Das Geheimniß des Schlosses von St. Leu

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Autor: Albert Schultheiß
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Titel: „Das Geheimniß des Schlosses von St. Leu.“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 558–562
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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„Das Geheimniß des Schlosses von St. Leu.“

Ein Blatt aus dem Schuldbuche der Familie Orleans.
Von Albert Schultheiß.

Es ist dafür gesorgt, daß es der Republik Frankreich in ihrer steten Fortentwicklung und Festigung nicht an Hemmnissen und Widerwärtigkeiten aller Art fehle, und immer wieder droht von Zeit zu Zeit die Frage der Wiederherstellung einer Monarchie greifbare Gestalt anzunehmen. Zwar sind die Franzosen vorläufig die Napoleoniden los geworden, auch die Bourbonen brauchen sie nicht mehr zu fürchten, da ja das ganze Haus ausgestorben ist; aber um so rühriger erweisen sich im stillen die Nachkommen des ehemaligen „Bürgerkönigs“ Louis Philipp und zeigen dadurch aufs deutlichste, daß sie nicht gesonnen sind, ihre Ansprüche auf den Thron Frankreichs aufzugeben. Bis zur Stunde freilich hat es den Anschein, als könnten alle solche Bestrebungen nichts bedeuten, als wären die reichen Schenkungen des Herzogs von Aumale eitel „verlorene Liebesmüh’“. In der That ist eine Dynastie Orleans dermalen noch so undenkbar wie vor fünfzig Jahren. Die Franzosen wissen zu gut, wie verhängnißvoll diese Fürstenfamilie in die inneren Geschicke ihres Landes eingegriffen und welches Unheil der gekrönte Bankier Louis Philipp trotz all seiner „Biederkeit“ in die französische Gesellschaft getragen hat. Ueber das „Julikönigthum“ hat die Geschichte längst ihr abfälliges Urtheil ausgesprochen, aber weniger bekannt dürfte sein, wie der König der „richtigen Mitte“ gleich zu Beginn seiner Herrschaft ein Regierungsprogramm enthüllt hat, welches, folgerichtig durchgeführt, ganz geeignet war, in der Folge die Dynastie Orleans dem Lande verhaßt und verächtlich zu machen. Wir meinen die Art und Weise, in welcher Louis Philipp bei jeder ihm halbwegs passenden Gelegenheit sich beeiferte, seinen stark ausgeprägten Erwerbssinn, seine Lust an der Vermehrung des rein persönlichen Besitzes, zu bethätigen.

Durch das Gesetz der Milliardenentschädigung, welches am 23. April 1825 der Kammer vorgelegt worden und mit 221 gegen 130 Stimmen durchgegangen war, wurde den Orleans eine Entschädigung von 80 Millionen Franken zugesprochen, welche Summe mit dem aus den Stürmen der Revolution „geretteten“ Besitz vereinigt ein Gesammtvermögen von über 100 Millionen darstellte. Als durch die Julirevolution die Orleans auf den Thron kamen, erwies sich Louis Philipp gleich von Anfang an als sorgsamer Familienvater, indem er durch eine Schenkung unter Lebenden sein großes Vermögen den Kindern zu sichern bestrebt war, ganz im Gegensatz zu den alten Gebräuchen der französischen Könige, deren Privatgüter „vermöge der vollständigen Ehe der königlichen Person mit dem Staate“ bei der Thronbesteigung mit den Staatsdomänen verschmolzen wurden.

Bald aber führte ein ganz besonderer „Glücksfall“ seinem Hause einen neuen Besitzzuwachs von beiläufig 60 Millionen zu durch ein Ereigniß, welches in den Geschichtsbüchern unter dem Titel „Das Geheimniß des Schlosses von St. Leu“ aufgeführt wird.

