BLKÖ:Spinges, das Mädchen

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 36 (1878), ab Seite: 171. (Quelle)
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Spinges, das Mädchen. Unter dieser Bezeichnung erscheint in Tirol eine Frauengestalt, aus dem denkwürdigen Jahre 1797, über deren wirklichen Namen merkwürdigerweise keine Spur vorhanden, und deren Existenz trotz feststehender Thatsachen und Aussagen von Augenzeugen in neuester Zeit vielfach bestritten wird. Die Thatsache ist folgende: Als im Jahre 1797 Buonaparte in der Po-Ebene die kaiserliche, im Rückzuge begriffene Armee verfolgte, oder wie sich Herr Ludwig Steub auszudrücken beliebt, vor sich hertrieb, schickte er zugleich den General Joubert mit 15.000 Mann nach Tirol. Dort in den rhätischen Alpen sollte dieser seinen linken Flügel decken und durch das Pusterthal eine Vereinigung mit demselben an der Drau erstreben. In diesen Tagen erscheint der Name Spinges zum ersten Male in der Kriegsgeschichte mit goldenen Lettern. Spinges aber heißt eine arme, auf einem rauhen Bergvorsprung zwischen Schabs und Aicha im Mühlbacher Bezirke des Tiroler Pusterthales hoch gelegene Gemeinde. Das ganze Tiroler Volk erhob sich damals wie ein Mann. Die Sturmglocken erschallten. Die Warnungsfeuer blitzten von den Höhen herab. Im Innthale, in der Gegend von Innsbruck, erhob sich der Landsturm und auch die kaiserlichen Truppen, unter Befehlen der Generale Kerpen [Bd. XI, S. 194] und Loudon [Bd. XVI, S. 92], nahmen ihre Stellungen und trafen Anstalten zur Gegenwehr. J. J. Staffler in seinem Werke: „Das deutsche Tirol und Vorarlberg“ Bd. II, S. 149–153 gibt eine recht anschauliche Darstellung der Ereignisse, daher betreffs derselben, als zunächst nicht hieher gehörig, darauf hingewiesen wird. Ein Theil des Landsturmes der über den Brenner zog, nahm seine Richtung oberhalb Brixen bei Vare, ein anderer nahm bei Spinges im Mühlbacher Bezirke auf einer Höhe, seit 1832 die Kaiserhöhe genannt, Stellung. Diese letztere wurde am 7. April 1797 von den durch den Bergwald hinauf dringenden Franzosen mit Uebermacht angegriffen. Nun wurden von Seite der Tiroler Wunder der Tapferkeit verrichtet. Auf dem linken Flügel waren die Tiroler, denen bereits das Pulver ausgegangen, mit dem Stutzenkolben, der Axt und dem Morgenstern zur Wehr geschritten. Kein Pardon wurde genommen, aber auch keiner gegeben. Georg Fatschlunger von Axams lag von elf Bajonnetten durchbohrt da, aber rund um ihn sieben erschlagene Franzosen. Nicht minder erbittert wurde auf dem rechten Flügel gekämpft, aber in der höchsten Bedrängniß fand der Feind die Mühlbacher Klause unbesetzt, und so für den schlimmsten[WS 1] Fall den Rückzug durch das Pusterthal frei. Ermuthigt drangen nun die Franzosen in zwei Colonnen vor, davon eine die Richtung gegen Spinges, die andere gegen Merausen, gleichfalls eine zwischen dem Volterthal und dem Weitenthal gelegene Gemeinde nahm. Bei Spinges stand die Hauptmacht der Tiroler, unter Commando des Landesschützen-Majors Philipp von Wörndle. Als die feindliche Colonne heranrückte, hatte eine Truppe Bauern sich hinter der Kirchhofmauer aufgestellt. Nun entspann sich ein fürchterlicher Kampf. Dreimal unternahmen die Franzosen den Sturm auf den Kirchhof, aber jedesmal wurden sie mit großem Verluste zurückgetrieben. [172] Sense und Heugabel, Morgenstern und Stutzenkolben thaten in der Hand der begeisterten Landsturmmänner die vernichtendste Wirkung in den feindlichen Haufen. Hier war es auch, wo das Heldenmädchen von Spinges, wie erzählt wird, mit unter den Reihen der Kämpfer an der Kirchhofmauer stand, und mit einer Heugabel die anstürmenden Franzosen abwehrte. Mit ihrer primitiven Waffe hatte sie drei Franzosen, welche bereits die Kirchhofmauer erklommen hatten, angespießt und herunter gestürzt. Daß es Heldenmädchen zu allen Zeiten und an verschiedenen Orten gegeben, ist eine Thatsache. nur das Verhalten der Bevölkerung gegen ein solches ist verschieden. Während die Schweizer z. B. um jeden Preis ihre Celebritäten zu conserviren suchen, sind die Tiroler bemüht, sich aller derjenigen, die nicht urkundlich zu documentiren sind, zu entledigen. Das Mädchen von Spinges steht, wie Ludwig Steub, der in Tirol viel gewandert und viel gesehen und