Charles Darwin’s neue Beobachtungen über das Bewegungsvermögen der Pflanzen

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Autor: Carus Sterne
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Titel: Charles Darwin’s neue Beobachtungen über das Bewegungsvermögen der Pflanzen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14,17, S. 228–230, 285–287
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Charles Darwin's neue Beobachtungen über das Bewegungsvermögen der Pflanzen.

Von Carus Sterne.

Die meisten unserer Leser werden einmal von dem sogenannten Barometz oder scythischen Lamm vernommen haben, welches der Sage nach ein Pflanzenthier sein sollte, das im Westen der Wolga aus einer Wurzel emporsprosse und dieselbe, am Stengel wie an einer Nabelschnur befestigt, immerwährend umkreise, um das Gras in ihrer Umgebung zu fressen, bis es, nachdem alles Erreichbare abgeweidet, vor Hunger dahinschwinde. Ein auf den Steppen des alten Scythenlandes vorkommendes Farnkraut, dessen Wurzelstock mit einem üppigen und allerdings herrlich anzuschauenden, seidenweichen und seidenglänzenden goldenen Vließe bedeckt ist, hatte den wundersüchtigen Reisenden des Mittelalters Anlaß zu diesem Mythus gegeben, der uns jetzt als ein poetisches Bild dienen kann von dem wirklichen Verhalten der Pflanzen, die uns Darwin als festgewachsene, aber gleich dem scythischen Lamm beständig um ihre Wurzel kreisende und mit den merkwürdigsten, wahrhaft thierisch erscheinenden Instinkten ausgerüstete Wesen schildert.

Schon längst war es bekannt, daß es eine Menge von Pflanzen giebt, die, als ob sie mit Sinnen und Gefühl begabt wären, bei jeder Berührung zusammenzucken, andere, die Fliegen und sonstige kleine Thiere waidgerecht mit Leimruthen und künstlichen Fallen fangen, und noch andere, die sich Tag und Nacht beständig bewegen, also Eigenthümlichkeiten zeigen, die man sonst für Vorrechte der thierischen Natur ansieht. Man wußte, daß sich die jungen Triebe der Schlingpflanzen, ganz ähnlich dem vorgeblichen scythischen Lamm, beständig wie der Zeiger einer Uhr im Kreise herumbewegen, bis sie eine Stütze finden, um die sie sich, zum freieren Luft- und Lichtgenuß, emporwinden können. Nachdem schon früher Hugo von Mohl und andere deutsche Botaniker Untersuchungen über die Bewegungen der Schlingpflanzen veröffentlicht hatten, wandte Charles Darwin im Anfange der sechsziger Jahre diesen merkwürdigen Erscheinungen seine Aufmerksamkeit zu und veröffentlichte im Jahre 1864 eine Arbeit über die Lebensgewohnheiten der kletternden Pflanzen, die uns mit zahlreichen neuen Thatsachen von großer Tragweite bekannt machte. Er zeigte darin, daß die überhängenden jungen Triebe der windenden Pflanzen sich mit ihrer Spitze unaufhörlich und mehr oder weniger schnell im Kreise nach allen Himmelsrichtungen wenden, und zwar je nach der Eigenart der Pflanze, entweder dem Laufe der Sonne folgend, oder in entgegengesetzter Richtung, also ganz gegen die sonstigen Gewohnheiten der Pflanzen von dem augenblicklichen Stande der Sonne wenig oder gar nicht beeinflußt. Bei einer zu den Asklepiadeen gehörigen Schlingpflanze, Ceropegia Gardneri, beschrieb die Spitze des Schößlings eines auf dem Arbeitstische Darwin’s aufgestellten Exemplares in fünf bis sechs Stunden, dem Sonnenlaufe entgegen fortrückend, einen Kreis von über sechszehn Fuß im Umfange, und es war ein interessantes Schauspiel, den langen Schoß zu beobachten, wie er,in der Stunde einen Raum von mehr als dreißig Zoll durchmessend, Tag und Nacht sich durch diesen großen Kreis schwang, vergeblich nach eurem Gegenstände suchend, um den er sich hätte emporwinden können.

Nach diesem Beispiele genügt es zu sagen, daß die Schößlinge anderer Schlingpflanzen sich je nach ihrer Eigenart in engern oder weitern Kreisen, schneller oder langsamer bewegen, um sich, wenn sie auf ihrem Wege einen nicht zu dicken Baumstamm oder eine andere Stütze finden, um dieselbe emporzuwinden, in demselben Sinne etwa, wie sich eine im Kreise geschwungene Peitschenschnur um einen Stamm windet.

Bei den rankentragenden Kletterpflanzen werden diese suchenden, im Kreise herumneigenden Bewegungen, welche Darwin der Kürze wegen mit dem bezeichnenden Fremdworte der Circumnutation bezeichnet, in ihrer die Stützen ergreifenden Thätigkeit noch wirksamer durch die Empfindlichkeit der Ranken gegen die Berührung harter Körper unterstützt, sofern dieselben sofort beginnen [229] sich spiralig zusammen zu rollen, wenn sie einen harten Körper erfaßt haben, oder mit einem solchen gerieben werden, wodurch sie den betreffenden Pflanzenast näher an die gewonnene Stütze heranziehen und erhärtend wie Spiralfedern wirken, welche der Ranke im Winde die erforderliche Elasticität verleihen.

