Das Wagnertheater in Bayreuth

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Textdaten
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Autor: Otto Gumprecht
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Titel: Das Wagnertheater in Bayreuth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 59-61
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Richard Wagner
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Das Wagnertheater in Bayreuth.


Noch stolzer als auf seinen todten Jean Paul ist gegenwärtig Bayreuth auf seinen lebendigen Richard Wagner. Es erblickt in ihm die Gewähr einer glänzenden Zukunft, erwartet von ihm gewaltige Thaten, welche mit einem bunten, festlichen Getümmel froher Gäste von nah und fern die stille, dem Weltverkehr entrückte Stadt erfüllen sollen. Für diese hat, was er in ihrer Mitte in’s Werk zu setzen gedenkt nicht nur künstlerische sondern auch erhebliche materielle Bedeutung. Welche einflußreiche Rolle der Dichterkomponist unter seinen getreuen Bayreuthern spielt, daß er ihnen der licht- und wärmespendende Mittelpunk ist, es macht sich dem Fremden gleich in den ersten Stunden bemerklich. An den Schaufenstern begegnet man auf Schritt und Tritt seinem Bilde, überall seinem Namen in den Spalten der Localpresse. Jedes Kind weiß zu erzählen, daß er einstweilen draußen in der Fantasie wohnt, bis das eigene mit dem Gelde seines freigebigen Königs zu errichtende Haus für ihn bereit sein wird. Noch bei einem anderen Bau ist er der oberste Leiter und Werkmeister. Auf städtischem Grund und Boden soll sich nach seiner Angabe ein neues Theater erheben, mit dem es eine ganz besondere Bewandtniß hat. Von allen übrigen Bühnen unterscheidet sich dieser Kunsttempel sowohl durch die Art seiner Entstehung wie durch die äußere Anlage und innere Einrichtung, endlich nicht minder durch seine Bestimmung. Zunächst über die letztere einige Worte.

Wagner beabsichtigt bekanntlich das von ihm erst in zahlreichen ästhetischen Abhandlungen umschriebene, später praktisch in Angriff genommene Kunstwerk der Zukunft mit seinem „Ring der Nibelungen“ zu krönen. Dieses Festspiel hat den Umfang von vier gewöhnlichen Opern, es besteht nämlich aus ebenso vielen äußerlich getrennten, aber innerlich eng zusammenhängenden Stücken. Zwei darunter, das „Rheingold“ und die „Walküre“, sind schon in München zur Aufführung gelangt; von dem dritten, „Siegfried“, liegt die Partitur vor; das letzte, „Götterdämmerung“, geht seiner Vollendung noch entgegen. Das ganze Werk ist aber darauf berechnet, an vier einander unmittelbar folgenden Tagen zur Darstellung zu gelangen, und da unsere Theater zu einem solchen Unternehmen sich schwerlich entschließen würden, mußte sein Autor bedacht sein, sich selbst den geeigneten Schauplatz herzurichten. Und nicht blos durch seine Ausdehnung, auch durch den befremdlichen Inhalt entzieht sich dies Festspiel der herkömmlichen Bühnenpraxis. Im Gegensatz zu allen bisherigen Bearbeitungen des schon wiederholt von unseren dramatischen Dichtern und Componisten benutzten Nibelungenstoffes schließt es sich nicht dem deutschen Epos, sondern der ältesten, in der Edda aufbewahrten Gestalt der Sage an. Durch kein sittliches Motiv ist hier die Wildheit der Charaktere gebändigt. Zügellos schalten und walten sie gleich den blinden Naturkräften, deren symbolische Verkörperung sie ja auch nur sind. Richtung und Verlauf unserer Bildung haben uns allen Ueberlieferungen aus der heidnischen Vorzeit unseres Volkes so völlig entrückt, daß wir in ihnen nimmermehr Fleisch von unserem Fleisch und Geist von unserem Geist zu erkennen vermögen.

