Broadway in New-York
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Jeder Graukopf hat im Leben Augenblicke gehabt, wo er sich dem Teufel verschreiben mochte. Wenn Noth und Sorge zwicken und zwacken an allen Nervenbündeln der Seele; wenn Furcht und Haß, Unmuth und Zorn mit der neunschwänzigen Katze geißeln; wenn jeder Glücksplan in Unheil ausgeht, keine Arbeit, kein Können, kein Wagen mehr verfangen, kein Gebet mehr trösten will; wenn der Platzregen des Unglücks auf den Menschen niederprasselt, wie aus den Schleusen des Himmels während der Sündfluth; wenn kein Freund mehr Stand hält und jede Treue in Verrath umschlägt: – dann mögen wohl auch starke Geister den Bösen anrufen und als letzten Helfer in der Noth citiren. Wer, in dessen Leben Sturm und Sonnenblicke, Auf und Nieder, häufig wechselten, hat nicht schwache Stunden gehabt, wo er sich von Gott verlassen wähnte? Ich habe es an mir selbst erfahren. Mein ganzes Daseyn ist ein Ringen und Kämpfen, ein Mühen und Plagen, ein beständiges auf der Bresche Stehen gewesen, und seit meine Wehrkraft sinkt und das Alter Körper und Geist schwächt, wird das Gefühl der Ueberlegenheit geringer und das stolze Selbstvertrauen wankt auf seinen Fundamenten. Die feindlichen Gewalten, die es auf Verderben angelegt, haben meine Schwächen und meine Noth erforscht, und wo keine ist, da weiß der schleichende Verrath welche herbeizuführen. In solchen bedrängnißvollen Tagen hatte ich wohl auch zuweilen ein Gelüste, den Teufel zu citiren: aber der träge Bursche ist allemal zu spät gekommen, und wenn er kam, so wurde ihm die Thür gewiesen. Ein Verzweifeln kann auf Augenblicke auch den tüchtigsten Menschen überkommen. Es ist ihm keine Schande. Wo es aber dauert, führt es in sicheres Verderben. Sichselbstverlassen ist der Seele Tod. – „Herr! führe uns nicht in Versuchung!“ – bete darum Jeder am Morgen, wie am Abend. –
[204] „Guten Tag, Reichs-Parlamentsmann! Was gibt’s Neues?“ – „„Pierçe hat, um die Vollblütigkeit unseres Staatsschatzes zu kuriren, für Kanada 100 Millionen geboten, und bei Barnum ist Washingtons Tante und die Seeschlange ausgestellt““. – „Die Schlange möchte ich sehen –“, sagte mein Sohn, der New-Yorker Buchhändler, und Arm in Arm schlenderte er mit seinem Freunde Fröbel, – der einst mit Robert Blum auf der Schwelle der Ewigkeit gestanden, – von White-Hall-Kay durch die schattigen Gänge des Parks nach der Marmor-Fronte des Rathhauses. Sie waren wenige hundert Schritte gegangen und Broadway that sich auf mit seiner unendlichen Perspektive. Broadway ist die prächtigste Straße in der neuen Welt. Sie beginnt am Südende der Stadt, fast am Meerstrand und führt in gerader Linie, in einer Breite von 100 Fuß, anfänglich unter dem eigenen, dann unter anderen Namen, bis zum nördlichen Ende New-Yorks, so daß sie es der ganzen Länge nach durchschneidet. Der ländliche Charakter, welcher in den Gängen des Parks und den Alleen der Batterie oder Castle-Gardens Dich in New-York anweht, ist mit dem ersten Tritt in Broadway verschwunden; es umfängt Dich das Leben der Weltstadt wie eine brausende, schäumende Woge des Oceans.
