Blauweiß

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Autor: Theodor Duimchen
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Titel: Blauweiß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23-25, S. 380–384, 404–407, 420–423
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Novelle
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Blauweiß.

Novelle von Theodor Duimchen.


Eine Tagereise südlich vom Kap Hatteras furcht ein schlanker Dampfer die dunkelblauen Fluten des Golfstroms. Ueber dem Steuer weht, rotweiß gestreift, in der Ecke die goldenen Sterne auf blauem Grunde, das Banner der großen amerikanischen Union.

Auf dem obersten Promenadendeck sind unter dem Schutze des blendendweißen Zeltdachs, mit dem es achtern überspannt ist, fast alle Kajütenpassagiere versammelt; es ist der einzige erträgliche Aufenthalt, man hat hier oben wenigstens Luft, in den geschlossenen Räumen unten ist die Hitze nicht auszuhalten.

Kinder spielen mit bunten Bällen, die, von einem dünnen Kautschukfaden gehalten, immer wieder in die Hand zurückkehren. Damen liegen, plaudernd oder lesend, lang ausgestreckt in niedrigen Klappstühlen oder sitzen in Schaukelstühlen, die die zierliche Fußspitze in steter Bewegung hält. Einige Herren gehen auf und ab, Cigarren, Cigaretten, oder die kurze gerade amerikanische Shagpfeife im Munde. Die Herren sind sehr wohlerzogen und, wie es scheint, alles befahrene Leute: wer raucht, hält sich auf der Backbordseite, die heute „unter dem Winde“ ist, der, leise von Florida herüberwehend, leicht und angenehm den Dampfer steuerbords trifft.

Ganz hinten am Heck steht ein Herr über das Schiffsgeländer gebeugt und sieht ins Kielwasser hinab, wo die Schraube weiße Schaummassen aufquirlt, die, blitzend und blendend für einen Augenblick, sich gleich darauf wieder auflösen, beruhigen und dieselbe tiefe, satte Bläue annehmen wie zuvor.

Soweit das Auge reicht, dehnt sich das Meer, glatt wie ein Spiegel, leuchtend in Glut und Farbe.

Der junge Mann ist etwa vierundzwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt. Ein schöner Mensch; trotz seiner bequemem, gebückten Haltung sieht man, daß er von ungewöhnlicher Größe ist, die breiten Schultern und Hüften, der sehnige Nacken verraten außerordentliche Körperkraft, in dem fein, aber energisch geschnittenen sonngebräunten Gesicht blitzen hellblaue scharfe Augen. Gekleidet ist er in den Anzug, den New Yorker Schneider von Rang zahlungsfähigen Kunden „aus den vierhundert“ für einen der beliebten Spätherbstausflüge nach Kuba in ganzen oder halben Dutzenden zu bauen pflegen, die weiten Beinkleider und der elegante Sacco sind von feinstem weißen Kaschmir. Eine flache Mütze aus demselben Stoff bedeckt das kurzgehaltene blonde Haar, ihr breiter wagerecht abstehender Schirm aus dünnem Schildpatt schützt die Augen. Die Füße stecken in niedrigen, fast absatzlosen Schuhen aus hellgrauem Waschleder.

Jetzt breht er sich um und richtet sich zu voller Höhe auf. Eine Freude für jeden Beschauer steht er da, der leise Wind schmiegt das faltige, weißseidene Hemd gegen die mächtige Brust und spielt mit den Enden des schwarzen Halstuchs und den Zipfeln einer gleichfarbigen Schärpe, die er als Gürtel trägt. Seine lachenden Augen fliegen über das Deck hin und bleiben an einer schlanken Frauengestalt haften, die, in Spitzen und Musselin gehüllt, im langen Stuhl ausgestreckt, die Arme erhoben und die Hände unter den reizenden Kopf gelegt, ins weite Meer hinausträumt.

In einem Schaukelstuhl neben ihr sitzt eine ältere, grauhaarige Dame mit Lesen beschäftigt, und vor den beiden kauert ein Mulatte. Orangen, Zucker, Gläser und der „Pitcher“, die allgegenwärtige amerikanische Silberkanne mit Eiswasser, stehen auf einer Platte neben ihm. Der schlanke, hellfarbige Bursche scheint sehr an seiner jungen Herrin zu hängen, seine runden, schwarzen Augen verlassen sie fast keine Sekunde. Und so ihres leisesten Winkes gewärtig auf den untergeschlagenen Beinen ruhig dazusitzen, muß ihm eine angenehme Pflicht dünken, ein ungemein vergnügtes Lächeln hat sich auf seinem gelblichen Gesicht dauernd niedergelassen und die blendend weißen Zähne verschwinden höchst selten einmal und dann nur für ganz kurze Zeit hinter den ein wenig dicken, hochroten Lippen. Jetzt fährt sein Kopf herum, denn eben ruft es vom Heck her: „Ich sage Dir, Kate, komm’ doch nur einmal her, dieses niederträchtige Vieh ist wirklich unterhaltend.“

Kate, von allen Freunden der Familie und, was etwas mehr sagen will, sogar von fast allen Freundinnen, nach einem eben in der nordamerikanischen Lesewelt sehr beliebten Roman gewöhnlich Bonny Kate, „Schön Kätchen“, genannt, hebt auf den lauten Zuruf erst den Kopf und dann den Oberkörper. Ein fröhliches Lächeln zieht über ihr Gesicht, als sie ihren Bruder ansieht, sie haben ersichtlich Freude aneinander.

Als sie sich erhebt und langsam auf ihren Bruder zuschreitet, bleiben einige der auf und ab gehenden Herren stehen und folgen ihr dann nach dem Hinterdeck. Auch ihre Gesellschaftsdame, Mistreß Stiffings, und einige andere Damen werden neugierig, trennen sich von ihren bequemen Stühlen und vergrößern die Gruppe.

Kate blickt, neben ihrem Bruder über das Geländer gelehnt, ins Meer.

„Da, da, siehst Du ihn?“ fragt er und deutet mit dem Finger nach einem Hai, der in immer gleich bleibender Entfernung von wenigen Metern dem Schiffe folgt. Dicht unter der Oberfläche schießt das rießge Tier dahin, so dicht, daß zuweilen seine dreieckige Rückenflosse aus dem Wasser auftaucht.

„Beneidenswerte Flossenmuskeln hat das Scheusal,“ sagt Johny, „seit gestern um diese Zeit folgt er uns, genau in der Geschwindigkeit unseres ‚Kolumbus‘.“

„Und leicht, wie’s scheint,“ antwortet seine schöne Schwester lachend, „es würde ihm auf einige Knoten mehr auch nicht ankommen, glaub’ ich.“

„So sieht’s aus, in der That. Neugierig, wann er es satt bekommt.“

„Ueberhaupt nicht,“ fällt einer der andern Herren ein, dem Aussehen nach ein Kubaner. Er hat spanisch gesprochen, das der Amerikaner nicht versteht wie die meisten seiner Landsleute; die mit Kuba Geschäfte machen, nicht ausgenommen. Die Kubaner von einiger Erziehung lernen eben fast alle Englisch. Auch Johnys Nachbar wiederholt sich sofort in tadellosem Englisch, als jener verständnislos aufsieht. „Nicht vor dem Hafen?“ fragt John Arlington, „Sie wollen doch nicht sagen, daß er das bis Havanna aushält?“

[382] „Sicherlich will ich das, er wird mit uns den Morro passieren und mit uns in die Bai einlaufen.“

„Nun, vor der Boca wird er schon umkehren,“ meint ein anderer Mitreisender. „Durch die enge Hafenmündung zwischen dem Leuchtturm und der Punta gehen sie doch in der Regel nicht mit.“

„Der alte Herr da ohne Frage,“ erwidert der erste. „Je älter, desto frecher. Er hat es ja viel zu gut bei uns, unsere Küche füttert ihn geradezu, und die Hoffnung verläßt ihn nicht, daß einer von uns oder den Matrosen ein bißchen über Bord fällt.“

„Da kommen ein paar Kohlköpfe angeschwommen,“ ruft ein kleines Mädchen.

Richtig, man hatte sich in der Küche eben wieder von einigen nicht mehr ganz tadellosen Lebensmitteln befreit. Die Schiffsverwaltung hält auf guten Ruf, auch was den Tisch anbetrifft, den sie ihren Fahrgästen deckt, und die Speisen verderben rasch unter der Tropensonnc. In dem Augenblick, wo die Köpfe ins Kielwasser des Schiffes gelangen und in den Schaumwellen der Schraube auf und nieder tanzen, schießt der Hai heran. Im Herankommen legt er sich auf den Rücken, der weiße Bauch glänzt dicht an der Oberfläche des Wassers in der Sonne, der entsetzliche Rachen klappt auf und wieder zu, die Kohlköpfe sind verschwunden und der Hai schwimmt wieder in der Entfernung von vorhin hinter dem Schiff her, als sei nichts geschehen.

„Grotesker Kerl,“ sagt Johny. „Sehr angenehmes Gefühl, nicht neben den Kohlköpfen im Wasser gelegen zu haben.“

„Sicherlich,“ sagt der Herr von vorhin, „er hätte Fleisch dem Gemüse vorgezogen.“

„Ich finde es impertinent, mit dieser beharrlichen Bosheit hinter unserem Schiffe her zu schwimmen, in der Erwartung, daß wir ihm in den Rachen fallen,“ rief ein anderer. „Wollen wir ihm das nicht abgewöhnen? Revolver sind ja wohl genug vorhanden.“

„Werden ihm wenig Schaden thun,“ sagte der Kreole trocken, „höchstens Kugeln in den Bauch oder in den Rachen werden ihn etwas ärgern.“

„Glorreiche Idee,“ rief Johny. „Ein ausgezeichnetes Mittel, die Zeit totzuschlagen, ist es jedenfalls.“ Und zu seiner Schwester gewandt, setzte er hinzu: „Ganz gute Vorübung, auf die Haifischjagd sind wir ja doch ausgezogen, Don Antonio Carvajal sieht dem Kerl da unten vermutlich sehr ähnlich.“

Seine Schwester warf ihm einen schnellen warnenden Blick zu, und während sie ihn ansah, schüttelte sie fast unmerklich den reizenden Kopf, als wollte sie sagen: wie unvorsichtig, wie unvorsichtig wieder einmal, mein bester Johny. Ich bin ja so stolz auf dich, du schöner, braver, ritterlicher lieber Mensch, aber gescheit wirst du doch wirklich nie.

