David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie/Kapitel 7.34

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7.33 Das Reziprozitätsgesetz für -te Potenzreste im regulären Kreiskörper. David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie (1932) von David Hilbert
7.34 Die Anzahl der vorhandenen Geschlechter im regulären Kummerschen Körper.
7.35 Neue Begründung der Theorie des regulären Kummerschen Körpers.
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34. Die Anzahl der vorhandenen Geschlechter im regulären Kummerschen Körper.
§ 162. Ein Satz über das Symbol

Die wichtigste Aufgabe in der Theorie der Geschlechter eines Kummerschen Körpers betrifft die Ermittlung der Anzahl der wirklich vorhandenen Geschlechter. Wir beweisen hier zunächst einen Satz, welcher dem Hilfssatz 14 (S. 171) aus der Theorie des quadratischen Körpers entspricht.

Satz 163. Wenn und zwei beliebige ganze Zahlen eines regulären Kreiskörpers bedeuten, so ist stets

wenn das Produkt linker Hand über sämtliche Primideale in erstreckt wird.

Beweis. Es sei die Anzahl der Idealklassen in und eine ganze rationale positive Zahl mit der Kongruenzeigenschaft nach Wir setzen und so daß und ganze rationale Exponenten und gewisse von verschiedene Primideale in sind. Bedeuten ferner Primärzahlen der Prim-Ideale bez. und zwar derart, daß

gilt, und wird noch gesetzt, so bestehen zwei Gleichungen von der Gestalt:

(150)

worin und Einheiten in sind. Wenn ein beliebiges Primideal bedeutet, so ist allgemein

(151)

Es seien nun zwei voneinander und von verschiedene Primideale in und bez. Primärzahlen von ferner seien beliebige Einheiten in Aus Hilfssatz 36 (S. 313) und aus Satz 161 (S. 312) folgen dann leicht die Formeln

(152)

Ist ein von verschiedenes Primideal, welches nicht in aufgeht, so ist nach Satz 148 (S. 251) die Relativdiskriminante des Kummerschen Körpers zu prim; fällt dann auch zu prim aus, so ist nach Satz 150 (S. 257) die Zahl Normenrest des Kummerschen Körpers und daher gilt nach Satz 151 (S. 272) die Gleichung . Mit Rücksicht hierauf gilt wegen (152) der Satz für den Fall, daß eine jede der Zahlen , sei es eine Einheit, sei es eine beliebige Potenz von , sei es eine Primärzahl eines von verschiedenen Primideals vorstellt; wegen (150) und (151) und auf Grund der Regeln (80) (S. 265) und (83) (S. 266) gilt sodann der Satz 163 allgemein.

§ 163. Der Fundamentalsatz über die Geschlechter eines regulären Kummerschen Körpers.

Wir sind jetzt imstande, für den regulären Kummerschen Körper denjenigen Satz aufzustellen und zu beweisen, welcher dem fundamentalen Satz 100 (S. 168) in der Theorie des quadratischen Körpers entspricht. Dieser Satz lautet:

Satz 164. Es sei die Anzahl der Charaktere, welche ein Geschlecht im regulären Kummerschen Körper bestimmen; ist dann ein System von beliebigen -ten Einheitswurzeln vorgelegt, so ist dieses System dann und nur dann das Charakterensystem eines Geschlechtes in , wenn das Produkt der sämtlichen Einheitswurzeln gleich ist. Die Anzahl der in vorhandenen Geschlechter ist daher gleich .

Beweis. Es sei die Klassenanzahl des regulären Kreiskörpers und eine ganze rationale positive Zahl mit der Kongruenzeigenschaft nach ; ferner seien , …, die gemäß § 149 ausgewählten Primfaktoren der Relativdiskriminante von . Es bedeute nun irgendeine Idealklasse in , ein zu und zur Relativdiskriminante von primes Ideal der Klasse und die nach der Vorschrift in § 149 (S. 306) aus gebildete und mit einem gewissen Einheitsfaktor versehene ganze Zahl in , so daß

die Einzelcharaktere sind, welche das Geschlecht von bestimmen. Es sei ein Ideal des Kreiskörpers , wofern es ein solches gibt, welches in zu einem nicht durch teilbaren Exponenten vorkommt; dabei ist sicher von verschieden und prim zur Relativdiskriminante von . Da die Relativnorm eines Ideals ist, so muß im Körper zerlegbar sein. Es gilt mithin nach Satz 149 (S. 254) für jedes solche Primideal die Gleichung , und daher ist auch stets . Mit Rücksicht auf Satz 163 (S. 328) folgt daher

