Bilder aus dem Leben deutscher Dichter/Nr. 5. Nicolaus Lenau

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Autor: Herbert König
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Titel: Bilder aus dem Leben deutscher Dichter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 164–168
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.

Nr. 5.0 Nicolaus Lenau.


„Wildverwachsne, dunkle Fichten,
Leise klagt die Quelle fort:
Herz, das ist der rechte Ort
Für dein schmerzliches Verzichten!“

Dieses „schmerzliche Verzichten“ begleitete den Dichter wohl durch sein ganzes Leben, dessen größter Theil zu einer Passions-Geschichte wurde. „Sinnende Melancholie“ drückte ihr unheilvolles Siegel schon dem Knaben auf die Stirn und führte den Mann zuletzt in jene geistige Oede und Zerrissenheit, welche uns Alle einst erschütterte. Nicht mit Unrecht nannte ihn daher Justinus Kerner den deutschen „Byron“, der einer der größten, aber auch unglücklichsten Dichter Englands war. Lenau ist der Dichter des Weltschmerzes – aber nicht jenes, der neben Thränen und Seufzern „die Welt vom Moquirstuhle des Satirikers als eine große Komödie

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Justinus Kerner’s Wohnhaus bei Weinsberg.
Nicolaus Lenau.
Originalzeichnung von Herbert König.
Ungarische Haide.
Lenau’s Ruhestätte auf dem Weidlinger Friedhofe bei Wien.
Xylographie von W. Haase

Heilanstalt Winnenthal bei Stuttgart.

[166] von Göttern und Thieren belacht,“ – sein Schmerz war ihm ein heilig ernster, geschrieben mit dem Herzblute! Sein Leben hätte anders sein können – so aber „war’s Entsagen nur und Trauern“ – „das grause Dunkel“, das in seiner Seele wohnte, war kein leeres Phantom – es war eine Vorahnung von dem, was später schrecklich in Erfüllung gehen sollte.

Im „weiten“ Ungarlande, im Dorfe Csatad, vier Meilen von Temesvar, wurde Nicolaus Franz Lenau am 13. August 1802 geboren. Sein Vater, Franz von Niembsch, königlicher Amtsschreiber in Csatad, fiel als ein Opfer ungezügelter Leidenschaften – seine Mutter Therese, das Bild rührendster, aufopferndster Liebe, war fortan der gute Engel des früh verwaisten Knaben, dessen jugendlicher Frohsinn durch das Elend des Vaters schon im Keime erstickt wurde. Als ob sie den Werth des von ihr vergötterten einzigen Sohnes früher als jeder Andere erkannt hätte, mochte sich die zärtliche Mutter nicht entschließen, ihren „Niki“ den Großeltern zu überlassen, welche den Knaben adoptiren wollten. Lieber arbeitete sie Tag und Nacht mit der Nadel, um ihrem Liebling, wenn auch nur annähernd, die Sorgfalt angedeihen zu lassen, die er in dem Hause der vermögenden Großeltern gefunden haben würde. – Im Guitarre- und Geigenspiel erhielt er seinen ersten Unterricht, nebenher dem Vogelfang leidenschaftlich anhängend. Damals konnte er sich stundenlang auf den Rasen hinstrecken, umweht von Binsen und dem schönen „Waisenmädchenhaar“, und mit seiner ihm angeborenen Listigkeit die Vögel locken, indem er ihr Pfeifen und Gezwitscher auf’s Täuschendste nachahmte. „Bemerkenswerth ist auch aus jener Zeit, daß er überaus fromm war. Er betete tagtäglich sein Morgen- und Abendgebet mit tiefster Inbrunst. Ein Hauptvergnügen für ihn war, vor einem zum Altar hergerichteten Stuhle die Messe zu lesen, wobei ihm seine Schwester „Resi“ dienen mußte. Letzteres that er späterhin auch selbst gerne dem Priester in der Kirche, wobei ihm aber schon sehr hoffärtige Gedanken durch den Kopf schossen, wie in seinem „Faust“ (Faust’s Tod) zu lesen steht. Er predigte auch manchmal so ergreifend, daß seiner Mutter und noch mehr seiner alten Wärterin, der Schwäbin Walburga, die hellen Thränen über die Wangen rollten. Auch noch als Mann sprach Lenau mit Entzücken von der wahrhaft himmlischen Seligkeit, die ihn durchströmte, als er das erste Mal, rein wie ein Engel, von der Beichte gegangen war. Die Frömmigkeit des Knaben erklärt uns, wie der Mann Lenau vornehmlich auf die Glaubenslehre bezügliche Stoffe zu großen Gedichten (Savonarola, die Albigenser) wählen mochte.“[1]

