Das Kunstgewerbe (1914)

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Autor: Franz Seeck
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Titel: Das Kunstgewerbe
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Elftes Buch, S. 64–76
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1596]
Das Kunstgewerbe
Von Professor Franz Seeck, Berlin


Geschichtlicher Rückblick.

Die Bezeichnung „Kunstgewerbe“ ist erst im 19. Jahrhundert entstanden. Sie ist ein Produkt der kunstgeschichtlichen Anschauung der Zeit und ist vordem unbekannt gewesen. Früher gab es nur ein Handwerk, dessen Meister auf ihren Einzelgebieten qualitativ das Beste leisteten und zugleich dem Geschmack ihrer Auftraggeber in vollem Maße gerecht zu werden wußten, einerlei, ob es sich um Stücke des Luxus oder des täglichen Gebrauches handelte. Dabei war es nicht ausgeschlossen, daß für besondere Gelegenheiten Künstler, die vom Handwerk etwas verstanden, Entwürfe und in späterer Zeit ganze Musterbücher lieferten. Die wundervollen Arbeiten in unseren Kunstgewerbemuseen sind die bleibenden Zeugnisse der Leistungsfähigkeit dieses hochentwickelten Handwerks.

Dagegen war das, was das 19. Jahrhundert unter Kunstgewerbe verstand, etwas ganz anderes. In einer falschen Beurteilung dessen, was an den alten Stücken wesentlich war, bezeichnete man nunmehr damit diejenigen Produktionen des Handwerks, bei denen besondere Kunst angewendet war, d. h. man machte einen Unterschied zwischen Handwerk und Kunsthandwerk, hielt es jedoch keineswegs für unbedingt erforderlich, daß der Künstler, der den Entwurf lieferte, zugleich von der technischen Herstellung viel verstand. Entwurf und Ausführung lagen vielmehr in ganz verschiedenen Händen, die oft so wenig Fühlung miteinander hatten, daß die Anregung, die das Handwerk durch den Künstler erhielt, nur eine ganz äußerliche sein konnte. Es handelte sich dabei auch weniger um Gegenstände des täglichen Gebrauches, als um Luxusstücke, die zu besonderen Gelegenheiten angefertigt wurden.

Begriff Kunstgewerbe heute.

Heute muß der Begriff „Kunstgewerbe“ wesentlich anders gefaßt werden, und zwar läßt er sich nicht in eine so einfache Formel bringen. Er stellt weder das alte Handwerk dar mit dem oft virtuosenhaften Spiel seines Könnens, noch ist er mit dem Kunstgewerbe des 19. Jahrhunderts gleichbedeutend. Er ist in seiner heutigen Form ein weitgefaßtes Programm, das wohl die Qualität des alten Handwerks zum Vorbild nimmt, aber in richtiger Erkenntnis der Zeit die modernen Bedürfnisse und Möglichkeiten in ihrem vollen Umfang berücksichtigt. Es ist das Programm einer Durchsetzung des täglichen Lebens mit demjenigen Quantum an Geschmack und Gefühl für Gediegenheit, das den Kulturperioden vor dem 19. Jahrhundert selbstverständliches Eigentum war, und zugleich [1597] einer Festlegung der Stellung, die der Künstler im modernen wirtschaftlichen Leben einzunehmen bestimmt ist. Sein Ziel kann daher nicht nur eine Hebung des Handwerks im Sinne früherer Zeiten sein. In richtiger Einschätzung der Bedeutung, die die wirtschaftlichen Fragen für unsere Zeit besitzen, erstrebt das moderne Kunstgewerbe zugleich eine Veredelung der Erzeugnisse der Industrie und sucht seinen Einfluß auf alle verwandten und benachbarten Gebiete auszudehnen. Diese Umbildung und der damit verbundene Aufschwung des Kunstgewerbes fallen in ihren Anfängen in die erste Zeit der Regierung Kaiser Wilhelms II.

Niedergang des Handwerks.

Die Rolle, die das Kunstgewerbe im 19. Jahrhundert gespielt hatte, war die eines Trabanten der Architektur gewesen. In demselben Maße, in dem während dieser Zeit die schöpferische Selbständigkeit der Architektur erlahmte, war auch ein Rückgang des Kunstgewerbes zu beobachten. Das Überhandnehmen kunstgeschichtlicher Anschauungsweise hatte dem Neuklassizismus den Boden bereitet, und dieser hatte mit seinen Doktrinen die lebendige Fruchtbarkeit der früheren Zeiten allmählich abgetötet. An die Stelle der früheren Meisterlehre war eine Schulerziehung getreten und statt der anschaulichen Praxis ein mehr oder weniger theoretisches Zeichnen eingeführt worden. Hierdurch wurde ein Umschwung in der Heranbildung des Nachwuchses herbeigeführt, der auf die Dauer verhängnisvoll werden mußte. Die Architektur hörte auf, eine Kunst zu sein und wurde zu einer Wissenschaft, die an Hochschulen gelehrt wurde. Die gleichmäßig stetige Weiterbildung, die sie bei der Arbeitsweise früherer Zeiten erfahren hatte, wurde hierdurch unterbunden und die Fähigkeit, selbständig schöpferisch zu sein, ging ihr verloren. Sie beschränkte sich daher für das Weitere auf eine Wiederholung dessen, was die Blüteperioden vor ihr geschaffen hatten, wobei sich allerdings der Unterschied ergab, daß diesen Wiederholungen nicht das Unmittelbare des Zeitgeborenen anhaftete, daß sie vielmehr nur äußerlich formalistische Imitationen darstellten. So kam es, daß man Bauten und Gegenstände mit Rokokoornamenten schmückte in einer Zeit, deren Geist auch nicht die geringste Verwandtschaft mit der des Rokokos hatte und daß man sich der mittelalterlichen Formensprache bediente, ohne auch nur im entferntesten etwas von der Denkweise des Mittelalters zu besitzen.