Ein Dualismus beherrscht die ganze amerikanische Welt, und er macht sich kenntlich in jedem ihrer Theile. Das ganze Wesen des Yankeethums spiegelt sich in Broadway wieder. Es ist da Etwas, was der Ebbe und Fluth des Meeres, Tag und Nacht, Mann und Weib gleicht. Zu den Gegensätzen gesellt sich das Uebermaß; es ist sichtbar in allen Dingen und Erscheinungen. Wo aber ein Uebermaß ist, ist auch ein Mangel. Jedes Süß hat sein Sauer, und jeder Fähigkeit, durch die wir Vergnügen empfangen, ist eine entsprechende Strafe für ihren Mißbrauch auferlegt. Die Natur haßt Uebertreibung, sie duldet kein Monopol des Genusses und des Vergnügens, ohne die Monopolisten zu züchtigen. Wenn der Reichthum praßt, vermehren sich auch Die, welche ihn verzehren; häuft der Sparsame Besitzthümer auf, so gibt die Natur ihm die Sorge zum Begleiter. Für jedes Ding, das der Mensch gewinnt, verliert er etwas. Die sich aufbäumenden Wogen des Meeres suchen nicht eiliger die ausgleichende Ebene, als das Uebermaß im Leben und dessen Erscheinungen ein nivellirendes Verhältniß. Es findet sich immer ein Etwas, das den Uebermüthigen, den Starken, den Reichen, den Mächtigen, den Glücklichen hinabdrückt, und mit dem Minderbegabten und Minderglücklichen in ein Gleichgewicht zu bringen trachtet. Das beobachtende Auge wird dies überall finden; nur darf es sich vom Schein nicht täuschen lassen.
Das äußerliche Leben in Broadway trägt durchgängig den Stempel des Reichthums, des Luxus und des Vergnügens. Alle Etablissements in dieser Straße, – die Läden, Hotels, Kaffee- und Speisehäuser, Konditoreien, Austernkeller, Lesezimmer und Klubs – alle, bis zu den Salons der Haarschneider, Barbiere und Zahnausreißer herab, sind mit übertriebenem Prunk ausgestattet. Es macht, von außen besehen, eine großartige Wirkung, zumal auf den Neuling. Ueberall blitzt’s und blendet’s, flackert’s und funkelt’s; doch unter all’ dem Schein und Schimmer [205] kann ein recht behaglicher Genuß nicht aufkommen. Nachts zumal, wenn die Falten der reichgeblümten, schweren Seidengardinen, die Silbertapeten und die Goldrahmen der gewaltigen Spiegel von Gasflammen bestrahlt werden, bieten Restaurationen und Kaffeehäuser einen fast zauberhaften Anblick dar. An den heißen Sommerabenden, wo die schwüle, drückende Luft die Spaziergänger schnell ermüdet, sind namentlich die Eiscremesalons gedrängt voll wohlgekleideter Männer und Frauen. Nicht minder die Austernkeller ersten Rangs, welche, die Souterrains vieler Prachtgebäude einnehmend, sich, wie Aladdins Höhle, funkelnd von Licht und Pracht, auf den Broadway öffnen und die lustwandelnden Schaaren in ihre Tiefen locken. Schauen wir selbst! – Folge mir hinab in die schimmernden Trinitatistempel des Luxus, der Lust und des Genusses! – Von der letzten Stufe einer breiten Marmortreppe, auf der ein Gaskandelaber hinableuchtet, treten wir durch eine Pforte von vergoldeten Säulen in einen Feensaal. Zu beiden Seiten des langen gewölbten Raums streckt sich, schwimmend in Licht, das zurückgeworfen und vervielfältigt wird von zahllosen Spiegeln, unter Draperien von Gold- und Silberstoffen hin, eine lange Reihe der prächtigsten Arkaden aus. Sie sind mit anmuthigen Malereien und Schnitzwerk geziert, mit kostbaren ultramarinblauen oder carmoisinrothen Gardinen verhängt und an den Pfeilerwänden, oder in den Casetten der Decken mit Krystallglas ausgelegt. Jede der Arkaden bildet eine Anzahl durch Marmorsäulen und Vorhänge getrennte Kämmerchen, manche durch Kronleuchter strahlend erleuchtet, andere durch gefärbte Lampen in Helldunkel gehüllt, in denen das kostbarste Mobiliar, ein schwellender Divan von Sammt, geschnitzte Lehnsessel und Longchaises, allerliebste Tischchen von Rosenholz, im Verein mit den Bildern an den Wänden durch die Vorstellungen des ausgesuchtesten Luxus und Comforts auf die unbewachten Sinne wirken. Hier ist Alles, was das Auge sieht, mit seinen Lichtern und Schatten auf das Meisterhafteste für das Eine berechnet, die