Aus Pompeji

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus Pompeji
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 418–421
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[418]

Aus Pompeji.


„Sieh’, nun liegt im Staube Pompeji, zerbrochen, verschüttet,
Wie ein Gefäß, das spielend vom Sockel ein Knabe hinabwarf.
Larven bewohnen sie nun, und es schlüpft durch stille Paläste
Ekles Gewürm, auf GOld sich bettend und tyrische Seide.
Aber die ewige Nacht deckt köstliche Wunder der Schönheit.
Also rollet die Zeit gleich Kieseln des Feldes beständig
Werke und Werke der menschen, Prometheus’ Kinder verhöhnend,
Die aus Staube den Staub, armselige Schöpfer gestalten.
Schutt nur erben die Enkel, es sammelt die trauernde Nachwelt
Selbst die erhabenste That als splitternde Scherbe vom Schutt auf.“


Und diese Scherben setzten wir uns, wie Kinder im mühsamen Geduldspiel, Stück für Stück zusammen zu einem Spiegel, in dem sich einst die kleine römisch-griechische Welt Pompeji’s gespiegelt. Manches Stück fehlt, das Bild wird kein Ganzes, wer aber gute Augen und einen geübten Forschergeist hat, wer mit dem Auge des Künstlers, des Dichters schaut, der ergänzt das Fehlende, und aus den Trümmern leuchtet ihm das Gesicht einer zweitausend Jahre alten Vergangenheit entgegen, das uns wie eine Traumvision anmuthet.

Wir schauen in den Spiegel einer Cultur, die aus dem Verkehr der Stadt mit schönheitsfrommen Nationen des ganzen Erdkreises, aus der Herrscherkraft Roms, hellenischer Kunsttüchtigkeit, aus der Verbindung der Tugenden verschiedenster Völker nach und nach erwachsen war.

Ja, schön war sie, diese „Colonia Venerea Cornelia Pompeji“, die blühende Stadt der Venus, und beglückt waren ihre Tage. Sie badete ihren Fuß in den Wellen des friedlichsten [419] Meeres, ihr Haupt war gekrönt von bacchischem Laub und den silbernen Olivenzweigen Minervas. Hier athmete Alles Heiterkeit, Frieden und goldene Ruhe. Ueber den Marmortempeln der Venus, des Jupiter, des Hercules, der Isis und aller heiligen Götter, über den von frohen Menschen wimmelnden Plätzen, die von langen Säulenhallen gegürtet waren, über den zierlichen kleinen und den großen hochgeschwungenen Theatern spannte ein Himmel sich aus, der den Winter mild, den Sommer in sanfter Kühlung erhielt.

Aus Pompeji: Einzug der Braut in ihr künftiges Heim.0 Nach einer Skizze von Salvatore de Gregorio.

Auf den Straßen und Gassen aber lebte und webte ein Volk, das mit fleißigen und geschickten Händen die kostbaren Stoffe verarbeitete, welche die Kauffahrer, die im Hafen draußen an dem Seegestade dicht gedrängt, Mast bei Mast lagen, aus Aegypten, Afrika, Phönicien, Kyprus und von allen Küsten gebracht hatten. Reiche Kaufherren und Große, des Lebens in Rom müde, der Philosophie Epikur’s Ergebene kamen nach der Stadt am Vesuv, um sich prächtige Häuser und Villen zu bauen, sie zu schmücken mit allem, was das Leben verschönt und angenehm macht. Die Fußböden glänzten von zierlichen Mosaiken, die Wände in üppigen Farben und verführerischen Schildereien griechischer Künstler. Jeder Krug, jedwedes Gefäß, ein vollendetes Kunstwerk war’s, denn Jeder hatte sein Leben lang sich befleißigt, Schönes zum Schönen zu fügen. Hier wurde das kurze Leben in die vornehmsten Formen gegossen, und reizend flog es dahin, nicht schäumend, nicht traurigen Bodensatz zurücklassend.

Dies war die Stimmung in der Stadt vor der Katastrophe. Es kam der finstere Tag, die gluthflammende Nacht, wo der todtgewähnte Berg erwachte und in tollem Rasen seinen langverhaltenen Grimm austobte, wo Vulcan seine blühende Gattin Venus erwürgte und den häßlichen Todtenschleier über ihre holde Gestalt breitete ...