Inzwischen war dem Handwerk durch die fortschreitende Industrialisierung ein schwerer Existenzkampf erwachsen. Es sah sich aus seiner Monopolstellung verdrängt und mußte von den Arbeitsgebieten, für die es bis dahin als alleiniger Hersteller in Frage kam, mehr und mehr an die alles an sich reißende Fabrikation abtreten. Es kam dadurch in eine abhängige Stellung und mußte, um den Konkurrenzkampf aufnehmen zu können, auf ständige Verbilligung sinnen und notgedrungen an qualitativem Gehalt einbüßen. Infolgedessen ging ihm nicht nur das Gefühl für eine gute Technik, sondern mangels Übung auch die Beherrschung einer solchen allmählich verloren, und da es endlich im Interesse der Wohlfeilheit statt zu guten Materialien noch zu Surrogaten seine Zuflucht nahm, so wurde der Kontrast zwischen dem prunkvollen Äußeren und der billigen Herstellung ein immer größerer.

[1598] Hierbei konnte ein Rückschlag auf den Geschmack des Publikums natürlich nicht ausbleiben, zumal die Zeit ihre ganze Kraft in der Lösung technischer, wirtschaftlicher und politischer Probleme verbrauchte und keine Muße ließ, über andere Dinge nachzudenken. Man bemerkte es daher zunächst nicht, daß hier dem Volke wichtige Güter verloren gingen und kam erst zum Bewußtsein, als die Dissonanz zu dem Akkord des gewaltigen Aufschwunges auf fast allen anderen Gebieten gar zu schneidend wurde. Die Unhaltbarkeit des geschaffenen Zustandes mußte allerdings der günstigste Boden für ein einsetzendes Reformwerk sein, und zwar sollte hierzu der Anstoß vom Auslande ausgehen.

Einfluß Englands.

In England, wo die Verhältnisse anders lagen als in den übrigen Ländern, hatte man schon damit begonnen. Die isolierte Lage, die Weltmachtstellung, der Wohlstand und die politische Reife hatten hier dem Volke eine ruhige Fortentwicklung im 19. Jahrhundert garantiert und dem starken und vermögenden Bürgertum volle Muße gelassen, sein Leben zweckmäßig und behaglich einzurichten. Es konnte sich dort, wo ein Abbruch der Tradition im Grunde niemals stattgefunden hatte, eine Lebenskunst herausbilden, die für alle Schichten der Gesellschaft einen gemeinsamen Typus darstellte. Dieser Typus fand seinen sichtbaren Ausdruck im Wohnhause, und zwar vorwiegend im Einfamilienhause, das infolge der eigenartigen Grundbesitzverhältnisse in England vorherrschend war. Seine Durchbildung stellte Architekten und Handwerker vor eine ebenso hohe wie erzieherische Aufgabe. Die vielen praktischen Fragen, die schon bei der Anlage eines Wohnhauses, besonders aber eines Landhauses zu beachten waren, das Ausklügeln der Wirtschaftsräume und aller der Bequemlichkeiten, an die der Engländer gewöhnt war, vor allem aber die hohen Ansprüche, die er an die Behaglichkeit seiner Räume stellte, führten nicht nur zu besonderen Leistungen der Grundriß- und Raumgestaltung, sie zwangen zugleich dazu, auch dem kleinsten Detail eine peinliche Aufmerksamkeit zu schenken. So mußte sich der Sinn für das Zweckmäßige und Gediegene beleben und bei einem gleichzeitigen Studium der älteren heimischen Bauweise die Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, geweckt werden. Die Aufklärungsarbeit eines John Ruskin und William Morris gewannen die Unterstützung weiterer Kreise des Publikums, besonders da sie nicht theoretisch blieb, sondern zu praktischen Versuchen überging. Zwar bewegte man sich zunächst noch in den Bahnen der Überlieferung, doch führte eine Vertiefung in die Aufgabe und ein Anpassen an die Technik ganz von selbst zu neuen Lösungen.

Einfluß Ostasiens.

Eine weitere Stärkung und Bereicherung erhielten die Bestrebungen durch die wachsende Kenntnis der Länder und Völker Ostasiens. Der erlesene Geschmack und die vollendete Technik, die die Erzeugnisse des dortigen Handwerks zeigten, mußten die gehaltlosen europäischen Fabrikate um so unbedeutender erscheinen lassen und gaben einen starken Ansporn zur Nacheiferung. Zwar war man bald von der Unmöglichkeit überzeugt, die Qualität dieser Stücke auch nur annähernd zu erreichen, doch suchte man ihnen, was man konnte, abzusehen, wenn man sich auch nicht an die besten Vorbilder hielt und das formale Aussehen [1599] in den Vordergrund stellte. Es begann für Europa und Amerika die Zeit des sog. Japonismus, wo Museen und Private ihre Sammlungen mit den Schätzen des Ostens, zunächst allerdings meist mit japanischen füllten und den nach Neuem hungernden Künstlern und Fabrikanten von hier aus den Segen bis dahin noch nicht verwendeter Motive mitteilten. Der größte und nachhaltigste Einfluß wurde hierbei auf die Reklame- und Illustrationskunst ausgeübt, die sich die japanischen Farbenholzschnitte zum Vorbilde nahm. Auch die Keramik wurde befruchtet, überall da aber, wo es sich um die Verzierung von Flächen handelte, mußten dem in seiner Phantasie erschöpften Musterzeichner die naturalistischen Formen des japanischen Dekors wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß fallen, von dem er voll Dankbarkeit den ausgiebigsten Gebrauch machte.