Die Götter der Walhalla sind uns seelenlose Masken, spukhafte Gesellen; scheu und betroffen weicht vor ihnen unsere Empfindung zurück. Zwischen der Welt, in der sie heimisch gewesen, und der unsrigen hat das Christenthum eine unausfüllbare Kluft aufgerissen. Wie sich auch die Einzelnen zu dem dogmatischen [060] Gerüste des Christentums stellen mögen, sein ethischer Gehalt ist gänzlich hineingewachsen in die deutsche Volksseele, umfängt, beherrscht und durchdringt unser gesammtes Bewußtsein. Der Nibelungentext strotzt von Ungeheuerlichkeiten, die, um gläubig hingenommen zu werden, unserm poetischen und sittlichen Gefühle den gewaltsamen Bruch mit dem ganzen Erwerbe einer mehr als tausendjährigen Cultur zumuthen. Urwüchsige Rohheit, wüste, durch keine Humanität angekränkelte Sinnlichkeit sind das Element, in welchem die Personen leben und weben. Aus Raub, Mord, Blut, Meineid und Blutschande setzt sich die Handlung zusammen. Die mit bewußter Absichtlichkeit alterthümlich gefärbte, reckenhaft ungeschlachte, in Stabreimen stammelnde Sprache verwirrt und betäubt das Ohr. Zu den Absonderlichkeiten der Dichtung kommen endlich die nicht geringeren der Musik. Mit ihrer grundsätzlichen Verachtung jeder gegliederten Melodie, ihrem lediglich dem Redetone sich anschmiegenden Gesange, ihrem Getümmel instrumentaler Klänge und Gestalten ist sie die äußerste Consequenz und lauteste thatsächliche Bekräftigung dessen, was der Componist in seinen Schriften als alleinseligmachende künstlerische Wahrheit der Welt verkündet, aber in seinen früheren Opern gleichsam nur präludirend andeutet. Ein Werk von der Art der Nibelungen zählt natürlich auf ein seinem Autor in unbegrenzter Liebe, Demuth und Bewunderung hingegebenes Publicum, und das Bestreben, ein solches zusammenzubringen, ist, wie wir noch sehen werden, eine der Haupttriebfedern des Bayreuther Unternehmens.

Von der äußeren und inneren Einrichtung des neuen Theaters läßt sich bis jetzt noch nicht viel sagen. Sein Begründer hat erklärt, daß es nur ein provisorisches Werk sein soll, dessen mit dem dürftigsten Material ausgeführte Umschalung im glücklichsten Falle an die flüchtig gezimmerten Musikfesthallen der rheinischen Städte erinnern werde. Auch die innere Ausstattung verzichte auf jeden Zierrath. Dagegen werde die dem Ganzen zu Grunde liegende künstlerische Idee in den Verhältnissen des Raumes und der Anordnung der Sitzplätze zum Ausdrucke gelangen. Besonderes Gewicht legt ferner Wagner darauf, daß sich sein Orchester dem Blicke entzieht, und man kann ihm darin Recht geben, wenn er auch den Werth der Neuerung zu hoch anschlagen mag. Der geheimnißvolle Eintritt der Musik muß die künstlerische Illusion fördern, es der mitthätigen Phantasie des Hörers erleichtern, ihre Schwingen frei und voll zu entfalten. Führte doch bekanntlich schon Goethe darüber bittere Klage, daß ihn die aufgeblähten Backen der Bläser, die Armverrenkungen der Geiger nie zum ruhigen Genusse kommen ließen. Das ist es aber nicht allein; noch viel wesentlicher scheint der folgende Punkt. Fast so alt wie die Oper selbst sind auch die Beschwerden über den die Stimmen der Sänger deckenden und verhüllenden Lärm der Instrumente. Geben die letzteren ihren bevorzugten Platz zwischen der Bühne und dem Publikum auf, so ist dem Uebelstande mit einem Male abgeholfen. Ueber den scenischen Apparat der Bayreuther Bühne verlautet noch nichts, man darf aber von ihrem Decorations- und Maschinenwesen Wunderdinge erwarten. Nach jeder Seite hin wetteifert der Autor der Nibelungen mit der Einbildungskraft des erfinderischsten Balletregisseurs. Er verheißt uns die mannigfaltigsten Wald- und Bergpanoramen, Sonnen- und Mondschein in Hülle und Fülle, Feuerwerkskünste jeder Art, eine Regenbogenbrücke, über die Wotan und die Seinigen gen Walhalla ziehen, wilde Reiterinnen der Lüfte, Götter über den Häuptern ihrer Schützlinge schwebend und sie mit Speer und Schild vertheidigend, einen flammenspeienden, schweifringelnden Drachen, eine Bärenhetze und was nicht sonst noch.

