Aus der Rede des Fürsten Bismarck über die orientalische Frage

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Autor: Unbekannt
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Titel: Aus der Rede des Fürsten Bismarck über die orientalische Frage.
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 9, S. 66-68
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Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger's Volksblatt
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Erscheinungsort: Straßburg
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Aus der Rede des Fürsten Bismarck über die orientalische Frage.

Die Rede, welche Fürst Bismarck am 19. Februar im Deutschen Reichstage über die politische Lage im Morgenlande und die Stellung des Deutschen Reichs zu derselben hielt, berührte so wichtige Fragen, daß es wohl gerechtfertigt erscheint, einige Stellen daraus wörtlich anzuführen; die darin ausgesprochenen Grundsätze haben nicht bloß Werth für diesen einzelnen Fall, sondern lassen sich recht wohl auch auf andere anwenden. Worte, welche ein Mann von der Weisheit und Erfahrung Bismarcks in einer solchen Versammlung ausspricht, und auf die, wie er weiß, die ganze gebildete Welt mit Spannung hört, sind wohl geeignet, zweimal gelesen und – erwogen zu werden. Es würde zu weit führen, hier die ganze Rede aufzunehmen, wir beschränken uns daher auf folgende Stellen aus derselben:

Hätte Deutschland die Macht gehabt den Krieg zu verhindern?

„Daran zweifle ich gar nicht,“ sagte Bismarck. „Es wäre das aber eine sehr große Thorheit, wenn wir das gethan hätten. Es sind dergleichen Versuche ja doch in der neuesten Geschichte mehrere gewesen. Sie sind nie demjenigen, der auf diese Weise einen Krieg Anderer verhindert, gedankt worden. Ich erinnere an einen Moment aus unserer vaterländischen Geschichte: an die Verhandlungen [67] von Olmütz.[1] Da hat der Kaiser Nikolaus diese Rolle gespielt; er ist gekommen und hat gesagt: „Auf den ersten, der hier schießt, schieße ich,“ und in Folge dessen kam der Friede zu Stande. Zu wessen Vortheil, zu wessen Nachtheil, politisch berechnet, das gehört der Geschichte an, das will ich hier nicht diskutiren (erörtern). Ich frage bloß: Ist diese Rolle, die er dort gespielt hat, dem Kaiser Nikolaus auf einer von beiden Seiten gedankt worden? Bei uns in Preußen ganz gewiß nicht. Die edlen Absichten dieses Herrn wurden verkannt gegenüber der Empfindlichkeit, die das nationale Gefühl einer großen Nation berührt, wenn eine andere Macht ihr gebietet oder verbietet, was sie in einer Frage des eigenen Interesses, die sie glaubt selbst zu verstehen, thun oder lassen soll. Ist es dem Kaiser Nikolaus von Oesterreich gedankt worden? Drei Jahre darauf war der Krimkrieg, und ich brauche ein Weiteres nicht zu sagen.“

Soll das Deutsche Reich auf Rußland einen Druck ausüben, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die nicht besonders wichtig für ersteres sind? Soll es sich derenthalben mit Rußland verfeinden, mit dem es seit lange in Freundschaft lebt?