Hätte sie den Blick bemerkt, mit dem der dunkle Herr, der jetzt dicht hinter ihr stand, kurz aufgesehen hatte, als der Name Antonio Carvajal an sein Ohr schlug, sie würde noch besorgter den Kopf geschüttelt haben. Sie bemerkte ihn aber nicht, und als der Herr gleich darauf wieder mit in das Gespräch eingriff und sie sich auf seine Frage, ob die Damen an dem Sport teilnehmen würden, mit einem lustigen „Versteht sich, natürlich“ zu ihm wandte, da war ihm ganz und gar nichts davon anzumerken, daß ihm irgend etwas auch nur entfernt auffällig gewesen wäre.

Man beteiligte sich rege an der Ausführung des Gedankens. Der Hai wird gründlich, abgründlich gehaßt von allen, die auf Salzwasser fahren, und dieser Haß hat soviel Naturwüchsiges, soviel Echtes an sich, daß er sich auch auf die Neulinge sofort überträgt.

Zunächst wurde, wie sich das an Bord gehört, zum Kapitän mit der Anfrage geschickt, ob er etwas dagegen hätte, daß auf des Dampfers treuen Begleiter ein kleines Scheibenschießen veranstaltet würde. Der schwarze Steward, den man mit der Sendung beauftragt hatte, war grinsend abgezogen und Kapitän Nellan, der schleunigst die Erlaubnis persönlich brachte, lachte dabei über das ganze Gesicht.

Die Sache schien ihm übrigens nicht ganz neu zu sein, denn er gab sehr sachkundige Ratschläge.

Die Herren hatten inzwischen die Waffen heraufgeholt. Johny kam mit zwei Pistolen an, einem großen Coltschen Marinerevolver und einem kleineren, zierlicheren und kostbareren, den er seiner Schwester mit einem „Da bist Du“ überreichte.

Die Patronen hatte er lose in die Hosentaschen gesteckt, rechts trug er die für seine Schwester, deren fein gearbeiteten fünfschüssigen Revolver er zuerst lud, dann bediente er sich selbst aus der linken Tasche.

Der farbige Diener der Geschwister, Bob, war dem Kapitän zur Verfügung gestellt worden, der ihn in die Küche, in die Offiziersmesse und die Leutekojen geschickt und ihn dann neben einen Haufen allerlei zusammengeschleppter Dinge vorn im Bug des Dampfers an Backbord aufgestellt hatte.

Den Passagieren gab der alte, ausgewetterte Schiffsleiter genaue Anweisungen: „Also, meine Damen und Herren, Sie stellen sich hier hinten nebeneinander am Geländer auf, so, die Reihe nach Backbord herum, damit Sie die Brise nicht im Gesicht haben; sobald ich ‚Los‘ rufe, wirft der Bursche vorn jedesmal etwas für den Herrn Hai über Bord. Während der Leckerbissen längsseits nach hinten treibt, machen Sie sich fertig; sobald der Kerl schnappt, geben Sie Feuer, die ersten beiden Male aber noch nicht. Da zielen Sie nur alle zur Probe und richten sich hübsch ein, erst müssen wir den Bummler etwas sicher machen, dann wollen wir ihn narren.“

Man ordnete sich. Außer Fräulein Arlington trat noch eine andere junge Dame mit an, die aber durch die Art, wie sie mit ihres Papas Revolver hantierte, gefährlicher für die Nachbarn als für den Hai zu werden drohte; Herren waren es sieben oder acht.

„Reguläre Breitseite,“ schmunzelte Kapitän Nellan, „der alte Herr dahinten wird sich wundern.“

Hinter der „Schützenkette“ standen jetzt alle andern Passagiere und sämtliche Kinder drängten sich dazwischen, mit äußerster Spannung der Dinge harrend, die da kommen sollten.

Kapitän Nellan stellte sich gerade unter der Kommandobrücke auf, die das Promenadendeck noch um etwa zwei Meter überragte. Er konnte von da aus bequem den Mulatten vorn am Bug und seine Passagiere hinten am Heck sehen. Ueber ihm schritt der erste Offizier, der die Wache hatte, auf und ab; wenn er in der Mitte der Brücke hinter dem Mann am Steuerrad vorüberkam, warf er zuweilen einen flüchtigen Blick auf das Kompaßhäuschen, ob er auch stetigen Kurs auf Havanna hielt: Südsüdwestbeisüd. Das war alles, was er thun konnte, denn wie eine Tischplatte lag die dunkelblaue See da, ebenso tiefdunkelblau glühte wolkenlos der Tropenhimmel darüber, kein weißes Segel, so weit das Auge reichte, keine schwarze Dampferwolke bis an den fernen Horizont!

Auch der Offizier auf der Kommandobrücke interessierte sich für den Scherz, der sich unten vorbereitete und dessen Verlauf er noch besser als alle andern verfolgen konnte.

„Los!“ rief jetzt der Kapitän dem Mulatten zu, ein mächtiges Stück Fleisch flog über Backbord in die See und trieb rasch längsseits nach hinten.

„Nicht schießen, nur zielen, meine Damen und Herren,“ rief Nellan nach dem Heck.

Die Schützen gerieten in Bewegung, die Waffen hoben sich. „Da, da!“ schrieen die Kinder, der Hai hatte das Fleisch bemerkt, wie ein Pfeil schoß er darauf zu, die Rückenflosse teilte die Schaumwellen des Dampfers, mit einem Ruck drehte er sich, der weiße Bauch glänzte einen Augenblick dicht an der Oberfläche auf und verschwunden waren Fleisch und Fisch.

„Aha“, sagte Johny Arlington, „den Bissen verzehrt er in Ruhe.“

So war es, der Räuber war in die Tiefe getaucht. Es währte aber kaum zwei Minuten, da war er wieder da. Diesmal dichter am Schiff und schon an Backbordseite.

„Das hat ihm geschmeckt,“ meinte Kapitän Nellan höhnisch, der sich mittschiffs über die Brüstung gebeugt hatte. „Warte nur, wir wollen Dich noch zahmer machen, alter Bursche. Also, Herrschaften, noch einmal nicht schießen.“

„He, Bob, los!“ Wieder flog ein Stück Fleisch ins Meer. Es war noch etwas größer als das erste. Wieder verschlang der Hai es im Nu, wieder schoß er damit in die Tiefe und wieder tauchte er kurz darauf neben dem Schiffe empor, noch näher als vorhin, halb längsseits, gerade unter den Revolvern der Passagiere.

„Nun im Ernst,“ rief jetzt der Kapitän, „Achtung, Bob, los!“

Es klatschte diesmal hohl aufs Wasser, und lautes Gelächter erhob sich am Heck unter Schützen und Zuschauern, als ein Cigarrenkistchen leicht auf dem Wasser herangetanzt kam.

Der Hai war sicher und gierig geworden durch die großen Fleischstücke, die so gefahrlos und so lecker gewesen waren, blind fuhr er auf den neuen guten Bissen los, im Nu lag er auf dem Rücken, der riesige Rachen mit den entsetzlichen Zahnreihen klappte auf – [383] da krachten oben die Schüsse und im Schlunde fühlte er splitterndes Holz, Sägespäne und einige große Nägel, mit denen das Kistchen gefüllt gewesen war.

Er nahm die Treulosigkeit gewaltig übel zur ausgelassenen Freude der schlechten Menschen oben an Bord. Von den Revolverkugeln schien wenigstens ein Teil gut getroffen zu haben, wütend peitschte er mit dem gewaltigen Schwanz die See und verschwand in der Tiefe, begleitet von dem schadenfrohen Gelächter der Passagiere, des Kapitäns, des Offiziers und Bobs. „Hoffe, Sie bald wiederzusehen, Herr Hai,“ hatte ihm Kapitän Nellan nachgerufen. Herr Hai war aber allem Anschein nach allzu empört über das geschmacklose Benehmen dieser Damen und Herren. Man wartete fünf, zehn Minuten, er kam nicht wieder.

Bob mußte noch ein Stück Fleisch und einen großen Kohlkopf über Bord werfen; sie wurden aber verschmäht oder nicht bemerkt. Unberührt trieben sie längsseits, wurden in die Schaumwellen der Schraube gequirlt, trieben weiter im Kielwasser des Schiffes zurück und verschwanden endlich am Horizont.

Man ward des Wartens rasch müde und als nun, um fünf Uhr, der tönende Gong zum Mittagsessen in den Speisesaal rief, da leerte sich das Promenadendeck in wenigen Minuten.

Nur der schwarzbärtige Herr mit den scharfen Zügen, der vorhin Johny spanisch angeredet hatte, blieb etwas zurück mit noch einem andern, der den amerikanischen Typus fast als Karikatur zeigte. Er sah aus, als wäre er aus einem englischen Witzblatt herausgeschnitten, das sich über die zum „Uncle Sam“ personificierten transatlantischen Vettern lustig macht; großkarrierte weite Beinkleider, langen Gehrock und grauen Cylinderhut trug er bei der Hitze, den Cylinderhut weit im Genick. Auch sein Bart war ganz orthodox national geschnitten, Wangen und Lippen aufs sauberste rasiert, der Kinnbart stark entwickelt und wohl gepflegt.

Die beiden waren im Gespräch, der Kreole schien den Amerikaner etwas mit Bezug auf Fräulein Arlington gefragt zu haben, die mit ihrer Frau Stiffings eben die Treppe zum Speisesaal hinunterstieg.

