Aus Robert Blum’s Leben (11)

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Autor: Hans Blum
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Titel: Aus Robert Blum’s Leben. 11. Gefangenahme. – Process. – Tod. – Schluß.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 744–747
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[744]
Aus Robert Blum’s Leben.
11. Gefangennahme. – Proceß. – Tod. – Schluß.

Am 3. November 1848 richtete Robert Blum zugleich mit seinen drei Frankfurter Collegen zuerst an den Feldmarschall-Lieutenant von Schowitz, dann an den Generalmajor Baron von Cordon, Geschäftsleiter der Stadthauptmannschaft, das schriftliche Gesuch:

„Die unterzeichneten Mitglieder der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main wurden seit dem 20. October, an welchem Tage sie Wien verlassen wollten, hier durch die Ereignisse zurückgehalten. Nach der nunmehr eingetretenen Wendung der Dinge erlauben sich die Unterzeichneten die gehorsamste Bitte um gütige Ertheilung von Passirscheinen zum Antritt der Rückreise auszusprechen, eventuell aber von Euer Excellenz die Gnade einer Audienz sich zu erbitten ... In der Erwartung, daß Euer Excellenz Gnade uns die Möglichkeit, unsern wichtigen Beruf wieder anzutreten, gütigst gewähren wird, zeichnen wir etc.“

Unterschrieben waren: Robert Blum aus Leipzig; Julius Fröbel „für den Wahlbezirk der Fürstenthümer Reuß jüngerer Linie“; Trampusch für Weibenau „in k. k. Schlesien“, und Moritz Hartmann „aus Leitmeritz“.

Auf die Rückseite dieser Eingabe schrieb Generalmajor von Cordon von der Centralcommission der k. k. Stadt-Commandantur noch am nämlichen Tage:

„Die Stadthauptmannschaft wird beauftragt, die angeblich (!) im Hôtel zur Stadt London wohnhaften Herren Robert Blum und Julius Fröbel in militärgerichtliche Verhaft zu nehmen, unter Beschlagnahme ihrer Papiere und Effecten.“

Dieser Verhaftsbefehl ist höchst charakteristisch. Also der Herr Generalmajor wußte, bis sich die Abgeordneten selbst meldeten, noch gar nicht, daß sie „angeblich“ in Stadt London wohnten. Er wurde auch nicht deshalb auf sie aufmerksam, weil sie sich als Mitglieder des höchst gefährlichen Frankfurter Parlaments bezeichneten, namentlich war das nicht der Grund des Haftbefehls. Am allerwenigsten wurde dieser erlassen, weil der Herr Generalmajor etwa eine Ahnung davon zu besitzen sich rühmen konnte, wer Robert Blum sei und was er in Wien gethan habe. Wären das die Ursachen des Haftbefehls gewesen, so hätten die Herren Trampusch und Moritz Hartmann unbedingt auch mit in „militärgerichtlichen Verhaft“ genommen werden [745] müssen. Denn auch sie waren Abgeordnete. Die Freiheit Robert Blum’s und Fröbel’s war aber durch eine weit einfachere kaiserlich königliche Erwägung bedroht. Trampusch und Hartmann waren Oesterreicher, Blum und Fröbel aber „Ausländer“, und von diesen hatten Seine Durchlaucht der Fürst-Feldmarschall zu Windischgrätz in Ihrem „Nachhange zur Proclamation vom 20. October“ am 23. October, Ziffer 5, zu bestimmen für gut befunden: „Alle Ausländer in der Residenz sind mit legalen Nachweisungen der Ursache ihres Aufenthalts namhaft zu machen, die Paßlosen zur sofortigen Ausweisung anzuzeigen.“ Weil Robert Blum und Fröbel Ausländer waren und, wie sie selbst gestanden, ohne Passirscheine waren, sollten sie in militärgerichtlichen Verhaft genommen werden, aus keinem andern Grunde.