Begierde zu erregen, die Lust für Genuß zu erwecken. Da ist kein leeres Plätzchen, auf dem das Auge ausruhen, der Gedanke sich sammeln und abkühlen könnte; jedes Winkelchen ist verziert, geschmückt, ausgefüllt mit reizenden Gegenständen und jeder Gegenstand leitet immer auf den einen Zweck hin. Dort lauert ein Amor mit zielendem Pfeil von einem Postamente, daneben füllt die Statue einer halbentkleideten Venus eine Nische, dort fesseln die drallen, schwellenden Glieder eines Ganymed, der dem Vogel des Jupiter die Nektarschale reicht, den Blick, es strahlt die funkelnde Flaschenpyramide auf dem Schenktisch, es glitzert das Silbergeschirr, es duften die Krystallvasen mit Blumen von der Marmortafel – und einladend blicken aus dem Grün der blühenden Umgebung die Schüsseln, angefüllt mit den rothen Hummern und Krabben und den appetitlich zubereiteten Seefischen in allen Größen und Gestalten, die geschliffenen Caraffen und Gläser, die Vasen und Schüsseln mit Austern, hinter denen schmucke Kellner stehen, eines Worts oder Winks von Dir gewärtig, um Dir die Leckerbissen auf silbernen Schalen zu präsentiren. Wie Wenige, welche diese Zaubergrotten betreten, können den von allen Seiten auf sie andringenden Erregungen [206] widerstehen, und glücklich, wenn sie diese Orte nur mit leichteren Börsen und schwererem Kopfe wieder verlassen! Denn auf den Neuling lauert in den unterirdischen Lichtpalästen die elegante Gaunerschaft, der Veteran der Ausschweifung oder des falschen Spiels, und hat er sein halbes hundert Austern verspeist und sich mit einer Flasche Sherry oder Madeira den Kopf drehend gemacht, so sammeln sie sich um ihn, wie um ein Aas die Geier. Die Bekanntschaften, welche hier angeknüpft werden bei dem Lichte von tausend Flammen – sie endigen nur zu oft in den dunkelsten Höhlen, wohin sich viehische Laster und grauenvolle Verbrechen verbergen, oder in der stillen, finstern Zelle des Gefängnisses. Seht dort den blonden, bartlosen Jüngling, der am Arme des ältlichen Herrn die Marmortreppe hinan auf die Straße wankt. Er ist die Beute eines ergrauten Kartenkünstlers, eines Werbers für eine jener fashionablen Spielhöllen, die ihre Agenten in den Kaffeehäusern und Restaurationslokalen unterhalten, um reiche Gimpel zu fangen und ihnen Beute zuzuführen. Das Paar hat nicht weit zu gehen. Nebenan, im Hofe des palastähnlichen Gebäudes, – dort, wo die Reihe hoher Fenster ist und matter Kerzenschein durch die Jalousien zittert, ist der Tempel, dessen Pforten sich nur auf die Parole des Eingeweihten erschließen. – Dort tauscht er, Grad für Grad, die Mysterien des Spiels und der Lust an den grünen, mit der elegantesten Gesellschaft umgebenen Tischen und in den Boudoirs der schönsten Frauengestalten, gegen sein Vermögen, seine Kraft, seine Ehre, sein gutes Gewissen und die Ruhe seiner Seele ein, bis er selbst herabsinkt zum Vollblutschurken, zum Veteranen des Lasters, zum Werber und Kuppler für die Teufel, deren List er zum Opfer fiel.
Alle Kaffee- und Speisehäuser des Broadway sind Anlagen im großen Styl und beständige Fundgruben für den Beobachter und Menschenkenner. Die ungeheure Zunahme des Handels und Verkehrs in New-York hat aus dem älteren Stadttheile, wo die Geschäfte ihren Hauptsitz haben, die Wohnungen in die nördlichen, neueren Stadtviertel, oder über den Strom nach Williamsburg und Brooklyn gedrängt, oder auf die anmuthigen Eilande verlegt, welche den Hafen von New-York vom Ocean trennen und die, noch vor ein Paar Jahrzehnten Wald und Weideplätze, jetzt mit Parks, Gärten und Tausenden von Landhäusern bedeckt sind. Dort ist der Kaufmann zu Hause; im Broadway und den angrenzenden Stadtvierteln hat er seine Geschäftslokale. Bis zum vierten Stock bestehen die meisten Häuser aus Niederlagen und Schreibstuben, und da Zeit in Amerika Geld ist, und Geld der Werthmesser der Menschen, so denkt Keiner der geschäftlichen Bevölkerung daran, eine Viertel- oder halbe Stunde Zeit dem Wunsche zu