Das Original der Don Juane

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Autor: Fr. Helbig
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Titel: Das Original der Don Juane
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 322–325
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Original der Don Juane.


„Schöne Dame! Dieses kurze Register giebt von einigen Herzensgeschichten meines Herrn einen kleinen Prospect. Wenn’s beliebt, so laufen wir’s durch.“ Wer von den vielen Herren der Schöpfung, an deren Ohr schon die Worte dieses treuen Dieners seines Herrn geschlagen sind, hat sich nicht im Stillen sagen müssen, daß auch er einen Beitrag zu diesem Schatzregister Leporello’s leisten könne? Gestehen wir’s nur offen: Den Glauben an eine Unwiderstehlichkeit gegenüber dem schwachen Geschlechte hat fast Jeder von uns – und war’s auch nur ein „süßer Wahn“ – eine Zeitlang in sich getragen. Wollen wir doch immer etwas von Faust in uns haben! Dann müssen wir aber auch den Don Juan mit in den Kauf nehmen, denn Beide stehen, sich ergänzend, zueinander. Freilich sind wir dabei gegenüber unserem großen Vorbilde, das es allein in Spanien auf tausendunddrei gebracht, doch nur erbärmliche Stümper. Dafür empfangen uns aber nach Ablauf unserer Don-Juan-Periode auch nicht die Pforten der Hölle, sondern die – der Ehe. Und es sind nur schlechte Spaßmacher, welche behaupten wollen, daß diese beiden Begriffe sich decken.

Wir sind gewohnt, immer Mozart dafür verantwortlich zu machen, daß er dieses bedenkliche Beispiel, dieses Hauptexemplar aller Herzensräuber, diesen gottlosen Heuchler und verführerischen Schmeichler, diesen Bekenner des männlichen Unfehlbarkeitsdogmas unserem biederen deutschen Gemüthe noch dazu unter der Zaubergewalt einer berückenden Musik zugängig gemacht hat. Indeß sind Mozart und seine Librettodichter nicht die eigentlichen Schöpfer dieser gewaltigen, dämonischen Figur. Als sie umrauscht von den zauberhaftesten aller Melodienklänge im Jahre 1787 zum ersten Male über die Prager Bühne schritt, hatte sie bereits eine Geschichte. Langsam und in großen Pausen war sie schon von ihrem Heimathlande Spanien aus durch Italien nach Frankreich gewandert, überall dort Herzen und Boden erobernd.

Das Land der blühenden Kastanien ist also die jedenfalls auch naturgemäßeste Heimath unseres Helden. Andalusische Chroniken berichten uns zuerst die Historie seines Lebens und verlegen dessen Anfangs- und Endpunkt nach Sevilla, dieser Stadt, welche in ihrer Verschmelzung maurisch-romanischer Elemente immer als das Arkadien aller Romantik gegolten hat. [323] Diese Chroniken beschränken sich indeß wesentlich auf die Mittheilung der That der Ermordung des Comthurs und deren begleitende Umstände. Sie erzählen darüber Folgendes.

Don Juan Tenorio, der Sohn einer vornehmen Familie aus dem Geschlechte der Vierundzwanziger, erstach den greisen Comthur Gonzalo de Ulloa in Sevilla, als dieser die gewaltsame Entführung seiner Tochter hindern wollte. Der Leichnam wurde im Kloster zu St. Francisco, in welchem die Familie eine Capelle besaß, beigesetzt und das Grabmal mit der Statue des Gemordeten geziert. Den Mörder selbst schützte seine hohe Geburt vor dem Arme der Justiz. Indeß gelang es den Mönchen des Klosters, die an dem wüsten Treiben Don Juan’s längst ein Aergerniß genommen hatten, diesen in ihr Kloster zu locken und durch seine Ermordung den Rachegefühlen des Ulloa’schen Geschlechts Genüge zu leisten, wogegen sie nach außen das Gerücht verbreiteten, Don Juan habe die Statue des Comthurs in gotteslästerlicher Weise verhöhnt, da habe ihn diese erfaßt und durch die klaffenden Steinplatten in das höllische Feuer gestürzt. Mit der Zeit trat diese klösterliche Erfindung ganz an die Stelle der Wahrheit und die Kirche hatte damit durch Aufstellung eines Beispiels für das Walten des göttlichen Strafgerichts sich selbst, gleichzeitig aber auch der Poesie ein Verdienst erworben. Es ist bekanntlich dies nicht der einzige Fall, in welchem die Dichtkunst bei der Kirche sich zu bedanken hat.

