Das Volksmärchen in Pommern

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Textdaten
Autor: Ulrich Jahn
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Titel: Das Volksmärchen in Pommern
Untertitel:
aus: Monatsblätter [der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde]. 1. Jahrgang, S. 113–121, 129–137
Herausgeber: Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Hessenland
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Erscheinungsort: Stettin
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[113]
Das Volksmärchen in Pommern.
(Vortrag gehalten bei der dreizehnten Jahresversammlung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Stettin am 31. Mai von Dr. Ulrich Jahn).

Das Volksmärchen ist im Verhältniß zu andern Zweigen des Volksthümlichen in Norddeutschland etwas stiefmütterlich behandelt worden. Selbst an die umfangreichsten Sammlungen von Sagen, Sitten und Bräuchen schließen sich im günstigen Falle nur eine kleine Anzahl Märchen. Das macht den Eindruck, entweder als ob die Forscher nicht mehr Material zusammenbringen konnten oder als ob sie dem Märchen im Vergleich mit der wissenschaftlichen Ausbeute, welche Sagen, Sitten und Bräuche liefern, eine untergeordnete Stellung beimaßen. Nach meinen Erfahrungen ist das Material dem der Sagen etc. nicht nur an Umfang, sondern auch an wissenschaftlichem Werthe vollkommen gleich, an ethischem Gehalt und poetischer Schönheit übertrifft das Märchen alle übrigen [114] Schöpfungen des Volksgeistes bei weitem. Ich hoffe mir darum hier einigen Dank zu verdienen, wenn ich mich des zurückgesetzten Kindes annehme und mich im folgenden hier über das Volksmärchen in Pommern auslassen werde.

Wo findet sich das Märchen? Zur Beantwortung dieser Frage erlaube ich mir, mit kurzen Worten auf die einzelnen Klassen der Bevölkerung Pommerns einzugehen. Die Unterschiede Städter und Landvolk, Bürger und Bauer, Reich und Arm helfen uns hier wenig; anders steht es mit Gebildet und Ungebildet. Die Gebildeten – Dickköpfe nennt sie der gemeine Mann und begreift darunter den Edelmann und den Kaufherren, die studirten Leute und die höheren Beamten – also wer sich zu den Gebildeten rechnet, trägt fast niemals etwas Volksthümliches in sich, in den weitaus meisten Fällen haßt und verachtet er es sogar, wenn’s nicht gerade Modesache geworden ist oder von oben gewünscht wird, für derlei Dinge zu schwärmen. Und die Herren, denen die Sorge für die geistige Pflege des Volkes anvertraut ist, pflegen in der Verachtung des Volksthümlichen, d. h. mit andern Worten des wirklich Nationalen, obenan zu stehen. Es ist eben in Pommern in dem Stücke nicht besser, wie anderswo im deutschen Vaterlande.

Was nun die Ungebildeten angeht, so sind auch sie für unsere Zwecke nur zum geringen Theile zu gebrauchen. In abergläubischen Vorstellungen, alten Bräuchen und Sitten liefern sie freilich dem Ethnologen allesamt schätzbares Material, aber bezüglich der Volkspoesie, die uns hier allein angeht müssen wir genau den Kleinbürger und Bauer von dem sogenannten vierten Stande trennen. Der Handwerksmeister in dem kleinen Landstädtchen findet nach des Tages Mühen und Lasten seine geistige Erholung beim Glase Bier in der Zeitung. Auch Bücher liest er gerne, ebenso wie seine Angehörigen, sie dürfen schal und flach und abscheulich geschrieben sein, wenn sie nur dabei ungeheuerlich und wüst sind. Ohne gewaltig rauhe Taugenichtse und edelmüthige Räuber, ohne Fürsten und [115] Grafen, ohne Mord und Todschlag darf’s nicht abgehen, er ist die Herzensfreude und das rechte Feld des Zeitungs- und Schauerroman-Schriftstellers. Ist der Meister streng kirchlich gesinnt, so genügt ihm gemeinhin, was sein Sonntagsblatt bietet. Sonst liest er die Bibel, das Gesangbuch und Erbauungsschriften. Ja er giebt oft beträchtliche Summen aus, um sich auf dem Gebiet eine kleine Bücherei zu verschaffen.

