BLKÖ:Wiechovsky, Alexander

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 55 (1887), ab Seite: 282. (Quelle)
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Wiechovsky, Alexander (Pädagog, geb. zu Friedland in Böhmen am 27. August 1831, gest. im Prager Handelsspitale am 1. Februar 1883). Sein Vater Joseph, seines Zeichens Tuchscheerer, stammt aus Polen, die Mutter Maria Anna, eine geborene Weber, gehörte einem alten Friedlander Bürgergeschlecht an. Die Dürftigkeit im Vaterhause war groß, und die Kinder mußten, um der Noth abzuhelfen, den Eltern bei der Arbeit zur Hand gehen, und dies that auch Alexander bis zum zwölften Jahre, dann aber erklärte er mit Bestimmtheit, Lehrer werden zu wollen, und ließ sich durch keine Vorstellungen von seinem Vorhaben abbringen. [283] Im Alter von 13 Jahren wirkte er bereits zu Friedland in der Stadtschule und im Kirchendienste mit und versah bis zu seinem 16. Jahre die Stelle eines Hilfslehrers in einer Schule von mehr als hundert Kindern, und um sich noch nebenbei etwas zu verdienen, gab er Privatstunden. Für das Honorar, welches er dafür erhielt, nahm er Unterricht in der Musik, der ziemlich umfassend war, da er Clarinette, Flöte, Violine, Waldhorn, Fortepiano spielte und daneben sich im Gesange übte. Im October 1847 trat er zu Leitmeritz in den sogenannten Lehrercurs ein und bildete sich ein Jahr hindurch für den Unterricht in der Volksschule aus. Da jedoch die Unterstützung vom Elternhause eine sehr geringe war – sie konnte eben nicht größer sein – so verschaffte er sich durch Stundengeben die zum Lebensunterhalt erforderlichen Mittel. Endlich, im Alter von 17 Jahren, gelang es ihm, in die Unterrealschule zu Leitmeritz einzutreten. 1850 bezog er dann die Oberrealschule in Prag. Es war ein wahrer Kampf ums Dasein, den er dort bestand, da er mit einer Summe von 70 fl. seine Bedürfnisse während eines Jahres bestreiten mußte. Aber materiell entbehrend, schwelgte er, da er in die Gegenstände des höheren Unterrichtes eingeführt wurde, in geistigen Genüssen. Auch hatte er das Glück, von Seite des Fürsten Adolf Schwarzenberg ein Stipendium von 100 fl. zu erhalten, das er durch vier Jahre genoß. 1853 trat er ins Prager Polytechnicum über, um sich aus Mathematik und Physik für das Lehramt vorzubereiten, und nebenbei betrieb er fleißig Erziehungskunde. Doch genügte ihm das Studium der Realien nicht, und er beschloß, nun auch das humanistische Studium zu vollenden. Dadurch entfremdete er sich aber seine Gönner, die sein Zielbewußtsein für Ziellosigkeit erklärten, und er verlor das Fürst Schwarzenberg’sche Stipendium. Doch ließ er sich durch alle Widerwärtigkeiten, die er ja vorausgesehen, nicht entmuthigen. Lange Zeit war er subsistenzlos, endlich im October 1855 erhielt er eine Erzieherstelle in einem Privathause, wo er sich auch für den Taubstummenunterricht vorbereitete. Unter solchen Verhältnissen kam das Jahr 1859 heran, in welchem er die Maturitätsprüfung ablegen konnte. Bereits 28 Jahre alt, bezog er im October die Universität und trieb mit allem Eifer philosophische, historische und philologische Studien; auch begann er auf Höfler’s Anregung mit historischen Arbeiten. Eine größere Abhandlung über die Schlacht am weißen Berge war 1861 die erste Frucht seiner Studien, dann hielt er über dieses Thema mehrere Vorlesungen vor Lehramtscandidaten der Geschichte, und am 14. Mai 1861 ging er mit seinem Freunde Dr. Ludwig Schlesinger an die Gründung des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen. Auch unterzog er sich in dieser Zeit den Rigorosen zur Erlangung der philosophischen Doctorwürde, die ihm am 3. Juni 1863 zutheil wurde. Noch legte er das Staatsexamen, 1864 die geschichtlich-geographische Lehramtsprüfung ab und wurde am 12. Februar 1865 für das Lehrfach der Geschichte und Geographie an Obergymnasien approbirt. Ohne eine Stelle zu haben, aber zur Erlangung einer solchen vollkommen vorbereitet, ging er, bereits 34 Jahre alt, an die Verwirklichung seiner seit langer Zeit genährten Idee, nämlich an die Gründung einer großen Humanitätsanstalt. Das Ideal, das ihm dabei vorschwebte, und das er mit dem einfachen [284] Namen „Die Heimat“ bezeichnete, wird seiner Eigentümlichkeit wegen, die aber nichts