Englische Forscher haben bei Gelegenheit der Kritik des Byronschen Don Juan herausgefunden, daß ein vornehmes Hidalgogeschlecht, Namens Tenorio, in der That in Andalusien existirt hat, daß unser Weiberheld der jüngste Sohn eines berühmten Admirals aus jenem Geschlechte und der vertraute Freund des castilischen Königs Peter des Grausamen, sein Oberkellermeister und Genosse seiner Unthaten und Grausamkeiten gewesen ist. Es fiele dann sein Leben in die Zeit der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts.

Das schreckliche Ende des Don Juan wurde im Gedächtnisse des Volkes festgehalten und, um dasselbe immer mehr mit der höheren Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, seine Person zu einem immer größeren Sünder im Reiche der Liebe, zu einem professionellen Verführer und Lebemann, zu einem dämonischen Verhöhner und Zertreter aller christlichen Lebensordnung hinaufgeschraubt und zu diesem Ende ihm verschiedene abenteuerliche Thaten angedichtet. So wurde unter Anderen folgendes Bravourstück von ihm erzählt.

Nach einem schwelgerisch vollbrachten Tage ging er Abends am Ufer des Guadalquivir spazieren und bat einen am anderen Ufer wandelnden Fremden um Feuer für seine Cigarrette. Sogleich langte dieser Fremde, den Don Juan nur hatte verhöhnen wollen, seinen Arm in immer wachsender Verlängerung über den Fluß herüber, und Don Juan brannte kaltblütig seine Cigarre an dem herübergereichten Feuer der fremden Cigarre an. Dieses Abenteuer ist, wie schon der Brauch des Rauchens andeutet, unserem Helden jedenfalls erst später und zwar zu einer Zeit angedichtet, wo jeder ausschweifende Lebenswandel auf ein Bündniß mit dem Teufel zurückgeführt wurde.

Nachdem so die Sage ein paar Jahrhunderte durch das Mittel der Tradition sich heimlich forterhalten hatte, nahm sich die Dichtkunst ihrer an, sammelte die einzelnen Züge und gestaltete sie zu einem Drama. Die Hand, die dies that, war wieder eine geistliche. Der Predigermönch Gabriel Tellez, Beneficiat des Ordens Unserer lieben Frauen von der Gnade zu Madrid, gab neben vielen anderen Komödien unter dem Schriftstellernamen Tirso de Molina auch ein Schauspiel: „Der Verführer von Sevilla oder der steinerne Gast“ (el burlador de Sevilla y convidado de piedra) 1634 zuerst gedruckt heraus, als dessen Held Don Juan Tenorio figurirt. Erst mit dieser dichterischen Belebung wurde die Figur auch über die Grenzen Andalusiens hinaus bekannt; von da an entwickelt sich erst ihr kosmopolitischer Charakter; sie wird typisch für alle Zeiten, und selbst die in dem Drama weiter auftretenden Personen und vorgeführten Handlungen theilten dieses Schicksal. Es ist also ist diesem Don Juan des Tirso de Molina das zuerst ausgeprägte Original der späteren Don Juane, die in Dramen, Epen, Romanen und im wirklichen Leben spuken, zu suchen. Deßhalb ist es wohl am Platze, die äußerst lebensvolle und bewegliche Handlung dieses Dramas einer kurzen Skizzirung zu unterwerfen.

