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Das deutsche Reich und die öffentliche Gesundheitspflege

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Titel: Das deutsche Reich und die öffentliche Gesundheitspflege
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, 29, 38, 39, S. 418–420, 483–484, 622–624, 642–643
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das deutsche Reich und die öffentliche Gesundheitspflege.

1. Geschichtliche Entwickelung der Volkshygiene.

Als Cyrus für sein Heer Aerzte besorgen wollte, rieth ihm sein Vater Kambyses: „er sollte lieber Wächter der Gesundheit anstellen und Vorkehrungen treffen, daß seine Leute nicht krank würden; nur mit gesunden und lustigen Soldaten ließen sich Siege erfechten, die Aerzte aber lieferten nur Flickarbeit.“ Noch in der Kriegsführung unserer Tage pflegt sich als die weitsichtigere die nach diesem Grundgedanken handelnde Heeresleitung zu bewähren, und ebenso wenig wie den Feldherren war dieser Gedanke den weisesten Gesetzgebern des Alterthums fremd.

Es gilt einen gedrückten, durch erbliche Aussatzkrankheit verkommenen Stamm in ein Rassevolk ersten Ranges, in eine selbstbewußte, erobernde Nation umzuwandeln – und Moses nimmt nicht einen Troß von Aerzten, Wickelfrauen und Krankenpflegern mit auf seinen Wüstenzug, sondern er drillt die sich ihm Anvertrauenden nach den raffinirten Maßregeln der ägyptischen Sanitätsgesetzgebung. Jehovah selbst überwacht jeden Satz der Gesundheitslehre; sein Zorn scheucht den durch unreine Berührung Angesteckten aus dem Vorhofe des Tempels; sein Fluch trifft den gegen die Reinigungsvorschriften, die Speiseordnung, die Wohnungspolizei und Krankenisolirung sich vergehenden Frevler. Der priesterliche Sanitätspolizist dringt in alle Geheimnisse des Hauses und der Familie ein; von der Geburt bis über das Grab hinaus verfolgt er jede menschliche Handlung; vom Lebensgenuß des Einzelnen, von persönlichen Rechten und Freiheiten ist nicht die Rede.

Und doch fehlen die helleren Farben der Hoffnung und Verheißung in diesem aus Drohung und Abschreckung gewebten Wohlfahrtsgesetz nicht ganz, indem der Gesetzgeber als Lohn seiner Befolgung Wohlergehen und ein langes Leben hinstellte. Einer nationalen Auffassung, welcher die Aussicht, das Alter der Patriarchen zu erreichen und dabei gesund zu bleiben, sogar die Verheißung eines besseren jenseitigen Lebens ersetzte, mag es auch leicht erschienen sein, die tief eingreifenden, über dem Leben lastenden Gesundheitsvorschriften blindlings zu befolgen.

Eigenthümlicher Weise preist auch unter den griechischen Gesetzgebern der Begründer einer despotischen, alle persönliche Lebensfreude unterjochenden Volksgesundheitslehre am lautesten das hohe Alter als ein besonderes Verdienst: Lykurg, der die spartanischen Mädchen durch Wettlauf und Turnen zur kräftigeren Entwickelung zwingt, der über das Knabenalter die härtesten Züchtigungen, über den Mann die Entfremdung von der Familie verhängt, der sich nicht scheut, die Vernichtung kränklicher und schwächlicher Neugeborenen als Staatsgebot auszusprechen, fordert für das Greisenthum nicht etwa nur Schonung, sondern höchste Verehrung. Das Alter soll hier direct als etwas Verdienstliches angesehen werden und zwar nicht nur etwa wegen seiner durch die Nestorjahre erworbenen Weisheit, sondern auch weil es sich so lange im Widerstande gegen das demütigende Loos der Sterblichkeit zu erhalten wußte.

Daß „nur im gesunden Körper ein gesunder Geist wohne“, war der Grundgedanke des mehr vergeistigten Griechenthums, wie es sich besonders in Athen entwickelte. Die edle Harmonie der leiblichen und seelischen Natur, die Entfaltung des ganzen Menschen in Rüstigkeit, Schönheit und Gesundheit strebten die Gesundheitsgesetze dieses zur Erfüllung solcher Wünsche wie geborenen Volkes an. Mit den Gymnasien in unmittelbarer Verbindung standen die öffentlichen Bäder, deren durchdachter Comfort noch heute Gegenstand unseres Neides sein könnte; den Fremden und Herbergesuchenden beschützte kein geringerer Gott, als Zeus selbst; der Mensch sollte dem Menschen als ein den Göttern geweihtes Heiligthum gelten. Aber keine Spur des Ueberganges findet sich zwischen dem Gesundheitsideal des freien Bürgers und der elenden Lage des arbeitenden Sclavenproletariats. Selbst nach den winzigsten Andeutungen einer volkswirthschaftlichen Schätzung des Arbeiterlebens (wie sie uns in so hoher Entwickelung als bewußtes Streben der amerikanischen Sclavenhalterei entgegentrat) suchen wir bei den Griechen vergebens. Wie der eingeborene Sclave in den Werkstätten und Steinbrüchen schnell abgenutzt wurde, ohne daß ein Gesetz sein Leben und seine Gesundheit schirmte, so wanderte der kriegsgefangene Barbar und der Verbrecher in Ketten nach den Bergwerken, um nach Plutarch’s Ausdruck „als ein ausgestoßenes und nicht mehr mitgezähltes Opfer der menschlichen Gemeinschaft, in ungesunden und verpesteten Räumen zu Grunde zu gehen“.

Und eine gleiche Unebenheit zeichnet die öffentliche Gesundheitspflege des republikanischen und kaiserlichen Roms aus. Hier mußte Alles, was sich auf sie bezog, groß, in die Augen fallend sein, mußte vor Allem den Zweck erfüllen, seinen Schöpfer populär zu machen. „Drei Dinge sind es,“ meint Strabo, „welche von den Griechen vollkommen vernachlässigt, von den Römern dagegen ohne Scheu vor Kosten mit mühevollster Arbeit zweckmäßig ausgeführt wurden: der Bau der Cloaken, der Wasserleitungen und der großen Verkehrswege.“

Um ihr durch lange Benutzung verstopftes Canalisationsnetz zu reinigen, gab die Stadt im Jahre 184 vor Christo auf einmal 1000 Talente (3,600,000 Mark) aus, und wie genügend auch die [419] Wasserversorgung schon von Alters her gewesen war, so ergossen sich zur Zeit der ersten Kaiser die jungfräulichen Quellen des Gebirges, meilenweit in unterirdischen Röhren oder auf gewaltigen Bogenreihen in die Stadt geleitet, sogar in wahren Strömen aus kunstvoll gewölbten Grotten; sie breiteten sich wie Deiche in reichverzierten Marmorbehältern aus oder stiegen plätschernd in den Strahlen prächtiger Springbrunnen auf, deren kühler Hauch die Sommerluft erfrischte und reinigte. Und nicht dieses Rom, „die Stadt“ allein oder nur einige besonders reiche Provinzialstädte waren es, die von dem Geschick der Römer zu Verkehrsanlagen und Wasserbauten Nutzen zogen: noch in unseren Tagen stoßen wir allenthalben aus Aquäducte, Brücken und Durchlässe, Dämme, Trockengräben etc. – Beweise des Fleißes römischer Legionen und des hygienischen Tactes ihrer Führer.

Dabei sprachen aber die Anlage der Gassen und das Innere der gemeinen Wohnhäuser selbst in der Hauptstadt des Weltreiches allen Gesundheitsvorschriften Hohn. Die Häuser wurden übermäßig erhöht und waren trotzdem übervölkert; Brände und Epidemien fanden schnell und leicht Verbreitung. Wenn die Gluth des Sommers die erste Feige reifte, wenn der Leichenbesorger mit seinen schwarzen Trabanten immer häufiger auf den Straßen gesehen wurde, und Väter und Mütter für ihre Kinder zitterten, dann entfloh, wer es nur irgend ermöglichen konnte, der von mörderischen Fiebern geplagten Stadt und suchte höher und gesünder gelegene Orte auf; denn allen Kunstbauten zum Trotz wußte man sich machtlos gegenüber den bösen Ausdünstungen der nahen Sümpfe und den Folgen der häufigen Ueberschwemmung des Tiberflusses. Man gab die aus Municipien und Colonien, ja dem ganzen Erdkreise zusammengeströmten, heimath- und besitzlosen Volksmassen den stets wiederkehrenden Fiebern ohne Widerstandsversuch preis.

Als dann noch später das Kaiserthum durch Aufruhr der Feldherren, Sturz der Kaiser, durch ihre eigenen und ihrer Verwandten elende und absurde Leidenschaften zerrissen war, da half es wenig, dem Fieber, dem Getreidebrand und der Pest Altäre zu errichten: das stolze Rom entvölkerte sich durch Hungersnöthe und Volkskrankheiten, es sank zu einem elenden Nest herab und galt selbst den herandrängenden Barbaren als Ort des Schreckens, als Herd schnelltödtender Seuchen.

Alles, was im Alterthum für die Volkshygiene geschehen war, kam ohne directe Mitwirkung der Heilwissenschaft zu Stande. Obwohl Hippokrates in seinem merkwürdigen Buche „über die Luft, das Wasser und die locale Vertheilung der Krankheiten“ manchen beachtungswerthen Wink gegeben hatte, waren seine kaum verstandenen Lehren selbst dem Gedächtniß der Nachfolger schnell entschwunden. Die gesellschaftliche Stellung der Aerzte in Rom war aber eine so klägliche, daß wohl schwerlich jemals einer der stolzen Aedilen und Censoren daran dachte, ein ärztliches Gutachten über Gesundheitsanlagen einzuholen.

