Zum Inhalt springen

Das Ausfeuern und Graben auf Dachsbauen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolph Müller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Ausfeuern und Graben auf Dachsbauen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 684–687
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 24
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[684]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 24. Das Ausfeuern und Graben auf Dachsbauen.
Von Adolph Müller.


Still, rein und klar ist die Luft. Der Wald hat sein herbstlich Kleid angethan und in den Gärten beugen sich von Obst die Bäume. Hierher, bis in die Obstgärten der Dörfer, geht allnächtlich der mystische Gnome der Wälder, unser Dachs, einen „Paß“, zur Weide, von deren überreichem Segen der Nachtwandler unter der Last seines von Fett strotzenden Wanstes wahrhaft keucht. Hier auf dem Rasen des Raines und der nahen Wiesen hat er „gestochen“, aber die trichterförmigen Löcher im Rasen, auf der Wiese und im Acker sind nicht das Werk seiner bohrenden Schnauze, der das Jägerlatein der Nimrode jenes Stechen andichtet, sondern die Eindrücke der langen, derben Nägel an den Vorderbranken, womit unser Schatzgräber die fetten Bissen der „Erdmast“, die Würmer und Insectenlarven, geschickt hervorholt. Gebraucht er, wie nicht selten, bei seinem Wühlgeschäfte die Nase, so geschieht es nur, um sich dieser, als seines untrüglichsten Organes, zu bedienen, das ihm die Gänge der Larven entdeckt. Hier „spürt sich“ das Thier auch in seiner breiten Spur der Branken, an denen die Zehen mit den langen, scharfen, übergreifenden Nägeln fast in einer Linie sich eindrücken, denn der Dachs ist ein sogen. Sohlengänger, der nicht blos mit den Zehen, wie das Geschlecht der Hunde, Katzen und Wiesel, sondern entschieden mit der ganzen Sohle auftritt. Trotz dieser deutlichen Zeichensprache, die das Thier schon mittels seines Ganges, ja seiner Spur dem Kundigen spricht, hat man den Kurzschwänzigen im System der Thierkunde neuerdings mancherseits aus der Familie der Bären in die Gesellschaft der langbeschwänzten, geschmeidigen Wiesel und Marder verwiesen, so daß man hier mit Recht fragen kann: wie kommt Saul unter die Propheten? Aber lassen wir das System und suchen wir dem Thiere in seinem innersten Versteck der Waldeinsamkeit näher zu kommen. Und zu seiner lebendigen Kenntniß führt uns Jagd und aufmerksame Beobachtung im Walde am sichersten und unterhaltendsten.

Die Einleitung zu der Jagdart auf den Dachs, welche wir schildern wollen, bildet gewöhnlich die Untersuchung der Dachsbaue. Der Jäger überzeugt sich vorher davon, ob der Bau „gangbar“ und frisch „ausgeführt“ ist, d. h. ob die Röhren (Ausgänge) desselben vielfach die Spuren vom Aus- und Einkriechen des Dachses, sowie den hügeligen Aufraum von Erde zeigen, welchen er bei der Ausbesserung und neuen Anlage eines Baues vor den Röhren mit den Läufen und dem Hintertheile seines Körpers herausschiebt.