Der Bauer steht in geistiger Beziehung noch eine gute Stufe niedriger. Sein ganzes Bestreben ist der Erwerb, Haus und Hof zusammenhalten, das Besitzthum vergrößern, guten Viehstand haben, Geld auf Zinsen legen oder bar im Kasten verschließen, dann und wann etwas Tüchtiges drauf gehen lassen, höhere Güter kennt er insgemein nicht. Wenn er überhaupt geistige Bedürfnisse hat, so sind es dieselben, wie die des Kleinbürgers. Die Volkslieder gefallen ihm wohl, aber die Tagelöhner singen sie, darum kann er sie nicht leiden. Das Märchen entspricht nicht den wirklichen Verhältnissen, wie sie sein kalter, nüchterner Verstand begreift, er verachtet es. Nur an der Zote findet er Gefallen, und zotige Geschichten kann man vom reichsten Bauer so gut und in eben solcher Fülle lernen, wie vom ärmsten Arbeitsmann. Sie sind ein hartes Geschlecht die pommerschen Bauern und weicheren Gefühlen kaum zugänglich. Wenn sie sich, was in vielen Gegenden noch das Gewöhnliche ist, mit ganzer Entschiedenheit zum Christenthum bekennen, so habe ich sie immer im Verdacht gehabt, und von anderer Seite wird mir diese Beobachtung wohl bestätigt werden, sie thun es nur, um für das unendlich lange ewige Leben sicher zu gehen. Die Anerkennung des höheren Standes der Edelleute und der vornehmen Stadtherren liegt ihnen im Blute, und sie würden ihnen, wenn es darauf ankäme, auch gerne im Himmel die nöthige Ehrfurcht bezeugen. Daß aber auch der arme Schlucker in denselben Himmel kommen und mit ihnen gleiche Rechte genießen soll, daß es keinen besonderen Bauernhimmel giebt, können die [116] wenigsten begreifen. Allerdings, wie der Bauer im Himmel reden wird, kann ich nicht wissen, aber wie er hier auf Erden spricht, davon ein kleines Beispiel, welches voll und ganz die Verallgemeinerung verträgt:

Sehe ich da ein bildhübsches Kind, so von drei oder vier Jahren, in einem Bauerhofe und spreche erfreut: „Das ist ja ein niedliches Kind!“ Antwortet die sehr ehrenhafte, ihrer Meinung nach durchaus christliche, steinreiche Bäuerin: „Das soll ein niedliches Kind sein? Das ist ja nur ein Tagelöhnerjunge, den habe ich man geholt, daß mein Kleiner mit ihm spielen möge.“

So bleibt dem Forscher als Quelle für das Volksmärchen nur der vierte Stand übrig, aber selbst der ist nicht in seiner ganzen Masse zu verwerthen. In Abzug zu bringen ist zunächst der Fabrikarbeiter von Beruf und Geburt, der in dem Fabrikorte geboren und erzogen ist. Todt für den Forscher ist ferner der streng kirchlich gesinnte Arbeiter. Es ist merkwürdig, daß jedes volksthümliche Lied und Märchen von diesen Leuten gescheut wird, wie die Pest. Sie fürchten dem Teufel anheimzufallen, selbst wenn sie den harmlosen Geschichten nur zuhören. Ein Knecht aus dem Hinterpommerschen, welcher in einer Gegend groß geworden war, wo die alten heidnischen Vorstellungen noch überall gang und gebe sind, antwortete mir auf die Frage: ob bei ihm zu Hause die Leute auch noch die wilde Jagd und die Unnerertschken und den Drâck kennten, aus tiefster Überzeugung: „Gewiß weiß ich’s; aber sagen werde ich’s nie. Nachdem ich den Heiland angezogen habe, spreche ich mit David: Mein Mund hasset die Lügen und redet die Wahrheit.“ Da hilft auch kein Zureden, denn die guten Leute werden in ihrer Verachtung des Volksthümlichen bestärkt durch Prediger und Lehrer, welche die Volkslieder Gassenhauer schelten und von den Märchen erst recht nichts wissen wollen. Wären den Herren die Lieder und Märchen bekannt, sie würden gewiß anderer Meinung sein; aber so verfolgen sie die gute Sache mit allen [117] ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Am wirksamsten wüthet da natürlich der Dorfschulmeister, und der moderne mehr, wie der Lehrer vom alten Schlage, welcher dem Volke näher stand und gerne ein Auge zudrückte über manches, sich wohl gar im Herzen darüber freute. Was Wunder, daß die jetzt heranwachsende Generation zum überwiegenden Theile durch die Schule der Volkspoesie entfremdet ist! Es bleiben also im großen und ganzen nur die zum arbeitenden Stande gehörige Landbevölkerung sowie die Fischer und Matrosen in den mittleren und reiferen Jahren, welche uns für das Volksmärchen Ausbeute versprechen. Werden sie sich aber offen vor aller Welt der herrlichen Schätze freuen, die sich in ihrer Hut befinden? Der Herr Pastor würde tadeln, der Herr Schulmeister höhnen, der Bauer verachten, der Städter lachen und spotten; darum hört man die Märchen auch nur, wenn die sonst so lebens- und mittheilungslustigen Leutchen ganz unter sich sind oder mit harmlosen Kindern plaudern. Sonst befleißigen sie sich einer ängstlichen Zurückhaltung.