Gewiß mehr dem Drange, ihren Kindern einen Ernährer zu schaffen, als einer tieferen Neigung folgend, entschloß sich Lenau’s Mutter zu einer zweiten Verbindung. Der neue Gatte, ein Arzt, zog mit der Familie nach Pesth, und hier genoß der junge Lenau des ersten geregelten Unterrichts auf dem Gymnasium, das er von 1812–1815 besuchte. Doch eine zweite Uebersiedelung des Pflegevaters von Pesth nach dem weinreichen, aber arztarmen Tokai unterbrach diesen Unterricht auf’s Neue, wodurch der künftige Gelehrte vielleicht einbüßte – der künftige Dichter aber offenbar gewann. „Wie mußte den naturseligen Lenau, damals selbst noch im Lenze seines Lebens, dieser sein erster freier Lenz in ausgezeichnet schöner Gegend wonnig ergreifen!“

Dieser Frühling und Sommer in Tokai waren vielleicht die glücklichsten Tage in Lenau’s Leben. Zudem wurden sie verschönt durch die Erscheinung eines Mädchens, der Freundin seiner Schwester, welches sein Gemüth noch mehr ergriff, als der Anblick des Tokaier Landes und seiner krystallhellen Wasser. Doch auch diese glücklichen Tage sollten ihr Ende erreichen. In Tokai war kein Gymnasium – der bereits fünfzehnjährige Lenau mußte seine Studien wieder aufnehmen, und so entschloß sich die leidenschaftlich liebende Mutter, die sich vorläufig lieber von dem Gatten, als von dem Sohne trennen wollte, mit ihm und ihren andern Kindern wieder nach der Hauptstadt Ungarns zu gehen.

Am westlichen Fuße des Ofener Festungsberges steht noch jetzt ein einsames Haus (früher eine Capelle), von einem Wiesenplane umgeben, der früher als Soldatenkirchhof gebraucht wurde. In dieses schauerlich-romantische Häuschen zog die Mutter Therese mit ihren Kindern. Die Traurigkeit des Ortes, wie die mehr als bescheidenen Verhältnisse der Mutter, drückten den jungen Lenau schwer darnieder, und „zu jener Zeit mag die dunkle Blume der Schwermuth, deren Samen er schon bei der Geburt empfing, in seinem Busen zuerst zur Blüthe gelangt sein.“ – Auf den erneuten dringlichen Wunsch der Großeltern, Nikolaus zu sich nehmen zu wollen, ging daher dieser um so entschiedener ein, als er, gleich der Mutter, wohl einsah, daß an eine würdige Ausbildung seines Geistes aus eigenen Mitteln nicht zu denken war. Ein Brief aus Stockerau, wo nun Lenau bei den Großeltern lebte, giebt das herrlichste Zeugniß von dem rührenden Verhältniß zwischen Mutter und Sohn, und eine Stelle daraus möge hier ihren Platz finden:

 „Liebe theure Mutter!

