Aus vormärzlicher Zeit

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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Aus vormärzlicher Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 780–783
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus vormärzlicher Zeit.

Von Rudolf von Gottschall.

Von der Wiege des preußischen Liberalismus, von Königsberg, dessen Leben und Treiben und hervorragende Persönlichkeiten in der vormärzlichen Zeit ich in diesen Blättern bereits früher geschildert habe[1], war ich als junger verbannter Student 1843 nach meiner Vaterstadt Breslau gekommen, in der Hoffnung, dort wieder zur Fortsetzung meiner Studien an der Universität zugelassen zu werden – lag doch eine Eingabe von mir bei dem Kultusminister Eichhorn in Berlin, in welcher ich um diese Bewilligung nachgesucht hatte.

In Breslau fand ich dieselbe Gährung der Geister wie in Königsberg – man kann sich heutigen Tags kaum einen Begriff mehr machen von der Macht der damaligen Zeitströmung, die alle mit sich fortriß, welche Begeisterung für eine schönere Zukunft hegten. Es gab damals nur zwei Parteien – die eine, welche das Bestehende um jeden Preis zu schützen, die andere, welche dem Fortschritt im Staatsleben Bahn zu brechen und kampfesmuthig zu erreichen suchte, was gegenwärtig längst erreicht ist, eine Reichsverfassung und Preßfreiheit, und als letztes goldenes Ziel – ein einiges Deutschland. Jetzt, wo die Parteien sich um bestimmte Interessen scharen und ihre Programme in allen einzelnen Punkten sorgfältig ausgearbeitet haben, kann man sich schwer in eine Zeit zurückdenken, in welcher soviele unbestimmte Wünsche und Träume die Gemüther erfüllten und ein ahnungsvoller Vorfrühling, die politische und nationale Blüthe ankündigend, in den Lüften lag.

Ich war in Breslau bei einer befreundeten Familie im Packhof auf dem Bürgerwerder abgestiegen, studierte dort weniger die Pandekten als Vischers „Aesthetik“ und dichtete mein Drama „Robespierre“, welches später schon durch seinen Titel dem damaligen Polizeipräsidenten, dem wohlmeinenden Kurator der Universität, einigen Schreck einjagte. Ich erhielt zwar die Erlaubniß, die Vorlesungen zu besuchen, doch nicht als immatrikulierter Student. Ich schloß mich an die damaligen Burschenschafter, die Raczeks, an, konnte indeß nicht wirkliches Mitglied der Verbindung werden, da ich der Alma mater nicht offiziell zugehörte: doch meine Gedichte waren dort bekannt und man sah mich gern im Kreise der munteren Zecher. Den burschenschaftlichen Ueberlieferungen getreu hielten auch die Raczeks die Fahne der politischen und geistigen Freiheit hoch, eigene Interessen aufzuopfern gern bereit. So wurde in ihrer Mitte eine Eingabe an das Ministerium ausgearbeitet, in welcher die Aufhebung der akademischen Gerichtsbarkeit verlangt wurde – unter welcher man doch sehr schöne Vorrechte studentischer Freiheit besaß.

In Breslan spukte indeß schon damals der Geist der späteren Sozialdemokratie. Es gab, allerdings nicht bei den Studenten, aber in gewissen Kreisen der Gesellschaft, Anhänger Proudhons und anderer französischer Schriftsteller, und diese betrachteten achselzuckend die kurzsichtigen Tagespolitiker, welche mit der Lösung von Verfassungsfragen die Menschheit weiterzubringen hofften. Ein französischer Sprachlehrer war die Seele dieser Kreise und das Orakel derselben; doch ahnten die Gleichgesinnten noch nicht, daß ein künftiger berühmter Führer der Partei, die aus ihnen sich später bilden sollte, bereits in der Oderstadt verweilte.

