Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen (Die Gartenlaube 1869/49)

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Titel: Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 785–786
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[785] Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen. Also das ist Eure gerühmte Volksbildung, das die Frucht Eurer Hingebung in Wort und Schrift zur Aufklärung der großen Masse? Eine wohldisciplinirte Rotte von sogenannten socialdemokratischen Arbeitern sprengt eine von den besten Männern der Fortschrittspartei (Löwe-Calbe, Schulze-Delitzsch, Hoverbeck, Fr. Duncker u. A.) berufene Volksversammlung in Berlin auseinander, setzt sich an ihre Stelle und verkündet einen Bannfluch gegen die Kämpfer der politischen Freiheit! Da seht ihr, wohin es führt, dem Volke die Waffe des öffentlichen Wortes und des Versammlungsrechtes in die Hand zu geben. Ihr werdet nun wohl auch zur Einsicht kommen, daß die große Masse der Bevormundung nicht entbehren kann und die allgemeine Bildung uns das Chaos bringt.

Diese Vorwürfe kann man jetzt von erschreckten Gemüthern oft hören. Die Brutalität, auf die sich die sogenannten Socialdemokraten stützen, wirkte wie das Erdbeben in Mittel- und Süddeutschland, von dem wir tagtäglich lesen. Was können wir, die wir die Fahne der Bildung hochhalten, darauf antworten? Löwe-Calbe, der letzte Präsident des ersten deutschen Parlamentes, beruft eine Volksversammlnug, um einen Beschluß über die Minderung der Militärlast zur allgemeinen Abstimmung zu bringen, und der Mann makellosen Charakters, der ein ganzes Leben der Freiheit gewidmet, muß den Präsidentenstuhl verlassen vor einem Manne, der den Knittel in der Hand trägt!

Schmerzlich brennend ist die Erinnerung an den Frühlingstag 1849 in Stuttgart, da Löwe-Calbe an der Seite Ludwig Uhland’s den bewaffneten Soldaten gegenüber stand, die das erste deutsche Parlament auflösten. Wer weiß, ob diese letzte Gewaltthat das Herz des Vaterlands- und Freiheitsfreundes nicht tiefer gekränkt hat!

Sehen wir aber über das Einzelne hinweg, so fragt sich: dürfen Ergebnisse, wie die eben bezeichneten, an den Wirkungen der Volksbildung verzweifeln machen und uns die fortgesetzte Arbeit für dieselbe verleiden? Im Gegentheil! Der Mißbrauch darf nirgends den rechten Gebrauch zerstören. Lässigkeit und Verzweiflung wäre der Sieg des Feindes. Die rohe Gewalt in ihren verschiedenen Formen läßt sich nur schwer besiegen, sie borgt auch aus dem Arsenal des Geistes ihre Waffen, und ein Hauptbestreben der niedrigen Gesinnung geht dahin, das Reine und Edle in Posse und Parodie zu verwandeln.

[786] Das freie Versammlungsrecht, in unserem modernen Leben noch neu, wird von Verführern und Verführten zum Aberwitz verkehrt durch eine Minderzahl. Wodurch vermag sie das? Durch Energie, durch Disciplin und einen bis zum Fanatismus gesteigerten Feuereifer. Das sind im Grunde gute Eigenschaften, und es gilt nur, ihren Mißbrauch zu verhindern. Die Freunde einer gerechten Freiheit, einer gesunden Bildung und einer wirklichen Mehrung des Wohlstandes für Alle dürfen nicht müde werden und sich von Widrigkeiten nicht abspenstig machen lassen.

Wir mußten darauf gefaßt sein, daß das, was wir von Bildung in die weitesten Volkskreise hinein trugen, sich auch gegen uns wende. Wir haben Selbstdenken, Selbstführung angerufen gegen jeglichen Autoritätsglauben. Wir müssen diese Gesetze anerkennen, auch wenn sie sich gegen uns selbst kehren. Es gilt nur, auszuharren und vom schlecht unterrichteten und zum Muthwillen verführten Volk an das besser zu unterrichtende zu appelliren.

Das Recht der Volksversammlung ist ein großes, muß aber auch spärlich und dann entschieden angewendet werden. Steht aber eine solche Versammlung anberaumt, dann bleibe nicht zu Hause und sage: „Sie werden schon das Rechte beschließen, ich habe keine Zeit.“ Kommt dann eine Verunreinigung und Verkehrung des hohen Rechtes zu Tage, so bist Du mitschuld durch Dein Ausbleiben. Das laß Dir gesagt sein!