Aus den Tagen des Kampfes/Wochen-Rapport Nr. 3. und 4.

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Titel: Aus den Tagen des Kampfes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 605–607
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[605]
Wochen-Rapport Nr. 3 und 4. [1]

„Rache für Sadowa!“ – Wir mögen in den Geschichten aller Völker suchen, wir finden kein zweites Beispiel von so ungeheuerlicher Anmaßung, wie sie in diesen drei Worten ausgedrückt ist. Rache für einen fremden Sieg, nur aus dem Grunde, weil er größer ist als einer, den Frankreich je erfochten! Frankreich hat, im Bunde mit Italien, drei Monate gebraucht, um das alleinstehende Oesterreich in zwei Schlachten von sehr schwankender Entscheidung mit Hülfe einer kaiserlichen Lüge zum Frieden zu zwingen. Preußen hat, alleinstehend, gegen dasselbe Oesterreich und den kriegsmäßigsten Theil der deutschen Bundesarmee Krieg geführt und nach sieben Tagen die Entscheidungsschlacht von Königsgrätz geschlagen. Und dieser Sieg auf deutschem Boden über den ehemaligen Gegner Frankreichs ist eine Beleidigung der französischen Nation, für die sie um Rache schreit! Wo die Ehrgier bis zu solcher Raserei ausartet, da herrscht kein „europäisches Gleichgewicht“ mehr, da ist keines Volkes Friede mehr sicher. „Rache für Sadowa!“ schrie ganz Frankreich, ein Hohn, der alle Großmächte Europas zur Züchtigung solchen Frevels hätte aufwecken müssen. Sie schwiegen, sie sahen, in den schlappen Mantel der Neutralität gehüllt, dem ausbrechenden Rachekrieg gegen Deutschland zu. Gut! Wir bedürfen ihrer nicht. Deutschland hat’s allein vollbracht, es hat den Franzosen ihr Sadowa geliefert, und das heißt Metz!

Die Bedeutung dieser dreitägigen Schlacht ist die einer zweiten Auflage von Leipzig, selbst nach dem Datum der drei Schlachttage, nur daß diesmal der August die Ehren des October in Anspruch nahm. Ja, den Achtzehnten wollen wir preisen, er war nun zum vierten Male den deutschen Waffen hold: am 18. October 1813 Leipzig, am 18. Juni 1815 Waterloo, am 18. April 1864 Düppel und am 18. August 1870 Metz.

Die drei Schlachten vom 14., 16., und 18. August werden von den Franzosen nach Courcelles, Vionville und Gravelotte benannt; die [606] Deutschen benennen sie nach Pange, Mars la Tour und Rezonville. Durch sie ist der großartigste Plan in Moltke’s Haupt vollständig durchgeführt auf dem blutigsten Schlachtfelde des Jahrhunderts. Anstatt die weisen Lehren, welche der französische Feldherr seinen Soldaten in gemüthlichem Bivouacgeplauder ertheilte, daß hinter der Mosel die Maas und dann Chalons und dann Paris und hinter diesem ganz Frankreich zur Vertheidigung die Mittel biete, selbst zu beachten, hat er sich von der deutschen Raschheit überflügeln lassen, und bald standen drei deutsche Armeen mit sechszehn Armeecorps zwischen ihm und dem Endziel des deutschen Siegeslaufs, Paris.

Die Schlacht am Achtzehnten wurde, wie wir schon berichtet haben, unter des Königs eigener Führung geschlagen. Die Franzosen schienen anfangs den Zweck dieser Schlacht nicht zu erfassen; als sie aber im Verlaufe derselben die Absicht des Gegners erkannten, da begann ein Rasen der Verzweiflung, das sich in Strömen deutschen Blutes auszutoben suchte. Selbst der König gerieth, wie bei Königsgrätz, in das Bereich der feindlichen Granaten, eine Gefahr, der er nur durch Roon’s Vorsorge eiligst entrissen wurde. Ehe er nach seinem Hauptquartier, dem vier Meilen entfernten Pont a Mousson, zurückkehrte, ordnete er für alle Kämpfer des Achtzehnten einige Ruhetage an.