Es war im Kießlingschen Keller, wo ich die Bekanntschaft eines sehr jungen Studenten machte, der sich eines großen Ansehens bei den Kommilitonen erfreute. Man betrachtete ihn als eine Art von Wunderkind, denn er kannte die Werke eines Philosophen fast auswendig, welcher für die Mehrzahl der Genossen etwas Fremdartiges hatte, zu dessen Offenbarungen ihnen der Schlüssel fehlte; er konnte die Aussprüche Hegels mit Angabe der Bände und Seiten citieren, eine vertraute Kenntniß, durch die er später in Berlin selbst auf einen Alexander von Humboldt Eindruck machte. Dabei floß ihm die Rede glatt und geläufig von den Lippen; die schwierigsten Fragen schien er gleichsam im Handumdrehen zu lösen; das Geklapper der Bierseidel, die lärmende Umgebung vermochte nicht den Fluß seiner Weisheit zu hemmen. Erhob sich aber irgend ein Widerspruch, so begegnete dieser nur dem Hohn achselzuckender Ueberlegenheit; denn dieser achtzehnjährige junge Mann erhob Anspruch auf Unfehlbarkeit, die ihm auch von einer großen Zahl der Studiengenossen bereitwillig zugestanden wurde. Seine äußere Erscheinung hatte nichts vom Stubenhocker, der beim Oel der Nachtlampe, um einen Bürgerschen Ausdruck zu gebrauchen, „zusammenhutzelt“; er war schlank gewachsen, hatte ein feingeschnittenes Profil, eine Denkerstirn, eine griechische Nase, ein ausdrucksvolles Mienenspiel, bei welchem besonders die Lippen, die leicht Verachtung und Hohn ausdrückten, mitzuwirken pflegten; das Gepräge israelitischer Herkunft war unverkennbar, trat aber doch nicht aufdringlich hervor. Bei einem langen Gespräch über Hegel, der damals auch mein Philosoph war, fanden wir viele Berührungspunkte. In Kießlings Keller waren feierliche Vorstellungen nicht Mode; ich fragte also hinterdrein nach dem Namen des sprachgewandten, geistig geschulten Studenten und erfuhr, daß er eines jüdischen Kaufmanns Sohn sei, hinter der Börse wohne und Ferdinand Lassalle heiße.

Wir traten uns seitdem näher. Die Burschenschaft wünschte, daß wir eine im Manuskript erscheinende Zeitschrift herausgeben sollten, für welche Lassalle die philosophischen Artikel und ich die Gedichte zu verfassen hätte, doch über die ersten Anfänge kam das Unternehmen nicht viel hinaus. – Wir beide waren Freunde des königlichen Schachs und spielten oft zusammen; während wir aber die leichte Kavallerie der Springer über die Felder hüpfen und die schwere Artillerie der Thürme aufmarschieren ließen, fanden wir noch Zeit genug zu einem guten und nach unserer Ansicht schwerwiegenden Wort über die deutschen Denker und Dichter und über das, was unserer Zeit und unserem Volke noththue.

Vor kurzem war ein schlesischer Dichter gestorben, dessen Worte ebenfalls eine mächtige Triebkraft in der damaligen Bewegung bildeten, Friedrich von Sallet. Sein „Laienevangelium“ hatte Aufsehen erregt; es hatte einen männlicheren Ton als Leopold Schefers „Laienbrevier“ und predigte, in kühner Umschreibung der biblischen Texte, eine Sittlichkeit, die in freier Gesinnung und muthiger Thatkraft bestand. Sallet war früher Offizier gewesen, hatte seinen Abschied genommen, sich mit einem Fräulein von Burgsdorf aus Reichau im Nimptscher Kreise, der späteren Gattin des Dr. Theodor Paur, vermählt und längere Zeit in Breslau gelebt; er hatte kaum das einunddreißigste Jahr überschritten, als ihn der Tod dahinraffte. Ich kannte ihn nicht, doch hörte ich viel von ihm erzählen; für seine Gedichte war ich begeistert und sehr zog mich auch sein Bild an, welches damals in Breslau fast überall zur Schau gestellt war: eine Art von Christuskopf mit langem Gelock, zu welchem man sich keinen rothen Lieutenantskragen hinzudenken konnte, selbst wenn man Phantasie genug besaß, die langen Locken in Gedanken abzuschneiden. Etwas Soldatisches konnte nie im Wesen des jungen Offiziers gelegen haben, der ja auch für diesen Beruf wenig paßte und schon während seiner Dienstzeit wegen anstößiger schriftstellerischer Leistungen zur Festungshaft verurtheilt worden war. Schmächtig und kränklich sah er auf diesem Bilde aus, während seine Gedichte kerngesund waren, ohne jeden krankhaften Schmerzenszug, ja selbst ohne die Schwermuth der schönen Seelen. Sallet hatte eine begeisterte Gemeinde um sich versammelt, meistens junge Gelehrte und die Redakteure der Hauptzeitungen; ich schloß mich diesem Kreise an und wir zusammen gaben das Werk „Leben und Wirken Friedrichs von Sallet“ heraus, zu welchem ich das einleitende Gedicht beisteuerte.