War man jedoch hiermit von der Verwendung der historischen Stilformen einmal abgewichen, so war es naheliegend, deren Existenzberechtigung überhaupt kritisch zu untersuchen. Schon die englische Entwicklung hatte darauf hingewiesen, daß die Formengebung und Zweckerfüllung voneinander unabhängig seien, daß also das Bedürfnis des täglichen Lebens, nicht aber eine Mode das Aussehen der zu seiner Befriedigung erforderlichen Erzeugnisse bestimmen müsse. Wenn man also sah, wie der hochentwickelte Mensch des 19. Jahrhunderts sich in einer Umgebung bewegte, die in technischer Beziehung sich täglich vervollkommnete, im Äußeren aber das verstaubte Antlitz längst vergangener Zeiten zeigte, so mußte dies wie eine Maskerade anmuten, besonders wenn die billige Ausführung gar zu sehr zutage lag. Was Wunder also, wenn man auf den Gedanken kam, die historischen Formen als überflüssigen Ballast überhaupt über Bord zu werfen und an die Erfindung einer ganz neuen Formensprache zu gehen. Dichter und Denker predigten allenthalben die Freiheit des Individuums und die Loslösung von der Tradition, so war es nur die logische Schlußfolgerung eines an sich richtigen Gedankenganges, wenn man für die Umgebung des modernen Menschen einen entsprechenden persönlichen Ausdruck suchen zu müssen glaubte. Es mußte das um so überzeugender sein, als man in der Verwendung der alten Formen die alleinige Ursache für die Geringwertigkeit der modernen Erzeugnisse zu erblicken meinte.

Van de Velde.

Für Deutschland wurde das Signal zu einer Bewegung in diesem Sinne von Belgien aus gegeben. Dort hatte der geistreiche van de Velde diese Gedanken mit einer bewunderungswürdigen Schärfe zu Ende gedacht und wirkte mit Wort und Schrift für ihre Verbreitung. Er ließ es jedoch nicht bei bloßen theoretischen Erörterungen sein Bewenden haben, sondern entwarf im Verein mit Gesinnungsgenossen eine Reihe von Innenräumen, Möbeln und Gebrauchsgegenständen, bei denen er mit Absicht eine Anlehnung an alles Herkömmliche vermied. Er gab jedem Körper eine vom Üblichen abweichende Gestalt, bildete jede Fläche besonders aus, und um nicht einmal die natürlichen geraden Begrenzungen bestehen zu lassen, ließ er alle Linien in geistreich ausgeklügelten Kurven schwingen. Er glaubte wie Robespierre, daß man, um eine neue Ordnung der Dinge herbeizuführen, die Träger der alten erst vollkommen vernichten müsse.

[1600] Der kühne Mut dieses Mannes setzte zunächst alle Welt in Verblüffung. In Frankreich und Belgien, besonders aber in Deutschland, wo schon Otto Eckmann, Obrist und andere das radikale Ziel auf anderem Wege zu erreichen suchten, fanden sich begeisterte Anhänger seiner Lehre. Schien doch der Beweis erbracht, daß man wirklich etwas Modernes schaffen könne, ohne beständig Anleihen bei der Vergangenheit machen zu müssen. Vor allem aber war der Gedanke begeisternd, daß man es nicht mehr nötig hatte, in mühevollem Studium sich die schwierige Wissenschaft der Stillehre anzueignen. Man konnte ja seine Formen selbst erfinden, und jedermann war hierzu imstande, um so mehr als Schwierigkeiten hinsichtlich der Ausführbarkeit nicht zu bestehen schienen. Die Schranke zwischen dem fachgebildeten Zünftler und dem Laien schien endlich gefallen. Wie man annahm, hatte sie viel zu lange und mit völligem Unrecht bestanden.

Zunächst begannen alle diejenigen sich der neuen Bewegung zu bemächtigen, die sich bereits mit künstlerischen Vorwürfen beschäftigt hatten, aber bei der herrschenden Überproduktion von dem Weiterverfolgen der ausgetretenen Geleise nicht viel versprachen. In erster Linie die Maler, deren Phantasie durch die schrankenlosen Ideen eine gewaltige Anregung erhielt. Vielleicht war das treibende Element nicht allein die Lust, den Farben- und Formensinn auf einem bis dahin noch nicht betretenen Gebiet zu erproben. Es spielte wohl auch etwas von der Vorstellung hinein, als wäre nun die Zeit gekommen, den verloren gegangenen innigen Zusammenhang unter den Künsten wiederherzustellen. Das Galeriebild war ja stets nur ein Notbehelf gewesen, mit dem man sich in Ermangelung anderer Aufgaben abgefunden hatte. Die Möglichkeit der Malerei, die frühere Machtstellung, die auf ihrer dekorativen Kraft beruhte, wiederzugeben und sie in engste Fühlung mit dem umgebenden Raum zu bringen, mußte als verlockende Verheißung erscheinen.

Noch auf der Berliner Gewerbeausstellung im Jahre 1896 war von dieser Bewegung, soweit sie das Kunstgewerbe direkt betraf, fast nichts zu spüren. Ein ernstes Bestreben nach neuem und selbständigem Ausdruck zeigte hier allein die Architektur, doch lag es wie eine Spannung in der Luft, die nur ihrer Auslösung harrte. Im selben Jahre wurden die illustrierten Wochenschriften „Jugend“ und „Simplizissimus“ gegründet, die die Träger der neuen Gedanken zu ihren Mitarbeitern zählten, und einen bis dahin in Deutschland noch nicht gekannten Typus der Illustrationskunst darstellten. Das zeitliche Zusammenfallen der Gründung dieser Zeitschriften mit dem energischen Einsetzen der Bewegung war die Ursache, daß man später dem neuen Stil, wenn auch ohne eigentlichen Grund, den Namen „Jugendstil“ gab.

Dresdner Kunstausstellung 1897.

