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Chemische Briefe/Siebenundzwanzigster Brief

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von: Justus von Liebig
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Siebenundzwanzigster Brief.


Die Quelle der thierischen Wärme, die Gesetze, nach denen sie erzeugt wird, der Einfluss, welchen sie auf die Functionen des thierischen Organismus ausübt, sind Gegenstände, in so hohem Grade belehrend und unterhaltend, dass ich es mir nicht versagen kann, durch einige Andeutungen Ihre Aufmerksamkeit darauf hinzulenken.

Alle lebende Wesen, deren Existenz auf einer Einsaugung von Sauerstoff beruht, besitzen eine von der Umgebung unabhängige Wärmequelle. Diese Wahrheit bezieht sich auf alle Thiere, sie erstreckt sich auf den keimenden Samen, auf die Blüthe der Pflanze und auf die reifende

[220] Frucht. Nur in den Theilen des Thieres, zu welchen arterielles Blut, und durch dieses der in dem Athmungsprocess aufgenommene Sauerstoff gelangen kann, wird Wärme erzeugt. Haare, Wolle, Federn besitzen keine eigenthümliche Temperatur. Diese höhere Temperatur des Thierkörpers, oder wenn man will, Wärmeausscheidung, ist überall und unter allen Umständen die Folge der Verbindung einer brennbaren Substanz mit Sauerstoff. In welcher Form sich auch der Kohlenstoff mit Sauerstoff verbinden mag, der Act der Verbindung kann nicht vor sich gehen, ohne von Wärmeentwickelung begleitet zu sein; gleichgiltig, ob sie langsam oder rasch erfolgt, ob sie in höherer oder niederer Temperatur vor sich geht, stets bleibt die freigewordene Wärmemenge eine unveränderliche Grösse. Wenn wir uns denken, dass sich der Kohlenstoff der Speisen im Thierkörper in Kohlensäure verwandele, muss eben so viel Wärme entwickelt werden, als wenn er in der Luft oder im Sauerstoff direct verbrannt worden wäre; der einzige Unterschied ist der, dass die erzeugte Wärmemenge sich auf ungleiche Zeiten vertheilt. In reinem Sauerstoffgas geht die Verbrennung schneller vor sich, die Temperatur ist höher; in der Luft langsamer, die Temperatur ist niedriger, sie hält aber länger an.

Es ist klar, dass mit der Menge des in gleichen Zeiten durch den Athmungsprocess zugeführten Sauerstoffs die Anzahl der freigewordenen Wärmegrade zu- oder abnehmen muss. Thiere, welche rasch und schnell athmen, und demzufolge viel Sauerstoff verzehren, besitzen eine höhere Temperatur als andere, die in derselben Zeit, bei gleichem Volumen des zu erwärmenden Körpers, weniger in sich aufnehmen; ein Kind mehr (39°) als ein erwachsener Mensch (37,5°), ein Vogel mehr (40 bis 41°) als ein vierfüssiges Thier (37 bis 38°), als ein Fisch oder Amphibium, dessen Eigentemperatur sich 1½ bis 2° über das umgebende Medium erhebt. Alle Thiere sind warmblütig, allein nur bei denen, welche durch Lungen athmen, ist die Eigenwärme ganz unabhängig von der Temperatur der Umgebung.

Die zuverlässigsten Beobachtungen beweisen, dass in allen Klimaten, in der gemässigten Zone sowohl als am Aequator oder an den Polen, die Temperatur des Menschen so wie die aller sogenannten warmblütigen Thiere niemals wechselt; allein wie verschieden sind die Zustände, in denen sie leben!

Der Thierkörper ist ein erwärmter Körper, der sich zu seiner Umgebung verhält wie alle warme Körper; er empfängt Wärme, wenn die äussere Temperatur höher, er giebt Wärme ab, wenn sie niedriger ist als seine eigene Temperatur.

Wir wissen, dass die Schnelligkeit der Abkühlung eines warmen Körpers wächst mit der Differenz seiner eigenen Temperatur und der des Mediums, worin er sich befindet, d. h. je kälter die Umgebung ist, in desto kürzerer Zeit kühlt sich der warme Körper ab.