Wir treffen gleich in der ersten Scene Don Juan mitten in seiner charakteristischen Thätigkeit. Kaum hat er sich in Neapel zum Besuche seines Oheims, des spanischen Gesandten Don Pedro Tenorio eingefunden, nachdem ihn sein Vater bereits wegen Kränkung einer edlen Sevillanerin fortgeschickt hatte, als er der Herzogin Isabella unter der Maske ihres Verlobten Don Octavio einen nächtlichen Besuch im Palaste des Königs macht. Die den Betrug frühzeitig wahrnehmende Donna ruft nach Hülfe; der König erscheint, läßt Don Juan durch Don Pedro gefangen nehmen, dieser aber den sauberen Vogel, als er in ihm seinen Neffen erkennt, entschlüpfen. Er flieht zur See, leidet unterwegs Schiffbruch, wird ohnmächtig an eine Küste geschleudert und erwacht in dem Schooße eines hübschen Fischermädchens, die eben noch, ehe ihr die zweideutige Gabe des Meeres in den Schooß gefallen, die Freiheit ihres jungen Herzens von jedem Banne der Liebe in begeisternden Versen gepriesen hatte. Don Juan schlägt die Augen auf, nicht um sich des wiedergewonnenen Daseins zu erfreuen, sondern um sofort zu entdecken, daß es in der That ein allerliebstes Mädchen ist, die ihn in ihren Armen hält. Diese Entdeckung und der Entschluß, das Entdeckte zu besitzen, fallen bei ihm stets zusammen. Sie bilden nur einen Moment. Und so öffnet er den Mund auch nicht etwa um seiner Retterin zu danken, sondern um ihr ahnungsloses Herz sofort mit den verführerischsten Schmeichelreden zu bestürmen und durch die heißesten Schwüre an sich zu ketten. Die Aermste empfindet zu spät, wie weit gefährlicher es ist, Menschen statt, wie sie seither that, Fische zu angeln. In der über sie jäh hereinbrechenden Erkenntniß ruft sie ihre Nachbarn, ihre bisher abgewiesenen Freier zur Verfolgung des Treulosen auf, dem sie in der Unschuld ihres Glaubens an seine Treue sogar selbst zur Flucht verholfen, und stürzt sich reuegefoltert in das Meer.

Don Juan ist indessen wieder ist seiner Vaterstadt Sevilla angelangt. Auch Don Octavio ist dahin gegangen, um Jenen wegen des Attentats auf seine Verlobte anzuklagen. Des Letzteren Vater erhebt lauten Jammer über das wüste Treiben seines Sohnes, den der König nach der Anklage Octavio’s aus Sevilla verbannt. Don Juan beantwortet solche väterliche „Moralpredigten“ mit Spott und Hohn, ist indeß wieder im Begriffe, ein neues galantes Abenteuer auszuführen. Diesmal gilt es der Geliebten seines eignen Freundes und einstigen Genossen seiner Thaten – in einem solchen Falle kehrt er sich weder an Freund noch Feind –, des Marquis de la Mota, eines gewöhnlichen Wüstlings, der auf noch weit niedrigerem Niveau steht als Don Juan. Des Freundes rother Mantel übernimmt die Täuschung, aber der Betrug gelingt auch diesmal nicht. Die Dame, auf deren Herz es abgezielt war, ist die Tochter des Comthurs Gonzalo de Ulloa, Donna Anna. Auf ihr Hülfegeschrei kommt der Vater hinzu, fällt Don Juan an und wird von diesem erstochen. Don Juan entkommt, und der eben eintreffende Freund gilt als Mörder. Dieser taucht hierauf bei einer bäuerlichen Hochzeitsfeier wieder auf. Die Braut hat das Verhängniß, ihm zu gefallen, und er weiß durch ein wahrhaft raffinirtes Mittel den eifersüchtigen Bräutigam sich vom Halse zu schaffen. Er macht ihm weis, seine Braut habe bereits mit ihm die Treue gebrochen. Mit einer solchen Braut mag selbst ein Patricio nichts mehr zu schaffen haben. Er verläßt sie; Don Juan hat freies Spiel und seiner überlegenen Rede und einigen kräftigen Eidschwüren gelingt es sehr bald, das Herz der ländlichen Schönen zu erobern.

Diesen beiden Figuren begegnen wir als Zerline und Masetto im Mozart’schen Don Juan. Die Grundzüge ihrer Charaktere sind hier beibehalten, wenn auch in etwas weiterer Ausführung. Die Fischerin Tisbea ist nicht mit aufgenommen.