, (153)

wenn alle in der Relativdiskriminante von enthaltenen, von verschiedenen Primideale und außerdem das Primideal durchläuft. Ferner ist, wenn , , …, die außer , , …, in der Relativdiskriminante aufgehenden Primideale bedeuten, nach § 149

, . (154)

Kommt nun in der Relativdiskriminante des Körpers das Primideal vor, so ist wegen (153) schon hiermit bewiesen, daß das Produkt sämtlicher Charaktere gleich ist. Kommt andererseits das Primideal in jener Relativdiskriminante nicht vor, so ist nach Satz 150 (S. 257) die Zahl Normenrest des Körpers nach , und folglich ist nach Satz 151 (S. 272) ; damit erkennen wir aus (153) und (154) auch in diesem Falle den einen Teil der Aussage des Satzes 164 als richtig.

Den Beweis für den anderen Teil der Aussage des Satzes 164 führen wir der Kürze wegen nur in dem Fall, daß die Relativdiskriminante des Körpers den Primfaktor nicht enthält. Es seien dann wiederum , …, die in der Relativdiskriminante von aufgehenden Primideale des Körpers , und , …, seien bezüglich Primärzahlen von , …, ; ferner gehe allgemein in genau mal auf, und es sei dann eine ganze rationale Zahl mit der Kongruenzeigenschaft nach . Endlich mögen , …, beliebig gewählte der Bedingung genügende -te Einheitswurzeln sein; nach Satz 152 (S. 276) gibt es dann stets in ein Primideal , das in nicht aufgeht und überdies die Forderungen

, , (155)
,  (156)

für irgendeinen Exponenten aus der Reihe , , …, erfüllt. Ist eine Primärzahl von , so folgt wegen (155) mit Benutzung von Satz 161 (S. 312)

, . (157)

Ferner ergibt sich wegen (156) in ähnlicher Weise

, . (158)

Da ist, so ist wegen (157) und (158)

, (159)

wenn hierin alle Primideale , …, durchläuft. Bedeutet nun ein von , , …, verschiedenes Primideal in , so ist gemäß Satz 150 (S. 257) die Zahl Normenrest des Kummerschen Körpers nach und folglich nach Satz 151 (S. 272) stets . Mit Rücksicht auf diesen Umstand und wegen (159) lehrt der Satz 163 (S. 328), daß auch , d. h. sein muß. Infolge der letzteren Gleichung zerfällt das Primideal nach Satz 149 (S. 254) im Körper in Primideale. Ist eines derselben, so hat, wenn wir (157) und (158) berücksichtigen, das Ideal offenbar die vorgeschriebenen Einheitswurzeln , …, als Charaktere, und damit ist der Satz 164 für den hier betrachteten Fall vollständig bewiesen.

Geht in der Relativdiskriminante von auf, so hat man, um den Satz 164 zu beweisen, an den vorstehenden Ausführungen eine geeignete Abänderung anzubringen, die man leicht aus der Analogie mit den entsprechenden Betrachtungen für den quadratischen Körper (vgl. S. 184 bis 185) ersieht. Kummer hat seinen Untersuchungen einen gewissen Zahlring im Körper , nicht die Gesamtheit der ganzen Zahlen dieses Körpers zugrunde gelegt. Der Begriff des Geschlechtes bedarf dann einer gewissen veränderten Fassung. Es ist Kummers großes Verdienst, für den von ihm ausgewählten Zahlring diejenige Tatsache aufgestellt und bewiesen zu haben, die für den Körper selbst sich in dem Satze 164 ausdrückt [Kummer (20[1])]. Außer dem von Kummer behandelten Ringe sind noch unendlich viele andere Ringe in vorhanden, deren Theorie mit entsprechendem Erfolge zu entwickeln sein würde.

§ 164. Die Klassen des Hauptgeschlechtes in einem regulären Kummerschen Körper.

