David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie/Kapitel 7.19

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7.18 Die Existenz der Geschlechter im quadratischen Körper. David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie (1932) von David Hilbert
7.19 Die Bestimmung der Anzahl der Idealklassen des quadratischen Körpers.
7.20 Die Zahlringe und Moduln des quadratischen Körpers.
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19. Die Bestimmung der Anzahl der Idealklassen des quadratischen Körpers.
§ 85. Das Symbol für eine zusammengesetzte Zahl .

Ein bemerkenswerter Ausdruck für die Anzahl der Idealklassen des[WS 1] quadratischen Körpers ergibt sich aus der Formel des Satzes 109, wenn wir die rechter Hand stehende Größe

durch Rechnung in geschlossener Form auswerten. Zu dem Zwecke ist es nötig, das Symbol auch für den Fall zu definieren, daß eine zusammengesetzte ganze rationale positive Zahl bedeutet. Ist , wo , , …, rationale gleiche oder verschiedene Primzahlen sind, so definieren wir:

;

ferner soll stets bedeuten. Dadurch wird für :

,

wo die Summe sich über alle ganzen rationalen positiven Zahlen erstreckt. Die Berechnung des Grenzwertes dieser Summe für führt zu einem geschlossenen Ausdruck für die Klassenanzahl ; wir sprechen das Resultat in dem jetzt folgenden Satze aus.

§ 86. Der geschlossene Ausdruck für die Anzahl der Idealklassen.

Satz 114. Die Anzahl der Idealklassen des Körpers ist:

wo die Summe über die ganzen rationalen Zahlen , und wo die Produkte über alle diejenigen Zahlen oder unter diesen Zahlen zu erstrecken sind, welche der Bedingung bezüglich genügen [Dirichlet Weber ].

Beweis. Es seien Zahlen . Wenn und einen gemeinsamen Teiler besitzen, so ist . Ist dagegen prim zu , so wird,wie man leicht einsieht, , wo das Produkt über alle verschiedenen rationalen Primzahlen zu erstrecken ist, die in aufgehen. Nach Hilfssatz stellt dann das Produkt die nämliche Einheit dar, wenn alle in aufgehenden Primzahlen durchläuft. Ist nun nach , so wird:

,

und mit Rücksicht hierauf erhalten wir:

,

(29)

wenn nach ist.

Ferner ergibt sich

,

(30)

indem wir eine Zahl bestimmen, derart, daß ist, und dann erwägen, daß die linke Seite von mit Rücksicht auf in die Gestalt

gesetzt werden kann.

Durch Benutzung der Formel

wird, wenn wir die Regel berücksichtigen:

,

wo zur Abkürzung

gesetzt ist. Wegen der Gleichung enthält den Faktor ; die in rationale Funktion bleibt mithin für endlich. Aus diesem Grunde ist

.

Wenn wir in dem letzteren Integral die neue Integrationsveränderliche einführen, so erhält dasselbe die Gestalt:

.

Nun haben wir die Zerlegung in Partialbrüche:

,

wo die Summe über ] zu erstrecken ist, und nach einem Satze von Gauss wird , d. i.

;

durchläuft hier wiederum die Zahlen und ist bei positivem positiv, bei negativem positiv imaginär zu nehmen (vgl. § 124). Da ferner

ist, wo für den Logarithmus der reelle Wert desselben zu nehmen ist, so folgt ohne Schwierigkeit das im Satze 114 angegebene Resultat.

Die Form dieses Resultates ist eine wesentlich verschiedene, je nachdem der Körper imaginär oder reell ist. Im ersteren Falle kann aus der angegebenen Formel ohne weiteres berechnet werden. Im zweiten Falle ist zuvor die Kenntnis der Grundeinheit erforderlich; der Quotient der beiden Produkte und ist, wie sich an einer späteren Stelle (vgl. § 121) zeigen wird, nichts anderes, als eine gewisse aus der Theorie der Kreisteilung für den quadratischen Körper sich ergebende Einheit

Um ein Beispiel für den Fall eines imaginären Körpers zu nehmen, so erhält man, wenn ist und eine rationale positive Primzahl nach und überdies bedeutet:

;

hierin bezeichnen , bezüglich die Summe der quadratischen Reste und die Summe der quadratischen Nichtreste nach , die zwischen und liegen. Durch eine leichte Umformung kann in dem obigen Ausdrucke für der Nenner beseitigt werden; dadurch ergibt sich die Klassenanzahl auch gleich dem Überschuß der Anzahl der zwischen und liegenden quadratischen Reste von über die Anzahl der zwischen denselben Grenzen liegenden quadratischen Nichtreste oder gleich dem dritten Teil dieses Überschusses, je nachdem oder nach ist. Die erstere Anzahl übertrifft also stets die letztere Anzahl, eine auf rein arithmetischem Wege bisher nicht bewiesene Tatsache.

§ 87. Der Dirichletsche biquadratische Zahlkörper.