Wir sind auf dem Gange nach einem Bau, ihn abzuspüren. Tief in einem einsamen Waldwinkel zunächst eines Außenfeldes verräth sich die Stelle schon von Weitem durch das Gesträuch der Faul-, Mehl-, Hollunder- und Vogelbeeren, die sich hier, der „Losung“ des Thieres nach und nach entkeimt, angesiedelt haben. Jetzt überschreiten wir einen von Erlen düster beschatteten Bach und vor uns liegt der Bau, die gewaltige Feste unseres Kobolds.[1] – Richtig, er ist stark gangbar! Das zeigt uns schon das „Pfädchen“ oder der „Steig“, der abseit in schmaler, muldenförmiger Rinne von den Hauptröhren aus dem Walde zum Felde zieht. Näher herangetreten, gewahren wir mit freudigem Herzschlage, daß mehrere Röhren neu ausgeführt und sichtlich „befahren „sind. Ueberall glatt und verrutscht, sprechen sie dem Eingeweihten die deutliche Sprache, daß der Bau mehrfach gangbar und sogar bereits „eingemoost“ ist, d. h. daß Meister Grimmbart in der tiefsten und geräumigsten Stelle, dem „Kessel“, vorsorglich sein Winterlager von Moos, Laub und Farrenkräutern bereitet hat. Ja, da drunten steckt der Schläfer, der, ohne gerade wie das Murmelthier, unsere Haselmäuse und manche andere Nagerarten in Erstarrungsschlaf zu versinken, dennoch, je mehr nach dem Winter hin, desto anhaltender manchen Tag und manche Nacht verschläft. Mit dem Kopfe unter dem Bauche zwischen den Vorderläufen und dem vorgezogenen Hintertheile liegt er auf der Stirne und halb sitzend, um sein liebes, fettes Ich zusammengerollt, drei Viertel seines Lebens verträumend, unbekümmert um das Treiben, Jagen und Kämpfen der Oberwelt, ein Bild der Sorglosigkeit und des faulen Stillstandes. Es fällt ihm aber nicht ein, die Schnauze in seine Aftertasche („Saug- und Fettloch“) zu stecken, um, nach der Fabel der Nimrode, daraus sein eigenes Fett zu saugen. Er schläft einen seiner Natur angemessenen, freilich langen, aber nichtsdestoweniger leisen und unterbrochenen Schlaf, dem er aber jetzt, nämlich im October, mitten in seiner Fettzeit und Glanzperiode, am wenigsten huldigt: denn er geht dem erregtesten Abschnitte seines Lebens, der Rollzeit oder Brunst, entgegen, die selbst seine Behäbigkeit allnächtlich und sogar am lichten Tage aus der unterirdischen Behausung nach der seither einsiedlerisch gemiedenen Dulcinea „Fee“ oder „Fäh“ treibt und drängt. Auf diese Lebendigkeit im Monat October und nicht auf den alten Glauben der oberflächlich beobachtenden Jäger, daß dieselbe im Monate December, gerade zur Schlafzeit unseres Thieres, erwache, gründet sich unsere Nachtjagd auf den Dachs. Der Anblick der befahrenen Röhren, sowie des ausgetretenen Pfädchens zeigt uns deutlich, daß er jetzt noch regelmäßig allabendlich um der lieben Körperpflege willen Triften, Felder und Gärten nach Wildbirnen und Zwetschen durchstreift, nicht minder aber auch in Weingegenden den süßen Trauben in einer empfindlichen Weise nachgeht, daß er, bis zum Bersten gemästet, vor Kraft und Saft strotzt und vor der Fee die Reize seiner glänzenden, hochzeitlichen „Schwarte“ (Fell) entfalten kann. Das Alles, sowie die Gewißheit, daß mehrere Dachse aus verschiedenen Steigen nach dem Felde zur Erd- und Obstmast wechseln, wird uns bei Untersuchung der Hauptröhren des Baues klar. Wir merken uns diese Ausgänge wohl und schreiten nun zu einer wichtigen Jägermaßregel, dem „Zeichnen“ des Baues. Mehrere Binsen oder starke, lange Grashalme werden zu dem Ende geschnitten oder dünne, lange Reiser gewählt, um sie kreuzweise in die Ausgänge der Baue zu stellen. An diesen Zeichen erkennen wir Abends sogleich ob der Dachs „ausgegangen“ ist. Befriedigt und mit großen Erwartungen für die kommende Nacht ziehen wir heimwärts.

Die Mitternachtstunde naht. Eine Rotte Hinterwäldner, geführt von einem im Dienste Diana’s gewetterten Jagdbruder, dem „Jagdpeter“, harrt des Aufbruchs, der nun erfolgt. Still „zieht“ die Schaar, mit Aexten, Hacken, Schippen und Schaufeln auf dem Rücken, das gewiegte „Koppel“ zweier Heldenhunde, „Waldmann“ und „Waldine“, an der Leine, wir selbst, die Flinten über der Schulter, an der Spitze, „zu Holz“. Der Mond steht hoch und kein Lüftchen regt sich. In den Wiesen lagert der Nebel in grauweißen

[685]

Beim Ausgraben des Dachses.
Originalzeichnung von Ludwig Beckmann in Düsseldorf.

