BLKÖ:Londonio Ritter von Borgarello, Karl Joseph

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Londonio, Franz
Band: 16 (1867), ab Seite: 1. (Quelle)
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Londonio Ritter von Borgarello, Karl Joseph (Kunstfreund und Humanist, geb. zu Mailand 1. October 1780, gest. ebenda 10. August 1845). Aus gutem und wohlhabendem Hause; wurde in seinen Kinderjahren von langwieriger Krankheit heimgesucht, verlor auch in denselben seinen Vater und mußte in Folge dessen das väterliche Haus verlassen, da ihn sein Oheim nach Parma brachte, wo er im Collegio Lallata seine Ausbildung erhalten sollte. Die Unterrichtsanstalten zu Ende des 18. Jahrhunderts befanden sich, wie anderwärts so auch in Italien, in starkem Verfall und was L. im genannten Collegium erlernte, war wenig genug. Die französische Invasion kürzte seinen Aufenthalt zu Parma ab und im Jahre 1796 kehrte er nach Mailand zurück. Der rasche Wechsel der politischen Ereignisse jener Tage, der sich unter des Jünglings Augen vollzog, eine Zeit, in welcher jeder Tag mehr Geschichte machte, als bis dahin in einem Jahrzehend vorgegangen war, ging nicht spurlos an ihm vorüber. Wurde auch die Menge in ihrer Gedankenlosigkeit mit fortgerissen, der Einzelne, der sich selbst zu bestimmen wußte und die Kraft hatte, mitten in den aufgeregten Wogen die Fluthen zu theilen, ging nicht unter, sondern erhob sich bald über die Andern, die ihm in seiner geistigen Ueberlegenheit willig Folge leisteten. Für L. war die mächtige Bewegung der Zeit ein Sporn, an seiner zu sehr vernachlässigten Ausbildung selbst fortzuarbeiten und er begann nun seine Erziehung so zu sagen von Neuem; er verlegte sich auf das Studium der alten und neuen Sprachen, trieb Literatur, ernste und schöne Wissenschaften, sah sich mit Eifer und Umsicht im Gebiete der Kunst um, kurz er arbeitete mit seltener Ausdauer und Energie, in dieser Weise mehrere Jahre und unternahm zum Schlusse eine größere Reise, welche ihm seine günstigen Vermögensverhältnisse erlaubten. Er besuchte vor Allem die Schweiz, ging dann nach Paris, das eben damals in den Tagen des Consulats einen raschen Aufschwung nahm, und kehrte dann in sein Vaterland zurück, wo er namentlich in Florenz und Rom an den großen Werken der Kunst seine Liebe für dieselbe nährte und seinen Geschmack läuterte. Nach Mailand zurückgekehrt, gründete er vor Allem durch seine Ehe mit Angiola Bonacina seinen häuslichen Herd und lebte in seiner Ungebundenheit der Pflege der Wissenschaften und schönen Künste. Drängte es ihn, seine Ansichten über das und jenes, was er beobachtet und durchdacht, auszusprechen, so griff er zur Feder und veröffentlichte es. So wurde die Eröffnung des Theaters Carcano in Mailand Veranlassung zur Schrift: „Succinte osservazioni di un cittadino milanese sui publici spettacoli teatrali della sua patria“ (Milano 1804, De-Stefanis, 8°.), worin er mit Geist und Gründlichkeit die Stimme gegen die Mißbräuche und nachtheiligen Einflüsse [2] der Bühne erhebt und bereits damals von der Regierung fordert, daß sie diesen wichtigen Zweig der öffentlichen Erziehung der ihm die Bühne ist, nicht sorglos vernachlässige. Ein anhaltendes Studium widmete er nun den politischen und national-ökonomischen Wissenschaften und die Lehren der französischen Nationalökonomen des 18. Jahrhunderts, welche meist Lobredner des Reichthums und Luxus waren, und von diesem Standpuncte ihr System entwickelten, veranlaßten seine Schrift: „Discorso dei danni derivanti dalle ricchezze“ (Milano 1809, De-Stefanis, 8°.), in welcher er mit Sachkenntniß die Ansichten