Eine nahe liegende Verallgemeinerung der bis hierher entwickelten Theorie des quadratischen Körpers betrifft folgendes Problem. Es werde statt des natürlichen aus allen rationalen Zahlen bestehenden Rationalitätsbereiches ein quadratischer Zahlkörper als Rationalitätsbereich zugrunde gelegt; dann sollen die in bezug auf relativ quadratischen Körper untersucht werden, d. h. diejenigen biquadratischen Zahlkörper , die den gegebenen Körper als Unterkörper enthalten.

Wenn der Körper durch die imaginäre Einheit bestimmt ist, so bezeichne ich als einen Dirichletschen biquadratischen Körper. Für diesen Fall liegen umfassende Untersuchungen vor [Dirichlet (10[1], 11[2], 12[3]), Eisenstein (3[4], 6[5]), Bachmann (1[6], 3[7]), Minnigerode (1[8]), Hilbert (5[9])]. Nach der entsprechenden Einteilung der Idealklassen des Körpers in Geschlechter und geeigneter Übertragung der Bezeichnungen gilt auch hier wiederum der Fundamentalsatz 100, und es sind die beiden in Kapitel 18 angewandten Beweismethoden dieses Satzes auch auf den Körper übertragbar, so daß jener Fundamentalsatz für den Dirichletschen biquadratischen Körper sowohl eine reine arithmetische Begründung [Hilbert (5[9])] als auch einen Beweis mittelst der transzendenten Dirichletschen Methode [Dirichlet (10[1], 11[2], 12[3]), Minnigerode (1[8])] zuläßt.

Von besonderem Interesse ist der Fall, daß der Dirichletsche biquadratische Körper außer dem quadratischen Körper noch zwei andere quadratische Körper und enthält. Für einen solchen speziellen Dirichletschen Körper gilt die wiederum auf transzendentem und auch auf rein arithmetischem Wege zu beweisende Tatsache:

Satz 115. Die Anzahl der Idealklassen in einem speziellen Dirichletschen biquadratischen Körper ist gleich dem Produkt der Klassenanzahlen in den quadratischen Körpern und oder gleich der Hälfte dieses Produktes, je nachdem für die Grundeinheit des Körpers die Relativnorm in bezug auf gleich oder gleich wird.

Dieses Resultat bezeichnet Dirichlet als einen der schönsten Sätze der Theorie der imaginären Zahlen und als überraschend, weil durch dasselbe ein Zusammenhang zwischen denjenigen quadratischen Körpern aufgedeckt wird, die durch Quadratwurzeln aus entgegengesetzten reellen Zahlen bestimmt sind.

Bei dem rein arithmetischen Beweise dieses Satzes gelingt es zugleich in sehr einfacher Weise, und zwar durch bestimmte Bedingungen für die Geschlechtscharaktere, diejenigen Idealklassen des biquadratischen Körpers zu kennzeichnen, welche als Produkte aus einer Idealklasse von und einer Idealklasse von erhalten werden können [Hilbert (5[9])].

  1. a b [357] Untersuchungen über die Theorie der komplexen Zahlen. Werke 1, 503 (1841).
  2. a b [357] Untersuchungen über die Theorie der komplexen Zahlen. Werke 1, 509 (1841).
  3. a b [357] Recherches sur les formes quadratiques à coefficients et à indéterminées complexes. Werke 1, 533 (1842).
  4. [357] Über die Anzahl der quadratischen Formen, welche in der Theorie der komplexen Zahlen zu einer reellen Determinante gehören. J. Math. 27 (1844).[WS 2]
  5. [357] Über die Anzahl der quadratischen Formen in den verschiedenen komplexen Theorien. J. Math. 27 (1844).[WS 3]
  6. [356] Zur Theorie der komplexen Zahlen. J. Math. 67 (1867).[WS 4]
  7. [356] Ergänzung einer Untersuchung von Dirichlet. Math. Ann. 16 (1880)
  8. a b [360] Über die Verteilung der quadratischen Formen mit komplexen Koeffizienten und Veränderlichen in Geschlechter. Nachr. K. Ges. Wiss. Göttingen 1873.[WS 5]
  9. a b c [358] Über den Dirichletschen biquadratischen Zahlkörper. Math. Ann. 45 (1894).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: der
  2. Eisenstein, Gotthold: Über die Anzahl der quadratischen Formen, welche in der Theorie der complexen Zahlen zu einer reellen Determinante gehören, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 27 (1844), S. 80 GDZ Göttingen
  3. Eisenstein, Gotthold: Über die Anzahl der quadratischen Formen in den verschiedenen complexen Theorien, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 27 (1844), S. 311-316 GDZ Göttingen
  4. Bachmann, Paul: Zur Theorie der complexen Zahlen, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 67 (1867), S. 200–204 GDZ Göttingen
  5. Minnigerode, Bernhard: Ueber die Vertheilung der quadratischen Formen mit complexen Coefficienten und Veränderlichen in Geschlechter, in: Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1873, S. 160–180 GDZ Göttingen


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