Der Befehl wurde am 4. November früh gegen sechs Uhr ausgeführt. Zu dieser Stunde erschienen unter militärischer Bedeckung der Polizei-Ober-Commissar von Felsenthal und der Hauptmann Graf Caboga in der „Stadt London“ und fragten den Wirth nach den beiden Gesuchten. Der brave Mann trotzte der Gefahr des Standrechts und warnte die beiden Abgeordneten. Noch wäre es Zeit zur Flucht gewesen. Hartmann und Trampusch sind damals entflohen. Aber Blum war in dem unerschütterlichen verhängnißvollen Glauben befangen, daß die siegreiche österreichische Kriegsgewalt seine papierne Unverletzlichkeit als deutscher Reichstagsabgeordneter pflichtschuldigst anerkennen werde, und wies daher die von dem braven Wirthe gebotene Rettung mit demselben würdevollen Lächeln ab, mit welchem er das Asyl im Sophakasten des sächsischen Gesandten abgelehnt hatte. Wenige Minuten später waren Blum und Fröbel Gefangene. Blum’s Frage an den Officier: „Ob ihn seine Eigenschaft als Abgeordneter des Parlamentes nicht vor Verhaftung schütze?“ beantwortete dieser kurz dahin: „Richten Sie diese Frage an meinen General!“ Dann wurde jeder der Gefangenen in einem geschlossenen Wagen nach dem Stabsstockhause gebracht, wo wieder ein gemeinsames Zimmer ihnen angewiesen wurde. Das Gefängniß war wohnlich, beinahe behaglich, wie Blum am 6. November seiner Frau schrieb. Er sagte ihr auch, daß er von seinem Gitter aus die Kinder auf dem Platze drunten spielen sehen könne – und dabei seiner eigenen lieben Kinder gedenke.

Auch in dieser Gefangenschaft blieben die Abgeordneten unbehelligt. Niemand fragte nach ihnen. Sogar ihre eigenen Versuche, sich bemerklich zu machen, blieben unbeachtet. Sie schrieben am 5. November an den Präsidenten der deutschen Nationalversammlung, daß sie verhaftet seien. Dieses Schreiben passirte die hohe Central-Commission und gelangte wohlbehalten bis – in das Hauptquartier des Fürsten Windischgrätz nach Hetzendorf, wo es liegen blieb. Am 7. November wandten sie sich an des Herrn von Cordon Excellenz mit der Bitte um ein Verhör, „damit ihnen Gelegenheit gewährt werde, ihr Recht geltend zu machen“. Auch darauf erfolgte keine Antwort. Nun riß den Abgeordneten die Geduld. Am 8. November Nachmittags um vier Uhr gaben sie einen Protest an die Central-Untersuchungscommission ein, in welchem sie zum ersten Male bei dem Ausnahmegericht selbst auf die Unverletzlichkeit hinwiesen, die ihnen als Abgeordneten zustehe. „Der Protest bildete eine entscheidende Wendung in unserer Sache,“ erzählte Fröbel später im Frankfurter Parlament am 18. November. „Dieser Protest ist allerdings berücksichtigt worden. Sie sehen es in dem Tode Blum’s, auf welche Weise. Ich war (über den Protest) mit Blum verschiedener Meinung, und der Protest, den Blum aufsetzte, war mir nicht recht. Bei der Copie wurde am Schlusse eine Stelle weggelassen, welche eine Drohung enthielt.“

Dieser verhängnißvolle Protest liegt mir in Blum’s Concept im Original vor. Die Stellen, welche die „entscheidende Wendung“ herbeiführten, waren jedenfalls die folgenden:

„Nach dem Reichsgesetze vom 30. September dieses Jahres, welches von der deutschen Nationalversammlung (in der auch Oesterreich vertreten ist) beschlossen, von der in Oesterreich anerkannten Deutschen Centralgewalt promulgirt, von Sr. Kais. Hoheit dem Erzherzog Johann, Reichsverweser, unterzeichnet, und im Reichsgesetzblatt Nr. 2 ordnungsmäßig bekannt gemacht ist – darf kein Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung verhaftet oder in Untersuchung gezogen werden, ohne Zustimmung der Versammlung selbst. Die Unterzeichneten sind nun gegen das angezogene Reichsgesetz seit fünf Tagen verhaftet.“ Folgt die Aufzählung der Schritte, die sie bis dahin zur Erlangung ihrer Freiheit gethan. „Unter diesen Umständen, auf Grund des Reichsgesetzes vom 30. September, auf Grund der von Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich seinen Staaten vielfach garantirten constitutionellen Einrichtungen, und auf Grund des fürstlichen Wortes des Herrn Feldmarschalls Fürsten zu Windischgrätz Durchlaucht, die constitutionellen Einrichtungen nicht schmälern zu wollen, erfüllen die Unterzeichneten hiermit gegen das Deutsche Volk, gegen das Gesetz und gegen die Nationalversammlung eine heilige Pflicht, indem sie einen

