Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien sowie der Bürsten- und Pinselmachereien. Vom 22. Oktober 1902

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Gesetzestext
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Titel: Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien sowie der Bürsten- und Pinselmachereien.
Abkürzung:
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Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1902, Nr. 43, Seite 269 - 274
Fassung vom: 22. Oktober 1902
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 27. Oktober 1902
Inkrafttreten:
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(Nr. 2900.) Bekanntmachung, betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien sowie der Bürsten- und Pinselmachereien. Vom 22. Oktober 1902.

Auf Grund des §. 120e der Gewerbeordnung hat der Bundesrath über die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien sowie der Bürsten- und Pinselmachereien folgende Vorschriften erlassen:

I. Allgemeine Vorschriften.[Bearbeiten]

§. 1.[Bearbeiten]

Die nachstehenden Vorschriften finden Anwendung auf alle Anlagen, in denen Pferde-, Rinder- oder Ziegenhaare, Schweinsborsten oder Schweinswolle zugerichtet oder zu Krollhaaren versponnen werden, oder in denen unter Verwendung solcher Materialien Bürsten, Besen oder Pinsel hergestellt werden.

§. 2.[Bearbeiten]

Die aus dem Auslande stammenden Pferde-, Rinder- und Ziegenhaare; Schweinsborsten und Schweinswolle dürfen erst in Bearbeitung genommen werden, nachdem sie in demjenigen Betrieb, in welchem die Bearbeitung stattfinden soll, vorschriftsmäßig desinfizirt sind.
Die Desinfektion muß nach Wahl des Betriebsunternehmers geschehen, entweder
1. durch mindestens einhalbstündige Einwirkung strömenden Wasserdampfs bei einem Ueberdrucke von 0,15 Atmosphären, oder
2. durch mindestens einviertelstündiges Kochen in zweiprozentiger Kaliumpermanganatlösung mit nachfolgendem Bleichen mittelst drei- bis vierprozentiger schwefeliger Säure, oder
3. durch mindestens zweistündiges Kochen in Wasser. [270]
Durch den Reichskanzler können noch andere Desinfektionsverfahren zur Auswahl zugelassen werden.
Durch die höhere Verwaltungsbehörde kann angeordnet werden, daß die nach Abs. 2 Ziffer 1 vorzunehmende Desinfektion in einer öffentlichen Desinfektionsanstalt, sofern eine solche am Betriebssitz oder in dessen unmittelbarer Nähe verfügbar ist, ausgeführt wird.

§. 3.[Bearbeiten]

Einer Desinfektion durch den Unternehmer (§. 2 Abs. 1) bedarf es nicht, soweit dieser nach näherer Bestimmung der Landes-Zentralbehörde den Nachweis erbringt, daß er das Material in vorschriftsmäßig (§. 2 Abs. 2) desinfizirtem Zustande bezogen und abgesondert von nicht desinfizirtem Material aufbewahrt hat.
Der Unternehmer braucht diejenigen weißen Borsten nicht desinfiziren zu lassen, welche er vor weiterer Bearbeitung einem Bleichverfahren unterwirft oder welche er in bereits gebleichtem Zustand als sogenannte präparirte französische Borsten bezogen und abgesondert von nicht desinfizirtem Material aufbewahrt hat.

§. 4.[Bearbeiten]

Von der höheren Verwaltungsbehörde können Ausnahmen von den Bestimmungen des §. 2 für solche Materialien zugelassen werden, welche
1. nach den bisherigen Erfahrungen keinem der nach §. 2 zugelassenen Desinfektionsverfahren unterworfen werden können, ohne einer erheblichen Beschädigung ausgesetzt zu sein, oder welche
2. nachweislich bereits im Ausland eine Behandlung erfahren haben, welche als der vorschriftsmäßigen inländischen Desinfektion gleichwerthig anzusehen ist.
Die höhere Verwaltungsbehörde hat ein Verzeichniß zu führen, in das die Fälle und Gründe der von ihr zugelassenen Ausnahmen, in den Fällen der Ziffer 2 auch die Art der ausländischen Behandlung, einzutragen sind. Eine Abschrift des Verzeichnisses ist alljährlich bis zum 1. Februar der Landes-Zentralbehörde einzureichen.

§. 5.[Bearbeiten]

Mit den desinfektionspflichtigen Materialien dürfen vor Ausführung der vorschriftsmäßigen Desinfektion nur solche Verrichtungen vorgenommen werden, welche zur Prüfung der Beschaffenheit der Materialien, zur Verhütung ihres Verderbens sowie zur Vorbereitung und Ausführung der Desinfektion unerläßlich sind, zum Beispiel Auspacken, Abschneiden der Haare vom Schweifleder, Eintragen in den Desinfektionsapparat, Bündeln der Borsten und Anderes. Eine Sortirung der Materialien ist nur insoweit zulässig, als sie nöthig ist, um die Haare und so weiter für die Anwendung verschiedener Desinfektionsverfahren zu sondern. [271]

§. 6.[Bearbeiten]

Zur Ausführung der Desinfektion, zur Bearbeitung der gemäß §. 4 Abs. 1 Ziffer 1 nicht desinfizirten Stoffe sowie zu den im §. 5 bezeichneten Verrichtungen dürfen jugendliche Arbeiter nicht verwendet werden.