Damit enden zunächst die Liebesabenteuer unseres Helden. Die verlassenen und gekränkten Geliebten treten nun an der Seite ihrer betrogenen Freier als Rächerinnen auf. Auch das Fischermädchen ist unter ihnen. Einer ihrer Werber hat sie aus der See gefischt. Der Uebermuth des siegreich über die Mächte der Erde triumphirenden Don Juan ist auf’s Höchste gestiegen. Er wagt sich jetzt auch an die Mächte des Jenseits. Er stößt mit seinem ein seltsames Gegenstück von Glaubens- und Todesfurcht bildenden Diener Catalinon, der über die lockeren Thaten seines Herrn immer weidlich schimpft, aber ihn doch nie verläßt, [324] auf die Statue des Comthur. Zur Beantwortung ihrer Inschrift, darin es heißt:

Für erlittnen Schimpf und Spott
Harrt ein Edler hier auf Rache.
Den Verräther strafe Gott!

lädt er den steinernen Gast zum Abendessen ein. Das Steinbild hält Wort. Der todtblasse Diener forscht es aus über die Geheimnisse des Jenseits. Der unerschrockene Don Juan verspricht ihm, morgen in die Capelle zum Nachtmahl zu kommen. Als er, den überkommenen Schauer durch Spott besiegend, der abgehenden Statue leuchten will, ruft diese ihm zu:

„Laß das! Mich erleuchtet Gott.“

Don Juan soll inzwischen auf Befehl des Königs mit der verlassenen Isabella verheirathet werden. Er willigt darein, will aber cavaliermäßig, dem Flehen seines Dieners zum Trotze, erst der Statue das gegebene Wort einlösen. Das Gastmahl in der Capelle beginnt. Unsichtbare Chöre intoniren den Gesang des dies irae; Scorpionen und Schlangen werden als Speise aufgetragen; essigsaure Galle dient als Wein; der Galgenhumor der Gäste liefert die Würze. Nach aufgehobener Tafel tritt der steinerne Gastgeber zu Don Juan, streckt die eisige Rechte aus und ruft: „Jetzt reiche mir die Hand!“

„Weh, ich brenne!“ schreit Don Juan, „Gluth und Flammen verzehren mich.“

„Noch kein Vergleich mit Deinen künftigen Qualen,“ replicirt die Statue.

Im Muthe der Verzweiflung greift Don Juan sie mit dem Dolche an und muß sehen, daß die Waffe ihr nichts anhat, daß er in Luft und Hauch hinein stößt. Da ruft er gebrochen nach einem Beichtiger.

„Allzu spät ist dieses Verlangen,“ spricht der Bewohner des Jenseits und versinkt mit ihm in die flammende Tiefe. Die Capelle brennt; Catalinon, der Diener, aber kriecht, wie es im Texte des Stückes heißt, auf allen Vieren nach vorn. Der Verfasser des Mozart’schen Don Juan-Textes hat dem großen Sünder die letzte kleine Schwäche erspart. Ohne Beichtruf, ohne Reue bis zuletzt verharrend in energischem Trotze wider den Himmel und seine Gnade stolz ablehnend, läßt er ihn den Mächten der Unterwelt verfallen.

Nach dieser erschütternden Katastrophe geht das Molina’sche Stück noch wie ein Lustspiel aus, indem alle durch Don Juan’s Eingriffe in Frage gestellten Liebesbündnisse sich von Neuem schließen, so daß wir am Vorabend von nicht weniger als vier Hochzeiten stehen. Nach dem Texte der Mozart’schen Oper treten zum Schlusse auch Octavio und Genossen wieder auf, um die himmlische Gerechtigkeit zu preisen, welche an ihrer Statt das Vergeltungsamt vollzogen hat. Um jedoch den großartigen Eindruck der Katastrophe nicht zu zerstören, wird bei der Aufführung dieser matte Schluß gewöhnlich gestrichen.