Schon auf der Dresdner Kunstausstellung im Jahre 1897 konnten die ersten Resultate gezeigt werden, einige Zimmer, die dem neuen Programm entsprechend ein durchaus neuartiges Aussehen hatten. In ihnen war das Bemühen unverkennbar, von dem Schema des üblichen Miethauszimmers abzuweichen und den Raum seiner Bestimmung entsprechend, zugleich aber möglichst persönlich auszubilden. Allerdings konnte man der bisher gebräuchlichen romantischen Requisiten noch nicht entraten [1601] und ließ Erkereinbauten, Ofenbänke und Balustraden, die in der vorhergegangenen altdeutschen Epoche alle Herzen entzückt hatten, getreulich wieder aufmarschieren. Nur hatte man sie ihrer historischen Zierate entkleidet und dafür mit Schnörkeln und stilisierten Blumen ausstaffiert. Einem architektonisch geschulten Auge mußten die Maßstabslosigkeit, die Unruhe und Willkür, die diese Gebilde zur Schau trugen, unerträglich erscheinen, doch war nicht zu verkennen, daß sie bis ins letzte Detail mit hingebender Liebe durchgebildet waren, und man konnte dem Temperament und dem Idealismus der schaffenden Künstler seine Bewunderung nicht versagen. Eines mußte freilich sofort ins Auge fallen, daß nämlich das Neuartige nicht durch eine innere – etwa eine technische – Notwendigkeit begründet, sondern lediglich eine subjektive Willensäußerung war. Auch beschränkte sich die neue Dekorationsweise fast ausschließlich auf die Fläche als solche und war auch dort, wo sie hätte körperlich sein müssen, sichtbar nur eine Übertragung aus dieser. Es konnte das nicht Wunder nehmen, da ja die Entwerfenden vorwiegend der Zunft der Maler angehörten, was schließlich auch in der Bevorzugung von Technikern, die sich für eine Flächendekoration besonders eigneten, seinen Ausdruck fand. So verwandte man für die Ausschmückung von Möbeln und Paneelen viel Intarsien, und man führte selbst große dekorative Kompositionen in dieser Technik aus. An die Stelle der Wandbilder traten Teppiche mit landschaftlichen und figürlichen Darstellungen, und die Butzenscheiben der vorangegangenen altdeutschen Epoche wurden durch Kompositionen von farbigen Gläsern ersetzt. Ganz besonders aber blühte die Flächendekoration auf den Gebieten, wo sie eigentlich zu Hause war, im Stoffmuster, in der Weberei und Stickerei wie in der Graphik und Buchkunst. Hier kam neben den Formen auch die Farbe zu ihrem Recht, vor allem aber lag hier die Technik dem Maler näher als bei anderen Zweigen des Handwerks. Hier war auch keine solche Kluft zwischen Entwerfendem und Ausführendem. Es bestand zwischen diesen beiden vielmehr ein enger Zusammenhang, da sich die Zeichnung fast direkt mit der Ausführung deckte und ein Beurteilen der endgültigen Wirkung dem Entwerfenden möglich war. Diese Gebiete sind denn auch am ersten zu einer gewissen Reife und Vervollkommnung gelangt. Auf allen anderen führte die Flächendekoration eine Besserung zunächst nicht herbei, sie blieb an der Oberfläche haften und suchte diese nach ihren Ideen umzugestalten.

Da die Art des Dekors streng ornamentale Formen geflissentlich vermied und sich naturalistischer, zum mindesten aber ziemlich freier Kompositionen bediente, so konnten ihr die früher gebräuchlichen einfachen Materialien nicht mehr genügen, und sie suchte deren Auswahl nach allen Richtungen zu vergrößern. Der differenzierte Geschmack des Malers hielt Umschau nach neuen Ausdruckmitteln. Indem er den Kreis der alten zu erweitern suchte, brachte er zugleich neue Ideen für die Oberflächenbehandlung und führte damit Schönheitswerte ein, an die man bis dahin nicht gedacht hatte. Der Sinn für die Schönheit und Behandlung des Materials an sich war schließlich die Quelle für eine Vertiefung auch nach der technischen Seite hin. Er kam zunächst denjenigen Gebieten zugute, für die er einen ausschlaggebenden Wert darstellte. So der Keramik, die sich bisher fast ausschließlich mit der Nachahmung von Prunkstücken älterer Stilperioden befaßt hatte. Durch das Studium japanischer und chinesischer Vorbilder begann [1602] man mehr und mehr Verständnis für diejenigen Wirkungen zu bekommen, die sich aus der sachgemäßen Behandlung des Materials ergaben. Man lernte einsehen, daß es hier weniger wie anderswo auf einen komplizierten Entwurf ankam, daß vielmehr die Stärke des Brandes mit der Zusammensetzung der Glasur bei einem guten Material die Wirkung und den Wert bedingten. Es wurden keramische Werkstätten an den verschiedensten Stellen in Deutschland gegründet, die unter der Leitung künstlerisch empfindender Fachleute eine hohe Leistungsfähigkeit erreichten. Ein ähnliches Interesse wendete man dem Metall und überhaupt allem zu, was infolge seiner geringeren Dimension ein gründliches Durcharbeiten zuließ. Mußte doch zunächst eine umfangreiche Detailarbeit geleistet werden, wenn eine allgemeine Besserung, wie man sie sich erträumte, jemals möglich werden sollte.

Darmstädter Künstlersiedlung.