„Es ist oft,“ sagte Darwin am Schlusse seiner Untersuchungen über die kletternden Pflanzen (deutsche Ausgabe, Stuttgart, 1876. S. 157), „in unbestimmter Allgemeinheit behauptet worden, daß Pflanzen dadurch von den Thieren unterschieden wären, daß sie das Bewegungsvermögen nicht besitzen. Man sollte vielmehr sagen, daß Pflanzen dieses Vermögen nur dann erlangen und ausüben, wenn es für sie von irgend welchem Vortheil ist, dies tritt aber verhältnißmäßig selten ein, da sie an den Boden geheftet sind und ihnen Nahrung durch die Luft und den Regen zugeführt wird.“

Man ersieht hieraus, wie Darwin schon von der Betrachtung der Kletterpflanzen zur Voraussetzung einer allgemeinen Befähigung der Pflanzen, ihnen nützliche Bewegungen auszuführen, geleitet wurde; sie bewegen sich nur deshalb für gewöhnlich nicht auffälliger, weil sie bei ihrer Festwurzelung keinen Vortheil davon haben. In der That führten ihn neuerdings genauere, mit der höchsten Sorgfalt an sehr zahlreichen Pflanzen aus den verschiedensten Abtheilungen des Gewächsreiches angestellte Beobachtungen zu der in seinem neuen Buche[1] ausgeführten Erkenntniß, daß jenes vorausgesetzte Bewegungsvermögen nicht nur stets vorhanden ist, sondern auch immerwährend bethätigt wird, indem alle jüngeren, noch im Wachsthum begriffenen Theile der Pflanzen ununterbrochen ähnliche kreisende Bewegungen, wenn auch in schwächerem Maßstabe, als windende Pflanzen vollführen. Mittelst eines sinnreichen, die Bewegungen verfolgbar machenden Verfahrens, dessen genaue Beschreibung der Leser in dem neuen Buche findet, wurden diese Bewegungen in Hunderten von Zeichnungen fixirt, welche den Beweis vor Augen führen, daß alle Endtheile der Pflanzen, Wurzel- und Stengelspitzen, Seitenwurzeln und Seitenäste, Ranken und Ausläufer, Keimblätter und wirkliche Blätter, in ihrem Wachsthum, und in vielen Fällen über dasselbe hinaus, beständig ringsumherneigen, wobei sie im Lause des Tages ein oder mehrere Umläufe vollenden.

Ihre äußersten Spitzen beschreiben dabei elliptische Curven, oder, sofern sie langsam dabei weiterwachsen, elliptische Schraubenlinien, die insofern unregelmäßig ausfallen, als die großen Achsen dieser Ellipsen bald nach diesen, bald nach jenen Richtungen zeigen, während die Bewegung, abgesehen von kleinen Unregelmäßigkeiten, Rückfällen und Zickzackspringen, im Großen und Ganzen immer dieselbe Drehungstendenz beibehält. Eine Pflanze ist also keineswegs das bewegungslos im Boden wurzelnde Wesen, für welches wir es gewöhnlich halten, vielmehr sind alle ihre äußersten Verzweigungen in unaufhörlich kreisender Bewegung begriffen, und es giebt ein wundersames Traumbild, wenn wir uns im.Geiste ausmalen, wie an einem großen Akazien- oder Mimosenbaume alle die vielen Tausende und Millionen Fiederblättchen und Triebe, Wurzeln und Nebenwurzeln, kurz alle Endungen des Gewächses, gleichzeitig und ruhelos Curven beschreiben, die keineswegs mikroskopisch klein genannt werden können, sodaß der Baum, abgesehen von seinem Weiterwachsthume, nur in solchem Sinne ruhend erscheint, wie etwa eine kleine Taschenuhr, deren Zeigerumdrehung wir ebenfalls nicht unmittelbar wahrnehmen, stillzustehen scheint.