„Jawohl, aus Boston stammen sie. Bin auch aus Boston. Beamter der Bostoncr Eis-Gesellschaft. Revidiere die Filialen in Havanna und Matanzas. Die Arlingtons, ja! Gehören zu den ersten Familien. Schwer reich. Kenne die Leute sehr genau. Frau Stiffings, frühere Erzieherin, jetzt Gesellschafterin von Fräulein Arlington, ist so eine Art Verwandte von mir. Ob die Arlingtons im Handel sind? Natürlich sind sie im Handel. Zuckerraffineure. Hervorragender Mann im Ring, der Alte. – Ob die Firma Interessen auf der Insel hat? Sicher hat sie. Das ganze Kuba arbeitet ja mit amerikanischem Gelde. Die Arlingtons sind bei Ruiz Carvajal y Compania mit einer Million Dollar beteiligt.“

Der Schwarzhaarige schien genug gehört zu haben. „Hübsche Dame Fräulein Arlington,“ sagte er auf der Treppe.

„Hübsch?“ sagte Bruder Jonathan etwas mißbilligend, „schön! Und ein amerikanisch Mädel ersten Ranges ist sie, in der That.“

„Wie konntest Du nur so unklug sein,“ fragte die Besprochene soeben leise ihren Bruder, als er unten an der Tafel neben ihr Platz nahm. „Wie leicht kann irgend ein Bekannter Don Antonios an Bord sein! Daß Du doch nie vorsichtig wirst!“

Ein Schatten flog über ihres Bruders hübsches, energisches Gesicht, gleich darauf aber lachte er schon wieder.

„Möglich, daß meine Diplomatie nicht weit her ist, Bonny Kate, aber ich habe auch keine nötig. Was liegt daran, ob er ein paar Stunden früher erfährt, was er doch sehr rasch merken wird, wenn Papa mit seinem Verdachte recht hat. Ich führe eine feste Hand und habe Augen im Kopf. Für die Bücher habe ich, wenn nötig, Deiner guten Stiffings Vetter. Der ist ja Oberspecialist darin. Nebenvollmacht nach mir hat ihm ‚Pa‘ für alle Fälle ja schon gegeben. Was brauch’ ich mehr?“

*  *  *

Am zweiten Tag darauf gegen Abend ging der „Kolumbus“ in der Bai von Havanna vor Anker.

Havanna ist nie schöner, als wenn man es nach mehrtägiger Seereise zum erstenmal sieht. Es machte einen gewaltigen Eindruck auf die Amerikaner, die Kuba noch nicht kannten. Fräulein Arlington war hingerissen, als ihr Schiff langsam an dem felsigen Vorsprung des Morro und der Punta vorüber und durch den engen „Mund“ des Hafens dampfte, als das weite Becken der Bai sich den Blicken öffnete, völlig umschlossen, auf der einen Seite von der Hügelkette von Guanabacoa, auf der andern von der herrlichen Stadt, die mit ihren weiß, rosenrot und himmelblau schimmernden Häusern zwischen Gärten und Palmenhainen leise anstieg bis zu dem im Hintergrund liegenden Fort El Principe und den Villenvorstädtcn von Cerro, Quemados und Marianao.

Die bevorstehende Ankunft des Postdampfers war durch die Flaggensignale des Hafenforts der ganzen Stadt angezeigt gewesen, und als er beidrehte, schossen von allen Seiten die Boote unter weißen dreieckigen Lateinersegeln heran. Spanische, englische, französische, deutsche Rufe schallten durcheinander, und als die Fallreeptreppe herabgelassen war, lag binnen wenigen Augenblicken eine ganze Flottille von „Lanchas“, dicht aneinander vertäut, am Dampfer und zahlreich drängten Freunde, Bekannte und Verwandte herauf, die Ankommenden zu begrüßen.

Unter den Ersten war eine junge Dame; schon von der Treppe her sandte sie fröhlichen Zuruf vorauf, als sie Fräulein Arlington erblickte, und jubelnd flog sie ihr dann um den Hals.

„Merci, liebste Merci, das ist ja zu nett von Dir, hier heraus zu segeln,“ rief Bonny Kate, als die Küsse sie zu Wort kommen ließen, und grüßte dann höflich nach dem Wasser hinunter, wo die Dueña ihrer reizenden Freundin ruhig unter dem kleinen weißen Leinendach im Boot sitzen geblieben war, dem Rate folgend, den ihr Schützling der schon etwas ältlichen Dame liebenswürdigerweise gegeben hatte. Sie hätte nur über zwei, drei andere Boote hinweg an Bord des Dampfers gelangen können, die früher angekommen, also naher an der Treppe angebunden waren und die nun in den Wellen der Bai auf und ab tanzten, sich stießen und drängten, bald schrittweit auseinander lagen, bald sich hart aneinander scheuerten. Es war sicherer, zu bleiben, wo sie war, und Mercedes Morales durfte man schon ruhig einmal sich selbst überlassen. Sie winkte Kate Arlington, die sie von New York her schon kannte, noch immer lebhafte Grüße hinauf, als diese schon ihren Bruder mit den Augen suchte. Er stand wenige Schritte davon, eben stellte sich ihm in verbindlichster Form ein schlanker junger Herr mit den englischen Worten vor: „Antonio Carvajal hat ohne Zweifel das Vergnügen, Herrn John Arlington zu begrüßen?“

Auf den Ruf seiner Schwester wandte sich der Angeredete aber, sah die beiden jungen Mädchen, machte sich von Herrn Carvajal mit einem kurzen: „Ja, Herr, erfreut, Sie zu sehen, einen Augenblick bitte,“ los und eilte mit ausgestreckten Händen auf Fräulein Morales zu.

Donna Mercedes und ihr Bruder waren in New York erzogen worden, Mercedes in derselben Pension wie Kate Arlington, bei Mademoiselle Arnaud. Aus jener Zeit stammte die Freundschaft der Geschwisterpaare. Merci – ihr Spitzname war auch im Institut Arnaud erfunden worden – und Johny schienen sehr gute Freunde zu sein, nach der Lebhaftigkeit zu urteilen, mit der sie sich begrüßten.

„Ist sie nicht noch hübscher geworden?“ fragte Kate ihren Bruder.

„Kein Gedanke,“ antwortete er, „wäre vollkommen unmöglich gewesen.“

Mercedes lachte. „Sie sind ein Schmeichler geworden,“ sagte sie. „Ich hätte das nie für möglich gehalten an dem Tage, da ich Sie zum erstenmal sah. Erinnern Sie sich noch des ersten Fußballkampfes, auf der ich Ihrer Schwester zu Gefallen die blauweißen Farben Ihres Klubs trug? Sie großer Junge waren schön grob zu mir armem kleinen Mädchen, als ich nicht gleich begreifen konnte, weshalb und nach welchen Regeln sich die vielen Menschen herumbalgten.“

„Nun, ich habe mich aber doch damals Ihrer Erziehung in lobenswertester Weise angenommen.“

„Unzweifelhaft, ich bin Ihnen auch ewig dankbar dafür. Ich habe meinen Bruder zu entschuldigen, er kommt erst heute abend von Veracruz zurück. Wir hofften, der mexikanische Dampfer würde vor dem Ihrigen hier sein. Mein Bruder wollte Sie dann mit empfangen. Nun müssen wir es umgekehrt machen. Wir holen ihn nachher ab, der ‚Juarez‘ ist ebenfalls schon signalisiert und muß jeden Augenblick eintreffen.“

„Reizend,“ rief Bonny Kate. „Euer Havanna ist so wunderschön, wir steigen in Dein Boot und segeln so lange in der Bai.“

„Jawohl,“ sagte Mercedes, „so hatte ich es auch mit Papa überlegt. Unsere Wagen warten am Hafenquai, dicht am Zollamt. Euer Gepäck geht voraus, unser Diener Pedro ist mit einer [384] eigenen Lancha da, Dein Bruder muß ihm die Papiere geben. Sobald Enrique ankommt, fahren wir dann alle zusammen hinaus.“

„Nur meine Schwester und Frau Stiffings werden von Ihrer Gastfreundschaft Gebrauch machen können,“ sagte John Arlington, „ich muß leidiger Geschäfte wegen in der Stadt wohnen. Im ‚Hotel Telégrafo‘ sind Zimmer für mich bestellt, Bob bleibt bei mir.“

„O, schade,“ sagte Mercedes, „Papa hatte fest darauf gerechnet, daß ... und es ist doch viel gesünder, Sie wohnen draußen.“

Ihrem Gesichtsausdruck nach schien Fräulein Mercedes anzunehmen, daß ihr Papa es ganz ungemein schmerzlich empfinden würde, daß der Sohn eines alten Freundes nicht bei ihm im Hause wohnen wollte. John Arlingtons Antlitz aber hellte sich daraufhin merkwürdigerweise außerordentlich auf und er sagte schnell: „Wenn sich die Geschäftsangelegenheiten rasch abwickeln, erlauben Sie mir vielleicht, daß ich später noch einige Zeit hinausziehe zu Ihnen.“

Und als die junge Dame eifrig erwiderte: „Aber ja, gewiß, das ist ein sehr guter Gedanke, wir rechnen bestimmt darauf,“ da wurde sein Gesicht noch etwas vergnügter.

„Schön, abgemacht,“ schloß Johny, „dann will ich schnell das Nötige besorgen.“ Und damit verließ er grüßend die beiden jungen Mädchen, wandte sich zunächst mit Pedro, den seine junge Herrin herangewinkt hatte, nach der Luke, wo die Gepäckstücke der Passagiere aus dem Raum heraufgewunden wurden, und nachdem er dort den Diener angewiesen hatte, sah er sich wieder nach Don Antonio Carvajal um.