Und noch bis in das spätere Mittelalter hat die Heilkunde kein Bewußtsein ihrer höheren Aufgaben erlangt, geschweige einen Einfluß auf die Gestaltung der öffentlichen Wohlfahrt ausgeübt. Zunächst erleidet vielmehr der uns beschäftigende Gedanke eine eigentümliche Gestaltung durch das Christenthum; dann drängen Nothstände aller Art Kaiser, Könige und Großstädte dazu, Sanitätsgesetze zu erlassen; es vereinigen sich die kleinen Gemeinwesen, besonders auch die Zünfte, um auf volkstümlicher Grundlage Einzelnes zu bessern, besonders auch um die Verfälschung der Lebensmittel zu bekämpfen.

Die Geringschätzung des menschlichen Einzeldaseins, wie sie das Evangelium als eine seiner Hauptlehren aufstellt, schien der ursprünglichen kirchlichen Auffassung mit einer zur Schau getragenen Verachtung irdischen Wohlbehagens gleichbedeutend. Wo es als höchstes Verdienst galt, allein in niedrigen Höhlen zu vegetiren, den Leib durch Fasten und Kasteiungen zu peinigen, das Glied auszureißen und fortzuwerfen, welches Aergerniß erregte – da blieb für Lehren leiblicher Wohlfahrt kein Raum. Nach jener Mißauffassung erklärte aber die Lehre Christi nicht blos der Pflege der eigenen Gemächlichkeit den Krieg, sondern sie brandmarkte auch das von den Heiden und Juden so geliebte lange Leben als eine schwer erträgliche Bürde; sie verwarf die Ausnützung des Einzeldaseins durch den Staat als Schädigung des besseren Theiles im Menschen; sie schien überall die Keime staatsfeindlicher Grundsätze zu enthaltene denn Tausende lernten das Leben verachten und wegwerfen um ihrer Ueberzeugung willen; der Elitestand des Mittelalters – als welchen der Clerus sich gern betrachtet sah – zog sich von der Eheschließung und Familiengründung gänzlich zurück, ganze Volksclassen wurden systematisch dazu erzogen, das Beten und Faullenzen über das Arbeiten zu stelle und dem Gemeinwesen ihre Kräfte zu entziehen.

Die Humanität ging rein in Werken des Mitleids auf; der dem Menschen unentreißbare Trieb, zu bessern, klammerte sich peinlich und buchstäblich an das Wort „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern nur die Kranken“; Tröstung und Bekehrung der letzteren waren des höchsten Himmelslohnes gewiß. Und während man das Kranksein als die bequemste Brücke zum heißersehnten Jenseits pries, die Leidenden, welche bereits auf diesem Wege waren, hätschelte und beneidete, stieß man oft die, deren letztes Stündlein Voraussichtlich noch fern war, hartherzig in immer tieferes Elend hinein und kümmerte sich am wenigsten um die Verhütung der Krankheiten. So gründete die Kirche zwar jene zahlreichen Gertraudten- und St. Georgs-Hospitäler für die Aussätzigen – aber jede Maßregel zur Bekämpfung des Aussatzes verwirft sie schon deshalb, weil derselbe als eine um der Sünde willen von Gott eingesetzte Strafe galt.

Es ist aber hundertfach erwiesen, daß der kirchlichen Auffassung nichts armseliger und unseliger erschien, als Jemanden mit der Kunst und Pflicht, ein gesundheitsgemäßes Leben zu führen, bekannt zu machen. Dafür, daß die von geistlicher Oberhoheit abhängigen Staaten des Mittelalters und der Neuzeit mit dem, was wir als öffentliche Wohlfahrt und Gesundheitspflege bezeichnen, Fühlung weder fanden noch suchten, bedarf es der Aufzählung von Beispielen nicht. Auch würde es zu tief in Einzelheiten führen, die stückweisen Bestrebungen Karls des Großen, Kaiser Friedrichs des Zweiten und Anderer, oder die Gesundheitsordnungen aufzuzählen, durch welche sich Paris, Venedig, Wien und andere größere und kleinere städtische Gemeinwesen vor den schlimmsten Uebelständen zu schützen suchten.

Erst der grause Schrecken der mittelalterlichen Pest, besonders des schwarzen Todes ruft vom Jahre an die ärztliche Wissenschaft und Kunst zur Theilnahme an der Volksgesundheitspflege wach. Wie kindlich und platt uns auch heute die Verordnungen der damaligen medicinischen Facultäten erscheinen, wie komisch wichtigthuend sich auch der vornehme hochstudirte Arzt noch lange von der persönlichen Berührung mit ansteckenden Kranken fernhielt, so leuchtete doch einsichtigen Staatslenkern der Gedanke, daß rechtzeitig vorzusorgen vielleicht der bessere Theil des ärztlichen Wissens sei, schon frühe ein und fand in den zahlreichen unter Beihülfe der Heilkünstler verfaßten Medicinaledicten des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts seinen Ausdruck.

Während die Menge der Gesundheitsfragen sich von Tag zu Tag vermehrte, verflochten sich die hier angedeuteten Wurzeln der heutigen Volkshygiene und fanden in der Eigenart der einzelnen europäischen Staaten einen verschieden günstigen Boden. Die Kirche hält noch heute in Italien die bedeutendsten Mittel der Armen- und Krankenpflege in Händen; sie verfolgt noch immer confessionelle Zwecke und identificirte besonders vor den neueste Anstrengungen der Staatsregierung viele Zweige der Gesundheitspflege mit der Wohlthätigkeit. – Das Beispiel der Hauptstadt nachahmend, setzte man in Frankreich in einigen großen Städten Gesundheitsräthe ein; die große Mehrzahl der Städte und das flache Land blieben dabei vollkommen außer Betracht, sodaß gerade hier unser Jahrhundert enorm viel nachzuholen hatte. – In England allein entwickelte sich die Gesundheitspflege auf der breiteste und sicherste Grundlage, auf dem Boden des allgemeinen Verständnisses für das Praktische und der communalen Selbstregierung. – Die in Deutschland durchgeführten Einrichtungen medicinpolizeilichen Inhalts konnten als ernstlich gemeinter Ersatz einer staatlichen Gesundheitspflege nicht mehr gelten, als die Anschauungen über das Verhältniß zwischen dem Einzelnen und der staatlichen Gemeinschaft sich unter den Folgen der französischen Revolution gänzlich umzugestalten begannen.

Der moderne Staat beansprucht freilich noch heute die besten Kräfte Aller für sich, aber er muß gleichzeitig zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit das Wohlsein aller Staatsbürger wollen. Es ist seine Aufgabe, dasselbe zu erhalten und zu vermehren durch die Gewährung der einzigen mögliche Mittel, das heißt die Bildung zu fördern durch öffentlichen Unterricht und die Gesundheit durch die öffentliche Gesundheitspflege.

[420] Durch diese Auffassung befreien wir uns von dem Mißbehagen, das uns beim Gebrauch des Ausdrucks nicht selten beschleicht, wenn wir das schöne Problem einer wahren Humanität bald als erdrückende Fessel in der Hand des despotischen Gesetzgebers, bald als Maske eines eigensüchtigen gleißnerischen Pharisäerthums, bald als Angriffswaffe in der Faust des Socialdemokraten mißbraucht sehen.

Im Publicum ist man vielfach geneigt, den Gedanken, daß auch Deutschland sich zum eigenen Heil mit der Volkshygiene als Staatseinrichtung zu befassen habe, erst in der Zeit unseres letzten nationalen Aufschwunges entstehen zu lassen. Hier liegt ein Unrecht gegen die Patrioten einer früheren Periode vor. „Die Einrichtung eines eigenen preußischen Medicinalministeriums,“ schreibt Virchow am 21. Juli 1848 in seiner ‚Medicinischen Reform‘, „halten wir nicht für notwendig. Dagegen verlangen wir die Einrichtung eines deutschen Reichsministeriums für öffentliche Gesundheitspflege.“ In die deutsche Reichsverfassung von 1871 tritt die Schöpfung eines Mittelpunkts für dieselbe durch den unscheinbaren Satz ein. „Der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen die Maßregeln der Medicinal- und Veterinär-Polizei.“ Auf ihm beruht die unter vielen Widersprüchen und Bedenken zu Stande gebrachte Errichtung unseres gegenwärtigen Reichsgesundheitsamtes.

Welche Ziele und Aufgaben kann sich mit Rücksicht auf die Vorgeschichte, mit dem vollen Bewußtsein der unendlichen Combinationen, denen das Leben des heutigen Culturmenschen unterworfen ist, eine solche Behörde wohl stecken? – Kann es ihr genügen, durch zahlenmäßige Feststellungen einen Ueberblick der verfügbaren Menschenmasse zu erhalten, auf welche der moderne Staat, um wehrhaft zu sein, rechnen muß – oder festzustellen, wie lange derselbe über die ihm unmittelbar dienstbargewordenen Kräfte disponiren kann und wann dieselben abgenutzt sind – also Recrutirungs-, Beamten-, Invaliditäts- und Armenstatistik zu treiben? Ist die Aufgabe eines solchen hygienischen Centrums erschöpft, wenn es die alten Lieblingsgesetze der Volksgesundheit, die gegen Lebensmittelverfälscher, Brunnen- und Flußverunreiniger von neuem beräth und den Zeitverhältnissen anpaßt? – Ist das Ideal eines Staatsgesundheitsamtes erreicht, wenn es die krankmachenden Einflüsse des Landesklimas zu ergründen sucht oder dafür sorgt, daß gute Aerzte ausgebildet werden?