Das beständige Ringsumherneigen der wachsenden Theile ist also eine bisher in ihrer Allgemeinheit übersehene Grundeigenschaft der Pflanzen, deren Erkenntniß dadurch von tiefgreifender Bedeutung wird, weil wir uns daraus die Hervorbildung der anderen, bestimmten Lebensbedürfnissen dienenden, augenfälligeren Bewegungen der Pflanzen, wie das Winden der Schlingpflanzen, das Vorwärtsdrängen der Ausläufer durch Dickicht und Gestrüpp, das Umherkriechen der Wurzel im Boden, die Schlafbewegungen der Blätter und viele andere als nützlich erwiesene Abänderungen und Erweiterungen jener Grundbewegung ableiten können. Um nun auf diesem weiten und wichtigen Forschungsgebiete zu einiger Klarheit zu gelangen, müssen wir uns zunächst fragen, durch welche Ursachen und Kräfte diese Grundbewegung, d. h. das fortwährende Umherbeugen der Pflanzenorgane überhaupt zu Stande kommt. Bis vor Kurzem glaubte man, daß die Ursache aller solcher Beugebewegungen der Pflanzenorgane in dem nicht gleichmäßigen, sondern einseitigen, und von der einen Seite der Organe auf die andere übergehenden Wachsthum der Pflanzenzellen zu suchen sei, wodurch bewirkt werde, daß sich jeder Theil immer nach seiner augenblicklich weniger wachsenden Seite hinüberneigen müsse. Das heißt mit andern Worten, die Ringsumherneigung des Sprößlings z. B. der Schlingpflanze werde durch ein in Kreisen oder Spirallinien herumgehendes Weiterwachsthum der Zellen desselben bewirkt. Dem wirklichen Wachsthume der Zellen geht aber ein Anschwellen, ein saftstrotzender Zustand (Turgor) der Zellen voraus, und daß dieser die eigentliche Veranlassung der Ringsumbeugung ist, wird schon dadurch wahrscheinlich gemacht, daß auch zahlreiche, nicht mehr wachsende Pflanzenorgane durch bloße vorübergehende Zellenanschwellungen ähnliche Bewegungen vollführen. Wir sehen viele Pflanzen, namentlich in der großen Familie der Hülsenpflanzen, zu welcher die Klee-, Linsen-, Wicken-, Bohnen- und Erbsenarten, aber auch die Akazien und Mimosen gehören, sowie in anderen Familien, namentlich denen mit gefiederten Blättern, die letzteren zeitlebens und nicht blos in ihrer Wachsthumsperiode des Nachts sich zusammenfalten und am Tage wieder ausbreiten. Um dies ausführen zu können, besitzen die einzelnen Blättchen am Grunde ihres Stieles eine kleine Anschwellung, ein sogenanntes Blattkissen oder Polster, welches zu einem großen Theile aus kleineren, blassen Zellen besteht, die auf einer frühen Wachsthumsstufe stehen geblieben sind, aber nur die Fähigkeit zum Weiterwachsthum, nicht aber diejenige periodischer An- und Abschwellung eingebüßt haben. Indem diese Anschwellung der kleinen Polsterzellen nun abwechselnd von der einen Seite des Polsters auf die andere im Bogen herum fortschreitet, beschreiben diese nicht mehr wachsenden Blätter elliptische Curven, gerade wie die weiter wachsenden Pflanzentheile. Man darf also dem Anscheine nicht glauben, daß es sich bei dem fälschlich sogenannten „Pflanzenschlaf“ nur um ein einfaches Heben und Senken der Blättchen handle; die Blättchen beschreiben dabei vielmehr, wie alle circumnutirenden Pflanzentheile, langgezogene Ellipsen und wenden und drehen sich dabei oftmals in einer Weise, die der betreffenden Pflanze, wie wir weiter unten sehen werden, vom höchsten Nutzen ist.

Verfolgen wir jetzt einmal den gesammten Lebensgang einer Pflanze, von ihrem ersten Auskeimen an, im Lichte der neugewonnenen Erkenntniß, so werden wir leicht die Wichtigkeit der neuen Untersuchungen des jetzt in seinem dreiundsiebenzigsten Jahre stehenden britischen Forschers verstehen, die, wie auf so vielen anderen Gebieten, auch hier als grundlegende anzusehen sind. So viel ihm auch andere, namentlich deutsche Botaniker auf diesem Gebiete vorgearbeitet hatten, es fehlte jene universale, den Dingen auf den Grund gehende und die Einzelnbeobachtungen verbindende Betrachtungsweise der Natur, die alle seine Arbeiten so sehr vor den meisten ähnlichen auszeichnet. Wenn das Keimwürzelchen aus der Samenhülle getreten ist, so folgt es alsbald, wie der englische Botaniker Knight im Beginn unseres Jahrhunderts gezeigt hat, der Richtung der Schwerkraft, das heißt, es wendet sich in den gewöhnlichen Fällen dem Erdmittelpunkte zu; auf dem Umfange eines bewegten Rades aber wächst es in der Richtung der Centrifugalkraft, während der Stengel centripetal wachsen würde. Durch höchst interessante Versuche hat nun Darwin die schon früher von Ciesielski erkannte Thatsache, daß das Vermögen, von der Schwerkraft beeinflußt und geleitet zu werden, nicht in der gesammten Hauptwurzel, sondern nur in ihrer untersten Spitze liegt, bestätigt und verallgemeinert. Wenn dem Würzelchen in feuchter Luft gekeimter Samen die für die Schwerkraft empfängliche Spitze amputirt wurde, so wendete sich das wagerecht gestellte Würzelchen nicht mehr, wie sonst, nach wenigen Stunden dem Schwerpunkte der Erde zu, sondern dies geschah erst nach Verlauf mehrerer Tage, nachdem sich eben eine neue Wurzelspitze gebildet hatte.

Dieses durch die Schwerkraft geleitete Hinabstreben des Würzelchen geschieht aber nicht unentwegt in gerader Linie nach dem Schwerpunkte der Erde zu, sondern der vorausgehende Theil der Wurzel circumnutirt (man wolle der Kürze halber dieses ebenso bequeme, als bezeichnende Fremdwort gestatten) dabei ebenso, wie es die in freier Luft befindlichen, oberirdischen Pflanzentheile thun. Darwin hat dies nicht nur in zahlreichen Fällen an den Würzelchen in feuchter Luft gekeimter und frei befestigter Samen direct beobachtet, [230] sondern das Würzelchen seine Bewegung auch selbst aufzeichnen lassen, indem er die Keimwurzeln verschiedener Pflanzenarten veranlaßte, an geneigt gestellten berußten Glastafeln hinabzuwachsen, sodaß die nach unten strebenden Spitzen beständig gegen die Tafeln drückten. Sie zeichneten auf denselben geschlängelte Wachsthumsspuren, deren Windungen abwechselnd stärker und schwächer ausgeprägt waren, je nachdem sich die Wurzelspitze in ihrer Drehung gegen die Tafel wendete und stärker drückte oder abwandte, wo dann die Spur in einzelnen Fällen stückweise ganz unterbrochen war.