Damit mag der Forscher zu rechnen wissen. Er muß ins Volk gehen, er muß sich mit ihm zu verquicken verstehen, seine Sprache, seine Sitten, seine Gewohnheiten, seine Anschauungen anzunehmen wissen, er muß es durchsetzen, daß die Leute in ihm einen der Ihrigen erblicken. Und wenn er dann außerdem zur rechten Zeit den Groschen zum Schluck, den Dreier für Tabak und die Handvoll Zigarren nicht spart, wenn ihn das Glück mit den rechten Leuten zusammen führt, so ist sein Erfolg sicher. Es kostet freilich Jahre mühevoller Arbeit, zu dem ersehnten Ziele zu gelangen; aber die Mühe belohnt sich in überreichlichem Maße. Mir ist’s gelungen, aus Pommern allein der Zahl nach annähernd ebensoviel, dem Umfange nach mehr Märchen zusammen zu bringen, als die Gebrüder Grimm in ganz Deutschland aus mündlichen und schriftlichen Quellen geschöpft haben. Doch von dem Märchen selbst später, bleiben wir noch ein wenig bei den Leuten, welche das Märchen hegen und pflegen.

[118] Sie allesamt sind darin einig, daß sie ihre Märchen lieben und werth halten; aber die große Mehrzahl ist, wie der gemeine Mann sich ausdrückt, nicht gut behullig. Sie können nicht wiedergeben, was sie gehört haben, und wissen kaum einige Züge, und auch diese nur verschwommen, nachzuerzählen. Um so bereitwilliger preisen sie die größere Behulligkeit eines guten Freundes oder Gevatters an, der dann auch, wenn man ihn richtig zu nehmen versteht, die paar Märchen, welche er kennt, zum Besten giebt. Ist er fertig damit, so spricht er wohl sein Bedauern darüber aus, nicht mehr zu wissen: „Ja, wenn ich behulliger wäre!“, und dann vereinigen sich der nicht Behullige und der etwas Behullige, die Vorzüge irgend eines Mannes zu schildern, der wohl ganze vier Wochen lang Tag und Nacht erzählen könnte und doch kein Ende finden würde. Anfangs glaubte ich nicht so recht an die Wahrheit dieser Reden; als ich sie aber immer wieder und wieder hören mußte, in welche Gegenden ich auch kam, so begann ich Jagd zu machen auf diese Wundermänner. Lange gelang es mir nicht, irgend eines von ihnen habhaft zu werden – entweder sie waren schon gestorben oder ausgewandert in die neue Welt; – aber wer sucht, der findet auch, und jetzt birgt meine Sammlung die Schätze der renommirtesten Märchenerzähler aus den verschiedensten Theilen des Pommerlandes.

Diese wahren Marchenerzähler, welche häufig einen Schatz von fünfzig, sechszig und mehr Märchen in ihrem Gedächtniß bergen – Märchenerzählerinnen in dem Sinne giebt es kaum – sind in unserer Zeit fast nur unter den Männern in reiferen Jahren zu finden. Sie sind klug in ihrer Art und Meister der Sprache, haben aber sämtlich etwas Schwermüthiges. Träumerisches in ihrem Gesicht und werden deshalb oft von den Gebildeten, welche das Volk nicht kennen, für dumm verschrieen. Von ihren Genossen werden sie hochgeehrt, denn dieselben sehen in ihnen die trefflichen Bezwinger tödtlicher Langweile, welche sich ohne den Märchenerzähler gar [119] zu gerne einstellt: bei den Tagelöhnern an den langen Winterabenden, bei den Matrosen an Bord, bei großen Erdarbeiten zur Regenzeit in den kunstlos aufgeschlagenen Hütten und bei den fahrenden Handwerksburschen und Landstreichern endlich in der Herberge. Die Verehrung für den Märchenerzähler geht in freilich seltenen Fällen hier und da soweit, daß er von der Kunst zu leben vermag. Nicht nur, daß er in dein Hause, wo er erzählt, frei Essen und Trinken erhält, die Leute beschenken ihn obendrein mit Lebensmitteln und andern Gaben, daß er der Sorge um das tägliche Brod enthoben wird.

