Das Gebet-Verhör

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Autor: unbekannt
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Titel: Das Gebet-Verhör
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 438–440
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Gebet-Verhör.

Das ostpreußische Oberland, eines der lieblichsten Fleckchen Erde in unserm Vaterlande, ist durch seine abgeschiedene Lage bis auf die neueste Zeit dem allgemeinen Interesse so fern geblieben, daß man im übrigen Deutschland es kaum dem Namen nach kennt. Jetzt aber, wo eine der großen Pulsadern unsers mercantilen und socialen Lebens, die Ostbahn, dieses gleichsam unbekannte Land in der Gegend von Preußisch-Holland und Mühlhausen berührt, dürften diese Blätter vielleicht mit dahin wirken, manchen Touristen, manchen Forscher gen Osten zu ziehen. Lange, sonnige Hügelketten, mit tiefen, umschatteten Schluchten, in denen bald der berggeborne Mühlbach dahinrauscht, bald über glatte Kiesel ein Schmerlenbächlein rieselt, wechseln dort mit grasreichen Wiesen und Triften, mit dem tiefen Dunkel alter Eichen- und Buchenwälder, mit der Stille, die über dem weiten Spiegel der Berg- und Landseen schwebt.

Der Reiz der Landschaft, wie die Ergiebigkeit des Bodens müssen schon früh deutsche Einwanderer angelockt haben. Zeichen seiner Abstammung aus dem Süden Deutschlands sind in Sprache und Sitte noch heute dem biederen Völkchen, welches jetzt das ostpreußische „Hockerland“ bewohnt, unverkennbar aufgeprägt. Im Nordost an Litthauen, gen Süd und Südost an Masuren grenzend, in West und Nord vom plattdeutschen Idiom umgeben, und nur durch das sehr precäre Band der Schrift im Zusammenhange mit seinen hochdeutschen Brüdern, hat es doch seinen Urtypus treu bewahrt. Auch die Liebe zur Freiheit, den männlichen, unabhängigen Sinn mag es aus seinen heimischen Bergen mitgebracht haben.

Allein über das engere Vaterland dieser Einwanderer schweigt die Geschichte. Sollten nun einzelne der Accorde, die ich in diesen Blättern anzuschlagen gedenke, in irgend einem von mir unerforschten Theile Deutschlands verwandte Klänge wecken (und wären es auch nur die Klänge einer „Sage aus der Väterzeit“), so gebt uns ein Zeichen, ihr stammverwandten Brüder! Es wird euch der treuherzige Altpreuße mit Freuden begrüßen und der historische Forscher mit großer Genugthuung ad acta registriren.

Wenn ich unter den Bildern zu wählen habe, die dieses isolirte Völkchen besonders charakterisiren, so muß ich obenan das „Gebet-Verhör“ stellen. Es ist das eine Art religiösen Volksfestes, in dem die sittlich-ernste Grundlage noch unverrückt als Träger des Ganzen erscheint, woraus gleichzeitig eine gewisse patriarchalische Einfachheit uns anspricht, die auf altehrwürdige Sitte zurückschließen läßt. Wie der Name andeutet, ist es eine Besprechung über Religion. Doch die Art und Weise ist eine so abweichende von Allem, was in anderen mir bekannten Gegenden Sitte ist, daß ich für eine specielle Schilderung derselben mir ein allgemeines Interesse verspreche.

Der gesegnete Herbst ist die Zeit, in der die Gebetverhöre floriren. In großen Gemeinden pflegen sie von Michaeli bis gegen Weihnachten zu dauern, da in jedem Dorfe alljährlich ein Gebetverhör abgehalten wird und der Herr Pfarrer mit weiser Oekonomie sie so vertheilt, daß in ein und dieselbe Woche höchstens zwei Festtage der Art fallen.

Die kleine Familie des Geistlichen, wie des Lehrers (die einzigen Kinder, welche zu der Feier zugelassen werden) pflegen dann schon am frühen Morgen des festgesetzten Tages sehnsüchtig des Wagens oder Schlittens zu harren, der sie abholen soll. Zurück bleibt von den Kleinen gewiß Niemand freiwillig, obwohl es eigentlich ein Fest der Alten ist.