Man kann kaum daran zweifeln, daß diese in einem kleinen Kreise umhertastende Bewegung der Wurzel dazu beitragen muß, sie den leichtesten Weg zum tieferen Eindringen in den Boden finden zu lassen. Während der obere Theil des Keimlings durch die ihn bedeckende Erde und namentlich durch die feinen, sich an Erde und Steinen festkittenden Wurzelhaare festen Halt gewinnt und der ältere Theil der dicht über der Spitze weiter wachsenden Wurzel durch sein Dickenwachsthum wie ein unwiderstehlich wirkender und selbst Steine und Felsen zersprengender Keil sich Platz schafft, sucht die Wurzelspitze vermöge ihrer kreisenden Bewegung beständig nach einer Linie des geringsten Widerstandes in der Erde; sie findet auf diese Weise Spalten und Risse, Gänge von Insectenlarven und Regenwürmern, lockere Stellen, an denen abgestorbene Wurzeln verwest sind, und gleitet dort hinab. Von Darwin angestellte Versuche zeigten, daß eine Puffbohnenwurzel, indem sie durch ihr Dickenwachsthum wie ein eindringender Keil wirkte, eine durch Federkraft zusammengehaltene Holzzwinge mit einer Kraft aus einander zwängte, die sich gleich dem Drucke von acht Pfunden erwies.

Um nun zu sehen, wie sich die Wurzelspitze verhalten würde, wenn sie bei ihrem Eindringen in die Erde auf Steine und andere harte Körper trifft, wurden Samen von Erbsen, Bohnen, Mais und anderen Pflanzen mittelst Nadeln an der Unterseite von Korken weithalsiger, halb mit Wasser gefüllter Gläser befestigt und die in der feuchten Luft hervorgekeimten Würzelchen auf der einen Seite dicht über der Wurzelspitze andauernd gereizt, sei es durch fortgesetzte Berührung mit einem harten Körper, oder durch trockene Aetzung mit Höllenstein, oder durch Wegschneiden eines schmalen Streifchens.

Ablenkung senkrecht herabgewachsener Erbsenwürzelchen durch an der Spitze einseitig angeklebte Cartonquadrate in 24 Stunden.

Am bequemsten wurde diese Reizung durch Ankitten eines winzigen Stückchens Sandpapier mittelst eines Tröpfchens dicker Schellacklösung erzielt. In diesen oft wiederholten Versuchen bog sich, wie man in beistehender Figur sieht, der über der gereizten Wurzelspitze liegende Theil jedesmal von dem drückenden oder sonst Reizung verursachenden Körper hinweg, sodaß, weil in diesen Fällen der Reiz fortdauerte und oder Wurzelspitze in ihren Bewegungen folgte, zuletzt förmliche Kreiswindungen und Schlingen entstanden, bis die Wurzelspitze sich an den Reiz gewöhnt hatte und, der Schwerkraft allein folgend, wiederum die gerade Richtung nach dem Erdmittelpunkte einschlug. Diese Empfindlichkeit der Wurzelspitze, welche sich also nach einem darüberliegenden Theile der Wurzel fortpflanzt und dort Wachsthumskrümmungen veranlaßt, geht so weit, daß sie dabei zwischen harten und noch härteren Körpern zu unterscheiden im Stande ist. Wenn Darwin die entgegengesetzte Seite einer einseitig mit bloßem weichem Papier beklebten und dadurch von ihrem senkrechten Wachsthum weggedrückten Wurzelspitze nun mit einem Stückchen harten Carton oder Sandpapier beklebte, so bog sich die Wurzel jetzt umgekehrt nach der Seite des weicheren Papiers. Man begreift leicht, wie vortheilhaft diese Feinfühligkeit der Wurzelspitze werden muß, um sie alsbald von einem auf ihrem Wege angetroffenen Steine oder sonstigen Hinderniß abzulenken, und diese nützliche Eigenschaft wird noch durch ein ganz entgegengesetztes Verhalten des über der Spitze liegenden Wurzeltheils unterstützt. Kommt dieser höher gelegene Theil der Wurzel nämlich mit einem harten Körper in Berührung, so biegt er sich umgekehrt nach dem berührenden Gegenstände hin, und zwar ganz plötzlich und nicht in einem Bogen, wie bei der in Folge einseitiger Reizung der Wurzelspitze bewirkten Ablenkung.