Mit seinem Theater will der Dichterkomponist nicht etwa für die künstlerischen Localbedürfnisse der Bayreuther sorgen, er zählt vielmehr auf ein aus allen Theilen Deutschlands zusammengekommenes Publicum; auch wird in dem neuen Kunsttempel keineswegs Jahr aus, Jahr ein gesungen und gespielt werden, sondern nur in langen Zwischenräumen soll er seine Pforten zur Feier glänzender musikalisch-dramatischer Nationalfeste öffnen. Der Gedanke, abseit vom Marktgewühl des großstädtischen Verkehrs den Musen eine Stätte zu bereiten, hat gewiss für manches feiner geartete Gemüth etwas in hohem Grade Verlockendes; findet doch die Kunst in den Herzen der Menschen den lautesten Widerhall, wenn sie uns ihre Gaben als seltene Weihgeschenke und nicht als tägliches Brod bietet. Wie wir sie zumeist empfangen und genießen, sind wir kaum angethan, sie voll und ganz hinzunehmen, noch den erhaltenen Eindruck rein und harmonisch ausschwingen zu lassen, denn unmittelbar vor und hinter uns liegt die Prosa der gemeinen Wirklichkeit. Wer ein rheinisches Musikfest mitgefeiert, der hat es an sich erfahren können, welche unwiderstehliche Gewalt die idealen Mächte auf die vom Staub des Werkeltags befreite Seele üben. Der Anblick der blühenden Landschaft, das heitere Beieinander so vieler durch den gemeinsamen Genuß verbundener Menschen, der frische Wandermuth, das frohe Feriengefühl, die selbst das gewöhnlichste Reiseereigniß verklären, alles das vereinigt sich, den Tönen in unserer Brust den kräftigsten Resonanzboden zu bereiten. Trefflich hat es Wagner verstanden, eine für sein Unternehmen geeignete Stätte zu wählen. Bayreuth liegt so recht in der Mitte zwischen den nord- und süddeutschen Metropolen, dabei ganz nah an einer der vornehmsten Straßen nach der Schweiz, Salzburg und Tirol, den sommerlichen Reisezielen so vieler Tausende. Selbst einer größeren Anzahl von Gästen bietet der Ort behagliches Obdach. Vielleicht das beste Erbe der deutschen Kleinstaaterei leidigen Angedenkens sind die vielen schmucken Städte in allen Gauen unseres Vaterlandes. Ehedem Regierungssitze, verdanken sie dem Geschmack und Reichthum der früheren Landesherren ihre breiten Straßen und Plätze, eine Menge ansehnlicher Gebäude, dazu mancherlei freundliche Anlagen in der nächsten Umgebung. Fast immer mit dem Schweiß, oft mit dem Blute der geplagten Unterthanen wurden freilich diese Dinge bezahlt, und um sich ihrer zu freuen, muß man die erbarmungslose Steuerwirthschaft des achtzehnten Jahrhunderts, den Soldatenhandel mit England und was der allerhöchsten Erpressungen mehr gewesen, zu vergessen suchen. Auch Bayreuth verräth sich gleich dem ersten Blick als ehemalige Residenz; überall wird man an das Walten eines wohllebigen Fürstengeschlechts gemahnt; Stadt und Land erzählen uns von der Prachtliebe der alten hohenzollernschen Markgrafen. Man muß gestehen, mit klugem Vorbedacht hat sich Wagner den Schauplatz für sein Unternehmen ersehen, und von der Wahl der Mittel, durch die er es in’s Werk zu setzen gedenkt, ist das Gleiche zu behaupten.