[686] Streifen und über den Stoppeln glänzt der Thau an den Erdspinnengeweben, ein silberner Spiegel der Herbstnacht. In einem Bogen erreichen wir den Wald. Lautlos tritt der Zug in seinen düsteren Dämmer, auf einen Holzweg geräuschlos lenkend. Kein Laut trifft das Ohr, als der Hall unserer Tritte oder zuweilen das Geraschel thaubeschwerten fallenden Laubes oder reifer Eicheln. Tiefer und tiefer schlängelt sich der Pfad in den Wald. Nun wird’s plötzlich heller, vor uns liegt ein ausgehauener Niederwaldschlag. Wie feenhaft heben sich die weißen Birken von dem dunklen Hintergrunde eines Fichtenortes ab und wie magisch empfängt uns die Mondhelle inmitten der Waldnacht! Doch fort geht es auf einem Seitenweg mitten durch den Schlag, der uns plötzlich in die doppelte Nacht des Schwarzwaldes bringt. Ein leiser Schauer überkommt hier selbst den beherztesten Waidmann: denn diese schwarzen, dumpfen Hallen erzeugen eine zweite, tiefere Nacht und selbst den Hall unserer Tritte verschluckt die schwellende Moosdecke unter uns. Hier und da durchbricht ein Strahl des Mondes die schwarze Decke droben, den Pfad vor uns nothdürftig beleuchtend und die Matronen Edeltannen und Fichten mit ihrer langen, die Erde berührenden Gewandung von Flechten, Gezweig und Aesten als geheimnißvolle Riesengestalten vor unsere erregte Phantasie zaubernd. Eben schlägt’s Eins und wir überschreiten den Erlenbach, der uns die Nähe des Dachsbaues kündet. Mit pochendem Herzen und voller Erwartung nähern wir uns demselben. Das Licht der Laterne trifft die erste Röhre. „Waidmannsheil!“ hebt es still in uns an, die Zeichen liegen nach außen, ein Dachs ist ausgegangen. Behutsam und still wird eine zweite, eine dritte beleuchtet – derselbe Anblick, die Zeichen liegen vor den Ausgängen.

Das freudige Ereigniß bricht den Bann, in welchem Erwartung und Spannung uns gehalten, und Zungen und Glieder sind sofort in Bewegung. Das am Morgen schon gesammelte Holz flackert wie durch einen Zauber in lustigen Flammen empor, und flugs ist die alte Feste Grimmbart’s erleuchtet wie am hellen Tage. Die Pfeife wird gezündet und die entstehende Asche des Feuers nimmt bald die mitgenommenen Kartoffeln zum Braten auf, deren Kost mit einem Schluck aus der Flasche doppelt mundet in der innersten Waldnatur hoch auf den Bergen. Jetzt dämmert der Morgen heran und gemahnt uns, mit dem alten Jagdpeter zum Abspüren der umliegenden Nothbaue aufzubrechen. Einer der Rotte bleibt auf dem Bau, um durch seine lärmende Gegenwart das Einfahren irgend eines alten Dachsprakticus, der sich abseit gedrückt haben könnte und auf den Wegzug der Störenfriede harrt, zu verhindern und um ihn endlich hierdurch noch zu veranlassen, in einer Nothröthe „sich zu stecken“. Mehrere derselben sind bereits mit den Dächseln durchspürt; aber auf keinem der „Sommerbaue“ hat sich ein Dachs gesteckt. Plötzlich erschallt von einer Kuppe Jagdpeter’s „Hupp!“ Wir kennen die Bedeutung dieses Waldrufes wohl, und gegenseitig uns durch Rufe leitend, sind wir alsbald um Peter den Langen versammelt, der, in orakelhafter Miene auf einem Felsstück stehend, uns erwartet. Wir harren erwartungsvoll seines Spruches. Statt dessen weist er uns stumm eine feuchte Stelle vor dem Gerölle. Hier spürt sich ein ungemein starker Dachs neben einigen schwächeren. Nun führt uns Peter an eine Röhre hart an einem Felsblocke. Richtig! im feuchten Ausgang spürt sich ganz frisch der starke Dachs: er ist heute Morgen eingefahren.