Zwar hat der Bauer sicher seine besten Pferde (stets vier lang) vorgespannt, zwar ist der Wagen vollgepfropft, ohne Rücksicht auf Bequemlichkeit, aber dennoch muß in der Regel zwei bis drei Mal gefahren werden, ehe die beiden Familien an Ort und Stelle geschafft sind. In mehreren Wagen zu fahren ist nicht Brauch. Auch hat der Bauer nie mehr als einen kleinen, offenen Spazierwagen von so einfacher Construction, daß der Fremde ihn leicht für die Sedezausgabe eines Erntewagen halten könnte. Der Herr Pfarrer aber muß seine Chaise ruhig im Schuppen stehen lassen, will er anders den Gastgeber nicht kränken. Bei weiten Entfernungen hilft man sich damit, daß die Hauptpersonen zuerst befördert werden. Die „keine Familie“ kommt immer noch zurecht. In unglaublich kurzer Zeit legen wir den Weg zu dem Ziel unserer Reise zurück. Der Wagen hält vor der Thür eines stattlichen Bauernhauses. Die Bäuerin harrt der geehrten Gäste schon in der Vorlaube, rückt schnell den bereitgehaltenen Schemel (denn Wagentritte sind noch nicht Sitte) an die Seite des Wagens und hilft geschäftig den verhüllten Gestalten über die Leitern zur Erde. Frisch gestreuter Sand und duftender Kalmus oder gehackte Tannenzweige (das nie fehlende Symbol des Festtages) verkünden schon bis auf die Straße hinaus, welche Ehre dem Hause heute zu Theil geworden.

In der großen Wohnstube mit dem ungeheuren Kachelofen dampft auf langer Tafel bereits die riesige Kaffeekanne. Liebliche [439] Wärme, aromatischer Duft weht die Eintretenden an. Kaum haben die Frauen in geschäftiger Eile Groß und Klein aus ihren Verpuppungen geschält und Tücher und Mäntel hinter dem Ofen, auf dem Bett der Großmutter geborgen, so muß auch schon hinter dem Kaffeetisch Platz genommen werden. Die Frau Prediger präsidirt als oberste Schenkin. Zucker in irdenen Tellern und Striezel aus dito Schüsseln sind in solcher Menge vorhanden, daß eine ganze Gemeinde damit verpflegt werden könnte, obwohl an diesem Imbiß nur einige wenige Gäste, Verwandte oder Gevattersleute aus benachbarten Dörfern Theil nehmen. Der frische Morgen hat unsern Appetit geweckt, wir greifen zu und bedienen uns selbst. Doch bald füllt sich die Stube mit den Alten der Gemeinde, die, den Herrn Pfarrer (hier meist schlechtweg „der Herr“ genannt) treuherzig begrüßend, näher treten und dann ehrfurchtsvoll sich wieder nach dem Hintergrunde zurückziehen.

Jetzt ist auch das Frühstück beendet, das Geschirr verschwindet sammt dem Tisch durch die weitgeöffnete Thüre. Die kleineren Kinder, auf deren Wohlverhalten während des „Gebets“ man noch nicht mit Zuversicht rechnen kann, werden nun zu einem Nachbar gebracht, wo sie Spielcameraden und in Hof, Scheuer und Schuppen naturwüchsiges Spielzeug in Fülle finden. Unterdessen schauen wir uns noch einmal in der großen Stube des „Festbauers“ um. Alles, was von Meubeln vorhanden gewesen, hat Platz machen müsen. Nur weiß gescheuerte Bänke lehnen sich rings an die Wand, und ein kolossaler Kleiderschrank mit Schnitzwerk steht bescheiden neben der Thür, als wolle er entschuldigend auf die winzige Oeffnung deuten, durch die es ihm zu verschwinden unmöglich geworden. Um das feierliche Ansehen der improvisirten Hauscapelle zu erhöhen, hat man zwischen Balken und Decke Kalmus-Schilf oder schwankes Tannenreisig gesteckt, dazwischen aber glitzern und schimmern die prosaischen Penaten dieses materiellen Völkchens, die irdenen, glasirten und mit phantastischer Naturmalerei geschmückten Schüsseln und Teller in ununterbrochenen Reihen an beiden Seiten der massiven Balken, wie in der Höhe der Wände im bunten Kranze sich hinziehend. Sie sind die Ehre des Hauses, der Stolz der Bäuerin, und ihre Entfernung kommt derselben so wenig in den Sinn, wie die Ablegung der Küchen- und Galaschürze aus buntgestreiften Linnen, welche, in weiten Falten den kernigen Leib umschließend, nur einen schmalen Streifen des rothen Friesrockes blicken läßt. Diese irdenen Geschirre bilden gleichzeitig die stabile Decoration des Zimmers. Rechnen wir dazu die gewaltige Pendeluhr, über der ein Paar Steinkrüge mit zinnernem Deckel hängen, und einen hölzernen Schemel mit hoher, massiver Lehne, dessen der Herr Pfarrer an Stelle des Altars sich bedient, so sind wir fertig.