opfern, in seiner Familie zu speisen. Zur festgesetzten Minute entleeren sich die Komtoire und die Geschäftsleute strömen nach dem nächstgelegenen Kaffee- oder Speisehause, um den inwendigen Menschen mit dem zu erfrischen, was Leib und Seele zusammenhält. Während die Kinnladen sich beschäftigen, erquickt sich der Geist an den Zeitungen und empfängt der Spekulationssinn den neuesten Handelsbericht und Kurszettel als fruchtbringende Saat. Ueber 50,000 Handelsherren und ihre Gehülfen speisen [207] in diesen Mammuthsgarküchen Jahr aus Jahr ein, und man kann sich nach dieser Zahl das Leben an diesen Orten zur Essenszeit vorstellen, dies unablässige Wogen der Gehenden und Kommenden, das Gewirr und Gewühl von Hungrigen und Gesättigten. In manchem Hause rechnet man die täglichen Gäste nach Tausenden. Viele der Paläste im fashionablen oberen Stadttheil sind von den Schillingsstücken gebaut worden, mit denen die Geschäftsleute in diesen Speisehäusern ihr einfaches Mahl bezahlen, und mehr als einer der stolzen Landsitze auf Staaten-Island und in Jersey gehören Leuten, die in den Restaurationen von Broadway in kurzen Zeiträumen große Vermögen erwarben. –
„Die Seeschlange aber?“ – Schau’ hinüber auf die Wand des Palastes, von dessen Dach das riesige Sternenbanner flattert, dort an der Ecke der Annestreet, – dort hängt ja ihr Conterfey unter Mißgestalten und Bestien aller Zonen, und umgeben von dem Wappengethier vieler Könige und Fürsten. Eine goldene fünf Ellen hohe Inschrift kündigt Dir an, daß Du vor Barnum’s Museum stehst. Der Yankee-Doodle schallt von den Balkonen, Böller knallen auf dem Plateau des Daches, und im Innern des Gebäudes lärmt’s, tobt’s und brüllt’s wie aus einem Pandämonium; bei Nacht aber beleuchtet eine künstliche Sonne den Tempel des Gottes Humbug, dessen Verehrer der Oberpriester täglich zu Tausenden zehntet.
Barnum, der Erbauer und Eigenthümer dieses merkwürdigen Hauses, in dessen Sälen und Korridors aus allen Ecken und Enden der Welt, ohne Wahl und Kritik, hunderttausend leblose und lebendige Dinge, – Kuriositäten, Kunsterzeugnisse und naturhistorische Sammlungen, Riesen und Zwerge, ägyptische Mumien und Schädel berühmter Männer, – aufgestapelt sind, ist in seiner Weise ein Genie, – ein Genie freilich, das ihn in der alten Welt auf die Galeere oder in’s Zuchthaus gebracht haben würde, während es in der neuen sein Glück gemacht hat. Barnum, seines Zeichens ein Kürschnergesell, kommandirt jetzt eine Million Dollars, ist der größte Güterbesitzer in Konnektikut und Ohio, Partner oder Direktor mehrer Banken; sein Name figurirt auf den Kandidatenlisten bei den Wahlen von Govornors und Senatoren; der Mann präsidirt in politischen und landwirthschaftlichen Vereinen, er empfängt als Mäcen der Wissenschaften und Künste die Huldigungen der Dichter. Er hat es mit Vielem versucht, ehe er den rechten Weg zum Glück ausgemittelt. Er war nach einander Seifensieder, Essigbereiter, Schriftsetzer, Buchdrucker, Wahlagent, Stumpredner, Schiffsmäkler und nebenbei ein Lump überall. In einer sonnigen Schicksalsstunde gerieth er auf den Einfall, einem bankerotten Menagerieführer seine verhungerten Bestien abzukaufen – und gefunden war die Leiter des Glücks, auf der er von Staffel zu Staffel emporstieg, bis er im Stande war, sein Museum zu bauen für 120,000 Dollars, fünfzig Federn zu miethen und fünfhundert Zeitungen zu bestechen, um seinen Humbug durch die Union zu posaunen, täglich 150,000 Straßenecken, Omnibusse, Dampfboote, Wirthsstuben und Ladenwände mit seinen Plakaten und Annoncen zu bekleben, und bald [208] den General Tom Dumb, bald die Jenny Lind an seinen Triumphwagen zu spannen. In der Wahl der Mittel macht sich Barnum niemals Skrupel. Er näht ein Rudel Büffel in Bisonfelle ein, streicht ein halb Dutzend junger Bursche, ächte Kinder von New-York, roth an, putzt sie mit Federmütze, Köcher und Bogen als Indianer des Felsengebirgs heraus und ladet dann zum Schauspiel einer Bisonjagd ein; er