Als er ihn vorhin verlassen hatte, um Mercedes zu begrüßen, war der schwarzhaarige Herr mit dem spitzen Kinnbart, der unter den Mitreisenden von New York gewesen war, an den jungen Herrn herangetreten mit den Worten: „Guten Tag, Antonio, hüte Dich vor dem Yankee da. Wenn er uns sieht, kennst Du mich nicht. Vorsicht, Vorsicht, ich bin heute abend bei Dir.“

Don Antonios Gesicht war um einen kleinen Schatten gelber geworden, aber keine Muskel hatte darin gezuckt, und als John Arlington jetzt an ihn herantrat, blieb er gleichgültig an der Brüstung lehnen und schnitt die Entschuldigungen des jungen Amerikaners höchst verbindlich und ganz ruhig ab: „Aber ich bitte, Damen gehen immer vor. Namentlich, wenn sie so schön sind,“ fügte er hinzu. „Es scheint, daß ich auch darauf verzichten muß, Ihnen Wohnung in meinem Junggesellenheim anzubieten. Doch ich erkenne bereitwillig an, daß ich zurückzustehen habe.“

„Meine Schwester und Frau Stiffings werden allerdings ihre Wohnung sogleich im Cerro aufschlagen, ich aber will erst in einigen Tagen folgen. Für morgen und übermorgen habe ich mir im ‚Hotel Telégrafo‘ Zimmer bestellt, um Ihr Kontor näher zu haben.“

„Bis dahin werden wir unsere geschäftlichen Angelegenheiten vollkommen beendet haben,“ erwiderte Carvajal, sich höflich aufrichtend. „Ich bitte, jetzt sich durch mich durchaus nicht stören zu lassen. Haben Sie die Güte, sich völlig Ihren Damen zu widmen, denen mich vorzustellen ich Sie demnächst bitten werde. Morgen früh um zehn Uhr, wenn es Ihnen recht ist, werde ich mir erlauben, Sie im ‚Telégrafo‘ abzuholen.“

„Sie sind sehr gütig, ich …“ erwiderte Johny.

„O bitte, bitte,“ unterbrach ihn der Kubaner, und mit einer Verbeugung und grüßender Handbewegung zog er sich zurück.

Kurz darauf sah man ihn in seiner Lancha absegeln, allein. Johny machte seine Schwester auf ihn aufmerksam. „Das ist unser Don Antonio,“ sagte er.

„Ah,“ fiel Mercedes ein, „Don Antonio Carvajal,“ und sie setzte leise hinzu: „man spricht sehr viel von ihm in der Gesellschaft. Er soll ein wilder Spieler und Schlimmeres sein. Seit seines Vaters Tode ist es sehr arg geworden, hör’ ich. Papa fand es dringend nötig, daß einer von Euch einmal hier nach dem Rechten sähe. Das soll Johny wohl besorgen?“

„Allerdings, kleine Weisheit,“ antwortete ihr Kate, „aber wir Mädchen wollen uns darum lieber vorläufig nicht bekümmern und jetzt uns alle beeilen, ins Boot zu kommen. Euer Pedro ist mit dem Gepäck fertig. Da segelt er eben hin mit unserem Bob.“

Bald darauf stieß auch das Boot mit den Freundinnen, den beiden alten Damen und John Arlington ab und Mercedes ließ in der Bai auf und ab kreuzen, um den neuen Ankömmlingen alle Schönheiten des großartigen Landschaftsbildes zu zeigen, bis der mexikanische Postdampfer mit ihrem Bruder ankommen würde.

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Autor: Theodor Duimchen
Titel: Blauweiß
aus: Die Gartenlaube 1895, Heft 24, S. 404–407
1. Fortsetzung

[404] Don Enrique war eine sehr einflußreiche Persönlichkeit in Havanna. Mit jungen Jahren schon der Teilhaber und Hauptleiter des großen Bankhauses Felipe Morales é Hijo war er bereits eine wirtschaftliche Großmacht. Das Haus beherrschte den Handel der Antillenplätze und der mexikanischen Häfen. Enrique hatte in den Vereinigten Staaten seine Erziehung erhalten und war nach deren Abschluß noch einige Jahre in New York geblieben. Dann hatte Johny ihn nicht wieder gesehen und er war sehr neugierig auf ihn, um so mehr, als er ihm von seinem Vater häufig als musterhafter Kaufmann und als ein Beispiel hingestellt wurde, dem nachzueifern sich lohne. Die Nachrichten über seinen früheren Schulkameraden hatten zuerst einigermaßen sein Erstaunen erregt. Früher war an ihm nie etwas Besonderes zu bemerken gewesen. Seine Fortschritte in den Wissenschaften hatten durchaus kein Aufsehen gemacht und auf dem Fußballplatz hatte er Zeit seines Lebens keinen ordentlichen Tritt fertiggebracht. Hervorragende Talente entwickeln sich eben überraschend, hatte Johny gedacht. Als ein guter Kerl, der er war, gönnte er dem alten Freunde aber seine Erfolge von ganzem Herzen und freute sich jetzt aufrichtig darauf, ihn wiederzusehen.

Nach einem Stündchen lief der „Juarez“ glücklich ein. Kaum schob sich der Dampfer langsam hinter den Felsenvorsprüngen des Morro hervor ins Gesichtsfeld, als ihn Mercedes auch schon bemerkte und ihrem Bootsmann die nötigen Befehle zurief. Pfeilschnell schoß die Lancha quer über die Bai hin, drehte in hübschem Bogen und segelte dicht an dem Dampfer längsseits vorüber. Mercedes erkannte ihren Bruder von weitem schon, wie er mit wehendem Tuche ihr Boot begrüßte. Während die Anker fielen, legte die Lancha schon an. Bald darauf war Enrique im Boot. Er war augenscheinlich sehr erfreut und begrüßte die amerikanischen Freunde herzlich, nach wenigen Augenblicken aber sprach er mit Johny schon über das Geschäft. Er war sehr unzufrieden. Seine Reise nach Veracruz, die er leider nicht habe aufschieben können, hätte durchaus keine angenehme Veranlassung gehabt, und auf Kuba selbst gehe alles zurück seit der unseligen Insurrektion.

„Sympathisierst Du nicht mit der Bewegung, der Du doch selbst Sohn der Insel bist,“ fragte Johny überrascht, „wir in Amerika …“

„Natürlich,“ unterbrach ihn Enrique, „Ihr findet nichts [405] begreiflicher, als daß Kolonien unabhängig werden wollen, aber unserer Insel würde es nicht zum Heil gereichen. Es wird ihnen übrigens nicht gelingen, sich von Spanien freizumachen – die Insel zu Grunde richten, das werden sie. Beide Parteien verbrennen sich gegenseitig die Zuckerpflanzungen und die Kaffeehaine, zerrütten den Wohlstand des Landes und untergraben allen Kredit. Ich bin nicht Politiker, ich bin Geschäftsmann, ich wollte, die Geschichte wäre endlich zu Ende, man kann unter spanischer Herrschaft sehr gut Geld verdienen. Der Aufstand richtet uns zu Grunde. Blinde Spekulation kommt dazu. Das Goldagio schwankt je nach den Nachrichten aus dem Innern um fünfundzwanzig bis fünfzig Punkte an einem Tage. Das verführt. Und die Runkelrübe in Europa entwertet unseren Rohrzucker immer mehr. Auf die ältesten Firmen ist kein Verlaß mehr. Uebrigens, wir nehmen an, daß Du Carvajals wegen kommst. Ist mir sehr lieb, daß unsere Mahnungen bei Euch geholfen haben. Sieh Dir die Sache morgen genau an und berichte mir dann! Politisch ist er sehr indifferent, eher von der spanischen Partei, aber ich bin sonst außerordentlich mißtrauisch gegen den Herrn.“

Johny antwortete ihm, daß Don Antonio ihn am andern Morgen im „Hotel Telégrafo“ abholen werde, und daß er dann sofort mit ihm ins Kontor der Firma gehen und genaue Einsicht in die Bücher nehmen wolle. Essen müsse er natürlich mit Herrn Carvajal, dann möchte er aber seinem Freund gern gleich noch Bericht erstatten.

„Ganz recht, nur nicht auffallen,“ sagte Enrique, „mache Dir Notizen und unterrichte Dich so viel als irgend möglich, zeig aber kein Mißtrauen, bevor Du mich gesprochen hast. Ich werde mit den beiden jungen Damen morgen abend hereinkommen, zum Abendkonzert im Parquecito, unserm Promenadenplatz. Wir treffen uns dort und können dann das weitere verabreden.“

Johny war damit einverstanden, und als die Gesellschaft am Quai gelandet war und er sich am Wagen verabschiedet hatte, nahm er eine Droschke und fuhr nach dem Hotel, wo ihn Bob bereits erwartete, den Pedro mit seines Herrn Gepäck dort abgesetzt hatte.

*      *      *

Am andern Morgen, kurz vor zehn Uhr, betrat Don Antonio Carvajal die Marmorvorhalle des „Hotels Telégrafo“ und fragte im Vorbeigehen den eleganten Portier nach Herrn Arlingtons Zimmernummer.

„Vier und fünf in der ersten Etage, bitte,“ erhielt er zur Antwort.

Gleich darauf klopfte er oben an die Thür und stand auf ein lautes „Herein“ John Arlington gegenüber, der, nur mit Beinkleidern und Flanellhemd bekleidet, auf einem Schaukelstuhl [406] mitten im Zimmer saß und sich von Bob nat einem großen Fächer Kühlung zuwedeln ließ.