Fast siebenzehn Jahrhunderte waren seit jenem Schreckenstage vergangen, da kam die Auferstehung, da warf die Lebendigbegrabene die Grabtücher von den Schultern und schaute, eine Fremde, in die fremde Welt des achtzehnten Säculums. Fremd waren ihr die neugierig herbeidrängenden Menschen, Leute in Spitzhut mit Zopf und Perrücke, in seidenen Fracks und Bratenwesten, statt des Römerschwerts einen zierlichen Galanteriedegen an der Seite. Und sie wohnten nicht mehr in der Stadt, sondern kamen nur zu Besuch, wendeten die Steine um, lasen in den Albums der Alten und schleppten ihre zierlichen Geräthe und Statuen in die Museen und schrieben Bücher über das curiose Leben jener Zeiten.

Die Dichter besangen die Auferstandene, selbst Dichter aus dem Barbarenlande, dessen blonde Söhne einst Thürsteherdienste bei dem üppigen Römer verrichten mußten.

Und wie oft ist die Stadt „illustrirt“ worden, auf welch’ verschiedene Weisen, so aber, wie man sie jüngst illustrirte mit lebenden Menschen in echten „Scenen pompejanischen Lebens“, ist es noch nie dagewesen: ein vollkommenes Auferstehungsfest ward gefeiert. Die Schatten der Unterwelt kamen an’s Licht, gekleidet und ausgerüstet in Tuniken, Togen und Waffen wie vor achtzehnhundert Jahren, winkten einladend in alle Welt hinein und riefen: „Kommt und sehet! Das war Pompeji in jenen Zeiten!“

Es war in der That ein origineller Gedanke, ein Costümfest inmitten der ausgegrabenen Stadt abzuhalten, die alten Ruinen mit Masken aus altrömischer Zeit zu beleben. Drei Tage lang, 10., 11. und 13. Mai, dauerte der Festjubel.

Für den 10. Mai war zunächst ein Wagenkampf im Circus angesagt, an dem als Zuschauer auch Kaiser Vespasian theilnehmen sollte. Auch las man an den Straßenecken Anzeigen in altrömischen Schriftzügen:

Pro . Aenariae . Insulae . Oppidis
Terrae . Motu . Conlapsis
P. Januarii . Donati
Familia . Gladiatoria . Pugnabit
Pompejis . Sine . Ulla . Dilatione
III. Idus . Majas.

Deutsch würde die Ankündigung lauten:

„Für die durch Erdbeben geschädigten Ortschaften der Insel Aenaria[1]
wird die Gladiatorenschaar des P. Januarius Donatus ohne
irgend welchen Ausschub fechten, am 13. Mai.“

Das schaulustige aus aller Herren Ländern zusammengeströmte Publicum erwartete am ersten Festtage den Kaiser auf dem Forum, dem alten Markte von Pompeji. Da erschien er, der „göttliche Cäsar“, mit seinem Gefolge. Voran schritten die Priester der Isis, jener [420] orientalischen Göttin, die, als die heidnische Welt in Trümmer zerfiel, in Rom Anbeter gefunden. Die segenbringende Göttin der Ordnung war sie für die Einen, als Beschützerin der Ausgelassenheit von den Andern verehrt. Der altrömische Geist vertrieb sie mehr als einmal aus den Mauern der Stadt und verfolgte und kreuzigte ihre Priester, bis ihr Cultus vom Staate anerkannt wurde. Da sah man jetzt ihr Bild von Weihrauchwolken umgeben, von Priestern begleitet.

Aus Pompeji: Die Gräberstraße.0 Nach einer Skizze von Salvatore de Gregorio.

Mit glattrasirten Köpfen, den Oberkörper entblößt und eine Klapper in der Hand, so schritten sie anscheinend voller Würde dahin – gut getroffene Masken, zu denen die heutigen Zuschauer wohl ehrfurchtsvoller als die alten Römer hinaufblickten, denn in der Stadt auf sieben Hügeln standen einst die Isispriester in üblem Rufe, und man verachtete sie als Bettlergesindel. Aber die Cäsaren beschützten den Cultus der Isis, und so beugte sich das Volk vor ihrem Bild.

Dicht hinter dieser ersten Gruppe erscheint die kaiserliche Leibwache, Prätoriauer zu Fuß und zu Pferd, und ihnen folgt die Musikantenschaar mit Cithern, Cymbeln, Trompeten und Trommeln. Sie verkünden die Ankunft des Kaisers, der auf einer mit Elfenbein und Gold geschmückten Sänfte sich durch die Straßen von Pompeji tragen läßt. Senatoren, Ritter, Clienten, pompejanische Magistratspersonen beschließen den Zug, der in dem Eingange zum Circus verschwindet.