Ohne Verzug und gleich nach Erhaltung Ihres Briefes will ich Ihnen denselben beantworten. Innigst erfreut über die unbegrenzte Liebe, die aus allen Ihren Handlungen erhellt, und ganz von Dankgefühl durchdrungen, gelobe ich: meine gute Mutter nie aus meinem Herzen zu bannen, und eingedenk des Opfers, daß Sie sich um meines Wohles willen dem bittersten Schmerz, der Sie nach meiner Trennung übermannte, preisgaben, will ich, so lange ich athme, Ihr gutes Kind bleiben.“ etc. etc.

Beim Beginne des Schuljahres 1819 mußte Lenau nach Wien, um dort in das erste Jahr der Philosophie aufgenommen zu werden. „Mit dem Studiren, das einen praktischen Lebenszweck vor Augen hat, mag es ihm jetzt, wie in der Folge, nie recht Ernst gewesen sein; er erschien immer mehr als Gast und Liebhaber, der nur das, was ihm eben mundet, mit vollen Zügen schlürft und Alles, was ihn anekelt, mit unverhohlenem Mißbehagen bei Seite schiebt. Daher kam es auch (fährt der Dichter Seidl in seiner damaligen Charakteristik fort), daß er in die vorgeschriebenen Formen, die seinem unruhigen Geiste eine beengende Fessel waren, sich nicht zu fügen wußte, und bald da, bald dort anstieß.“ – Lenau genirte sich also cavaliermäßiger, als er sollte, und wurde dadurch vielleicht, wozu das heiße Magyarenblut, das in seinen Adern rollte, nicht wenig beitrug, früher in die Mysterien der Liebe eingeweiht, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Ein Verhältniß, das er zu jener Zeit mit einem zwar schönen, aber seiner unwürdigen Mädchen anknüpfte, hinterließ die ersten Spuren jener Melancholie und Zweifelsucht, die später seinen Charakter verdüsterten, aber auch die schönsten Blüthen im Garten deutscher Poesie trieben. Diesen seinen ersten Schmerz zu tödten, sehen wir ihn im wildesten Ritt die weiten unabsehbaren Haiden zwischen Pesth und Tokai durchmessen. Diese wilden, oft nächtlichen Ritte, denn:

„Die Haide war so still, so leer,
Am Abendhimmel zogen
Die Wolken hin, gewitterschwer,
und leise Blitze flogen“

gaben ihm später den Stoff zu seinen reizenden „Haidebildern“.

Kaffeehausleben, Reisen in die österreichischen Alpen, Verbrüderungen mit gleichen geistigen Genossen wechselten nun bunt durcheinander. Besonders war es das „Neuner’sche Kaffeehaus“, für welches Lenau heftig inclinirte, weil es zugleich der Sammelpunkt anderer strebsamer Talente, wie Graf Auersperg (der nachmals berühmte Anastasius Grün), Baron Schlechta, Badenfeld etc. war. „Hier,“ erzählt Seidl „saß er in der Ecke des Billardzimmers, das Kinn tief in die Brust gebohrt, mit den Augen in die Gluth seines Pfeifenkopfes stierend, die Beine lang hingestreckt über einen zweiten Stuhl, mit der Rechten bald sein schwarzes Haar durchfingernd, bald im Genick und hinter den Ohren sich krauend, bald die Stirne runzelnd, bald die Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln verziehend, einsam unter den plaudernden Tischgenossen, abwesend für Alles, was um ihn vorging, bis er plötzlich wie aus einem Traume erwachend, sich schüttelte, mit fast wilder Lustigkeit Einem oder dem Andern zurief: „Allons, Freund, eine Partie!“ und nun den Queue, den er meisterlich zu handhaben wußte, wie einen Zauberstab ergriff, um alle bösen Geister, die auf ihn einstürmten, zu bannen.“

Aus diesem vielleicht nur scheinbaren dolce far niente riß ihn der Tod seiner geliebten Mutter – der Ernst des Lebens sollte beginnen – und der Student Niembsch von Strehlenau (letzterer Name war ihm von seinen Großeltern überkommen) tritt 1830 zum ersten Male als Dichter unter dem Namen Lenau auf,[2] nachdem er sich abwechselnd mit dem Studium der Philosophie, der Rechtswissenschaft und Heilkunde beschäftigt hatte, was jedoch nur „ruckweise“ und mit großen Unterbrechungen geschah. – Wie mit [167] dem Lernen ging es ihm später auch mit dem Dichten, weshalb er eigentlich sehr wenig fruchtbar war.