§. 7.[Bearbeiten]

Der Arbeitgeber hat darauf zu halten, daß Arbeiter mit wunden Hautstellen, insbesondere an Hals, Gesicht und Händen, zu den im §. 6 bezeichneten Beschäftigungen nicht verwendet werden.

§. 8.[Bearbeiten]

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, über das von ihm bezogene Material an Haaren, Borsten und Schweinswolle derart Buch zu führen, daß daraus die Menge, die Bezugsquelle und, soweit sie bekannt ist, die Herkunft der empfangenen Waare sowie die Zeit und die Art der Desinfektion oder der Grund des Unterlassens der Desinfektion zu ersehen ist.
Ist die Desinfektion in einer öffentlichen Anstalt ausgeführt worden, so sind die hierüber ausgestellten Bescheinigungen zu sammeln, aufzubewahren und dem Aufsichtsbeamten (§. 139b der Gewerbeordnung) auf Verlangen vorzulegen.

§. 9.[Bearbeiten]

Die Vorräthe an nicht desinfizirtem Materials, welches desinfektionspflichtig oder gemäß §. 4 Abs. 1 Ziffer 1 von der Desinfektionspflicht ausgenommen ist, sind in besonderen, unter Verschluß zu haltenden Räumen aufzubewahren und dürfen nur auf solchen Zugängen und Treppen in diese Raume hinein- oder aus ihnen hinausgebracht werden, welche von den mit der Bearbeitung desinfizirten oder inländischen Materials beschäftigten Arbeitern nicht benutzt werden. Auf diesen Zugängen und Treppen darf desinfizirtes oder inländisches Material nicht befördert werden.
Die vor der Desinfektion erforderlichen Verrichtungen (§. 5), die Ausführung der Desinfektion sowie die Bearbeitung des gemäß §. 4 Abs. 1 Ziffer 1 nicht desinfizirten Materials dürfen nicht in Räumen vorgenommen werden, in denen desinfizirtes oder inländisches Material aufbewahrt oder bearbeitet wird.
Die Räume, in denen desinfektionspflichtiges oder gemäß §. 4 Abs. 1 Ziffer 1 nicht desinfizirtes Material aufbewahrt oder bearbeitet wird, die Plätze vor ihren Eingängen und die Zugänge und Treppen, auf denen solches Material befördert wird, sind stets rein zu halten. Bei der Reinigung ist Staubbildung thunlichst zu verhüten; der entstehende Kehricht sowie die Umhüllungen, in denen die nicht desinfizirten Stoffe anlangen, sind zu verbrennen oder zu desinfiziren (§. 2 Abs. 2). Dies gilt auch von dem bei der Bearbeitung nicht desinfizirten Materials entstehenden Staube und dem dabei abfallenden Schmutze. [272]

II. Besondere Vorschriften für größere Betriebe.[Bearbeiten]

§. 10.[Bearbeiten]

In Betrieben, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden, müssen die Arbeitsräume mit einem festen und dichten Fußboden versehen sein, der eine leichte Beseitigung des Staubes auf feuchtem Wege gestattet. Hölzerne Fußböden müssen glatt gehobelt und gegen das Eindringen der Nässe geschützt sein.
Die Wände und Decken müssen, soweit sie nicht mit einer glatten, abwaschbaren Bekleidung oder mit einem Oelfarbenanstriche versehen sind, mindestens einmal jährlich mit Kalk frisch angestrichen werden.
Bei Errichtung neuer und Erweiterung bestehender Anlagen ist dafür Sorge zu tragen, daß in den neuen Arbeitsräumen, in denen mit erheblicher Staubentwickelung verbundene Arbeiten ausgeführt werden, die Zahl der darin beschäftigten Personen so bemessen wird, daß auf jede mindestens fünfzehn Kubikmeter Luftraum entfallen.

§. 11.[Bearbeiten]

Die Arbeitsräume sind täglich zweimal mindestens eine halbe Stunde lang, und zwar während der Mittagspause und nach Beendigung oder vor Wiederbeginn der Arbeit, gründlich zu lüften. Während dieser Zeit darf den Arbeitern der Aufenthalt in den Arbeitsräumen nicht gestattet werden.
Die Fußböden der Räume, in denen mit Staubentwickelung verbundene Arbeiten vorgenommen werden, sind täglich mindestens einmal durch Abwaschen oder feuchtes Abreiben vom Staube zu reinigen. Die in diesen Räumen befindlichen Arbeitstische sind mindestens zweimal wöchentlich feucht zu reinigen.