Der Wagenkampf ist beendet, lauter Jubel begrüßt die Sieger, und man freut sich, daß kein Unglück bei dem Wettrennen geschehen. Die Schauspieler und Zuschauer ruhen nunmehr aus, um am Abend das anmuthige Bild einer römischen Hochzeit zu spielen und zu schauen.

Schon wartet die Auserwählte im Hause ihrer Eltern auf den Hochzeitszug (pompa nuptialis), der sie zu ihrem Manne geleiten soll. Längst hat sie ihr Spielzeug den Göttern geopfert, längst ist der Ehecontract zwischen dem Vater der Braut und dem Bräutigam vereinbart und der eiserne Verlobungsring der zukünftigen Gemahlin übersandt worden. Nun steht sie da mit blumenbekranztem Haupt in den Schleier verhüllt, auf hohem Kothurn, daß sie stattlicher und größer erscheine. Es kommen die Freier, sie wird den Armen der Mutter entrissen, und der Zug setzt sich in Bewegung. Knaben eilen mit Hymensfackeln voran, Hochzeitslieder werden angestimmt, die Braut wird mit geheiligtem Wasser besprengt, daß sie gereinigt in das Haus ihres Mannes trete. Hinter ihr tragen die Freundinnen eine Spindel mit Wolle, das Symbol ihrer künftigen Pflichten. Vor dem Hause des Bürgers Cornelius hält der Zug, und man überreicht der künftigen Herrin Feuer und Wasser und fragt sie nach ihrem Namen. Demüthig erwidert sie ihrem Gemahl; „Wo Du Cajus sein wirst, werde ich Caja heißen.“ Nun wird sie mit kräftigen Armen über die Schwelle des Hauses gehoben und nimmt die Schlüssel in Empfang.

Aus Pompeji: Der Begräbnißzug.0 Nach einer Skizze von Salvatore de Gregorio.

[421] Hinter ihr verschwindet in dem Thor der bunte Zug, dessen Heiterkeit zu den grauen menschenleeren Ruinen, den Häusern ohne Dach nicht recht stimmen wollte. Lebhaft erinnerte diese pompa nuptialis an unsere Hochzeitsgebräuche, aber die hellen lebensfrohen „heidnischen“ Farben und die Musik der Tibien, der Cithern und des Tympanums führten unsere Sinne in’s Alterthum zurück, und dieses trug den Sieg der Schönheit davon. Von dem fackeltragenden Jüngling, den kerzentragenden Knaben, der ehrwürdigen Pronuba, welche den Hochzeitsfeierlichkeiten vorstand, den die Braut geleitenden Freunden des Bräutigams, den Mädchen, welche die Hochzeitsgeschenke, Rocken und Spindel nachtragen und Blumen auf den Weg streuen, von den Nüsse unter die Kinder werfenden Begleitern der Braut sind eine Menge Spuren zurückgeblieben in Ländern, welche, fern den Schienenwegen, noch nicht von moderner Cultur nivellirt worden sind. Nur die Sitte, die Pfosten des Bräutigamshauses, ehe die Braut naht, mit heiligem Oele oder Wolfsfett zu salben, die Braut mit kräftigen Armen über die Schwelle zu heben, damit ihr Fuß diese, ein böfss Omen, nicht berühre, ist wohl römische Sitte geblieben.

Wie die Hochzeit bei den Römern in der Regel am Abend abgehalten wurde, so pflegte man auch den Untergang des Tagesgestirns abzuwarten, bis man die Todten zur letzten Ruhestätte hinaustrug.[2]

Der Abend des zweiten Festtages, des 11. Mai, war dazu bestimmt, um ein echt römisches Begräbniß aufzuführen. Hier trat der Unterschied zwischen den Sitten der alten und neuen Welt deutlicher zum Vorschein. Die Leiche wurde im alten Rom bei angesehenen Leuten auf einer Sänfte aufgebahrt, Geringere trug man in schlichten Särgen hinaus; diese begleiteten alsdann vier Leute, die das Begräbniß besorgten und die man Vespillones nannte. Die Leiche des Kaisers trugen Senatoren, die eines Feldherrn dagegen seine Soldaten. Dem Trauerzuge fehlte nicht die Grabmusik. Trompeter und Flötenspieler schritten voran, umringt von Fackelträgern. Ihnen folgte der Archimime, ein Mann, der die Geberden und Handlungen anderer Menschen gut nachahmen konnte. Sein Gesicht bedeckte eine Wachsmaske, welche die Züge des Heimgegangenen wiedergab. Mit den Kleidern des Verstorbenen angethan, ging der Mime vor dem Sarge her und suchte in einem würdigen rhythmischen Tanze die wichtigsten Scenen aus dem Leben des Todten den Begleitern des Zuges in Erinnerung zurückzurufen

Aus Pompeji: Isispriester im Zuge des Kaisers.
Nach einer Skizze von Salvatore de Gregorio.