„Reizendes Herbstwetter hier bei Ihnen,“ rief der junge Amerikaner, „ein liebliches Klima in der That, ich habe die ganze Nacht kein Auge Schließen können vor Hitze.“

„Ich bedaure ungemein,“ antwortete Don Antonio höflich und verbindlich, „hören zu müssen, daß Ihre erste Nacht auf unsrer Insel keine angenehme war. Es ist Südwind. Sehr schwül. Es wird erträglicher werden, ich wünsche Ihnen jedenfalls viele gute Tage bei uns.“

„Danke,“ antwortete Johny, „hoffen wir das beste. Aber nehmen Sie Platz, bitte. Was zieht man denn an bei diesem Thermometerstand? Ich kann doch hoffentlich in Flanell ausgehen?“

„Ohne Zweifel,“ antwortete Carvajal, der vom Kopf bis zu den Füßen in blendend weißem feinen Piqué stak, und während er sich in einen Schaukelstuhl niederließ und seinen Fünfhundert-Mark-Strohhut auf den benachbarten legte, fügte er hinzu: „Sie können sich während der Geschäftsstunden hier ganz so tragen, wie es Ihnen am bequemsten ist, und selbst des Abends im Parquecito beim Konzert ist der New Yorker Touristenanzug keineswegs eine seltene Erscheinung.“

„Mir lieb zu hören, na, aber einen Rock werde ich doch wohl anziehen müssen. Mein Jackett, Bob! Halstuch und Schärpe.“

Der junge Mulatte war ein wohlgeschulter Kammerdiener. Blitzschnell erschien er in der Thür des Schlafzimmers, in das er sich zurückgezogen hatte, mit mehreren Kartons, die er nacheinander öffnete und seinem Herrn zur Ansicht vorzeigte. In jedem lag ein Halstuch und eine gleichfarbige Schärpe. Der zweite schon enthielt eine auffallend hübsche Garnitur in schwerem hellblau und weiß gestreiften Seidenrips.

„Etwäs grell,“ sagte Johny, „und Havanna würde kaum das richtige Verständnis dafür haben, wenn ich hier mit dem Blau-Weiß meines Fußballklubs kokettieren wollte,“ fügte er vergnügt hinzu.

Carvajal sah auf, ein flüchtiger Blick seiner schwarzen Augen streifte über die breite Schärpe hin und ein satanisches Lächeln verzerrte einen Augenblick sein Gesicht. John Arlington hatte es nicht bemerkt, denn Don Antonio saß halb hinter ihm, dagegen waren des Farbigen Augen denen des Kreolen begegnet. Bobs Hand, die den Pappkasten hielt, zitterte leicht, als Carvajal jetzt aufstand, herantrat und sagte: „Wie hübsch! Außerordentlich hübsch. Uebrigens keineswegs zu grell, wir sind sehr farbenfroh in Havanna.“

„Nun, wenn Sie meinen,“ lachte John, „so werde ich damit Staat machen. Entschuldigen Sie einen Augenblick.“

Kurz darauf erschien er wieder, ertig zum Ausgehen. Als sie unten durch die Treppenhalle schritten, machten der Portier und einige Kellner verdutzte Gesichter. Es wagte niemand eine Bemerkung, als aber Don Antonio einen Wagen herangerufen hatte und die beiden Herren davon fuhren, bildete sich in der Halle des Hotels eine kleine Gruppe von fünf, sechs Menschen, die den leuchtenden, blauweißen Schärpen und Halstuchenden des Fremden verblüfft nachsahen und aufgeregt miteinander sprachen. Bob, der den Schlag geöffnet und wieder geschlossen hatte, machte große Augen, es war ihm nicht entgangen, daß einer der beiden Herren mit irgend etwas aufgefallen war, und ein unbestimmter Verdacht stieg in ihm auf. Er war äußerst neugierig, drängte sich unter die anderen, verstand aber leider kein Wort Spanisch und auf seine englischen Fragen gab ihm niemand Antwort.

*  *  *

Die glühende Tropensonne war untergegangen. Die Erde und die Menschen atmeten auf. Hunderte und aber Hunderte von Gasflammen blitzten auf dem Promenadenplatz, der, unmittelbar vor der früheren Stadtmauer gelegen, von den Havanneros El Parquecito genannt wird, viele Gaslaternen und einige Springbrunnen, das ist dem Spanier und dem Kreolen ein Park.

Schattige Anlagen hätten hier allerdings auch wenig Zweck, denn man kommt doch nur nach Sonnenuntergang hierher. Tagsüber ist der weite, in der Sonne glühende Platz völlig menschenleer. Die verschwenderisch erleuchteten, mit feinem Sand bestreuten Wege sind aber das Stelldichein der vornehmen Gesellschaft während der allabendlichen Konzerte. Das Haus des Casino Español, des Spanischen Klubs, liegt auf der einen Seite. Auf der anderen, der inneren Stadt gerade gegenüber, hat im ersten Stock eines der Häuser der Deutsche Klub sein Heim aufgeschlagen. Das Erdgeschoß hat das Café Washington inne, dicht daneben liegt das „El Louvre“ genannte, bekannt durch den schnöden blutigen Angriff der spanischen Voluntarios auf wehrlose Söhne der Insel. Der die ganze Front entlang laufende Balkon des Deutschen Klubs pflegt während der Konzertstunden stets gut besetzt zu sein. Es ist ein anziehendes Bild: innerhalb des um den ganzen Parquecito herumlaufenden Trottoirs die nach den Klängen der Musik auf und ab schreitenden Gruppen sich begrüßend, stets wechselnd, plaudernd, sich aufsuchend und wieder trennend, ein großer Salon, und außen eine lange Reihe eleganter „Volanten“, jener vom Sattel aus gefahrenen, charakteristischen zweirädrigen Wagen mit den Schönen der Stadt besetzt, die, bequem in den Kissen liegend, hier sozusagen Hof halten und sich von ihren Verehrern mit Fruchteis aus den umliegenden Cafés und mit Schmeicheleien füttern lassen.

Auch heute genossen oben mehrere Herrengruppen die leichte Seebrise, schauten auf den Platz hinunter, der strahlend in blendendem Lichte mitten im Schoße der dunklen Nacht lag, und unterhielten sich vom Geschäft, von der Zukunft der Insel, von der Wut der Spanier und dem unterdrückten fanatischen Ingrimm der in den Hauptstädten machtlosen Kreolen.

„Wer sind die beiden reizenden Damen in der Volante hier gerade unter uns, Herr Guttner,“ fragte jetzt ein junger Deutscher, der zwischen zwei Landsleuten stand. Den frischen Farben seines energisch geschnittenen Gesichts sah man an, daß er erst ganz vor kurzem auf der Insel angekommen sein konnte. Seine Kleidung war bescheiden, er trug deutsches, graues Turnerleinen und einen Stock aus schwerem Eisenholz, ohne Griff und ohne Zwinge, wie man ihn in den Straßen von Havanna für wenige Centavos ausbietet. So war er wohl nur ein kürzlich erst angekommener, mittelloser deutscher Commis, wie sie Bremen und Hamburg alljährlich für den Verbrauch der Tropen verschifft, „unter Kontrakt wie die Chinesen“, sagen die boshaften Kubaner.

Die beiden Herren, in deren Mitte er stand, behandelten ihn aber doch recht höflich und sprachen sehr liebenswürdig mit ihm, obschon sie reiche Leute waren, ihren hochfeinen Abendanzügen nach, für die der Wiener oder der Pariser Herrenbekleidungskünstler mindestens seine fünf bis sechs Unzen Gold berechnet hatte. Der Unterschied von arm und reich wird im persönlichen Verkehr nicht allzu stark betont zwischen den Mitgliedern der Kolonie.

Guttners Auge hatte die Gruppe gefunden. „Die Dame rechts im Wagen ist Doña Mercedes,“ antwortete er, „unsere berühmteste Schönheit, von den Herren am Schlag ist der jüngere ihr Bruder Enrique und der mit dem grauen Spitzbart ihr Vater, Don Felipe Morales. Die andere kenne ich nicht. Uebrigens sicher keine Havannera, sondern allem Anschein nach eine Amerikanerin.“

„Zwei wunderhübsche Mädchen,“ fiel Hartwig, der dritte der Herren, ein. „Aber, was ist denn da los?“

„Wo? Was?“

„Da oben an der Ecke vom Telegrafo her, ein Auflauf . . .“

Guttner, ein schon älterer, etwas beleibter Herr, klemmte sein goldenes Augenglas auf die Nase. „Wo? Ah da! Ein Herr im weißen Flanell, ein Fremder kommt über den Platz. Man folgt ihm, umdrängt ihn, schreit auf ihn ein. Er steuert unbekümmert gerade hier auf uns zu. Jetzt kann er nicht weiter, man umringt ihn. Ja, ist denn der Mensch verrückt? Sehen Sie nur, Herr Hartwig! Führt der Mann die Farbeu des Cuba libre unter den Gaskandelabern spazieren!“

„Wahrhaftig,“ rief der andere, „er muß wahnsinnig sein, blauweiße Schärpe und blauweißes Halstuch.“

„Na, was ist denn dabei?“ fragte Reuter.

„Was dabei ist? Es ist verwegen, toll!“ erklärte der dicke Herr Guttner hastig. „Die Spanier müssen es als ganz unglaubliche Herausforderung ansehen. Es ist dasselbe, als hätte einer in den Tagen nach Lincolns Ermordung auf den Straßeu von New York mit den Rebellenfarbeu herumgeprahlt. Blauweiß ist die Flagge, das Schlacht- und Erkennungszeichen der Insurgenten.“

Der behäbige Herr war ganz aufgeregt. „Kommen Sie, kommen Sie, meine Herren, gehen wir hinunter, das kann lebensgefährlich interessant werden.“

Unten hatten sich auf den Lärm hin auch der alte Herr Morales und sein Sohn, die noch immer am Schlag des Wagens standen, umgewandt und sahen jetzt mit Entsetzen den Auftritt. Eine Schar spanischer Offiziere war Johny entgegengetreten. Inmitten eines Haufens, in dem sich plötzlich verdächtige Gestalten zeigten, [407] die, keinesfalls der Gesellschaft angehörend, aus dem Dunkel der den Platz umgebenden Nacht aufgetaucht schienen, stand er eingekeilt.

Ein Hauptmann der leichten Infanterie, die das Volk ihres Geschwindschritts wegen los locos, die Verrückten, nennt, sprach wütend auf ihn ein.

In seinem bronzefarbenen Gesicht, in das jahrelanger Dienst in der Manigua, in der Wildnis des Innern, seine Spuren gegraben hatte, funkelten wilde schwarze Augen, deren gelbliche Augäpfel ihnen etwas Schreckliches gaben. Mit der rechten Hand focht er aufgeregt in der Luft umher, die linke zuckte am Griffe des Degens.

