Critik der reinen Vernunft (1781)/Des dritten Hauptstücks Dritter Abschnitt. Von den Beweisgründen der speculativen Vernunft, auf das Daseyn eines höchsten Wesens zu schliessen.
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Wenn etwas, was es auch sey, existirt, so muß auch eingeräumt werden, daß irgend etwas nothwendigerweise existire. Denn das Zufällige existirt nur unter der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache und von dieser gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und eben darum ohne Bedingung nothwendigerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen gründet.
| Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte Nothwendigkeit, schicke, nicht so wol, um alsdenn von dem Begriffe desselben a priori auf sein Daseyn zu schliessen (denn getrauete sie sich dieses, so dürfte sie überhaupt nur unter blossen Begriffen forschen und hätte nicht nöthig, ein gegebenes Daseyn zum Grunde zu legen), sondern nur um unter allen Begriffen möglicher Dinge denienigen zu finden, der nichts der absoluten Nothwendigkeit widerstreitendes in sich hat. Denn, daß doch irgend etwas schlechthin nothwendig existiren müsse, hält sie nach dem ersteren Schlusse schon vor ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kan, was sich mit dieser Nothwendigkeit nicht verträgt, ausser einem, so ist dieses das schlechthinnothwendige Wesen, man mag nun die Nothwendigkeit desselben begreiffen, d. i. aus seinem Begriffe allein ableiten können, oder nicht.Der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität würde sich also unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Wesens am besten schicken und, wenn er diesem auch nicht völlig gnug thut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen uns genöthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines nothwendigen Wesens nicht in den Wind schlagen dürfen; geben wir sie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Möglichkeit nichts finden können, was auf einen solchen Vorzug im Daseyn einen gegründetern Anspruch machen könte.
So ist also der natürliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen. Zuerst überzeugt sie sich vom Daseyn irgend eines nothwendigen Wesens. In diesem erkennet sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung und findet| ihn in dem, was selbst die zureichende Bedingung zu allem anderen ist, d. i. in demienigen, was alle Realität enthält. Das All aber ohne Schranken ist absolute Einheit und führt den Begriff eines einigen, nemlich des höchsten Wesens bey sich und so schließt sie, daß das höchste Wesen, als Urgrund aller Dinge, schlechthin nothwendiger Weise da sey.Diesem Begriffe kan eine gewisse Gründlichkeit nicht gestritten werden, wenn von Entschliessungen die Rede ist, nemlich, wenn einmal das Daseyn irgend eines nothwendigen Wesens zugegeben wird und man darin übereinkomt, daß man seine Parthey ergreiffen müsse, worin man dasselbe setzen wolle; denn alsdenn kan man nicht schicklicher wählen, oder man hat vielmehr keine Wahl, sondern ist genöthigt, der absoluten Einheit der vollständigen Realität, als dem Urquelle der Möglichkeit, seine Stimme zu geben. Wenn uns aber nichts treibt, uns zu entschliessen und wir lieber diese ganze Sache dahin gestellet seyn liessen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweisgründe zum Beifalle gezwungen würden, d. i. wenn es blos um Beurtheilung zu thun ist, wie viel wir von dieser Aufgabe wissen und was wir uns nur zu wissen schmeicheln: dann erscheint obiger Schluß bey weitem nicht in so vortheilhafter Gestalt und bedarf Gunst, um den Mangel seiner Rechtsansprüche zu ersetzen.
Denn, wenn wir alles so gut seyn lassen, wie es hier vor uns liegt, daß nemlich erstlich von irgend einer| gegebenen Existenz (allenfals auch blos meiner eigenen) ein richtiger Schluß auf die Existenz eines unbedingtnothwendigen Wesens statt finde, zweitens: daß ich ein Wesen, welches alle Realität, mithin auch alle Bedingung enthält, als schlechthin unbedingt ansehen müsse, folglich der Begriff des Dinges, welches sich zur absoluten Nothwendigkeit schickt, hiedurch gefunden sey: so kan daraus doch gar nicht geschlossen werden, daß der Begriff eines eingeschränkten Wesens, das nicht die höchste Realität hat, darum der absoluten Nothwendigkeit widerspreche. Denn, ob ich gleich in seinem Begriffe nicht das Unbedingte antreffe, was das All der Bedingungen schon bey sich führt, so kan daraus doch gar nicht gefolgert werden, daß sein Daseyn eben darum bedingt seyn müsse; so wie ich in einem hypothetischen Vernunftschlusse nicht sagen kan: wo eine gewisse Bedingung (nemlich hier der Vollständigkeit nach Begriffen) nicht ist, da ist auch das Bedingte nicht. Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle übrige eingeschränkte Wesen eben so wol vor unbedingt nothwendig gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Nothwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht schliessen können. Auf diese Weise aber hätte dieses Argument uns nicht den mindesten Begriff von Eigenschaften eines nothwendigen Wesens verschaft und überall gar nichts geleistet.Ich werde darthun: daß die Vernunft, auf dem einen Wege (dem empirischen) so wenig als auf dem anderen, (dem transscendentalen) etwas ausrichte und daß sie vergeblich ihre Flügel ausspanne, um über die Sinnenwelt durch die blosse Macht der Speculation hinaus zu kommen. Was aber die Ordnung betrift, in welcher diese Beweisarten der Prüfung vorgelegt werden müssen, so wird sie gerade die umgekehrte von derienigen seyn, welche die sich nach und nach erweiternde Vernunft nimt und in der wir sie auch zuerst gestellt haben. Denn es wird sich zeigen: daß, obgleich Erfahrung den ersten Anlaß dazu giebt, dennoch blos der transscendentale Begriff die Vernunft in dieser ihrer Bestrebung leite und in allen solchen Versuchen das Ziel ausstecke, das sie sich vorgesezt hat. Ich werde also von der Prüfung des transscendentalen Beweises anfangen und nachher sehen, was der Zusatz des Empirischen zur Vergrösserung seiner Beweiskraft thun könne.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Günge
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