„Es gibt in Rußland erhebliche Parteien, die Deutschland nicht lieben und die glücklicherweise nicht am Ruder sind, die aber auch nicht unglücklich sein würden, wenn sie ans Ruder kämen. Wie würden die nun zu ihren Landsleuten sprechen, vielleicht auch andere Leute, vielleicht auch noch andere Staatsmänner, die jetzt noch nicht unsere ausgesprochenen Feinde sind? Sie würden sagen: Mit welchem Opfer an Blut, Menschen, Schätzen haben wir die Stellung erreicht, die seit Jahrhunderten das Ideal (das vorbildliche Ziel) des russischen Ehrgeizes war! Wir hätten sie gegen diejenigen Gegner, die ein wirkliches Interesse hätten, sie uns zu bestreiten, behaupten können. Es ist nicht Oesterreich, mit dem wir in mäßig intimen (vertrauten) Verhältnissen lange Zeit gelebt haben, es ist nicht England, welches ganz offen anerkannte Gegeninteressen hat, nein, unser intimer Freund, von dem wir glaubten wegen früher Gegendienste zu erwarten, Deutschland, welches kein Interesse im Orient hat, hat hinter unserem Rücken nicht den „Degen“, sondern den „Dolch“ gezückt. So würde die Redensart etwa lauten, und dieses Bild, das ich in übertriebener Farbe – aber die russische Deklamation übertreibt auch – zeichnete und vor Augen führte, entspricht der Wahrheit und wir werden niemals die Verantwortung übernehmen, eine sichere, seit Menschenaltern erprobte Freundschaft einer großen, mächtigen Nachbarnation dem Kitzel, eine Richterrolle in Europa zu spielen, aufzuopfern.
Die Freundschaft, die uns glücklicher Weise mit mehreren europäischen Staaten, ja mit allen wohl in diesem Augenblicke verbindet, – denn es sind die Parteien nicht am Ruder, denen diese Freundschaft ein Dorn im Auge ist, – diese Freundschaft deshalb aufs Spiel zu setzen mit dem einen Freunde, um einem anderen in Fragen, an welchen wir Deutsche ein direktes Interesse nicht haben, gefällig zu sein, mit unserem eigenen Frieden den Frieden Anderer zu erkaufen – das kann ich wohl, wo ich nichts als meine Person in die Schanze schlage, ich kann es aber nicht, wenn ich die Politik eines großen, mitten in Europa gelegenen Reichs von 40 Millionen Sr. Majestät dem Kaiser gegenüber zu berathen habe, und deshalb erlaube ich mir hier, allen diesen Stimmen und Zumuthungen eine offene Absage zu erklären, daß ich mich darauf unter keinen Umständen einlassen würde, und daß keine Regierung, keine der am meisten interessirten, uns eine Zumuthung der Art gestellt hat. Deutschland ist durch seine Erstarkung auch zu neuen Verpflichtungen herangewachsen. Aber, wenn wir eine große Anzahl Bewaffneter in die Wagschale der europäischen Politik werfen können, so halte ich doch Niemanden dazu berechtigt, der Nation und dem Kaiser, den Fürsten, die im Bundesrathe zu beschließen haben, wenn wir Angriffskriege führen wollten, den Rath, zum Appell (Aufruf) an die erprobte Bereitwilligkeit der Nation zur Hingabe von Blut und Vermögen für einen Krieg zu ertheilen. Für keinen anderen Zweck, als für den Schutz unserer Unabhängigkeit nach außen, unserer Einigkeit unter uns und diejenigen Interessen, die so klar sind, daß, wenn wir für sie eintreten, nicht bloß das einstimmige nothwendige Votum (die Stimme) des Bundesraths, sondern auch die volle Ueberzeugung, die volle Begeisterung der deutschen Nation uns trägt – nur einen solchen Krieg bin ich bereit, dem Kaiser anzurathen.“

Welches ist das Verhältniß des Deutschen Reiches zu Oesterreich?