Wie weiß er aber auch seine Märchen vorzutragen! Die Rede fließt aus seinem Munde, die Augen leuchten ihm und er reißt seine Hörer mit sich fort, daß sie samt und sonders den innigsten Antheil nehmen an den Helden seiner Erzählungen. Die Spannung der Gemüther ist auf das höchste gestiegen, der wackere Held, welcher unerkannt seinen König in der Schlacht geholfen hat, ist verwundet worden. Der König springt vom Roß, reißt das seidene Tuch vom Halse und verbindet ihm die Wunden; dann zieht er die goldene Schnupftabacksdose hervor nimmt daraus, reicht dem Helden daß er auch nehme, und verehrt sie ihm sodann zum Geschenk. Der schöne Zug gefällt den Zuhörern und sie äußern sich beifällig; aber der Märchenerzähler hat etwas auf dem Herzen, er wiederholt dieselbe Stelle zum zweiten und zum dritten Male, endlich ruft er laut: „Ja, der alte König gab ihm zu schnupfen aus seiner goldenen Dose, und dann schenkte er sie ihm! Ich will ja gar keine goldene Dose haben, aber einen Sauren könnte mir doch jemand geben, sonst erzähle ich nicht weiter.“ Und das sehen die Zuhörer ein, das Märchen wird an der spannendsten Stelle unterbrochen und nicht eher wieder aufgenommen, als bis die Schnupftabaksdose im Kreise herumgewandert ist und auch der letzte geschnupft hat.

Auch Trinkunterbrechungen finden statt und werden ganz ähnlich von dem Märchenerzähler angebracht, wie uns das von den Spielleuten des Mittelalters berichtet wird, wenn [120] sie diese Epen vortrugen. „Und da ward ein großes Mahl gefeiert,“ sagt der Erzähler, „da gab’s Kälberbraten und Schweinebraten und gebratene Hechte; und Bier und Wein gab’s auch und Branntwein dazu, soviel einer trinken wollte. Mir ist die Kehle auch schon ganz trocken; ich dächte man gäbe mir, daß ich einen heben könnte. Sonst muß die Geschichte hier wohl schon ein Ende haben.“ Selbstverständlich wird ihm sofort die Flasche gereicht, und nachdem sie gekreist hat, geht es fort im Texte, und das Märchen wird zu Ende gebracht. – Die größte Aufregung bemächtigt sich der Zuhörer bei den eingeschalteten und angefügten Liedern. Ist ihnen die Weise geläufig, so singen sie allesamt mit; mindestens aber werden die Kehrverse gemeinsam gesungen. Man sieht es den Leuten an, wie sie mit Leib und Seele bei der Sache sind und in ihren Märchen aufgehen.

Doch ich rede hier immer von Märchen, und dabei wird man das Wort schwerlich im Volke finden können, soweit es nicht durch die Gebildeten hinein getragen ist und dadurch hier und da eine scheinbare Volksthümlichkeit erlangt hat. Man wird diesen Fehler verzeihen müssen, denn man kennt in Pommern keinen allgemeinen Ausdruck, der dem hochdeutschen „Märchen“ entspräche, sondern giebt nur den einzelnen Abarten ihre besonderen Namen. Mit dem Namen Historjen oder Geschichten bezeichnet man die Märchen, in denen von Verwünschungen, erlösten Prinzessinnen, Drachen u. s. w. die Rede ist. Sind die Historjen sehr sentimental, so werden sie auch wohl genannt: „Wunderschöne Historjen, wo die Frauen weinen und die doch gar zu schön sind.“ Zweitens unterscheidet man Kindergeschichten, wozu beispielsweise die bekannten Märchen von Schneewittchen, Dornröschen, vom Machandelbom, vom Fischer und seiner Frau der Grimmschen Sammlung gerechnet werden müßten. Ihre Erzählung übernehmen insgemein die Frauen. Der Märchenerzähler wehrt sie von sich ab mit der Bemerkung: „Ach, das sind ja Sachen, die hörte ich, als ich so klein war.“ Aber auf Zureden erzählt [121] er schließlich doch, besonders wenn er von Kindern umlagert wird. – Die Thiermärchen werden unter dem Worte Fabelwesen begriffen. – Dann kennt man Räubergeschichten, Seemannsgeschichten, Geschichten aus der Zeit, da die Menschen noch so dumm waren, daß sie katholisch waren, und unser Herrgott auf Erden ging, um den armen Menschenkindern zu helfen. Geschichten aus des alten Fritzen Zeit, Geschichten vom dummen Hans, vom starken Hans, vom starken Jochen oder eisernen Martin, vom Wolfs- Löwen- und Bärensohn. In die Reihe der Schwankmärchen werden wir eingeführt, wenn der Erzähler anhebt: „Nun wollen wir etwas Listiges hören!“ Schon bedenklicher ist’s, wenn er sagt: „Jetzt kommt etwas Drolliges.“ Aber gar toll wird’s, wenn er seiner Zunge freien Lauf läßt und mit dem Zotenmärchen anhebt, welche auch wohl genannt werden: „Geschichten, wo die großen Dirnen juchen und die Frauen mit dem Tüffel werfen, aber nicht hinausgehen und die Männer lachen.“