Mit einem ziemlich geschmolzenen Vermögen, das Lenau von seinen Großeltern geerbt hatte, begann nun jenes ruhelose Wanderleben zwischen Wien und Stuttgart, wo er bald mit den „Besten“ der schwäbischen Dichterschule, an ihrer Spitze Altmeister Uhland, in herzlichste Verbindung trat. Männer wie Carl Mayer, Graf Alexander von Würtemberg, Justinus Kerner und Gustav Schwab kamen ihm mit jener Gastfreundschaft und Werthschätzung entgegen, die diesen Kreis vorzüglicher Menschen kennzeichneten und den einer solchen Aufnahme bedürftigen Fremdling auf’s Wohltuendste berührten. Gustav Schwab war es, der Lenau in dieser seiner zweiten Heimath zuerst als Dichter einführte, indem kurz nach seiner Ankunft „die Haidebilder“, „die Werbung“, „der Schiffsknecht“ und „der Invalide“ im Stuttgarter Morgenblatte erschienen, dessen poetischen Theil Schwab redigirte.

Die Fülle poetischer Kraft und Originalität, welche diese Gedichte in sich tragen, das Fremdartige, Ungewohnte des Gebiets, auf dem sie sich bewegen, der tiefe, melancholische Ernst, der das Ganze durchweht, und was so mächtig anzieht und gefangen hält, diese so bedeutenden als charakteristischen Züge in Lenau’s Poesie verfehlten auch hier ihren magischen Reflex nicht und rissen zur lautesten Bewunderung hin. So kam es, daß der Vertrag mit der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung bereits 1831 abgeschlossen wurde, und der Name „Lenau“ bald als ein Meteor erster Größe am Dichterhimmel Deutschlands glänzen sollte. Ueber des Dichters damaliges Aeußere theilt uns sein Schwestermann und Biograph, der treffliche Anton Schurz (dessen bereits angeführtem Werke wir die interessantesten Notizen verdanken), Folgendes mit: „Lenau war reich mit Körperkräften ausgestattet – und wie tollkühn er war, wie heiß das kriegerische Blut seiner Ahnen ihm durch die Adern rollte, beweist sein wiederholter Ausspruch: daß er „die Freuden des Schlachtfeldes“ über alle anderen stellte.

„Drei Dinge hätt’ ich gern vollbracht:
Gestanden einmal in der Schlacht,
Ein holdes Weib als Braut errungen,
Ein Söhnlein froh im Arm geschwungen.“

„Eher klein als groß, aber stämmig, um die Schultern breit, von vortrefflicher Lunge und Brust, mit sehnigen Armen und Beinen, dazu voll Muth und Verwegenheit und stets gewaltiger Herr des Worts – wäre er ein vortrefflicher Husarenoberst gewesen. Sein sehr großer Schädel zeigt die Hülfsmittel des Dichters in höchster Ausbildung; das Haupthaar auf dem gedankenvollen Scheitel etwas dünn, Backen- und Schnurrbart dunkelbraun; die Stirne besonders breit, über der kräftigen, sanftgeschwungenen Nase sich gern stark faltend; die Brauen, wie bei Vieldenkern, oft sich zusammenziehend, die Backenknochen, wie bei Slaven, wie denn überhaupt Lenau’s Gesicht an einen edlen Serben mahnte, etwas hervorragend; die unaufgeworfenen schmalen Lippen energisch geschlossen; das Kinn wie abgehackt; endlich in den Augen zwei unergründliche Brunnen von Geist, Tiefsinn und Schwermuth … welch ein herrliches Gesicht! Hand und Fuß aristokratisch fein und klein; die Haltung ein gemächliches Sichgehenlassen; meist gebeugt sitzend oder bequem liegend; auf gebogenen Knieen sich schwingender Gang; in Kleidung gewählt und zierlich fast, stets rein behandschuht und auf das Aeußere mehr haltend, als man gewöhnlich bei Dichtern trifft: so, so war Lenau zu jener Zeit, als sein Name zuerst durch die Welt flog.“