Wir besitzen eine Denkschrift des deutschen Gesundheitsamtes, in welcher es den Gedanken von der Gegenleistung des Staates in weiteren Grenzen anerkennt. Man beabsichtigt danach, den Gesundheitsschutz der Kinder in den Schulen und der Arbeiter in den Fabriken, den Schutz der Geisteskranken zu übernehmen, Bestimmungen gegen die Ausbeutung der niederen Classen und der Halbgebildeten durch den Geheimmittelschwindel zu erlassen u. dergl.

Am wohlthuendsten berührt das durch die ganze Schrift sich hindurchziehende Bekenntniß, daß man sich einer besondern Verantwortlichkeit des Staates den seuchenartigen Krankheiten gegenüber bewußt ist und Alles zu thun verspricht, um ihr unheilvolles Auftreten dem Vaterlande zu ersparen. Da dieser von uns im Vorstehenden absichtlich nur gestreifte Gegenstand gleichsam den Kern und Probirstein aller staatlichen Wohlfahrtsgesetze darstellt, verlohnt es sich wohl, ihm eine eigene gedrängte Betrachtung zu widmen. Davon im nächsten Artikel!



[483]
2. Die Bedeutung der Epidemien im modernen Staat.

Von Seiten Derjenigen, welche sich herausnehmen, ihren Göttern eine menschliche Sprache zu verleihen und sich von ihnen sagen zu lassen, was sie selbst am liebsten hören, wird die im Folgenden geltend zu machende Auffassung der Volksseuchen stets Angriffen und Zweifeln ausgesetzt bleiben. Wenn noch in den jüngsten Tagen ein so feiner und tiefer Denker wie Graf Moltke ernstlich Worte findet zur Stütze der Meinung, daß „der Krieg ein notwendiges Glied in der göttlichen Weltordnung“ sei, so unterliegt es keinem Zweifel, daß schwächere Köpfe in großer Anzahl sich noch heute bei dem Gedanken behaglich fühlen, daß auch die großen Volkskrankheiten Gottesschickungen seien, bestimmt, „die Welt nicht in Fäulniß gerathen, sie nicht im Materialismus sich verlieren zu lassen und die menschlichen Tugenden zu stärken“.

Wer aber das tausendfältige Elend einer längeren Epidemie jemals durchlebt hat, der mußte mit Trauer wahrnehmen, daß die sparsamen Tugendblüthen, welche durch diese Geißeln der Menschheit gezeitigt werden, vollkommen unter einer Masse schlimmster Leidenschaften ersticken; denn in den Tagen der Epidemie wächst die Eigensucht übermächtig, und es wendet sich der Nächste vom Nächsten, der ihm den Todeskeim zu überliefern droht, kalt und mit Grausen ab, oder er erhebt gar zur Abwehr gegen ihn die brudermörderische Hand.

„Laßt uns sorgen,“ so konnten sich die Regierungen aller Zeitalter nach dieser oder jener Epidemie zurufen, „daß die Ueberlebenden bald wieder zu Menschen werden.“

Trotzdem gehört das Aufrechterhalten der Meinung, daß die epidemischen Krankheiten direct göttlichen Ursprunges seien, nicht zu den Unbegreiflichkeiten, wenn man im Auge behält, daß es gewissen Verkündern angeblich göttlicher Weltordnungen von jeher mehr auf den Erfolg als auf den Beweis ihrer Behauptungen ankam. Die Staatenlenker älteren Stils konnten eben nur dieser einen Beschwörungsformel die Kraft zutrauen, aufgeregte Massen zu beruhigen und ein entsetzt aus einander fliehendes Volk zusammen zu halten. Wie in andern Fällen so unendlich oft, so bekleidete sich auch diesem inneren Feinde gegenüber die bankerotte Staatskunst mit dem Deckmantel der Religion.

Zürnende, beleidigte Götter mußten es sein, welche die menschenmordenden Seuchen auf lästig gewordene Völker herabsendeten; die gegen das Gebot der Priester und Propheten ungehorsamen Sterblichen waren selbst schuld daran, wenn der glühende Rachepfeil zugleich mit dem Frevler auch den Unschuldigen niederstreckte. Durch Buße, Umkehr und völlige Unterwerfung allein – so will es der Autoritätsglaube noch heute, wie zur Zeit der ägyptischen Plagen – wurde die Hoffnung gegeben, den göttlichen Zorn von sich und den Seinigen abzulenken.

So geängstigt, lernte der Mensch die ungeheuere Ungerechtigkeit des Massensterbens zwar nicht begreifen, aber doch ruhig dulden. Er begrub, was seines Lebens Freude gewesen war, und nagte an dem selbstsüchtigen, elenden Trost: „Wen's trifft, den trifft's.“

Auf die Dauer aber konnte die staatspriesterliche Weisheit sich doch nicht mit der Versicherung ganz abfinden, daß jener Wille, ohne welchen kein Sperling vom Dache und kein Haar vom Haupte fällt, nicht blos der Wille eines mächtigen, sondern auch der eines weisen und liebenden Wesens sein sollte.

Nun mußte das „böse Princip“, mußte der fratzenhafteste Fatalismus, der ganze astrologische Wust des Orients herbeigezogen werden, um den Widersinn mit dem Charakter absolut unabwendbarer, mystischer Naturerscheinungen zu umhüllen.

Dieses und jenes große Vieh- und Menschensterben war eingetreten, als Sonne und Mond sich verfinstert hatten; – böse Fieber entvölkerten ganze Inseln, während gleichzeitig ihre erloschenen Vulcane aus neuen Kratern zu arbeiten begannen; – der grause „schwarze Tod“ zog über die ganze alte Welt, als in China wochenlang die Erde gebebt und verderbenschwangere, giftige Dünste sich über Länder und Meere verbreitet hatten. Kometen und Meteore, vulcanische Erscheinungen, Stürme, Regengüsse und Flußaustretungen wurden mit größerer oder geringerer Genauigkeit gebucht und mit dem Ausbruche epidemischer Erkrankungen in unmittelbare Beziehung gebracht.

Wir müssen aber dabei dem Mißverständnisse vorbeugen, als sei mit dem Hinweise, daß die neuere Wissenschaft den Seuchen gegenüber ihr Hauptaugenmerk auf andere Punkte richtet, gleichzeitig auch die Bedeutungslosigkeit jener Naturvorgänge ausgesprochen. Noch lange wird die Entscheidung darüber ausstehen ob mit der Erforschung der uns vor Augen liegenden Verhältnisse des Kranken und seiner nächsten Umgebungen Alles erklärt sei, ob in dem Zusammenhange kosmischer Erscheinungen mit den Massenkrankheiten kein Korn objectiver Wahrheit gesucht werden dürfe.

Erst durch das im Zusammenwirken der Meteorologie mit der Medicin und der Landwirthschaft, durch die Ausdehnung der wissenschaftlichen Beobachtungsstationen, wie von Alex. von Humboldt sie für einzelne Zwecke begründet und durchgesetzt hat, über die ganze Erde erst durch diese und andere Mittel wird es künftigen Geschlechtern möglich sein, den ursächlichen Antheil, welchen die außerhalb des Menschen sich abspielenden Vorgänge etwa an der Entstehung der Epidemien haben, richtig zu würdigen

Das wichtigste Untersuchungsobject auf dem Gebiete der Epidemiologie bleibt aber einstweilen der Mensch als Einzelwesen und sein Zusammenleben in Genossenschaften. Die Frucht der Erkenntniß, daß in erster Reihe wir Erdbewohner selbst die Schuld um Ausbruch voll Massenkrankheiten tragen, reifte langsam, und der Boden, auf dem sie wuchs, wurde reichlich mit unschuldigem Blute gedüngt. Als den feindlichen Göttern und Götzen ihre unheimliche Macht entglitt, als der Mond und die Planeten, die Sonne und das Erdinnere nur noch einen bedingten Antheil an der Seuchenerzeugung haben sollten, da waren es zunächst die Brunnenvergifter und Beschwörer, die Hexen und Juden, die für Rinder- und Menschenpest, für Epidemien von Fiebern, Blattern und englischen Schweiß mit Leib und Leben zu büßen hatten. Es war ja durchaus staatsklug, gerade diese Theorie zu begünstigen den gehorsamen und gläubigen Theil der Menschheit, vor allem aber die Machthaber selbst von aller Mitschuld freizusprechen und dem mit dem Teufel im Bunde stehenden Gesindel um so eifriger und massenhafter den Proceß zu machen, als für manche etwas großartigere Epidemien die Zahl der Verdächtigten noch viel zu klein erschien. Besonders grell traten dergleichen Mißverhältnisse hervor zur Zeit von Kriegs- und Hungersnöthen. Mit dem Sprüchwort:

„Krieg, Pestilenz und theure Zeit,
Ist das eine da, ist das and’re nicht weit“ –

trösteten sich resignirt die Völker; Jahrhunderte hindurch fiel es Niemandem ein zu fragen, ob es sich hier um Ursachen und Wirkungen handelte, und ob der Krieg, der Hunger oder die an sie gebannten Seuchen mehr Opfer forderten

