Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug/Tafel 21. Die Vermählung des Iason und der Medeia vor dem Könige Alkinoos

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Tafel 20. Fahrt durch die Skylla und Charybdis. Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug (1884) von Herman Riegel (Hrsg.)
Tafel 21. Die Vermählung des Iason und der Medeia vor dem Könige Alkinoos.
Tafel 22. Die Argo im tritonischen See.
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Tafel 21. Die Vermählung des Iason und der Medeia vor dem Könige Alkinoos.

Nachdem die Argonauten diesen Schrecknissen des Meeres mit Götterhülfe glücklich entronnen waren, segelten sie weiter nach Kerkyra (Scheria), dem Eilande der Phaiaken, wo der gerechte und weise Alkinoos herrschte. Der König nahm sie gastfreundlich auf, aber sie stiessen hier zugleich auch auf eine neue Flotte der Kolchier, die ihnen nachgesandt worden war.

Die Kolchier verlangten vom Alkinoos im Namen des Aietes die Auslieferung der Medeia. Die Argonauten verweigerten dieselbe. Der König musste entscheiden. Medeia hatte nun das Herz der Arete, der Gemahlin des Alkinoos, gewonnen, und diese suchte ihren Gatten im Sinne der Nichtauslieferung zu beeinflussen. Aber Alkinoos entgegnete ihr, dass er einen gerechten Spruch, der allen Menschen als der beste erscheinen müsse, fällen werde, nämlich den:

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„Ist sie noch Braut, dann heiss’ ich die Kolcherin ihrem Erzeuger
Geben; jedoch war sie schon mit dem Bräutigam Lagergenossin,
Nimmer entfern’ ich sie dann vom Vermähleten; nimmer das Kindlein,
Hegt sie vielleicht schon ein solches im Schooss, nie geb’ ich’s den Feinden.“
  (Apollonios. IV. v. 1106 u. ff.)

Als bald darauf Alkinoos in Schlaf verfiel, liess Arete den zu erwartenden Spruch sogleich dem Iason heimlich melden, welcher alsobald das hochzeitliche Lager bereitete. Als daher am andern Morgen die Kolchier und Argonauten sich vor dem Alkinoos versammelten, um den Urtheilsspruch zu empfangen, waren Iason und Medeia Vermählte und die Forderung der Kolchier wurde abgewiesen. Apollonios (IV. v. 1201 u. ff.) sagt:

„Jener jedoch, wie zuvor er des Rechtes Entscheidung geordnet,
Auch ward’s jetzo bekannt, dass schon vollzogen die Hochzeit, –
Blieb ganz fest bei dem Spruch, dem geordneten; weder der Rachsucht
Grausamkeit noch der entsetzliche Zorn Aietes des Königs
Schreckte ihn, sondern er hielt mit lauterer Treue den Eidschwur.“

Carstens hat die wesentlichen Stücke dieses Vorganges in den einen, dargestellten Augenblick zusammengefasst. Die rechte Hälfte des Bildes wird durch den Alkinoos und seine Phaiaken eingenommen; am Strande liegen die kolchischen Schiffe, im Hintergrunde die Stadt. Links steht ein Altar, auf dem die Argonauten das Opfer bereitet haben, hinter demselben, etwas seitwärts, die beiden Dioskuren, einer der Boreaden und noch andere Helden. Alkinoos, wie die Haltung seines rechten Armes deutlich zeigt, hat eben den Spruch verkündet; Iason und Medeia eilen beglückt einander in die Arme; neben ihnen steht gesenkten Hauptes der Anführer der Kolchier, den linken Arm erhoben, als wollte er sagen: nun ist’s vorbei, mein Geschäft ist aus.

Den Zorn des Aietes fürchtend, blieben denn auch die kolchischen Kriegsmannen bei den Phaiaken, wo sie sich ansiedelten, zurück; die Argonauten aber gingen nach einigen Tagen wieder in See.