feierlichen Protest

erheben gegen ihre Verhaftung sowohl, wie gegen das Verfahren seit dieser Verhaftung, und die Verantwortlichkeit für die Nichtachtung des Gesetzes auf die Urheber desselben wälzend (hier folgte die von Fröbel beseitigte Drohung: „und behalten sich vor, gegen dieselben alle gesetzlichen Mittel in Anwendung zu bringen, sobald sie dazu im Stande sein werden“), sehen wir uns genöthigt, den anliegenden Protest gehorsamst zu überreichen.“ Schließlich wird gebeten diesen Protest auch „an die Deutsche Nationalversammlung und unsere Wähler gelangen zu lassen, damit dieselben erkennen, daß mir das Gesetz, zu dessen Erlassung und Erhaltung man uns gewählt hat, nach unsern Kräften selbst im Kerker wahren.“

In seinem Berichte vor dem Frankfurter Parlamente über die letzten Lebenstage Blum’s führt Fröbel auch aus, daß man einen Agent provocateur am 8. November mit ihnen zusammengesteckt habe, der Blum in auffallender Weise alle Belastungsmomente abgefragt und ihn zu einem möglichst energischen Proteste angefeuert habe. „Er legte es Blum dringend an’s Herz,“ sagt Fröbel, „daß wir einen Fehler begangen, indem wir nicht energisch genug protestirt und unsere Eigenschaft als Deputirte nicht genug in den Vordergrund gestellt hätten. ‚Sie kennen,‘ sagte er, ‚die österreichischen Behörden nicht. Wenn Sie energisch auftreten, werden Sie sehen, daß Sie morgen frei sind.‘“ Es darf leider das Doppelte hiernach nicht bezweifelt werden: einmal, daß die „hohe Centraluntersuchungscommission“ zu diesem jämmerlichen Mittel griff, um ihr dürftiges Anklagematerial gegen Blum zu verstärken und namentlich den Zorn des Fürsten aufzuregen durch den ungebeugten Mannesmuth und den Glauben an die eigene Unverletzlichkeit, welchen jener Mann besaß und auch offen in jeder Eingabe an die Behörden aussprach. Und zweitens: daß Blum so unbefangen war, in der plumpen Falle des Spitzels sich fangen zu lassen. Nordstern in seiner Geschichte der Octoberrevolution nennt den Namen desselben. Der Genannte lebte 1873 noch und hat damals brieflich mich förmlich beschworen, den ungerechten Verdacht durch eine öffentliche Erklärung meinerseits von ihm zu nehmen. Ich verschweige daher den Namen, den Nordstern nennt. Nun folgte unmittelbar das Verhängniß. „Um vier hatten wir den Protest übergeben,“ sagt Fröbel, „um sechs Uhr wurde Blum zum Verhör gerufen. Die Zeit von zwei Stunden ist ungefähr das, was nothwendig war, um den Protest nach Hetzendorf zum Fürsten Windischgrätz zu bringen und einen Befehl als Antwort zu erhalten. Um acht Uhr war das Verhör aus.“