Aus der Neuzeit fehlen uns nun genauere Angaben über diese Verhältnisse nicht ganz, und sie lehren zunächst, daß es noch keinen Krieg gegeben hat, an dessen Zerstörungswerk die ansteckenden Wundkrankheiten und der Kriegstyphus, die Ruhr, der Skorbut nicht einen bedeutenderen Antheil genommen hätten als die raffinirtesten Verbesserungen der Feuerwaffen. Im Krimkriege verlor die französische Armee ein Drittel ihres Gesammtbestandes: von diesen 95,615 Mann, welche ihr Leben einbüßten, fielen nur 10,240 vor dem Feinde; etwa ebenso viele Verwundete erlagen in den Hospitälern; über 75,000 aber starben an epidemischen Krankheiten. Schreckenerregend ist auch noch das Zahlenverhältniß von 97,000 Todesfällen auf den Schlachtfeldern gegen 184,090 durch Seuchen und Krankheiten, wie es sich im amerikanischen Secessionskriege herausstellte. – Ist es aber Angesichts dieser Zahlen noch möglich zu leugnen, daß die Bedingungen derartiger Epidemien überwiegend menschliche sind, wenn wir erfahren, daß während unseres letzten französischen Feldzuges aus 17,572 vor dem Feinde gefallene und 10,710 an Wunden nachträglich erlegene nur noch 12,253 durch Krankheiten und Seuchen hingemordete Soldaten kommen? Hier liegen Beweise vor, daß ein Staat, dem seine Armee genügend viel werth ist, durch ein gutes Sanitätswesen die epidemischen Gräuel früherer Kriege wenigstens abschwächen, wenn auch leider nicht verhindern kann.

Noch viel versöhnendere Vorstellungen erregt uns die Thatsache, [484] daß selbst in weiteren Kreisen das Interesse an der Verhütung sonstiger Nothstandsepidemien sich stark zu regen beginnt. Den Erfahrungen gegenüber, die Deutschland gelegentlich seiner letzten Hungerseuchen (1848 in Oberschlesien, 1852 im Spessart, 1868 in Ostpreußen) zu machen hatte, dürfen wir darauf stolz sein, daß es im vorigen Jahre möglich war, die öffentliche Aufmerksamkeit rechtzeitig auf die ernst bedrohten Kreise der schlesischen Provinz zu lenken und durch thatkräftige Maßregeln den Ausbruch des Hungertyphus zu verhüten Im Schooße eines geeinigten, zu Mitleidsspenden willfährigen Volkes, im Gebiete eines, wenn auch nur in einzelnen Theilen wohlhabenden, aber von Eisenbahnen durchzogenen Staates darf das massenmordende Gespenst des Nothstandstyphus nicht mehr beobachtet werden.

Man hat sich längst darüber geeinigt, daß die Regierungen für das Hereinbreche der sogenannten großen Wanderseuchen – der Pest, des Gelbfiebers und der Cholera – verantwortlich zu machen sind. Freilich gestaltet sich die Aufgabe, diese zu bekämpfen oder ein Gemeinwesen vor ihnen zu schützen, für die Staatsbehörden ganz anders, als das Publicum im Augenblick der Gefahr sich denkt.

Man kann nicht Krieg führen, ohne einen auch zur Friedenszeit dauernd und unablässig arbeitenden Generalstab; man kann keine Seuchen bekämpfen, ohne Vorbereitungen und durchdachte Pläne.

Hierin wird die Auffassung des weitsichtigen Staatslenkers sich am deutlichsten von der des simplen und sorglosen und von dem unklugen Gebahren des gemeinen Mannes unterscheiden. Während der Letztere in seiner Angst verlangt, daß man die ganzen heimgesuchten Städte und Dörfer, ja wo möglich die Kranken selbst vernichte und verbrenne, muß ihm erwidert werden können, daß man längst Mittel zur Zerstörung des Krankheitsgiftes mit gutem Erfolge gesucht und erprobt habe; während Jener den Boden, den er bewohnt, den Brunnen, aus dem er trinkt, die Luft, die er athmet, beim Herannahen der Cholera in feiger Flucht verlassen will, muß schon der Beweis zur Hand liegen, daß man seit Jahre seine Sorglosigkeit überwachte und die schlimmsten Schädlichkeiten und Verunreinigungen beseitigte, daß er sicherer hier bleibt, als daß er anders wohin flieht. Wenn ferner der Einzelne verstört darüber grübelt, was er zum Schutze seiner Person thun und wie er den gefürchteten Ansteckungsstoff von sich fern halten soll – kann ihn eine allgemein durchgeführte, einsichtsvolle Maßregel, wie jetzt schon vor den Blattern, so vielleicht in Zukunft auch vor anderen Seuche schützen. Und während endlich der Philister noch lärmend fordert, daß man die Landesgrenzen absperre und die Häfen schließe, lasse man ihn mit Beschämung lesen, daß bereits muthige und mit ihren Aufgaben vertraute Aerzte und Executivbeamte – die Eclaireurs dieser Kriege – im Seuchengebiet und an dessen Umgebung thätig sind und hier erfolgreicher wirken, als es eine Armee von Paßwächtern und ein ebenso kostspieliger wie nutzloser Militärcordon an der eigenen Landesgrenze thun können.

Um diese Aufgabe zu lösen, bedarf eine Nation allerdings nicht nur jenes weisen, allzeit thätigen Generalstabes im Inneren, sondern auch eines gewissen Ansehens nach außen. Es handelt sich hier aber um politische Aufgabe im edelsten Sinne, und es muß in den meisten Fällen trefflicher und ruhmvoller erscheinen, das Vaterland vor einer heranrückenden Pest- oder Cholera-Epidemie zu behüten, als in der Südsee ein paar armselige Seeräuber zu züchtigen oder irgendwo eine Flottendemonstration zu machen. Siegt indeß die Wanderseuche, wie es oft geschah und auch in Zukunft jeweilig geschehen wird, so drängen sich neue Aufgaben in den Vordergrund; zunächst wohl die des Prüfens neuer Abwehrmittel, die der Ergänzung oder des Ersatzes der als nicht ausreichend erkannten Kampfkräfte. Häufig auch wird ein durch das Nationalunglück geschärfter Blick in das Innere des Staatsgetriebes wunde und faule Punkte entdecken, die sonst noch lange unbemerkt geblieben wären. Friedrich Wilhelm der Vierte that im Jahre 1848 die gewiß nach mehreren Seiten merkwürdige Aeußerung: „Die Cholera erreichte immer in den Jahren ihre größte Heftigkeit und Verbreitung, wo die meisten Eide gebrochen würden.“

Man soll uns nicht damit beruhigen wollen, daß die nie ganz erlöschenden Epidemien – Masern, Scharlach, Croup, Diphtherie, Keuchhusten, Unterleibstyphus – in den Culturstaaten fast nie über zehn Procent der Todesfälle bedingen, und daß die außerordentlichen Seuchen unserer Jahrhunderte sich mit Bruchtheilen von Procenten der Bevölkerung zu begnügen pflegen. Nur der Wunsch, zunächst das Dringendste verständlich zu machen, hat uns bisher davon schweigen lassen, daß nicht blos die gewöhnlich besprochenen Epidemien zu den vermeidbaren Volkskrankheiten gehöre, sondern auch viele Schul- und Berufskrankheiten, wie z. B. die Sommerkrankheiten der Neugeborenen und vor allem auch die Lungenschwindsucht. Einer ideellen Auffassung werden die Ziele eines staatlichen Gesundheitsamtes – denn dieses verglichen wir mit dem weisen, immer thätigen Generalstabe dadurch nur anziehender und dankenswerther erscheinen, daß sein segensreiches Wirken für das allgemeine Wohl auch in den epidemielosen Friedenszeiten ein sichtbares und lohnendes sein kann.



[622]
3.0 Die staatliche Hygiene im Kampfe mit dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen und der Gemeinde.

Noch jetzt trägt in den europäischen Staaten – England allein ausgenommen – die auf die öffentliche Wohlfahrt abzielende Gesetzgebung den Stempel der Gelegenheitspolizei. Wo erst ein schreiender Uebelstand das allgemeine Aufsehen erregt und die Noth allein die Erfinderin hygienischer Maßregeln bleibt, da ringt nur Schritt für Schritt und mit äußerster Langsamkeit das Oberhoheitsrecht des Staates dem Eigenthums- und Verfügungsrecht des Einzelnen diese und jene gesetzliche Feststellung ab. Noch weniger kann uns der Widerstand der Gemeinden Wunder nehmen, den sie gegen kostspielige Neuerungen auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege stets in Bereitschaft haben. – Um die Anwendung der einzig erfolgreichen Waffen in diesem Kampfe, der Belehrung und der Hebung des allgemeineren Interesses für unseren Gegenstand, haben sich die zahlreichen hygienischen Vereine ein großes Verdienst erworben.