Von diesen geistig regsamen Männern, die natürlich alle zu der Fahne des Liberalismus geschworen hatten, ging auch die Einladung zu einer Abendgesellschaft aus, bei welcher ich die Bekanntschaft eines später vielgenannten schlesischen Parteiführers machen sollte. Wir fanden uns in einem Saale des Hotels zum „Weißen Adler“ in der Ohlauer Straße zusammen. Es galt eine Art von politischer Besprechung, und es waren auch angesehene Bürger Breslaus anwesend; man erwartete einen Vorkämpfer des schlesischen Adels, welcher die gleiche Gesinnung wie wir vertrat. Es währte nicht lange, so trat der Erwartete in den Saal, eine hohe schlanke Gestalt mit Feueraugen und einem lang herabwallenden dunklen Bart, mit ihm ein etwas kleinerer Begleiter. Es war

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Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.
Der Festdichter.
Nach einem Gemälde von C. Heyden.

Graf Eduard von Reichenbach mit seinem Freunde Dr. Krönig, einem alten Universitätsgenossen, der seit Jahren auf seinem Schlosse wohnte. Mit Graf Reichenbach kam ein belebendes Element in den ganzen Kreis; es ging von ihm ein Hauch jugendlicher Frische, Thatkraft und Unternehmungslust aus; unter den Bewegungsmännern der damaligen Zeit wüßte ich nur einen zu nennen, der einen ähnlichen Eindruck machte, den Badenser Friedrich Hecker. Graf Reichenbach war ein früherer Jenenser Burschenschafter und er hatte nach dem Verlassen der Hochschule den studentischen Geist nicht abgestreift, sondern mit ins Leben hinüber genommen. Wenn es ihm recht behaglich zu Muthe war, erzählte er von seinen studentischen Abenteuern.

An jenem Abend wurden verschiedene Reden gehalten; Reichenbach sprach mit vielem Feuer und schloß seine Ansprache mit den Worten: „Sie sollen’s in Berlin merken, daß auch wir in unserer Provinz verstehen, den Stier bei den Hörnern zu packen.“

Man fühlte heraus, daß der stürmische Geist dieses schlesischen Grafen noch über das Programm hinausging, welches sich damals die Liberalen vorgezeichnet hatten.

Ich war inzwischen in eine eigene Wohnung auf dem Hofe der ehrwürdigen Bibliothek auf dem Sande übergesiedelt und hatte dem Sekretär derselben ein Zimmer abgemiethet. Meine Fenster gingen auf den Hof, der ein klösterliches Aussehen hatte. Mir gegenüber lagen die Fenster der Bibliothekbeamten – und da drüben hatte ja auch die vormärzliche Bewegung, die Brandung der Geister vor kurzem einen Beamten von seinem Posten fortgespült. Der Minne- und Liedersänger Hoffmann von Fallersleben, der Kenner und Meister altdeutscher Litteratur und Großsiegelbewahrer der Bücherschätze des vormaligen Augustinerklosters, hatte gewagt, einen in Berlin sehr mißliebigen Ton anzustimmen, indem er in seinen „Unpolitischen Liedern“ kleine Epigramme mit oft giftigem Pfeil auf Censur, Beamtenthum, Orden und alles andere, was damals von den Liberalen für vogelfrei erklärt worden war, losgeschnellt hatte. Man machte nicht viel Federlesens mit dem Universitätsprofessor – man entsetzte ihn seiner Aemter und er mußte zum Wanderstabe greifen.

