Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Achtundzwanzigstes Kapitel

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Siebenundzwanzigstes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Neunundzwanzigstes Kapitel
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Achtundzwanzigstes Kapitel.




Dies waren eigentlich gutmüthige, wenn auch nicht gebildete Menschen, und ich würde mich, trotzdem daß die Erziehung sehr schlecht war, bei ihnen eingerichtet haben, wenn nicht einerseits neue Verfolgungen gegen mich ausgebrochen wären, andererseits Herr B. mich nicht auch mit Liebeleien verfolgt hätte; denn man behandelte mich anfänglich mit vieler Anerkennung und Freundlichkeit, so daß ich hier viele gesellige Freuden genoß. Frau B. hatte einen hübschen Mezzo-Sopran und ziemlich gute Schule, meine älteste Zöglingin, Jane, ein hübsches Mädchen von sechszehn Jahren, einen vollen Contra-Alto, und da die Familie die Musik leidenschaftlich liebte, so verging kein Tag, wo wir nicht Dilettanten-Concerte aufführten. Natürlich spielten diese bei den häufigen Zusammenkünften, die hier stattfanden, eine große Rolle. Die Nachbarn von St…-Hall waren überhaupt sämmtlich liebenswürdige und gebildete Menschen, die mir viele Artigkeiten gewährten und ihre Einladungen in der Regel auch auf mich erstreckten. Eines Tages ward ich mit der Familie zu einem sogenannten Dejeuner bei der Familie des Herrn F., eines reichen Juristen in Douglas, eingeladen. Wir fuhren an einem reizenden Vormittage des Septembers durch eine meist malerische Gegend und erreichten gegen ein Uhr die hübsche Stadt Douglas. Frau F. und ihre reizende Tochter empfingen uns mit vieler Grazie, worauf sich bald eine zahlreiche und glänzende Gesellschaft von Herren und Damen einstellte. Um ein Uhr begab sich dieselbe in den ziemlich großen, festlich geschmückten Saal, wo eine reich mit Silber und Blumen decorirte Tafel stand. Die Gäste wurden in bunter Reihe rings um dieselbe geordnet, wobei mir das Schicksal zwei sehr unterhaltende Herren zu Nachbarn gab. Das Dejeuner glich übrigens ganz einem Diner und ward nur darum „Frühstück“ genannt, weil in England ein eigentliches Diner Abends gegeben werden muß. Nach Tische führten uns unsere freundlichen Gastgeber nach dem Schlosse von Douglas, dem Familiensitze des reichen Barons W., Lord und Besitzer der an Bergwerken gesegneten Gegend. Das Schloß liegt auf flachem Terrain und ist mit einem prachtvollen Park umgeben, es besteht aus vier Flügeln, an deren Ecken sich runde Thürme mit Fenstern im verschobenen [271] Viereck erheben. Höchst interessant waren die vielen Hallen, Säle, Galerieen und Gemächer mit alten Familienbildern, Wappen und Möbeln; doch sind einige Theile sehr baufällig, da der Eigenthümer ein schönes Schloß neueren Geschmackes in der Nähe bewohnt. Von hier begaben wir uns in die berühmten Höhlen von Douglas, welche Herr F. höchst brillant und sinnreich hatte illuminiren lassen. Sie befinden sich in bedeutender Tiefe unter der Erde und sind eigentlich alte Bergwerke. Der Weg war an einigen Stellen sehr schmal und führte längs dem Abgrunde hin, in welchem sich ein stilles, tiefes Wasser hinwand. Diese Höhlen, welche eine bedeutende Ausdehnung besitzen, machten einen fast märchenhaften Eindruck bei der schönen Beleuchtung.

In der Umgegend von Douglas giebt es sehr viele Kohlenbergwerke, welche an einer Stelle schon seit vielen Jahren brennen und den Menschen über ihnen Verderben drohen. Das unterirdische Feuer wüthet unauslöschlich fort, die Häuser haben sich hier und da gesenkt und der Boden ist so warm, daß er selbst im Winter die schönsten Südfrüchte treibt und die Atmosphäre den Schnee zerschmilzt, ehe er den Boden erreicht.