Um eine Bühne mit der sie erfüllenden Welt von Klängen, Farben und Gestalten hervorzuzaubern, dazu gehört zu allernächst Geld, sehr viel Geld. Die Kosten für das Bayreuther Theater sind vorläufig auf dreihunderttausend Thaler angeschlagen, und eigenthümlich ist die Art, wie sie zusammengebracht werden sollen. Es hat sich zu dem Zweck eine Actiengesellschaft gebildet, die den Betheiligten statt fetter Dividenden lediglich künstlerische Genüsse verheißt. Für dreihundert Thaler kann man einen sogenannten Patronatsschein erwerben und durch ihn das Recht, den ersten drei Vorstellungen der Nibelungen-Tetralogie beizuwohnen. Um den Ankauf zu erleichtern, sind diese Scheine in drei Serien getheilt, die auch einzeln abgegeben werden. Weil nun aber ein Preis von hundert Thalern für ein auf vier Tage gültiges Theaterbillet doch immer noch an die Zahlungsfähigkeit der Enthusiasten gewaltige Ansprüche macht, sind an vielen Orten Wagner-Vereine in’s Leben getreten, welche durch die Veranstaltung von Lotterien und musikalischen Aufführungen das Vorhaben ihres Herrn und Meisters zu fördern suchen. Es werden hier die Bayreuther Actien gegen einen Einsatz von zehn Thalern ausgespielt, ja selbst an arme, solcher Gunst würdige Kunstjünger verschenkt, und zu dem letzteren Zweck sind eben die zu erzielenden Concerteinnahmen bestimmt. Höchst sinnreich ist, wie man sieht, dieser ganze Apparat ausgedacht und in Scene gesetzt. Durch die geräuschvolle Art, in der er seine Arbeit verrichtet, muß er immer von Neuem die Blicke des Publicums auf die Angelegenheit lenken und zugleich gewährt er die Bürgschaft, daß der Dichtercomponist das von ihm in Aussicht gestellte große musikalisch-dramatische Nationalfest nur in dem geschlossenen Kreis seiner Freunde und Verehrer feiern wird.

In Gegenwart zahlreicher Gäste unter Sang und Klang, großem Gepränge und vielen Reden ist am 22. Mai des vergangenen Jahres, dem neunundfünfzigsten Geburtstage Wagner’s, der Grundstein zur neuen Bühne gelegt. Wann sie für die Aufführung der Nibelungen bereit sein wird, hängt vor Allem von dem Zufluß der nothwendigen Geldmittel ab. Man sollte fast glauben, daß der Gründungs-Verein die Kostspieligkeit des [061] ganzen Unternehmens viel zu gering geschätzt, daß er in dem Voranschlag die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Da hier die Actionäre des Theaters zugleich dessen Publicum bilden, muß aus dem von ihnen aufgebrachten Capital nicht blos der Bau, sondern auch der gesammte künstlerische Betrieb bestritten werden. Wagner beabsichtigt sein Orchester ungewöhnlich massenhaft zu besetzen, dazu durchweg mit den erlesensten Kräften. Auch nur die allerbesten Sänger und Sängerinnen gedenkt er für sein Werk zu werben. Im Voraus gar nicht zu berechnen ist aber der Aufwand an Mühe und Zeit, dessen es bedürfen wird, um alle an der Darstellung Betheiligten zur genauesten Erfüllung ihrer musikalischen und dramatischen Pflichten in den Stand zu setzen. Was es mit dem Einstudiren einer Wagner’schen Partitur auf sich hat, kann man ungefähr danach ermessen, daß der ersten Berliner Aufführung der „Meistersinger“ etwa fünfzig Proben vorangingen, und hier handelte es sich doch nur um eine einzige Oper, während in Bayreuth gleich vier auf einmal das Licht der Lampen erblicken sollen. Auch macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man ein lediglich für den bestimmten Anlaß improvisirtes Personal zur Verfügung hat, oder einen in langjähriger Zucht und Gewöhnung zusammengewachsenen und erstarkten Organismus. Außerordentliche Summen muß ferner das Decorations- und Maschinenwesen verschlingen, welchem, wie wir sahen, in den Nibelungen eine gar einflußreiche Rolle beschieden ist. Es steht zu erwarten, daß für so viele Anforderungen und Bedürfnisse der Säckel der Patrone nicht langen wird. In diesem Fall hat jedoch der Bauherr des Theaters einen letzten kräftigen Rückhalt an der ihm gegenüber stets geöffneten Hand seines großmüthigen Freundes und Gönners, des jungen bayrischen Königs.

