Bajä
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„Wo ist die Stadt sibaritischer Lust und korinthischer Freude?
Schwelgt der Genuß in Begier, schwelgt die Begier im Genuß?
Wohl noch grauet am Strande des Meers der Tempel der Venus,
Aber zerfallen und leer, ohne der Priesterin Dienst.
Statt der Rosen bekränzet ihn Moos; auf verwüstetem Hügel
Deuten die bachische Stadt ärmliche Trümmer nur an.
Fieber athmen die Luft, kaum grünt der spärliche Weinberg,
Und verschmachtet – versiecht siehst Du die edle Natur“.
(Waiblinger.)
Müd’ und krank saß ich in meinem Sessel noch am späten Abend, um für dies Bildchen den Text zu schreiben. Vor den entzündeten Augen schwamm das Licht in bunten Farben. Unmuthig warf ich mich in den Arm des Lehnstuhls zurück und schloß die schmerzenden Augenlieder. Da umgaukelten hesperidische Bilder meine Seele. Im Traume sah ich Neapels Golf, Ischia mit ihren Schwestern, Misenums Vorgebirg, Cumä’s Todtenstadt, Tempel und Thermen, die Villen des Scipio und des Virgil von Reben umschlungen, und die Hügel von Falern, [107] wo die Winzer bachische Feste feierten. Der Mittelpunkt aller Schönheit war aber ein weites Thal von reizend geformten Hügeln umgeben, auf welchen zwischen Orangenhainen und blühenden Myrthenwäldchen die Säulenhäuser der römischen Großen ragten – und dort, wo es sich gegen die Bai öffnete, lag die Sybaris der Weltbeherrscher – Bajä – von der die Dichter sagten, daß die Freude und Lust hier niemals ihren Kreistanz endige. Die prächtigen Säulenthore waren mit Festons von Blumen und Laubwerk geschmückt, die Flamme des Vergnügens leuchtete aus Aller Augen, Schönheit war in allen Gestalten der Menschen und Dinge, die Eintracht der Verhältnisse und Formen ging durch die ganze Natur: die üppigste Fruchtbarkeit lag auf den Fluren, und glänzte von den mit Früchten und Blüthen beladenen Bäumen. Mild hauchte der azurblaue Himmel, rosiges Licht strahlte die Sonne, auf- und zusammenstrebend zu einem harmonischen Leben erschien mir Alles, was das Auge sah. „Bajä – du gepriesenste der Städte und du Liebling der Menschen, – wie bist du schön!“ rief ich aus; „wie ist Alles um dich her Klarheit, hohe Ordnung und Uebereinstimmung!“ Und ich dachte an die alten Geschlechter Rom’s, die dort des Lebens süßen Becher geschlürft hatten; an den königlichen Tarquin, den Julius Caesar, den Pompejus, den Crassus, den Marius und Sulla, an den Lukull, den August, an Horaz, Virgil und Seneca, an den Marcell und jenen Verschwörer, welcher Rom und die Welt vom Nero, dem Ungeheuer, befreiete; auch der Antonine und des Trajan gedachte ich und warf einen Blick in die Prachtsäle der Villa der Julia Mammäa, wo die letzten Römer den Freudenbecher so lange schlürften, bis ihre Kraft entflohen war. „Wo bist Du, Bajä’s Göttin, rief ich?“ trunken von Dem, was ich erschaut hatte. Ein Lichtstrahl zog über die Flur, und umflossen vom röthlichen Schimmer sah ich eine Gestalt von himmlischer Schönheit! Lilienweiß war ihr Kleid, Rosen blühten auf ihren Wangen, unter einem Diadem von Sternen wallte das seidene Haar, einen blühenden Myrthenzweig trug die erhobene Hand. Und sie sprach: „Ich bin, die Du suchst; Bajä’s Göttin und Beschützerin, die unsterbliche Freude!“ Da erwachte ich. Ein Stück Vergangenheit hatte ich gelebt; aber das Bildchen, das vor mir lag, – das mahnte mich von der Gegenwart zu reden. – Was ist Bajä heute? – Weniger als ein Schatten von ehedem. All die Herrlichkeit des Alterthums ist verschwunden, nur wüste Trümmer, Knäufe, Säulenstücke, zerbrochene Simse und unkenntliche Brocken von Bildwerken sind über das Land gestreut, und unscheinliches Mauerwerk ragt noch da und dort über Schutthügeln und aus dem Gestrüpp, das jene überwachsen hat. Giftige Dünste hauchen den Tod aus Sümpfen, wo vor 18 Jahrhunderten die üppigsten Gärten in voller Pracht dufteten, und da, wo hunderttausend Menschen Freudenfeste feierten, und das Gold einer eroberten und geplünderten Welt in Strömen hinfloß, wohnen jetzt einige arme Winzer und Fischer in schlechten Hütten. Der Fluch der Unfruchtbarkeit hat die Felder fabelhafter Ueppigkeit getroffen. In ganz Italien gibt es keine ödere, verlassenere, unheimlichere Gegend als die von Bajä, bie doch in der Römerwelt so gefeiert war. Selbst für den Freund der alten Kunst bietet sie eine vergleichsweise nur dürftige Ausbeute; denn obschon die ganze Landschaft [108] mit Trümmern übersäet ist, so sind doch nur wenige Ueberreste vorhanden, die durch Größe das Auge fesseln. Die ansehnlichsten sind ein Tempel der Venus, die (auf dem Stahlstich im Vorgrunde sichtbare) Rotunda eines Merkurtempels und die sechseckige Cella eines Tempels der Diana Lucifera. Selbst der berühmte Hafen Bajä’s, von vulkanischen Gewalten und in Folge von Erdbeben, welche diese Gegend beständig heimsuchen, verwüstet, ist für die Schifffahrt unbrauchbar geworden. Der Grund des Meers hat sich so sehr gehoben, daß nur kleine Fischerfahrzeuge da einen Stationsort finden, wo zur Zeit des Augustus die Kriegsflotten des weltgebietenden Roms vereinigt vor Anker lagen.
Hast Du Dich aber satt gesehen am Staub der großen Vergangenheit, dann besteige das Castell von Misenum (auf dem Stich das große Gebäude rechts am Seestrande) und genieße eine Aussicht, wie sie nur der Felsen von Gaeta in gleicher Schönheit wieder bietet. Von der Zinne des Thurms übersieht man beide Meerbusen – sowohl den von Bajä, als den von Neapel – mit ihren Inseln, die ganze Küste von Gaeta bis hinab nach Sorrent, den Vesuv, das Kastel S. Elmo, Puteoli, den Posilipp, den Monte Barbaro, den Monte Novo, Pompeji und Herkulaneum und die tausend Ruinen und Orte, an welche sich welthistorische Namen und Begebenheiten knüpfen. Ist aber der Tag günstig und die Atmosphäre von Dünsten rein, so dringt das Auge meerwärts bis an die Gestade von Sicilien und Du kannst den beschneiten Gipfel des Aetna entdecken, der wie ein lichtes Wölkchen am südwestlichen Horizonte schimmert.