metternichsche Polizeiregiment niederwarfen und der Entwicklung des Vaterlands zum neuen Reich freie Bahn schufen. Wie tief aber dieser Zusammenhang schon in Vogts Herkunft und in den Verhältnissen, unter denen er aufwuchs, begründet war, das entzog sich bisher unserer näheren Kenntnis. Erst das Fragment seiner Selbstbiographie, welches vor kurzem unter dem Titel „Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke“ bei Erwin Nägele in Stuttgart erschienen ist, verbreitet darüber Licht, und zwar in ebenso reichlicher wie vielfach überraschender Weise. Das Buch schildert die Jugendzeit Karl Vogts bis zu seiner ersten Flucht als politisch Verfolgter nach der Schweiz und seinen ersten Versuchen, dort als Gelehrter festen Fuß zu fassen. Die Absicht des greisen Forschers, diese „Rückblicke und Erinnerungen“ auch durch seine Mannesjahre fortzusetzen, ward leider durch seinen Hingang vereitelt; der Tod nahm ihm die nimmermüde Feder aus der Hand. Seine Kunst, über ernste Dinge amüsant zu plaudern, hat Karl Vogt in diesen Aufzeichnungen ganz besonders bewährt. Was die alte Musenstadt des Nassauer Hessenlandes, Gießen, an komischen Originalen in den Jahren besaß, da die Knaben des Professors Wilhelm Vogt in ihr echte und rechte Gassenjungen und daneben auch Gymnasiasten waren, das läßt er auf dem Wege zu den Stätten seiner Jugendspiele und Jugendthaten mit frohem Behagen vor uns aufmarschieren. Dennoch ist die Hauptwirkung des Buches ernst belehrend und anregend zum Nachdenken über die wichtigsten Fragen der Erziehung und Bildung, wobei die leitenden Gedanken der Ueberzeugung Vogts entstammen, daß die Wissenschaft und alles Lernen tot ist, wenn sie nicht das Leben [818] befruchten, das Leben der Einzelnen wie das der Gesamtheit! Sein eigenes Charakterbild aber entwirft er als echter Darwinianer nach den Grundsätzen der Entwicklungslehre; „ich bin der Meinung,“ sagt er in dieser Beziehung, „daß der Einzelne nicht nur das Produkt seiner Ahnen, sondern auch seiner Umgebung ist und daß die zuerst einwirkenden Eindrücke auch diejenigen sind, welche den größten und nachhaltigsten Einfluß üben.“ Und indem er unter diesem Gesichtspunkt sein Werden betrachtet, entsteht ganz unabsichtlich der Nachweis, wie er seine besondere Geistesrichtung dem Umstand zu danken gehabt hat, daß er im Gegensatz zu den anderen Professorenkindern, deren Eltern aus der Ferne nach Gießen berufen waren, ein Gießener Stadtkind war, tausendfach verwachsen mit alteingesessenen Familien des Hessenlandes, in denen teils die Geschicklichkeit eines Handwerkes, teils die Sorge für das öffentliche Wohl seit langem schon sich vererbt hatte.

Karl Vogts Urgroßvater väterlicherseits war ein ehrsamer Metzgermeister in dem drei Stunden von Gießen entfernten Städtchen Lich. Schon dessen Vorfahren waren Metzger gewesen, und als Karl Vogts Großvater Theolog und Pfarrer in einem reichen Dorfe der Wetterau, Dauernheim, wurde, schlug er damit aus der Art. Von dieses Pfarrers sechs Kindern war Karls Vater das jüngste; er durfte Medizin und Naturwissenschaften studieren und wurde Professor der Heilkunde und Arzneimittellehre in Gießen. Dieser Professor Wilhelm Vogt war, wie in der Neigung für die Naturwissenschaften so auch in Bezug auf die Lebensbahnen, die seinen Sohn im Jahre 1848 auf die Rednerbühne des ersten deutschen Parlaments und weiter in die Reichsregentschaft führten, in gewissem Maße sein Vorgänger. Schon Wilhelm Vogt war in die „demagogischen Umtriebe“ eng verstrickt, welche die Wiedergeburt des