Diese Eigenschaft bewirkt, daß das Würzelchen, sobald es die Kante eines auf seinem Wege liegenden Steines oder sonstigen Hindernisses mit seiner Abwärtskrümmung erreicht hat, sich sofort um die Kante herumbiegt und, indem es um das Hinderniß im Bogen herumwächst, auf kürzestem Wege wieder seine gerade Richtung zum Erdmittelpunkte erlangt. „Ein Würzelchen,“ sagt Darwin, „kann mit einem grabenden Thiere, wie beispielsweise einem Maulwurfe, verglichen werden, welches wünscht, senkrecht in den Boden hinabzudringen. Durch beständige Bewegung seines Kopfes von einer Seite zur andern oder durch Circumnutiren wird es jeden Stein oder jedes andere Hinderniß im Boden, ebenso wie jede Verschiedenheit in der Härte des Bodens fühlen und wird sich von dieser Seite wegwenden. Wenn die Erde auf einer Seite feuchter ist als auf der andern, wird es sich dahin als nach einem besseren Jagdgrunde wenden. Trotzdem wird es nach jeder Unterbrechung durch das Gefühl der Schwerkraft im Stande sein, seinen Lauf abwärts wieder aufzunehmen, und sich in eine größere Tiefe einzugraben.“

Wie wir eben erfuhren, ist in der Wurzelspitze auch ein feines Gefühl für die Bodenfeuchtigkeit entwickelt, und sie wendet sich daher, so weit dies mit den andern auf sie wirkenden Einflüssen verträglich ist, nach der feuchteren Stelle hin; sie wendet sich andererseits von einem sie treffenden Lichtreize, z. B. wenn sie die Seitenoberfläche einer steilen Felswand erreicht hat, sogleich ab, und alle diese die Wurzelspitze treffenden Reize werden von dieser sogleich nach einem höher gelegenen Theil übertragen, woselbst sie die der Reizquelle ab- oder zugewandten Bewegungen der Wurzel veranlassen, welche dem Gedeihen des Gewächses in hohem Grade förderlich sind. Alle diese verschiedenen, durch die Empfindlichkeit der Wurzelspitze angeregten Bewegungen Hütten sich aber schwerlich herausbilden und durch ihren Werth für das Leben der Pflanze befestigen können, wenn nicht dem Würzelchen von vorn herein, wie allen andern Pflanzentheilen, die circumnutirende Grundbewegung eingewohnt hätte.

In Bezug auf diese Empfindlichkeit der Wurzelspitze, die ja einen Haupttheil der Nahrung im Boden zu suchen, und der Pflanze Halt zu geben hat, bemerkt Darwin am Schlusse seines Werkes: „Es ist kaum eine Uebertreibung, zu sagen, daß die Wurzelspitze, in dieser Weise begabt und mit dem Vermögen, die angrenzenden Theile zu lenken, wie das Gehirn eines niederen Thieres wirkt.“ In der That ist die Wurzelspitze, mit ihrer vielseitigen Empfindlichkeit, namentlich in der Jugendzeit des Keimlings, durchaus dem vorauschreitenden und die verschiedenen Bewegungen lenkenden Kopfe des Thieres zu vergleichen.

[285] Wenden wir uns nunmehr von der im vorigen Abschnitt (Nr. 14) besprochene Thätigkeit der Hauptwurzel, die, wenn sie verletzt wird, sich durch eine Nebenwurzel ersetzt, zu dem über die Erdoberfläche hervortretenden Pflänzchen selbst! Schon bei seinem Emporkeimen treten merkwürdige Bewegungserscheinungen auf. Wie die Wurzel circumnutirend in den Boden dringt, so schraubt sich die junge Pflanze ringsumneigend empor, und zwar durchbricht sie die Erdschicht über ihr meistens in Gestalt eines steilen Bogens, dem umgekehrten U (∩) vergleichbar.

Sämling des persischen Alpenveilchens.

Als Beispiel möge die Abbildung eines Sämlings des persischen Alpenveilchens dienen, bei welchem c das noch unentwickelte Samenblatt, h den Wurzelstock und r die Seitenwürzelchen bezeichnet. Man erkennt den Vorzug dieser zuerst von dem deutschen Botaniker Haberlandt ausführlicher erörterten Art des Hervorkeimens der meisten Gewächse, wenn man bedenkt, daß durch diese Krümmung nicht allein die zarten, über den Boden zu hebenden Samenblätter oder Knospen vor Verletzungen geschützt werden, sondern daß auch durch das gleichzeitige Wachsthum der beiden senkrechten Bogenschenkel die bedeckende Erdschicht mit verdoppelter Kraft durchbrochen wird. [286] Da dieser Bogen außerdem wie alle andern wachsenden Endtheile der Pflanzen in beständiger Circumnutation begriffen ist, so lockert er sich durch diese Drehung den Boden von selbst, worauf nach dem Hervorbrechen der Bogen sich gerade streckt und die sich entfaltenden Samenblätter oder, falls diese unter der Erde bleiben, das Knöspchen frei erhebt.

