Bemerkungen auf einer Reise an der Nordgrenze von Schwaben

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Textdaten
Autor: (anonym)
Johann Gottfried Pahl
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Titel: Bemerkungen auf einer Reise an der Nordgrenze von Schwaben in: National-Zeitung der Teutschen, Sp. 477–482, 500–504
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Erscheinungsdatum: 1801
Verlag: Becker
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: MDZ München und Scan auf Commons
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[477-478]
Bemerkungen auf einer Reise an der Nordgrenze von Schwaben.[1]

So bald man aus den preußischen Fürstenthümern in Franken den Fuß über die schwäbische Gränze hereinsetzt, stößt man sogleich auf französische Truppen-Abtheilungen, und in jedem Dörfchen findet sich eine kleine republikanische Garnison. Die Einwohner kommen einem überall mit Klagen über diese Gäste entgegen, und es bedarf nur eines kurzen Aufenthalts, um sich zu überzeugen, wie gegründet die letztern sind. Man hat den Schaden der schwäbischen Kreislande, seit der Eröffnung des unglücklichen Feldzuges von 1800 bis jetzt auf 30 Millionen Gulden angeschlagen; eine Summe, die eher zu niedrig, als zu hoch ist. Hundert Jahre werden nicht zureichen, den Verlust dieses einzigen zu ersetzen; und keine Zeit löscht vielleicht das sittliche Verderben aus, das durch die Franzosen über dieses Volk verbreitet wurde, dessen Moralität sonst Vergleichungsweise in einem sehr guten Zustande war.

Wenn man längst der Jaxt herauf in Schwaben eintritt, so kömmt man zuerst nach Ellwangen, der Hauptstadt des geistlichen Fürstenthums [WS 1] gleiches Nahmens, dessen Besitzer bekanntlich der Kurfürst von Trier ist. Dieses Städtchen ist wohl gebaut, und macht eine heitere Miene; aber desto finsterer sieht es in den Köpfen seiner meisten Bewohner aus. Hier hat einst Gaßner sein Wesen getrieben, und noch giebt es nicht wenige Gläubige, die ihn, mit Lavatern, für einen „Knecht des Herrn“ halten. In Ellwangen besteht kein Leseinstitut, und keine öffentliche Bibliothek, und das Gymnasium ist eine zerfallene Ruine aus der Zeit des Jesuitismus. Dagegen finden sich Kirchen, Kapellen und Wallfahrts-Orte im Ueberfluß, und der herrschende Geist der Hierarchie brandmarkt die Aufklärung als ein Verbrechen. Einige wenige mit den Progressen der Literatur gleichen Schritt haltende gute Köpfe abgerechnet, liest man nichts, als den Pater Kochem, das mit stumpfen Lettern auf Löschpappier gedruckte Wochenblatt, und den – Neuwieder[2], der hier in Absicht auf Politik, für Klein und Groß, der autor classicus ist. Demungeachtet hat die Stadt einen Schriftsteller, in der Person des Grafen von Etzdorf, der den Charakter eines kaiserlichen Geh. Raths und die Würde eines Comitis palatini vom ersten Range besitzt. Er schrieb: Ueber den Verfall der Religion; Englische Nächte; Statistische Tabellen, – Reisen durch Schwaben und Franken, u. dergl. – Da er aber seine Schriften immer auf eigene Kosten drucken ließ, und nicht auf dem Wege des gewöhnlichen Buchhandels vertrieb: so sind sie nur in der Nachbarschaft ihres Geburtsorts bekannt geworden, und auch der Nahme dieses gräflichen Schriftstellers fehlt [479-480] in Meusels Gelehrten Teutschland. Die jetzigen Zeitläufte lassen die Sekularisirung dieses geistlichen Staats besorgen. Wenigstens ist derselbe eher schon auf der Proskriptionsliste gestanden; indem er im J. 1796 dem Herzoge von Wirtemberg von dem französischen Direktorium, als Entschädigung für die Grafschaft Mömpelgard, zugesichert wurde. Diese Aussicht halten aber die sämmtlichen Bewohner des Landes für nichts weniger, als tröstlich. Eines Theils befürchten sie unter einen protestantischen Landesherrn zu kommen, und das halten sie für ein großes Unglück. Dabey schätzen sie die Vorzüge ihrer bisherigen milden Regierung dankbar, und fürchten, daß sie es sonst nirgends so bekommen werden. In der That ist auch der gute Clemens Wenzeslaus ein wohlmeynender, wohlthätiger Vater seiner Unterthanen, und hat dieß besonders während dieses Kriegs, wo doch seine Kurlande beynahe immer unter dem Joche des Feindes waren, durch die reichlichsten Unterstützungen bewiesen, die er ihnen zufließen ließ.