Wir befragen die Hieroglyphenschrift in Peter’s Gesicht, das uns mit verschmitztem Lächeln die Ruine seines Mundes, den einzigen Vorderzahn, zeigt und die lakonische Antwort ertheilt: „Das Vergißmeinnicht steckt.“ Wir wollen dem geneigten Leser die tiefbedeutsamen Orakelworte Peter’s verdolmetschen. Ein sehr alter, starker „Dachsrüde“ (Männchen) hatte voriges Jahr unserm Alten auf einer Nachtjagd in dem Augenblicke, als er ihm mit der „Dachsgabel“ an das Leben wollte, empfindlich durch die Hosen „geschlagen“ (gebissen) und war dem alten Waldmanne, der in Folge des heftigen Angriffs von Meister Grimmbart in’s Wanken kam, entwischt und zum großen Aerger Peter’s auch obendrein noch in eine unverkeilt gebliebene Röhre des nahen Baues zum Nimmerwiedersehen eingefahren. Zur Erinnerung an den Schlag des Dachses nannte er den Entkommen „das Vergißmeinnicht“.

Als eine flinke Schlieferin und Plänklerin wird nun Waldine gelöst. Flugs ist sie eingeschlüpft und „giebt“ alsbald an einer Stelle zwischen einem Felsblocke und einem Buchenstamme „laut aus“. Da die Jagd auf einer Stelle bleibt, so wird zum „Einschlagen“ zwischen dem Felsen und dem Orte, woher der Laut Waldinens dringt, geschritten. Hacke, Schippe und Schaufel der rüstigen Waldleute fördern bald einen Einschlag von sechs Fuß Länge und vier Fuß Breite zur Tiefe. Immer vernehmlicher dringt der Laut Waldinens herauf. Endlich wird unter der Hacke der Boden besonders fest und trocken, ein Zeichen, daß wir nahe auf einer Röhre sind. Rasch ist Peter im Einschlag und ebenso schnell hat er die Röhre durch einige behutsam geführte Hiebe mit der Hacke bloßgelegt. Sein scharfes Gehör hatte ihn nicht getäuscht: denn gerade hinter Waldine geht der Einschlag hinab. In dem Augenblick aber, als die erste Lücke in der Röhre entsteht, „überrollt“ der Dachs das Hündchen, das heulend zurückweicht und Meister Grimmbart Gelegenheit läßt, durch eine Seitenröhre in die Hauptröhre zu fahren. Behende nimmt jetzt Peter die hart geschlagene Waldine aus der Röhre und „verreisert“ dieselbe, indem er sie mit Schutt und einer Holzwelle verstopft.