Nach einigen Stunden genußreicher Umschau kehrten wir in den Salon der schönen Frau F. zurück, wo wir mit Kaffee, Thee und anderen Erfrischungen bewirthet wurden. Dann spielte und sang sie mit ihrer Tochter recht gut, forderte aber dann auch die musikalischen Talente ihrer sämmtlichen Gäste heraus, was eine recht angenehme Unterhaltung gewährte, da die meisten derselben entweder Clavier spielten oder sangen. Obgleich hier wie immer mein Betragen in jeder Hinsicht tadellos war, so erwachte dennoch in Mistreß B. die klägliche Eifersucht der Weiber bald in einem solchen Grade, daß sie mir bei jeder Gelegenheit auf das Feindseligste entgegen trat, wozu sie freilich durch die Verleumdungen meiner Feinde immer mehr angetrieben ward. Da die lächerliche Leidenschaft der alten Schönen mir lästig wurde, so verließ ich nach einem sechsmonatlichen Aufenthalte nicht ohne Bedauern ihr Haus. – Vermittelst eines Gesuches in der Zeitung trat ich in Briefwechsel mit einer Frau M. auf P… bei S… in Schottland, welche mir ihr Haus, ihre Familie und die Stellung der Erzieherin in derselben mit den anziehendsten Farben schilderte; nachdem sie sich lange nach mir erkundigt hatte, engagirte sie mich endlich unter sehr annehmbaren Bedingungen. Herr B. und sein Bruder, welche gewiß in ihrem [272] Herzen am besten von meiner Rechtlichkeit überzeugt waren, machten mir das Anerbieten, mir ein sehr schönes Haus in der Nähe von St…-Hall zu kaufen und mir ein Töchter-Seminar gründen zu helfen; allein ich zog es vor, mich wie zeither mühselig und selbstständig durch die Welt zu schlagen, weil ich voraussah, daß durch Annahme jenes Erbietens früher oder später doch der Friede der Familie B. gestört werden würde.

Einer Einladung der Fräulein S., meiner ehemaligen Zöglinge, zufolge, begab ich mich von St…-Hall auf meinem Wege nach Schottland zunächst nach Oundel, wo ich wie immer eine sehr liebevolle Aufnahme fand. Emma war witzig und hübsch wie immer, Pauline und Henriette hatten sich zu höchst anmuthigen und ausgezeichneten Wesen entwickelt, und Ellen war seit lange glücklich nach Ceylon verheirathet. Wir hatten einander unendlich viel zu erzählen, denn wir waren uns eines gegenseitigen Interesses bewußt und verlebten einige Tage im freundschaftlichsten Umgange. In der Nachbarschaft hatte sich vieles verändert, die meisten Familien, darunter W. und H., hatten die Gegend verlassen, auch Herr B. mit seiner schönen Frau war nicht mehr dort. Neu gestärkt und ermuthigt durch den beseligenden Eindruck der Freundschaft verließ ich nach einem herzlichen Abschiede von meinen Freunden Oundel und reiste auf der Eisenbahn dem Orte meiner Bestimmung zu. In Newcastle blieb ich über Nacht, und da der Zug nicht vor 9 Uhr Morgens abging, hatte ich Zeit, den dortigen Thurm zu besehen, der von Wilhelm dem Eroberer erbaut ward. In seinem Innern gab es eine Menge alter Rüstungen, Waffen und gestickte Tapeten, welche letztere noch von normännischen Prinzessinnen herrühren und ihrer Geschicklichkeit alle Ehre machen. Von hier aus wird die Gegend immer romantischer, und so bald man die Grenze Schottlands erreicht, nimmt sie plötzlich einen imposanten Charakter an. Ein herrlicher Viaduct führt über die Iward, welche sich in einem lachenden Thale fortwindet, und die malerischen Grampionhügel mit ihren vielen Schluchten bieten überall Abwechslung und Ueberraschung dar.