Zwei Briefe liegen mir vor, welche ein eigenes Urtheil des Fürsten Windischgrätz über das mannhafte, furchtlose Verhalten Robert Blum’s, seine rückhaltlose Wahrheitsliebe vor seinen Richtern und seinen tapfern Todesmuth am folgenden Morgen bekunden. Der einer dieser Briefe ist von dem ehemaligen sächsischen Märzminister Braun, der andere von dem noch lebenden hochconservativen Mitgliede der ersten sächsischen Kammer, dem Klostervoigt von Posern. Beide Briefe sind aus dem Jahre 1867 an mich gerichtet. Beide bestätigen, daß Herrn von Posern gegenüber Fürst Windischgrätz (1859 oder 1860) sich rühmlich über Robert Blum’s Haltung vor dem Kriegsgerichte und bei seiner Hinrichtung ausgesprochen haben soll. Nach einer glaubhaften Version soll der Fürst damals sogar eine Art von Reue darüber ausgesprochen haben, daß er Blum habe erschießen lassen, natürlich nur in so weit, als bei dem Fürsten überhaupt von Reue die Rede sein konnte. Auch das Protokoll über das Verhör mit Blum, das Helfert im Anhange des dritten Bandes seiner „Oesterreichischen Geschichte“ mittheilt, läßt trotz seiner geflissentlichen Kürze und Farblosigkeit und trotz der Gewißheit, die es bietet, daß Blum in einem so grauenhaften Deutsch, wie es ihm hier in den Mund gelegt wird, nicht gesprochen haben kann, die muthige Haltung Blum’s und den unerschütterten Glauben an seine Unverletzlichkeit erkennen.

Dieses Protokoll über das Verhör Blum’s vor dem Kriegsgericht bildet die einzige actenmäßige Grundlage für seine Verurtheilung, und gerade deshalb läßt es uns mit Schauern die ganze Tiefe des Abgrundes von Rechtlosigkeit und Willkür [746] erkennen, in welchen im Namen und unter dem Schein des Rechtes das edle Opfer gestürzt werden sollte.

Dieses Protokoll bekennt zunächst selbst, daß als „Grundlagen“ für das über Blum abgehaltene kriegsgerichtliche Verhör lediglich Folgendes diente:

„Erstens Auftrag des Herrn G.-M. Cordon mit: a. ein Zeitungsabdruck der ‚Presse‘ ddo. 25. October; b. ein Zeitungsabdruck der ‚Ostdeutschen Post‘ ddo. 24. October; c. Auszug aus dem Sitzungsprotoll des Gemeindeamtes der Stadt Wien ddo. 18. October 1848. – Zweitens Bericht über die Arretirung Robert Blum’s, ddo. 4. November mit: a. Schreiben des Robert Blum, Fröbel, Moritz Hartmann, Albert Trampusch (vom 3. November), b. Schlüssel zu dem Koffer“ – auch eine Grundlage!

Wir haben also an „Grundlagen“ für das Kriegsgericht oder, um es gerade heraus zu sagen, für die Tödtung Robert Blum’s: einen „Auftrag“ des G.-M. Cordon, zwei Zeitungsartikel, nicht von Blum, möglicher Weise über Blum – das Nähere verräth das Protokoll nicht – den Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderathes, welches absolut nichts Belastendes für Blum enthalten haben kann, das völlig harmlose Protokoll über die Verhaftung, das ebenso harmlose Schreiben der Abgeordneten vom 3. November (das im Eingang mitgetheilt wurde) und – last not least – den Kofferschlüssel Blum’s! Das war der Apparat, mit welchem die Anklage auf Tod und Leben erhoben wurde!

Was sagte nun Robert Blum vor dem Kriegsgerichte aus? Unter Weglassung alles Dessen, was das Kriegsgericht selbst als gleichgültig ansah, nur das Folgende:

„Wir fanden die Verhältnisse (in Wien) anders, als wir geglaubt hatten, und ich habe, wahrscheinlich am 23. October, auf der Aula eine Rede gehalten, deren Sinn dahin ging, daß man an die Stelle des früheren Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band der gemeinsame Freiheit und der Anerkennung der gleichen Berechtigung aller Nationalitäten setzen müsse, damit die gemeinsame Freiheit sie inniger binde, als es die Gewalt bisher vermochte.“ Weiter: „Am 26. ließ ich mit Fröbel, auf Zureden des Commandanten Hauk, in das Elite-Corps mich einreihen und wir wurden zu Hauptleuten gewählt und bezogen mit einer Compagnie einen Posten (also nicht einmal das Geständniß activer Theilnahme am Kampfe ist durch das Protokoll erwiesen!) an der Sophienbrücke beim Rasumossky’schen Palais, wo Kanonen im den Garten gegenüber dem Fluß gerichtet waren. Ich muß noch bemerken, das ich und Fröbel am 29. October früh die Waffen abgelegt haben, weil das Elite-Corps nicht zu dem Zwecke verwendet wurde, zu welchem es ursprünglich bestimmt war, nämlich die innere Stadt in Ruhe und Ordnung zu halten. – Ich muß hier auf jenes in Deutschland gültige Gesetz aufmerksam machen, wonach ein Deputirter nicht verhaftet und in Untersuchung gezogen werden kann, ohne vorher die Genehmigung der Nationalversammlung einzuholen. Praelecta confirmat. Robert Blum m. p.