Von Ellwangen führte mich mein Weg in die kleine Reichsstadt Aalen, welche, von ungefähr 3000 Menschen bewohnt, in einer fruchtbaren Gegend des Kocherthals liegt. Man sieht hier die segensvollen Wirkungen einer vernünftigern Religion, im Gegensatze gegen den Wahn, der aus Unthätigkeit und Armuth ein Verdienst macht, und die Schwingen des Geistes lähmt. Die Einwohner, dieses Städtchens sind sehr betriebsam, thätig, unternehmend, und was eine nothwendige Folge davon ist, wohlhabend. Der Handel mit Baumwolle setzt unter ihnen große Summen in Umlauf; und die Industrie beschäftigt sich vorzüglich mit Verfertigung feiner und grober wollener Zeuge, die meistens in den Rheinlanden und in der Schweiz verkauft werden. Da der Luxus nicht in gleichem Verhältnisse mit dem wachsenden Handelsverkehr gestiegen ist, und die meisten Bürger neben ihren Gewerben auch den Feldbau treiben: so stehen die letztern im Durchschnitte solid, und Aalen hat auf den größern Handelsplätzen Augsburg, Nürnberg, Triest etc. einen sehr guten Nahmen. Man hat hier in vielen Jahren kein Beyspiel eines beträchtlichen Banqueruts erlebt. Der leidige Krieg hat aber auch auf den Wohlstand dieses Städtchens einen sehr verheerenden Einfluß gehabt. Glücklich bey seiner demokratischen Verfassung, regiert von einem Ausschusse seiner eigenen Bürger, und frey im Genusse seiner Unabhängigkeit – befand es sich vor dem Kriege in einem beneidenswürdigen Zustande. Eine lange Sparsamkeit hatte die öffentlichen Kassen gefüllt, es herrschte Friede zwischen dem Magistrate und der Bürgerschaft, die Repräsentanten der letztern wachten eifersüchtig für ihre Rechte, der gesunde Menschenverstand endigte alle Prozesse, die Abgaben waren sehr unbedeutend, manche gute Verordnung, im Geiste der Zeit aufgefaßt, bewieß, daß die Strahlen der Aufklärung auch in dieses einsame Thal gefallen waren, und Handlung und Gewerbe blüthen. Aber mit dem 2ten Aug. 1796 – wo die Stadt von den Franzosen im Sturm erobert wurde – begannen ihre schweren Leiden, und dauern bis auf diesen Augenblick fort. Eine ansehnliche Schuldenlast drückt das gemeine Wesen, die Stadtdomänen sind verkauft, die Gewerbe stocken, der Muth der Bürger ist niedergeschlagen, und die frühere glückliche Zeit ist – auf ewig dahin. Noch einen Verlust höherer Art, der auch weit schwerer wieder gut zu machen ist, hat der Charakter der Inwohner, durch den langen Aufenthalt fremder Kriegsvölker in ihrer Stadt erlitten. Man wurde mit vielen neuen Bedürfnissen bekommt, das Beyspiel von moralischen Leichtsinn steckte an; und besonders waren die Franzosen sehr geschäftig, das weibliche Geschlecht nach ihrer Weise aufzuklären, und nach dem Tone der großen Welt zu bilden. Doch konnte das sittliche Verderben Vergleichungsweise nur geringe Fortschritte in einem Orte machen, in dem zuvor die Moralität noch so fest auf Religion, auf nationelle Begriffe von Ehrbarkeit und Rechtlichkeit, und auf strenge, gegenseitige Beobachtung gegründet war.