Einige Meilen von Ph…verließ ich die Eisenbahn und reiste mit Extrapost weiter. Gegen Abend erreichte ich S…, von wo aus der Weg wahrhaft bezaubernd ward. Rechts und links thürmten sich waldige Berge auf, und in dem lieblichen Thale rieselte ein klarer breiter Bach seine Silberfluth dahin. Plötzlich lag das schöne neuerbaute [273] Schloß Ph. mit seinen drei Thürmen vor mir, von deren einem eine wappengeschmückte Flagge wehte. – Zwei Bediente empfingen mich an der Thür, halfen mir aussteigen und übernahmen mein Gepäck, während ein Page mich aufforderte, ihm zu seiner Herrschaft zu folgen. Durch eine mit Marmor getäfelte und mit Hirschgeweihen verzierte hohe Halle gelangte ich in den Büchersaal, in welchem sich ein schöner hochgewachsener Blondin bei meinem Eintritt aus einem der Armsessel neben dem Kamin erhob, indem er mir seine Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, im Alter von 7 bis 10 Jahren, als meine Zöglinge darstellte. Herr M. – er war es selbst – bat mich um Entschuldigung wegen Abwesenheit seiner Frau, und auf meine Frage nach ihrem Befinden erwiederte er, daß sie meist leidend sei und sich deshalb auch meist in ihrem Zimmer aufhalte. Dann bat er mich, meine Reisekleider abzulegen, ließ mich dazu auf mein Zimmer führen und forderte mich auf, alsdann wiederzukehren.

Ich würde mich in den vielen Corridors und Sälen dieses großen Schlosses verirrt haben, wenn nicht ein Diener an meine Thür geklopft und mir gesagt hätte, daß aufgetragen sei, worauf er mich zur Bibliothek geleitete. Hier hatte Herr M. alles, was Küche und Keller boten, auftragen lassen, und auch der erfrischende Thee fehlte nicht. Unbeschreiblich malerisch und interessant war die Gruppe, welche dieser jugendliche distinguirte Vater, umringt von seinen ebenfalls schönen und graziösen Kindern, darstellte; aber ich vermißte doch das interessanteste und rührendste Element – die Mutter. Die Mittheilung, daß dieselbe sich meist kränklich in ihren Gemächern aufhalte, war mir überhaupt aus mehr als einem Grunde eine unerfreuliche, und ich bedauerte die Familie, welcher dadurch ihre Fürsorge und Gesellschaft entzogen ward.

Als die Kinder zu Bette geholt worden waren, zog auch ich mich in mein Zimmer zurück, welches mit allen Bequemlichkeiten und vieler Eleganz ausgestattet war, und richtete mich in demselben sogleich ein.

Am folgenden Morgen um acht Uhr ward zum Frühstück geläutet, und meine neunjährige Schülerin Jessy, ein schönes Mädchen mit röthlichem Haar und schwarzen Augen, kam, um mich nach dem Speisesaale zu führen. Hier fand ich schon Herrn M., der bei näherer Betrachtung sechsunddreißig Jahre alt schien, mit seinen beiden Knaben John und James meiner wartend. Auf der prachtvoll servirten Tafel standen silberne Kannen mit Thee und Kaffee, vor meinem Platze brodelte die [274] zierliche Theemaschine. Der beliebte Toast, geröstetes Brod, duftete in seinem Silbergestell und in einer mit Wasser gefüllten Krystallschaale schwammen appetitliche Butterwecken; gesottene Eier und ein paar gelblich gebratene Flandern bildeten das Vorspiel, und auf dem Büffet stand ein gebratenes Huhn und ein mächtiger Schinken. Ich hatte kaum ein luxuriöseres Frühstück in England gesehen. Der Hausherr sagte verbindlich zu mir: „Ich muß Sie bemühen, hinfort das Amt der Hausfrau zu übernehmen, denn Frau M. kommt nie zu Tische, lebt überhaupt nur für sich, und es soll mich freuen, wenn Sie ihre Stelle ausfüllen, sich überhaupt in meinem Hause so glücklich fühlen wollen, daß Sie nie daran denken, es wieder zu verlassen.“

Bei diesen Worten ließ Herr M. die blendend weißen Zähne sehen und seine wächserne Hand von griechischer Form selbstgefällig spielen, indem ein bedeutsames Lächeln über sein Gesicht leuchtete, ohne daß die vornehme Unbefangenheit und Nachlässigkeit einen Augenblick aus seinen Mienen schwand.

„Ich werde mich bemühen, meine Pflichten zu erfüllen,“ entgegnete ich nicht ohne einige Verlegenheit.

„Werden Sie glauben, fuhr er fort, daß ich in meiner zehnjährigen Ehe bis heute noch nicht ein einziges Mal mit meiner Frau gefrühstückt habe?“

„Es scheint mir allerdings unbegreiflich,“ entgegnete ich.

„Stellen Sie sich vor, wie traurig für einen Ehemann!“

„Unbedingt! Aber ist Frau M. so krank?“ fragte ich, nach den Kindern blickend.