Nach Schluß des Verhörs wurde Blum in seine Zelle zu Fröbel zurückgeführt. Er hatte kaum den wesentlichen Inhalt seines Verhörs dem Freunde erzählt und von diesem ernste Besorgnisse über die Offenheit seiner Bekenntnisse vernommen, als Blum wieder abgerufen wurde. Er drückte Fröbel die Hand zum Abschiede, ruhig und ahnungslos wie bisher. Fröbel konnte die Thränen kaum zurückhalten und umarmte den Freund bewegt. „Auf Wiedersehen!“ sprach Blum – und sie schieden für immer!

Die Nacht brachte Blum in einer Zelle zu mit Terzky, Camillo Hell und einem Polen. Er hatte keine Ahnung, daß sein Schicksal bereits entschieden war. Aus gesundem tiefem Schlaf wurde er früh gegen fünf Uhr geweckt und allein in eine dritte Zelle geführt. Hier trat alsbald Pater Raimund von den Schotten zu ihm ein, der in tiefer Nacht auf das Klingeln einer Ordonnanz geweckt und hierher beschieden war, und erklärte Blum, daß er den Auftrag habe, ihn – zum Tode vorzubereiten. Blum erwiderte, das müsse ein Mißverständniß sein. Da trat ein Auditor herein, welcher ihm das nachstehende Urtheil vorlas:

Urtheil, welches in dem auf Befehl des k. k. hohen Militär-Stadtcommandos in Wien zusammengesetzten permanenten Standrechte mit Einheit der Stimmen geschöpft wurde: Herr Robert Blum, welcher bei erhobenem Thatbestande durch sein Geständniß und durch Zeugen[1] überwiesen ist, am 23. October l. J. in der Aula zu Wien durch Reden in einer Versammlung zum Aufruhre aufgeregt, um am 26. October l. J. an dem bewaffneten Aufruhre in Wien als Commandant einer Compagnie des Elite-Corps thätig Antheil genommen zu haben – soll nach Bestimmung der Proclamation Sr. Durchl. des F.-M. Fürsten zu Windischgrätz vom 20. und 23. October,[2] dann nach § 4 im 62 Art. der Th. Gerichtsordnung mit dem Tode durch den Strang bestraft werden. So gesprochen in dem Standrechte, angefangen um halb sechs Uhr Abends, am 8. November 1848. Cordier, Major, Präses. Wolferom, Hauptmann, Auditor.“ – Ist kundzumachen und in augenblicklicher Ermangelung eines Freimanns mit Pulver und Blei durch’s Erschießen zu vollziehen. Wien, den 8. November 1848. Im Namen Sr. Durchlaucht des Herrn Feldmarschalls. Hippsich, G.M.[3]

Blum hörte tiefbewegt, doch standhaft und gefaßt den blutigen Spruch. Der Auditor verließ die Zelle. Blum war mit dem Pater allein. Es ist bekannt, daß Blum unter Berufung auf sein deutsch-katholisches Bekenntniß den Geistlichen bat, ihn mit der Ohrenbeichte zu verschonen, und ihm beim Abschiede sagte: „Es hat mich sehr gefreut, in Ihnen zum Unterschiede von leider so vielen Pfaffen einen ehrenwerthen, wahrhaft geistlichen Mann kennen gelernt zu haben. Ich möchte Ihnen gern ein Andenken hinterlassen, allein ich habe jetzt nichts mehr als meine Haarbürste. Wollen Sie diese von mir annehmen, so machen Sie mir noch eine Freude.“ Nicht bekannt aber ist, daß in jener ernsten Stunde zwischen den beiden Männern nicht blos von geistlichen Dingen die Rede war. Der Pater war der Träger der letzten Möglichkeit einer Rettung Blum’s.