Von nun an sehen wir den Dichter im lebhaftesten Verkehr mit den vorzüglichsten Geistern Wiens und Stuttgarts. In Wien war es vor Anderen der edle Anastasius Grün, welcher sich in einer an Pietät grenzenden Weise von Lenau’s Genius angezogen fühlte. Diese Pietät, die durch Nichts abgeschwächt werden konnte, fand später ihren schönsten Ausdruck in dem „Vorworte“, welches Anastasius Grün dem dichterischen Nachlasse des verewigten Freundes widmete. In Stuttgart waren es, wie schon früher angedeutet, Uhland, Schwab, Mayer und Kerner, die dem Geistesgenossen brüderlich die Hand reichten und ihre gastlichen Häuser in echt patriarchalischer Weise öffneten. In Kerner’s freundlichem Asyl bei Weinsberg verlebte Lenau Stunden des reinsten, harmlosesten Glücks, während die romantische Lage des Orts seine ohnehin schon ungeheuere Einbildungskraft noch steigerte. In jenem uralten Thurme, der einst zur Befestigung der Stadt gehörte, und in dessen unterstem Raume, nach Zerstörung der Burg, deren unglücklicher Vertheidiger, Graf von Helfenstein, gefangen saß, schrieb Lenau 1834 einen bedeutenden Theil seines „Faust“. Manchen Abend, oft bis tief in die Nacht, stand er auf der Zinne des alten Gemäuers, und schaute nach den dunkeln Umrissen der alten Veste „Weibertreue“, aus deren Trümmern die Aeolsharfen herüberklangen, die der phantastische Kerner dort angebracht hatte. Und streifte das Mondlicht jene Gegend, wo die „Seherin von Prevorst“ begraben liegt, über deren Hügel jenes riesige goldene Kreuz schimmert, so griff der einsame Dichter zu seiner Geige, die er so meisterhaft spielte, und entlockte ihren Saiten die schwermüthigsten Töne, die nicht selten in die wilden, kriegerischen Klänge des „Rakoczy“ übergingen. „Denn,“ sagt Kerner, „tiefe Melancholie wechselte bei ihm sehr oft mit ausgelassenem Lustigsein – eine Dissonanz, die ich oft mit geheimer Sorge beobachtete.“

Wenn Lenau’s Persönlichkeit die Männerwelt so unwiderstehlich anzog, ja beherrschte, so ist es nicht zu verwundern, wenn diese Persönlichkeit einen mindestens gleich mächtigen Zauber auf das andere Geschlecht übte. Die hervorragendsten Frauen jenes auserwählten Kreises, obenan die Damen Graf Alexander’s von Würtemberg, kamen dem Dichter mit unbefangenster Verehrung entgegen, die ihn mit freudiger Genugthuung erfüllte, weil er sie der Reinheit und Keuschheit seiner Muse zuschreiben durfte. „Wenn Gräfin Marie sein innigstes Lied: „Weil’ auf mir, du dunkles Auge!“ mit tiefer Empfindung vortrug, sah man das seinige in freudigem Strahle erglühen. Doch dieses Erglühen, dieses Lächeln erschien immer wie die auf Augenblicke zwischen düsterem Gewölk hervortretende Sonne.“