„Keinesweges, es ist nichts als Excentricität, denn theils bildet sie sich ein, leidend zu sein, theils ist es Abneigung gegen die Prosa des Lebens, theils ist es eine enthusiastische Liebe zur Malerei, wodurch meine Frau so isolirt wird,“ sagte Herr M. mit einem Lächeln, das nicht auf große Betrübniß schließen ließ.

Eine unglückliche Ehe, dachte ich und erwiederte: „Eine Künstlerin muß man aus einem ganz andern Gesichtspunkte beurtheilen als eine andere Frau.“

Zugleich fielen meine Blicke auf zwei große Gemälde, welche im Saale hingen, die aber ihrer Lascivität wegen in Gegenwart eines Mannes keine nähere Beschauung zuließen, weshalb ich schnell wegsah. Eines stellte eine reizende Blondine dar, welche, im Begriffe, sich in [275] einem klaren Bache zu baden, sich auf das erhöhete Ufer setzt und ihre üppigen Glieder in der Fluth spielen läßt. Das zweite Bild zeigte eine prachtvolle Brünette, welche im Zustande der Natur sanft dahingestreckt lag.

„Diese Gemälde sind nicht Frau M.’s Erzeugnisse,“ sagte der sonderbare Ehemann, indem er sich bemühete, meine Blicke darauf hin zu lenken.

„Von wem sind sie denn?" fragte ich, ohne von meiner Tasse Thee, in der ich emsig rührte, aufzublicken. Herr M. nannte hierauf einen Londoner Künstler, dessen Name mir entfallen ist.

„Die meisten Bilder hier im Schlosse, setzte er hinzu, sind Schöpfungen seines Pinsels; ich lasse ihn oft nach Ph. kommen.“

Ich fragte natürlich nicht, ob die Bilder nach der Natur gemalt worden seien.

„Lieben Sie die Gesellschaft?“ fragte Herr M.

„Ich liebe sie und liebe sie nicht, versetzte ich. Ich liebe sie, insofern ich gerne mit gebildeten guten Menschen verkehre, wohl auch mit Vergnügen bisweilen einem Gesellschaftskreise beiwohne; hingegen kann ich mir nichts Schrecklicheres vorstellen, als Tag für Tag in einem Wirbel von Zerstreuungen zu leben und aus einer Gesellschaft in die andere zu gehen.“

„Das ist Schade, ich liebe die Gesellschaft und umgebe mich gern mit lebensfrohen lustigen Menschen.“

„Geniren Sie sich nicht, es ist an mir, mich Ihrem Geschmacke zu accommodiren.“

„Glücklicher Weise bietet Ph. Reize, welche das romantischste, schwärmerischste, wie das vergnügungssüchtigste Gemüth befriedigen können. – Die schönen waldbedeckten Berge, die hohen Felsen mit ihren tiefen Schluchten, die Thäler mit ihren Wassern, die herrlichen Parks mit ihren phantastischen Parthieen werden Ihnen gewiß zusagen, und ein schönes Damen-Sattelpferd steht Ihnen auch zu Diensten.“

Ich dankte Herrn M. für seine Güte, und da das Frühstück beendet war, standen wir alle auf.

„Wie gefällt Ihnen diese Aussicht?“ fragte M., indem er eine Thür öffnete und mich aufforderte, ihm in den Salon zu folgen. Dieser, ein großes prachtvolles Zimmer, bot nach der einen Seite die Aussicht auf einen weiten Plan, wo hier und da geschmackvolle Blumenbeete und [276] Zwergbaum-Gruppen angebracht waren. Rechts von demselben erhob sich ein sanfter Berg, den ein herrlicher Baumwuchs und Schattengänge zierten und der sich am fernen Horizonte an verschiedenfarbig schattirte Berggipfel anschloß. Von der andern Seite blickte man über die Rasen-Abstufungen der Terrasse vor dem Schlosse in das schöne Thal hinab, wo ein hastiger Felsbach munter dahin rauschte, sein Wasser an mächtigen Steinblöcken hier und da melodisch brechend. Einige Schritte davon erhob sich eine malerische Bergwand mit Bäumen bedeckt, und unter der Terrasse führte ein schöner Fahrweg links nach S…, rechts nach dem Schloß und Park des Herzogs von B… Die Gegend war wunderschön, trotzdem daß ein grauer Nebel die Sonne umflorte; was mußte sie erst sein, wenn die Luft rein und durchsichtig war. Nachdem ich mich nach allen Seiten umgesehen, führte mich M. vor ein großes Landschaftsgemälde, aber ehe ich ihm folgte, fielen meine Blicke auf ein herrliches Frauenbild in Lebensgröße; die Umrisse der reizenden Gestalt wurden durch den reichen Faltenwurf eines schwarzen Atlaskleides trefflich hervorgehoben, der edelgebogene Hals, der kühn gewölbte schneeige Busen und die schönen Arme waren mit Edelsteinen geschmückt. Um das blühende, durchaus edle Gesicht flossen reiche schwarze Locken bis auf die Schultern herab, und vom Scheitel bis zu den Knieen wallte ein schwarzer Schleier, der der süßen Erscheinung etwas Fremdartiges, Geheimnißvolles verlieh. Ich blieb entzückt davor stehen und rief: „Ach, wie schön, wie lieblich!“