Als nämlich die politischen Freunde Blum’s in Frankfurt von seiner Verhaftung hörten, was etwa den 6. der Fall war, erklärte Karl Vogt mit seinem richtigen realistischen Instincte den vertrautesten Parteigenossen rund heraus, daß er Blum für verloren halte, wenn derselbe nicht in den Besitz einer Summe Geldes gesetzt werde, die den muthmaßlichen Durchschnittspreis der Ehrlichkeit seiner Wächter erreiche. Wenige Stunden darauf stand Karl Vogt an der Spitze einer kleinen Deputation vor Rothschild und bat ihn, gegen gute Procente die Summe von etwa 3000 Gulden in Robert Blum’s Hände nach Wien gelangen zu lassen. Der alte Rothschild schüttelte den Kopf und fand das Geschäft bedenklich. War er doch österreichischer Freiherr! Der jüngere aber fand die Procente des Wagnisses werth und sagte zu. Während die Quittung ausgeschrieben wurde, blieb Vogt allein zurück und bat nun Auskunft, auf welchem Wege denn das Geld an den gefangenen Blum besorgt werden solle. Der Börsenkönig wollte lange nicht heraus mit der Sprache. Endlich sagte er, wie Karl Vogt mir persönlich mittheilte, flüsternd: „Durch den Prior des Schottenklosters in Wien.“ Allein auch diese Hülfe kam nun zu spät. Wer hätte es gewagt, für den zehnfachen Preis dem Fürsten Windischgrätz eine Beute zu entreißen, die man sich in Hetzendorf nun keinenfalls mehr hätte entgehen lassen! Blum begriff dies rasch. Das Geld ist bald nach seinem Tode zurück nach Frankfurt gelangt und zu den Sammlungen für die Wittwe und Waisen Blum’s gezogen worden.

Das Scheiden von Weib und Kind, ohne die Lieben noch einmal gesehen zu haben, ohne ihre Zukunft auf sicherer Grundlage zu wissen, machte Robert Blum die letzte Stunde am schwersten, zumal er die Gattin schwindsüchtig glaubte. Dem Pater Raimond soll er auf dem Wege zur Richtstätte oftmals zugerufen haben: „Nicht der Abgeordnete Blum weint, nur der Gatte und Vater.“ Die ganze Gefühlstiefe und Seelengröße des Mannes ist aber gezeichnet in dem letzten Briefe an seine Gattin. Oft ist dieser gedruckt, lithographirt, facsimilirt worden, aber niemals, meinen wir, kann er zu oft gelesen werden. Er lautet:

„Mein theures, gutes, liebes Weib, lebe wohl! wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe unsere – jetzt nur Deine Kinder zu edeln Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hülfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde, rinnt in Thränen dahin, daher nur nochmals: leb’ wohl, theures Weib! Betrachte unsere Kinder als theures Vermächtniß, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen treuen Gatten! Leb’ wohl, leb’ wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse von Deinem Robert! – Wien, den 9. November 1848, Morgens fünf Uhr; um sechs Uhr habe ich vollendet. – Die Ringe hatte ich vergessen; ich drücke Dir den letzten Kuß auf den Trauring. Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred als Andenken. Alle sonstigen Andenken vertheile Du nach Deinem Ermessen! Man kommt! Lebe wohl, wohl!“

[747] Er fuhr nun mit einem Geistlichen und unter Begleitung dreier Jäger in einem verschlossenen Wagen bis zur Reitercaserne in der Leopoldstadt. Hier wollte man Blum, wie üblich, Ketten anlegen. Er sträubte sich dagegen und sprach: „Ich will als freier deutscher Mann sterben. Sie werden mir auf mein Wort glauben, daß ich nicht den lächerlichen Versuch machen werde, zu entkommen. Verschonen Sie mich mit Ihren Ketten!“ Gegen halb acht Uhr langte der Wagen unter sehr starker Infanterie- und Cavallerie-Escorte – gleichzeitige Berichte sprechen von 2000 Mann – auf dem zur Richtstätte erlesenen Platze in der Brigittenau an, damals einem Militärschießplatz mit Kugelfängen und einigen Bretterhütten; im Hintergrunde in weitem Bogen Erlen und Weiden und im Frühnebel dämmerndes Gebirge. In der Mitte der Militärmasse angelangt, fragte Blum, wer ihn erschießen werde? „Jäger,“ lautete die Antwort. – „Nun, das ist mir lieb,“ sagt Blum, „die Jäger sollen gut schießen.“ Als man ihm die Augen verbinden will, sagt er: „Er wolle dem Tode frei in’s Auge sehen“. Der commandirende Officier bittet ihn, das Verbinden der Sicherheit der Schützen wegen geschehen zu lassen. Da schlingt er sich die Binde selbst um die Augen, stellt sich vor das Peloton und ruft: „Ich sterbe für die Freiheit; möge das Vaterland meiner eingedenk sein!“ Drei Schüsse krachen zugleich. Sie haben Brust und Kopf des deutschen Mannes durchbohrt; er sinkt rücklings und verblutet – eine Leiche, einen Tag vor seinem 41. Geburtstage. – –