Diese verbrachten die Truppen in folgenden Stellungen um das nun völlig eingeschlossene Metz: auf der östlichen, deutschen Uferseite der Mosel das erste Armeecorps (von Manteuffel), auf der westlichen oder Pariser Seite nördlich das zwölfte Armeecorps (die Sachsen); die Eisenbahn von Metz nach Diedenhofen (Thionville) besetzend; südlich daneben das Gardecorps, noch südlicher das neunte, ganz im Süden, auf dem eigentlichen Schlachtfelde des letzten Sieges das sechste und das siebente Corps: in Reserve auf der Pariser Straße das dritte und zehnte Corps, und auf besonderem Ehrenplatz zunächst dem Feind das zweite Corps auf den von ihm erstürmten Höhen. Das vierte Corps war zu einer besondern, damals noch nicht bekannten Bestimmung commandirt, die sich aber seitdem aufgeklärt hat. Das vierte Corps ist mit dem zwölften und dem Gardecorps zu einer neuen, der vierten Armee unter dem Kronprinzen von Sachsen, vereint worden.

Dieser Kranz deutscher Armeen öffnete die ehernen Arme zur Umschlingung der alten geraubten freien Reichsstadt Metz, während die Kronprinzen von Preußen und Sachsen mit ihren Armeen auf dem Wege nach Paris weiter vorrückten, zugleich aber auch das Heer Mac Mahon’s nicht aus den Augen verloren. Dieser geschlagene Mann hatte nach den Niederlagen bei Metz sich über Verdun in das berühmte Lager von Chalons rückwärts concentrirt. Auch der alte Fuchs mit seinem Jungen war dem Bau entschlüpft, ehe die deutschen Waidmänner ihn völlig umstellt hatten; Napoleon zog sich in sein Schloß Mourmelon zurück. Als aber die Deutschen sich vor Metz nicht sämmtlich festhalten ließen, sondern ihre getheilte Macht hinreichte, um mit der einen Hälfte Bazaine in die größte Mausefalle der Weltgeschichte einzusperren und mit der andern Hälfte den Sturmlauf nach Paris fortzusetzen, verließ Mac Mahon Chalons, und zwar so hastig, daß er den größten Theil des Lagers nicht mehr bergen konnte, sondern niederbrennen mußte, und wandte sich erst nordöstlich nach Rheims, das der Sammelpunkt für das zweite, das Rettungsheer Frankreichs zu werden schien. Paris konnte von dort seiner Hülfe sicher sein. Da sehen wir ihn plötzlich nördlich nach Rethel hin streben, offenbar in der Absicht, Sedan und damit die noch freie Eisenbahn nach Thionville zu erreichen, um von da die Entsetzung von Metz und Befreiung Bazaine’s zu wagen: Aber auch auf diesem Wege ereilte ihn das Verhängniß in Gestalt deutscher Soldaten. Nach einem am 27. August stattgefundenen Reitergefecht gegen französische Chasseurs unweit Buzancy, südlich von Stenay, das auf jene Gegenden nach der belgischen Grenze hin aufmerksam machte, bekam am Neunundzwanzigsten die Avantgarde unseres zwölften Armeecorps das fünfte französische Armeecorps bei Nouart zu packen. In das so begonnene Gefecht wurden auch das vierte norddeutsche und das erste baierische Armeecorps hineingezogen. Die Franzosen wurden am folgenden Tage von Beaumont bis über die Maas bei Mouzon und die Höhen von Vaux zurückgedrängt; die Deutschen hatten am Einunddreißigsten bereits Carignan besetzt und somit die ganze Mac Mahon’sche Armee von Thionville abgeschnitten und zum Rückzug nach Sedan gezwungen, wo ihrer leicht das Schicksal Bazaine’s in Metz harren kann.[2]

Auch der bereits begonnene Festungskrieg verspricht nach der Ansicht der Kriegskundigen Großartigeres zu liefern als je da war. Metz, mit seinen je zwei starken Forts auf jeder Seite der Mosel, Tigeomont und St. Quentin auf dem linken, St. Julien und Quelen auf dem rechten Moselufer, besitzt jetzt mit der eingesperrten französischen Armee von mindestens noch hundertfünfzigtausend Mann ohne Zweifel die stärkste Besatzung, die je eine Festung aufzuweisen hatte, so daß z. B. das militärische Weltwunder Sebastopol gegen die hier in Action gesetzten Waffen und gegen die Stärke dieser Festung vollständig verschwindet. Gelingt es aber dem Marschall Bazaine nicht, durch die deutschen Armeecorps, die sich jetzt gegen ihn befestigen und eine von Deutschen vertheidigtes Circumvallationslinie gegen seine Angriffe bilden, sich durchzuschlagen, wird die Welt das Schauspiel erleben, daß ein Heer von voller Kriegsstärke sich dem Sieger auf Gnade und Ungnade ergeben muß. – Um die Belagerung mit allem Nachdruck zu betreiben, wurde aus den Rheinfestungen schweres Geschütz nach Metz und gleicherzeit auch nach Straßburg geschafft, das nach Metz die Augen aller Betheiligten auf sich zieht.

