Aus dem großen Reiche der Dummheit

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Textdaten
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Autor: W.
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Titel: Aus dem großen Reiche der Dummheit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 40
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[40] Aus dem großen Reiche der Dummheit. Vor einigen Tagen – so schreibt man uns – starb mein acht Wochen alter Knabe. Abends vor seinem Tode kommt eine ältere Frau, welche oben im Hause wohnt, herab und fragt mich nach dem Befinden des Kleinen. Ich entgegne ihr, daß der Arzt erklärt habe, das Kind werde sterben. Nachdenklich sah sie vor sich hin und sagte dann ziemlich bestimmt: „Ihr Kind ist beschrieen.“ Obgleich ich sonst nicht bösartig bin, platzte mir’s doch heraus: „Und bei Ihnen ist’s wohl im Oberstübchen nicht richtig.“ – Nachdem am nächsten Morgen der Tod des Kindes erfolgt war und kurz darauf die Leichenwäscherin ihre Funktionen verrichtete, äußerte dieselbe gutmüthig gegen mich: „Sie brauchen sich nicht so zu grämen; das Kind hatte ‚das Alter‘; sie konnten ihm nicht helfen.“ Befremdet über diesen Ausspruch, sagte ich, daß ich das Kind älter gewünscht hätte, vielleicht fünfzig bis sechszig Jahre und darüber, worauf sie lächelnd erwiderte: „Ja, sähn se, wer das nich kennt, der weeß es nich, aber sähn se, ich habe als Leichenwäscherin gestudirt, und ich kenne das gleich. Sähn se, Sie hätten, wenn Sie es eben von vornherein gewußt hätten und das Kind behalten wollten, dasselbe in ein ganz reines weißes Bettchen und in ganz reine weiße Windeln legen müssen. Dann mußten Sie mit Ihrer Frau und dem Kinde zum Bäcker gehen, dort sich rechts und Ihre Frau links vor die Mündung des Backofens stellen. Hierauf mußten Sie das Kind im Bettchen auf den Brodschieber legen, denselben rechts in den Ofen hineinschieben und dabei sprechen: ‚Alt schiebe ich dich hinein, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes † † †‘, dann nach links schwenken und Ihrer Frau den Schieber in die Hand geben, welche denselben links herausziehen und dabei sprechen mußte: ‚Jung ziehe ich dich heraus, im Namen Gottes etc. † † †.‘ Ihr Kind war dann gesund und konnte nun sehr alt werden.“

Mir wurde sehr warm dabei, ich drehte mich aber um und ging weg. Nachmittags hatte ich in einem Restaurant einen Geschäftsfreund zu sprechen und erzählte diesem und dem anwesenden Wirthe schließlich diese Geschichte. Sie schüttelten die Köpfe. Die mitanwesende Haushälterin aber sagte darauf: „Glauben Sie, dieselbe Geschichte hat meine ältere Schwester wirklich durchgemacht, doch war es nicht des ‚Alters‘, sondern der ‚Mitesser‘ wegen. Meine Schwester war sechs Wochen alt, als die Hauswirthin, die zugleich Pathe des Kindes war, eines schönen Tages meiner damals einundzwanzig Jahre alten Mutter sagt: ‚Sie haben ja das Mädchen noch nicht gegen Mitesser geschützt. Es muß in den Backofen.‘ Die Mutter will aber davon nichts wissen. Vierzehn Tage später erscheint Vormittags die erwähnte Hauswirthin in unserer Stube, als meine Mutter einen Augenblick dieselbe verlassen hat, nimmt das Kind aus der Wiege, steckt es in den ‚ausgebackenen‘ Backofen, macht die vorhin schon beschriebene Procedur mit demselben durch, welche nur insofern anders ist, als sie dabei sagt: ‚Mit Mitessern schiebe ich Dich ein im Namen Gottes etc. † † † und ohne Mitesser ziehe ich Dich heraus im Namen Gottes etc.‘ Darauf trägt sie das Kind der schon suchenden Mutter zurück und versichert derselben, daß das Mädchen jetzt gegen Mitesser gesichert sei.“ Merkwürdig aber sei es, so sagt die Haushälterin, daß ihre Schwester bis jetzt – sie ist fast dreißig Jahre – so von Mitessern geplagt sei, wie wohl selten Jemand; sie sei so ‚schwarzstippelich‘, wie so ein Bild (sie zeigte auf einen Stahlstich).

Soeben erfahre ich von meinem Hauswirthe, daß die zuerst erwähnte alte Frau jetzt sehr beruhigt ist, nun mein Kind gestorben, denn es wäre das dritte Todte im neuen Hause. In jedem neuen Hause müßten, wenn der erste Miether, bald nachdem er eingezogen sei, einen Todesfall habe, noch zwei Personen sterben, weil das einmal so sei, und hier träfe es ja auch zu. (Stimmt.) Die andere Frau, welche noch oben wohnt, hätte schon eine Zeitlang Angst um ihren Mann gehabt; er sei kränklich gewesen, und sie habe geglaubt, er werde der „Dritte“ werden. W.