Das große Blutbad in Hamburg

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Autor: Otto Beneke
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Titel: Das große Blutbad in Hamburg
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 40–42
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google, Commons
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[40]
15. Das große Blutbad in Hamburg.
(1072.)

Um die Zeit, als Hamburg von den heidnischen Wenden erobert war und unter ihrer Zwingherrschaft litt, da hielt einer ihrer Fürsten aus der kaiseriichen Burg sein Hoflager, der hieß Baruth. Er war ein Feind der Christen, aber seine Frau haßte das Evangelium noch mehr, und verfolgte mit teuflischer Bosheit und Grausamkeit das Christenthums und sonderlich trieb sie ein ruchloses Gespötte über die Jungfrau Maria, die reine Mutter unsres Heilandes, von der sie nur in den lästerlichsten Ausdrücken gesprochen.

Und zur gerechten Strafe für solche Frevel hat es sich begeben, daß diese Wendische Tyrannin, nachdem sie zwei Jahre lang ihre nahe Entbindung vergebens erwartet, eine abscheuliche Mißgeburt mit zwei Köpfen, Eselsohren und Bärentatzen zur Welt gebracht hat, und während der Geburt Todes verfahren ist. Das erschreckliche Kind aber hat zu Aller Entsetzen zu reden begonnen, und, gleichsam als Leichen-Sermon für die Mutter geschrieen: meine Mutter ist todt, dem Teufel ist sie übergeben, in der Hölle begraben, der ewigen Verdammniß verfallen. Darnach ist der gräuliche Wechselbalg auch [41] verschieden. Und das ist gewesen am Tage vor der heiligen Weihenacht.

Und als der Wendenfürst Baruth dies wahrgenommen, ist er in unbändigen Zorn wider die Christen entbrannt, vermeinend, daß sie solch Unheil über sein Haus durch Zauberkunst hervorgebracht, und hat alsogleich mit seinen Leuten die wehrlosen Christen meuchlings überfallen und Alles, Männer und Weiber, Alte und Junge niedermetzeln, oder in so grausamer Art, wie gar nicht zu sagen, zu Tode martern lassen. Und das Blutbad, das er angerichtet, ist so furchtbar groß in und um Hamburg gewesen, daß die Wenden mit ihren Pferden in dem Blute der Christen gestrauchelt sind, und das Christenblut durch alle Gassen und Winkel in Strömen geflossen ist, mit einziger Ausnahme eines kleinen engen Weges in der Vorstadt, in der Gegend der Neuen-Burg, da, wo nachmals die St. Nicolai-Kirche ist gebaut worden, – selbiger Weg ist ohne Blut geblieben.

Wie nun die Christen also gemartert sind, siehe, da hat sich eine Stimme vom Himmel vernehmen lassen, die sprach: „Leidet getrost und fürchtet Euch nicht vor der Heiden Tyrannei, denn Eure Namen sind geschrieben in dem Buche des Lebens und die Krone des Paradieses wartet auf Euch.“ Durch diese göttliche Stimme sind alsobald viele der heidnischen Wenden in sich gegangen und haben sich zu Christum bekehret, und haben mit den noch übrigen Christen die Märtyrerkrone erwählet, denn der Wendenfürst und seine Kriegsleute ruhten nicht eher, als bis der letzte Christ Gott preisend in sein Blut gesunken war.

Und als es nun Abend geworden und die heilige Weihenacht angebrochen war, und tiefes Schweigen und Finsterniß das entsetzliche Blutbad und die zerstörte Stadt voller verstümmelter Leichen umhüllte, und die Heiden von ihrer Mordarbeit [42] ruheten, da ist hoch am Himmel ein hellklarer Glanz erschienen und die Stimmen vieler Engel haben sich hören lassen, wie damals aus dem Felde bei Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe.“


Der kleine Weg aber, der blutlos geblieben war, hat nachmals, als die Christen die Heiden wieder verjagt und Hamburg wieder neu erbauten, zum Andenken an dies Märtyrerthum der Vorfahren, den Namen „blootloser Weg“ erhalten. Und wie das Nicolai-Kirchspiel entstand und Häuser dahin kamen, blieb die Benennung „blootlose Twiete.“ Darnach wohnten viele Korbmacher dort, die sich einander die Nahrung wegnahmen, so daß Keiner sein Brodt genügend fande die nannten drum ihr Gäßlein „die brodtlose Twiete.“ Und lange Zeit hieß sie so, denn die Nachkommen hatten die Geschichten und Sagen der Vorfahren längst vergessen, und nach der Reformation gab man wenig auf Erinnerungen aus der katholischen Zeit. So hieß sie brodtlose oder Korbmacher-Twiete, bis E. H. Rath ein Einsehen that, und den alten rechten Namen mit großen Buchstaben an die Ecken der Twiete anschreiben ließ. Ao. 1842 aber ist sie abgebrannt und nicht wieder ausgebaut, also für immer verschwunden. Drum wollen wir ihr Gedächtniß und das Andenken der Geschichte, die ihr die Namen gab, auf unsere Nachkommen zu bringen suchen.

Anmerkungen

[375] Diese Sage theilt Schlüter mit im Tractat von den Erben S. 619 aus einem Plattdeutschen Manuscript: „Passional, der Heiligen Leben und Leiden.“ Die dort genannte Jahreszahl 837 ist unrichtig, es kann nur die doppelte Zerstörung Hamburgs im Jahre 1072 unter Kruko gemeint sein. Auch der Name Baruch habe ich in Baruth geändert. – von Heß (Topographie. I. 400) erklärt sehr gezwungen blootlos für blüthenlos.