So haben wir also hier bereits die Figuren der Mozartschen Oper bis auf Donna Elvira. Auch die Charaktere sind wesentlich beibehalten, namentlich besteht auch schon der wirksame Contrast zwischen dem thatkräftigen Don Juan, der rücksichtslos den Eingebungen seines sinnlichen Dranges folgt, und dem empfindsamen und nie zur That sich aufraffenden Octavio, nur hat der Charakter der Donna Anna bei Mozart weit mächtigere Dimensionen angenommen, wie denn auch das Stück mit der Ermordung des Comthurs eröffnet wurde, also zur Entwickelung des Charakters ein weiterer Spielraum bleibt. Indeß ist auch die Mozart’sche Elvira keine Originalfigur. Ihr Schöpfer ist Molière. Das spanische Stück wanderte nämlich zunächst nach Italien und wurde dort in einer Umarbeitung aufgeführt. Diese Umarbeitung ist knapper, bühnengerechter, namentlich nach dem Schlusse zu, wo die Höllenfahrt Don Juan’s den Ausgang des Stücks bildet. Durch die Hereinziehung der dort typischen Figuren des Arlequino und Pantalon wurde dem komischen Elemente viel Raum gegeben und lassen sich auf diese italienische Taufe die Hauptnuancen der Leporellofigur zurückdatiren, namentlich auch das berühmte Register. Arlequino-Leporello warf, nachdem er die viele Ellen lange Rolle theilweis abgelesen, sie mit dem einen Ende noch in’s Parterre und rief dem Publicum zu: „Bitte, meine Herren, sehen Sie zu, ob nicht vielleicht der Name Ihrer Frau, Schwester oder Braut sich darauf verzeichnet findet.“ Italienische Wandertruppen brachten sodann das Schauspiel nach Paris. Dort erregte es die Aufmerksamkeit des bereits berühmt gewordenen französischen Lustspieldichters und er arbeitete danach sein Drama „Don Juan oder das Gastmahl des Don Pedro“.

Hier erscheint Don Juan als Ehemann. Er hat Elvira aus dem Kloster entführt und geheirathet. Das eheliche Leben ist aber nicht nach seinem Geschmacke. Er bekommt es bald satt; er verläßt Elvira, um einer Schöneren nachzuziehen. Jene reist ihm nach und sucht nun während des ganzen Stückes den Treulosen sich und der Tugend wiederzuerobern. Ihr Herz ist dabei ebenso zwischen Haß und Liebe getheilt wie später bei Mozart. Dieser Molière’sche Don Juan ist nicht blos, wie sein Diener Spanarella ihn wiederholt bezeichnet, ein Allerweltsheirather, er ist Philosoph, als solcher Epicuräer und Atheist. Er verficht seine Philosophie durch die Dialektik der Rede, auf welche der alte Don Juan sich gar nicht einläßt. Letzterer ist ein guter Katholik. Er verneint nicht den Glauben; er weiß recht gut, daß ihn einst das göttliche Strafgericht treffen wird. „Pah,“ meint er aber, „das hat noch lange Zeit.“ Er pocht auf die Kraft seiner Jugend und hält sich an den Genuß des Augenblicks. Jener hingegen ist ein Bild der platten, herzlosen Wüstlinge der damaligen französischen Aristokratie, jener frivolen Marquis, deren Schicksal sich nicht am Grabmale des Comthurs, sondern auf dem Grêveplatze zu Paris erfüllte. Auch das bei Mozart angewandte Motiv des Kleiderwechsels ist hier zuerst gebraucht.

In einer späteren italienischen Bearbeitung von Goldoni wird die Strafe des beleidigten Himmels an Don Juan nicht durch die Verstoßung in die Hölle, sondern durch einen Blitzstrahl vollzogen.

Nachdem der Stoff dann weiter zur Unterlage eines Ballets mit Gluck’scher Musik gedient, nachdem er bereits auch schon als Oper durch einen Italiener Righini bearbeitet worden, wurde die Geschichte unseres Helden endlich im Jahre 1787 von dem Abte Lorenzo da Ponte für Mozart als Operntext bearbeitet und ihm eine geradezu weltgeschichtliche Bedeutung gesichert, Damit war aber sein Lebenslauf noch keineswegs abgeschlossen, vielmehr begannen nun erst die Don Juane an allen Orten und Enden, in den Literaturen fast aller Länder hervorzusprießen, freilich, folgend den Gesetzen der Zuchtwahl, in oft sehr starker Abweichung von ihrem gemeinsamen Stammvater.