Bei Begräbnissen vornehmer Leute erschienen im Zuge mehrere Masken, welche die Ahnen derselben darzustellen hatten, oft auch für die Belustigung der Zuschauer sorgten. Auch Büsten der hervorragendsten Vorfahren wurden im Zuge manchmal getragen, niemals aber fehlten Klageweiber (praeficae), welche Todtenlieder (Naeniae) zu Ehren des Verstorbenen sangen. In ähnlicher Zusammensetzung bewegte sich auch der Trauerzug am 11. Mai in Pompeji nach der Gräberstraße vor die Thore der Stadt, um die Leiche des Militärtribunen Lucilius beizusetzen. Die Klageweiber erschienen in schwarzen langen ärmellosen Gewändern, mit aufgelösten Haaren, in schwarzen Togen und Tuniken auch die Verwandten, die Freigelassenen und Sclaven; die Mimen aber waren in die grellbuntesten Farben gekleidet und bildeten, wie die mailich-prangende, feurig-grüne Natur, schroffen Gegensatz zu dem Ernst der Handlung. Die jenen Vorgang abschließende Verbrennung (Crematio) des Todten war feierlich und menschlich schön, und darin waren die Römer uns, die wir durchaus etwas Anstößiges in dem Vergehen in Flammen finden wollen, ganz bedeutend voraus. Die fackeltragenden Vespillones („Todtengräber“ kann man sie füglich nicht nennen) erschienen, als sie die ernste, von Grabmalen eingefaßte Straße hinabschritten, den Genien des Todes ähnlich, wie die griechische Kunst sie darstellt.

An den Festtagen gab es außerdem Gladiatorenkämpfe in dem Amphitheater, denen der Kaiser mit seinem großen Gefolge beiwohnte, das außer den Priestern der Stadt, die wie der gemeinste Mann eine große Freude an den blutigen Spielen zeigten, aus den Spitzen der Behörden und dem entarteten Volke des Kaiserreichs bestand, welchem Panis et circenses (Brod und Spiele) über Alles, auch über die Freiheit gingen. Der Schluß brachte eine Beleuchtung des Forums, an dem die Basilika, das Gebäude der Priesterin Eumachia, der Tempel des Quirinus, der Jupitertempel und das Pantheon llegen, mit bengalischem Licht.

Die schönste Beleuchtung aber übernahm der Vollmond, der romantische Freund der Ruinen. Groß und ernst kam er hinter dem Vesuv herauf und leuchtete in die Gassen hinein, die, eben noch vom lautesten Leben erfüllt, jetzt wieder still und einsam lagen, Behausungen von Schatten, die vor fast zwei Jahrtausenden hier zur Ruhe gekommen. Ein süßer Duft von reifendem Korn und blühenden Orangen wehte von der Campagna her, ein leises Rauschen wie Athmen eines Schlafenden tönte vom Meere herüber, und wie am Himmel die Sterne, zogen hier unten in glitzernder Pracht die vom Lenze geweckten Leuchtkäfer ihre stillen Bahnen.

Das ist das Pompeji des Dichters, der es, träumend, mit schöneren Gestalten bevölkert, als dies das beststudirte Theaterfestprogramm vermag.

 „Wie der lachende Amor,
Thanatos, scheinst du mir hier, in dem flimmernden Schutte Pompejis,
Spielend mit goldigem Staub und mit Scherben zerbrochener Vasen.
Und aus Lapis Lazur und verlorenem Schmucke der Mädchen
Stickst du die Grabmosaik phantastischer Märchengestalten.“




  1. So nannten die Römer Ischia.
  2. Die Begräbnisstätten hatten gesetzlicher Bestimmung gemäß außerhalb der Stadt zu liegen, nur besonders verdienten Personen konnte durch Volksbeschluß ein Begräbniß auf dem Forum zuerkannt werden. Die Gräber zogen sich demgemäß vor den Thoren der Stadt in Straßen (Gräberstraßen) weit hin, wie z. B. bei Rom an der Via Appia.