In ganz Deutschland brach ein Sturm der Entrüstung los, als die Kunde von der „Ermordung“ Blum’s ruchbar wurde. Das deutsche Parlament, das sächsische Ministerium, Rath und Stadtverordnete zu Leipzig, Hunderte von Volksversammlungen und Millionen deutscher Männer forderten Sühne für das begangene Verbrechen: Alle umsonst; denn wir waren ein ohnmächtiges Volk. In rührendster Weise zeigte sich, wie herzlich das Volk an dem Erschossenen gehangen. In Mannheim flaggten alle Schiffe schwarz; Todtenfeiern fanden überall statt; reich waren im Vergleich zu der damaligen Armuth unseres Volkes die Sammlungen für Blum’s Hinterlassene zu nennen. Manches schöne Gedicht hat die Erregung der schmerzlichen Kunde geboren, keines schöner als Freiligrath’sBlum“:

„Vor zweiundvierzig Jahren war’s, da hat mit Macht geschrieen
Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knieen!
Acht Tage sind’s, da lag zu Wien ein blut’ger Mann im Sande –
Heut scholl ihm Neukomm’s Requiem zu Köln am Rheinesstrande.“

Wir haben heute erreicht, was Robert Blum erstrebte und bei seinem Tode unerfüllt sah; wir haben es erreicht, in anderer Weise, als er dachte und auch unter uns Viele erwarteten. Einem Manne danken wir vornehmlich die Verwirklichung unserer nationalen Einheit. So mag denn dieses Mannes Urtheil über Robert Blum dieses Lebensbild beschließen.

Am 23. Mai 1870 nach einer Sitzung des Reichstages, in welcher das Strafgesetzbuch durch meine Stimme mit zu Stande gekommen war und in der mich die Herren Socialisten beschimpft hatten, ersuchte mich der Bundeskanzler, Graf Bismarck, in sein Cabinet zu kommen. Er reichte mir seine Rechte und sagte: „Lassen Sie uns in dieser Stunde, von der ich hoffe, daß sie für ganz Deutschland segensreich sein wird, ein Bündniß schließen“ – ich stutzte – „ein Bündniß,“ sagte er mit seinem Lächeln – „nicht zu Gunsten eines von uns oder eines Lebenden – sondern zu Gunsten eines Todten. Wenn es den Herren Socialisten wieder einfallen sollte, Ihren Vater herabzuwürdigen dadurch, daß sie ihn für einen der Ihrigen ausgeben, so verfügen Sie über die Macht, die ich besitze, namentlich etwa in der Presse, um dieses Bild rein zu halten. Ihr Vater war sehr liberal – er würde auch heute, wenn er noch lebte, sehr liberal sein. Aber er war auch gut national.“

Hans Blum.
  1. Im Protokoll steht nichts von Zeugen. Keinesfalls ist die Aussage solcher Blum vorgehalten, keinesfalls ist ihm ein Zeuge nur genannt worden.
  2. Dies das einzige Gesetz, welches das Urtheil anführt, – die Willkürverordnung eines nicht einmal mit legalem Auftrag versehenen Heerführers; die Th. Gerichtsordnung ist ein Proceß, kein Strafgesetz.
  3. Hieraus geht deutlich hervor, daß das „Urtheil“ dem Fürsten zur Bestätigung vorgelegt wurde. – Ein späterer Zusatz lautete: Kundgemacht und mit Pulver und Blei durch Erschießen vollzogen am 9. November 1848, halb acht Uhr Morgens. Wolferom. Hptm. Aud.