Allen voran zeichnet sich durch seine ganz Deutschland einmüthig umfassende Anregung der mehr als 1200 Mitglieder zählende „Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege“ aus, der seine jährlichen Wanderversammlungen von Frankfurt nach Dresden, von Nürnberg nach Hamburg, von Stuttgart nach Wien, kurz überall hin ausdehnt, wo Nachahmenswerthes an der Quelle zu studiren, ein wichtiger Zweifel zu lösen, eine gemeinnützige Anregung zu geben ist. Auf kleinere örtliche Kreise beschränkt, wirken in gleichem Sinne der niederrheinische Verein, derjenige für Elsaß-Lothringen, die Vereine zu Hannover, Nürnberg, Magdeburg, Erfurt, Bremen, Nordhausen, die Section für öffentliche Gesundheitspflege der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur und die deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin. An Zeitschriften für Fachkreise bestehen zur Zeit acht, die jede Richtung zur Genüge vertreten.

Dagegen geschieht in jenen Theilen des Vaterlandes, wohin jene Bestrebungen nicht reichen, noch gar wenig für die Verbreitung richtiger Vorstellungen und hygienischer Kenntnisse unter dem größeren Publicum. In den Schulen wird die Gesundheitspflege nicht gelehrt; die Zeitungen bringen nur selten eingehende, noch seltener gute Artikel über Gegenstände derselben. Die sparsamen populären Schriften aber bewegen sich mit wenigen Ausnahmen einestheils im Kreise abgestandener Beweise für die Nützlichkeit der Lehre, zum anderen Theile auf dem gefährlichen Boden der „Volksbeglückung“.

Für die besser situirten Gesellschaftsclassen liegt sogar eine bedenkliche Irrlehre in der Art, wie man häufig den privaten Comfort mit den wirklich wichtigen Interessen der Hygiene auf die gleiche Stufe gestellt hat. Es ist außerordentlich schwierig, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen dem für die Gesundheit Schädlichen und jenen Belästigungen, die unser Wohlbefinden und unseren Lebensgenuß stören. Namentlich fassen wir widerwärtige, mit unangenehmen Vorstellungen verknüpfte Geruchs-, Gesichts- und Geschmacks-Wahrnehmungen oft fälschlich als lebensgefährliche Bedrohungen auf.

Wir verlangen, daß man auf gesetzgeberischem Wege mit aller Energie und mit großen Kosten solche Einflüsse aus unserer Nähe entferne, und übersehen bei unserer Empfindlichkeit, daß sie nur durch die Civilisirung und durch die Verfeinerung des Lebensgenusses uns so gefährlich erscheinen, daß wir heute als dringendsten Gegenstand der staatlichen Ueberwachung betrachten, was unsere nächsten Vorfahren in ihren Häusern und Gassen noch mit Gleichmuth ertrugen. Hier wird also leicht zu weit gegangen: in Trockenheit oder Feuchtigkeit, in Reinlichkeit oder Schmutz, in Behagen oder Mißbehagen geht das Wesen der öffentlichen Gesundheitspflege nicht auf. Jeder, der aus seiner mit Peinlichkeit sauber und geruchfrei gehaltenen Stadtwohnung sich in gewisse eigenartige Verhältnisse mancher für besonders „gesund“ geltenden Sommerfrischen begiebt, konnte zwischen liebgewordenen Gewohnheiten und dem zur Gesundheit schlechterdings Nothwendigen unterscheiden lernen. Es läßt die Urtheilsfähigkeit unserer Nation, auf welche wir gewohnt sind uns etwas zu Gute zu thun, in keinem günstigen Lichte erscheinen, daß es nicht die hygienisch nachweisbaren Unzulänglichkeiten sind, die den gebildeten Theil des deutschen Publicums am meisten empören und auf Abhülfe dringen lassen, sondern diejenigen, an welche eine ekelerregende Vorstellung geknüpft wird. Für den Credit und die wahren Erfolge der staatlichen Gesundheitspflege aber liegt eine gewisse Gefahr darin, daß sie Stützen ihrer Bestrebungen in der übermäßigen Verfeinerung und in der bis zur Verzärtelung gehenden Empfindlichkeit der Sinnesorgane suchen solle. Sie würde so zum Gegensatze dessen führen, was sie unter der Devise „ein starkes und widerstandsfähiges Volk“ in Wahrheit erstrebt; sie würde den Vorwurf verdienen, die Gesellschaft zu einer Schaar hülfsbedürftiger Schwächlinge, die Welt zu einem großen Hospital zu machen.

„Auch ich meine allerdings,“ spottete bereits Goethe mit einem Seitenblicke auf gewisse schwärmerische Philanthropen des vorigen Jahrhunderts, „daß die Humanität einst siegen wird, aber ich besorge zugleich, daß alsdann der Eine nur noch des Andern humaner Krankenwärter sein werde.“

Gleichzeitig kann nun aber nichts Nutzloseres gedacht werden, als dem darbenden und entbehrenden Theile der europäischen Menschheit lediglich wiederholt vorzupredigen, daß es gesundheitswidrig sei, sich Schädlichkeiten auszusetzen, die gewissen Erwerbszweigen untrennbar anhaften. Es klingt fast wie Ironie, wenn fortwährend davon die Rede ist, daß man luftig wohnen, viel baden, nur nahrhafte und auf etwaige Schädlichkeiten vorher untersuchte Nahrungsmittel genießen solle, wo Obdach und Nahrung an sich bereits den höchsten Preis des unbarmherzigen Lebenskampfes bilden. Wer [623] mitten in der Noth ist, verlangt Hülfeleistungen und keine guten Rathschläge, wenn diese auch unter Umständen sehr nützlich sein können.

So kommt die staatliche Gesundheitspflege, wenn sie als allgemeine Theorie auftritt, in die Verlegenheit, ein bedenkliches Agitationsmittel für unmögliches und maßlose Bestrebungen zu werden. „Schafft vor Allem das Elend und die Armuth aus der Welt“ so lautet die Schlußfolgerung des natürlichen Verstandes, wenn die belehrenden Schriften ihm nichts weiter beweisen können, als daß es zur Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt dient, wenn Jeder Schädlichkeiten vermeiden und gemächlich leben kann.

Schon lange hat sich für die hygienische Wissenschaft aus solchen Betrachtungen die Aufgabe entwickelt, die verschwommenen Grenzen des für die öffentliche Wohlfahrt Notwendigen und des nur Angenehmen oder Nützlichen schärfer kennen zu lehren. Wo streitende Pflichten und Rechte auf diesem Gebiet in Frage kommen, hebt die allgemeine Belehrung bei dem Begreifen des Zeitgedankens an, daß alle menschlichen Interessen auf’s Innigste unter einander verknüpft sind, daß keine menschliche Gemeinschaft mehr gedacht werden kann, sie mag sich Stadt, Dorf, Rittergut, Fabrikort oder anders nennen, in welcher sich nicht die am Einzelnen verschuldete Schmälerung der wirklich notwendigen Lebensansprüche bitter rächt an der Gesammtheit.

Und diese Lehre ist es, in deren Sinn gerade bei uns in Deutschland die populären und die Fachzeitschriften nicht nachlassen dürfen zu wirken. Sie ist es zunächst, deren innere treibende Kraft einen so bedeutenden Theil des in England Erreichten zu Stande gebracht hat und die in Amerika in so kurzer Zeit Beneidenswerthes leistete. Nicht durch übereifrige bloße Nachahmungen einzelner in die Augen fallender anglo-amerikanischer Erfindungen auf diesem oder jenem Gebiete der Luft-, Wasser- und Bodenhygiene, noch weniger durch die rein polizeiliche Betreibung der Wohnungs- und Nahrungsmittelfragen werden wir es jemals erreichen, daß die Todesziffer unserer Städte von durchschnittlich 28 im Jahre auf jedes Tausend der Bewohner sich auf die weniger als 20 betragende der englischen und amerikanischen Großstädte erniedrige. Wir müssen nicht nur halb, sondern ganz aus dem specifisch deutschen Zustande herauszukommen suchen, den der warmherzige und für die Volksgesundheitspflege aufrichtig begeisterte Johann Peter Frank schon im vorigen Jahrhundert so anschaulich schildert:

„Kaum sieht man,“ sagt er, „daß irgend Jemand sich um das edle Kleinod der allgemeinen Gesundheit in vielen Gegenden bekümmert, bis eine tödtliche Seuche ihr Haupt in die Höhe hebt: dann schreit Alles, was sich nur ein weniges Ansehen geben will, über die Saumseligkeit der Polizei. Diese hingegen giebt sich jetzt, um Hülfe zu schaffen, mehr vergebliche Mühe und verwendet mehr Geld in einer Woche, als von beiden nötig wäre, dem Uebel durch kluge Ordnung vorzubeugen. Es ist beinahe mit den Gesundheitsanstalten alsdann wie mit den Feuerspritzen beschaffen, die man, wenn es im Dorfe brennt, erst flicken und wieder zurecht richten lassen muß; das Feuer erlischt von selbsten, ehe sie ankommen aber das Dorf liegt in Asche.“

Jedoch ist auch in jenen Ländern, die uns in Bezug auf gleichmäßig thätigen Gemeinsinn zum Vorbilde dienen dürfen, die Frage erst zum Theil gelöst, wo die Gemeinde von ihrem Selbstbestimmungsrecht zurücktreten und wo das Eingreifen des Staates angerufen werden muß. Sicher erscheint nur, daß die öffentliche Wohlfahrt von der Fürsorge der einzelnen Gemeinde nicht losgelöst werden kann, so weit sie rein örtliche Bedürfnisse im Auge behalten muß und so weit sie auf’s Engste mit dem Armenwesen und der Armenpflege zusammenhängt.