Nach den jüngsten Nachrichten wird Straßburg nun bald die längste Zeit französisch gewesen sein; aber leider wird von der „wunderschönen Stadt“, wenn die Beschießung in der bisherigen Weise fortgesetzt werden muß, um den Commandanten zur Uebergabe zu zwingen, uns nicht viel mehr als ein Steinhaufen voll Blut und Asche übrig bleiben; selbst der Stolz und Zorn der Deutschen seit hundertneunzig Jahren, das Münster, wird kaum zu retten sein. Bibliothek und Bildergallerie mit unersetzlichen Schätzen sind bereits verbrannt. Die Noth der Bewohner ist furchtbar, schon Hunderte sind verwundet und todt. Dennoch konnte der Bitte des Bischofs, der am 28. August persönlich dem Chef unseres dortigen Generalstabs, Obristlieutenant von Lesezinsky, die Klagen Straßburgs vortrug und bat, den Auszug der Bürgerschaft oder wenigstens der Frauen und Kinder aus der Stadt zu bewilligen, nicht entsprochen werden, da es von Bedeutung für die Folgen des Krieges ist, ihn möglichst rasch zu beenden.

Außer Straßburg und Metz sind es nur Toul, Bitsch, Pfalzburg und Thionville, vor welchen noch deutsche Belagerungs- oder Beobachtungstruppen stehen und deren Fall von dem Straßburgs mit abhängt.

Zur Säuberung des Elsaß ist bei Hagenau ein frisches preußisches Armeecorps zusammengezogen; die badischen Truppen ziehen weiter mit nach Frankreich hinein; eine Anordnung, die ausdrücklich deshalb getroffen worden sein soll, um die verbitterte Stimmung der Elsässer zu schonen.

So handeln die Deutschen in der Vollgewalt der Sieger! Und wie führen sich dagegen die Befehlshaber, die Regierung, Presse und die einzelnen Franzosen, bei all’ ihrer Ohnmacht und Schmach in Frankreich wie in Deutschland auf. Die Niederträchtigkeit, das offene und unbefestigte Kehl in Brand zu schießen, ist selbst von der nicht deutschen Presse mit Entrüstung betrachtet worden. Mit Recht schrieb deshalb General Werder dem Commandanten von Straßburg: „Eine solche Kriegsführung, die unter zivilisirten Nationen unerhört ist, muß mich veranlassen, Sie für die Folgen dieses Acts persönlich verantwortlich zu machen. Außerdem lasse ich den verursachten Schaden abschätzen und durch Contributionen im Elsaß Ersatz suchen.“ Die Entschuldigung dieses Commandanten: „er habe nicht gewußt, daß Kehl nicht befestigt sei,“ war mehr als eine zur französischen Tagesordnung gehörige Lüge, sondern gemeinster Hohn, denn das Zusammenschießen Kehls ist seitdem erst recht in Zug gekommen.

Auch die Unverletzlichkeit der Parlamentaire gilt in diesem heutigen Frankreich nicht mehr. Vor Marsal wurde der Parlamentair des bairischen Corpsführers, des Generallieutenant v. Bothmer, der Hauptmann v. Hanfstengel, nachdem seine Aufforderung zur Uebergabe von dem Commandanten schroff zurückgewiesen war, auf dem Rückwege von den Kugeln aus der Festung verfolgt und niedergeschossen. Ja noch mehr! Nach den Schlachten vom 16. und 18. lagen über dreitausend schwerverwundete Franzosen auf dem Schlachtfelde, von den Ihren in Stich gelassen. Um für sie Hülfe zu schaffen, wurde Oberstlieutenant v. Verdy als Parlamentair nach Metz gesandt; aber trotz roth und weißer Binde und Parlamentairflagge empfing man ihn mit Kugeln und schoß seinen Trompeter vom Pferde. Dasselbe geschah bis jetzt allenthalben, wo deutsche Parlamentaire das Friedenszeichen gegen den Feind trugen, sogar vor Straßburg in demselben Augenblicke, wo der Bischof von dem deutschen Officier Abschied genommen und sich weit genug von ihm entfernt hatte, um dem förmlichen Rottenfeuer nicht mit getroffen zu werden, das die hochgehaltene Parlamentairflagge durchlöcherte.