In kurzen Zeiträumen folgten sich die verschiedensten Ausstellungen, und die Zeitschriften brachten die mannigfaltigsten Veröffentlichungen mit dem Namen der Künstler, die sich der neuen Bewegung bemächtigt hatten. Zu einer gewaltigen Steigerung kam es aber, als der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen eine Reihe von Künstlern nach Darmstadt berief, die in enger Zusammenarbeit, aber ganz nach freiem Ermessen an einer Reihe von Aufgaben die neuen Ideen im großen verwirklichen sollten. Der Gedanke einer Künstlersiedlung, in der nicht nur der Gesamtplan nach einer einheitlichen Idee entworfen war, sondern jedes Haus bis ins letzte Detail von Künstlerhand durchgebildet, dem darin Wohnenden eine würdige Umgebung zu weiterem fruchtbaren Schaffen sein sollte, war ebenso neuartig wie wahrhaft fürstlich. Er verkörperte das, was man sich als Höchstes von der Kunst und für die Kunst immer erträumt hatte und mußte zu äußersten Anstrengungen anspornen. Hier konnte alles, was an Kleinarbeit bisher geleistet war, zusammengefaßt und dem einheitlichen Zweck untergeordnet werden. Hier nahmen zum erstenmal die Gedanken einer Kultur des Wohnens, der Schaffung einer dem modernen Menschen angepaßten und seiner würdigen Umgebung greifbare Gestalt an. Hier begann auch etwas wie ein Stil sich herauszubilden, indem sich gewisse Ausdrucksmanieren als ein allen Künstlern gemeinsames Charakteristikum erkennen ließen.

Erweiterung des Wirkungskreises.

Unter Führung der Architektur hatten sich alle Künstler und Handwerker zu gemeinsamer Arbeit vereinigt, und doch war recht eigentlich das Detail der Angelpunkt der ganzen Schöpfung. Freilich lag auch hier noch immer das Schwergewicht auf der äußeren Form, doch konnte das eine unbestritten festgestellt werden, daß die Bewegung nicht mehr die vereinzelten Versuche einer kleinen Zahl von Vorkämpfern darstellte, sondern daß sie anfing, in weitere Schichten vorzudringen und sich Gebiete anzugliedern, die bisher ihrem engeren Wirkungskreise ferngelegen hatten. Es war ja auch ein ganz folgerichtiger Gedankengang, daß man bei einer Neugestaltung der menschlichen Umgebung auf alle diejenigen Dinge Einfluß zu gewinnen suchte, mit denen man überhaupt in Berührung kam.

[1603] So wandte man, indem man Plakate machte und Bücher ausstattete, dem einfachen Schriftsatz und der Type sein Augenmerk zu und kam von der Stickerei und dem Stoffmusterzeichnen zu einer Reformierung und künstlerischen Ausbildung der Frauenkleidung. Vom Einzelmöbel war man zum Wohnhaus übergegangen, und so war es nur ein Schritt weiter, daß man zu diesem auch den Garten hinzufügte und weiter zu einer Reformierung der Gartenkunst überhaupt kam. Englische und deutsche Veröffentlichungen vom englischen Hause hatten die Blicke auf die vorbildlichen Leistungen jenseits des Kanals gelenkt, so konnte man leicht ermessen, wie weit man bei dem Bau eines Wohnhauses in der Beeinflussung der Ausführenden zu gehen hatte und sah, daß man nicht auf halbem Wege stehenbleiben durfte. Zum guten Hause gehörten gute Räume, und zum guten Raum gute Ausstattungsgegenstände. Zum guten Hause gehörte aber auch eine gute Umgebung, sowohl die engere wie die weitere. Man mußte also außerdem das Grundstück gut durchbilden, aber auch die Straßen und den ganzen Ort nach richtigen Gesichtspunkten anlegen. So ging man vom Einzelhause weiter zum Städtebau und damit zu den größten Aufgaben, die der angewandten Kunst überhaupt gestellt werden können. Es waren das allerdings Gebiete, an die sich der Kunstgewerbler im engeren Sinne – denn dieser hatte sich inzwischen aus dem Maler entwickelt – nicht mehr heranwagen konnte, doch lag es eben an der Eigenart der Bewegung, daß alle Gebiete vom kleinsten bis zum größten von ihr ergriffen werden mußten. Ein Sichausschließen einzelner Zünfte war deshalb nicht möglich, schon aus dem Grunde, weil die Bewegung nicht die Domäne der Fachleute war, sondern sich vor der breitesten Öffentlichkeit abspielte. Das Entstehen einer großen Zahl von populären Kunstzeitschriften, vor allem aber die volkstümlichen Aufklärungsschriften von Paul Schulze-Naumburg weckten eine weitgehende Anteilnahme des großen Publikums. Das Interesse an der gleichzeitig einsetzenden Heimatschutzbewegung, die das Gute aus früheren Zeiten zu erhalten suchte, wurde mit dem an der kunstgewerblichen Bewegung verquickt und war der letzteren ein trefflicher Bundesgenosse.

Die Bedingungen für die Weiterentwicklung der Bewegung waren also die denkbar günstigsten. Es lag daher nahe, daß geschäftskluge Unternehmer auf den Gedanken kamen, die Konjunktur auszunutzen und an den verschiedensten Orten Werkstätten zu gründen, die Gebrauchsgegenstände aller Art nach Entwürfen von Künstlern und im Zusammenarbeiten mit diesen herstellten und die Einrichtung ganzer Räume übernahmen. Eine einwandfreie Arbeit war dabei ein Hauptbestreben der Unternehmen, doch zeigte die Formdurchbildung zwar viel Geschmackvolles, war aber im ganzen ein Spiegelbild der noch ungeklärten Auffassung ihrer Urheber. Immerhin war gegen den Anfang ein Fortschritt der Bewegung zu konstatieren, doch hafteten ihr noch so erhebliche Schlacken an, daß sie Gefahr lief, bevor sie zur völligen Reife kam, doch noch an diesen zu ersticken.

Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906.