Aber trotz dieser vielseitigen Gunst und Verehrung, die dem Dichter von den edelsten Frauen ward, sollte es ihm nicht vergönnt sein, eine Gefährtin zu finden, an deren Seite er beglückt durch’s Leben gehen durfte. Einmal hielten ihn materielle Bedenklichkeiten von einem Ehebündniß zurück – ein anderes Mal körperliche und – geistige Leiden – noch früher ein böser Zufall, der ihn immer „zu spät“ kommen ließ. Jene „Sophie“, an welche Lenau bis zu seiner großen Krankheit die zärtlichsten, vertrautesten, aber auch verzweiflungsvollsten Briefe richtete, wurde die Gattin eines Anderen. Ihr galten die Strophen:

„Ach, wärst Du mein, es wär’ ein schönes Leben,
So aber ist’s Entsetzen nur und Trauern!“

Von einer wahrhaft dämonischen Unruhe getrieben, faßte er zu jener Zeit den Entschluß, nach Amerika zu gehen, um dort Ländereien zu kaufen, die er dann verpachten wollte. Jemehr die Freunde zu diesem abenteuerlichen Entschluß die Köpfe schüttelten, je dringlicher sie ihm davon abredeten, desto beharrlicher wurde Lenau und ließ sich nur das Versprechen abnöthigen, nach Jahresfrist wieder heimzukehren. Im August 1832 schiffte er sich ein – und nach Jahresfrist betrat er auch wieder den heimischen Boden – wie vorauszusehen war, das Herz voll von Enttäuschungen.

„Mein Aufenthalt in der neuen Welt,“ sagte er später, „hat mich von der Chimäre von Freiheit und Unabhängigkeit, für die ich mit jugendlicher Begeisterung schwärmte, geheilt. Ich habe mich dort überzeugt, daß die wahre Freiheit nur in unserer eigenen Brust, in unserem Wollen und Denken, Fühlen und Handeln ruht.“ – Enttäuschungen also dort wie hier! – Dazu leidige Geldsorgen, die ein empfindliches Gemüth, wie das Lenau’s, doppelt schwer treffen und seine natürliche Mißstimmung ungemein steigern mußten. „Um sich ihrer möglichst zu entschlagen, und auch um eine entschiedenere Stellung in der Gesellschaft zu gewinnen, bereitete er sich damals ernstlich für die ästhetische Professur an der theresianischen Ritterakademie zu Wien vor, die ihm vielleicht nur darum nicht wirklich zu Theil ward, weil er es unter seiner Würde hielt, sich um dieselbe auf dem allgemein vorgeschriebenen Wege zu bewerben.“