Die Festgenossen, Männer und Frauen jedes Alters (auch Unverheirathete werden zugelassen, sobald sie von den Sonntags-Katechisationen in der Kirche suspendirt worden), sind versammelt. Der Organist giebt dem Pfarrer einen Wink, dieser tritt hinter die Lehne des großen Stuhles. Die Männer in ihren langen Feiertagsröcken richten sich; die Weiber öffnen ihr Gesangbuch, in dem ein „Riechsel“ ihnen als Zeichen dient, und der Lehrer intonirt das Morgenlied, von dem nur ein oder zwei Verse gesungen werden. Es folgt ein kurzes Gebet des Geistlichen und nun die Besprechung der im vorigen Jahre aufgegebenen Themen. Zunächst werden ein Paar Capitel aus der Bibel gelesen und der Inhalt in kurzen, bündigen Worten stückweise wiedergegeben. Jeder antwortet, so gut er kann, und selbst das älteste Mütterchen schließt sich nicht aus. Offen bekennt auch jeder, was er nicht verstanden hat, und bringt seine Bedenken vor. Es kommt nun das Hauptstück zur Sprache, das gerade an der Reihe ist. Der Geistliche fragt es wörtlich ab und sucht seine Bedeutung in der Christenlehre geltend zu machen. Er pflegt sich dabei treu an die Worte der Schrift zu halten, ohne in dogmatische Tiefen oder exegetische Spitzfindigkeiten sich zu versteigen. Die Religion ist diesem Völkchen mehr Sache des Herzens, als des Verstandes, so sehr es auch sonst geneigt ist, alles irdische Machwerk seiner „gesunden Kritik“ zu unterwerfen. – Nun wird das gelernte Lied „gebetet“ und ein „Kernspruch“ aufgesagt.

Endlich empfängt die Versammlung ihre Aufgabe für’s nächste Jahr, und Gebet und Gesang schließen den religiösen Theil des Festes. Es ist jetzt etwa 11 Uhr geworden. Der Herr Pastor bindet seine Bäffchen los, was hier so viel heißt, als wenn der Hauptmann vor der Front „rührt Euch“ commandirt. Das Zimmer leert sich allmählich; es werden ein paar Fenster geöffnet, und der geistliche Herr tritt wohl selbst in’s Freie, um frische Luft zu schöpfen. Bald erscheint er jedoch wieder in der Thür, das kleine Häuflein musternd, das in der Stube zurückgeblieben. Da ist auch schon der Hausvater, mit der Mütze in der Hand, bereit den Herrn nach dem Stübchen zu führen. Dieses ist ein kleines Gemach, mit getäfelten Wänden, in das man aus der großen Stube über ein paar Stufen gelangt. Es ist die eigentliche Herzkammer des Familienlebens, ausgestaltet mit Allem, was von Herrlichkeit und majestätischer Pracht der Bauer kennt oder aufzutreiben vermag. Die Fensterladen sind mit Oelfarbe gestrichen, an den Wänden ragen die thurmartigen Betten fast bis zur Decke, schwere, hochrückige Stühle mit gedrechselten Füßen und ledernen Ueberzügen umstehen den ererbten eichenen Familientisch, von dem es fraglich ist, ob er zu den Mobilien oder Immobilien zu rechnen sei. Ein hochbeiniger Nußbaumschrank mit eingelegten Tulpen und Narcissen verschließt die Pretiosen des Hauses in seinen mystischen Tiefen; eine eisenbeschlagene, polirte Lade (Kiste) von Eichenholz birgt das aufgesammelte Linnen.