Die große Kunstgewerbeausstellung in Dresden 1906 sollte endlich die ersehnte Klärung bringen und einen Wendepunkt in der kunstgewerblichen Bewegung herbeiführen. Sie war mit einem bis dahin nicht gekannten Aufwand an Raum [1604] und Sorgfalt angelegt und sollte einen Überblick über alles bis dahin Erreichte geben, zugleich aber auch eine Heerschau aller der Kräfte darstellen, die bisher an dem Werke mitgearbeitet hatten. Sie hatte alle bildenden Künste, Architektur, Malerei und Plastik zur gemeinsamen Arbeit aufgefordert, sie hatte die große Baukunst wie den einfachen Grabstein, den Repräsentationsraum wie die Wohnung des Arbeiters, das kostbarste Prunkmobiliar wie den bescheidensten Gebrauchsgegenstand in allen Formen und Materialien zur Schau gestellt. Sie war in der Tat eine glänzende Veranstaltung, und doch konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, daß das, was da geboten war, schließlich nicht das letzte, vor allem nicht das Resultat der mit so großen Worten angekündigten neuen Kunst sein konnte. Es war sicher viel Interessantes und viel Geschmackvolles dort, aber das meiste konnte sich über das willkürlich Launenhafte nicht erheben. Jetzt, wo man dem Neuen nicht mehr so überrascht gegenüberstand wie 10 Jahre vorher, jetzt wo man sich an seine Formen gewöhnt hatte, konnte man mit kühlerem Blut darüber urteilen und erkannte seine Schwächen. Man sah, daß eigentliche Fortschritte kaum vorhanden waren, daß es sich vielmehr bisher lediglich um das Wechseln eines Gewandes gehandelt hatte, ohne daß das, was sich darunter befand, verändert war. Und das Aussehen des Kleides war nicht einmal ein natürliches. Im Gegensatz zu der Formensprache der historischen Stile trugen die neuen Formen den sichtbaren Stempel des Gequälten und Unnatürlichen. Es waren nachweislich für sie weder die Bedingungen der Konstruktion noch irgendwelche sonstigen Bedingungen bestimmend. Einzig und allein die Laune ihrer Erfinder hatte diese Stilblüten gezeitigt und man mußte einsehen, daß es sich nicht um eine neue Kunst oder ein neues Handwerk, sondern allem um die Einführung neuer Muster handelte, die bei Gelegenheit eines Modewechsels wieder von der Bildfläche verschwinden konnten. Die Disziplinlosigkeit der neuen Formen feierte auf der Ausstellung wahre Orgien, und es war nicht zuviel gesagt, daß man sie einen förmlichen Hexensabbat wildgewordener Tische und Stühle nannte.

Noch ein Zweites mußte aber auf dieser Ausstellung klar werden, daß nämlich die bisherigen theoretischen Führer der Bewegung nicht immer auch zugleich befähigt waren, praktische Beispiele für ihre Lehre zu geben, die als nachahmenswerte Vorbilder dienen konnten. Was in einem Vortrag geistreich und glaubwürdig erschien, entbehrte in der Ausführung jeder Überzeugung, da es ja nicht das Produkt eines schöpferischen Genius, sondern nur das Resultat rein theoretischen Nachdenkens war. Die Unfruchtbarkeit solcher Leistungen und die geringe Aussicht, das in ihnen Verkörperte in irgendeinem Sinne weiter zu entwickeln, mußte auch denjenigen, die nicht in der Bewegung standen, klarwerden. Indessen wiesen inmitten all des Unreifen starke Anzeichen darauf hin, daß man den verhängnisvollen Irrtum der formalistischen Zuspitzung einzusehen begann. Das Studium der Schöpfungen früherer Perioden, besonders englischer Beispiele, führte zu der Erkenntnis, daß deren Wirkung nicht auf launenhafte Eingebungen, sondern auf bestimmte Gesetze und Erfahrungen zurückzuführen war, die man nicht schlechtweg über den Haufen werfen durfte. Man mußte im Gegenteil zu der Überzeugung kommen, daß, wenn man etwas gutes Neues schaffen wolle, man dieses nur in strengster Anlehnung an das Alte machen könne. Was [1605] man an dem Alten bekämpft hatte, konnte ja schließlich weniger der Umstand sein, daß es alt war, als daß es qualitativ oder geschmacklich minderwertig gewesen war. Gelang es daher, diese Nachteile auszugleichen, so mußte etwas Neues zu schaffen sein, das gut war und zugleich doch jene Haltung besitzen konnte, die allen alten Schöpfungen, auch denen der letztvergangenen Zeit, immer noch anhaftete. Die Räume, die Bruno Paul auf der Dresdener Ausstellung zeigte, hatten eine solche Haltung. Ihre Sachlichkeit und Selbstverständlichkeit mußten ohne weiteres überzeugen. Die große einfache Raumteilung, die die guten Verhältnisse voll zur Geltung kommen ließ, der angemessene Maßstab und ein erlesener Geschmack, der Farben und Materialien fein zusammenzustimmen verstand, machten sie vornehm und wohnlich. Sie zeigten gegenüber dem wilden und abenteuerlichen Aussehen der meisten anderen Räume eine überlegene Reife.

Erfolg.

Diese Ausstellung Bruno Paul’s sowie diejenige, die er im nächsten Jahre auf der Berliner Kunstausstellung zeigte, bedeutete einen entschiedenen Erfolg und zugleich einen Wendepunkt in der Entwicklung der Bewegung. Er bewirkte nicht nur, daß diese sich auf sich selbst besann und in gesundere Bahnen einlenkte. Er gewann auch alle diejenigen, die ihr bisher mit berechtigtem Zweifel zugesehen hatten, zu Bundesgenossen. Auf den wilden Fasching der letzten 10 Jahre folgte ein Aschermittwoch. Dem Jugendstil war der Todesstoß versetzt worden. Man konnte bei aller Bewunderung für den Idealismus seiner Erfinder ihn nicht länger ernst nehmen. Es war an der Zeit, wieder einmal nachzudenken, sofern die ganze Arbeit und das mit so viel Stolz angekündigte Programm nicht einem unrühmlichen Untergang verfallen sollte. Schon begannen diejenigen zu triumphieren, die aus egoistischen Gründen dem Neuen von jeher feindlich gegenübergestanden hatten, und es drohte sich das Spiel in anderem Sinne zu wiederholen, d.h. man war geneigt, dem Neuen die Lebensberechtigung genau so abzusprechen, wie die Neuerer es vor kurzem dem Alten gegenüber getan hatten. Man macht ja so leicht den Fehler, in Extreme zu verfallen.