Am 27. August 1830, morgens neun Uhr, wurde nämlich der letzte Sproß der ruhmvollen Familie Condé, der Vater des unglücklichen Herzogs von Enghien im Schlafzimmer seines Schlosses zu St. Leu, unfern von Paris, erhängt aufgefunden. Prinz Louis Heinrich Josef von Condé, Herzog von Bourbon, hatte die letzten Jahre seines bewegten Lebens in ländlicher Zurückgezogenheit verbracht. Er hatte die Julirevolution mit einem Feste auf seinem Landsitze gefeiert und später in aller Form dem neuen Konig seine Huldigung dargebracht. Die Königin Marie Amalie hatte ihn in seinem Schlosse besucht und sich herbeigelassen, seiner wahrlich nicht im Geruch der Heiligkeit stehenden Hausgenossin aufs freundlichste zu begegnen. Diese, die Baronin Feuchères, ehemals Sophie Clarke, eine englische Abenteurerin niederster Art, war die Tochter eines Fischers von der Insel Wight. Der Prinz Condé hatte sie in London, während er mit dem Grafen von Artois als [559] Flüchtling daselbst lebte, kennengelernt, sich lebhaft für das witzig muntere und hübsche Naturkind interessiert, es auf seine Kosten erziehen und zu seiner Gesellschafterin ausbilden lassen. Aber er erntete schlechten Lohn für all seine Wohlthaten. Sophie Clarke, in Bälde zu einer stattlich schönen, ebenfo klugen wie energischen Dame herangewachsen, bereitete ihrem Adoptivvater manche schwere Stunde. Sie hatte Condé’s Adjutanten, einen braven Offizier, den Baron Feuchères, geheirathet, doch wurde nach einem ärgerlichen Prozeß die Ehe bald wieder aufgelöst, und die geschiedene Frau ward nunmehr des Prinzen erklärte Freundin. Bald wußte sie sich des schwachen Greises derart zu bemächtigen, daß dieser kaum mehr einen Schatten freien Willens besaß und geradezu in beständiger Furcht vor seiner Peinigerin lebte. Jahrelang arbeitete sie daran, Condé zu bestimmen, daß er den dritten Sohn des Herzogs von Orleans zu seinem Universalerben einsetze und ihr selber bedeutende Legate zuwende. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte ein langer und heftiger Widerstand beseitigt werden, allein die Baronin verstand es, mit allem Aufwand an List und Thatkraft langsam, aber um so sicherer vorzugehen. Erst sollte die Adoption einem anderen Prinzen des königlichen Hauses zu theil werden. Die Feuchères suchte also zunächst Fühlung mit dem Hofe und bot anfänglich der Herzogin von Berry ihre Dienste an, weil Condé in der That damals beabsichtigte, dem Herzog von Bordeaux seinen glorreichen Namen und seine unermeßlichen Besitzungen zu vererben. Aber der Graf von Artois, der später als Karl X. den Thron Frankreichs bestieg, nahm eine solche Schenkung nicht an und verwies Condé an seine näheren Verwandten, die Rohans. Der Feuchères selbst wurde der Zutritt zu den Tuilerien verweigert; sie beschloß, sich an die Orleans zu wenden, wo sie denn wirklich die beste Aufnahme fand. Die für die Familie Orleans „so interessante Angelegenheit“, wie der Herzogin eigene Worte lauteten, wurde alsbald eingeleitet und trotz aller Hindernisse zu einem gedeihlichen Ende geführt.

Die Feuchères wußte es durchzusetzen, daß Condé im Jahre 1822 den Herzog von Aumale aus der Taufe hob, und im April 1827 schien die Adoption des jungen Prinzen zur Thatsache werden zu wollen; aber am 2. Mai 1829 mußte dennoch die Sache in dieser Fassung wieder als gänzlich gescheitert angesehen werden. Nunmehr begannen die Anstrengungen zur Erlangung eines günstigen Testamentes.

Condé ertrug schwer und widerwillig das Joch, in welches die Baronin Feuchères ihn gespannt hatte; er wollte es um jeden Preis abschütteln, auch war ihm der Herzog von Aumale als Träger seines Namens gar nicht, als Erbe seiner Güter nur halb willkommen. Aber der alte Mann war dem intriganten Weibe in keinem Stücke mehr gewachsen, und um vor ihrer unausgesetzten Belästigung endlich einmal Ruhe zu haben, willigte er am 30. August 1829 ein, das längst in Bereitschaft gehaltene Testament zu unterschreiben. Es handelte sich um einen Besitzstand von 73 Millionen, wie uns Crétineau-Joly in seiner „Geschichte der letzten drei Prinzen aus dem Hause Condé“ genau mittheilt. Zwölf Millionen erbte die Feuchères als Lohn für ihre Bemühungen, der Rest, nach Abzug einiger Legate, fiel dem Haupterben, dem Herzog von Aumale, zu.