von Utopie an sich hat, in den Quellen Seite 285 mit einigen Worten skizzirt. Zunächst jedoch konnte er nur rein praktische Zwecke verfolgen, und so gründete er mit einem Capital von nicht vollen 2000 fl., welches ihm Freunde vorstreckten, im Schuljahre 1865/66 eine Privatunterrichtsanstalt, welche aus Untergymnasium und Unterrealschule bestand und am 1. October 1865 eröffnet wurde. Um sich seinem Institute ganz zu widmen, legte er die Geschäftsleiterstelle des historischen Vereines, welche er seit Juli 1862 versehen hatte, nieder. Noch aber kämpfte er mit nicht geringen Schwierigkeiten. Da er denn doch bei der Leitung seiner Anstalt auf weibliche Hilfe angewiesen war, vermälte er sich am 21. August 1866 mit Wilhelmine Friederike Meißner, der Tochter eines praktischen Arztes in Prag, die ihm bis an sein Lebensende treulich zur Seite stand [vergl. die folgende Lebensskizze]. Bald verbanden die beiden Gatten mit der Schule ein Knabenpensionat. Wiechovsky’s Privatanstalt , welche eine Pflegstätte deutschen Wesens, deutscher Sprache und deutscher Sitte, zugleich aber auch der Wahrheit und Humanität war, gewann in kurzer Zeit ein solches Ansehen, daß die Regierung dieselbe durch das Recht der Ausstellung staatsgiltiger Zeugnisse auszeichnete (25. Mai 1868). Wenn er sich auch noch immer mit seinem Ideal, der „Heimat“, trug, so wurde er sich doch der Schwierigkeiten, wo nicht gar unter den bestehenden Verhältnissen der Unmöglichkeit der Verwirklichung bewußt und wendete sich praktischen Ideen zu, unter Anderem der Gründung eines deutschen pädagogischen Vereines in Prag, mit welcher wieder nicht geringe Schwierigkeiten, vor Allem die Herbeischaffung der nöthigen Geldmittel, verbunden waren. Am 29. Juli 1869 constituirte sich der Verein, dessen Obmann er ward und blieb, und durch den der erste deutsche Volkskindergarten in Oesterreich und die deutsch-böhmischen Lehrertage ins Leben traten. Als dann derselbe immer fester Wurzel faßte, machte sich auch das Bedürfniß nach einer eigenen Vereinszeitschrift geltend, und so erschienen im Jänner 1870 die „Blätter für Erziehung und Unterricht“, deren Redacteur unser Pädagog wurde. Im Sommer 1870 fand auch die Eröffnung des deutschen Volkskindergartens in der Resselgasse und am 21. September dieses Jahres die erste Hauptversammlung des deutsch-böhmischen Lehrertages statt. Indessen erweiterte der pädagogische Verein immer mehr seine Thätigkeit und bildete am 12. Jänner 1871 eine Frauensection, welcher Wiechovsky’s Gattin vorstand. Durch ein Legat von 3000 fl., welches dem Volkskindergarten zufiel, wurde es möglich, daß im October 1871 die erste Classe der sich später an den Kindergarten anschließenden deutschen Freischule eröffnet werden konnte. Um nun den Bestand der mit dem pädagogischen Vereine verbundenen Schulanstalten zu sichern, gründete Wiechovsky eine eigene Casse in demselben, welche rein nur für Schulzwecke verwendet wurde, während die von ihr getrennte Casse des Vereines dessen Zwecke bestritt. Inzwischen hatten auch im Geschichtsvereine sich die Verhältnisse geändert. Professor Höfler, welcher als Vicepräses demselben längere Zeit vorgestanden, legte sein Amt nieder, und nun wurde Wiechovsky am 1. Juli [285] 1870 als Nachfolger gewählt, dieser aber nahm die Wahl mit der Erklärung an: die Stelle nur bis zur Rückkehr Dr. Schlesinger’s, der damals in Leitmeritz war, behalten zu wollen. Die Wiederwahl im Juli 1877 lehnte er aber entschieden ab. So gingen die Dinge ihren besten Gang, die Lehranstalt blühte, die Pension wurde stark besucht, der pädagogische Verein und der Kindergarten entwickelten sich und gediehen immer kräftiger, als mit einem Male das Unglück Wiechovsky’s Familie schwer heimsuchte. Innerhalb eines halben Jahres, 1870–1871, verlor er vier gesunde Kinder, zwei Knaben, zwei Mädchen, dann seinen Schwiegervater und zuletzt den Erzieher der Zöglinge. Sechs Leichen ihm nahe stehender Wesen innerhalb sechs Monate! Der Schlag traf den Mann so gewaltig, daß er sofort den Gedanken faßte, seine Anstalt aufzulösen, die Freiheit seiner Stellung, die ihm bisher über Alles galt, zu opfern und sich um eine Staatsanstellung zu bewerben. Mit offener und wahrheitsgetreuer Darlegung der Verhältnisse und der