Auch hier besorgen die Patrioten eine baldige Umwälzung der bisherigen Ordnung der Dinge, als Resultat der unglücklichen Zeichen unsrer Zeit. Es erregt in ihnen ein sehr schmerzhaftes Gefühl, nun, nachdem sie um [481-482] ihrer Verbindung mit dem teutschen Reiche willen, so viel aufgeopfert haben, auch noch ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Dieser Verlust ist sehr empfindlich für eine Republik, die sich bisher eines so hohen Wohlstandes erfreut, und bey ihrer Kleinheit und Unbedeutenheit eine so glückliche Ruhe genossen hatte.

Von hier führt der Weg durch das Remsthal nach Schwäbisch-Gmünd auch einem von den bisherigen republikanischen Gliedern der nun so drohend wankenden teutschen Konföderation. Die Stadt hat viele Denkmale ihres ehemaligen Flors. Sie ist von ansehnlichem Umfang, und enthält mehrere stattliche Privatgebäude, Kirchen und Klöster, mit denen aber die Spuren ihrer jetzigen Armuth traurig genug kontrastiren. Die Hauptnahrung ihrer Einwohner war Gold- und Silberarbeit. Der größte Theil der Stadt lebte davon. Da aber die Einfuhre dieser Artikel in die kaiserlichen Staaten gesperrt, und die Konkurrenz in Absicht der Verfertigung derselben unverhältnißmäßig vermehrt wurde: so verlor dieser Zweig der Gmünder Jndustrie beynahe seinen ganzen Werth, und viele Familien, die sonst im Ueberflusse gelebt hatten, wurden Bettler. Der Krieg machte das Verderben vollkommen. Der Verfall des hiesigen Stadtwesens ist aber von einem frühern Datum als die eben besagte Epoche. Schon vor dem Kriege drückte eine schwere Schuldenlast den Staat, und Bürger und Unterthanen zahlten sehr hohe Abgaben an die öffentliche Kassen. Das nahm alles unterdessen in einer fürchterlichen Progression zu. In dem dießjährigen Feldzuge wurde, durch die Erpressungen der Franzosen, die Noth so groß, daß sich der Rath genöthigt sah, das Heiligthum der Tempel anzutasten, Kopfsteuern zu erheben, und die Viehweiden der Gemeinden zu verkaufen. – Bey diesem traurigen Zustande des öffentlichen und privat Wohls kann eine politische Veränderung für Gemund nicht anders als erwünscht seyn. Wenigstens würde ihr Emporsteigen aus dem Abgrunde weit langsamer von statten gehen, wenn sie es blos aus eigener Kraft, und beschwert mit den Fehlern ihrer jetzigen Regierung vollbringen sollte. Wirtemberg würde an dieser Stadt, in vielen Rücksichten, einen sehr wichtigen Erwerb machen.

Armuth und Nahrungslosikeit verschlimmern den Charakter eines Volks weit mehr, als Reichthum und Ueberfluß. Diese Bemerkung sieht man hier überall bestätigt. Man findet unter den Einwohnern dieser Stadt eine Menge Tagdiebe, Betrüger und Verschwender, und ein großer Theil derselben zieht den Bettel der Arbeit vor. Man kann sich kaum auf den Straßen zeigen, ohne sogleich von einem Heere von Bettlern umgeben zu werden, und in den Gasthäusern dringen sich einem sogleich geschwätzige Krämerinnen zu, die unächte Bijouteriewaaren um theures Geld verkaufen. Der Staat konnte in seinem bisherigen, immer wachsenden Zustande von Unmacht und Mangel wenig oder nichts für die moralische Besserung seiner Bürger thun. Die vor einigen Jahren errichtete Normalschule hat mehr verheissen, als geleistet. Den Stand der religiösen Aufklärung charakterisirt eine lächerliche und zum Theile ärgerliche Passionskommödie, die jeden Charfreytag zum Nutz und Frommen der christglaubigen Seelen hier gegeben wird. Von wissenschaftlicher Kultur ist überall gar keine Rede. Nur macht in Absicht auf die letztre der Dr. Stütz eine Ausnahme, ein junger, selbstdenkender Arzt, der mit seinem Fache fortschreitet, und sich durch das von ihm entdeckte Mittel gegen den Hundskrampf eine ansehnliche Stelle unter den ausgezeichneten Aerzten Teutschlands erworben hat. [500] Von Gemünd führten mich meine Geschäfte in die Grafschaft Limburg; ein bergigtes, waldigtes Ländchen, zu beyden Seiten des Kochers gelegen, dessen Einwohner hauptsächlich von der Viehzucht, und von dem Ertrage ihrer Waldungen leben. Das Getraide kommt in dem sandigten Boden desselben [501-502] nur sparsam fort: desto reichlicher aber gedeihen die Erdbirnen, welche hier für ein Substitut der meisten andern Speisen gelten. Die Einwohner sind der lutherischen Religion zugethan. Ihre Sitten sind rauh, ländlich und einfach; ihre Kleidung und ihre Gebräuche altteutsch. Da ihr Regentenstamm schon im Anfange des 18ten Jahrhunderts ausstarb, so ist das Land unter mehrere Besitzer vertheilt; ein Uebelstand, aus dem nicht wenige, höchst traurige Folgen entstehen. Da die Besitzer alle abwesend sind, so betrachten sie ihre Antheile als Domänen, die man blos aus dem Gesichtpunkte des Nützlichen verwaltet, und die sämmtlichen Staatseinkünfte gehen alle Jahre für das Land verloren. Der Pastor Prescher zu Gschwend, ein sehr fleißiger historischer Forscher und würdiger Religionslehrer, hat die Geschichte dieser Grafschaft, mit viel Kenntniß, Wahrheit und Genauigkeit beschrieben[3].