§. 12.[Bearbeiten]

In Roßhaarspinnereien und -Zurichtereien ist das Sortiren und Hecheln je in einem besonderen, von sonstigen Arbeitsräumen getrennten Raume vorzunehmen. Der dabei entstehende Staub und abfallende Schmutz ist zu sammeln und zu beseitigen.

§. 13.[Bearbeiten]

Misch-, Reinigungs- und Hechelmaschinen (sogenannte Batteurs und Reißwölfe) müssen dicht ummantelt und mit wirksamen Absaugevorrichtungen versehen sein. Der abgesaugte Staub muß in einer Staubkammer gesammelt und, sofern er von den nach §. 4 Abs. 1 Ziffer 1 nicht desinfizirten Stoffen herrührt, verbrannt werden.

§. 14.[Bearbeiten]

Der Arbeitgeber hat allen bei der Vorbereitung und Ausführung der Desinfektion oder mit der Bearbeitung der nach §. 4 Abs. 1 Ziffer 1 nicht desinfizirten Stoffe beschäftigten Arbeitern Arbeitsanzüge nebst Mützen in ausreichender Zahl und zweckentsprechender Beschaffenheit zur Verfügung zu stellen. [273]
Der Arbeitgeber hat durch geeignete Anordnungen und Beaufsichtigung dafür Sorge zu tragen, daß die Arbeitskleider nur von denjenigen Arbeitern benutzt werden, denen sie zugewiesen sind, daß sie während der Zeit, wo sie sich nicht im Gebrauche befinden, an den dafür bestimmten Plätzen aufbewahrt und mindestens einmal wöchentlich desinfizirt werden (§. 2 Abs. 2).
Den im Abs. 1 bezeichneten Arbeitern hat der Arbeitgeber wenigstens zweimal wöchentlich Gelegenheit zu geben, ein warmes Bad zu nehmen.

§. 15.[Bearbeiten]

In einem staubfreien Theile der Anlage muß für die Arbeiter ein Wasch- und Ankleideraum und getrennt davon, soweit hierfür ein Bedürfniß vorliegt, ein Speiseraum vorhanden sein. Diese Räume müssen sauber und staubfrei gehalten und während der kalten Jahreszeit geheizt werden.
In dem Wasch- und Ankleideraume müssen Wasser, Seife und Handtücher sowie Einrichtungen zur Verwahrung derjenigen Kleidungsstücke, welche vor Beginn der Arbeit abgelegt werden, in ausreichender Menge vorhanden sein.

§. 16.[Bearbeiten]

Der Arbeitgeber hat für die mit der Bearbeitung der im §. 2 Abs. 1 bezeichneten Stoffe beschäftigten Arbeiter verbindliche Vorschriften über folgende Gegenstände zu erlassen:
1. Die Arbeiter haben die ihnen überwiesenen Arbeitskleider (§. 14 Abs. 1) bei denjenigen Arbeiten, für welche es von dem Arbeitgeber vorgeschrieben ist, zu benutzen.
2. Die Arbeiter dürfen Nahrungsmittel nicht in die Arbeitsräume mitnehmen. Das Einnehmen der Mahlzeiten ist ihnen nur außerhalb der Arbeitsräume gestattet.
3. Die Arbeiter dürfen erst dann den Speiseraum betreten, Mahlzeiten einnehmen oder die Anlage verlassen, wenn sie zuvor die nach §. 14 Abs. 1 vorgeschriebenen Arbeitskleider abgelegt, sowie Gesicht, Hals, Hände und Arme sorgfältig gewaschen haben.
In den zu erlassenden Vorschriften ist vorzusehen, daß Arbeiter, die trotz wiederholter Warnung den vorstehend bezeichneten Bestimmungen zuwiderhandeln, vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung entlassen werden können.
Ist für einen Betrieb eine Arbeitsordnung erlassen (§. 134a der Gewerbeordnung), so sind die vorstehend bezeichneten Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen.

§. 17.[Bearbeiten]

In jedem Arbeitsraume sowie in dem Ankleide- und dem Speiseraume muß an einer in die Augen fallenden Stelle eine Tafel aushängen, die in deutlicher Schrift die Bestimmungen der §§. 1 bis 16 wiedergiebt. [274]

III. Schlußbestimmung.[Bearbeiten]

§. 18.[Bearbeiten]

Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1. Januar 1903 in Kraft und an die Stelle der durch die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 28. Januar 1899 (Reichs-Gesetzbl. S. 5) verkündeten Vorschriften.
Von den Vorschriften im §. 9 kann die untere Verwaltungsbehörde für einzelne Betriebe auf Antrag des Unternehmers Ausnahmen gewähren, jedoch höchstens bis zum 1. Oktober 1903.
Berlin, den 22. Oktober 1902.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers.

Graf von Posadowsky.