Wer so weit gehen wollte, alle Zweige des Gesundheitswesens in der Hand des Staates zusammenzufassen, könnte sich auch der Nothwendigkeit nicht entziehen, gleichzeitig das Armenwesen staatlich zu regeln. Wie solche Versuche in anderen Staaten ausgefallen sind, und wie sie bei uns ausfallen müßten, ist hier nicht der Ort zu untersuchen. – Aber auch für die Lösung der örtlichen Schwierigkeiten darf die Leistungsfähigkeit der Gemeinden durch allgemeine Vorschriften nicht lahmgelegt werden. Einmal in die Lage versetzt, eine als zweckmäßig anerkannte Maßregel schnell auszuführen, haben es die Ortsbehörden in ihrer Hand, der schwerfälligen Gesundheitsgesetzgebung des Landes vorauszueilen und – wie es in England und Nordamerika so oft zur Thatsache geworden ist – als Vorkämpfer in dem großen Ringen der Menschheit mit den ihr Vernichtung drohenden Gewalten aufzutreten, ihre Nation auf Bewährtes hinzuweisen und vor Verfehltem zu warnen. Auch der kühnste Experimentalpolitiker, wollte er alle möglichen localen Aufgaben unter allgemeine Gesichtspunkte bringen, müßte verzweifeln – und der Staat riebe sich am Unmöglichen auf, der den Kampf gegen das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden so weit treiben wollte, um die Beseitigung aller Schädlichkeiten nach derselben Formel zu verlangen. Hier glitte uns bald jeder Rechtsboden unter den Füßen fort, und keine Erfahrung wiese uns auf richtige Wege. Denn in ihrer Allgemeinheit ist die Frage, bis zu welchem Grade der Staat befugt sei, im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege in Privatrechte einzugreifen, auch in England noch eine bestrittene; in Deutschland ist sie in ihrer vollen Tragweite noch kaum zum Bewußtsein der gebildeten Kreise gekommen. Von einigen unumgänglichen Aufgaben läßt sich allerdings auch Seitens der eifrigsten Vorkämpfer der Selbstregierung nicht mehr bestreiten, daß ihnen einzig die volle Autorität des Staates gewachsen ist, so für die Aufgaben der Statistik, die Reinhaltung der Flüsse, den Kinder- und Irrenschutz etc.

Am meisten aber geben nach dieser Richtung die Erfahrungen zu denken, welche man ganz neuerdings in England mit den auf eigene Kosten und eigene Verantwortung von den Gemeinden angestellten ärztlichen Gesundheitsbeamten (medical officers of health) gemacht hat. Die heutigen Klagen über die einst diesseits des Canals vielfach bewunderte Einrichtung treten so laut und begründet auf, daß an eine versuchsweise Nachahmung derselben wohl für lauge Zeit nicht zu denken ist.

Schon bei der Anstellung durch die Gemeinde geben oft genug – wie wir mit Befremden hören müssen – nicht die Fähigkeiten des Bewerbers, sondern seine persönlichen und politischen Eigenschaften den Ausschlag. Viele Gemeinden betrachten die Anstellung dieser Beamten, zu welcher der Staat sie nötigt, ohne sich um einen Fähigkeitsnachweis oder sonstige Einzelnheiten zu kümmern, als eine günstige Gelegenheit zu Ersparnissen; sie nehmen häufig nicht nur den Mindestfordernden an, sondern entlassen sogar den schon Angestellten, wenn ein Anderer die Dienstleistung für eine geringere Entschädigung anbietet. Ein solches Unterbietungswesen wuchert natürlich in denjenigen Gemeinden am meisten, welche eine strenge Beaufsichtigung durch einen gewissenhaften „medical officer“ am wenigsten ertragen können. Sie stellen ihn in der Erwartung, ja unter der stillschweigenden Bedingung an, daß er die Gemeinde mit Anträgen und Ausgaben verschone und angesichts nicht gerade nach außen bemerkbarer, wenn auch noch so erheblicher Uebelstände sich blind stelle.

Oft werden mehrere kleine Districte zusammengelegt, um einen gemeinschaftlichen Gesundheitsbeamten zu besolden. Dann muß dieser sich hüten, irgend einem seiner Patrone durch eine Vorsichtsmaßregel oder einen Verbesserungsvorschlag zu nahe zu treten. Er verliert sonst sein Wohlwollen; der District wird ihm entzogen und an eine andere Gruppe angeschlossen. So büßt der durch seine Pflichttreue mißliebig Gewordene an Einnahmequellen ein und muß sich mehr und mehr darauf einlassen, Privatpraxis zu treiben. Letzteres nehmen aber die nicht angestellten freien Aerzte als eine unvorhergesehene Beeinträchtigung ihres Erwerbes auf – sie werden feindlich und suchen nach Gelegenheiten, dem unglücklichen Beamten seine schwierige Aufgabe noch unmöglicher zu machen, z. B. ihn, der für die rechtzeitige Anzeige von Epidemien verantwortlich ist, über die ersten Anfänge derselben im Dunkeln zu lassen etc. So fordert man jetzt jenseits des Canals die Prüfung der anzustellenden Gesundheitsbeamten und ihre Anstellung durch den Staat, Einrichtungen, wie wir sie, wenn auch mit etwas stiefmütterlicher Behandlung der deutlichen Gesundheitsfragen, in Gestalt unserer Kreisphysikate längst haben.

Es ist aber höchst fraglich, ob auch durch die besten Gesundheitsbeamten allein die Schwierigkeiten und Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege wesentlich gemindert werden. Sicherer würde zur Herbeiführung eines Einverständnisses die Mitwirkung aller ärztlichen Kreise herbeigezogen werden, und zwar in dem Sinne, wie 1873 die schweizer Aerztevereine es offen als ihre Hauptaufgabe bezeichneten, ihren Regierungen Vorschläge über zeit- und ortsgemäße Verbesserungen der öffentlichen Gesundheitspflege zu machen und die Ausführung derselben zu überwachen. „Freilich,“ so mußte noch im Jahre 1849 Virchow ausrufen „von unseren Aerzten werden nicht viele den Beruf in sich fühlen, ihre [624] wunderthätige Stellung gegen eine wahre Culturstellung aufzugeben. Mancher Praktiker wird sein gewichtiges Haupt schütteln und es unbegreiflich, ja lächerlich finden, daß er, statt an den Puls zu fassen, an die Zunge zu tasten und auf seine Schnupftabaksdose zu klopfen, von den ewigen Gesetzen der Natur nicht blos Kenntniß nehmen, sondern sie auch Anderen überliefern und beweisen“ – ja, wie wir jetzt fordern müssen, aus ihnen richtige Vorbeugungsmaßregeln ableiten – „soll.“

Diese Verhältnisse haben sich innerhalb der verflossenen zweiunddreißig Jahre unverkennbar zum Besseren geändert: der Staat darf heute die Aerzte im Kampfe für die hygienischen Interessen sicher als seine Bundesgenossen betrachten.

Aus jedem Bündniß entstehen aber auch Verpflichtungen, und es fehlt nicht an Stimmen, welche für eine nachhaltige Belebung jener Interessen die Einrichtung staatlicher Unterrichtsinstitute für hygienische Zwecke fordern. In Deutschland wird jetzt die Hygiene zwar an den meisten Universitäten gelehrt; besondere Lehrstühle für dieselbe bestehen jedoch bis zur Stunde nur an den bairischen Universitäten, und mit allen notwendigen Lehrmitteln ausgerüstete Institute nur drei: das altberühmte Pettenkofer’sche Institut zu München, in welchem von weit und breit besuchte Curse gehalten werden, die hygienische Universitätsanstalt zu Leipzig und die 1871 in’s Leben getretene chemische Centralstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, daß die weitere Organisation solcher Fachanstalten mit zu den wesentlichsten Hülfsmitteln für die gedeihliche Entwickelung der Staatsgesundheitspflege gehört.“

Wir dürfen hoffen , dem Leser eine annähernd richtige Auffassung angebahnt zu haben für die Schwierigkeiten, mit welchen die Einführung einer staatlichen Regelung der Hygiene bei uns in Deutschland zu rechnen hatte. Doch sind absichtlich nur diejenigen Punkte berührt worden, welche am leichtesten aus dem Gesichtskreise des allgemeinen Verständnisses entschwinden und am ehesten zu dem Mißverständniß führen, es handle sich bei Errichtung eines Reichsgesundheitsamtes um nichts anderes als um die nöthigen Geldmittel und die Beachtung bereits gemachter technischer Erfahrungen. – Unser nächster und letzter Artikel wird von dem kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin handeln.



[642]
4. Das kaiserlich deutsche Gesundheitsamt zu Berlin.

„Heutigen Tages können wir weder unsere Fehler noch die Mittel gegen dieselben ertragen.“ An dieses Wort des Livius wird man unwillkürlich erinnert durch die Hergänge, welche der Errichtung unseres deutschen Gesundheitsamtes vorausgingen, und durch die so vielfachen Angriffe, welche diese Reichsschöpfung in der kurzen Zeit ihres Bestehens schon zu erdulden gehabt hat. In der Idee war man für diese neue Centralbehörde begeistert; praktisch in’s Leben getreten stieß sie auf Schwierigkeiten, die man eben erst durch die Praxis voll würdigen lernte.