der französischen Schule bekämpfte. Um diese Zeit hatte auch der in der französischen Literatur nicht unbekannte Abbé Aimé Guillon in der „Biblioteca italiana“ sein Licht leuchten lassen und einige Aufsätze über die damals eben erschienene Selbstbiographie Alfieri’s und über Ces. Beccaria’s „Ricerche intorno alla Natura dello stile“ veröffentlicht. Der Ton der Sprache und der Gehalt des Gesagten reichten für Londonio hin, um dem Abbé seine Unfähigkeit, ihm fremde Verhältnisse und Zustände unbefangen zu prüfen und zu beurtheilen, vorzuhalten, und aus diesem Anlasse erschienen die Schriften: „Poche parole in risposta alle osservazioni critiche sulla Vita di Vittorio Alfieri inserite nel Giornale Italiano Num. 55, 56, 57“ (Milano 1809, Cairo & Comp.) und „Confutazione delle osservazioni critiche del sig. Guill ... inserite nel Giornale Italiano Num. 98 sulle Ricerche intorno alla natura dello stile di Cesare Beccaria“ (Milano 1810, G. G. De- Stefanis, 8°.). Die mannhafte Sprache, welche L. führte, die Unbefangenheit und der Ernst, mit welchen er seinen Gegenstand behandelte, richteten bald die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn und sofort berief ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in den Ausschuß, der mit der Verwaltung der Communal-Angelegenheiten betraut war. Auf diesem Posten entwickelte L. eine rastlose Thätigkeit. Speciell mit den Beleuchtungsangelegenheiten der Stadt und mit der Aufsicht der Wohlthätigkeitsanstalten betraut, bot sich ihm Gelegenheit zu Genüge, auch hier einerseits den durch die Zeit gebotenen Umschwung anzubahnen, andererseits die Absichten jenes Humanismus, von dem seine Seele erfüllt war, zur Geltung zu bringen. Aus dieser Zeit stammt seine Schrift: „Pensieri d’un uomo di senso“ (Milano 1810, Pirotta, 8°.), welche ein Jahrzehend später, 1821, in neuer und vermehrter Auflage erschien. Indessen hatten ihn die Studien seiner Muße auf einen Gegenstand geleitet, der beinahe um dieselbe Zeit in einem von der Kritik als classisch bezeichneten Wecke behandelt wurde. Botta hatte nämlich seine berühmte Geschichte des Unabhängigkeitskrieges der Vereinigten Staaten Nordamerika’s veröffentlicht, und Londonio, der schon lange die staatliche Entwickelung der nordamerikanischen Union zum Gegenstande seines besonderen Studiums gemacht, ließ nun auch seine „Storia delle colonie inglesi in America dalla loro fondazione fino allo stabilimento della loro indipendenza“, 3 tomi (Milano 1812–1813, De-Stefanis, 8°.) erscheinen, ein Werk, welches wohl, was Styl, Form und Auffassung betrifft dem des Neapolitaners zurückstehen muß, doch aber in seiner Weise das Ergebniß gründlicher Studien ist und auch das andere in mancher Lücke ergänzt, in manchem Puncte berichtigt. Der Umschwung der politischen Verhältnisse, der sich indessen [3] vollzogen, machte Oesterreich wieder zum Herrn der Lombardie. Londonio, der sich bereits seit Jahren mit den Angelegenheiten der Commune beschäftigt und das Vertrauen seiner Mitbürger bewährt hatte, wurde nun als Vertreter der nichtadeligen Grundbesitzer in die Central-Congregation gewählt, welche der Kaiser im Jahre 1816 einberufen hatte. Auch wurde ihm im nämlichen Jahre als kais. Commissär die Ordnung der Angelegenheiten über den Privatgrundbesitz der ehemaligen Fürstin von Lucca, Elisabeth Bonaparte, übertragen und in kurzer Zeit führte L. die ziemlich verwickelten Verhandlungen zu einem gedeihlichen Ende. Nach seiner Rückkehr wurde L. Mitglied der mittlerweile in’s Leben gerufenen Wohlthätigkeits-Central-Commission, welche bei den Verheerungen, die der damals