„Es ist Mama!“ riefen alle Kinder zugleich mit sichtbarem Stolze. Herr M. stand vor einem andern Bilde und sagte, indem er auf einen Ritter zeigte, der mit grimmiger Miene auf einen andern Reiter mit wallendem Federbusche den Karabiner anschlägt: „Sehen Sie, dieses ist mein Ahnherr, derjenige M., welcher seine Rechte mit dem Schwerte gegen den König Jacob II. von Schottland behauptete; dieses Bild stellt den Moment dar, wo er, von jenem verunglimpft, auf ihn schießt.“ Das Bild war ebenfalls neu und besaß das Verdienst guter Färbung und Zeichnung. Die übrigen Gemälde, deren es hier sehr viele gab, waren von keiner Bedeutung. – Mehrere kolossale, echt venetianische Spiegel, reizend geschnitzte Schränke und Etageren mit den kostbarsten Porzellanen, allerlei Seltenheiten, Schmucksachen, Teppiche und prachtvolle Möbel nebst einem Erard’schen Flügel in Jaccaranden-Gehäuse zeugten von dem Reichthume des Schloßherrn.

[277] Ein dritter Saal war zum Billardzimmer eingerichtet, und hier gab es wieder viele obscöne Bilder. In der Bibliothek, wo es nur wenige Bücher gab, hing erst Herrn M.’s Portrait, so wie einige mißgestaltete Engel und grimmassirte Bilder in Pastell, welche ich nicht bewundern konnte, obwohl sie Herr M. als Lady’s Werke bezeichnete. – Hingegen war sein Brustbild ein vorzügliches Oelgemälde. Ueberall herrschte Pracht, und die vielen eleganten Gemächer hätten einen fürstlichen Hofstaat fassen können. Nachdem Herr M. mir die Herrlichkeiten seines Schlosses gezeigt hatte, sagte er: „Nun überlasse ich Ihnen, den Erziehungsplan nach ihrem Gutachten einzurichten, nur strengen Sie die Kinder nicht sehr an, sie sind noch so jung, und machen Sie sich selbst nicht zu viel Mühe. Wenn es das Wetter erlaubt, so gehen Sie vor und nach Tische mit ihnen spazieren, denn die Gesundheit geht doch Allem vor.“

Und somit verließ er uns. Ich begab mich hierauf mit meinen Zöglingen in das Schulzimmer, ließ mir ihre Bücher und Hefte zeigen und examinirte sie in den Gegenständen, worin sie von ihren Lehrerinnen waren unterrichtet worden. Ihre Studien setzten wegen ihrer Mannichfaltigkeit in Staunen, denn sie hatten Französisch, Deutsch und Lateinisch, englische Sprachlehre, Geographie, Geschichte, Schönschreiben, Rechnen und Tanzen gelernt, sprachen auch erstere Sprachen schon recht hübsch. Nachdem wir ein Paar Stunden miteinander gearbeitet hatten, machten wir einen Spaziergang; der Himmel war wohl immer noch grau und die Luft nebelig, aber überall zeigte sich die verjüngte Natur im zarten Frühlingsgewande, denn es war die schöne Zeit des Lenzes.

Um ein Uhr läutete man zu Tische; hier nahm Herr M. das untere Ende desselben ein, während ich mich an das obere setzen mußte. Das Mahl war ein dem Frühstück entsprechendes, und der servirende Bediente präsentirte Portwein und Sherry in schön geschliffenen Caraffen, die auf der Mitte der Tafel standen.

