BLKÖ:Visi, Johann Baptist

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 51 (1885), ab Seite: 61. (Quelle)
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Visi, Johann Baptist (Geschichtsforscher, geb. in Mantua am 11. Mai 1737, gest. ebenda 14. November 1784). Sein Vater Ferdinand, der aus Ostiglia nach Mantua übersiedelte, übte daselbst die Advocatur aus, die Mutter Margarethe war eine geborene Fortini. Unter der Leitung des Vaters erzogen, besuchte der Sohn dann das Gymnasium in seiner Geburtsstadt und begann mit 14 Jahren auf jenem zu Reggio die philosophischen Studien. Nach Vollendung derselben kehrte er nach Mantua zurück, und voll Ehrgeiz, wie es die Jugend ist, und geblendet von den Ehren, welche man damals drei berühmten Aerzten Mantuas: Flaminio Corghi, Giuseppe Piceo und vor Allem Vittore Vettori, erwies, faßte er bald den Entschluß, gleichfalls Medicin zu studiren, worin er wahrscheinlich von Vettori bestärkt wurde, der als Freund des Hauses viel in demselben verkehrte und wohl den bedeutendsten Einfluß auf den empfänglichen Jüngling ausüben mochte. Aber mit [62] dieser Wahl war der Vater, der Rechtsgelehrte, nichts weniger als einverstanden, und mit dem Eifer, mit welchem sich der Sohn dem ärztlichen Studium hingab, wuchs auch der Widerstand von Seite des Vaters, welcher endlich siegte, indem Visi die Medicin aufgab und der Jurisprudenz sich widmete. Wir können hier nicht näher auf die Gründe eingehen, welche den Vater bewogen, so hartnäckig auf seinem Verlangen zu bestehen, es sei nur der eine und am meisten ins Gewicht fallende angeführt. Die Laufbahn des Rechtsgelehrten [vergl. die Biographie Pietro Verri Bd. L, S. 144] war in Italien damals eine ebenso ehrenvolle, als bei den communalen Verhältnissen der Städte materiell sehr vortheilhafte. Dem Rechtsgelehrten standen alle Ehren und Würden der Magistratur offen, und diese wurden, wie die Dinge eben lagen, viel gesucht und umworben. Visi hatte das Rechtsstudium beendet und kehrte nun nach Mantua zurück. Aber da ihm nur zu bald die Langeweile der monotonen Beschäftigung mit judiciellen Angelegenheiten widerstrebte, so suchte er einigermaßen Ersatz dafür in literarischen Arbeiten. Kurz, es war wieder die alte Geschichte mit Pegasus im Joche. Visi fand zunächst in der Dichtung und in ästhetischen Studien Ersatz für den mit Widerwillen auf sich genommenen Beruf. Zu jener Zeit ging man, wie anderwärts in Italien, so auch in Mantua daran, das literarische Leben, welches bis dahin in ästhetischen Tändeleien und eitlem Versgeklingel verflachte, geistig zu heben und ihm einen positiven Inhalt zu verleihen. Akademien, wie sie damals bestanden, die Accademia degli Invaghiti, dei Timidi, mochten ihrer Zeit entsprochen haben, den neuen Verhältnissen, dem neu erwachten geistigen und politischen Leben genügten sie nicht mehr. Und so entstand denn die Colonia Virgiliana, eine Gesellschaft, welche ihre Aufgabe ernster nahm, indem sie das Ziel sich setzte, nicht nur gründliche wissenschaftliche, namentlich geschichtliche Studien zu fördern, sondern auch, das Nützlichkeitsprincip stets vor Augen, die Landwirthschaft, die Industrie zu heben, kurz die geistigen Zustände in einer den vorgerückteren praktischeren Forderungen der Zeit angemessenen Weise zu gestalten. Mitglied dieser Gesellschaft war Visi vom Augenblicke ihrer Gründung an, und jeden freien Moment, welchen er dem ihm aufgedrungenen Berufe abringen konnte, widmete er seinen ernsten Studien. Ganz aber sich ihnen zuwenden, konnte er erst nach dem Tode seines Vaters, wo er seine bisherigen richterlichen Arbeiten ein für alle Male aufgab und sich nur noch mit seinem Lieblingsgegenstande, der Geschichte und Alterthumskunde seines engeren Vaterlandes, beschäftigte. Nun durchwanderte er die ganze Provinz Mantua, besuchte überall die Archive, copirte darin die für seine Zwecke entsprechenden Urkunden und sonstigen Documente. Anfang 1770 stellte er das Programm auf für seine „Storia civile ed ecclesiastica di Mantova“, welches er dem Fürsten Kaunitz nach Wien schickte, und nach welchem er die Geschichte der Provinz in folgenden acht Epochen zu schreiben beabsichtigte: 1. von der Gründung Mantuas bis zum römischen Kaiserreiche; 2. von diesem bis zur Ankunft der Völker aus dem Norden in Italien; 3. von Alarich bis auf die Zeiten Giustinianos; 4. von diesen bis zur Vernichtung des Longobardenreiches; 5. von Karl dem Großen bis Friedrich I.: 6. von der italischen Freiheit bis zum Regierungsantritte der [63] Gonzaga; 7. von der Zeit der Gonzaga bis zum Verlust ihrer Staaten; 8. von Kaiser Joseph bis auf die Gegenwart. Das Programm fand in Wien von Seite der kaiserlichen Regierung die willkommenste Aufnahme, wie man denn überhaupt daselbst für Alles, was auf eine Entwickelung des geistigen, industriellen und Kunstlebens im österreichischen