Wie ungleich ist aber der Wärmeverlust, den ein Mensch in Palermo erleidet, wo die äussere Temperatur beinahe gleich ist der Temperatur des Körpers, und der eines Menschen, der am Pole lebt, wo die Temperatur 40 bis 50° niedriger ist!

[221] Trotz diesem so höchst ungleichen Wärmeverlust zeigt die Erfahrung, dass das Blut des Polarländers keine niedrigere Temperatur besitzt als das des Südländers, der in einer so verschiedenen Umgebung lebt.

Diese Thatsache, ihrer wahren Bedeutung nach anerkannt, beweist, dass der Wärmeverlust in dem Thierkörper eben so schnell erneuert wird; im Winter erfolgt diese Erneuerung schneller als im Sommer, am Pole rascher wie am Aequator.

In verschiedenen Klimaten wechselt nun die Menge des durch die Respiration in den Körper tretenden Sauerstoffs nach der Temperatur der äusseren Luft; mit dem Wärmeverlust durch Abkühlung steigt die Menge des eingeathmeten Sauerstoffs; die zur Verbindung mit diesem Sauerstoff nöthige Menge Kohlenstoff oder Wasserstoff muss in einem ähnlichen Verhältnisse zunehmen. Es ist klar, dass der Wärmeersatz bewirkt wird durch die Wechselwirkung der Bestandtheile der Speisen, die sich mit dem eingeathmeten Sauerstoff verbinden. Um einen trivialen, aber deswegen nicht minder richtigen Vergleich anzuwenden, verhält sich in dieser Beziehung der Thierkörper wie ein Ofen, den wir mit Brennmaterial versehen. Gleichgültig, welche Formen die Speisen nach und nach im Körper annehmen, welche Veränderungen sie auch erleiden mögen, die letzte Veränderung, die sie erfahren können, ist eine Verwandlung ihres Kohlenstoffs in Kohlensäure, ihres Wasserstoffs in Wasser; der Stickstoff und der unverbrannte Kohlenstoff werden in dem Urin und den festen Excrementen abgeschieden. Um eine constante Temperatur im Ofen zu haben, müssen wir, je nachdem die äussere Temperatur wechselt, eine ungleiche Menge von Brennmaterial einschieben.

In Beziehung auf den Thierkörper sind die Speisen das Brennmaterial; bei gehörigem Sauerstoffzutritt erhalten wir die durch ihre Oxydation frei werdende Wärme. Im Winter, bei Bewegung in kalter Luft, wo die Menge des eingeathmeten Sauerstoffs zunimmt, wächst in dem nämlichen Verhältniss das Bedürfniss nach kohlen- und wasserstoffreichen Nahrungsmitteln, und in der Befriedigung dieses Bedürfnisses erhalten wir den wirksamsten Schutz gegen die grimmige Kälte.

Das aufgenommene Sauerstoffgas tritt im Sommer und Winter, in ähnlicher Weise verändert, wieder aus, wir athmen in niederer Temperatur mehr Kohlenstoff aus, als in höherer, und wir müssen in dem nämlichen Verhältniss mehr oder weniger Kohlenstoff in den Speisen geniessen, in Schweden mehr wie in Sicilien, in unseren Gegenden im Winter ein ganzes Achtel mehr als im Sommer. Selbst wenn wir dem Gewicht nach gleiche Quantitäten Speise in kalten und warmen Gegenden geniessen, so hat eine unendliche Weisheit die Einrichtung getroffen, dass diese Speisen höchst ungleich in ihrem Kohlenstoffgehalte sind. Die Früchte, welche der Südländer geniesst, enthalten im frischen Zustande nicht über 12 Procent Kohlenstoff, während der Speck und Thran des Polarländers 66 bis 80 Procent Kohlenstoff enthalten. Es ist keine schwere Aufgabe, sich in warmen Gegenden der Mässigkeit zu befleissigen, oder lange Zeit den Hunger unter dem Aequator zu ertragen, allein Kälte und Hunger reiben in kurzer Zeit den Körper auf.

[222] Ein Hungernder friert. Jedermann weiss, dass die Raubthiere der nördlichen Klimate an Gefrässigkeit weit denen der südlichen Gegenden voranstehen.