Hier nimmt der Herr Pfarrer im großen Lehnstuhl Platz. Vor ihm auf dem Tische liegt Feder, Papier, Dinte. Der Wirth zieht sich stumm mit einend Kratzfuß zurück. Die in der großen Stube zurückgebliebenen Parteien sind unterdeß über den Vortritt untereinander einig geworden. Es beginnt das „geheime Verhör“, – Privataudienz würde es, in die moderne Salonsprache übersetzt, füglich heißen können. Jeder bringt vor, was ihn drückt. Ein altes Mütterchen klagt über den leichtfertigen Sohn, der im fernen Ungarlande sich in nichtsnutzige Händel eingelassen; ein betrogenes Mädchen bittet mit verschämtem Stocken um Hülfe gegen die Ränke einer unwürdigen Nebenbuhlerin, die das Herz ihres braven Christian ihr zu rauben droht; ein junger Bauer beichtet, daß er sich mit seiner Eheliebsten nicht einrichten könne; ein anderer Wirth wünscht Belehrung wegen der Wahl einer Versicherungsgesellschaft, der er sich anvertrauen will, und ein dritter erscheint mit seinem Nachbar wegen eines streitigen Grenzrains u. s. f. Ueberall sucht der Geistliche versöhnend, tröstend, belehrend und helfend einzuwirken. Wo es erforderlich, macht er sich auch wohl seine Notizen für Briefe, Gesuche und Eingaben, zu denen er sich im Interesse seiner Pfarrkinder veranlaßt sieht. Die Mehrzahl jedenfalls verläßt getröstet und hoffnungsvoll das keine Cabinet, das fortan durch diese Werke des Friedens für den neuen Besitzer eine besondere Weihe erhalten hat.[1]

Die Clienten sind befriedigt, und an ihrer Stelle erscheint der Festwirth an der Schwelle des Stübchens mit der Meldung: „Herr Pfarrer, es ist angericht’.“ – Während der Herr drinnen um das Seelenheil seiner Kinder sich bemühte, waren in der großen Stube die Hausleute auf das Eifrigste mit der Zurichtung der Tafel beschäftigt. Alle bei dem Gebet Anwesenden sind ex eo ipso geladen; nur wer sich selbst sagen muß, daß er nicht bestanden, bleibt aus eigenem Antriebe zurück, und Niemand ist so frech sich dem Spott und Hohn der Tischgäste preiszugeben; ja es kommt wohl vor, daß der Herr Pfarrer nach diesem oder jenem verschämten Gast, der sich selbst unterschätzt, schickt. Endlich ist die Gesellschaft vollzählig. An langen, mit schimmernden Linnen bedeckten Tafeln stehen sie, nach Alter, Rang und Würden geordnet, am oberen Ende des Honoratiorentisches der Herr Pfarrer, zur Rechten die Frau des Lehrers, zur Linken sein Gemahl. Der Geistliche hält ein kurzes Tischgebet, und alsbald beginnt die freudige Geschäftigkeit, die ein gesunder Appetit zu entwickeln vermag. Die Speisen sind ebenso kräftig, wohlschmeckend und reichlich, als einfach und stabil. Hühnersuppe mit Reis – für 4 Personen stets eine Schüssel mit 2 Hühnern – Marenen [2] in Salz und Zwiebeln, und Karpfen in Bier gekocht. Gänse- und Schweinebraten mit saurem Kumst (Dämpfkraut) und Pflaumenkreide (Pflaumenmuß) folgen in ununterbrochener Reihe aufeinander; doch läßt man sich Zeit mit Gemächlichkeit die Gottesgabe zu genießen. Die alltägliche Zukost, die dem Bauer den größten Theil des Jahres hindurch Gemüse, Salat und selbst Fleisch ersetzt, – Kartoffel-Keilchen [440] (eine Art schmaler, länglicher Klöße) und graue Erbsen, dürfen sich an solchen Festen nicht blicken lassen; sie würden wie eine Entwürdigung des Tages angesehen werden.