Wir heben in diesem und dem nächsten Paragraphen einige wichtige Folgerungen hervor, die aus dem Fundamentalsatz 164 für den Kummerschen Körper sich ergeben, und die den in § 71 und § 72 oder in § 82 für den quadratischen Körper entwickelten Sätzen entsprechen.

Satz 165. Die Anzahl der Geschlechter in einem regulären Kummerschen Körper ist gleich der Anzahl seiner ambigen Komplexe.

Beweis. Wenn und die Bedeutung wie in Satz 159 (S. 302) haben, und wenn wir berücksichtigen, daß nach Satz 164 (S. 329) ist, so folgt aus Hilfssatz 34 (S. 310) , und da nach Hilfssatz 33 (S. 308) andererseits sein muß, so folgt

.

Die im Beweise (S. 311) zu Hilfssatz 34 bestimmte Anzahl der ambigen Komplexe ist mithin ; wir haben daher .

Satz 166. Jeder Komplex des Hauptgeschlechtes in einem regulären Kummerschen Körper ist die -te symbolische Potenz eines Komplexes in , d. h. jede Klasse des Hauptgeschlechtes in einem regulären Kummerschen Körper ist gleich dem Produkt aus der -ten symbolischen Potenz einer Klasse und aus einer solchen Klasse, welche Ideale des Kreiskörpers enthält.

Beweis. In dem Beweise (S. 312) zu Hilfssatz 34 ist die Gleichung abgeleitet; hierbei bedeutet die Anzahl der ambigen Komplexe, die Anzahl derjenigen Komplexe, welche gleich -ten symbolischen Potenzen vpn Komplexen sind, ferner bedeutet die Anzahl der Geschlechter und die Anzahl der Komplexe des Hauptgeschlechtes. Da nach Satz 165 ist, so folgt , und damit ist bewiesen, daß jeder Komplex des Hauptgeschlechtes die -te symbolische Potenz eines Komplexes ist.

§ 165. Der Satz von den Relativnormen der Zahlen eines regulären Kummerschen Körpers.

Satz 167. Wenn , , zwei ganze Zahlen des regulären Kreiskörpers bedeuten, von denen nicht die -te Potenz einer ganzen Zahl in ist, und welche für jedes Primideal in die Bedingung

,

erfüllen, so ist die Zahl stets gleich der Relativnorm einer ganzen oder gebrochenen Zahl des Kummerschen Körpers .

Beweis. Wir beweisen diesen Satz zunächst für den Fall, daß eine Einheit in ist. Es mögen wiederum und für den Kummerschen Körper die Bedeutung wie in Satz 159 (S. 302) haben; im Beweise zu Satz 165 ist gezeigt worden, daß sein muß, d. h. es ist . Andererseits betrachten wir die Einheiten , …, , die in § 149 (S. 307) bestimmt worden sind. Wegen der Gleichungen (140) (S. 307) kann ein Produkt aus Potenzen dieser Einheiten nur dann die -te Potenz einer Einheit in sein, wenn die Potenzexponenten sämtlich durch teilbar sind. Es müssen sich daher, da die Gesamtheit aller Einheiten in eine Schar vom Grade bildet, weiter Einheiten , , …, bestimmen lassen, so daß überhaupt jede Einheit in sich in der Gestalt

darstellen läßt, wobei , , …, ganze rationale Exponenten sind und eine geeignete Einheit in bedeutet. Setzen wir nun allgemein
, ,

so liefern die Gleichungen

, , …,  (160)

für die Exponenten die linearen Kongruenzen

(161)

Wegen (140) (S. 307) haben wir

;

und daher sind die linearen Kongruenzen (161) voneinander unabhängig; es folgt somit, daß alle diejenigen Einheiten , welche den Bedingungen (160) genügen, eine Einheitenschar vom Grade

bilden.