Oberitalien abzielte, nicht geringes Interesse an den Tag legte. Graf Firmian, damaliger Gouverneur der Lombardie, ein erleuchteter Staatsmann und Freund und Förderer der Wissenschaften, schrieb unterm 11. December 1771 an Visi, Seine Majestät habe von dessen Vorhaben, eine gute Geschichte Mantuas bis auf die Gegenwart zu schreiben, mit großem Wohlgefallen Kenntniß genommen und werde gerne bereit sein, dieses löbliche Unternehmen nach Kräften zu fördern und zu unterstützen, und früher schon, im Juli 1770, hatte Fürst Kaunitz den Gelehrten brieflich aufgemuntert, sich immerhin an die Arbeit zu machen, worauf er nicht ermangeln werde, dieselbe in entsprechender und anerkennender Weise zu belohnen. Diesen Versprechungen folgten dann auch die Thaten, indem Visi für jedes Jahr eine Summe von 300 fl. angewiesen wurde; freilich hatte er selbst bis dahin mehr als das vierfache bereits daran gewendet. Uebrigens wurden ihm auch sämmtliche öffentlichen Archive zur Benützung freigegeben und noch sonst manche Förderung bei Herausgabe des Werkes gewährt. Zwei Bände hatte Visi von seiner wichtigen Arbeit vollendet, ein dritter sollte dieselbe schließen und ein Codice diplomatico Mantovano als Anhang beigegeben werden. Die Aufnahme der fertigen Bände, wie sie aus Zuschriften an den Autor von Giov. Batt. Castiglione, von Girolamo Tiraboschi und Anderen erhellt, war eine ungemein günstige, die Gediegenheit der Arbeit anerkennende. Aber dies Alles vermochte den häuslichen Jammer in der Familie des Verfassers nicht zu beseitigen. Von schwächlicher Gesundheit, befand sich Visi noch überdies in beständiger Sorge um das tägliche Brod, wodurch seine Kräfte nur noch mehr zerfielen. Schon im Jahre 1779 ist er in einem Schreiben vom 10. März an den Grafen Wilczek genöthigt, um den Betrag von 1000 fl. als eine Compensation für seine Arbeit zu bitten, da die unentbehrlichen Ausgaben zur Erhaltung seiner zahlreichen Familie, die von seinen Vorfahren datirenden Schulden und noch vieles Andere, dessen er ausdrücklich in seinem Briefe gedenkt, ihn in einen Zustand versetzt haben, aus dem ihn nur die Gewährung seiner nicht unbegründeten Bitte erretten könne. Unter solchen Umständen ging es auch mit der Bearbeitung des dritten Bandes nicht so rasch vorwärts, da seine Gesundheit immer schwankender, seine Sorgen immer größer, der häusliche Jammer, da es ja oft am Nöthigsten fehlte, immer drückender wurde. Um die nothwendigsten Lebensbedürfnisse zu decken, sah er sich schon gezwungen, kostbarere, ihm aber zur Arbeit unentbehrliche Werke, wie den Graevius, Gronovius, Burmann u. s. w., zu veräußern. Unter solchen qual- und jammervollen Umständen flackerte immer matter das Lebenslicht des geistig und körperlich Gebrochenen, bis er im Alter von 47 Jahren die Augen schloß. Das Werk war unvollendet geblieben, aber im Nachlasse fanden sich die Materialien dazu. Außerdem enthielt derselbe noch andere, nicht minder wichtige, so: „Illustrazione di inonumenti lapidarj d’antichità [64] romana esistenti in Mantova e nel territorio“; – „Contra Christi sanguinem Mantuae adservatum“; –„Memorie della famiglia Casaloldi; – „Memorie varie per la città e lo stato di Mantova“; – „Adversaria Mantuana rerum ad Mantuanam historiam pertinentium“; – „Memorie intorno all’istoria ed ai diritti posseduti da varj paesi del Mantovano fra quali Viadana, Gazzuolo, Asola, Guiddizzolo, Carzedole etc.“; – „Vitae S. Simeonis Almeri et S. Anselmi Lucensis Episcopi“; – „Dissertazione diretta a provare che Mantova non altri fondatori ebbe che gli Etruschi“ und außer zahlreichen kleineren lyrischen Dichtungen eine italienische Uebersetzung des Frosch-Mäusekrieges: „Batracomiomachia“. Leben und Arbeiten des unglücklichen Forschers waren lange nahezu unbeachtet geblieben, bis der berühmte italienische Archäolog Carlo d’Arco dieselben der Vergessenheit entzog und darüber öffentlich einen gedrängten Bericht erstattete. Ueber Visi’s Bibliothek gab Leopold Camillo Volta ein Jahr nach dessen Tode einen Katalog unter dem Titel: „Bibliotheca Visiana seu Catalogus librorum quos collegit J. B. Visius“ (Mantuae 1785) heraus. Der wissenschaftliche Werth, der Geschichte Mantuas von Visi ist unbestritten kein geringer; aber wie Carlo d’Arco ganz richtig hervorhebt, war der Verfasser doch in Manchem behördlich beengt, und wenn er sich auch nicht herbeiließ, Thatsachen zu fälschen, so mußte er doch manche verschweigen, die zur Geschichte gehörten; aber auch nur diese den Werth des Werkes im großen Ganzen unwesentlich schädigende Rücksichtnahme ist das Einzige, was gegen dasselbe sich einwenden läßt.

Cherubini (Francesco). Notizie storiche e statistiche intorno ad Ostiglia (Milano 1826) p. 96.Gazetta di Mantova, 1854, Nr. 82, 84 et s., im Appendice di Varietà: „Notizie intorno alla vita ed alle opere di Giovanni Battista Visi“, del Carlo d’Arco.