Vaterlandes im Zeichen der Einheit und Freiheit anstrebten und die im Anfang der dreißiger Jahre ihren Hauptherd in Hessen hatten. Wie Professor Jordan in Marburg, der Pfarrer Weidig in Butzbach, der junge Dichter Georg Büchner in Gießen, gehörte Professor Wilhelm Vogt zu den geistigen Führern der Bewegung, die 1833 im Frankfurter Attentat zu früh aufflackerte und kläglich verpuffte. Wie jene traf ihn die Verfolgung der Machthaber; fliehend mußte er Bern aufsuchen, dessen Universität ihm gerade rechtzeitig eine Professur angeboten hatte. Karl Vogts Mutter aber war die Schwester jener drei Brüder Follenius, welche, nachdem sie alle an den Befreiungskriegen gegen Napoleon rühmlichen Anteil genommen, zu Hegern und Pflegern der patriotischen Ideale in der Burschenschaft wurden, als solche der Verfolgung und Aechtung verfielen, im Ausland treue Verfechter des freiheitlichen Gedankens blieben, bis sie in fremder Erde ihr Grab fanden. Den Vater dieser drei opfermutigen Idealisten, die sämtlich auch poetisch veranlagt waren, also seinen Großvater mütterlicherseits, den Landrichter Follenius in Gießen, hat Karl Vogt als Knabe auch noch gekannt. Als derselbe nach Friedberg übersiedelte, bezogen Vogts das Follenius’sche Stammhaus. Mit seinen winkeligen Hintergebäuden war dieses schon seit dem ersten Verbot der Burschenschaft ein Schlupfnest für politisch Verfolgte gewesen, was es auch blieb. Auf dem Hof standen Turngeräte, an denen die vom Staat verpönte Turnkunst von heimlichen Burschenschaftern gepflegt ward, und das dahinterliegende Gasthaus zum Hirsch, dessen Wirt den Vogtschen Knaben sehr wohlwollte, war für diese verklärt von legendären Ueberlieferungen, deren Helden die beiden exilierten Onkel Follenius waren, die übrigens die lateinische Endung ihres Namens als undeutsch längst abgestreift hatten.

Der jüngste dieser drei Onkel, Paul, lebte aber noch während der Jugendzeit Karl Vogts in Gießen als Advokat; erst die durch das Frankfurter Attentat heraufbeschworene neue Demagogenverfolgung ließ ihn nach Amerika entweichen. Er war wie seine Brüder ein blonder Recke, hoch und schlank gewachsen, in allen Leibesübungen Meister, ein warmblütiger Idealist von hochfliegender Phantasie. Im Gegensatz zu ihm war die Art des Professors Vogt, Politik zu treiben, wie es dem Beruf des Mediziners entspricht, von realistischerem und praktischerem Wesen. Wenn der Onkel Follenius politisierte, sprach er von hohen Begriffen, für welche die Zeit noch keine Verwirklichung hatte; wenn er seinen Neffen Karl mit auf die Jagd nahm, fragte er beim Ausrücken „Knittelverse oder Hexameter?“ und den ganzen Tag durfte nur in der gewählten Versart gesprochen werden. Der Vater knüpfte seine politischen Bestrebungen am liebsten an das gemeine Bedürfen, und war er mit seinen Jungen im Garten vor der Stadt, so wies er ihnen, welche Sorgfalt und praktische Einsicht das Okulieren der Bäume erheischt. Und wie es ihm ein Fest war, einmal im Jahre in der weißen Metzgerjacke neben wirklichen Metzgergesellen das Handwerk seiner Ahnen am Hackbrett zu üben, indem er den Wintervorrat an Würsten im Hause selbst fabrizierte, so hielt er seine Kinder dazu an, jeden schlichten Bürgersmann, der seine Pflicht that, all den Professoren gleich zu achten, die es unter ihrer Würde hielten, sich irgendwie in die Bürgerschaft der Stadt zu mischen. Dafür war denn auch der Professor Vogt bei dieser ungemein beliebt, um so mehr, da er auch als Arzt dem Aermsten die gleiche Sorgfalt zuwandte wie den Höchstgestellten.