„Unsere Beziehungen zu Oesterreich sind die der Gegenseitigkeit, voller Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens, was eine große Seltenheit ist, namentlich nach den Vorgängen, aus Zeiten, wo andere Parteien in Oesterreich noch mächtiger waren, als sie dies heute sind. Nicht bloß von Monarch zu Monarch, nicht bloß von Regierung zu Regierung – nein, ich stehe persönlich mit dem Grafen Andrassy (dem österreichischen Ministerpräsidenten) zu meiner Freude und zu meiner Ehre in demjenigen freundschaftlichen Verhältniß, welches ihm die Möglichkeit gibt, mir jede Frage, die er für nothwendig hält im Interesse Oesterreichs, offen zu stellen, und er hat die Ueberzeugung, daß ich ihm die Wahrheit antworte, und ich habe die Ueberzeugung, daß er mir die Wahrheit über Oesterreichs Absichten sagt. Ein solches Verhältniß ist ein sehr günstiges, wenn man sich gegenüber einen Minister hat, bei dem man von der Wahrheit dessen, was er auf sein Wort versichert, vollständig überzeugt ist. In der angenehmen Lage befinden wir uns mit Oesterreich. In früheren Zeiten war es anders; da habe ich österreichische Kollegen im Bunde mir gegenüber gehabt, denen habe ich gesagt: Es ist mir gleichgiltig, ob Sie reden, oder ob der Wind durch den Schornstein geht; ich glaube kein Wort von dem, was Sie sagen. Der Graf Andrassy glaubt mir, und ich glaube ihm, was er mir sagt.“

Welche Aufgabe setzt sich das Deutsche Reich bei den Friedensverhandlungen?

„Die Vermittelung des Friedens denke ich mir nicht so, daß wir nun bei divergirenden (auseinander gehenden) Ansichten den Schiedsrichter spielen und sagen: So soll es sein, und dahinter steht die Macht des Deutschen Reichs, sondern ich denke sie mir bescheidener, ja – ohne Vergleich im Uebrigen stehe ich nicht an, Ihnen etwas aus dem gemeinen Leben zu citiren (anzuführen) – mehr die eines ehrlichen Maklers, der das Geschäft wirklich zu Stande bringen will.“

Als ein socialdemokratischer Abgeordneter tadelte, daß die deutsche Regierung sich bisher wohlwollend gegen Rußland gezeigt habe, daß dies nothwendig zum [68] Verderben Oesterreichs und Deutschlands führen müsse und daß ein Hilfsmittel dagegen die Wiederherstellung Polens als eines Bollwerkes gegen Rußland sei, machte Fürst Bismarck den Vorschlag, man sollte einmal den Socialdemokraten einen polnischen Kreis im preußischen Gebiete übergeben, damit sie denselben uneingeschränkt regieren könnten. Man würde dann endlich erfahren, welches das Ziel sei, dem sie zustreben. In diesem Zusammenhange sprach er dann noch folgende Worte:

„Wir kennen die Socialdemokratie nur von der negativen (verneinenden) Seite; Alles, was vorhanden ist, ist schlecht und muß ruinirt werden, und im Volke muß die Ueberzeugung geweckt werden, daß die regierenden Klassen üble, gewissenlose Leute sind, für die es nicht darauf ankommt, wenn man einmal gewaltthätig gegen sie verfährt. Das wissen wir, jede Politik, die ein anderer als ein Socialdemokrat treiben kann, ist erbärmlich; die Herren wissen alles besser, aber worauf sie positiv (bejahend, hier etwa: thatsächlich) hinauswollen, das verschweigen sie sorgfältig. Ich meine, wenn sie endlich jede Maske von sich abwerfen und offen kundgeben, wohin sie wollen, wie es in einem von ihnen regierten polnischen Kreise geschehen würde, dann werden wir den doppelten Vortheil haben, nämlich das abschreckende Bild des positiv verwirklichten Socialismus erkennen, welches sie jetzt sorgfältig hinter dem Berge halten, und wir werden in dem von ihnen regierten Polen hinterher die treuesten deutschen Reichsbürger haben.“
  1. Dieselben fanden im November 1850 zwischen Oesterreich, Preußen und Rußland statt und hatten zur Folge, daß die deutschen Angelegenheiten friedlich geschlichtet wurden. Damals standen noch die beiden Großmächte Oesterreich und Preußen an der Spitze des Deutschen Bundes, was zu vielen Streitigkeiten Anlaß gab und erst im Jahre 1866 durch den Ausschluß Oesterreichs aus Deutschland ein Ende nahm.