Ein junger Privatdocent, der damals ebenfalls in deutscher Sprache und Litteratur wirkte, rückte, trotz der fühlbaren Lücke, die sich nach dem Abgang Hoffmanns gebildet hatte, nicht in die Reihe der Professoren vor; er war wohl auch ketzerischer Gesinnungen verdächtig! In unsern studentischen Kreisen hielt man nicht viel von dem hochaufgeschossenen Privatdocenten. Er galt für einen Stutzer, welcher bei den kaufmännischen Vergnügungen auf der Börse die Honneurs machte; und als eine Sammlung Gedichte von ihm erschien, die in der That keine lyrische Ader verriethen, da hatte er ganz seinen Ruhm dahin und die böswilligste kritische Lauge ergoß sich über den jungen Dichter, der bei uns damals dieselbe Rolle spielte, wie der Lyriker Bellmaus in Freytags „Journalisten“. Doch die Welt ist dem Irrthum unterworfen [782] und auch eine Studentenschaft kann sich irren. Dieser Bellmaus war kein anderer als Gustav Freytag, der allerdings seitdem die Lyrik auf dem Strich hatte, aber dafür auf andern Gebieten sich zu einer ersten Größe unserer Litteratur emporarbeitete, und die Vorstudien, die er damals bei den Kaufleuten, auf der Börse, in den Materialwaren-Handlungen zum Mißvergnügen eines großen Theils der akademischen Jugend machte, hat er in seinem Haupt- und Glanzwerke „Soll und Haben“ ja zu Nutz und Frommen des ganzen deutschen Lesepublikums verwerthet.

Aus dem einsamen Klosterhofe sollte auch ich bald in die Verbannung ziehen, doch mit glänzendem Geleite. Schon war die ersehnte Bewilligung unterwegs, die mich wieder in Reih und Glied mit der übrigen Studentenschaft stellen sollte, als ein heimtückischer Zufall den guten Willen des Kultusministeriums vereitelte und mich selbst wieder, als ich schon dem Hafen nahe war, auf die hohe See hinaustrieb. Schuld daran trug diesmal die leidige Philosophie und der thörichte Eifer, eine Rolle zu spielen, die ich meinem jungen Dichterruhm schuldig zu sein glaubte; denn wenn man mit achtzehn Jahren ein Bändchen Gedichte hat erscheinen lassen, welches, dank der Zeitströmung, in allen deutschen Blättern besprochen wurde, so hält man sich für berühmt, und wenn man sich den Siebzigern nähert, so erkennt man erst, daß dazu die Arbeit eines ganzen Lebens nicht genügt hat.

Unter den Professoren der Universität befand sich ein Philosoph, der einen vorzüglichen Vortrag hatte, Christlieb Julius Braniß, der aber mit der Freigeisterei der Junghegelianer wenig einverstanden war und in einem seiner Collegia Ludwig Feuerbach aufs heftigste angriff. Das erbitterte die zahlreichen Anhänger des letzteren unter der Jugend und sie demonstrierten durch heftiges Scharren mit den Füßen, was damals durchaus nicht wie heute eine zustimmende Huldigung bedeutete, sondern einen recht böswilligen Widerspruch. Eine Widerlegung des Professors war das nun freilich nicht, und einer seiner eifrigsten Anhänger, ein junger Student Namens Grieben, später lange Zeit ein tüchtiger Redakteur der „Kölnischen Zeitung“, warf sich in einem Zeitungsartikel zum Richter auf über das unpassende Gebahren der akademischen Jugend. Damit hatte er aber in ein Wespennest gestochen; es wurde, zum Theil von den Führern der Burschenschaft, an deren Spitze mein späterer Schwager, Max von Wittenburg, stand, eine große studentische Versammlung einberufen, auf welcher Grieben seinen „Pairs“ Rede stehen und sich wegen seiner Anmaßung, die Studentenschaft hofmeistern zu wollen, rechtfertigen sollte. Die Versammlung wurde vom Rektor verboten, aber, wie das oft zu geschehen pflegt und in vormärzlicher Zeit die Regel war, trotzdem abgehalten, und sie war so zahlreich besucht, wie nur irgend möglich. Grieben erschien wie auf der Armesünderbank und wurde von den Geschossen der Redner durchbohrt wie der heilige Sebastian: er fand gar keine Vertheidiger. Auch ich hielt es für angebracht, ein kräftig Wörtlein mitzusprechen, und noch einer wandte sich gegen Grieben: eine spitze, aber scharfdurchdringende Stimme verschaffte sich Gehör – es war diejenige Ferdinand Lassalles, der hier wohl seine erste öffentliche Rede hielt.