herrschende Flecktyphus namentlich unter den ärmeren Volksclassen anrichtete, eine ebenso schwere als gefährliche Aufgabe zu lösen hatte. Aber hier, wieder entwickelte L. eine seltene Energie, half mit Wort und That und trug, wie in seinem Ritterstands-Diplom heißt: „sublevandae populorum egestati propriis etiam largitionibus pro viribus consulere studuit“, wesentlich aus eigenen Mitteln zur Abhilfe bei. Was die folgenden schriftstellerischen Arbeiten L.’s betrifft, so bestätigen sie wie die früheren sein stetiges Fortschreiten mit der Zeit, und die nie rastende Beharrlichkeit, mit der er Alles, was im Gebiete der geistigen Entwickelung der Völker vorging, beobachtete und, so weit es ihm angemessen erschien, in seinen eigenen Kreis zog. In der Literatur waren mit einem Male die zwei großen Parteien der Classiker und der Romantiker aufgetaucht. Der Verfall der heimischen Literatur hatte manche Arbeit, die dessen Ursache erklären wollte, veranlaßt; auch Frau von Staël hatte in der „Biblioteca italiana“ ihre Ansichten darüber laut werden lassen. Londonio war weit entfernt, mit denselben übereinzustimmen, und meinte den Grund weit weniger in der Unkenntniß des Schönen, das die Fremde schuf, als in der Selbstvergessenheit, in der eigenen Nichtbeachtung zu entdecken. Er entwickelte diese Ideen in der Schrift: „Risposta d’un italiano ai due discorsi di madama la baronessa de Staël-Holstein inseriti nella Biblioteca Italiana“ (Milano 1816, Pirotta, 8°.), welcher schon im nächsten Jahre die „Cenni critici sulla poesia romantica“ (ebd. 1817, 4°.) folgten. Die letztere Schrift im Vereine mit einer von Pellegrino Rossi ausgeführten italienischen Uebersetzung des „Giaur“ von Lord Byron veranlaßte einen Schriftsteller de Breme zu Glossen, in welchen er für die Romantiker zu Felde zog und Londonio’s letzterschienene „Cenni storici“ scharf hernahm. L. ließ nun dagegen den „Appendice ai Cenni critici sulla poesia romantica“ (Milano 1818, Pirotta, 4°.) erscheinen, worauf de Breme seinerseits mit den „Postille all’ Appendice ai Cenni critici sulla poesia romantica“ erwiederte; damit hatte diese Fehde, welche von Seiten Londonio’s mit aller Zurückhaltung und Feinheit des Weltmannes geführt wurde, geendet. Bald darauf erhielt er ein für die damaligen Verhältnisse eben so schwieriges als mühevolles Amt, die Regierung ernannte ihn nämlich zum Generaldirector der Gymnasien in der Lombardie. Da es so zu sagen eine völlige Reform des Unterrichtswesens galt, so war die Arbeit eine anstrengende, aber innerhalb zwei Jahren hatte er die riesige Arbeit beendet, die neuen auf den Unterricht Bezug habenden [4] Gesetze in Vollzug gesetzt, die Abfassung und Uebersetzung. der vorgeschriebenen Lehrbücher bewerkstelligt, die Wahl der neuen Präfecten und Professoren an den reformirten Anstalten getroffen und Alles bis in’s kleinste Detail besorgt und durchgeführt. Vierzehn Jahre, von 1818 bis 1832, bekleidete L. diesen wichtigen Posten und zu gleicher Zeit bis zum Jahre 1828 jenen eines Deputirten der Congregation, auch erhielt er um diese Zeit noch die Oberaufsicht über das damals im Entstehen begriffene Institut der Taubstummen. Im Jahre 1832 wurde er über sein Verlangen des Generaldirectoriums enthoben, aber noch im nämlichen Jahre zu einem nicht minder wichtigen Posten als Cagnola’s Nachfolger [Bd. II, S. 230] zum Präsidenten der k. k. Akademie der bildenden Künste in Mailand berufen, welche Stelle er bis zu seinem im Alter von 65 Jahren erfolgten Tode behielt. Auch auf diesem Posten wirkte L. reformatorisch, unter seinem Präsidium kam das neue Allerh. Ortes