Herr M. war ein launiger, lebhafter Mann, er erzählte eine Menge fashionabler Anekdoten und Späße in dem Dialekte der vornehmen Welt, der sich so wesentlich von dem der zweiten Klasse der Gesellschaft unterscheidet; er war unbedingt liebenswürdig.

Nach Tische gab ich den Kindern ein paar Stunden Unterricht, und nachdem dieser beendet war, gingen wir spazieren. Die Kinder erzählten mir bei dieser Gelegenheit viel von ihren Gouvernanten, deren [278] sie eine bedeutende Anzahl nannten, namentlich aber von ihrem kürzlich abgezogenen Hofmeister, einem Polen, und seiner Frau, einer Engländerin, welche zu gleicher Zeit ihre Gouvernante gewesen war, einer früheren, Miß L., und einer noch früheren, Mademoiselle Victorine d’H. Der polnische Hofmeister hatte sie im Lateinischen, Französischen, Deutschen und in der Musik unterrichtet, ihnen schöne Tänze, namentlich phantastische, wie die Menuett de la Cour, Cachoncha und Vestri’s Galopp, Theaterspiel und Declamation eingeübt, seine Gattin hauptsächlich Englisch und Elementarkenntnisse gelehrt. „Bei Miß L. hatten wir es gut, da brauchten wir nicht viel zu machen, denn Papa und sie küßten sich nur immer,“ sagte James.

„Und bei Miß Victorine lernten wir nichts als Französisch und Vögel schinden,“ sagte Jessy.

„Was? Vögel schinden?“ fragte ich verwundert.

„Ja, Victorine suchte immer Vogelnester, rupfte den Jungen die Federn aus, nachher riß sie ihnen auch die Flügel und die Beine aus, und wenn sie recht schrieen, lachte sie.“

„Und erfuhr denn Papa und Mama nichts davon?“

„O ja, die Mama war böse darüber, aber der Papa sagte nichts,“ antwortete John.

„Wie lange war sie bei Euch?“

„Drei Jahre, aber sie ging zweimal während der Zeit nach Frankreich,“ bemerkte jener.

„Was ich aber noch von Papa und unsern Gouvernanten gelernt habe, das verrathe ich nicht,“ sagte der kleine James schalkhaft.

„Werden Sie sich auch nackt malen lassen?“ fragte Jessy.

„Pfui, Jessy, wie kommst Du auf diese Frage? weißt Du nicht, daß sie unanständig ist?“ entgegnete ich verlegen.

„Aber unsere Gouvernanten haben es doch alle gethan, ihre Porträts hängen alle in Papa’s Zimmer, außer Miß L. und Victorine, die hängen im Speisezimmer,“ sagte Jessy.

„Ja, die Badende ist Miß L., und die andere ist Victorine,“ bestätigte John.

Ich war vernichtet durch dieses neue Unglück, denn was konnte ich in diesem Hause und von solchen Menschen erwarten?

„Ihr habt wohl gar keine Mama mehr?“ fragte ich endlich.

„O ja, Sie haben’s ja gehört, daß wir eine haben.“

[279] Jetzt begriff ich, warum sie sich in ihrem Zimmer hielt. Ich bedauerte diese unglückliche Frau unendlich und dachte: Ueber mich sollst Du nicht Ach und Weh schreien.

Ich beobachtete von jetzt an ein höchst ernstes und kaltes Betragen gegen Herrn M., worüber er sich etwas verletzt zeigte und über lange Weile klagte. Eines Tages sagte er: „Ich muß nur meinen Freund D. einladen, vielleicht gefällt der Ihnen!“