Wir haben nun zu Beginn dieses Beweises festgestellt, daß der Grad der Schar aller derjenigen Einheiten in , welche Relativnormen von Einheiten oder gebrochenen Zahlen in sind, den gleichen Wert besitzt. Da ferner jede Einheit in , welche die Relativnorm einer Einheit oder einer gebrochenen Zahl im Kummerschen Körper ist, offenbar Normenrest von nach sein und daher nach Satz 151 (S. 272) notwendig auch den Gleichungen (160) genügen muß, so gehört jede Einheit der zu Anfang behandelten Schar auch der zweiten Einheitenschar an; weil beide Einheitenscharen gleiche Grade haben, sind sie miteinander identisch. Die vorgelegte Einheit genügt nun nach Voraussetzung den Bedingungen (160) und gehört also der zweiten Einheitenschar an; nach dem eben Bewiesenen ist mithin auch in der zuerst behandelten Einheitenschar enthalten, d. h. es ist gleich der Relativnorm einer Einheit oder einer gebrochenen Zahl in .

Es sei jetzt eine beliebige ganze Zahl in , welche die Voraussetzung des Satzes 167 erfüllt; wir fassen die in aufgehenden Primideale des Körpers ins Auge. Wir setzen und . Kommt das Primideal des Körpers in zu einer Potenz erhoben vor, deren Exponent nicht durch teilbar ist, und geht außerdem in der Relativdiskriminante des Körpers nicht auf, so haben wir auf Grund der Angaben am Schlusse von § 133 auf S. 274

,

und mit Rücksicht auf die hieraus zu entnehmende Gleichung

ist nach Satz 149 (S. 254) in als Produkt von Primfaktoren darstellbar. Bedeutet einen derselben, so haben wir .

Es sei ferner ein von verschiedenes Primideal des Kreiskörpers , und es komme in zu einer Potenz erhoben vor, deren Exponent nicht durch teilbar ist; dagegen sei der Exponent , zu dem in aufgeht, durch teilbar: dann ist nach der Definition des Symbols

,

und hieraus folgt wegen der Voraussetzung des Satzes 167 ; nach Satz 149 (S. 254) ist also in als Produkt von Primidealen darstellbar. Ist eines dieser Primideale, so wird .

Endlich sind die in der Relativdiskriminante von aufgehenden Primideale des Körpers stets -te Potenzen von Primidealen in und daher ebenfalls Relativnormen von Idealen in . Aus allen diesen Umständen zusammengenommen folgt, daß die Relativnorm eines Ideals in sein muß, d. h. es ist .

Wegen der Voraussetzung des Satzes 167 gehört ferner dem Hauptgeschlecht in an, und wir können daher nach Satz 166 (S. 332)

setzen, in solcher Weise, daß ein Ideal in und ein Ideal in bedeutet. Ist die Anzahl der Idealklassen in , so haben wir , und folglich muß eine ganze oder gebrochene Zahl des Körpers sein; die Relativnorm dieser Zahl ist offenbar , wo eine Einheit in bedeutet. Aus der letzten Gleichung folgt nach Satz 151 (S. 272), daß für jedes beliebige Primideal in notwendig und daher auch sein muß. Es ist nun im ersten Teile des gegenwärtigen Beweises gezeigt worden, daß unter diesen Umständen stets gleich der Relativnorm einer Zahl in sein muß, wir setzen , wo eine Zahl in ist. Bedeuten dann und zwei ganze rationale Zahlen von der Art, daß ist, so folgt

und hiermit ist der Beweis für den Satz 167 vollständig erbracht.

In diesem Beweise können wir die Anwendung des Satzes 151 beidemal auf den Fall beschränken, da dann nach Satz 163 (S. 328) die behaupteten Tatsachen auch für folgen.

Damit ist es dann gelungen, alle diejenigen Eigenschaften auf den regulären Kummerschen Körper zu übertragen, welche für den quadratischen Körper bereits von Gauss aufgestellt und bewiesen worden sind.

  1. [360] Über die allgemeinen Reziprozitätsgesetze unter den Resten und Nichtresten der Potenzen, deren Grad eine Primzahl ist. Abh. K. Akad. Wiss. Berlin 1859.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kummer, Ernst Eduard: Über die allgemeinen Reciprozitätsgesetze unter den Resten und Nichtresten der Potenzen, deren Grad eine Primzahl ist, in: Abhandlungen der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Mathematische Abhandlungen, 1859, S. 19–159 Internet Archive; Auszug in: Monatsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1858 S. 158–171 Berlin-Brandenburgische Akademie
7.33 Das Reziprozitätsgesetz für -te Potenzreste im regulären Kreiskörper. Nach oben 7.35 Neue Begründung der Theorie des regulären Kummerschen Körpers.
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