Da kam die Julirevolution, der Herzog von Orleans bestieg als „König der Franzosen“ den Thron. Die selbstsüchtige Handlung Louis Philipps, sein Privatvermögen den Kindern zu sichern, mißfiel der anständiger denkenden Nation und mußte auch einem Kavalier aus der alten Schule wie Condé stark mißfallen. Er wurde den Orleans gegenüber kälter, trotz der Aufmerksamkeiten, welche ihm von ihrer Seite geflissentlich erwiesen wurden; überbrachte ihm doch die Königin in eigener Person den Großkordon der Ehrenlegion!

Bald drohte eine ernste Gefahr, denn der reiche „Onkel“ wollte St. Leu verlassen, nach einem heftigen Streite mit seiner tyrannischen Freundin nach Chantilly übersiedeln. Schon ist der Wagen bestellt, dem Stallmeister sind die Diamanten anvertraut, der Prinz hat bereits eine Million, in gute Bankscheine umgewechselt, zum Mitnehmen im Bereitschaft. Einmal in Chantilly, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, ein neues Testament zu machen. Soweit durfte es nicht kommen. Louis Philipp, von dem Vorhaben des Prinzen in Kenntniß gesetzt, beging in leidenschaftlicher Verblendung den unverzeihlichen Fehler, an die Feuchères zu schreiben, sie solle um jeden Preis des Prinzen Condé Abreise zu verhüten suchen. Welche Deutung das lasterhafte Weib den königlichen Worten „um jeden Preis“ gab, das zeigte sich, als man den alten Mann in seinem Schlafzimmer erhängt auffand. Niemand unter der Dienerschaft wollte an ein selbstgewähltes Ende aus Lebensüberdruß glauben, so absichtlich auch alle Veranstaltungen getroffen waren, um diesen Schein zu erwecken.

Das Schlafzimmer, gegen die Parkseite zu gelegen, hatte zwei Eingänge. Die Hauptthür, hinter der mit einem Schlüssel abgeschlossenen Flurthür gelegen, fand sich an jenem Morgen stark verriegelt, die andere Thür, auf eine Seitentreppe führend, war ebenfalls verschlossen, doch zeigte es sich später, daß ein dort angebrachter Mechanismus erlaubte, auch von außen her den inneren Riegel vorschnappen zu lassen. Ob diese Thür in der kritischen Nacht offen gestanden hatte und erst später verschlossen wurde, ist nicht festgestellt worden.

Der Körper des Prinzen war vermittelst zweier Taschentücher, von denen das eine um seinen Hals gelegt war, am Fensterhaken aufgeknüpft vorgefunden worden. Einer der Diener erklärte auf Gruud von Erfahrungen, die er im Orient gesammelt hatte, frei heraus, daß hier von einem Tode durch Erhängen nicht die Rede sein könne; ja Mr. Lafontaine, Generalinspektor der prinzlichen Forsten, machte den Versuch, sich in der angegebenen Weise mit zwei Taschentüchern aufzuhängen, und fand, daß es unmöglich sei, sich auf diese Weise das Leben zu nehmen. Hierzu kam noch der Umstand, daß die Taschentücher kunstvoll verschlungen waren mit einem sogenannten Weberknoten, welchen der Prinz, der infolge früherer Wunden am Oberarm und an der Hand halb gelähmt und ziemlich unbeholfen war, sicher in solcher Höhe über dem Kopfe nicht hätte knüpfen können, auch wenn er im übrigen diese Fertigkeit besessen hätte. Die Mbbel des Zimmers befanden sich in einer allzu schlau ersonnenen Unordnung. In einer Ecke stand ein Gewehr, sorgfältig gereinigt und frisch geladen: ein Umstand, der wohl einen Selbstmord vollständig ausschließt, denn der frühere tapfere Soldat, der bis zuletzt dem Jagdvergnügen mit Leidenschaft oblag, hätte sich sicher mit einer Kugel, nicht mit dem Stricke den Tod gegeben.