Johny verstand kein Wort, er hatte keine Ahnung, was das alles bedeutete, aber er faßte es sehr humoristisch auf, zu seinem Unglück. Er lachte und zuckte die Achseln, zum Zeichen, daß er nicht wisse, was man von ihm wolle.

Da kochte das spanische Blut seines Gegners auf, mit einem Griffe fuhr er Johny mit der rechten Faust ins Halstuch und riß es ihm mit einem Ruck herunter, ein Stück des Flanellhemdes mitnehmend.

Das verstand der Amerikaner, er erblaßte jäh bis in die Lippen. Die breite Brust unter dem zerfetzten Hemd hob sich und im nächsten Augenblick traf ein wohlgezielter Faustschlag den Capitano mitten ins Gesicht und streckte ihn bewußtlos auf den Rücken.

Ein Wutgeheul erhob sich. Der alte Ruf, mit dem schon die tapferen Bestien der spanischen Erobererscharen zum Angriff stürmten: „à carne, á sangre“, „an Fleisch und Blut“, gellte durch die Nacht, mit wildem: „Muerten los insurrectos“, „Tod den Rebellen“, zogen die Offiziere blank und stürzten mit der Menge auf ihn ein. Die beiden Damen erhoben sich entsetzt in ihrem Wagen. Im nächsten Augenblick sahen sie in dem Knäuel einen riesigen Neger hinter Johns Rücken sich an ihn herandrängen, ein Messer blitzte auf und John war verschwunden, unter den Fäusten, den Degen, den Stöcken, den Füßen der Wütenden.

Die beiden Morales waren dem Kampfplatz zugeeilt. Sie wandten sich an einige der Offiziere. Man hielt sie auf, sie begannen zu verhandeln.

Bonny Kates Herz zog sich zusammem; was für ein trauriger Kerl, dachte sie, als sie den jungen Morales die Zeit mit Worten verlieren sah. Sie sprang selbst aus dem Wagen und stürmte, ohne Rücksicht auf die Gefahr, vorwärts. Auch Mercedes folgte. „Helft ihm, helft ihm!“ rief diese den Umstehenden zu. Einige bekannte Herren, die der gefeierten Erbin gern dienen wollten, erhielten in fliegenden Worten kurze Aufklärung und Befehle, aber alles wäre zu spät gekommen, wenn nicht in dem Augenblick, als Johny fiel, ein blonder Riese in grauem Leinen sich in das Getümmel gestürzt hätte.

Schon die Wucht seines Anpralls bahnte ihm eine Gasse, denn bei solchem Zusammenstoß entscheidet das Gewicht und die hageren Spanier waren leichte Ware. Einige Faustschläge schafften ihm weiter Luft und dann fegte sein schwerer Stock in wuchtigen Kreishieben den Umstehenden unaufhörlich an der Nase vorbei.

Alles wich überrascht zurück für einen Augenblick. Im nächsten Moment freilich drang einer der jüngeren Ofßziere mit gezogenem Degen auf ihn ein, doch ein Hieb auf den Vorderarm schlug diesem klirrend die Klinge aus der Hand, ein zweiter, in steiler Hochquart dem Offizier auf den Kopf niedersausend, streckte ihn selbst zu Boden. Es war kein tötlicher Streich, aber die Wirkung war die gewünschte. Das Opfer des Auftritts war seiner Bedränger ledig.

Inzwischen gelang es von außen her einigen Offizieren, denen die beiden Morales Erklärungen gegeben hatten und angesehenen Herren, die auf Morales Wink herbeieilten, zu Wort und zu Gehör zu kommen.

Ein Mißverßändnis, ein Amerikaner, er hat keine Ahnung, was die Farben bedeuten, so schwirrte es durch die Luft. Verschiedene zweifelhafte Gestalten hielten es für geraten, zu verschwinden. Herren der besseren Gesellschaft, die eben noch mit auf Johny losgeschlagen hatten, beeilten sich, für ihn Partei zu nehmen, als sie so einflußreiche Leute auf seiner Seite sahen, und nach wenigen Sekunden war jede Gefahr beseitigt.

John Arlington aber sah entsetzlich aus, bewußtlos lag er im Staube. Seine Kleider waren zerfetzt und beschmutzt. Mehrere Degenstiche hatten ihm Brust, Oberarm und Schenkel durchbohrt. Der leichte weiße Kaschmir seines Anzugs starrte von Blut. Der bleiche, entstellte Kopf lag auf Bobs Knien, der, mit eigenem und fremdem Blut bespritzt, wilde Wut in den Zügen und den weißen rollenden Augäpfeln, unheimlich genug aussah. Die schöne Mercedes kniete neben dem Verwundeten nieder. Mit den feinen weißen Händen versuchte sie, die blutnassen Haare ihm aus der Stirn zu streichen. Keine Rücksicht nahm sie auf die vielen Bekannten, und „John, Johny, lieber, süßer John, nicht sterben“, flüsterte sie ihm zu – freilich auf spanisch, das er auch bei wachen Sinnen nicht verstanden hätte.

Bonny Kate, die auf der andern Seite ihres Bruders bemüht war, ihn aufzurichten, sah sie an. Sie hatte oft gewünscht, daß Merci ihren Bruder lieben lernen möchte, jetzt wußte sie, daß sie ihn schon immer geliebt hatte. Ein schmerzliches Lächeln zog über ihr Gesicht. Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Sie sah auf und in das Gesicht eines Herrn, der sich mit den Worten vorstellte: „Doktor Herrero. Erlauben Sie, daß ich den Verwundeten untersuche.“

Die Damen erhoben sich. Mercedes wurde von ihrem Vater, Kate vom jungen Morales nach ihrem Wagen geführt. „So, nehmt Platz und wartet einige Augenblicke, wir werden Euch gleich Bescheid bringen, hoffentlich ist es nicht allzu schlimm,“ sagte der alte Herr tröstend und die beiden Herren kehrten zu John und dem Arzt zurück.

Kate Arlington stieg noch nicht ein, sie sah sich vergeblich nach dem Riesen in grauem Leinen um, dem man es verdanken würde, wenn ihr Bruder noch zu retten war. Sie erblickte Bob in der Nähe, wie er, noch immer halb geistesverwirrt von dem Fürchterlichen, dem Rätselhaften, das aus seinem lebenslustigen, jungen Herrn in wenigen Augenblicken einen zerfetzten Sterbenden gemacht hatte, stieren, wilden Auges etwas zu suchen schien auf dem Platz und in der Menge, die sich mehr und mehr zurückzog.

Textdaten
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Autor: Theodor Duimchen
Titel: Blauweiß
aus: Die Gartenlaube 1895, Heft 25, S. 420–423
2. Fortsetzung (Schluß)

[420] Kate Arlington rief Bob heran und fragte ihn nach dem Riesen in grauem Leinen.

„Fort, fort,“ sagte der Mulatte, „dorthin,“ und er deutete in der Richtung nach dem Deutschen Klub.

„Kannst Du ihn suchen, Bob? Ich möchte wissen, wer der Tapfere war.“

„Ja – erst den Schwarzen – der ihm das Messer in den Rücken stieß. Was wollten die andern von dem Herrn?“

„Ein Mißverständnis,“ antwortete Kate, „blauweiß sind die Rebellenfarben, er sollte sie ablegen und verstand die Spanier nicht.“

„Ah,“ sagte Bob. Rebellenfarben – das begriff er von Amerika her und er sah wieder Don Antonios teuflische Augen vor sich. Mit einem Schlage war ihm alles klar.

„Der Mann von heute morgen, mit dem der Herr dann ausging – er hat den Schwarzen bezahlt, ihn umzubringen im Gedränge – er hat dem Herrn geraten, Blauweiß zu tragen – seit heute morgen trug er’s.“

Kate wich unwillkürlich einen Schritt zurück. „Carvajal, Don Antonio?“ rief sie. Der Verdacht, die Gerüchte über den Kreolen fielen ihr ein. Was konnte ihr Bruder nicht alles gefunden haben! Heiß stieg es in ihr auf bei dem Gedanken, daß man ihrem arglosen Bruder heimtückisch eine mörderische Falle gestellt hätte. Wenn man dem Ruchlosen das beweisen, den Arm des Gesetzes gegen ihn bewaffnen, ihn erbarmungslos zerschmettern könnte! Aber Bob war wohl selbst verwundet, sie trat an ihn heran, ihre schmale weiße Hand strich über sein krauses Haar. „Bist Du verwundet?“

Der Mulatte richtete sich straff auf, seine Brust dehnte sich. „Nichts, Herrin, ein paar Schrammen.“

„Wenn wir den Neger finden, meinen Bruder an Don Antonio rächen könnten – –“

In Bobs Augen blitzte es auf. „Ich werde ihn rächen, auch Bob ist tapfer.“ – Er lag plötzlich auf den Knien vor ihr und küßte ihres Kleides Saum. Es war nur ein Augenblick, schon war er wieder aufgesprungen und sauste in weiten Sätzen über den Platz weg davon.

Da kamen auch die beiden Herren zurück. Der Arzt war von dem Ergebnis der Untersuchung solange befriedigt gewesen, als er nur die Beulen, die Brauschen und die Degenstiche gefunden hatte.

„Nichts von Bedeutung, nichts von Bedeutung, nur Fleischwunden,“ hatte er gesagt. Bedenklich aber war er geworden, als er John aufheben ließ und unter seinem Rücken eine große Blutlache und ein abgebrochenes Dolchmesser zwischen seinen Schulterblättern im Körper stecken fand. Aber man würde den Verwundeten trotzdem ins eigne Haus bringen können, vorsichtig, lang ausgestreckt in der Volante, hatte der Doktor gemeint.

Der alte Herr Morales bat einige Umstehende um ihre Mitwirkung. Auch Mercedes stieg wieder aus. Stroh wurde in dem Wagen aufgeschichtet und der Verwundete mit größter Vorsicht hineingebettet.