Für den fremden Zuschauer dürfte der natürliche Takt, mit welchem die aus Scheuer und Viehstall requirirte Gesellschaft bei Tische in bescheidener und doch ungezwungener Heiterkeit sich bewegt, ein freudiges Verwundern erregen. Es ist das eine Folge des tiefen Einflusses, den der Geistliche in der Gemeinde ausübt; das „Auge des Herrn“, das auch über ihren Freuden wacht. Nach einem improvisirten Dankgebet erheben sich die Gäste mit einem allgemeinen gesprochenen „Gesegnete Mahlzeit,“ und in kurzer Zeit ist das Speisezimmer geleert. Der Pfarrer und der Organist sind von diesem oder jenem Wirthe eingeladen, hier oder dort einen Preßhaften zu besuchen oder den Viehstand des Hofes in Augenschein zu nehmen, während die Frauen ein neues Gewebe mustern (denn auch die Frau Prediger ist oft – eine moderne Penelope – Meisterin im Damastweben, wie denn überhaupt auf dem Lande in jedem Hause ein Wirkgestell [Webestuhl] steht) oder in Vorrathskammer und Keller sich erlustiren. Die Dunkelstunde versammelt indessen den älteren Theil der Gesellschaft noch einmal im Festlocal um den Kaffeetisch, von welchem der Festtrank [3] in unerschöpflicher Quelle fließt. Der Herr Prediger entzündet mit gemüthlichem Wohlbehagen den Knaster in seiner langen Pfeife, und nach kurzen Präliminarien wird von den Dörflern eine Deputation der Aeltesten an den vorsitzenden Herrn entsandt, mit der Bitte um eine „schöne Geschichte“. Und der Herr nickt lächelnd, bläst gewaltige Dampfwolken von sich, rückt sein Käppchen und beginnt eine phantastisch ausgeputzte Geschichte vom alten Fritz, wie er im Kloster zu Kamenz im Beichtstuhl gesessen, oder dem Ziethen aus dem Busch, der bei Jägerndorf mitten durchs österreichische Lager marschirte, oder auch vom König Pyrrhus, Alexander oder Karl dem Großen und seinem mannhaften Paladin. – Während der Pfarrherr auf dem Gebiete längst verflossener Tage sich tummelt und mit wachsender Lebendigkeit seinem ländlichen Pegasus die Zügel schießen läßt, muß schon die Frau Prediger den niedergelegten Scepter in die Hand nehmen, sonst käme man heute gar nicht mehr nach Hause. Beim Schluß der zweiten oder dritten Geschichte tritt der Wirth in’s Zimmer, mit der Meldung: „Herr Pfarr! es ist angespannt, – die Frau hat befohlen.“ Dagegen ist kein Widerspruch zu erheben. Unter bedauerndem Kopfschütteln der Bauern werden die werthen Gäste verpackt und auf den Wagen (respective Schlitten) „gewuchtet“. Ist der Abend dunkel, so reitet ein Knecht mit der Laterne voran. Alles drängt sich abschiednehmend oder um noch ein gutes Wort anzubringen um das Gefährt; mit gewichtiger Miene aber der bevorzugte Bauer, der dem Pfarrherrn noch im Augenblicke, wo die Pferde anziehen, zuflüstert: „Das nächste Jahr, Herr Prediger, so Gott will, bei mir.


  1. Das Haus des Geistlichen steht übrigens hier jedem Rath- und Trostbedürftigen jederzeit offen. Diese besonderen Termine sollen darum nur zur Ersparung von Zeit und Mühe dienen. Ich kenne Gemeinden, in denen seit Menschengedenken kein Proceß vorgekommen; jeden Streit hat der Herr zu schlichten; wie der entscheidet, so geschieht’s. Freilich hängt von der Persönlichkeit des Geistlichen viel ab.
  2. Die Marene (nicht zu verwechseln mit der Muräne) ist ein den ostpreußischen Landseeen eigenthümlicher delicater Fisch, der neuerdings auch unter dem Namen „russische Sardinen“ marinirt in den Handel kommt.
  3. Vom Bauer wird der Kaffee jetzt nur an großen Festtagen genossen. Das gewöhnliche Frühstück und Vesperbrod besteht abwechselnd aus Brod-(Milch-) Suppe, grauen Erbsen oder Keilchen.