Nun begab sich das Unvermeidliche: die Untersuchung des Universitätsgerichts wurde eingeleitet, Wittenburg fiel als ihr erstes Opfer. Ich aber war diesem Gericht nicht unterthan; ich war nur ein geduldeter Hörer der Alma Viadrina – und so machte man mir weiter keinen langen Prozeß, sondern ich wurde einfach aus der Stadt verwiesen. Da der Universitätskurator Heinicke zugleich Polizeipräsident war, so machte dies keine Schwierigkeiten. Ich hatte noch eine kurze Verhandlung mit ihm, bei welcher wir uns über die Wahl solcher Dramenstoffe wie Robespierre nicht verständigen konnten und bei welcher der im übrigen sehr leutselige und liebenswürdige Herr sich über mein Talent günstiger aussprach als später mancher kritische Weltrichter, der mich zwar aus keiner Stadt verwies, aber vom deutschen Parnaß verbannen wollte; an der Sache selbst ließ sich indeß nichts ändern, ich mußte mein Ränzchen schnüren. Doch ohne Sang und Klang sollte ich nicht von dannen ziehen – ich war ja ein Dichter und die Studentenschaft wollte ihre Dichter ehren. Ueber die Sandbrücke rasselten die Vierspänner und vor dem Klosterhof schmetterte das Posthorn! Ein großes „Komitat“ mir zu Ehren – die Burschenschafter alle, aber auch einige Wagen mit Landsmannschaftern und Ferdinand Lassalle, der keiner Verbindung angehörte, fehlten nicht! Auch die liberale Bürgerschaft hatte einige Vertreter gesendet, die mit in meinem Wagen saßen. Und so ging’s in langem Wagenzuge über die Sandbrücke durch die Stadt, an dem Polizeigebäude vorüber, wo die Postillone lustig das Lied schmetterten: „Bemooster Bursche zieh’ ich aus“, vorüber an einer zahlreichen in den Straßen sich ansammelnden Volksmenge nach dem Oberschlesischen Bahnhofe. Dort wurde in gewohnter studentischer Weise, „himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ Abschied genommen – viel Volk hatte sich nachgedrängt und die Wächter der Ordnung hatten keine leichte Arbeit. Bald saß ich im Eisenbahnwagen und dampfte den oberschlesischen Wäldern zu.

Das Komitat setzte natürlich wieder das Universitätsgericht in Thätigkeit. Auch Lassalle wurde vorgeladen und trotz seiner glänzenden Vertheidigung, die er mir in einem größeren Briefe mittheilte, zu mehrtägiger Carcerstrafe verurtheilt. Die künftigen Ereignisse warfen ihre Schatten voraus. Es war seine erste Untersuchung, Vertheidigung und Haft – er sollte später in diesen gerichtlichen Angelegenheiten recht viel Uebung gewinnen.

In den oberschlesischen Wäldern suchte ich zunächst eine Zufluchtsstätte. Dort hatte eine alte Tante von mir ein großes Besitzthum, Wiersbel bei Friedland; es war wie begraben in mächtigen Wäldern, die sich bis zur Oder erstreckten, und ein großer Theil dieser Forsten gehörte zu dem Gute. Es war eine Freude, allein oder mit dem Förster durch diese Wälder zu streifen, wo uns oft stundenlang kein menschliches Wesen begegnete. Da gab es prächtige Eichen auf den Dämmen, melancholische Waldteiche in den Lichtungen, aus deren Röhricht das Konzert der Sumpfvögel ertönte. Und wenn ich einsam neue Wege suchte, welche Freude, mich in diesem Urwalde zu verirren und wie eine Rothhaut mich nach dem Stande der Sonne zu orientieren und wieder in meinen Wigwam heimzufinden. Mancher Vogel wurde von den Zweigen heruntergeknallt: ja selbst manches harmlose Eichhorn mußte es mit dem Tode büßen, daß es den Namen des mir damals sehr mißliebigen Kultusministers trug.