Es zeigte sich indessen, daß die Bewegung, wenn auch einstmals künstlich ins Leben gerufen, doch inzwischen so an innerer Kraft gewonnen hatte, daß sie sich nicht durch die Erkenntnis, auf dem falschen Wege gewesen zu sein, entmutigen ließ. Im Gegenteil, es begann erst jetzt eine Zeit der Vertiefung und der innerlichen Gesundung. Hatte man vorher mit dem Schlagwort des Persönlichen und Individuellen gearbeitet und den Schwerpunkt ausschließlich auf das Neuartige der formalen Erscheinung gelegt, so erkannte man nun, daß der Wert eines Gegenstandes keineswegs hiervon abhänge, daß er vielmehr in erster Linie auf der Güte seiner Herstellung beruhe. Hatte man ihn früher nach seiner Form eingeschätzt, so achtete man nunmehr auf seine Qualität und führte die Begriffe „gut“ und „schlecht“ ein, wo man bisher nur zwischen „alt“ und „neu“ unterschieden hatte. Jetzt war man endlich auf dem Wege, auf dem man ein Ziel und eine Besserung erreichen konnte. Jetzt, wo es sich nicht mehr um subjektiv willkürliche, sondern um positive und praktische Werte handelte, war auch die Möglichkeit gegeben, die Gefahr, die Bewegung möchte auf eine Modeerscheinung hinauslaufen, abzuwenden und sie mit denjenigen großen Faktoren in Einklang zu bringen, die für das Leben unserer Tage [1606] bestimmend sind. Die Bewegung hörte auf, ein bloßer Sport zu sein und begann im wirtschaftlichen Leben eine wertvolle Rolle zu spielen. Hier war ja die Verbesserung der Qualität dasjenige Moment, das in dem Ringen um die Beherrschung des Marktes allein eine Aussicht auf Erfolg gewährleistete. Der Bewegung eröffnete sich also ein neues und bedeutendes Arbeitsfeld, und es wurde möglich, sie auf eine reale Basis zu stellen, so daß sie für alle Beteiligten fruchtbringend werden mußte.

Vom Luxus-Gegenstand zur Fabrikware.

Schon die verschiedenen Werkstätten, die mit Künstlern zusammen arbeiteten, hatten sich bestrebt, qualitativ Hervorragendes zu leisten, wobei ihnen das gute Niveau zustatten kam, auf dem sich einzelne Zweige des Handwerks trotz der geschmacklichen Unkultur erhalten hatten. Mit dem neuen Programm wurde das Kunstgewerbe jedoch Mitarbeiter der Industrie und beschränkte sich nicht mehr auf die Gegenstände, die mehr oder weniger dem Luxus dienten und auf deren Herstellung man von jeher besondere Sorgfalt verwendet hatte. Es ging dazu über, auch solchen Gegenständen eine schöne Form zu geben, die ausschließlich praktischen Zwecken dienen sollten und teilweise auf rein maschinellem Wege hergestellt wurden.

Die Industrie selbst ergriff die Initiative, indem sie bei der Herstellung ihrer Erzeugnisse hervorragende Künstler zu Rate zog. Das Verhältnis zwischen Künstler und Ausführendem bekam aber dadurch gegen früher ein ganz verändertes Aussehen. Der Künstler war jetzt nicht mehr der Souverän, der die Technik unter seinen Willen beugte und seiner Laune freies Spiel lassen konnte. Er mußte, wollte er anders seine Stellung im wirtschaftlichen Leben behaupten, sich von der Technik anstellen und die Bedingungen diktieren lassen, nach denen er seine Ideen zu formulieren hatte. Es war eine bedeutsame Tat, daß die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft einen Mann wie Peter Behrens nach Berlin berief und ihn mit der künstlerischen Ausgestaltung ihrer Erzeugnisse beauftragte. Die Leistungen, die hierdurch entstanden, bilden vielleicht die treffendste Illustration zu der Umwandlung, der sich das Kunstgewerbe unterzogen hatte. Sie bieten gleichzeitig ein Beispiel, wie es nicht klarer gegeben werden kann für die Veränderung, die der heutige Begriff Kunstgewerbe gegenüber dem Kunstgewerbe des 19. Jahrhunderts erfahren hat.

Deutscher Werkbund. Münchner Ausstellung 1908.

Im Jahre 1908 erfolgte in München die Gründung des Deutschen Werkbundes. Es war das eine Organisation, die den Zweck hatte, den Gedanken der Qualität in Herstellung und Geschmack zu propagieren und die Fühlung zwischen Künstlern und Industriellen zu vermitteln.

Im gleichen Jahre hatte in München eine Ausstellung stattgefunden, die ganz und gar von diesen Gedanken geleitet war und in technischer wie in geschmacklicher Hinsicht das Beste bot, was man bis dahin überhaupt gesehen hatte. Die Ausstellung war eine ausschließliche Tat Münchener Künstler, die damit nicht nur eine deutliche Absage an die bisherige falsche formalistische Richtung erteilten, sondern auch, da gerade sie den Boden [1607] der Tradition niemals verlassen hatten, die dieser innewohnende Stärke mit klarem Bewußtsein benutzten. Die Gedanken dieser Ausstellung waren in ihrem Wesen so gesund und damit lebensfähig und modern, daß sie der Werkbund, dessen Entstehung also recht eigentlich auf die Münchener Künstlergruppen zurückging, unverändert als Programm übernehmen konnte.