Aus diesen Benennungen ergiebt sich der Inhalt der Märchen von selbst. Es würde zu weit führen, darauf des näheren einzugehen; betrachten wir das Märchen im großen und ganzen. Auf drei Punkte kommt es dabei an: ich unterscheide erstens den Kern des Märchens, zweitens die märchenhaften Züge und drittens die eingeflochtenen oder angefügten Lieder. Der Kern des Märchens ist der einfache Gang der Erzählung ohne alles Beiwerk. Es ist in Pommern nicht anders, wie sonst wo in Deutschland, und es ist hier nicht der Ort des näheren auf die Frage einzugehen, welche von den Märchenkernen spezifisch germanisch und welche übertragen sind, und ob nicht vielleicht ein großer Theil derselben auf allgemein menschlichen Grundlagen beruht und sich deshalb überall in der Welt in ziemlich gleichmäßiger Gestalt finden muß. Nur soviel sei hier erwähnt, daß Pommern auch reich ist an solchen Märchen, welche aus der Heldensage und dem Mythus entstanden sind.

[129] Gehen wir zu den märchenhaften Zügen über. Darunter verstehe ich die Vorstellungen, welche die menschliche Phantasie in ihrem Hange zum Wunderbaren erzeugt, und die unter gleichen Bedingungen ganz gleich bei den Deutschen wie bei den Chinesen, bei den Kaffern wie bei den Indianern sein müssen. Es liegt auf der Hand, daß einem durstigen, hungrigen Gemüth das vor ihm stehende Trinkgefäß, der gedeckte Tisch, das Verlangen und die Sehnsucht nach einem Trunke, welcher niemals versiegt, nach einer Speise, welche niemals alle wird, erzeugen muß, und daraus ist dann der märchenhafte Zug von dem Glase, Horne-, oder Becher Nimmerleer, von dem Tischlein, Serviettchen Tüchlein deck dich entstanden. Ebenso ist’s gegangen mit dem Knüppel [130] aus dem Sack, dem Zauberschwert, der undurchdringlichen Rüstung, der unverwundbaren Haut, dem Universalheilmittel, dem Wasser des Lebens, dem Zauberspiegel, dem Heckethaler, dem Goldesel. Ferner mit dem Riesenstarken, dem Däumling, dem federleichten Schneider, dem blitzschnellen Läufer, dem Hasenhüter, dem ewig Hungrigen oder Durstigen u. s. w. Je mehr ein Volk seine Liebe zum Märchen bewahrt hat, um so reicher werden sich auch bei ihm die märchenhaften Züge finden, und darum treffen wir dieselben in ganzer Fülle in den pommerschen Märchen wieder.

Selbstverständlich schreiten die märchenhaften Züge mit der Weltgeschichte fort. Die Erfindung der modernen Gewehre und Geschütze mit ihrer verheerenden Feuerwirkung läßt das Zauberschwert in den heutigen Märchen mehr und mehr in den Hintergrund treten. Es stellt sich dafür das Gewehr und die Kanone ein, welche immer wieder von selbst geladen sind, sobald sie abgeschossen werden, also die höchste Potenz unserer jetzigen Mehrlader und der Mitrailleusen. – Es wird einleuchten, daß sich dadurch die Gestalt des Märchens im Laufe der Zeit verändern muß, um so mehr, als meiner Beobachtung nach, allenthalben, wo Märchen erzählt werden, ganz im Gegensatz zu dem ängstlichen Festhalten an dem Märchenkerne mit den märchenhaften Zügen ziemlich frei umgegangen wird. Aehnliche werden mit einander vertauscht oder, noch häufiger, an einander gereiht, manche ganz neu hinzugefügt, so daß schließlich scheinbar ein völlig neues Märchen entsteht, obwohl es seinem innersten Wesen nach nur als Variante eines andern zu betrachten ist. Der Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung liegt darin, daß überall die Kerne der Märchen die größte Verwandtschaft zeigen, während die Art und Weise der Ausschmückung mit märchenhaften Zügen häufig schon in zwei an einander grenzenden Dorfschaften eine grundverschiedene ist.

Eine andere Bewandtniß hat es mit dem dritten Punkt, auf den wir bei der Betrachtung des Märchens unser Augenmerk [131] richten müssen, dem eingeschalteten oder angefügten Liede. Bekannt sind aus den bisher erschienenen Märchensammlungen fast nur kleine Reime, welche sich innerhalb des Ganges der Erzählung finden. Ich erinnere, um ein Beispiel herauszugreifen, an die bekannten Verse in dem von Grimm aus Pommern in seine Sammlung übernommenen Märchen vom Fischer und seine Frau:

„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Myne Fru, de Ilsebill,
Will nich so, as ik wol will.“