Eine Volante ist ein vorzügliches Fahrzeug, mit ihrer langgestreckten Muschel, in der man sowieso mehr liegt als sitzt, und mit ihren zwei ungemein hohen Rädern, die vermöge ihres riesigen Umfangs selbst über sehr bedenkliche Löcher ohne jede Erschütterung weggehen. Ursprünglich für den Dienst im Innern, für schlechte Wege erfunden, läßt sie ihre Insassen in den Federn auf und nieder schweben und selbst die schwersten Stöße nicht empfinden.

Der Kutscher fuhr jetzt in langsamster Gangart voran, ohne daß der Verwundete aus der Ohnmacht erwachte. Die Herren mit den Damen und der Arzt folgten in Droschken.

Bob aber hatte die Fährte aufgenommen, er war ins Hotel geeilt, auf seines Herrn Zimmer. Jetzt wusch er sich flüchtig die Wunden aus und suchte das große Bowiemesser, das er heute morgen selbst in ein offenes Schubfach des Schreibtisches gepackt hatte. John Arlingtons Revolver lagen daneben. Der Mulatte kannte das berühmte Wort nicht, das da sagt, die Kugel sei eine Närrin und nur die Klinge ein Mann, aber er zögerte kaum einen Augenblick, dann steckte er das Messer zu sich und ging, äußerlich völlig ruhig, wieder hinunter.

Er suchte den Oberkellner. Als er am Nachmittag im Hoteleingang herumgestanden hatte, waren Amerikaner angekommen und der Oberkellner hatte englisch mit ihnen gesprochen. Der würde ihn also verstehen. Er fand ihn bald, fragte ihn nach der Wohnung Don Antonio Carvajals und verlangte einen Wagen. Man wußte im Hotel, was im Park geschehen war. Man glaubte, daß er eine Botschaft zu besorgen habe, und entsprach seinen Wünschen sofort.

In der Nähe von Don Antonios reichem Hause verließ er den Wagen. Das Hausthor, vor dem zwei große Gaskandelaber brannten, war noch offen. Er ging aber nicht hinauf. Er überzeugte sich nur, daß das Haus außer dieser Hauptthür keinen andern Eingang hatte, dann beobachtete er von einem gegenüber liegenden Thorweg aus scharf jeden, der drüben in den Lichtkreis trat. Der, auf den er wartete, kam nicht. Die Nacht schritt vor, die großen Thürflügel wurden geschlossen. Er hörte schwere Riegel fallen. Die Diener drehten innen das Gas ab. Die Laternen verloschen.

Der Mond war aufgegangen, nur als schmale Sichel. Don [422] Antonios Haus lag in mattem Silberschimmer, der Thorweg gegenüber in schwarzem Schatten. Tiefe Stille herrschte. Unter dem blauschwarzen Sternenhimmel ruhte die Stadt. In der Ferne heulte ein Hund.

Der Mulatte überlegte, sicher, scharf, kalt und grimmig, wie der Wilde auf dem Kriegspfad. Don Antonio war zu Hause gewesen, während das von ihm bezahlte Messer die von ihm geschaffene Gelegenheit benutzte. Der Mann war klug, der Mörder kam heute abend nicht, vom Schauplatz der That sofort nach dem Carvajalschen Hause war er auf keinen Fall gegangen, und spätestens eine Viertelstunde darauf war Bob schon auf dem Posten gewesen. Einer von Don Antonios Dienern war es kaum, das wäre unvorsichtig gewesen. Sicher ein Gedungener. Er würde wohl morgen erst kommen dürfen, in der Frühe, um zu berichten und seinen Lohn zu holen. Der Mulatte schlief auf der Stelle, wo er stand, auf den Steinen. Am andern Morgen fand ihn der erste Sonnenstrahl wieder wach.

Kurz nach sechs Uhr kam ein baumlanger Neger die Straße entlang. Er trat sehr sicher auf. Auf sein Klopfen wurde das große Thor geöffnet und blieb auch offen für den Tag, wie immer.

Der Mulatte schritt hinter dem Neger in das Haus und die Treppe hinauf. Die Diener glaubten, er gehöre zu ihm. Der Neger sah sich nicht um, er wußte genau Bescheid, stieg ruhig die Treppe hinauf und öffnete, kurz anklopfend, eine Zimmerthür.

Don Antonio Carvajal, der beim Kaffee saß, wandte sich nach dem Eintretenden um. Im nächsten Augenblick wurde er graublaß, denn hinter dem Neger sah er John Arlingtons Diener, der eben ein großes Bowiemesser aufklappte und ihn mit einem Blick ansah, vor dem ihm grauste. Er wollte rufen aber es war zu spät. Blitzschnell war der Mulatte an dem überraschten Neger vorbeigeschlüpft und hatte dem zitternden Schuft mit einem wilden Yankeefluch die breite Klinge ins Herz gestoßen. Lautlos brach Don Antonio zusammen.

Der Neger versuchte, den Rächer festzuhalten, griff aber nur in das Messer, das ihm Bob durch die Hand zog. Brüllend vor Schmerz ließ der Schwarze ab. Bob stürmte die Treppe hinunter, verfolgt von den Dienern des Hauses.

Wie ein gehetztes Wild floh er die Calzada, den „Steinweg“, entlang. Hinter ihm gellte und kreischte es: „Ataje, Ataje!“ „Haltet ihn! Faugt ihn!“

Diener, Weiber, Kinder eilten an die Fenster, auf die Balkone, in die Thorwege, denn der Ruf „Ataje“ verspricht immer ein Schauspiel. Sie sahen den Mulatten, das blutige Messer in der Hand, in langen Sätzen daher kommen, hinter ihm die immer wachsende Schar seiner Verfolger.

„Wieder ein Raubanfall,“ dachte jeder, und was auch immer man gerade in der Hand hatte, warf man nach dem Fliehenden, alte Töpfe, leergetrunkene Kokosnüsse, Blechbüchsen, Besenstiele, Knüppel, Steine flogen auf den Unglücklichen herab. Ein halber Backstein von einem Balkon herunter geschleudert, traf sein schon verwundetes Haupt. Mit klaffendem Schädel stürzte er vornüber aufs Pflaster.

Eben bog eine auf der Runde befindliche Bareja, ein „Paar“ Polizisten, um die Ecke.

Man hatte die Hauptstadt von allen Truppen entblößt, da man jeden Mann im Innern gegen die Aufständischen brauchte. Der Guardia civil und den Nachtwächtern war das Gesindel, entflohene Sklaven, vielfach bestrafte Farbige, Diebe und Mörder, über den Kopf gewachsen. Man war seines Lebens und seines Eigentums keinen Augenblick mehr sicher in Havanna. Da hatte das Mutterland etwas Uebriges gethan für „die immer getreue Stadt“, bewährte, langgediente Unteroffiziere, die besten Schützen hatte es aus dem ganzen Heere ausgesucht und mit weisen Instruktionen herübergeschickt. Sie wurden gut bezahlt und waren vorzüglich bewaffnet. Niemals ging einer allein. Immer traten sie paarweise auf. Sie lieferten niemals einen Gefangenen ab, den sie mit der Waffe in der Hand ergriffen hatten, auf dem Transport machte er immer einen Fluchtversuch und „die nie fehlende Kugel der Gerechtigkeit“ streckte ihn stets mit zerschmettertem Hinterhaupt zu Boden. So las man am andern Morgen in der Zeitung.

Als jetzt die Gefürchteten erschienen, zog sich alles scheu etwas zurück, nur zwei der Carvajalschen Diener gaben erregt, schreiend, mit den Händen in der Luft herumfuchtelnd, Bescheid.

Da klingelte ein Pferdebahnwagen vorüber; auf der hinteren Plattform stand in grauem Leinenanzug ein breitschultriger großer blonder Herr. Der Auflauf interessierte ihn. Er sprang ab und trat auf die Gruppe zu. Man hatte den Mulatten eben mit einem Kolbenstoß gegen das Schienbein geweckt. Bobs Augen öffneten sich und trafen auf den Herangetretenen. Da leuchteten sie auf „Helft mir,“ rief er ihn englisch an. „Ihr habt meinem Herrn geholfen gestern abend –00 zur Herrin –00 bei Morales.“

Reuter erinnerte sich des Mulatten, er erinnerte sich auch der Gespräche gestern abend, wie man im Klub angenommen hatte, es seien bezahlte Hände dabei gewesen, das sei des Landes so der Brauch, um einen Mißliebigen los zu werden. – Gestern der Herr, jetzt der Diener. Er wandte sich in langsamem, aber richtigem Spanisch an die Beamten. „Sein Herr ist gestern abend im Park fast ermordet worden. Der Bursche ist freier amerikanischer Bürger und schwer verwundet, er hält keinen weiten Transport mehr aus. Seine Herrschaft ist zum Besuch hier bei Don Felipe Morales. Das Haus ist in der Nähe, lassen Sie ihn dahin schaffen. Die Sache wird eine sorgfältige Untersuchung nötig machen. Ich bin Deutscher. Hier ist meine Karte.“

Das „Soi aleman“ hatte damals, nicht lange nach dem deutsch-französischen Kriege, Gewicht und der Name Felipe Morales auch, die Polizisten kamen Reuters Wunsche nach.

Aus einem der Nachbarhäuser wurden ein Brett und ein paar Querhölzer entliehen. Einige der umstehenden Beschäftigungslosen, an denen in Havanna niemals Mangel ist, packten den Verwundeten auf und trugen ihn nach der Villa Morales. Der Weg war nicht weit, dennoch war Bob, als man ankam, wieder ohnmächtig geworden, vor Schmerzen und von dem starken Blutverlust. Der alte Herr Morales empfing den Zug, den man durch den weiten Vorgarten hatte herankommen sehen. Reuter stellte sich ihm und Miß Arlington, die neben Don Felipe stand, vor und gab ganz kurz die nötigsten Erklärungen.