Der Künstler war in den Dienst der Industrie getreten. Das bedeutete die Anerkennung der Tatsache, daß der größere Teil des Bedarfs nicht mehr durch die Produktion des einstigen Handwerks gedeckt wurde, d. h. daß die führende Rolle und damit die Hauptunterstützung der fabrikmäßigen Herstellung zukam. Dem Handwerk verblieben immerhin noch eine Reihe von Aufgaben, die die Industrie unmöglich übernehmen konnte. So ließen sich die Wirkungsgebiete dieser beiden klar gegeneinander abgrenzen. Im wesentlichen gehörte das Einzelstück dem Handwerk, die Massenware der Industrie. Doch war es natürlich nicht zu vermeiden, daß in Einzelfällen ein Übergreifen von dem einen auf das andere stattfand.

Allerdings boten sich dem Zusammenarbeiten und damit einer Beeinflussung der Industrie stellenweise große Schwierigkeiten. Die Lage des Marktes, besonders aber die Rücksicht auf die exotischen Absatzgebiete mußten für einzelne Zweige eine Annäherungsmöglichkeit grundsätzlich ausschließen.

So traf das Streben nach Vereinfachung der Form oft auf einen energischen Widerstand, da der Geschmack der Konsumenten den Reichtum an nichtssagenden Formen in vielen Fällen verlangte. Dagegen fanden bei der Industrie, die ihre Absatzgebiete im Inlande hatte, die neuen Bestrebungen wegen ihrer vernünftigen Gedanken eine erfreuliche Unterstützung. Ja, die Industrie begriff, daß für sie mit einer Verfeinerung der Fabrikate nach der künstlerischen Seite hin ein wesentlicher Vorteil verbunden war, und daß sie sich eine bessere und vornehmere Form der Reklame nicht wohl wünschen konnte.

Weltausstellung Brüssel 1910.

Sollte nun aber die Stellung des deutschen Künstlers im wirtschaftlichen Leben erhalten und weiter ausgebaut werden, so mußte er notgedrungen trachten, auch an die Exportgebiete heranzukommen. Denn diese nahmen einen großen Prozentsatz der genannten Fabrikation ein. Dazu war es aber nötig, auch im Auslande Verständnis zu erwecken. Der Werkbund betrachtete es als seine vornehmste Aufgabe, dieses Ziel zu erreichen und ergriff die nächste sich bietende Gelegenheit, den Wert seiner Bestrebungen vor dem Auslande darzutun.

Für die Weltausstellung in Brüssel im Jahre 1910 wurde dank dem Verständnis der deutschen Ausstellungsleitung der Werkbund zur Mitarbeit herangezogen. Daß der Entwurf der ganzen Anlage- und der Ausstellungsgebäude an Künstler übertragen wurde, war auch schon früher üblich gewesen; jetzt fiel diesen zugleich eine Mitarbeit an der Schaustellung selbst zu, indem die Ausstattung der einzelnen Räume, der Schränke und Vitrinen mit der gesamten Detaillierung bis zur Schrift auf dem Firmenschild, in ihre Hände gelegt wurde. So konnte ein gemeinsamer Grundgedanke die Ausstellung [1608] durchdringen und sie als ein einheitliches Kunstwerk erscheinen lassen. Der ausgestellte Gegenstand mußte in der ihm angepaßten und geschmackvollen Umgebung besonders gut zur Geltung kommen, und es war unmöglich, daß die Objekte, wie dies früher oft geschehen war, sich in ihrer reklamehaften Aufmachung gegenseitig in ihrer Wirkung beeinträchtigten. Die Erfahrungen, die die Münchener Ausstellung vom Jahre 1908 gebracht hatte, wurden hier verwertet und, indem sie zum ersten Male und in großem Maßstab vor dem Ausland angewendet wurden, sicherten sie dem deutschen Kunstgewerbe einen durchschlagenden Erfolg. Das Ausland konnte nicht umhin, die hier dargetane Überlegenheit anzuerkennen, um so mehr, als die ausgestellten eigenen Leistungen erkennen ließen, daß auch dort die gleichen Bestrebungen zwar vorhanden, aber in den Anfängen steckengeblieben waren. Für das deutsche Kunstgewerbe hatte dieser Erfolg den Beweis dafür erbracht, daß die Richtung, die es seit der Dresdener Ausstellung eingeschlagen hatte, die richtige war.

Ausblick.

Es mag dahingestellt bleiben, ob es jemals gelingen wird, für die modernen Kulturvölker dieselben Zustände wieder herbeizuführen, wie sie noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein bestanden haben und in den Ländern Ostasiens zum Teil heute noch bestehen. Der beispiellose technische und wirtschaftliche Aufschwung hat eben die Verhältnisse von Grund auf verändert. Wir stehen im Augenblick den Ereignissen noch zu nahe, um ihnen eine in allen Punkten gerechte Kritik angedeihen zu lassen. Besonders sind wir leicht geneigt, das Modische und viel Genannte zu überschätzen auf Kosten aller der ehrlichen Arbeit, die sich nicht in den Vordergrund stellt und unter Umständen für ihre Zeit die bedeutsameren Werte schafft. Immerhin sind wir unleugbar ein gutes Stück vorwärts gekommen und wenn, wie überall, auch hier der Anfang das Schwerste ist, so steht zu hoffen, daß die nächsten Jahre eine immer schnellere Weiterentwicklung bringen werden. Es ist ja durchaus nicht erforderlich, daß das erträumte Ziel des neuen Stils in Bälde erreicht werde. Es wird genügen, wenn alle Produzenten in den Stand gesetzt werden, ihre Erzeugnisse so einfach, aber zugleich geschmackvoll und gediegen herzustellen, daß sie in jedem Falle eine einwandfreie Lösung der gestellten Aufgabe darstellen und wenn in den Konsumenten das Verständnis und Bedürfnis für solche Leistungen geweckt wird. Eine hierdurch bewiesene anständige Gesinnung wird derjenigen, die aus den guten Stücken der Vergangenheit zu uns spricht, völlig ebenbürtig sein, und ohne daß wir es wollen oder selbst beurteilen können, werden solche Erzeugnisse aus unseren Tagen der Nachwelt als einheitliche und charakteristische Zeitdokumente erscheinen.