viel gehört hat, leider nicht unter den urkundlich zu documentirenden Persönlichkeiten, und die tirolischen Zweifler erklären daher das Heldenmädchen von Spinges ziemlich einstimmig für eine schöne Fabel. Der jetzige Curat zu Spinges Joseph Stecher aus Graun im Vintschgau gebürtig und schon länger als 30 Jahre in dem Dörflein als Priester wohnhaft, ein Mann von 75 Jahren, hat sich, wie Ludwig Steub berichtet. alle Mühe gegeben, um der Sache auf den Grund zu kommen, aber keine Bestätigung gefunden. Wie eine alte Sage geht, wäre der französische General Joubert, ebenderselbe, der von Napoleon mit dem Zuge nach Tirol beauftragt gewesen, der Urheber dieser Geschichte. Joubert hätte nämlich am nächsten Mittag, nach jenem blutigen Abend, in dem bekannten Gasthofe „zum Elephanten“ zu Brixen seinen Tischgenossen allerlei Anecdoten über die Gefechte auf dem Spingeserberge vorgetragen, und dabei erzählt, daß vor Allen tapfer sich auf dem Kirchhofe ein junges schönes Mädchen mit einer Heugabel geschlagen habe. Warum der General diese im Ganzen weder unglaubwürdige noch unwahrscheinliche Geschichte geradezu erfunden haben solle, ist nicht recht erklärbar. Daß sie aber durch seine Tischgesellschaft leicht die Verbreitung in weitere Kreise gefunden, ist ganz gut anzunehmen. Auch der zu Dietenheim gestorbene Curat Pfaundler habe seinen oberwähnten Amtsbruder Curat Stecher zu Spinges versichert, daß er als Student und Landesschütze damals zunächst jener Zinne gestanden, die noch heut in der Spingeser Kirchhofmauer den Friedhofbesuchern gezeigt, und mit Bestimmtheit als jene bezeichnet wird, hinter welcher das Spingeser Heldenmädchen gekämpft, daß er das Mädchen, wenn es vorhanden gewesen, unter allen Umständen hätte wahrnehmen müssen, aber nichts davon gesehen habe. Auch soll einige Wochen nach der Spingeser Schlacht eine fürstbischöfliche Commission ins Dorf gekommen sein, um den von den französischen Verwüstungen angerichteten Schaden zu schätzen, und diese Commission habe fünf Ducaten mitgebracht, um sie im Auftrage des Fürst-Bischofs und Landesherrn dem tapferen Mädchen, die es ausfindig machen sollte, zu verehren; allein die Heldin sei trotz alles Nachfragens nicht zum Vorschein gekommen. Die Geschichte von dem Spingeser Mädchen findet sich zuerst gedruckt im Tiroler Almanach von 1802 in einem Aufsatze, als dessen Verfasser man Freiherrn [173] von Hormayr vermuthet. Auch das Titelkupfer dieses Jahrganges ist der tapferen Jungfrau gewidmet. Auf demselben ist nämlich der Kirchhof dargestellt, den die Franzosen angreifen, und den die Tiroler Bauern standhaft vertheidigen, und unter diesen letzteren sieht man als sehr bescheidenes Figürchen auch ein kämpfendes Mädchen. Das Mädchen von Spinges fand sich nun natürlich in den Geschichts- und Reisebüchern, ist auch wiederholt gemalt und besungen worden. Eines der schönsten Gedichte widmet ihr SJohann Gabriel Seidl in seiner im echten Volkston gehaltenen Romanze: „Das Mädchen von Spinges“, der dessen Namenlosigkeit poetisch in den Schlußzeilen auf die Frage: wie denn die Heldin von dem Tage doch heißen mag, folgendermaßen beantwortet: „Und heiß ich wie ich heißen mag | Ich hab’ geschützt mein Liebstes | Brauch keinen anderen Ruhm“. Uebrigens steht das Heldenmädchen von Spinges nicht vereinzelt da; es hat in dem berühmten Mädchen von Saragossa, welches sich bei der Belagerung dieser Stadt (21. December 1808 bis 21. Februar 1809) durch seinen Heldenmuth ausgezeichnet, eine ebenbürtige und glücklichere, weil in ihrer Existenz nicht angezweifelte Genossin. Nur weiß man von ihr auch nur den Taufnamen: Augustine. Augustine trug während der Belagerung den Kriegern, unbeirrt durch die nach allen Seiten einschlagenden, todbringenden Geschosse Lebensmittel zu, und schoß einen Sechsundzwanzig-Pfänder, dessen Bedienungs-Mannschaft gefallen, mit seltener Kraft auf die Angreifer ab. Augustine zählte damals 22 Jahre und war sehr schön. Lord Byron hat sie in seinem „Childe Harold“ in herrlichen Stanzen gefeiert. Auch ist ihr Bild durch den Stich vervielfältigt worden.

Staffler (J. J.), Das deutsche Tirol und Vorarlberg u. s. w. (Innsbruck 1847, Fel. Rauch, 8°.) Bd. II, S. 149 u. f.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schlimsten.