So war im Grunde eigentlich niemand da, der so recht an einen Selbstmord des Prinzen Condé glaubte, vielmehr bezeichnete die öffentliche Stimme von Anfang an die Feuchères als die Urheberin eines lange vorher geplanten Verbrechens. Dennoch wurde die Dame, nachdem eine höchst lässig und oberflächlich geführte Voruntersuchung ergebnißlos geblieben war, keiner kriminalgerichtlichen Verfolgung unterworfen, obwohl der Generaladjutant Louis Philipps, Theodor de Rumigny, der eigens nach St. Leu abgesandt worden war, an den König geschrieben hatte: „Der Tod des Prinzen sIeht nicht wie Selbstmord aus.“ Aber ein grimmiger Feind war der Feuchères erstanden in der Person des prinzlichen Almoseniers, Pellier de Lacroix, der bei der Beisetzung des Herzens von Condé in der Kapelle zu Chantilly in einer ergreifenden Trauerrede unumwunden erklärte, daß der Prinz vor Gott an seinem Tode unschuldig sei; das hieß so viel, als er sei ermordet worden, denn einen Selbstmörder hätte man ja nicht mit kirchlichen Ehren beerdigen dürfen. Derselbe thatkräftige Mann wußte es schließlich bei dem König durchzusetzen, daß nach beinahe drei Monaten der Fall wieder aufgegriffen wurde und daß ein Rathsherr des Appellhofes nach langer und mühsamer Prüfung einen Antrag stellte, nach welchem das Tribunal die Feuchères in den Anklagezustand versetzte.

Der Fall beschäftigte den ehrenwerthen Richter De la Huproye vom 6. Februar bis 2. Juni 1831; er hat während dieser Zeit 120 Zeugen verhört, 231 Aussagen entgegengenommen. Immer enger zog sich das Netz zusammen über dem Haupte des schuldigen Weibes und immer bänger wurde dem König zu Muth. Er hielt Berathungen ab mit seiner klugen Schwester, der Prinzessin Adelaide, und mit Persil, dem Generalprokurator des königlichen Gerichtshofes von Paris. De la Huproye war entschlossen, seinen Bericht der Anklagekammer vorzulegen; dies durfte nicht geschehen. Am 3. Juli abends begab sich Persil in die Wohuung des Richters, der uns Aufzeichnungen über diesen Besuch hinterlassen hat. Persil ruft aus: „Es handelt sich hier nicht um Schuld oder Unschuld eines anrüchigen Weibes, es handelt sich um das [560] Ansehen des Hauses Orleans, das in eine unheilvolle Solidarität verwickelt ist, aus welcher es um jeden Preis gezogen werden muß.“

Nach qualvollem Kampfe zwischen seiner Pflicht und den Rücksichten auf seine Familie ließ sich De la Huproye schließlich bestimmen, ein Entlassungsgesuch einzureichen, welches unter den für ihn ehrenvollsten Ausdrücken genehmigt ward. Sein Schwiegersohn, Theurier de Pommier, ward auf den Richterstuhl am Civiltribunal des Seine-Departements befördert. Die anderen Richter hatten zum Glück nicht den unbequemen Eigensinn des alten Starrkopfes, und so ging alles nach Wunsch.

Nun beachte man die rasche Erledigung des Falles! Am 4. Juni bringt der „Moniteur“ die Verabschiedung De la Huproyes und die Ernennung Theurier de Pommiers, am 10. Juni hat De la Huproye die ganze riesig umfangreiche Aktenmasse noch in Händen, dann erhält sie Persil, der sie an De la Huproyes Nachfolger, Brière-Valigny, übergiebt – und am 21. Juni schon ist geheime Sitzung, in welcher die Kammer entscheidet: „daß es nicht feststehe, daß der Tod des Prinzen Condé die Folge eines Verbrechens sei“. Gegen dieses Urtheil nun ergriff Maître Hennequin, der Vertreter des Prinzen Rohan, bereits am 24. Juni Berufung, und nunmehr zeigte es sich, daß aus den Akten ein wichtiger Theil verschwunden war, von unbekannt gebliebener Hand beseitigt. Am 22. Juli wurde dann des Prinzen Sache (Condés Mutter war eine Rohan-Soubise, der Klagesteller somit der nächste Anverwandte des Verstorbenen) vor der Kriminalkammer verhandelt und verworfen, „da der Rekurs-Ergreifende Civilpartei und als solche die Anklagekammer nicht anzurufen befugt sei.“ Es blieb also bei den Verfügungen des Testamentes.