Es gehört ohne Zweifel mit zu den Folgen dieser Zerstückelung, daß für die religiöse Aufklärung in diesem Ländchen noch so wenig geschehen ist. Liturgie, Katechismus und Gesangbuch sind traurige Denkmale aus dem 16ten Jahrhundert, worin noch alle die finstern Begriffe aufbewahrt und im Umlauf erhalten werden, die vor dem hellern Lichte unsrer Tage nicht mehr bestehen, und dem Geiste der wahren Religiösität ganz zu wider sind. In dem Hohenlohe-Bartensteinischen Landesantheil sollte vor einigen Jahren das werthheimische Gesangbuch eingeführet werden. Da man aber die Sache nicht mit Klugheit angriff, so gerieth sie wieder ins Stecken. Neuerlich ist von einem verbesserten Gesangbuche für die Gaildorfischen Landesantheile die Rede gewesen, und man hat auch bereits Gutachten und Proben über dasselbe veranstaltet. Jedoch ist bis jetzt auch hier die Sache blos frommer Wunsch geblieben. – Die Geistlichen in Limburg sind meistens sehr gut besoldet; indem ihnen die Fruchtzehenden in ihren Gemeinden angewiesen worden. Diese Einrichtung macht der religiösen Gesinnung der alten Schenken von Limburg Ehre: aber diejenigen von ihren Enkeln handeln nicht in ihrem Geiste, welche diese Zehenden, gegen eine bey weitem nicht äquivalirende fixe Besoldung, einziehen.

Gaildorf ist die Haupt- und einzige Stadt dieser Grafschaft. Sie liegt sehr angenehm in dem Kocherthal, und ist klein und schlecht gebaut. Da hier die Kanzleyen von drey Landesantheilen etablirt sind, so findet man eine verhältnißmäßig ansehnliche Zahl von Honoratioren, unter denen ein guter, gesellschaftlicher Ton, viel Aufklärung und gebildete Sitten herrschen. Es besteht unter ihnen eine Lesegesellschaft, die die besten teutschen Journale und andere neue belehrende und unterhaltende Schriften hält. Der Direktor der Solms-Assenheimischen Regierung, Hofrath Höck, ist ein gründlicher Gelehrter, und dem Publikum, durch eine klassische Uebersetzung des Sallust rühmlich bekannt.

In dem verflossenen Sommer, wo Schwaben und Franken, nicht durch den Krieg, sondern durch den Waffenstillstand zu Grunde gerichtet wurden, kantonnirte in der Grafschaft Limburg das vierte Husaren-Regiment, welches der Brigadechef Merlin, ein Bruder des bekannten Merlin von Thionville, kommandirt. Noch immer hören die Inwohner nicht auf, über dieses Korps zu klagen, das sich ihnen durch Exaktionen und Mißhandlungen aller Art unvergeßlich gemacht hat. Der Aufenthalt desselben kostete das Land gegen 60000 Gulden; ein um so empfindlicherer Schaden, da die Gegend weit umher unfruchtbar und arm ist, und die andern Kriegsprästationen diese Summe noch bey weitem übersteigen.