Von diesen kleinen eingeschobenen Strophen, die immerhin auch ihr Interesse beanspruchen dürfen, wollen wir hier nicht reden, ich meine umfangreichere Lieder, welche in poetischer Form kurz den Gesammtinhalt oder große Theile des Märchens wiedergeben und, nachdem dasselbe vorgetragen ist, von dem Erzähler, oft in Gemeinschaft der Zuhörer, gesungen werden. Sie finden sich nur bei den sogenannten Historjen und den Räuber- und Seemannsgeschichten, also ernsteren, und, wenn ich mich so ausdrücken darf, heldenhaften Stoffen. Zum größten Theile sind sie heute dem Volksgedächtniß abhanden gekommen, die Erinnerung an sie hat sich jedoch noch überall lebendig erhalten und sie werden und wurden nicht nur im Anschluß an Märchen, sondern auch im Anschluß an Sagen gesungen. So ist z. B. das Volksbuch von der heiligen Genovefa in schlichter Märchengestalt unter dem pommerschen Landvolk verbreitet. Wenn nun in einigen Gegenden der Erzähler die Historje beendet hat, so singt er und die Zuhörer das Lied von der Genovefa, welches in kurzer, knapper Form noch einmal die wesentlichen Punkte des Märchens vor Augen führt. Nachdem die Sage von dem Liebespaar, das sich auf Tod und Leben verschworen hatte, das heißt also die sogenannte Lenorensage, erzählt ward, wurde, wie allgemein berichtet wird, das Lied gesungen, dessen ich leider bis jetzt noch nicht habe habhaft werden können. Hoffentlich [132] bin ich in der Folgezeit glücklicher; denn es ist ständige Gewohnheit auf dem Lande bei beiden Geschlechtern, vorzugsweise aber bei den Frauen, alle Lieder, die ihnen wohlgefallen, aufzuschreiben und sorgsam zu verwahren. Am Ende läßt sich das alte pommersche Lenorenlied dort noch auftreiben, wenn es nicht gelingen sollte, es aus mündlicher Quelle zu erfahren. – Mit den eingeschalteten oder angefügten Liedern ist es also genau so bestellt, wie mit den Mordthaten, welche von den Bänkelsängern verbreitet werden: erst die Erzählung in Prosa, dann das Gedicht.

In einem Märchen meiner Sammlung, welches den auch sonst bekannten Stoff enthält, daß eine Königin in Pilgertracht durch ihr Harfenspiel ihren Gemahl dem türkischen Sultan abgewinnt und von der Sklaverei erlöst, ist das Lied, welches, beiläufig gesagt, zehn Strophen in je vier sechsfüßigen Jamben, die Cäsur in der Mitte, enthält, in den Gang des Märchen verknüpft worden. Trotzdem wird es auch selbstständig, d. h. losgelöst von dem Märchen, gesungen, und in diesem Falle wiederum erst dann, nachdem dasselbe in ungebundener Rede vorgetragen ist. Ich möchte glauben, daß diese Verbindung von gebundener und ungebundener Rede, von Sagen und Singen, uralt ist und daß auch in solcher Weise die Heldensage und der Mythus ursprünglich wiedergegeben wurde. Nur so läßt sich, meiner Ueberzeugung nach, begreifen, daß die knappen, kurzen Heldenlieder der Masse des Volkes, welche einer breiten, gemüthlichen Darstellungsweise gewiß im Alterthume nicht weniger wie heutzutage durchaus bedürftig waren, so wohl gefielen und wahrhaft volksthümlich waren. Die Lieder, welche noch heute im Anschluß an die Historjen und Sagen in Pommern gesungen werden, ähneln in ihrer gedrungenen Kürze und in ihrer Unverständlichkeit ohne vorher gegangene Prosaerzählung ganz den alten Heldenliedern.

Man findet häufig die Ansicht vertreten, daß die Märchen vom Volke mit starrer Aengstlichkeit überliefert würden, so [133] daß in Jahrhunderten kaum kleine Aenderungen darin eintreten könnten. So weit es sich um den Kern des Märchens handelt, hat das seine Richtigkeit, denn die Märchenkerne ändern sich wenig und sind sich zum Theil wirklich im Laufe von Jahrhunderten nachweisbar völlig gleich geblieben. Im übrigen ist das Märchen aber durchaus als etwas Lebendiges anzusehen und wächst als solches, verändert sich und ist fortbildungsfähig. Ich machte schon vorher auf die märchenhaften Züge aufmerksam, deren Verwendung seitens der Märchenerzähler eine verhältnißmäßig freie genannt werden darf. Dazu kommen nun noch einige andere Punkte, welche die Veränderlichkeit des Märchens bedingen.