Darwin vergleicht diese von ihm noch genauer studirte Art des sich Hervorarbeitens der Keimpflanze aus dem Boden den Bewegungen eines Menschen, der durch eine auf ihn gefallene Ladung Heu mit ausgestreckten Armen zu Boden geworfen und auf die Seite gefallen ist. Derselbe wird unter der aus ihm liegenden Last zuerst versuchen, auf Händen und Knieen gestützt, seinen krummen Rücken in die Höhe zu bringen, um durch beständige Bewegungen den Zusammenhang der auf ihm lastenden Heumassen zu lockern. Erst dann wird er versuchen, den Oberkörper völlig aufzurichten. Diejenigen Pflanzen, welche mit einem einzigen, spitzen, das Knöspchen einschließenden Blatte emporkeimen und darnach Einblattkeimer (Monokotyledonen) genannt werden, also unsere Getreidearten, Tulpen, Lilien, Narcissen etc., bedürfen eines solchen Katzenbuckels nicht, wenn sie die Oberwelt begrüßen, da sie mit ihrem dolchartigen Keimblatt, dessen Klinge an der Spitze obendrein gehärtet ist, ohne Mühe den Boden durchbohren.

Keimling des Eierkürbisses

Mitunter haben die Keimlinge, bevor sie aus der Erde hervortreten können, und da Niemand sich ihrer annimmt, noch andere Schwierigkeiten durch Selbsthülfe zu besiegen. Da sollen die Keimblätter z. B. um sich zu befreien harte Samenschalen sprengen und sie abstreifen, um sogleich im Lichte Nahrung aufnehmen zu können und nicht wie die griechischen Dioskuren mit den Eierschalen auf dem Kopfe dazustehen. Bei solchen der Trennung Widerstand leistenden Samenschalen ist dann der sich gerade streckende Keimbogen zuweilen mit besonderen Zäpfchen und Vorsprüngen versehen, welche dazu dienen, die Samenschalen aus einander zu brechen. Wir sehen in der beistehenden Figur diese merkwürdige, von dem französischen Botaniker Flahault zuerst bei verschiedenen Gurken- und Kürbisgewächsen beobachtete, von Darwin auch bei andern Gewächsen nachgewiesene Vorrichtung bei dem Keimling des Eierkürbisses (Cucurbita ovifera) in ihrer ohne Weiteres verständlichen Wirkungsart dargestellt. Der Zapfen wird dabei immer auf der Seite entwickelt, die bei der Krümmung des Keimlings nach innen zu liegen kommt, wo er allein nützen kann; bei andern Keimlingen tritt ein an unsere Austernbrecher erinnernder Haken auf, und bei noch andern ist es eine querlaufende Kante, oder ein um den Hals des Keimlings laufender Kragen, der seine Befreiung aus den Samenschalen vollenden hilft. Der freie Keimling fährt natürlich in seinen schon in der Bogenform begonnenen Ringsumbeugungen fort, und ebenso verhalten sich junge, aus der Erde kommende Farnwedel und bereits die jungen Triebe der niedrigsten Pflanzen. Bei den höheren Pflanzen benehmen sich schon die Samenblätter ziemlich ähnlich in ihren Bewegungen, wie die eigentlichen Laubblätter, und bei vielen Pflanzen legen sie sich sogar des Nachts zusammen, wie bei dem sogenannten Schlaf der erwachsenen Pflanzen. Ja bei einigen Arten sind die Keimblätter bereits mit eben solchen Gelenkpolstern versehen, wie diejenigen spätern Blätter, die sich über ihre Wachsthumsperiode hinaus schließen und öffnen. Darwin hat nun auf das Klarste gezeigt, daß diese Schlafbewegungen der Samen- und Laubblätter nichts anderes sind, als durch den Wechsel von Tag und Nacht herbeigeführte vorteilhafte Abänderungen der allgemeinen Circumnutation der Blätter. Wie er in vielen Uebergangsformen beobachtete, findet das Schließen und Oeffnen der Blätter genau so statt, wie die Ringsumneigung, nur mit dem Unterschiede, daß diese sonst mehr gleichmäßige Bewegung sich mit dem Herannahen des Abends oder Morgens durch den Reiz des ab- oder zunehmenden Lichtes und der Wärme periodisch beschleunigt.

Kretischer Schotenklee.
A am Tage.   B in der Nacht.

Es ist ferner nicht schwer, jenen Nutzen zu erkennen, durch welchen sich diese Bewegungen nach den bekannten Darwinschen Gesetzen der natürlichen Auslese und Zuchtwahl zur vollständigen Zusammenfaltung gesteigert haben können, sofern die Blätter durch das dichtere Aneinanderlegen offenbar vor einer zu starken und das Leben des Gewächses bedrohenden, nächtlichen Wärme- Ausstrahlung geschützt werden. Diese Ausstrahlung ist natürlich viel stärker, wenn die Blätter horizontal gegen den Himmel ausgebreitet bleiben, wie sie es am Tage sein müssen, wenn sie möglichst viel Licht aufsaugen wollen. Wir sehen z. B. die wie gewöhnlich am Tage horizontal ausgebreiteten Blätter des hierneben abgebildeten kretischen Schotenklees (Lotus creticus) gegen Abend sich senkrecht in die Höhe richten und eng zusammenschließen, indem die Rebenblätter (s) mit den eigentlichen Blättern ein einziges Packet bilden, wodurch die Abkühlung durch Ausstrahlung der Eigenwärme gegen den klaren Nachthimmel bedeutend vermindert wird. Darwin hat eine Anzahl von Keimlingen und erwachsenen Pflanzen durch künstliche Befestigung verhindert, ihre Blätter in kalten Nächten zusammenzufalten, und mehrere solche Pflanzen, deren Blätter während der Nacht im Freien wagerecht befestigt waren, litten mehr oder weniger von der Nachtkälte, während zur Controlle daneben gestellte Exemplare derselben Pflanzenart, die ihre Blätter ungehindert zusammenschließen konnten, von der Kälte gar nicht litten. Dies ist die wahre Ursache des „Pflanzenschlafs“, der, wie schon kürzlich in der „Gartenlaube“ (1880, S. 528) erwähnt wurde, mit dem Schlaf der Thiere keinerlei Vergleichspunkte bietet. Daher treffen wir die ausgebildetsten Schlafbewegungen der Blätter auch in den tropischen Ländern, woselbst der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur in der Regel viel größer ist, als bei uns in der gemäßigten Zone, und namentlich die nächtliche Wärmeausstrahlung gegen den klaren Tropenhimmel Grade erreicht, daß z. B. in Indien Wasser gefriert, wenn man es in Erdgruben der nächtlichen Wärme - Ausstrahlung gegen das Firmament in flachen Gefäßen überläßt. So ist es begreiflich, daß auch die Samenblätter vieler Pflanzen, obwohl sie durch ihre dicke und fleischige Beschaffenheit vielleicht weniger als andere Blätter von der Nachtkälte zu leiden hätten, sich des Nachts schließen; denn sie haben zwischen sich die empfindliche junge Knospe zu behüten.