In der kalten und temperirten Zone treibt uns die Luft, die ohne Aufhören den Körper zu verzehren strebt, zur Arbeit und Anstrengung, um uns die Mittel zum Widerstande gegen ihre Einwirkung zu schaffen, während in heissen Klimaten die Anforderung zur Herbeischaffung von Speise bei weitem nicht so dringend sind.

Unsere Kleider sind in Beziehung auf die Temperatur des Körpers Aequivalente für die Speisen; je wärmer wir uns kleiden, desto mehr vermindert sich bis zu einem gewissen Grade das Bedürfniss zu essen, eben weil der Wärmeverlust, die Abkühlung und damit der Ersatz durch Speisen kleiner wird. Gingen wir nackt, wie die Indianer, oder wären wir beim Jagen und Fischen denselben Kältegraden ausgesetzt wie der Samojede, so würden wir ein halbes Kalb und noch obendrein ein Dutzend Talglichter bewältigen können, wie uns warmbekleidete Reisende mit Verwunderung erzählt haben; wir würden dieselbe Menge Branntwein oder Thran ohne Nachtheil geniessen können, eben weil ihr Kohlen- und Wasserstoffgehalt dazu dient, um ein Gleichgewicht mit der äusseren Temperatur hervorzubringen.

Die Menge der zu geniessenden Speisen richtet sich, nach den vorhergehenden Auseinandersetzungen, nach der Anzahl der Pulsschläge und Athemzüge, nach der Temperatur der Luft und nach dem Wärmequantum, das wir nach aussen hin abgeben. Keine isolirte entgegenstehende Thatsache kann die Wahrheit dieses Naturgesetzes ändern.

Die Abkühlung des Körpers, durch welche Ursache es auch sei, bedingt ein grösseres Maass von Speise. Der blosse Aufenthalt in freier Luft, gleichgültig ob im Reisewagen oder auf dem Verdeck von Schiffen, erhöht durch Strahlung und gesteigerte Verdunstung den Wärmeverlust, selbst ohne vermehrte Bewegung; er zwingt uns, mehr als gewöhnlich zu essen. Dasselbe muss für Personen gelten, welche gewohnt sind, grosse Quantitäten kaltes Wasser zu trinken, welches auf 37° erwärmt wieder abgeht; – es vermehrt den Appetit, und schwächliche Constitutionen müssen durch anhaltende Bewegung den zum Ersatz der verlorenen Wärme nöthigen Sauerstoff dem Körper hinzuführen. Starkes und anhaltendes Sprechen und Singen, das Schreien der Kinder, feuchte Luft, alles dies übt einen bestimmten nachweisbaren Einfluss auf die Menge der zu geniessenden Speise aus.

Der ungleiche Wärmeverlust im Sommer und Winter, in einem warmen oder kalten Klima, ist nicht die einzige der Bedingungen, welche ungleiche Masse von Nahrung nöthig machen; es giebt noch andere, welche einen ganz bestimmten Einfluss auf die Menge der zur Erhaltung der Gesundheit nothwendigen Speise ausüben.

Hierzu gehört namentlich die körperliche Bewegung und alle Art von körperlicher Arbeit und Anstrengung. Der Verbrauch an mechanischer Kraft durch den Körper ist immer gleich einem Verbrauch von Stoff in dem Körper, welcher durch die Speisen ersetzt werden muss. Dem Thiere muss, wenn es arbeitet, ein gewisses Quantum von Futter zugesetzt

[223] werden. Eine Steigerung der Arbeit und Anstrengung über eine gewisse Grenze hinaus, ohne eine entsprechende Vermehrung der Nahrung, ist auf die Dauer hin nicht möglich; die Gesundheit des Thieres wird dadurch gefährdet.

Der Verbrauch an Körpertheilchen oder der Kraftverbrauch steht aber immer in einem gewissen Verhältniss zu dem Sauerstoffverbrauch im Athmungsprocess, und die Menge des in einer gegebenen Zeit in den Körper aufgenommenen Sauerstoffs bestimmt in allen Jahreszeiten und in allen Klimaten der Welt das zur Wiederherstellung des Gleichgewichts nöthige Maass der Speisen.