Bereits im Februar 1870 war dem damaligen Norddeutschen Bundesrathe eine Petition von einigen Tausend deutscher Bürgermeister, Aerzte, Techniker etc. vorgelegt worden, welche dringend eine centrale Organisation der öffentlichen Gesundheitspflege innerhalb des Norddeutschen Bundes erbat; mit ihr vereinigten sich mehrere gleichsinnige Petitionen einzelner Städte und Vereine. Man hatte auf ein freundliches Entgegenkommen gerechnet und war nicht wenig erstaunt, ja teilweise entrüstet darüber, daß die wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen, die oberste begutachtende Fachbehörde Preußens – sich ablehnend aussprach. Die Petenten redeten vom Schutz der Fabrikarbeiter und der Schulkinder, von Baupolizei-Ordnungen, von der Entwässerung und Reinhaltung der oberen Bodenschichten in den Städten, von der Beschaffung guten Wassers, von der Einrichtung des hygienischen Unterrichtes an den Universitäten und noch von zahlreiche Einzeldingen hinsichtlich deren die Gesundheitsbehörden tief in die Thätigkeit der Kreise und Gemeinden eingreifen sollten.

„Wir müssen es für unmöglich halten,“ heißt es sehr bezeichnend in dem Gutachten jener wissenschaftlichen Behörde, „diese Aufgabe so sehr zu schematisiren. Nicht einmal wissenschaftlich sind die einschlagenden Fragen so sehr geklärt, um der fortschreitenden Erfahrung der Einzelstaaten Schranken zu setzen: eine glückliche Erfahrung, die aus einer Gemeinde hervorgeht, wirkt hier mehr, als eine Schaar von Verordnungen, zu deren Durchführung es an geeigneten Localorganen gebricht.“

Für einzelne Aufgaben aber, lesen wir in dem Gutachten weiter, seien viel zweckmäßiger besondere Sachverständigen-Commissionen einzuberufen, z. B. wenn es sich um die Abwehr ansteckender Krankheiten handle. Selbst hinsichtlich des einzigen als wünschenswert anerkannten Punktes, „eine wissenschaftliche Körperschaft für die Bearbeitung der medicinischen Statistik und der allgemeinen Gesundheitsberichte zu haben“, wird noch die Befürchtung laut, daß es für eine jeder executiven Gewalt entbehrende Behörde kaum möglich sein dürfte, in Bezug auf Erkrankungs- und Sterbeziffern eine zuverlässige Grundlage zu schaffen.

Der starke Wille des Reichskanzlers selbst aber war es, welcher – allerdings erst im October 1875 – eine Denkschrift zur Begründung einer Forderung von etwas über 20,000 Mark als Gehalt für vorläufig drei Mitglieder des Gesundheitsamtes – einen Arzt, einen Statistiker und einen Verwaltungsbeamten – einbrachte und begründete. Auch dieses Document spricht über die Schritte, die man zunächst im Auge hatte, sehr vorsichtig.

So gewann das Gesundheitsamt eine vorläufige concrete Gestalt, und durch die Bewilligungen in der nächsten Sitzungsperiode auch die Mittel, sich in dem bis dahin nur mietweise innegehabten Hause ein eigenes Heim zu begründen. Es ist ein unscheinbares, nur sechs Fenster breites Haus, Nr. 57 in der Louisenstraße, und der Berliner Volkswitz halte es wohlfeil, über einen Centralsitz der „Volksgesundheit“ zu spötteln der unmittelbar an den Ufern der übelberüchtigten Panke liegt. Selbstverständlich hatten bei der Wahl des schmucklosen, auch jetzt noch durch keine Inschrift gezierten Gebäudes wichtigere, sogleich zu erwähnende Rücksichten den Ausschlag gegeben.

Treten wir ein! – Der saubere Oelfarbenanstrich des Fußbodens und der Wände allein zeichnet den Zugang des Amtes vor den überwiegend etwas unsauber gehaltenen Hausfluren benachbarter Häuser des Quartier latin aus; den kleinen gepflasterten Hof, den casernenartigen Seitenflügel, das niedrige Hintergebäude hat es mit ihnen gemein. Im Parterre finden wir einige Bureauzimmer und, nach hinten sich erstreckend, die Räume des chemischen Laboratoriums, im ersten Stock Conferenzsaal, Bibliothek, Arbeitszimmer der Räthe, im zweiten die Directorwohnung. Die Räume des Seiten- und Hinterbaues werden im ersten Stock vom mikroskopischen im Parterre – neben dem chemischen – vom physikalischen Laboratorium ausgefüllt. Im Souterrain finden sich neben Heiz-, Gas-, Wasser- und Ventilationsanlagen Aufbewahrungsorte für die Chemikalien und einige Kellerräume zur Unterbringung der Affen, Hühner, Kaninchen etc., welche für die mit Krankheitsstoffen anzustellenden Thierversuche bestimmt sind.

Die Einrichtung aller Aufenthaltsräume ist einfach, zweckentsprechend und nüchtern, die Ausstattung der Laboratorien zeitgemäß und ausreichend, ja was die Vorrichtungen zum Mikroskopiren und zur photographischen Abbildung der zu erforschenden Krankheitsstoffe anlangt, sogar reichlich und in ihrer Art einzig. Ein freundschaftliches Verhältniß zur unmittelbar angrenzenden Thierarzneischule, deren Director gleichzeitig Rath im Gesundheitsamte ist, ermöglicht die Ausführung umfangreicherer Experimente über Thierkrankheiten, animale Impfung etc.

Das vornehme, fast mysteriöse Schweigen, welches über dem ganzen Bau und in allen Einzelräumen herrscht, ist einige Male im Lauf der Jahre wohl schon von lebhaftem Zu- und Abgang Fremder unterbrochen worden. Als die in fast allen größeren Städte Deutschlands ausfindig gemachten Hülfskräfte des Amtes sich zu Commissionsberathungen vereinigten, um sich über das neue „Deutsche Arzneibuch“, den „Schutz gegen Petroleumverfälschung und -gefahr“, das „Nahrungsmittelgesetz“ zu verständigen, pulsirte ein reges Leben im Amte, und an Gelegenheiten, solche Congresse auch künftig zu veranstalten, wird es bei der Zahl der noch zu erledigenden und sich immer neu gestaltenden Aufgaben nicht fehlen.

Inzwischen hat sich auch die Zahl der ununterbrochen an Ort und Stelle tätigen Kräfte wesentlich vermehrt, sodaß dem Director und vier Räthen (für chemische, physikalisch-hygienische, epidemiologische und veterinärärztliche Aufgaben) bereits sechs Hülfsarbeiter zur Seite stehen.

Es ist indeß – auch mit solcher Unterstützung – wahrlich eine Herculesarbeit, den von allen Seiten her sich aufdrängenden Anforderungen der Ungeduld und dem theilweise offen ausgesprochenen Uebelwollen Stand zu halten. Und wie es in der Natur der Sache lag, konnte auch der neuen Reichsschöpfung der Hauptfeind alles neuen Werdens nicht fern bleiben – der Dämon der übertriebenen Erwartungen.

Schon der gemeine Mann bildet sich von einem staatlichen Gesundheitsamte die Auffassung, daß in Folge seiner Wirksamkeit die Krankheiten bald aufhören und viele andere Uebel wesentlich gemindert werden müßten. Aber auch andere, wenn nicht wirklich gebildete, so doch sehr hochstehende Persönlichkeiten haben in diesem Falle erwartet, kraft einer solchen Einrichtung werde man nun nicht blos stets gutes Bier, echten Tabak, sondern auch reelle Kleiderstoffe u. dergl. m. habe. – Und wie übertrieben waren die Vorstellungen, welche man fast allgemein von einer Uebertragung englischer Gepflogenheiten auf unseren deutschen Boden hegte; wie leicht und schnell wurde auch hier das Selbstverständliche vergessen, daß Eines sich nicht für Alle schickt!

Durch eine höchst beachtenswerthe Denkschrift – vom Februar 1878 – suchte das Amt diesen Uebertreibungen entgegen zu arbeiten. Es begrenzte auf einundzwanzig Folioseiten seine Aufgabe auf einige dreißig, hob unter diesen einige als nächstliegende hervor und ordnete die übrigen nach ihrer Dringlichkeit und den bereits möglich gewesenen Vorarbeiten. So konnte man damals bereits mittheilen, daß eine systematische Klimabeobachtung im Gange war, daß man das Trinkwasser einer großen Anzahl deutscher Städte und Plätze untersucht habe, um die Ergebnisse beim etwaigen Ausbruch einer Epidemie zu verwerthen, daß die Gesetzvorlagen „über die allgemeine obligatorische Impfung“, das „Reichsgesetz, betreffend die Abwehr und Unterdrückung der Viehseuche“, ein Gutachten über die Einführung der Fleischschau und den Verkauf des Fleisches, sowie das besonders dringlich dargestellte „Gesetz gegen die Nahrungsmittelverfälschungen“ als vollkommen fertig gestellt gelten konnten.

[643] Eine weitere Reihe von Aufgaben war in Vorbereitung, wie „Die Ertheilung technischen Rathes an Staats- und Gemeindebehörden“ und eine „Neue Prüfungsordnung für Aerzte und Thierärzte“.

Es liegt nicht im Zweck unserer Betrachtung, das Schicksal der zum Theil vortrefflich geplanten Entwürfe im Einzelnen zu verfolgen und jede Schwierigkeit, welche dieselben zu überwinden haben, zu prüfen. Beispiele geben hier das beste Bild. Für die Durchführung der Nahrungsfälschungs-Bestimmungen sind Untersuchungsstationen in Städten und Gemeinden die unerläßliche Vorbedingung, aber die wenigsten Gemeinwesen bringen die hierzu nöthigen Geldmittel auf. Selbst in einigen Regierungshauptstädten (wie Königsberg in Preußen) fehlt es noch ebenso sehr an der obligatorischen Trichinenschau, wie an öffentlichen Schlachthäusern.