In der Metzgerzunft hatte er sich vollends einer begeisterten Verehrung zu erfreuen, sie betrachteten ihn sozusagen als Ehrenmitglied ihrer Gilde. Die Metzger aber bildeten das oberste Handwerk der Stadt, die damals noch einen sehr ländlichen Charakter trug und deren „Borjer und Ansässer“, soweit sie nicht als Hausbesitzer und Ladeninhaber von der Universität lebten, mit Vorliebe Landwirtschaft trieben. „Fast jede Bürgerfamilie,“ so schildert unser Buch den Zustand, „fütterte ein oder mehrere Schweine, welche im Winter geschlachtet wurden – viele, die eine größere Oekonomie besaßen, hatten auch eine oder mehrere Kühe. Täglich ertönten die verschieden gestimmten Hörner der Hirten durch die Straßen, öffneten sich Haus-, Hof- und Winkelthüren, um grunzende Schweine und schwerhinwandelndes Rindvieh zu entlassen – uns Buben immer zum Gaudium!“ Natürlich kamen diese Verhältnisse dem Stande der Metzger zu gute, und ihre Stimme fiel in Gemeindeangelegenheiten erheblich in die Wagschale. So hatte Professor Vogt die ganze Bürgerschaft hinter sich, sowohl als Gießener Gemeinderat wie auch bei der Wahl zum Abgeordneten von Gießen in die Kammer zu Darmstadt. Er wurde mehrmals in diese gewählt, betrat sie aber nie, weil ihm die Regierung stets den dazu nötigen Urlaub verweigerte. „Sein Einfluß,“ erzählt der Sohn, „wurde dadurch nur um so größer, und wie ihn einerseits die Bürgerschaft stützte und trug, so führte er sie anderseits größerer, politischer Selbständigkeit und gemessenem Fortschritt zu. Man nannte ihn deshalb auch oft scherzweise den ‚Großherzog von Gießen‘. Daß sich diese Zuneigung auch auf uns Kinder übertrug, war selbstverständlich – es erschien nur als ein Zufall, daß der Vater auch den Gelehrtenkreisen angehöre, und neben Eulers Konrad und Reibers Wilhelm (zwei anderen Professorssöhnen) standen Vogts Karl und Emil als vollkommen gleichberechtigte Bürgerssöhne da.“

Im übrigen waren Universität und Bürgerschaft in jener Zeit, wo Gießen noch keine Industrie hatte, nur 6000 Einwohner zählte und im Durchschnitt von 600 Studenten besucht ward, sozial durch mauerhohe Vorurteile getrennt. Der Student stand den jüngeren Bürgersöhnen ebenso schroff gegenüber wie der Professor den älteren Bürgern. Zu den Bällen und Gesellschaften der einen wurden die andern nicht zugelassen; der Professor schaute auf den Bierbrauer, den Metzger, den Kaufmann von oben herab, und der Bürger rächte sich dafür durch Schabernack und Verhöhnung der Schwachheiten und Vorurteile der Gelehrten. Die Titelsucht der Professoren wurde von den Bürgern in der Weise verhöhnt, daß die hervorragenden Gewerbtreibenden mit dem Titel „Rat“ belegt wurden – es gab einen „Wurstrat“, „Kappenrat“, „Bierrat“ – und diese Bezeichnungen verdrängten im Verkehr schließlich völlig die eigentlichen Familiennamen. Karl Vogt fügt hinzu, die „Räte“ aus der Bürgerschaft seien nicht minder komische Charaktere gewesen als manche der „Hofräte“ und „Geheimräte“ der Universität, deren Eitelkeit mit diesen Nebennamen gegeißelt wurde. Auch im Gymnasium herrschte ein pedantischer Kastengeist und die Erinnerungen, die unser Buch demselben widmet, gemahnen lebhaft an Ernst Ecksteins Schulhumoresken, die ja auch auf Erlebnissen im Gießener Gymnasium beruhen; ein getreuer Schulkamerad Karl Vogts war Franz Eckstein, der Vater Ernsts. Außer Griechisch und Latein, die ganz formalistisch betrieben wurden, ward in dem damals übelberufenen Gymnasium nichts gründlich gelehrt. Der Unterricht in Geschichte und Mathematik war ganz dürftig. Wer nicht zu Hause, durch Eltern und Bekannte, mit den deutschen Klassikern vertraut worden war, hätte aus der Schule nicht wissen können, daß es einen Lessing und Wieland, einen Schiller und Goethe gegeben habe. Von Naturwissenschaften keine Spur; nur in dem letzten Semester wurde eine sogenannte Physik einstündig gelehrt, die aus possenhaften Experimenten bestand. Da waren die [819] Anregungen, die dem gelehrigen Knaben das Vaterhaus und das Streifen durch die schönen Umgebungen der Lahnstadt bot, von größerem Wert! Seine Neigungen waren naturwissenschaftliche; er sammelte allerlei Getier, namentlich Schmetterlinge, züchtete Raupen.