Nun kommt die Reihe an Waldmann, den Dachs „festzumachen“. Wohl steht der alte Kämpe an der Leine bereit zu Thaten. In Geduld vernahm er seither das Treiben unter der Erde; nun bekundet die Geberdensprache seiner Ruthe, daß der Augenblick gekommen ist, wo auch er ein Wort mit drein zu sprechen habe. Mit einem selbstbewußten: „Nun d’ran Waldmann! krieg’ Dein Dächschen!“ löst Peter den Dächsel. Dieser, ein väterlicherseits von einem Pommer abstammender Dachshund, prüft nun in der eigenthümlichen Art seiner Spitzpommer-Ahnen ein Weilchen bedächtig und ernst den Ausgang der Hauptröhre gegenüber der Buche. Aber nicht lange, so ist der derbe Rumpf mit der „Kringelruthe“ in der Erde verschwunden. Eine Pause tiefer Stille und hoher Erwartung tritt ein. Waldpeter liegt seine sieben Fuß Länge bereits am Boden auf einem Ohre. Jetzt hebt er die Hand mit ausgerecktem Zeigefinger, das Zeichen, daß er Etwas im Bau vernommen. Gleich darauf dringt auch zu uns am Boden Horchenden der Laut Waldmann’s. Aber noch geht die Jagd unter dumpfem Gepolter hin und her im Baue, denn bald lauter, bald schwächer, jetzt mehr zu Tag, dann mehr in der Tiefe ertönt die Kunde des Hundes. Plötzlich richtet sich Peter auf, seiner Rotte das Lärmsignal gebend. Die Arbeiter ergreifen Hacken und lange Prügel, um damit tüchtig auf den Boden zu schlagen und den Dachs in den Kessel oder einen Winkel des Baues zu treiben. Im Nu erdröhnt die Dachsfeste von den Schlägen der Rotte. Die Wirkung dieser Maßregel ist alsbald auch an dem Lautausgeben Meister Waldmann’s bemerkbar, indem die Jagd immer tiefer in die Erde geht und endlich unter dem Wurzelstock der Buche anhält. Wir vergewissern uns alsbald am Eingang der Hauptröhre, daß der Hund nunmehr in dem vermuthlichen Kessel oder einer Sackröhre unter der Buche fest „vorliegt“. Rüstig geht’s nun an einen zweiten Einschlag, der aber zur Sicherheit, daß eine der zum Kessel führenden Röhren, die eben verreiserte oder die Hauptröhre, von ihm getroffen werde, ziemlich lang und nicht weit von der Buche hinab geführt wird. Die Werkzeuge fördern bald hinab, und in weniger als einer Viertelstunde setzt uns der letzte Schippenstich mit der Unterwelt in Verbindung. Wir haben die Hauptröhre getroffen und den in der Ecke Brummenden und Trommelnden vom Bau gänzlich abgeschnitten. Keine zwei Schritte von der Oeffnung des Einschlags liegt der Hund vor. Unter dem Toben der Jagd hören wir denselben tapfer laut ausgeben, zuweilen aber auch sich beklagen über einen Schlag oder eine Ohrfeige des erbosten Kobolds. Doch mitten in dem bewegten Treiben unter der Erde kommt plötzlich in dem Ausgange der Hauptröhre ganz verstohlen die weiße Blässe eines sichernden Dachses zum Vorschein. Einer von uns aber hat sich über der Röhre schußfertig angestellt und erlegt den Dachs eben, als er aus der Röhre herausfahren will. Inzwischen hat Waldpeter den braven Waldmann bei seinem Rückzuge vor einem wüthenden Angriff von dem gefährlichen und nunmehr nutzlosen Kampf im Kessel an den Läufen glücklich heraus in’s Freie gezogen und den widerstrebenden Helden den Arbeitern übergeben.

Fast folgt nun das aufgeregte Jägergemüth dem heimlichen Zuge einer barbarischen Gewohnheit der Nimrode, den festgemachten Dachs mittelst des Dachshakens oder der Dachszange aus seinem Winkel hervorzuziehen, ihn auch wohl lebendig in eine „Dachshaube“ (Sack) zu treiben, um den Armen daheim in einem Hofe oder einer Scheune einer Hundehatze preiszugeben; – doch das Gefühl der Menschlichkeit ist größer und behauptet in uns sein Recht. Schnell fällt das letzte Bollwerk der Ueberkommenheit [687] roher Jägerei in unserem Inneren vor der Macht unserer besseren Einsicht, eine Pause der Ernüchterung tritt ein. Auf einen Wink Peter’s tritt die Mannschaft zurück, und wir stellen uns hinter den Einschlag, aufmerksam die Oeffnung der Röhre vor dem Kessel im Auge. Die Gewohnheit des in die Enge getriebenen Thieres, das Licht zu suchen und herauszufahren, läßt uns nicht lange vergeblich warten. Nach einer Weile streckt ein Dachs sichernd die Nase hervor und fährt im nächsten Augenblick aus der Röhre in den Einschlag. Ihm folgt ein zweiter. Mit einem Schuß auf den Kopf sind die Thiere erlegt und mit stillem Triumph hebt Peter unter der Beute auch einen Capitaldachs, einen alten Rüden, aus dem Einschlag empor. Er ist unverkennbar sein „Vergißmeinnicht“, das mit den beiden andern Dächsen, worunter noch ein schwächerer Rüde und eine Fee, nun die Stange ziert, welche die rüstige Rotte uns „vom Holz Ziehenden“ jubelnd vorausträgt.

Trotz strengster Waidmannsdisciplin im Jagdhundkreise widerfährt es doch wohl mitunter selbst wohlgeschulten Dachshunden, daß sie nach dem heißen Kampfe des Rachegefühls nicht sogleich Herr werden, sondern noch am todten Feind ihren Zorn auslassen, und eine solche Scene ist es, welche unser Künstler, der in Sachen des Jagd- und Waidmannswesens so kundige und erfahrene Maler Beckmann, uns vor Augen führt.