bestätigte Statut der Akademie zu Stande und er förderte überhaupt wie und wo er konnte die Anstalt, damit sie den an sie gestellten Ansprüchen genügte und der Nutzen derselben überall klar zu Tage trat. Wie richtig er die ihm gewordene Aufgabe erfaßte, beweist die Thatsache, daß er für die Zöglinge der seiner Oberleitung anvertrauten Anstalt den Laokoon Lessing’s in’s Italienische übersetzte. Die Uebersetzung erschien unter dem Titel: „Del Laocoonte ossia dei limiti della pittura s della poesia“ (Milano 1833, Fontana, 8°.) und einige Jahre später: „Frammenti della seconda parte del Laocoonte di E. Lessing coll’ aggiunta di alcune note e d’un appendice“ (ibid. 1841, Bernardoni, 8°.), im Appendice behandelt er selbstständig mehrere die Malerei und Poesie betreffende Puncte der Aesthetik. Auch wurde unter seiner Präsidentschaft der herrliche Arco della Pace, dessen Bau Kaiser Franz angeordnet, zu Ende geführt. Mit diesen Vornahmen auf dem Gebiete der Kunst Hand in Hand gingen seine Bemühungen, der leidenden Menschheit zu helfen, insbesondere als im Jahre 1836 die Cholera verheerend in Mailand wüthete. Die übrigen Arbeiten Londonio’s sind die Uebersetzung einer Abhandlung Roscoe’s unter dem Titel: „Dell’ origine e delle vicende della letteratura, delle scienze e delle arti e della loro influenza sul presente stato della società“ (Milano 1824, Pirotta, 8°.); ferner im Giornale dell’ I. R. Istituto folgende Aufsätze: „Esame critico d’ un progetto di riforma radicale del sistema monetario“ (tomo II, 1842) und „Memoria sui banchi pubblici e privati“ (tomo VI, p. 34, IX, p. 289, X, p. 307, 1843–1845) und in den Atti della distribuzione de’ premj d’industria fattasi nel 1845 die Abhandlung: „Sul progresso industriale procedente dalle machine e della sua benefica influenza sulla materiale e morale condizione dell’ umana società“, welche auch in einem Sonderabdrucke erschien. L.’s mannigfaltige Verdienste um die Kunst, die Wissenschaft und um seine Mitbürger wurde hohen Ortes und sonst auch gewürdigt. Schon im Jahre 1818 erhielt er den Orden der eisernen Krone 3. Classe und wurde in Folge dessen im Jahre 1837 mit dem Prädicate de Borgarello in den österreichischen Ritterstand erhoben; die Akademien der schönen Künste von Wien, Venedig, Florenz, Turin, Bologna, Genua, ferner das lombardische Institut der Wissenschaften, die Akademie San Luca in Rom und die [5] Atheneen von Brescia und Bergamo haben L. unter ihre Mitglieder aufgenommen.

Ritterstands-Diplom vom 8. Jänner 1837. – Mauri (Achille), Notizie su la vita e gli scritti del cavaliere Carlo Giuseppe Londonio, presidente dell’ imp. rea. Academia di belle arti (Milano 1845, 8°.). – Ambrosoli, Della vita e degli scritti del cav. C. G. Londonio (Milano 1845, 8°.). – Giornale dell’ I. R. Istituto Lombarde di scienze, lettere ed arti e Biblioteca italiana (Milano, 8°.) Tomo XII (1845), p. 337–350: „Della vita e degli scritti del cav. C. G. Londonio“. – Wappen. Von Gold und Silber quergetheilter Schild. Im oberen Felde steht auf der Schildestheilung ein schwarzer Adler mit ausgeschlagener rother Zunge; im unteren Felde ist ein natürlicher Löwe, ebenfalls mit vorgestreckter rother Zunge, von zwei in den Oberwinkeln befindlichen rothen fünfblättrigen Rosen begleitet. Auf dem Schilde ruhen zwei zueinandergekehrte gekrönte Turnierhelme. Auf der Krone des rechten Helms steht ein schwarzer linksgewendeter Adler, auf jener des linken ein natürlicher Löwe, beide mit ausgeschlagener rother Zunge. Die Helmdecken sind beiderseits schwarz, bei dem rechten Helme mit Gold, bei dem linken mit Silber belegt.