Wenn man von Gaildorf längst dem Kocher hinunter reist, so kommt man in das Ritterstift Komburg, welches dicht an der Reichsstadt Schwäbisch-Halle, auf einem Hügel liegt, und mit seinen stattlichen Gebäuden einen sehr guten Eindruck macht. Die hiesigen Dompräbenden sind ziemlich einträglich, und die vielen Besitzungen des Stifts sollen, wie man versichert, nach richtigen [503-504] Grundsätzen regiert werden. Vermuthlich fällt auch dieses Denkmal des religiösen Sinnes unsrer Väter in den Entschädigungsfund. Da es in vielfachen Verbindungen mit dem Hochstifte Wirzburg steht, so wird es mit demselben wahrscheinlich gleiches Schicksal theilen.

Schwäbisch-Halle ist eine ansehnliche Stadt, von beträchtlicher Größe, und mit mehrern schönen öffentlichen Gebäuden. Sie hat ein ziemlich ausgedehntes, sehr fruchtbares Gebiet, in dem besonders die Hornviehzucht in einem trefflichen Zustande ist. Die Staatsregierung ist in den Händen eines aus lauter studierten Mitgliedern zusammen gesetzten Magistrats. Unter den Inwohnern dieser Stadt herrscht viele Liebe zur Literatur und Lektüre. Das Gymnasium hat neuerlich eine verbesserte Einrichtung bekommen, und sich den Vorschlägen der aufgeklärten Erzieher und Methodisten mehr genähert. Unter den Lehrern sind Leutwein und Gräter als Schriftsteller bekannt; der erstre durch einige theologische und exegetische Produkte, der letztre durch seine Forschungen über die alte Sprache und Literatur der Teutschen. Der verdiente Senior Dr. Hufnagel zu Frankfurt am Mayn wurde in H. gebohren, und legte auf dem hiesigen Gymnasium den Grund zu seinen Studien. Er verdankt, nach seinem eigenem Geständnisse, dem alten, nun verstorbenen Rektor Leutwein sehr viel, der ein halbes Jahrh. hindurch an der hiesigen Schule gelehrt, und den man für einen der gründlichsten Schulmänner seiner Zeit gehalten hat. Die Hallenser lieben Lebensgenuß, Zerstreuung und die Freuden der Tafel, in einem weit höhern Grade, als es sonst in Reichsstädten Sitte ist. Ein gewisses Maaß von Wohlhabenheit, in der sich die meisten ausgezeichneten Familien befinden, giebt ihnen die Mittel, diesen Ton fortzusetzen. Der verflossene Sommer hat aber auch hier die Kassen des Staats und der Individuen ziemlich geleert. Erst trieb der oben besagte Merlin und dann der Brigade-General Levasseur sein Wesen in Halle, und beyde benützten ihren Vortheil, so gut sie konnten. Die Salzwerke sind die Goldgrube der Stadt. Sie sind aber auch die Ursache, warum jetzt der Herzog von Wirtemberg sein Augenmerk besonders auf sie richtet. Denn den Ländern des letztern fehlt dieses unentbehrliche Produkt beynahe gänzlich.

Der Pfarrer Glaser zu Michelfeld, ein Mann von dessen Gelehrsamkeit viel zu erwarten ist, hat vor einigen Jahren schon eine – bereits vollständig ausgearbeitete – diplomatische Geschichte der Stadt Halle angekündigt, die aber, aus Mangel an Unterstützung, bis jetzt noch nicht erscheinen konnte. Diese Unterstützung würde ihm nicht entgangen seyn, wenn er seinen Zeitgenossen einen abenteuerlichen Roman, oder ein mord- und blutvolles Ritterstück angekündigt hatte. –


  1. Vor dem Abmarsch der Franzosen geschrieben.
  2. Die Neuwieder Zeitung
  3. Geschichte und Beschreibung der Reichsgrafschaft Limburg, von H. Prescher. 8. Stuttg. 1789. 90. 2. Bd. m. K.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fürstenthtums