Während der Arbeiter bei gleichem Kraft- und Sauerstoffverbrauch im Winter dem Wärmeverlust durch wärmende Kleidung (schlechte Wärmeleiter) vorbeugen muss, arbeitet er im Sommer in Schweiss gebadet. Ist die Menge der genossenen Nahrung und des aufgenommenen Sauerstoffs gleich, so ist auch die Menge der entwickelten Wärme gleich.

Der ganze Respirationsprocess erscheint in völliger Klarheit, wenn wir den Zustand eines Menschen oder Thieres bei Enthaltung von aller Speise in’s Auge fassen. Die Athembewegungen bleiben ungeändert, es wird nach wie vor Sauerstoff aus der Atmosphäre aufgenommen und Kohlensäure und Wasserdampf ausgeathmet. Wir wissen mit unzweifelhafter Bestimmtheit, woher der Kohlen- und Wasserstoff stammt, denn mit der Dauer des Hungers sehen wir den Kohlen- und Wasserstoff des Körpers sich vermindern.

Die erste Wirkung des Hungers ist ein Verschwinden des Fettes; dieses Fett ist weder in den sparsamen Fäces, noch im Urin nachweisbar, sein Kohlen- und Wasserstoff sind durch Haut und Lunge in der Form einer Sauerstoffverbindung ausgetreten; es ist klar, diese Bestandtheile haben zur Respiration gedient.

Jeden Tag treten 65 Loth Sauerstoff ein, und nehmen beim Austreten einen Theil von dem Körper des Hungernden mit. Currie sah einen Kranken, der nicht schlingen konnte, während eines Monats über 100 Pfund an seinem Gewichte verlieren, und ein fettes Schwein, das durch einen Bergsturz verschüttet wurde, lebte 160 Tage ohne Nahrung und hatte über 120 Pfund am Gewichte verloren. (Martell in den Transactions of the Linnean Soc. Vol. XI. p. 411.)

Das Verhalten der Winterschläfer, so wie die periodenweise Ansammlung von Fett bei anderen Thieren, von Fett, das in anderen Perioden ihres Lebens verschwindet, ohne eine Spur zu hinterlassen, alle diese wohlbekannten Thatsachen beweisen, dass der Sauerstoff in dem Respirationsprocess eine Auswahl unter den Stoffen trifft, die sich zu einer Verbindung mit ihm eignen. Der Sauerstoff verbindet sich mit denjenigen Stoffen zuerst und vorzugsweise, welche die grösste Anziehung zu demselben haben.

Bei Hungernden verschwindet aber nicht allein das Fett, sondern nach und nach alle der Löslichkeit fähigen festen Stoffe. In dem völlig abgezehrten Körper der Verhungerten sind die Muskeln dünn und mürbe, der Contractilität beraubt; alle Theile des Körpers, welche der Auflösung fähig waren, haben dazu gedient, um den Rest der Gebilde vor der Alles zerstörenden Wirkung der Atmosphäre zu schützen; zuletzt

[224] nehmen die Bestandtheile des Gehirns Antheil an diesem Oxydationsprocess, es erfolgt Wahnsinn, Irrreden und der Tod, das heisst, aller Widerstand hört völlig auf, es tritt der chemische Process der Verwesung ein, alle Theile des Körpers verbinden sich mit dem Sauerstoff der Luft.

Die Zeit, in welcher ein Verhungernder stirbt, richtet sich nach dem Zustand der Fettleibigkeit, nach dem Zustand der Bewegung (Anstrengung und Arbeit), nach der Temperatur der Luft, und ist zuletzt abhängig von der Gegenwart oder Abwesenheit des Wassers. Durch die Haut und Lunge verdunstet eine gewisse Menge Wasser, durch deren Austreten, als der Bedingung aller Vermittelung von Bewegungen, der Tod beschleunigt wird. Es giebt Fälle, wo bei ungeschmälertem Wassergenuss der Tod erst nach 20, in einem Falle erst nach 60 Tagen erfolgte.

