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Buenos-Ayres

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DXXXXVIII. Die Kaiserpfalz in Gelnhausen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zwölfter Band (1847) von Joseph Meyer
DXXXXIX. Buenos-Ayres
DL. Die Schlackenburg bei Teplitz
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BUENOS AYRES

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DXXXXIX. Buenos-Ayres.




Am La Plata-Strome, fünfzehn deutsche Meilen von seiner Mündung, auf einem Landrücken, der sich 40 Fuß über den höchsten Wasserstand des Stromes erhebt, umgeben von einer unermeßlichen Ebene, liegt die größte Stadt Südamerikas, Buenos-Ayres, die Metropole des Bundes, in welchem die Republiken der Plataländer vereinigt sind. Ihre Lage ist der von New-Orleans ähnlich, und dieser Stadt an Größe und Volksmenge nahe kommend (Buenos-Ayres zählt 90,000 Einwohner), hat sie nicht geringere Ansprüche an die Zukunft. Der Plata ist nach dem Marannon und Missisippi der größte Strom des Welttheils und der natürliche Kanal für die Ein- und Ausfuhr eines Gebiets von mehr als 60,000 deutschen Geviertmeilen – eines Gebiets, größer als Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland zusammen. Wenn einst die europäische Auswanderung diesen Gegenden Millionen Arme zugeführt und Kultur und dichte Bevölkerung ihre Wohnsitze in derselben aufgeschlagen haben, dann wird keine Stadt der alten und neuen Welt mehr Garantien der Größe und des Gedeihens haben, als Buenos Ayres, und es wird um so schneller wachsen, je kräftiger ein Umstand dazu mitwirkt, welcher der Stadt den Namen gab. Die „gesunde Luft“ des Orts ist eine Wahrheit und die Langlebigkeit seiner Bewohner sprüchwörtlich. Es stirbt jährlich nur der 48ste Theil der Bevölkerung, ein Verhältniß, das ohne Beispiel ist unter den Großstädten der Erde.

Buenos Ayres ist mit seiner längsten Fronte gegen den Strom gerichtet und präsentirt sich von da sehr imposant. Ein weiter Halbkreis von Gärten und Anlagen schließt es auf der Landseite ein. Die Stadt ist regelmäßig angelegt und ihre Straßen durchschneiden sich in rechten Winkeln in der Entfernung von je 450 Fuß. Breite Trottoirs laufen zu beiden Seiten der Häuser hin; die Fahrbahn in der Mitte ist theils gepflastert, theils auch nur chaussirt. Die Straßenbeleuchtung ist vortrefflich und die Reinlichkeitspolizei überhaupt musterhaft. In der Bauart herrscht die spanische vor. Jedes Haus bildet ein Viereck von ein bis zwei Stock Höhe, welches einen Hof einschließt, auf welchen die Fenster der Zimmer gehen. Die Fronte nach der Straße hat in der Mitte einen breiten Thorweg, zu dessen beiden Seiten sich gemeiniglich Läden und Contore, oder die Werkstätten der Handwerker befinden. Auf den platten Dächern stehen Blumen-Gestelle und Orangerien, und die artige Gewohnheit, die Außenwände der Häuser mit rankenden Gewächsen zu bepflanzen, gibt dem Ganzen ein gar heiteres Ansehen. [122] Um Balkone und Balustraden schlingen sich Luftpflanzen (Tillandsia), welche aus der Atmosphäre die Nahrung ziehen und nie des Begießens bedürfen. Mehre schönblühende Arten derselben sind hier heimisch.

Buenos-Ayres, obschon unterm 34. Breitengrade liegend, hat doch kein wärmeres Klima als die Gegend des Mittelrheins, und der Winter macht den Gebrauch des Kamins nöthig. Das Feuermaterial ist eine Hauptausgabe an einem Ort, wo es weit und breit keine Wälder gibt und kein anderer Brennstoff zur Anwendung kommen kann, als englische und nordamerikanische Steinkohlen, oder das Holz von Aprikosenbäumen, die hier nicht der Früchte, sondern des Holzes wegen plantagenweise gezogen und wie unsere Weiden alle drei bis vier Jahre geköpft werden. Dahingegen sind andere Lebensbedürfnisse und alle Kolonialwaaren hier um so wohlfeiler; Fleisch ist sogar noch geringer im Preise als das Brod. Gegenstände des Luxus vertheuert ein hoher Eingangszoll. Im Ganzen ist das materielle Leben billiger, als in irgend einer andern Großstadt der neuen Welt, und auch in geselliger und geistiger Beziehung können wenige Städte mehr bieten. Der Ton der bessern Gesellschaft ist leicht, ungezwungen und läßt von der altspanischen Grandezza nur die ihr innewohnende Anmuth zurück. Jede angesehene Familie hält offenes Haus und empfängt zu ihren Abendgesellschaften die von Bekannten des Hauses eingeführten anständigen Fremden sehr zuvorkommend. Politik, Musik und Tanz sind die Hauptquellen der hiesigen Unterhaltung und des Vergnügens. Musik wird von aller Welt mit Leidenschaft getrieben; das Piano fehlt in keiner anständigen Wohnung. Das Theater ist gut und wird häufig besucht. Stierkämpfe, sonst häufig, sind obsolet geworden. Die altspanischen Sitten vergehen immer mehr, je häufiger die Niederlassungen von Briten, Nordamerikanern, Deutschen und Franzosen werden und je mehr die Fremden durch ihren Reichthum, ihre Intelligenz und ihre Zahl an gesellschaftlichem Einfluß gewinnen. Einen großen Uebelstand hat Buenos-Ayres zu beklagen: – den Mangel an gutem Trinkwasser. Die meisten Einwohner sind auf ihre Cisternen angewiesen. Andere lassen sich das Wasser aus dem Plata zuführen, was eine bedeutende Ausgabe verursacht. Brunnen fehlen ganz, und die vielfachen Versuche zur Auffindung artesischer Quellen sind fehlgeschlagen.