Bestimmungsgründe bot er dann dem Unterrichtsminister seine Dienste an und erhielt im Mai 1872 den Posten des Directors der k. k. deutschen Lehrerbildungsanstalt in Prag. Am 14. Juni 1873 wurde er vom Landesausschusse als Vertreter des Landes in den Landesschulrath erwählt, 1875 zum Director-Stellvertreter der k. k. Prüfungscommission für Volks- und Bürgerschulen ernannt. Aber schon 1877 begann er zu kränkeln, so daß er Ende dieses Jahres die Redaction der „Blätter für Erziehung und Unterricht“ niederlegte, die nun, statt wie bisher als Wochenschrift, in zwanglosen Heften erschienen, deren erstes er trotz seines leidenden Zustandes noch redigirte. Mit den nächstfolgenden Jahren wuchs sein Martyrium, wozu sich dann als ganz besondere Tücke des Schicksals der Umstand gesellte, daß, seitdem Wiechovsky die Redaction der Blätter für Erziehung niedergelegt, die Feinde, welche jedes ehrliche und erfolgreiche Streben im Gefolge hat, aus allen Ecken und Schlupfwinkeln hervorkrochen, und da er kein Blatt mehr hatte, in dem er diesen Kröten und Molchen auf den Kopf treten konnte, er Angriffe über sich ergehen lassen mußte, die ihn, den ohnehin Leidenden und somit doppelt Empfindlichen, doppelt kränkten, so daß, da schon der Körper litt, auch die Seele mitergriffen wurde. Endlich nahm sein Leiden so überhand, daß die häusliche Pflege nicht mehr genügte und er, so sehr die Gattin sich dagegen sträubte, ins Prager Handelsspital gebracht werden mußte, wo er nach einigen Worben schweren Leidens am 1. Februar 1883 seinen Geist aufgab. Er war erst 52 Jahre alt geworden, obwohl ihm seine kräftige Leibesconstitution eine weit längere Lebensdauer in Aussicht stellte. In einem ihm gewidmeten pietätvollen Nachrufe heißt es: „Er ist als armer Mann gestorben, aber er hinterließ seinen fünf im zartesten Alter stehenden Kindern einen Namen fleckenloser Reinheit, das hell leuchtende und ungetrübte Bild edler idealer Männlichkeit.“

Grundlinien der Idee der von Wiechovsky geplanten unter dem Namen „Heimat“ zu errichtenden großen Humanitätsanstalt. Wiechovsky besprach sich bezüglich dieser Idee mit hervorragenden Persönlichkeiten, vornehmlich mit dem damals noch in Gratz als Professor weilenden, später uns leider durch seine Berufung nach München entrissenen Professor Brinz [Band XI, 372 und Band XXIII, S. 366] und Dr. Löschner [Bd. XV, S. 402]. Besonders der Letztere, welcher in Beziehung auf humane Lebensanschauungen [286] ein Geistesverwandter Wiechovsky’s genannt werden konnte, fand diese Idee ausgezeichnet schön und begeisterte sich für dieselbe. Die Anstalt sollte, wie unser Pädagog meinte, den Namen „Heimat“ führen und armen Kindern in der That für Leib und Seele „Heimat“ bleiben. Da er durchaus gegen die, wie er sich ausdrückte, „Kasernenerziehung“ war, so dachte er sich die Verwirklichung seines Ideals als eine Colonie kleiner Häuser auf dem Lande, welche, um ein Schulhaus gruppirt, kinderlose Eheleute zu beherbergen hätten, die durch Aufnahme und Erziehung fremder armer Kinder Familien bilden sollten. Auf diese Art würden auch arme und verarmte würdige Leute Versorgung und einen edlen Lebenszweck gefunden haben. Er selbst wollte in der Schule wirken, sich die Organisation und Leitung des Ganzen vorbehalten und der Mittelpunkt der ganzen Anstalt werden. Es lag wohl in der Natur der Sache, daß ein so großes Werk, das ungeheuere Geldmittel erfordert hätte, nicht von einem namenlosen obscuren Menschen unternommen werden konnte. Sein Streben ging nun vor Allem dahin, sich durch pädagogische Wirksamkeit einen Namen zu machen, sich das Vertrauen seiner Mitbürger zu erwirken, um dann mit Hilfe dieser die Verwirklichung seines Lebensideals anstreben zu können. Nun, war auch die Erfüllung dieses seines Planes in weite Ferne gerückt, so sammelte er doch unter seinen Freunden und Gesinnungsgenossen kleine Spenden für diesen großen Zweck und legte eine pädagogische Bibliothek an, welche für die „Heimat“ bestimmt war. Als er dann in den Staatsdienst übertrat, schenkte er die bereits gesammelten Bücher der Comenius-Stiftung in Leipzig.
Mittheilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen (Prag, Selbstverlag, gr. 8°.) XXI. Jahrg. (1883) S. 353: „Dr. Alexander Wiechovsky“.