Das Laub mancher tropischen Pflanzen mit gefiederten Blättern ist gegen den Lichtwechsel so empfindlich, daß es sich schon zusammenzulegen beginnt, wenn Wolken den Himmel am Tage bedecken. Indessen dient die Licht-Ab- und Zunahme den Pflanzen wahrscheinlich nur als ein Signal für die jahraus, jahrein damit verbundene Wärme-Ab- und Zunahme gegen Abend und Morgen. Einzelne Pflanzen falten die Blätter in trockener Jahreszeit bei Tage zusammen, wohl um nicht stark zu verdunsten.

Alle diese Schutzbewegungen können nun aber auf sehr verschiedene Weise ausgeführt werden, und während wir die Blätter bei dem kretischen Schotenklee und vielen anderen Pflanzen des Abends sich heben sehen, senken sie sich bei anderen Pflanzenarten hernieder, wie z. B. bei der auf Seite 287 abgebildeten Cassia corymbosa. Außerdem ist zu bemerken, daß es sich hierbei nicht um ein einfaches Heben und Senken der Blättchen handelt, sondern es finden dabei allerlei weitere Bewegungen statt; in dem letzteren Falle richten sich zugleich die Blattstiele steiler empor und die gesenkten Blätter schließen sich dichter an einander, wobei sich das Endpaar erheblich nach rückwärts wendet, und zugleich hat eine Drehung der einzelnen Blättchen stattgefunden, wodurch die unteren Blattflächen, welche sich weniger empfindlich gegen die Ausstrahlungskälte zeigen, [287] als die oberen, nach außen gekehrt werden. In allen diesen Fällen wird die einer zu starken Abkühlung, Besonnung, Ausdünstung etc. periodisch ausgesetzte Lauboberfläche durch das Zusammenfalten der Blättchen erheblich verkleinert, und mitunter

Cassia corymbosa.
A am Tage.   B in der Nacht.

kann das so weit gehen,daß die Pflanzen bei Tag und Nacht ein bis zur Unkenntlichkeit verschiedenes Aussehen darbieten, wie das Beispiel der hierneben abgebildeten Acacia Farnesina zeigt.

Acacia Farnesina.
Dasselbe Blatt A am Tage.   B in der Nacht.

Ebenso wie diese Schutzbewegungen der Blätter offenbare und durch viele Zwischenstufe verknüpfte Abänderungen der regelmäßigen Circumnutationen aller Blätter sind, so stellen sich die auffälligeren Bewegungen der windenden und kletternden Pflanzen als in Folge ihres Vortheils weiter ausgebildete Erweiterungen der Grundbewegung der Stengelspitzen dar. Man kann die Bewegung der meisten Pflanzen zum Lichte hin, und die seltnere einiger Schattenpflanzen (z. B. des Epheus) aus dem Bereich allzu grellen Lichtes hinweg, Erscheinungen, die man treffend als Heliotropismus und Apheliotropismus (zu deutsch etwa. Sonnensüchtigkeit und Sonnenflüchtigkeit) bezeichnet, als durch ihren Nutzen gezüchtete Abänderungen der allgemeinen Circumnutation betrachten. Auch über diese Eigenschaft der Pflanzen hat Darwin eine Reihe sehr lehrreicher Versuche angestellt und gezeigt, daß Keimpflanzen z. B. vom Canariengrase so lichtempfindlich sind, daß sie sich in einem dunklen Raume nach einer fünfzehn bis zwanzig Fuß entfernten Oellampe richten und sich in wenigen Stunden haarscharf auf einen dünnen Spalt einstellen, durch den ein Strahl Tageslicht auf sie fällt.