Der kühle Morgen, welcher hehr und sonnenklar über Wald und Feld heraufgezogen, giebt unserem Gemüthe wieder die harmonische Verfassung, und in dieser gestehen wir uns gern, daß, einen so großen abenteuerlichen Reiz eine Dachsjagd auch für ein Jägergemüth haben mag, doch dem Waidmann unserer Tage eine innere Stimme Mäßigung zuruft. Mäßigung, ja Schutz; denn eine neue Naturforschung weiß, daß der Dachs ein überwiegend nützliches Thier, daß er ein unablässiger Vertilger vieler Kerbthiere, namentlich der Engerlinge, sowie ferner der Schnecken und Regenwürmer, freilich in Gegenden des Weinbaues auch der Räuber vieler Trauben und der Zerstörer manches Rebstocks ist; daß er aber sonach in Waldgegenden besonders Schonung verdient, weil er dort auf Saat- und Pflanzstätten den gefährlichsten Feinden der Baumpflanzen, den Engerlingen und anderen Kerflarven, beharrlich nachstellt. Schonung dem geheimnißvollen Gnomen unserer Wälder muß auch der Forstmann unserer Tage als Wahlspruch auf seinen Jagdkalender schreiben, wenn sein Jägergemüth gleichwohl an den geheimsten Fäden in den höchsten Reiz der Jagdpoesie verführerisch gezogen wird. Ja, ein hoher, für den Laien unbegreiflicher Reiz liegt in jenen nächtlichen Jagden auf den Dachs, und jetzt nach dreißig Jahren unserer Waidmannspraxis stehen wir, obgleich nüchterner im Lichte unserer eigenen Beobachtungen über die Nützlichkeit des Dachses und menschlicher in einer wärmeren Regung für das Thier und seine Bedeutung im großen Haushalte der Natur, dennoch in lebhafter Erinnerung versunken in den unvergeßlichen Zauber, der die nächtlichen Abenteuer erlebter Dachsjagden umschließt, und der unseren Seelen die vorstehende Schilderung als ein getreues Bild eines Stücks Waldjagd zur Unterhaltung der Jagdfreunde entlockte.




  1. Für diejenigen unserer Leser, welchen die waidmännische Thierkunde nicht geläufig ist, theilen wir, zum leichtern Verständniß des obigen Artikels, nach Brehm’s allbekanntem „Thierleben“ eine kurze Schilderung des fortificatorisch wohlangelegten Dachsbaues mit. Der Dachs lebt einsam in Höhlen, welche er auf der Sommerseite bewaldeter Hügel ausgräbt. Die Hauptwohnung im Bau ist der Kessel, der gewöhnlich vier bis fünf Fuß tief unter der Erde liegt; ist jedoch die Steilung, auf welcher der Bau angelegt wurde, bedeutend, so kommt er auch wohl bis auf fünfzehn Fuß unter die Oberfläche zu liegen. Er ist so groß, daß er ein geräumiges, weiches Moospolster und das Thier selbst, unter Umständen auch mit seinen Jungen, aufnehmen kann. Mehrere Röhren führen zu ihm; nur einige derselben werden als gewöhnliche Aus- und Eingänge befahren, die übrigen dienen theils im Falle der Noth als Fluchtröhren, theils als Luftröhren, welche bei bedeutender Tiefe des Kessels meist senkrecht aus demselben emporgeführt sind. Fast regelmäßig sind die Gänge vom Kessel bis zur Mündung zwanzig bis dreißig Fuß lang und die Mündungen selbst oft dreißig Schritte von einander entfernt. Trotz dieser ansehnlichen Ausdehnung der Burg herrscht überall, im Kessel, wie in allen Gängen und Röhren, Festungsthoren und Ausfallpforten der Dachsburg, die größte Reinlichkeit. Kann der Dachs seinen Bau in einem Geklüft anlegen, so ist ihm dies um so lieber. Er genießt dann entschieden größere Sicherheit und Ruhe, und Beides sind Hauptbedingungen zu seinem Leben.
    D. Red.