Daß die Franzosen auf Verbandplätze, Ambulanzen, Aerzte und Verwundete geschossen, auch das ist leider zur Genüge erwiesen. Diese Unthaten und die himmelschreiende Barbarei, mit welcher friedliche Arbeiter, Einzelne und Familien, um Hab’ und Gut gebracht und unter rohesten Mißhandlungen aus dem Lande getrieben werden, während Tausende von französischen Familien ruhig in Deutschland fortleben und Tausende von Gefangenen und Verwundeten mit Anstand behandelt und Sorge gepflegt werden – das sind Thatsachen, die auch zur Geschichte der Civilisation gehören und in ihren Büchern ewig verzeichnet stehen werden. In Metz haben Bestien von Weibern den deutschen Gefangenen in’s Gesicht gespuckt, Turcos haben sie mit Peitschen gehauen, Saphisofficiere haben ihr Geld und ihre Uhren gestohlen unter den Augen der Commandanten! Ja, in Straßburg haben Turcos einem badischen verwundeten Officier den Kopf abgeschnitten und auf der Säbelspitze als Trophäe durch die Straßen getragen. Vergiftet sind Gefangene worden, die Augen hat man ihnen ausgestochen. Einen baierischen Jäger fand man mit abgeschnittener Zunge, viele Soldaten mit abgehauenen Händen, Alles Schandthaten der französischen Söhne der Wüste! Und endlich gar die „Hyänen der Schlachtfelder“! Nach allen Nachrichten waren die in Böhmen Samariter gegen die französischen, die das „Prestige“ eines Corsen und die „Mission“ einer Spanierin groß gezogen!

Was haben wir nun in diesen wenigen Wochen allernächsten Verkehrs mit dem französischen Volke gelernt? Daß es ein Verbrechen am Vaterlande wäre, länger zu dulden, daß auch nur ein einziges deutsches Dorf unter den Kanonen dieser Rotte leben müsse! Es ist übergenug, daß Kehl die Folgen dieser Nachbarschaft hat erfahren müssen. Hochverrath ist’s [607] fortan noch zu predigen, daß der deutsche Krieg nur der mißregierenden Dynastie gelte, über welche hin man der bethörten großen Nation die Bruderhand reichen müsse. Nein, das deutsche Volk kämpft gegen das Volk Frankreichs, um dessen Uebermacht für immer zu vernichten!

Wahrlich, es mußte Schweres, Ungeheures über uns kommen, um uns Deutschen, uns treuesten Anbetern kosmopolitischer Völkerversöhnung den ewig geschwungenen Becher allgemeinster Menschenliebe aus der Hand zu reißen. Aber es ist auch geschehen und unser Haß macht uns keine Schande. Ja, heute noch würden wir zu einem milderen Urtheil über den Feind gestimmt werden können, wenn wir dort wirklich eine große, menschenwürdige Erhebung sähen, wenn das Volk seine Dränger von sich stieße, wenn es Gericht hielte über zwanzigjährige Verbrechen an seiner Würde, wenn es dastünde, wie das geknechtete Deutschland im Jahre Dreizehn dastand. Aber nirgends zeigt sich etwas Anderes, als die Verkommenheit eines in Grund und Boden verwahrlosten Geschlechts – oben und unten und überall. Wo das Volk aufsteht, ist es nicht zu ehrlichem männlichem Kampfe, sondern zu Mord und Raub, zu bübischer Mißhandlung Verwundeter und feiger Meuchelei der Masse gegen den Einzelnen. Und in den Höhen, die der Thron einst mit seinen Strahlen beleuchtet, herrscht der gemeine Abfall: die Ratten verlassen das Schiff! Die einst im Rath der Krone saßen und die in den Finanzen wühlten, wohin man blickt, nur Ratten, Ratten! Wer’s noch kann, bringt sein Liebstes in Sicherheit, aber nicht wie die Frauen von Weinsberg, sondern in kluger Flucht und im Portefeuille und Portemonnaie – hier Frau Ollivier, dort Prinz Plonplon – lauter Ratten, Ratten! Selbst die französischen Centralbehörden fühlen das Schaukeln des großen Schiffs „Paris“ – sie schwimmen nach Tours, und Andere schwimmen nach Calais, überall Ratten! –