Etwa zwei Stunden Wegs von Wiersbel entfernt, mehr nach Neiße zu, lag Waltdorf, das Gut des Grafen Reichenbach, wo ich stets ein willkommener Gast war und wochenlang verweilte. Das Wohnhaus war nicht groß, aber schloßähnlich und hatte vor dem Haupteingang eine kleine Säulenhalle, zu welcher Stufen in die Höhe führten. Graf Reichenbach hatte mir meinen „Robespierre“ abgekauft und als mein Verleger das Stück im Buchhandel erscheinen lassen. Auch ein Drama „Thomas Münzer“ hatte ich zu dichten unternommen, und ich las die vollendeten Akte in Waltdorf einem großen Publikum vor, das zu diesem Zwecke eingeladen war und meistens aus Bewohnern der benachbarten Festung Neiße bestand. „Thomas Münzer“ hat indeß niemals das Licht der Oeffentlichkeit erblickt und die ungedruckte Vergessenheit der gedruckten vorgezogen.

Waltdorf war damals eine Freistatt für alle Gemaßregelten, und so fand ich mich dort mit einem Manne zusammen, dessen Name heutigentags wieder die Blätter füllt – es war der seines Amtes entsetzte Professor Hoffmann von Fallersleben. Damals stand er in seiner Blüthe; die Regierung hatte ihn zum Märtyrer seiner Ueberzeugung gemacht und zugleich zum wandernden Minnesänger, da sie ihn aus seiner sicheren Lebensstellung hinausgedrängt hatte. Er war von großer kräftiger Gestalt, blühender Gesichtsfarbe, etwas grobkörnig und vierschrötig in seinem Wesen, und wenn er mit dem dicken Knotenstock in der Hand und den nägelbeschlagenen Stiefeln ins Zimmer trat, so machte er durchaus nicht den Eindruck eines Salonpoeten. Wie oft bin ich mit ihm über die Felder und durch die Gebüsche von Waltdorf gewandert, durch eine Landschaft, deren Hintergrund die blaßblauen Sudeten bildeten! So kräftig aber seine Gestalt war, seine Stimme hatte keineswegs des Basses Grundgewalt, sie hatte einen hellen Ton und paßte zum Gläserklang, der die Kehrreime begleitete, wenn er seine „Unpolitischen Lieder“ vorsang. Hatte er doch einige nach bekannten Melodien gedichtet, zu andern selbst leichte Sangesweisen gefunden! Oft bei unsern Spaziergängen trug er dies oder jenes Liedlein vor: er selbst hat sie ja den Glöcklein verglichen, bei deren Klang die Lawine stürzt. Abends im Saal des Schlosses, wenn er, ein großer Kinderfreund, mit den Kindern gespielt oder ihnen Spielzeug zurechtgeschnitzt hatte, sang er ihnen nicht bloß Kinderlieder vor, die er zahlreich gedichtet hat, sondern bei der Bowle und in der von ihr hervorgerufenen erhöhten Stimmung begann er das helle Glöcklein seiner politischen Lieder ertönen zu lassen.

[783] Später zog der Liedersänger von Stadt zu Stadt, und wie oft hat er an der Gasthoftafel seine Lieder vorgesungen und dafür Beifall und gelegentliche Fackelzüge geerntet! Wie haben sich die Zeiten geändert! Ein Dichter, der jetzt an einer Gasthoftafel seine Lieder vorsingen oder vordeklamieren wollte, würde ganz gewiß in eine Nervenheilanstalt gebracht werden.

Ich selbst aber fand endlich Gnade beim Ministerium, ich wurde an der Breslauer Universität zugelassen, diente mein Jahr bei den Gardeschützen ab, wo ich nicht nur die Bekanntschaft der französisch sprechenden Schweizeroffiziere und vieler tapferer Neufchateler machte, sondern auch diejenige eines später vielgenannten Bühnenschriftstellers; denn der jüngste Lieutenant bei meiner Compagnie war – Gustav von Moser.


  1. Im Jahrgang 1871, Nummer 2 und 13.