läßt aus Pferdeknochen und Fischgräten unbekannte, riesige Ungeheuer der Vorwelt zusammensetzen und bringt die gelehrte Welt mit „unzweifelhaften Zeugnissen“ ihrer Aechtheit und mit „glaubwürdigen Berichten“ über Vorkommen und Fundorte in Staunen und Streit; er verwandelt weißhäutige Knaben in schwarze Aethiopier; er räumt die Trödelbude eines Hebräers aus, um die Lumpen und Lappen, die alten Tabaksdosen und ausgedienten Spazierstöcke, die verrosteten Degen und Pistolen etc. als Reliquien von Fürsten des Geistes und von Helden der Schlachten in vergoldeten Schränken hinter Spiegelgläsern zu zeigen. Zur Zeit des mexikanischen Krieges producirte er das Bein von Santa Anna in einer ungeheuern Spiritusflasche, obschon dem mexikanischen Feldherrn in der Schlacht von Buena-Vista nur ein Stück seines hölzernen Stumpfs abgeschossen worden war, da er das Bein selbst schon zehn Jahre früher vor Vera-Cruz verloren hatte; und wenn eine Zeitungs-Ente durch die Union schwimmt, ein Bericht von einem fabelhaften Geschöpf der Tiefe, einer Meermaid oder einer Seeschlange, – so kannst Du gewiß seyn, es nach wenigen Wochen bei Barnum zu sehen. Das Publikum rennt, läuft, zahlt, schaut; es lacht, betrogen, seine eigene Leichtgläubigkeit aus, oder es murrt, schimpft, schreit Humbug! – aber Barnum setzt der guten, wie der bösen Laune stoische Gleichgültigkeit entgegen, freut sich seiner goldenen Ernte, lacht sich in’s Fäustchen und macht den Spektakel durch einen neuen Humbug vergessen. Der Tom-Dumb-Humbug, – er ließ den Zwerg auf einem, aus einer Schildkrötenschale gefertigten, mit Silber verzierten Wägelchen von acht Elephanten durch die Stadt ziehen, – warf ihm 60,000 Dollars ab; der Jenny-Lind-Humbug, für den er mit einem Aufwande von 50,000 Dollars alle Komponisten, Redakteure, Autoren, Buch- und Musikalienhändler, alle Haarkräußler, Putzmacherinnen und alle Künste der Reklame in Bewegung setzte, um das ganze Land für seine schwedische Nachtigall toll zu machen, brachte ihm über 200,000 Dollars ein; und jetzt, wo der Mann eine Million sein nennt, erinnert man sich kaum mehr des Schmutzes und der Unehre, die daran haftet, und Barnum gilt in der neuen Welt als „ein großer Geschäftsmann“, glücklicher als Cagliostro und St. Germain, die mit weit größeren Fähigkeiten in der alten Welt es nie über den Ruf „famoser Betrüger“ bringen konnten.
„Wie ist es aber nur möglich“ – wird man fragen, „daß ein so weltkluges Volk sich mit so kindischer Leichtgläubigkeit vom plumpsten Betrug beständig täuschen lassen kann? Wie verträgt sich solches mit dem Rufe des praktischen Verstandes, der ihm in so hohem Grade beiwohnt?“ Ich sehe keinen Widerspruch. Verstand allein schützt nicht vor Leichtgläubigkeit. Der Mangel an Gemüth, Geist, Genie erklärt das Uebrige. Der Verstand bringt Pläne, [209] Entwürfe, Systeme hervor. Er ist die Zeugung des Geistes für’s praktische Leben; er vermählt gleichsam den Gedanken mit der nützlichen Anwendung. Wo aber mit Genie ein reiches Gemüth verbunden ist, da sind auch Idee und Offenbarung bei einander. Die Offenbarung aber ist jeder Zeit ein Wunder, ein für den Verstand Unbegreifliches, Etwas, das den Forscher beständig in Erstaunen setzen und verblüffen wird. Sie ist der Eintritt der Wahrheit in die Welt, eine neugeborene Gedankenform, die zum ersten Mal im Universum erscheint, ein Kind der alten, ewigen Weltseele, ein Atom des Unermeßlichen, Unbegrenzten. Das Genie erscheint gleichsam als der Erbe von allem Dagewesenen; es schreibt die Gesetze der Zukunft, es wirkt mit dämonischer Gewalt auf die Vorstellungen der Menschen ein und zaubert ein Neugestalten in den Verhältnissen hervor. Aber das Genie bedarf einer Vermittelung zu seinen Offenbarungen; die wunderbarsten Inspirationen sterben mit dem Begeisterten, wenn ihm die Fähigkeit abgeht, sie den Sinnen darzustellen, dem Lichtstrahle gleich, der unsichtbar den Raum durchstreift, wahrnehmbar erst da, wo er auf einen Gegenstand fällt.