Unser Wochenrapport kann nicht schließen, ohne wenigstens mit einigen Worten das Treiben der hohen Diplomatie beachtet zu haben. Die deutschen Fortschritte werden allerdings nicht ohne Neid und nicht ohne Besorgnisse wegen entstehender Uebermächtigkeit der Deutschen betrachtet. Daß aber ein Zusammengehen der übrigen vier Großmächte, Englands, Italiens, Oesterreichs und Russlands, bereits gesichert und namentlich, daß dasselbe dahin gerichtet sei, jede Gebietsverkleinerung Frankreichs zu hintertreiben, ist wohl eine verfrühte Nachricht; was aber wäre der europäischen Diplomatie unmöglich? Sie wird allerdings Deutschlands und Frankreichs Angelegenheit auf den grünen Tisch zu legen suchen, um sie nach ihrer Weise zu „ordnen“. Dem steht nur die Kleinigkeit entgegen, daß für die Diplomatie selbst eine neue Zeit anbricht, denn die alte Diplomatie, deren Haupt, Lehre und Führung seit dem westphälischen Frieden nur in Paris zu suchen war, ist vernichtet, seitdem es dem deutschen Michel gelang, Frankreich zu der ersten Geige, die es im „europäischen Concert“ spielte, den Fiedelbogen zu zerbrechen. Das Deutschland von 1870 hat keinen Wiener Congreß von 1815 zu befürchten. So hoch hat diese größte Zeit der Weltgeschichte Deutschlands Volk und Heer, Fürsten und Staatsmänner gehoben, daß fortan eine andere, als eine deutschnationale Politik für sie eine Unmöglichkeit ist; die gegenseitige Gefälligkeit der Cabinete auf Kosten der Völker hat ein Ende, und eben damit ist der alten feilen Diplomatie Grund und Boden entzogen. Die neue Staatskunst geht den Wünschen der Nation voraus, dafür legt das erste Zeugniß ab: die Einsetzung deutscher Generalgouverneure in Elsaß und Lothringen, und das Verheißen deutscher Gesetze in diesen fortan deutschen Ländern. Die Nation aber spricht bereits in einer Zuschrift an den Schirmherrn des deutschen Reichs ihre Gesinnung und Meinung aus, deutsches Recht von keiner Macht beeinträchtigen zu lassen. Gute Nacht, Congreß! Vor dem alten Giftpfuhl der Diplomatie hält fortan zum Heil der Völker Deutschland Wacht.




  1. Mangel an Raum verhinderte uns, den dritten Wochenbericht in der vorigen Nummer der Gartenlaube einzureihen; wir lassen ihn nun mit dem vierten verbunden nachfolgen.
  2. Auch das hat sich bereits erfüllt, und in so ungeheurer, so überwältigend großartiger Weise, daß das nun wahrlich sieggewohnte deutsche Volk dennoch wie vor einem Wunder vor der neuen Zeitung steht. Sie lautet:
    „Kaiser Napoleon gefangen!

    Die französische Armee hat capitulirt!

    Der Königin Auguste in Berlin.

    Vor Sedan, den 2. September, ½2 Uhr Nachmittags. Die Capitulation, wodurch die ganze Armee in Sedan kriegsgefangen, ist soeben mit dem General Wimpffen geschlossen, der an Stelle des verwundeten Marschalls Mac Mahon das Commando führte. Der Kaiser hat nur sich selbst mir übergeben, da er das Commando nicht führt und Alles der Regentschaft in Paris überläßt. Seinen Aufenthaltsort werde ich bestimmen, nachdem ich ihn gesprochen habe in einem Rendezvous, das sofort stattfindet. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!

    Wilhelm.“

    Die Darlegung des Zusammenhangs der Actionen vor Sedan und der jüngsten Kämpfe vor Metz und Straßburg müssen wir uns für den nächsten Wochenrapport aufheben.