Wagner erblickt in den deutschen Bühnenzuständen dasjenige, „was auf deutschem Boden als das des Ruhmes der großen Siege unserer Tage Unwürdigste sich bezeigt und fortgesetzt bewährt, dessen Tendenz sich laut und kühn als den Verräther deutscher Ehre bekennt“. Befangen ist nach ihm das gegenwärtige Schauspiel in dem rathlosen Hin und Her zwischen dem falschen Pathos, der mißverstandenen Erbschaft unserer großen nationalen Dichter, und der platten Prosa des bürgerlichen Schauspiels, die Oper aber der ihr ureigenen Sphäre des Erhabenen entfremdet und zu einem gefälligen, blos die Sinne reizenden Spielzeug herabgewürdigt. Dennoch könne sie allein die Wiedergeburt des deutschen Theaters bewirken. Seine auf dieses Ziel gerichteten Bestrebungen würden jedoch durch die in dem verdorbenen Dunstkreise des heutigen Bühnenwesens entarteten Directoren, Capellmeister und Sänger gänzlich vereitelt. Allenthalben stoße er hier auf Uebelwollen, Unvermögen und Mißverstand; nur entstellt und gefälscht wären bisher seine Schöpfungen dem Publicum geboten. Sie in ihrer ursprünglichen Echtheit und Lauterkeit zur Erscheinung zu bringen, das ist die Bestimmung des Theaters, das auf sein Geheiß in Bayreuth ersteht. In pomphafter Rede hat er der Welt verkündigt, daß hier nichts Geringeres vorbereitet werde, als das höchste Culturwerk des deutschen Genius, dessen reinste, beseligendste Ausstrahlungen in sich begreifend. Besäße er aber selbst das geeinigte Vermögen von Shakespeare und Beethoven, Schiller und Gluck, Goethe und Mozart, seine neue Bühne würde deshalb doch nimmermehr den von ihr beanspruchten Platz in dem geistigen Leben der Nation einnehmen. Schon ihre Ausschließlichkeit prägt ihr den Stempel des Besonderen, rein Persönlichen auf. Die erlauchten Mehrer unserer künstlerischen Habe schufen immer für das gesammte Volk, darauf vertrauend, daß ihre Werke schon die rechten Hände finden würden, fähig und bereit, ihnen die Wege zu den Herzen der Menschen zu bahnen. Unsere klassischen Schauspieler und Sänger sind die Kinder unserer klassischen Dichter und Tonsetzer. Von deren Geiste geweckt und groß gezogen, sehen wir sie ihnen stets auf dem Fuße folgen. Diese bildende Kraft scheint Wagner seinen Opern nicht beizumessen. Lediglich mit Hülfe einer in Rücksicht auf sie besonders hergerichteten, von ihm in jedem Stück überwachten und geleiteten Bühne steht er für ihre Wirkung ein. Auch blos an der vornehmen Gesellschaft der ihnen blind ergebenen Patrone und Patroninnen sollen sie ihre Macht üben. Nach einem treffenden Worte Fröbel’s will der Schöpfer der Nibelungen an die Stelle von Staat und Religion ein Opernhaus setzen. Wie reimt sich aber damit der hocharistokratische Charakter des Bayreuther Theaters? Der heilspendende Kunsttempel, das große, ruhmreiche Nationalwerk, zu dem es sich aufbauschen möchte, hat mit dem eigentlichen Volk auch nicht das Mindeste zu schaffen. Ihm bleiben seine Pforten geschlossen; den Einlaß finden nur wenige Auserwählte.


Otto Gumprecht.


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