Der schon erwähnte Almosenier des Prinzen von Condé, Abbé Pellier, hatte ein gründliches und ganz sachlich gehaltenes Buch: „Die Ermordung des letzten Condé erwiesen“ gegen die Baronin Fenchères und deren Advokaten veröffentlicht. Er wurde ohne weiteres seiner Stelle enthoben und ebenso die Maßregelung anderer mißliebig gewordener Personen vorgenommen. Auf die gefügigen Richter und Justizbeamten jedoch ergoß sich ein wahrer Gnadenregen von Auszeichnungen und Beförderungen. Dann wurde von des letzten Condé Hinterlassenschaft Besitz ergriffen in einer Weise, die mehr als bezeichnend war für die bereits bekannt gewordene „Sparsamkeit“ Louis Philipps; denn es blieben die wichtigsten Testamentsklauseln einfach unberücksichtigt, wenn dadurch „ökonomisiert“ werden konnte.

Nicht in Vincennes neben seinem unglücklichen Sohne wurde Condé bestattet, sondern in St. Denis; für Errichtung eines Erziehungshauses in Ecouen waren zwei Millionen ausgesetzt; diese stattliche Summe blieb so lange ihrer Bestimmung vorenthalten, bis die Beschwerden von seiten der Rohans so heftig wurden, daß man füglich nicht mehr darüber weggehen durfte. Die zahlreiche Dienerschaft Condés wurde alsbald verabschiedet, der bewegliche Nachlaß öffentlich an den Meistbietenden versteigert.

Die Fenchères, welche St. Leu erbte, das Schloß jedoch später niederreißen ließ, ist am 2. Januar 1841 in England an Halsbräune eines qualvollen Todes verstorben. Ihre Testamentsvollstrecker haben nie in Abrede gestellt, daß sie im Besitz eines Briefes gewesen sei, in welchem Louis Philipp ihr schrieb, sie müsse „um jeden Preis“ die Abreise des Prinzen verhindern. Dieser Brief mag sie vor dem Schafott bewahrt haben. Einige Zeit vor ihrem Tode wollte sie, um ihr Gewissen zu erleichtern, der Familie Orleans dieses Schriftstück, uuter Bedingungen natürlich, zurückgeben, doch brauchte man damals diese Dame nicht mehr zu fürchten, und so blieb ihr Anerbieten unbeachtet.

Heutzutage hat das düstere Geheimniß des Schlosses von St. Leu längst zu existieren aufgehört. Im vierten Bande seiner [561] weit angelegten Geschichte Louis Philipps hat der Historiker Billault de Gerainville mit nahezu unumstößlicher Gewißheit dargethatt, daß die Feuchères unter Mithilfe eines ihrer vielen Anbeter den alten Fürsten in der Nacht vom 26. zum 27. August mittels einer Serviette, die bei ihrer Auffindung noch Spuren von Schnupftabak zeigte, erwürgt und alsdann die Leiche in der Art, wie dies oben beschrieben wurde, an einem Fensterhaken aufgehäugt hat. Der Mitschuldige des Schandweibes, welches diesen verruchten Plan ersonnen hat, einzig um die auf den nächsten Tag festgesetzte Uebersiedlung des Prinzen nach Chantilly zu vereiteln, war ein schmucker Gendarmerie-Unteroffizier, der tagsüber auf dem Schlosse im Zimmer des der Feuchères ganz ergebenen Geistlichen Briant sich verborgen hielt. Er hat noch im Jahre 1884 in Paris gelebt, in angesehener Stellung, inmitten einer zahlreichen Familie, und dieser Umstand hat Billault de Gerainville bestimmt, uns seinen Namen zu verschweigen, während er an der Hand eines überreichen Materials uns alle Fäden der fein gesponnenen und weit verzweigten Intrigue bloßlegt, durch welche es dem „König Biedermann“ gelungen ist, seiner Familie das reiche Erbe der Condés zu sichern.