Ein Uebermaß von praktischem Verstand, ausgewogen von Mangel an Genie und Gemüth, bildet einen Grundzug im Volkscharakter der Yankees. Auf diesem Boden wird die Saat der europäischen Bildung, gute wie böse, das nährende Korn, wie das giftige Unkraut, ausgestreut. Es ist kein durch die Arbeit vorausgegangener Jahrhunderte sorgfältig bereiteter Boden, auf dem das Ausgestreute in eigener Entwickelung und Selbstständigkeit überall gedeihen könnte. Das Leben in Amerika bewegt sich beständig auf der Rennbahn; die Hast macht das Uebertreiben zur Nothwendigkeit; Zeit zum gegenseitigen Durchdringen, Ineinanderleben, Assimiliren ist nirgends gelassen. Dadurch erhalten Uebertreibung und Unnatur Berechtigung in den wichtigsten Lebensverhältnissen, und wo das Unnatürliche in die Rechte des Natürlichen eintritt, – da haben auch Wunderglaube und Humbug Spielraum und es können uns die Erscheinungen nicht befremden, die diesem entsprechen. Von Allem, was der Verstand nicht fassen kann, von allem ihm Unbekannten, läßt sich der Amerikaner imponiren und er behält die empfangenen Eindrücke so lange, bis sie andere, neue wieder verwischen. Seine krankhafte Leichtgläubigkeit begeistert ihn für eine Sache unglaublich schnell; sein rechnender Verstand läßt ihn jedoch eben so schnell Das wieder aufgeben, was ihm unpraktisch erscheint. Er schwärmt für politische und religiöse Meinungen; von Dem, was sich dreist als außerordentlich, übernatürlich, an das Wunderbare grenzend ankündigt, wird er unwiderstehlich angezogen, die schreiendsten Gegensätze erregen seine Theilnahme, das Unmögliche bringt ihn in Bewegung. Daher findet der Humbug – jene auf’s Höchste potenzirte Charlatanerie, für welche die alte Welt keinen Ausdruck hat, – in Amerika jeder Zeit Gläubige in Menge und in allen Klassen. Der Humbug durchdringt die ganze Gesellschaft, ja, in vielen Verhältnissen wird er zur anerkannten Nothwendigkeit. Jeder, der in Amerika war, wird hundertmal die Bemerkung vernommen haben, Humbug gehöre zum Geschäft – eine starke Dosis [210] Charlatanerie könne auch der ehrenhafteste Charakter, wenn er sich geltend machen wolle, sey es als political man, sey es auf der Börse, oder im Atelier, auf dem Katheder oder im Gerichtshofe, gar nicht entbehren. Wo der Amerikaner hinschaut, begegnet ihm Humbug, er kann ihm nicht ausweichen, und er wird, ehe er sich’s versieht, selbst ein Priester an dem Altare des Gottes, dem seine Leichtgläubigkeit opferte. Darum ist der Amerikaner auch so tolerant in seinem Urtheile über Täuschungen, die wir schlechthin Betrug nennen, und er knüpft an Handlungsweisen keine Unehre, mit denen sich diesseits des atlantischen Meeres Keiner beflecken darf, der Anspruch macht auf den Namen eines rechtlichen Mannes.
Dies wird sich ändern, wenn das amerikanische Volk in ein höheres Lebensalter tritt und die Periode des „Dollarmachens“ zurückgelegt hat. Dann werden neben dem Verstand auch Geist und Gemüth wieder zu ihrem Rechte kommen und wahre Bildung wird an die Stelle jenes Firnisses eines Halbbarbarenthums treten, das, wie der Parvenue auf sammtnen Polstern, noch die Manieren und den Geschmack seiner jüngsten Vergangenheit verräth. Die wahre Bildung ist ein Ganzes und verlangt Vollständigkeit und Harmonie in allen ihren Theilen. Eine solche Bildung wird aber weder von einem Volke, noch von einem Individuum ohne Anstrengung oder im Fluge erworben: sie geht nach unwandelbaren Gesetzen in organischer Entwickelung vor sich, und verlangt ihre Zeit.