Diese Existenzsorgen, die ihn wie Gespenster verfolgten, veranlaßten ihn auch mit Baron Cotta einen Vertrag abzuschließen (wonach er ihm gegen ein Honorar von 20,000 Gulden seine literarischen Erzeugnisse überließ), als ihm in der Person einer jungen Frankfurter Dame das Glück noch einmal zu lächeln schien. Wir wissen nicht, wollen auch nicht entscheiden, ob dieses Verhältniß, welches die Ehe sanctioniren sollte, von Seiten Lenau’s aus wahrem Herzensbedürfniß angeknüpft wurde – es ist uns nur bekannt, daß seine Brautfahrt nach Frankfurt eine glückliche war – daß er freudestrahlend zu seinen Freunden nach Stuttgart zurückkehrte und wieder Hoffnung schöpfte für eine noch glücklich werdende [168] Zukunft. Da kamen aber „böse zischelnde Zungen“, die von einem bereits seit Jahren bestehenden Verhältniß mit einer verheirateten Frau in Wien sprachen – die nichts unversucht ließen, den eben von Glück Träumenden aus seinen Himmeln zu reißen. Bitterkeit und Mißtrauen gegen die Menschen, dazu wieder seine alte Aengstlichkeit um nachhaltige Existenz stiegen wechselweis in seiner zweifelsüchtigen Seele auf und warfen den kaum Hoffenden wieder zu Boden. Seine damalige Stimmung und deren unmittelbare Folge erhellen am Klarsten aus der Stelle eines Briefes, den er aus dem Hofrath Reinbeck’schen Hause schrieb, wo er die Aufnahme eines Freundes, eines Sohnes fand. … „Nach einer Einsicht in die Reinbeck’schen Wirthschaftsbücher hab’ ich mich überzeugt, daß ich selbst in Stuttgart mit weniger als 2000 Gulden rheinisch als verheiratheter Mann nicht bestehen könnte. Wie wenig ich auf meine poetischen Erwerbnisse (sein Contract mit Cotta war noch in der Schwebe) sicher zählen kann, ersehe ich aus dem bodenlosen Mißmuthe, in welchen mich schon jetzt eine bloße theoretische Berechnung meines wahrscheinlichen künftigen Elends gestürzt hat. Letzten Sonntag, vor vier Tagen, saß ich mit Reinbeck beim Frühstück. Da fiel mir plötzlich das ganze Gewicht meiner Lage auf’s Herz. Ich sprang auf mit einem Aufschrei des höchsten Zorns und Kummers, und im gleichen Augenblick fühlte ich einen Riß durch mein Gesicht. Ich ging an den Spiegel, sah meinen linken Mundwinkel in die Höhe gezerrt, und die rechte Wange war total starr und gelähmt.“

Mit diesem Riß, der sein Gesicht durchzuckte, begann der große Riß in seiner Seele – er fand von Stund an eine unheimliche Lust darin, die Gestörtheit seines Geistes zu prophezeien und sich mit dem Tode in Rapport zu setzen. Ein Brief, den er aus Wien erhielt und dessen Inhalt ihn offenbar im höchsten Grade beunruhigte und verstimmte, war der letzte und bitterste Tropfen, der das Gefäß überfließen machte – und in der darauf folgenden Nacht trat auch wirklich der erste stärkere Paroxysmus seiner Tobsucht ein, indem er ganz schlaflos blieb, eine fürchterliche Angst und Verzweiflung sich seiner bemächtigte, und er mit Fäusten um sich schlug, Selbstmordsgedanken in ihm aufstiegen, und er in einem unbewachten Augenblicke durch das ebenerdige Fenster auf die Straße sprang.

Es kann nicht in unserer Absicht liegen, die einzelnen wiederkehrenden und sich bis zum Entsetzen steigernden Züge dieser Periode zu detailliren – sie sind bekannt genug. Als die unglückliche Braut, welche auf die Nachricht von des Dichters Zustand mit ihrer Mutter sogleich nach Stuttgart aufbrach, in Heidelberg auf die kommende Post warten mußte, nimmt sie unwillkürlich eine Zeitung zur Hand und liest die furchtbaren Worte: „Lenau ist wahnsinnig und liegt in der Zwangsjacke“ –

Am 21. October 1844 wurde er vom Hofrath Zeller nach der nahen Heilanstalt Winnenthal abgeholt. Es verbreitete sich in Stuttgart das Gerücht, dort sei am nämlichen Tage, wo man Niembsch nach Winnenthal brachte, ein trefflich dargestelltes Stück gegeben worden, welches sein Schicksal ganz enthalte: Scribe’s „Fesseln“. Wer von den Lesern dieses Drama nicht kennen sollte, der lese es nach, es wird ihm den treuesten Commentar zur Herzensgeschichte unseres Dichters liefern.