Die Eltern ließen ihm für diese Liebhaberei volle Freiheit. Anderseits nahm ihn der Vater auch nicht an das Gängelband seines besseren Wissens. „Hilf Dir selber!“ war das Motto seiner Erziehung. Und schon als kleine Burschen ließ er seine beiden ältesten Söhne beim Beginn der Ferien, das Ränzel auf dem Rücken, hinauswandern auf die Vetternstraße, der zu Seiten allenthalben im Land Verwandte wohnten, Pfarrer, Beamte, Förster, wo sie früh in die verschiedensten ländlichen Verhältnisse Einblick gewannen und speziell Karl, der kleine Zoologe, mit den Tieren des Feldes und Waldes immer vertrauter wurde. In Dauernheim, dem stattlichen Dorf in der Wetterau, dessen Pfarre vom Großvater Vogt auf dessen Schwiegersohn Kolb übergegangen war, hatten die Knaben eine zweite Heimat, mit den Söhnen der Bauern dort standen sie auf Du und Du, und als Karl Vogt im zweiten Jahr seines Studiums als Mitglied des burschenschaftlichen Korps „Palatia“ zum Opfer der Demagogenverfolgung wurde – er sollte die revolutionäre Zeitschrift „Der Leuchter“ verbreitet haben – da fand er in Dauernheim die sicherste Zuflucht, und der Sohn eines dortigen Pächters stellte die Pferde zur weiteren Flucht. Weniger gemütlich als in dem reichen Pfarrdorf der Wetterau war’s in Gladenbach, wo die jüngste Schwester des Vaters an den Steuerkommissär Eckhard verheiratet war; der Aufenthalt dort gewährte ihnen Einblick in die im hessischen Hinterland herrschende Armut. In dieser armseligen Landstadt war ihnen der Revierförster Venator eine besonders sympathische Persönlichkeit. Er war sehr gutmütig und nahm die anstelligen Buben gern mit auf seine Dienstgänge in den Wald. Diesem Mann lag es ob, gegen Holzfrevler einzuschreiten und die Betretenen ihre Strafen durch Arbeiten im Walde abverdienen zu lassen. Aber Venator war nachsichtig. „Wie sollen denn die armen Leute durch den harten Winter kommen,“ sagte er, „wenn sie nicht Holz freveln? Kaufen können sie es nicht, und Schiefer, die sie zur Genüge haben, brennen nicht … Wenn es auf mich ankäme, ließe ich nur diejenigen abfassen, die Holz stehlen, um es zu verkaufen! Die sind Diebe – die andern nicht! Aber was wissen die Herren in Darmstadt von den armen Leuten im Hinterlande, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht wünschen!“

So hatte Karl Vogt, als er vom Gymnasium auf die heimische Universität überging, in der Schule des Lebens weit mehr gelernt als auf den Bänken der Schule. Und auf der Universität hatte er dann das große Glück, zu einem Lieblingsschüler desjenigen Gelehrten zu werden, der für seine Wissenschaft gerade darin ein Reformator war, daß er auf die praktische Verwertung ihrer Forschungsresultate den größten Nachdruck legte – das war der nachmals zu Weltruhm gelangte große Chemiker Justus Liebig. Auch in dessen Laboratorium herrschte der Grundsatz: Hilf Dir selbst! „Die heutigen ‚Bequemlichkeiten des Lebens‘ in den großen Laboratorien unserer Zeit waren noch nicht erfunden; man mußte sich seine Glasgerätschaften selbst blasen, die Korke schneiden und bohren, die Gummistöcke zu Röhren zusammenlöten, die Platintiegel schmieden.“ Ebenso ließ Liebig die bevorzugten unter seinen Hörern, die in seinen Privatlaboratorium arbeiten durften, durch eigenes Nachdenken und selbständige Versuche in der Welt ihrer Wissenschaft heimisch werden. Und wie er sie so vor allem zu praktischen Chemikern machte, so wies er ihnen praktische Ziele, Ziele, die auf Hebung der Industrie und Landwirtschaft ausgingen. Bei Liebig hat Karl Vogt, obgleich er sich die Chemie nicht zur Fachwissenschaft erkor, jene Geistesrichtung erhalten, die bei allen Errungenschaften des ernsten Forschens an den Gewinn dachte, welchen die Welt außerhalb der Wissenschaft aus ihnen ziehen konnte, jene Richtung, die, von seiner Kenntnis des Volks und seiner Begeisterung für die Interessen des Volks genährt, ihn später zu einem so ausgezeichneten Volksschriftsteller unter den Gelehrten der von ihm gepflegten Wissenschaften werden ließ. Auch hierin folgte er Liebigs Beispiel direkt; als dieser 1844 seine „Chemischen Briefe“ erscheinen ließ, die darauf ausgingen, die gewaltigen Fortschritte der Chemie dem allgemeinen Verständnis nahe zu bringen, auch der Hausfrau nutzbar zu machen, ließ ihnen Vogt mit gleicher Tendenz seine „Physiologischen Briefe“, seine „Zoologischen Briefe“ folgen, und in seinen „Untersuchungen über Tierstaaten“ knüpfte er an seine naturwissenschaftlichen Darlegungen politische Kritik und politischen Ratschlag. Diese seine Thätigkeit als wissenschaftlicher Volksschriftsteller bildete auch das Band, das ihn nach seiner dauernden Ansiedlung in der Schweiz mit dem Vaterland in innigem Zusammenhang erhielt, auch später, da er sich in Genf ganz als Schweizer Bürger fühlte und als Mitglied des Großen Rats und des Schweizer Nationalrats frei die politischen Talente entfalten durfte, deren energische Regsamkeit ihm in der Heimat seiner Jugend Acht und Verfolgung zugezogen hatte. Johannes Proelß.