Bei den Keimpflänzchen dieses Grases und verschiedener Getreidearten ergab sich dabei außerdem die überraschende Thatsache, daß die Empfindlichkeit für das Licht nur in der obersten Spitze des Keimlings wohnt, also ganz entsprechend der auf die Wurzelspitze beschränkten Empfindlichkeit für die Schwerkraft, für Licht- und Feuchtigkeitseinwirkungen und für die Berührung mit harten Körpern. Blieb die Keimspitze im Dunckeln so konnte der übrige Theil des Keimlings nach Belieben beleuchtet werden, ohne daß er sich nach der Lichtquelle hinwendete; der Reiz überträgt sich somit hier in ganz ähnlicher Weise von der Keimspitze auf die tieferliegenden Theile, wie er sich von der Wurzelspitze auf die höher liegenden fortpflanzt und dort Bewegungen anregt. Man erkennt also auch an dem Verhalten der Keimspitze, daß die Empfänglichkeit für äußere Einwirkungen bei den Pflanzen in ähnlicher Weise centralisirt ist, wie bei den Thieren, aber da die Pflanze nach oben und unten fortwächst und nach beiden Richtungen den vortheilhaftesten Bedingungen für ihre Existenz nachzugehen hat, so bedarf bereits die Keimpflanze zweier derartiger Empfindlichkeits-Mittelpunkte, die heranwachsende, verästelte Pflanze, die sich einem zusammengesetzten Thier z. B. einem Korallenstock vergleichen läßt, deren noch mehr, da wohl jeder einzelne Sproß mit einem solchen versehen sein muß. Nerven, welche dazu bestimmt wären, die empfangenen Eindrücke weiter zu leiten, sind hier ebenso wenig, wie bei den niederen Thieren vorhanden, da die Reize aber bei beiden offenbar ohne Nerven weitergeleitet werden, so scheinen besondere Nervenbahnen eben nur für höhere Grade der Empfänglichkeit für äußere Reize erforderlich zu sein.

Daß aber der Vorzug, den einzelne Pflanzen in ihren Lebensverhältnissen durch Erweiterung der gemeinsamen Bewegungsfähigkeit in bestimmter Richtung empfangen, dieselbe durch Ueberleben des Passendsten gesteigert hat, spricht sich auch darin aus, daß die höhere Nützlichkeit einer Bewegung jedesmal untergeordnete Nützlichkeitsgrade entgegenstehender Bewegungen überwältigt und unterdrückt. So würden z. B. die Schlingpflanzen in ihrer nach einer Stütze suchenden Bewegung sehr gestört werden, wenn sie für seitlich einfallendes Sonnenlicht ebenso empfänglich wie andere Pflanzen wären und dadurch zu Gunsten einer einzigen Richtung von ihrer Ringsumbewegung abgelenkt würden. Ebenso sind die insectenfressenden Pflanzen wenig heliotropisch, da sie eben ihr Leben auf ganz anderer Grundlage geordnet haben, als andere Pflanzen, und es für sie zuerst darauf ankommt, ihre Blätter für den Insectenfang in der günstigsten Stellung bereit zu halten.

Indem Darwin eine große Anzahl auffälliger Bewegungen der Pflanzen aus einer allen Gewächsen und Pflanzentheilen gemeinsamen, einfacheren Grundbewegung herleitete, hat er wiederum in einer für seinen Scharfsinn und seine geistige Eigenart höchst bezeichnenden Weise unzählige von ihm selbst wie von anderen Naturforschern angestellte Versuche und Beobachtungen zu einem allgemeinen, das dunkle Gebiet merklich erhellenden Gedanken verbunden, und aus einem Felde, auf welchem bereits sein Großvater thätig gewesen, die ersten Grundsteine einer tiefergehenden Erkenntniß gelegt. Wer sein Buch zur Hand nimmt, wird leicht die ungeheure Arbeit erkennen, die zu diesen scheinbar einfachen Schlüssen geführt hat; er wird zugleich die beste Anleitung zu eigenem Weiterarbeiten auf diesem dankbaren und Jedermann offenliegenden Forschungsgebiete finden. Denn die meisten dieser weittragenden Schlüsse wurden aus sehr einfachen, wenn auch mit höchster Sorgfalt angestellten Versuchen gezogen. Es braucht kaum besonders erwähnt zu werden, daß die Schlüsse mit der den britischen Forscher kennzeichnenden Vorsicht und Zurückhaltung gezogen wurden und daß er keineswegs glaubt, alle Pflanzenbewegungen aus jener einzigen Quelle abgeleitet zu haben. Er weist selbst auf mehrere Reizbewegungen sogenannter sensitiver und insectenfressender Pflanzen hin, bei denen ihm dies nicht wahrscheinlich ist.

Zweierlei heimelt uns bei der Lectüre des Buches noch ganz besonders an, erstens die genaue, in sehr zahlreichen Citaten dargelegte Kenntniß der einschlägigen botanischen Literatur Deutschlands, woselbst am meisten auf dem betreffenden Gebiete gearbeitet wurde, und dann die ungemeine Einfachheit und Bescheidenheit, mit welcher uns die wichtigsten Ergebnisse dargeboten werden.



  1. Die Thatsachen und Abbildungen dieses Artikels sind dem neuen, in Gemeinschaft mit seinem Sohne Francis herausgegebenen Werke Darwin’s entnommen, dessen deutsche Ausgabe, von Professor Victor Carus übersetzt, soeben unter dem Titel „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ (mit 196 Holzschnitten) im Verlage der E. Schweizerbart’schen Verlagsbuchhandlung (Eduard Koch) in Stuttgart erscheint.