Andere betheiligte Kreise ließen ihr anfangs lebhaftes Interesse gar zu schnell erkalten; so könnte eine mit großer Mühe begonnene und zum Theil durchgeführte Erhebung über die Krankheits- und Invaliditätsstatistik des deutschen Eisenbahnpersonals nicht vollkommen fertig gestellt und praktisch verwerthet werden, weil ein Theil der Eisenbahnverwaltungen den Nutzen derartiger Ermittelungen noch nicht einzusehen im Stande war. So blieb ferner die Prüfungsordnung der Aerzte bei den Einzelregierungen liegen, auch nachdem das Gesundheitsamt sein ausführliches Urtheil in dieser wichtigen Angelegenheit längst abgegeben hatte.

Man geht hier sicher nicht fehl, wenn man diese „unüberwindlichen Mächte“ für manche Anfeindungen der doch so nützlich wirkenden Behörde verantwortlich macht. Nothwendige Ergänzungen und Hülfskräfte wurden im Reichstage Gegenstände unfreundlicher Debatten, und im vorigen Jahre wurde ein unumgänglicher Bureaubeamter sogar direct vom Etat gestrichen. Und dabei beklagten sich, so oft von dem Reichsgesundheitsamte im Reichstage die Rede war, gerade die für öffentliche Gesundheitspflege am aufrichtigsten interessirten Abgeordnetenkreise, wie wenig weit man auf dem verheißenen Wege vorwärts gelangt sei. Man vergaß eben bei solchen Gelegenheiten gar zu leicht, daß Früchte nicht zu ernten sind, wo noch das Säen kaum vollendet war.

In sehr hervorragender Weise hat sich das kaiserliche Gesundheitsamt mit der Erforschung der Seuchengifte beschäftigt.

Nicht nur daß es sich die Thätigkeit eines Mikroskopikers sicherte, der durch eigenen selbstständigen Fleiß, durch bis dahin unerreichte Exactheit der Methoden sich zu einer Autorität auf dem schwierigen Felde der Krankheitsparasiten heraufgeschwungen hatte – es hat auch keinen Theil seiner Arbeitsräume glänzender ausgestattet, als diesen. Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß durch eine reiche staatliche Unterstützung ganz andere Untersuchungen zur Ausführung gebracht werden können, als sie der Privatgelehrte auf seinem beengten Laboratoriumsplatze, oder gar der mit Privatpraxis beschäftigte Arzt mitten unter zeitraubenden Berufsgeschäften zur Reife bringen kann. – Die Pariser Akademie und die französischen Fachjournale jubeln über die neuesten Entdeckungen Pasteur’s, der im Laufe der letzten Jahre dem Geheimnisse immer näher kam, warum und wodurch die Krankheitsgifte so umgewandelt werden können, um sie zu Schutzstoffen zu benutzen. Man sehe aber auch, mit welchen Mitteln Pasteur ausgestattet wird, wie ihm von diesem Ministerium, von jener landwirthschaftlichen Akademie, aus allen für wissenschaftliche Zwecke gestifteten Fonds die unglaublichsten Summen zur weiteren Verfolgung seiner Entdeckungen zuströmen.

Man kann die sichere Hoffnung aussprechen, daß auch das Gesundheitsamt mit dem Aufwande, den es für die Erforschung der Seuchenursachen verwerthet, die erfreulichsten Resultate erreichen wird. Vielleicht läßt sich in der Folgezeit gerade dieser segensreichen Bestrebung noch eine Ausdehnung in anderer Richtung geben, indem man auch die auswärtigen Wanderseuchen in den Kreis der Forschung zieht. Denn für die Erkenntniß der einheimischen wird ja unverkennbar dadurch schon sehr Erhebliches geleistet, daß man die Ansteckungsstoffe sucht und ihnen durch Thierversuche ihre geheimen Verbreitungswege ablauscht, um diese vorkommendenfalls abschneiden zu können. Die von außen den europäischen Ländern drohenden Wanderseuchen jedoch, sowie die an gewissen Herden auftauchenden und einer schnellen Verbreitung fähigen, bedürfen zum Verständniß ihrer Entstehung und Verbreitung der Enträtselung jener großen Experimente, welche die Natur innerhalb der Entstehungsbezirke anstellt. Sie bedürfen mit anderen Worten eines Studiums an Ort und Stelle, ja sie bleiben unbegriffen und trotz aller Hypothesen ungemindert furchtbar, wenn man ihnen nicht mit Forscherkräften bis an ihre Ursprungsorte entgegengeht. Zu dieser geographischen Seite der Seuchenbekämpfung hat das Gesundheitsamt bis jetzt noch nicht Stellung genommen.

Als die von Rußland zurückgekehrten Pestdelegirten ihren Bericht erstattet hatten, wartete man auf eine Meinungsäußerung der centralen Gesundheitsbehörde vergebens, und auf ebenso wenig Widerhall traf eine wichtige Petition, welche von dem über ganz Deutschland verbreiteten „Verein für öffentliche Gesundheitspflege“ berathen worden war. Man hatte sich hier schlüssig gemacht, daß bei drohenden Wanderseuchen statt der wenig nützenden Absperrungen und Quarantänen die Einrichtung internationaler Sanitätscommissionen in den Europa fast unablässig bedrohenden Cholera- und Pestbezirken alle Beachtung verdiene, und dem Reichskanzler eine entsprechende Petition unterbreitet. Diese Anregungen lagen selbstverständlich den Zielen und Aufgaben unserer Behörde ganz nahe, doch läßt sich auch leicht ermessen, auf wie große diplomatische Schwierigkeiten derartige Bestrebungen stoßen, so lange es sich nicht um die dringendsten Nothlagen handelt.

In zwei wichtigen Punkten hat endlich das deutsche Gesundheitsamt seine Aufmerksamkeit auf jene beiden Staatenbunde gelenkt, welche wenigstens annähernd ihren Einzelstaaten gegenüber mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie unser geeinigtes Vaterland – auf die Schweiz und auf Nordamerika. Zunächst erschien von Interesse jener einmüthige, lobenswerthe Entschluß der sämmtlichen schweizerischen Aerzte, an der Krankenstatistik besonders für die ansteckenden Krankheiten mitzuarbeiten; man hat nicht versäumt, von Seiten des Amtes eine ähnliche Anregung auch unter den deutschen Aerzten wachzurufen. Das nachahmenswertste Beispiel Nordamerikas bezieht sich dagegen auf die „National-Board of health-Bulletins“ (Veröffentlichungen des National-Gesundheitsamtes), welche, in Washington herausgegeben, durch ganz ausgezeichnete und auch dem Laien verständliche Supplementhefte, die der einheitlichen Behandlung hervorragender hygienischer Fragen gewidmet sind, auch in weiteren Schichten der Bevölkerung ein dauerndes Interesse an unserem Gegenstände wacherhalten wollen.

Das deutsche Gesundheitsamt hatte an die Spitze seiner am 6. Januar 1877 begonnenen „Veröffentlichungen“ ein Programm gestellt, laut dessen es regelmäßig über die Erkrankungs- und Sterblichkeitsverhältnisse des In- und Auslandes berichten, den Gang der Epidemien verfolgen, den Witterungsverlauf in Deutschland nach Beobachtungen in acht Klimakreisen – mit Konitz, Bremen, Berlin, Breslau, Heiligenstadt, München, Karlsruhe, Köln als Mittelpunkten - darstellen, den Veränderungen der sanitarischen Gesetzgebung und den Erlassen über Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege Beachtung schenken wollte. Wir finden denn auch seit jenem Datum in jeder wöchentlichen Nummer eine Zusammenstellung: Wochenschau im In- und Auslande; eine statistische Nachweisung über die Sterblichkeit in hundertachtundvierzig deutschen und fünfzig außerdeutschen Städten; einen schematischen Witterungsnachweis und eine Zahlentabelle über die Krankenbewegung in den Berliner Hospitälern. Jede dritte oder vierte Woche bringt noch eine Beilage: Thätigkeitsberichte aus anderen Gesundheitsämtern, Zahlentabellen aus statistischen Blättern, amtliche Verfügungen etc. Sachgemäß, aber trocken werden diese Gegenstände behandelt, und so ist es kaum auffallend, daß diese „Veröffentlichungen“ viel weniger im Publicum verbreitet sind, als es wünschenswerth wäre. Man hat sich indessen das nordamerikanische Vorgehen einsichtsvoll zum Muster genommen und beabsichtigt schon in der allernächsten Zeit die zusammenhängenden Arbeiten der Mitglieder des Gesundheitsamtes ebenfalls in zwanglosen Supplementheften im Publicum zu verbreiten.

So gedeiht, wenn auch langsam und nicht gerade in den Sonnenstrahlen der Popularität, unter bis jetzt wenig prunkhaften Aeußerlichkeiten hier ein wichtiges Stück deutscher Einigkeit. Möge es unserer Darstellung gelungen sein, dem Leser nahe zu führen, daß auch er, für sich selbst und im Verein mit Anderen, an dem begonnenen Werke gelegentlich, und wäre es nur durch die Beschränkung eines Sonderinteresses, mitarbeiten kann.