Während man Bob hineintrug, hielt Kate den Deutschen einen Augenblick zurück. „Sie haben gesteru für meinen Bruder Ihr Leben gewagt, obschon er Ihnen fremd war. Die Vorsehung will uns Gelegenheit geben zum Dank und führt Sie durch eine zweite edle That in unser Haus. Sie dürfen es nicht verlassen bevor ich mit Ihnen gesprochen habe.“

Reuter zögerte. – „Herr Reuter, ich bitte darum,“ drängte Kate Arlington, „ich muß zu meinem Bruder und Ihnen den Arzt für Bob schicken.“

Reuter verneigte sich, die Augen der Beiden tauchten für einen Augenblick ineinander, dann ging Kate. Im Davoneilen rief sie Reuter noch zu: „Sorgen Sie, daß ich gerufen werde, sobald es möglich ist.“

Unter den Bemühungen des Arztes, der von Johny Arlingtons Bett an das seines Dieners geeilt war, kehrte Bob endlich noch einmal das Bewußtsein zurück – nur für Augenblicke aber.

Seine Augen wurdeu weit und freudig, als er auch seine Herrin unter denen sah, die sein Lager umstanden.

„Die Farben,“ kam es von seinen Lippen, „Don Antonio Carvajal – den Neger bezahlt – lebt der Herr?“ Und als sie sich über ihn beugte und ihm sagte, daß ihr Bruder wieder zur Besinnung gekommen wäre und daß Hoffnung bestünde, ihn am Leben zu erhalten, da war er zufrieden. Er lächelte. „Mitten ins Herz,“ murmelte er noch, dann schwanden ihm die Sinne und eine Viertelstunde später war er tot.

Bonny Kate drückte ihm die Augen zu, dann aber reichte sie über Bobs Leiche dem Deutschen in dem schäbigen, grauleinenen Anzug die Hand und sagte: „Es ist aus, Herr Reuter, für Bob sind Sie zu spät gekommen. Für meinen Bruder aber ist Hoffnung, Hoffnung durch Sie. Gewiß nehmeu Sie Anteil an dem, den Sie gerettet haben. Deshalb kommen Sie wieder, nach Johns Befinden zu fragen, werden Sie sein Freund, wenn er uns erhalten bleibt!“

Auch Don Felipe bat ihn, „sein Haus als das seinige und ihn als seinen Diener zu betrachten“, und der Ausdruck, mit dem er das sagte, machte den Satz zu etwas mehr als der üblichen Redensart. Reuters Eingreifen hatte ihm und seinem Sohn Achtung eingeflößt und sie waren dem Deutschen dankbar; beide hatten sie den jungen Amerikaner wirklich lieb und außerdem wäre es doch gar zu scheußlich gewesen, wenn der alte Arlington hätte erfahren müssen, daß sein Sohn elend zu Grunde gegangen wäre, fast unter ihren Augen. Zwar hatten sie beide einen betrüblichen Gedanken, als sie die reiche Erbin Hand in Hand mit dem Deutschen da vor sich sahen, und sie beide begruben einen Lieblingsplan in diesem Augenblick. Aber sie benahmen sich tadellos, offen und herzlich. –0

[423] Reuter kam. – Er kam täglich. Sein Weg ins Bureau nach der Calle Mercaderes führte ihn an der Villa Morales vorüber. Jeden Morgen erkundigte er sich nach John Arlingtons Befinden und nie versäumte es Bonny Kate, ihm die von Tag zu Tag besser werdenden Berichte selbst mitzuteilen.

Die draußen am Gitter Vorübergehenden sahen häufig, wie die schöne Fremde, die reiche Amerikanerin, neben dem Deutschen in der Veranda saß, in den Gängen auf und ab wandelte oder ihn bis zum Gartenthor brachte. Man fing im Deutschen Klub an, über die großartigen Aussichten, über das Glück, das der Reuter habe, zu sprechen, früher, als Reuter selbst Mut genug hatte, an solche Möglichkeiten zu denken. Er war bescheiden und doch sehr stolz.

Es dauerte lange, aber endlich wollte es ihm doch hier und da scheinen, als sei in Bonny Kates Augen noch etwas anderes als nur Dankbarkeit und Freundschaft. Wenn er dann aber nach dem Kontor weiter wanderte, redete er sich selbst immer wieder ein, daß er eitlerweise sich thörichte Gedanken in den Kopf setzte. Sie würde schöne Augen machen, wenn er um sie werben wollte. Das Blut stieg ihm zu Kopf und seine Faust ballte sich, wenn das Bild lebhaft vor seinem geistigen Auge stand, wie ihn Miß Arlington, die Millionärin, erstaunt ansehen und ein mitleidiges Lächeln über ihre schönen Züge fliegen würde.

Dann war er am nächsten Morgen so steif und zurückhaltend, daß die arme Bonny Kate scheu zurückwich vor dem kühlen Hauch, der von ihm ausging. War sein Herz vielleicht nicht mehr frei, hatte sie sich etwa bloßgestellt?

Da merkte der Deutsche denn, daß das fröhliche Lächeln verschwand, mit dem sie ihn empfangen hatte, und wieder stiegen Liebe und Hoffnung in ihm auf. Und wieder kam gleich die Vernunft hinter. drein: ja, ja, wenn sie nur nicht so sehr reich wäre – aber so! –

So quälten sich die beiden Herzen und konnten doch von Tag zu Tag weniger voneinander lassen. Dabei gingen John Arlington, während er sich langsam erholte, und Mercedes Morales den Beiden mit außerordentlich gutem Beispiele voran.

Sechs Wochen nur waren nach dem verhängnisvollen Tage vergangen, da saßen die beiden jungen Paare eines Abends wieder einmal beisammen zwischen den Marmorsäulen der Veranda.

Ganz vorn, wo die eben untergehende Sonne die weißen Sockel und Platten rosig überhauchte, lag John Arlington auf einem langgestreckten Rohrstuhl und ließ das Auge über den vor ihm liegenden, herrlichen Tropengarten schweifen. Neben ihm saß Mercedes auf einem niedrigen Sessel und streichelte seine auf der Seitenlehne des Stuhles liegende Rechte.

Im Hintergrunde aber stand Reuter im Gespräch mit Bonny Kate, die im Schatten einer der Säulen lehnte.

„Ich begreife Sie nicht, bester Reuter,“ rief Johny soeben laut, halb über die Schulter zurück, „Sie sind so schnell von Entschluß, wenn es gilt, die Knochen für einen andern zu wagen, und unseren Bitten gegenüber können Sie sich zu keiner runden Zusage aufschwingen. Wie dürfen Sie uns mit Redensarten kommen von übertriebenem Dank und solchem Unsinn? Es ist gar nicht hübsch von Ihnen, daß Sie so zäh sind, sag’ ich. Ich wäre schon viel weiter, wenn ich wüßte, daß Sie zu uns kämen. Was fesselt Sie denn an diese schöne Tropeninsel und an diese gottgesegneten Zustände hier? Nehmen Sie es als Geschäft, rechnen Sie es uns als Selbstsucht an. Sie sind ein ungemein begabter Kaufmann, sagt mein zukünftiger Schwager, und der ist Kenner, wir wollen Ihre Talente für den Zucker gewinnen, das ist alles. Kommen Sie, sagen Sie ja!“

Hinten aber flüsterte Bonny Kate und ein Wiederschein der scheidenden Sonne war in den schönen Augen: „Lieber Herr Reuter, mein Vater kommt morgen an. Er geht auf keinen Fall nach den Staaten zurück ohne Sie, schreibt er. Wollen Sie nicht mir die Zusage geben, die er sich nicht wird vorenthalten lassen?“

Und da kam ihm der große Mut und es ward sein Augenblick des Glücks, der Augenblick des Glücks, von dem brave Menschen, die diese Welt gutmütig überschätzen, behaupten, daß jeder Mensch ihn einmal erlebe und ihn dann eben nur benutzen müsse.

Nun, Herr Reuter benutzte ihn, oder vielmehr etwas, das aus ihm sprach, ihn handeln machte ohne sein Zuthun, benutzte ihn.

„Nur, wenn Sie mir eine andere Zusage machen können, Kate, Bonny Kate,“ flüsterte er zurück. „Wollen Sie mich lieb haben, wollen Sie meine Frau werden?“

Da blitzte es auf in ihren Augen von einem kleinen Schreck und jäher Freude. Er wußte genug, sie hielten sich in den Armen, und im nächsten Augenblick drehte sich Mercedes auf ein eigentümliches Geräusch hin um und „Hallo,“ rief Johny lachend, „jetzt haben wir ihn; wird sich der Governor freuen, wenn er morgen kommt.“

Und der alte Herr freute sich wirklich. Die Doppelverlobung unter so romantischen Umständen machte Aufsehen in Havanna; auch Reuter hatte – im Deutschen Klub – viele Freunde.

Und abends, nach stolzen Tagen voll Glück, voll Liebe und Seligkeit, lag Reuter noch häufig wach mit unruhig jauchzender und doch nachdenklicher Seele, er sann und sann. Wie unermeßlich war sein Glück und was war sein Verdienst? Wieviele thun mehr und gehen arm und elend zu Grunde zu Tausenden. Der arme Bub – vielleicht der Enkel afrikanischer Herrscher – elend umgekommen, und er, der arme deutsche Junge, plötzlich auf dem Gipfel einer Macht, die ihn über die Arbeitskräfte vieler Tausende verfügen ließ. – Wie war es nur gekommen, wo war der Faden? War es Zufall? Giebt es eine Vorsehung, deren Wege zu dunkel, giebt es eine höhere Notwendigkeit, deren viel verzweigte Maschen von Ursache und Wirkung zu zart und fein verflochten sind für sterbliche Augen?

Er kam nicht ins Reine. Aber je häufiger er in Bonny Kates schöne Angen sah und je mehr Zukunftspläne sie zusammen machten, desto ruhiger wurde er im Glück und im Besitz. Und bald fragte er nicht mehr.