Die erschütternde Kunde, die sich auch bald in Wien von Lenau’s Krankheit verbreitete, führte Freunde wie Bauernfeld und Anastasius Grün nach Winnenthal, um durch ihr persönliches Erscheinen ein günstiges Resultat zu erzielen. Umsonst! Die einst ihm so theuern Gefährten gingen wie Schatten vorüber an seinem leiblichen wie geistigen Auge. Selbst für seinen treuen Schwager Schurz, der schließlich kam, das mühevolle Werk zu übernehmen, den Kranken in die Heilanstalt Döbling bei Wien überzuführen, hatte er nur zeitweilig Gedächtniß. Nie sollte die leiseste Rückerinnerung in ihm wiederkehren – bis zu seinem Tode sollten die Nebelschleier eines gestörten Geistes sein ödes Dasein überschatten. Nur einmal, so theilt sein Wärter in Döbling mit, habe ihm Niembsch beim Spaziergang im Garten auf die Frage: „Wissen Sie, daß Sie Herr von Niembsch sind, der Große?“ geantwortet: „O, Niembsch ist jetzt klein geworden.“

Lenau’s Aussehen und Zustand in der letzten Zeit seines Lebens und Leidens schildert uns der Maler Aigner in charaktervollen, ergreifenden Zügen. „Als wir in Lenau’s Zimmer in Döbling traten, zeigte sich uns ein wahrhaft erschütterndes Bild. In einem braunen Lederstuhl saß die gebrochene Gestalt mit der kranken Seele, ein gelblich bleiches Gesicht, langes, hinter die Ohren gestrichenes Haar, voller Bart, und ein Auge so voll Leiden und ganz unbeschreiblicher Wehmuth begegnete fragend meinem Blick, daß es mir das Herz zerschneiden wollte. Auf die freundlich gegebene Erklärung des Arztes, daß er jetzt gemalt werde, stieg ein leises Wimmern aus seiner Brust als Antwort auf. Aufmerksam folgte er mit den Augen allen Vorbereitungen, die nöthig waren, bis er zum eigentlichen Sitzen kam. Endlich konnte ich beginnen, fieberhaft aufgeregt entwarf ich rasch mit Kreide auf Leinwand die Contouren und fing zu malen an. Zusammengekauert, die Hände auf der Brust gefaltet, den Kopf gesenkt, begegnete der Strahl seines Blickes immer dem meinigen, so oft ich ihn ansah, aber regungslos ließ er mich gewähren, nur stieg in immer kürzeren Zwischenräumen der leise, tiefeinschneidende, wehklagende Ton aus seiner Brust, der mich so ergriff, daß ich meiner kaum mehr mächtig war; langsam drängte sich eine Thräne aus meinem Auge und schmerzhaft folgte mir eine zweite, die mein Schauen verdunkelte; in demselben Momente stößt der Kranke ein krächzendes Geschrei aus, zitternd und mit grimmigen Blicken will er sich erheben – - ich war erstarrt. Schnell stürzte der Wärter herein, ihn zu beruhigen, und mich nicht minder, indem man mir erklärte, das sei bei ihm etwas ganz Gewöhnliches, und seit Monaten wäre er nicht so lange ununterbrochen ruhig gewesen. – Nach diesem Vorfall war es mir unmöglich, das Bild weiter auszuführen, halb vollendet mußte ich es stehen lassen, und er wurde erst wieder ruhig, nachdem ich von dem verhängnißvollen Hause weit weg war.“

Nicht menschliche Fürsorge – nur göttliche – konnte diesen Leiden ein Ziel setzen. Am 22. August 1850 starb Nicolaus Lenau – in den Armen seines treuen Anton Schurz.

Auf dem Weidlinger Gottesacker, auf dem er immer gern ruhen wollte – liegt er begraben. Eine Säule mit seinem Relief-Bildniß bezeichnet die Stätte, die seine sterblichen Reste weihen.

H. Kg.

  1. Siehe Lenau’s Leben von Anton Schurz.
  2. Sein erstes Gedicht mit dieser Namensunterschrift findet sich in weiland „Spindler’s Damenzeitung“ und trägt die Ueberschrift:„Glauben, Wissen, Handeln. Ein Allegorischer Traum.“