In erster Reihe ist es die Individualität des Erzählers. In unsern Märchensammlungen wird zwar, nach dem Vorgange der Gebrüder Grimm, immer betont, daß die Märchenerzähler genau bei der Erzählung bleiben und auf ihre Richtigkeit eifrig sind, daß sie niemals bei einer Wiederholung in der Sache etwas abändern und ein Versehen mitten in der Sache gleich selber bessern, und das ist auch richtig, soweit es sich um perfekte Märchenerzähler und um Kinder handelt, welche letztere sich so lange vorerzählen lassen, bis sie wortgetreu auswendig können; aber bis der Märchenerzähler perfekt geworden ist, wirkt bei ihm, wenn auch ganz absichtslos, seine Individualität auf das Märchen ein. Ein Schuster pflegt alle bösen Menschen in seinen Märchen zu Schneidern zu machen; ein Frauenzimmer stempelt jedes böse Weib zu einer Stiefmutter um, daher auch in den Märchensammlungen die vielen bösen Stiefmütter, weil die Sammler fast durchweg Frauen zu ihren Quellen gehabt haben. Das drastischste Beispiel für das Einwirken der Individualität des Erzählers auf seine Märchen fand ich bei einem alten Knecht aus dem Ueckermündischen. Wochenlang hatte ich versucht, mir das Zutrauen des Mannes zu gewinnen; ich wußte schon seine ganzen Familiengeheimnisse, den Stand und die Geburtstage, alle seine schutzbefohlenen Rinder und Schweine, [134] ihre guten und schlechten Seeleneigenschaften, aber mit seinem Märchenschatze rückte der Mann nicht heraus, obgleich ich von anderer Seite her wußte, daß derselbe sehr beträchtlich war.

Endlich nahm er mich eines Abends bei Seite und sprach zu mir in der missingschen Mundart, welche sich im Verkehr immer mehr geltend macht: „Junger Herr, wovor estimieren Sie mir wohl?“ – „Wofür soll ich Sie estimiren?“ sagte ich einigermaßen verlegen. „Na, doch wohl für einen rothen Husaren?“ fragte er dringend. – „Das will ich meinen“, versetzte ich rasch, „dafür habe ich Sie schon längst angesehen.“ – „Davor habe ik Ihnen auch taxirt“, sprach er freudestrahlend, „und nun will ik Ihnen auch verzählen, wie dat gekommen ist: Meine beiden Brüder haben bei die rothe Husaren gestanden. Ik hatte wat untern Strich, aber dat kann man einen halben Finger gewesen sin. Da haben sie mir nun in Garz mang den Train gestochen. Bin ik nu aber nich von Rechts wegen ein rother Husar?“ – „Schultz“, sagte ich, „habe ich Sie schon immer so estimirt, nun estimir ich Sie von Gotts und Rechts wegen für einen rothen Husaren und lasse mich darauf hängen!“ Damit war das Eis gebrochen, ich war sein Freund geworden und ließ mir wochenlang von ihm Abend für Abend erzählen, was er wußte. Aber alle Soldaten, welche in seinen Märchen vorkamen und etwas taugten, waren rothe Husaren, und alle Prinzen und Könige trugen rothe Husarenuniform.

Noch stärker ist die Umwandlung, welche das Märchen dadurch erfährt, daß es ganz dem Ideenkreis des Erzählers angepaßt wird. Fremde Züge kann das Volk nicht vertragen, weil es dieselben nicht versteht; und so sehr es sich scheut, den Gang der Erzählung anzutasten, das Beiwerk wird seines fremden Gewandes beraubt und durchaus volksthümlich gekleidet. Ich bin in der Lage dies an einem in jüngster Zeit im Kreise Randow unter das Volk gebrachten Märchen nachzuweisen. Einem Dienstmädchen war von ihrer Herrschaft ein Auszug der Märchen von Tausend und eine Nacht zum [135] Lesen gegeben worden. Die bekannte Geschichte von Aladin mit der Wunderlampe sagte ihr am meisten zu, sie las sie solange, bis sie dieselbe auswendig konnte, und gab sie dann gelegentlich eines Besuches in ihrem Heimathsdorf zum Besten. Ein Märchenerzähler lernte es von ihr und erzählte es dann, nachdem ungefähr ein Menschenalter über dem Lernen vergangen war, vor Jahresfrist wieder, vor allen andern Märchen, die er sonst im Gedächtniß hatte, weil es aus einem gedruckten Buche stamme und darum schöner sei, wie alle andern Historjen, die er sonst wisse. Zug um Zug stimmte mit dem Originale, nur war dem guten Manne, er wußte wohl selbst nicht wie und warum, aus dem schmutzigen Aladin der rothhaarige, ohne Gottesfurcht aufgewachsene Dummhanns geworden, der noch nicht lesen und schreiben und nicht einmal das Vaterunser beten konnte. Den Garten, welchen die orientalische Phantasie mit Obstbäumen bestanden schildert, welche Perlen und Edelgestein statt der Früchte tragen, machte er zu dem volksthümlichen Fehnusgarten; das Rockei jedoch, das Ei des Vogels Rock, welches in dem Originale eine so große Rolle spielt und welches Aladin auf den Rath des Zauberers vom Geiste der Lampe als Kuppelschluß in seinem Schlosse einfügen lassen soll, behielt er bei. Es schien ihm zu wichtig für die Erzählung als daß er daran zu tasten wagte, und so erzählte er denn, der rothhaarige Dummhans habe zu guter letzt von dem Geiste gefordert, er solle ihm den König Reckei bringen und ihn am Schwibbogen aufhängen. Als ich ihm erklärte, was das heißen solle, einen solchen Namen gäbe es ja garnicht, antwortete er gelassen: „Wie wollen Sie ihn denn genannt wissen? Sie sind ja klüger wie ich, geben Sie ihm doch einen Namen, der besser klingt. König Reckei heißt er, und so werde ich ihn nennen mein Lebenlang.“