Man unterschied bereits in Spanien neben dem Don Juan de Tenorio noch einen Don Juan de Meranna. Beide geben sich in Bezug auf die Zügellosigkeit ihres Lebenswandels nichts nach. Um so verschiedener aber ist ihr Ende. Der von Meranna wird in Folge einer Vision, die er kurz vor dem Momente der Entführung einer Nonne hat, einer Vision, welche ihm den Act seiner eigenen Bestattung vorgaukelt, zum reuevoll Bekehrten. Er wird Mönch. So maßlos wie sein Leben, so maßlos ist nun seine Reue. Er steigert die Selbstpein namentlich nach einem Rückfalle, auf’s Höchste. Seinen Leib befiehlt er unter den Fußboden der Kathedrale zu begraben, damit Alle ihn mit Füßen treten. Im Gegensatze zu seinem wilden und wildgebliebenen Namensvetter könnte man diesen den zahmen oder zahmgewordenen Don Juan nennen. Ihm ist das geistige Ursprungszeugniß noch deutlicher auf die Stirn geschrieben. Eine ausführliche Beschreibung seines Lebens und Sterbens giebt uns Prosper Merimée in seiner Erzählung „Die Seelen des Fegefeuers oder die beiden Don Juane“.

Aber auch außerdem ist die Zahl der Verehrer dieses zahmen Don Juan eine sehr große und hat seinen wilden Vorgänger fast ganz verdrängt. Er ist nicht blos allein nach dem Geschmacke der Gräfin Hahn-Hahn bei der Vorführung ihrer weiblichen Don Juane. Läßt doch selbst Goethe, dessen eigene Leporelloliste von Gretchen bis zur Minna Herzlieb eine recht anständige Summe von Namen aufweist, seinen Faust während seiner Don-Juan-Periode auch in einer etwas kläglichen Armensünderverfassung auftreten, und auch die Weislingen und Consorten leiden stark an sanften Wallungen und Gewissensbissen, während Lenau gar seinen Don Juan, nachdem derselbe seine zahlreiche Nachkommenschaft testamentarisch vorher gut versorgte, an melancholischem Lebensüberdrusse, an philiströser Langeweile zu Grunde gehen heißt, wogegen Lord Byron sich begnügt, ihn als verführerischen Liebhaber von Sieg zu Sieg zu schleppen, ohne sich dabei um sein Ende weiter zu kümmern. Das Volks- [325] und Puppentheater ließ andererseits das „verliebte Wesen“ jenes Don Juan vor dessen verbrecherischer Natur, die ihn von Mord zu Mord treibt, fast ganz in den Hintergrund treten. Der deutsche Idealismus konnte natürlich nicht umhin, ihn mit dem herkömmlichen Ideale zu versehen und seinem Treiben die entsprechenden „höheren Gesichtspunkte“ zu geben. Da muß er in jedem Frauenherz, das ihm verfällt, das ersehnte Ideal des Weibes suchen, und da er’s nie oder nur sehr spät findet, müssen darüber so und so Viele erst zu Grunde gehen, denen er dann ein mitleidiges Achselzucken über sein und ihr Verhängniß nicht versagt. In anderen Fällen übernimmt auch eine „reine Mädchenseele“ die sittliche Bekehrung und Reinigung des vom Dichter verhätschelten Sünders. Nur der große Grabbe blieb der alten Auffassung, dem alten wilden Don Juan treu und ließ ihm jene energische Größe, welche die Figur bei Mozart und seinen Vorgängern besaß und welche ihn ebenbürtig einstellt in die Reihe der großen Bösewichtscharaktere Shakespeare’s.

Die moderne Zeit und ihre Cultur kann sich in der That den alten Don Juan nur denken unter einer starken Beimischung von Faust; sie glaubt trotz der neuesten Belehrung des „Philosophen des Unbewußten“ nicht an das bloße dunkle Walten jenes elementaren Instincts, dessen willensstarker Hingabe das ganze Leben des Originals aller Don Juane galt.

Fr. Helbig.