Wohlstand ist in Buenos-Ayres der sichere Lohn der Arbeitsamkeit; denn Geschick und Fleiß werden hier so theuer bezahlt, als in den nordamerikanischen Städten. Dennoch sind Armuth und Bettelei nicht selten, beide Kinder der spanischen Faulheit. Der thätige, sparsame Ausländer hingegen kommt nirgends in der Welt schneller empor und ein großer Theil der hiesigen reichen Leute gründeten ihr Glück unter den bescheidensten Verhältnissen. – Die Hauptnahrungsquelle ist der Handel, der schon jetzt über 500 große Seeschiffe beschäftigt und jährlich über 12 Millionen Dollars umsetzt. Die Importen umfassen alle Fabrikerzeugnisse Europa’s, denn Fabrikthätigkeit kennt man hier nicht; sie werden bezahlt mit den Ausfuhrartikeln, deren Zahl eben so gering ist, als ihr Betrag groß. Die unermeßlichen Ebenen des Landes geben Millionen von Pferden und Rindern das ganze [123] Jahr hindurch die reichlichste Weide, und jedes Landgut hat mehr oder minder viele Quadratmeilen solchen Weidelandes aufzuweisen, auf dem die Heerden ohne Pflege leben und sich vermehren, und wovon man jährlich so viel Thiere einfängt, als man eben Häute, Talg etc. zu verkaufen gedenkt, oder der Wirthschaftsplan es gestattet. Das Fleisch der Rinder wird auf vielen Gütern nur in so weit benutzt, als es die Konsumtion erheischt; das übrige wird Beute der Geier und Raubthiere. Selbst in Buenos-Ayres kostet das beste Rindfleisch nur wenige Pfennige. Einen Ochsen kauft man zu 4–5 Dollars, ein Pferd zu 3–6 Dollars. – Alle Obstarten, Gemüse und Wein werden in den Gärten angebaut und gedeihen vortrefflich; aber weiter erstreckt sich ihre Kultur nicht, und selbst das Mehl fahren die Amerikaner herbei, da die Gutsbesitzer bei dem reichen Ertrage ihrer Viehzucht es nicht für der Mühe werth halten, auch Ackerbau zu treiben. Sogar die Milch der Kühe wird noch wenig genützt, obschon die Platastaaten die ganze Welt mit Butter und Käse versorgen könnten. – Auf manchem Gute weiden 50–100,000 Stück Rindvieh, und manches verkauft jährlich 10,000 Stück Häute. Eine Nebennutzung der Viehzucht sind die Hörner, von denen jährlich nahe an 1½ Millionen Stück exportirt werden. In neuerer Zeit haben die Nordamerikaner angefangen, große Salzereien von Rindfleisch zu etabliren, von denen bereits 2–300,000 Centner jährlich ausgeführt werden: ein Geschäft, das eine neue große Quelle des Reichthums für das Land öffnet.

Buenos-Ayres, das 1809 und in den folgenden Jahren seine Befreiung vom Joch des spanischen Mutterlandes erkämpfte, würde seine Größe noch viel schneller entwickelt haben, wäre es nicht so häufig ein Schauplatz bürgerlicher Unruhen, und könnte es zu einem ruhigen Genuß der Freiheit kommen. Bisher hat es sich fast stets der Diktatur der Faktionen unterwerfen müssen und auch sein heutiger Diktator Rosas ist ein Despot. Dem Volke fehlt es an Vorbildung zur Freiheit und an republikanischer Tugend, und wo beides mangelt, da mögen die Nationen die Throne zerschlagen, aber der Tyrannei werden sie nicht entgehen. So wird auch uns, nachdem wir das Joch zerbrochen und uns über die Fürsten erhoben haben mit dem Vollgefühl unserer Kraft, – die beste Frucht der Revolution ein Geheimniß bleiben, wenn wir nicht in unserm Herzen und in unsern, Kopfe, im Hause und in der Schule revolutioniren und nicht die strengen Grundsätze der Republik in unserer Lebensweise, in unsern Sitten, Gewohnheiten und Vorstellungen zur dauernden Geltung bringen. Könnten wir, wie Franklin und seine Genossen es thaten, als ächte Republikaner die Republik machen – wie wären wir glücklich! –