In noch höherem Maße, wie bei diesem jungen Eindringling aus dem fernen Orient ist natürlich in den altheimischen Märchen das Gewand ein echt pommersches. Dieselben Vorstellungen kehren wieder, wie in den Sagen, und [136] da diese durchaus germanischen Ursprungs sind, so sind auch die Märchen ein neuer Beweis für das unverfälschte Germanenthum der Pommern, zumal der mittleren und westlichen Hinterpommern und ferner für die ethnologische und mythologische Bedeutung, welche jede Märchensammlung, die aus echten volksthümlichen Quellen geschöpft, ist für sich in Anspruch nehmen darf.

Endlich trägt sehr viel zur Veränderlichkeit des Märchens bei, die Sucht zu vervielfältigen und zu verbinden. Hat der Held eine Gefahr bestanden, so ruht der dichtende Volksgeist nicht eher, bis er aus der einen Gefahr drei gemacht hat, und diese werden wieder, je nach dem, zu sechs und zu neun verdoppelt und verdreifacht. Aus einer verwünschten Prinzessin werden drei, ebenso aus dem bösen Drachen, oder er bekommt statt des einen Kopfes drei, sechs, neun oder gar zwölf Häupter. Aus einem Wunschding werden drei, und so weiter. – Dasselbe ist es mit der Sucht zu verbinden. Märchen, welche ähnliche Stoffe behandeln, sucht der dichtende Volksgeist zu kombiniren: aus den vielen kleinen Märchen vom dummen Hans erhalten wir wenige große, am Ende wohl gar eine umfangreiche Dummhansiade. Ebenso geht es dem starken Hans, dem Däumling und vielen anderen Stoffen.

Das sind jedoch nicht spezifisch pommersche Eigenthümlichkeiten. Die Sucht der Vervielfältigung finden wir beispielsweise schon in dem Liede vom hörnernen Siegfried, und der Sucht der Verbindung verwandter Stoffe verdanken die Faust- und die Rübezahlssage, das Buch von den Schildbürgern, Eulenspiegel u. s. w. ihr Dasein. Ueberhaupt verwahre ich mich vor dem Anschein, als ob, was ich hier aus dem pommerschen Märchen entwickelt habe, darum auch nur für die pommerschen Märchen von Gültigkeit wäre. Genau wie die pommerschen Märchen sind, wenn auch vielleicht nicht ganz so alterthümlich und reichhaltig, die Märchen der andern niederdeutschen Stämme. Es ist Schuld der Forscher, wenn sie über die Märchenarmuth klagen. Wenn z. B. Müllenhoff [137] vor vierzig Jahren von den schleswigholsteinschen Märchen sagt: „So aber ist der Baum verdorret, der so lange grünte. Seine letzten Reiser und Blätter waren wir für unsern Theil bemüht zu sammeln“, so entspricht das selbst heute noch nicht der Wirklichkeit. Ich habe mehrfach schleswigholsteinsche Tagearbeiter und Landstreicher kennen zu lernen Gelegenheit gehabt, die ebenso erzählen konnten wie die Pommern und deren Märchen dieselben Schlüsse machen ließen, die ich aus meinen pommerschen Märchen gezogen und vor Ihnen entwickelt habe. Müllenhoff ist eben nicht genug in das Volk gekommen; das beweist schon, daß er das meiste aus dritter Hand von Kindermund sammelte. Zu der eigentlichen Quelle ist es garnicht durchgedrungen. Und ähnlich, wie ihm, ist es den meisten Forschern ergangen.

Der Baum ist in Niedersachsen noch nicht verdorret, er hat noch große, starke Aeste und dichtes grünes Laub, aber an seinen Wurzeln nagen verderbliche Würmer, der Haß und die Verkennung des Volksthümlichen, und das moderne Volksschulwesen. Es ist noch Mark genug in dem Stamme; man thue den Würmern Einhalt, und dem Volke wird sein schönstes Gut, die echte Volkspoesie erhalten bleiben, deren es sonst unfehlbar verlustig geht.