In den meisten chronischen Krankheiten erfolgt der Tod durch die nämliche Ursache: durch die Einwirkung der Atmosphäre. Wenn die Stoffe fehlen, welche in dem Organismus zur Unterhaltung des Respirationsprocesses bestimmt sind, wenn die Organe des Kranken ihre Function versagen, wenn sie die Fähigkeit verlieren, zu ihrem eigenen Schutz die genossenen Speisen in den Zustand zu versetzen, in dem sich ihre Bestandtheile mit dem Sauerstoff der Luft zu verbinden vermögen, so wird ihre eigene Substanz, das Fett, das Gehirn, die Substanz der Muskeln und Nerven dazu verwendet. Die von aussen wirkende Ursache des Todes ist in diesen Fällen der Respirationsprocess, die Einwirkung der Atmosphäre. Mangel an Nahrung, an Fähigkeit, sie zu Bestandtheilen des Organismus zu machen, ist Mangel an Widerstand; es ist die negative Ursache des Aufhörens der Lebensthätigkeit. Die Flamme geht aus, weil das Oel verzehrt ist: es ist der Sauerstoff der Luft, der es verzehrt hat.

In manchen Krankheitszuständen erzeugen sich Stoffe, die zur Assimilation nicht verwendbar sind; durch blosse Enthaltung von Speisen werden sie aus dem Körper entfernt, sie verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, indem ihre Bestandtheile mit dem Sauerstoff der Luft in Verbindung treten. Von dem Augenblick an, wo die Function der Haut oder Lunge eine Störung erleidet, erscheinen kohlenstoffreichere Stoffe im Urin, der seine gewöhnliche Farbe in braun umändert.

Sehr viele, vielleicht die Mehrzahl aller chronischen Krankheiten der Menschen sind bedingt durch ein Missverhältniss oder ein gestörtes Verhältniss der Verrichtungen der Verdauungs- und Excretionsorgane in ihren Beziehungen zu der Lunge. Wenn wir den trivialen Vergleich mit dem Ofen festhalten, so weiss Jedermann, dass die Anhäufung von Russ in dem Schornstein, oder die Ueberladung des Heerdes mit Brennmaterial die Functionen des Feuerheerdes unterbricht, dass diese eine Verstopfung des Rostes bewirken, durch welchen die Luft Zutritt zu dem Feuerraume hat.

In der so unendlich vollkommenen Maschine, welche der thierische Organismus darstellt, besteht zwischen der Lunge, dem Darmkanal und den Nieren ein vollkommen gleiches Verhältniss der Abhängigkeit.

Einsichtsvolle und erfahrene Aerzte haben längst erkannt, dass die Nieren und der Mastdarm die Regulatoren des Athmungsprocesses sind. Der Mastdarm ist ein Organ der Secretion, er ist der Rauchfang des

[225] Organismus, die stinkenden Bestandtheile der Fäces sind der durch den Mastdarm von dem Blute abgesonderte Russ, der Harn enthält die in Wasser, alkalischen oder sauren Flüssigkeiten löslichen Bestandtheile des Rauches. Die Ansicht, dass die Fäces aus Stoffen bestehen, die sich in Fäulniss befinden, und dass sie ihren Geruch diesem Zustande verdanken, ist vollkommen irrig; hierüber angestellte Versuche beweisen, dass die Fäces der Kuh, des Pferdes, des Schafes und die von gesunden Menschen sich nicht in Fäulniss befinden; kein faulender Stoff besitzt einen diesen Ausleerungen ähnlichen Geruch und alle diese Riechstoffe lassen sich in ihrer ganzen ekelerregenden Eigenthümlichkeit künstlich durch Oxydationsprocesse aus Albumin, Fibrin etc. hervorbringen. Der Pferde- und Kuhharn enthält zuletzt eine Substanz in beträchtlicher Menge, welche durch Einwirkung von Säuren einen pechartigen, dem Theer in seiner äusseren Beschaffenheit ganz gleichen Körper und als bemerkenswerthestes Product den Hauptbestandtheil des gewöhnlichen Holztheers und Kreosots, Carbolsäure oder Phenylhydrat liefert.