Ueber den Tod und den Prozeß des Prinzen sind 27 zum Theil sehr umfangreiche Schriften erschienen, deren genaue Titelaufführung allein schon einige Seiten füllen würde; aber noch weit eingehender befassen sich handschriftlich erhaltene Aufzeichnungen mit dem Falle, Briefschaften, Abrechnungen aller Art, sogar die Schulhefte der Sophie Clarke, späteren Baronin Feuchères, haben Billault de Gerainville bei der Abfassung seines Buches vorgelegen. Nicht der unmittelbaren Mitschuld will er den König zeihen, „aber“, so schließt das betreffende Kapitel, „dadurch, daß Louis Philipp die Mörder seines Onkels entkommen ließ, indem er unter der empörendsten Herzenskälte alle Gefühle der Natur erstickte, hat er seinem Namen einen unauslöschlichen Fleck angeheftet, und die Nichtbestrafung des Verbrechens von St. Leu wird als eine ungesühnte That für immer mit erdrückender Schwere auf seinem Gedächtnisse lasten.“

Ueber den Eindruck, welchen der Fall Condé auf die Pariser und die Franzosen überhaupt machte, hat ein Zeitgenosse und zwar kein anderer als der deutsche Dichter Heinrich Heine sich geäußert in einer seiner ersten Korrespondenzen für die „Allgemeine Zeitung“, wo es unter dem Datum des 28. Dezember 1831 heißt:

„Mehr aber … wird der König jetzt durch den famosen Erbschaftsprozeß, den die Familie Rohan wegen der Bourbon-Condé’schen Verlassenschaft anhängig gemacht, aufs schmerzlichste kompromittiert. Dieser Gegenstand ist so entetzlich, daß selbst die heftigsten Oppositionsjournale sich scheuen, ihn in seiner ganzen grauenhaften Wahrheit zu besprechen. Das Publikum wird davon aufs peinlichste affiziert, die leise, verstohlene Art, wie man in den Salons darüber flüstert, ist beängstigend, und das Schweigen derjenigen, die sonst immer das königliche Haus vertreten, ist noch bedenklicher als das laute Verdammnißurtheil der Menge. Es ist die Halsbandgeschichte der jüngeren Linie, nur daß hier statt Hofgalanterie und Falsum etwas noch Gemeineres, nämlich Erbschleicherei und (von einer Theilnehmerin verübter) Meuchelmord in Rede stehn. Der Name Rohan, der auch hier zum Vorschein kommt, erinnert leider zu sehr an die alten Geschichten. Es ist, als hörte man die Schlangen der Eumeniden zischen und als wollten die strengen Göttinnen keinen Unterschied machen zwischen der älteren und jüngeren Linie des verfehmten Geschlechtes.“

Alle Biographen Louis Philipps, alle Historiker der Juli-Regierung von Louis Blanc angefangen bis zu Billault de Gerainville, dem jüngsten unter ihnen, sind einig in dem verdammenden Urtheil, welches sie über die verderbten Zustände fällen, die unter dem „Bürgerkönig“ bestanden. Auf einem der letzten sogenannten „Reformbankette“ sprach Lamartine die prophetischen Worte: „Nachdem wir die Revolution der Freiheit und [562] die Gegenrevolution des Ruhmes gehabt, werden wir die Revolution des öffentlichen Gewissens, die Revolution der Verachtung haben.“

Wenige Wochen später, am 24. Februar 1848 um die Mittagsstunde, bestieg Louis Philipp am Concordienplatz, der Stelle gegenüber, wo sein Vater Philip Egalité unter der Guillotine geendet hatte, den schlichten Einspänner, der ihn aus Paris führte, und als entthronter Herrscher hat der Greis seine letzten Tage in der Fremde verlebt. Die Juli-Dynastie ist in der That einer Revolution der Verachtung zum Opfer gefallen, das Schuldbuch der Familie Orleans war vollgeschrieben bis zum letzten Blatt.