Durch das gleichzeitige und harmonische Zusammenwirken der Hauptorgane der Secretion wird das Blut in der zu dem Ernährungsprocess geeigneten Mischung und Reinheit erhalten; das Vielessen, welches in allen Gegenden der Erde mit Neigung geübt wird, ist einer Ueberladung des Heerdes mit Brennmaterial gleich; in dem Körper vollkommen gesunder Individuen bringt ein kleiner Ueberschuss von Stoffen, welche von dem Magen aus in die Blutcirculation gelangen, demohngeachtet keine Störung in den Lebensfunctionen hervor, weil der Theil derselben, welchen in einer gegebenen Zeit der Athmungsprocess nicht verbraucht, mehr oder weniger verändert durch den Mastdarm oder die Nieren aus dem Körper entfernt wird. Der Mastdarm und die Nieren unterstützen sich in dieser Verrichtung gegenseitig. Wenn in Folge der Ueberladung des Blutes und damit eines Mangels an Sauerstoff der Harn durch ein Uebermass von unverbrannten organischen Stoffen dunkel gefärbt und (durch Harnsäure) trübe wird, so ist dies häufig ein Merkzeichen der mangelnden Thätigkeit des Mastdarms, und in diesem Fall stellt in der Regel ein einfaches Purgirmittel, durch dessen Wirkung die unvollkommen oxydirten Stoffe aus dem Blute entfernt werden, das gestörte Verhältniss zum eingeathmeten Sauerstoff wieder her, der Harn erlangt seine gewöhnliche Durchsichtigkeit und Farbe wieder. (Prout.)

Die Lunge ist an sich ein passives Organ; der in derselben vorgehende Hauptprocess wird nicht wie in den Drüsen und Secretionsorganen durch eine innere, sondern durch eine äussere Ursache bedingt, in ihr selbst fehlt die mächtige Thätigkeit, welche in anderen Organen äusseren Störungen entgegenwirkt und sie aufhebt. Das blosse Einathmen von Staub (von organischen oder unorganischen festen Theilen) bedingt organische Absätze in dem Gewebe der Lunge, welche in ganz gleicher Weise durch innere Ursachen sich erzeugen. Rauch und Russ häufen sich in der Lunge oder den Geweben in der Form abnormer Gebilde an in allen Fällen, wo die normalen Verrichtungen des Darms und der Nieren durch Krankheitsursachen gehemmt oder unterdrückt sind.

Zwischen der Lunge und Leber beobachten wir ein ganz ähnliches Verhältniss der Abhängigkeit. In den niederen Thieren wie im Fötus

[226] steht die Grösse der Leber im umgekehrten Verhältniss zu den unentwickelten oder unvollkommen entwickelten Respirationsorganen, und auch in den höheren Thierclassen entspricht in der Regel in gesunden Individuen eine kleine Lunge einer grossen Leber (Tiedemann). In grobem Umrisse gezeichnet ist die Leber das Magazin für die zur Respiration dienenden Stoffe, es ist die Werkstätte, in welcher dieselben die für die Wärmeerzeugung geeignete Form und Beschaffenheit erhalten. Die Leber ist klein bei stärker entwickelter Lunge; je rascher und vollkommener der Brennstoff verbraucht wird, desto weniger häuft sich im Magazin davon an, und dessen Umfang steht mit der Schnelligkeit des Verbrauchs in der bestimmtesten Beziehung.

Die Respiration ist das fallende Gewicht, die gespannte Feder, welche das Uhrwerk in Bewegung erhält, die Athmenzüge sind die Pendelschläge, die es reguliren. Wir kennen bei unseren gewöhnlichen Uhren mit mathematischer Schärfe die Aenderungen, welche durch die Länge des Pendels[1] oder durch äussere Temperatur ausgeübt werden auf ihren regelmässigen Gang; allein nur von Wenigen ist in seiner Klarheit der Einfluss erkannt, den die Luft und Temperatur auf den Gesundheitszustand des menschlichen Körpers ausüben, und doch ist die Ausmittelung der Bedingungen, um ihn im normalen Zustand zu erhalten, nicht schwieriger als bei einer gewöhnlichen Uhr.

  1. WS: korrigiert, im Original: Psendels