Denselben Tag reiste er nach Edinburg und Tags darauf kam er wieder mit dem genannten Herrn und stellte mir ihn vor. Das Aeußere desselben contrastirte seltsam mit dem M.’s; klein, schlecht gebaut, mit einer gemeinen Physiognomie, der ein Paar kleine verschmitzte Augen etwas Pfiffiges, aufgeworfene Lippen etwas Dummes verliehen, war er gewiß nicht geeignet, mit seinem Freunde zu rivalisiren, zumal er zwanzig Jahre älter war, als jener. D. war einer von jenen alten Wüstlingen, welche sich aller Schonung und Rücksicht gegen Frauen überhoben glauben, die ihnen nicht durch ihre Stellung imponiren. Sogleich bei Tische fing er an, von seinen Eroberungen berühmter käuflicher Schönheiten, ihren Allüren und Bonmots zu erzählen, worauf Herr M. mit dem lebhaftesten Interesse und Wohlgefallen einging, so daß die Unterhaltung trotz der Anwesenheit der Kinder bald den empörendsten Grad von Obscönität erreichte. Da ich hierbei eine stumme Rolle spielte, so warf endlich D. mit beleidigenden Sticheleien auf Damen um sich, „welche sich unschuldig stellten, um den Appetit der Männer zu reizen,“ und M. sprach seine Abneigung gegen die „Prüden“ und seine Vorliebe für Frauen, mit denen er seine Gefühle austauschen könne, sehr entschieden aus. Ich war froh, als das Mahl vorüber war, und ging mit den Kindern in den Salon, um Frau M.’s Bild zu betrachten, dessen Schönheit und Grazie mich wunderbar gerührt hatten. „Gewiß ist Deine Seele so schön wie Dein Körper, armes Weib, dachte ich, indem sich meiner Brust ein tiefer Seufzer entwand, gewiß verzehrst Du Dich in Gram über die Lasterhaftigkeit Deines Gatten, aber fürchte nichts von mir, ich bin unfähig, das Vertrauen, das Du mir schenktest, zu mißbrauchen.“

Ein Bedienter störte mich in meinen traurigen Betrachtungen mit der Einladung, zu Frau M. in die Bibliothek zu kommen, und öffnete die Thüre, um mich eintreten zu lassen. Ich traute meinen Augen nicht und hielt mich für mystifizirt, denn eine alte Dame mit einem runzeligen [280] dick bemalten Gesicht, über welches ein schwarzer Schleier herabhing, der ihm das Ansehen einer verhangenen Maske gab, saß in einem theatralischen Costüm auf dem Sopha und empfing mich mit grimassirender Freundlichkeit. Betroffen blickte ich Herrn M. an, der sich an meiner Bestürzung zu weiden schien, indem er mit einem muthwilligen Lächeln nach der Dame blickend sagte: „Frau M.!“

Anstatt der edeln Haltung und Formen, statt des schönen Gesichtes erblickte ich eine kleine zusammengehockte, eng- und flachbrüstige Person mit einer Physiognomie, welche durch ein Paar kleine schwarze, bewegliche Augen, die fortwährend blinzelten, und Züge, die unaufhörlich manövrirten, einen widrigen Ausdruck von List und Ränkesucht erhielt. Mistreß M. redete mich spanisch an, verrieth aber sofort ihre Unkenntniß dieser Sprache und ging zur italienischen über, in welcher sie einige Phrasen sprach. Sodann sprach sie französisch, und endlich legte sie mir eine Menge Fragen auf englisch vor, ohne mir Zeit zu geben, ihr eine einzige zu beantworten. Das sollte „Prüfen" heißen! Frau M. machte mir hierauf einige Complimente, welche ebenso gut für Spott als Ernst hätten gelten können, und schlug dann einen Spaziergang vor. Sobald sie sich erhoben hatte, firlte sie pfeilschnell bis an die Thüre und bemühete sich dann, den Eindruck zu bemessen, den dieser Aufwand jugendlicher Behendigkeit auf mich und die beiden Herren hervorgebracht hätte. So lächerlich sie mir indessen vorkam, so blieb ich dennoch vermöge meiner natürlichen Abneigung gegen den Spott ernsthaft, nur Herr M. lächelte ironisch.

Als wir in’s Freie traten, gingen die beiden Herren mit den Kindern voran, und Frau M. wankte jetzt unsicheren Schrittes neben mir her.

„Was haben mich doch meine vielen Wochen ruinirt, fing sie an, ich tauge nur noch zu geistigen Genüssen, und bedauere meinen vortrefflichen Gatten, dem ich leider nichts mehr als Freundin sein kann.“

Ich horchte mit Spannung.

„Ich hoffe, Sie werden recht zuvorkommend und gefällig gegen ihn sein und ganz meine Stelle bei ihm vertreten," sagte Mistreß mit einem Blicke, welcher rührend sein sollte.

„In gewissen Beziehungen wäre mir dies unmöglich, Madame,“ versetzte ich.

„Aber warum denn? ist er nicht ein schöner, bezaubernder Mann?“

[281] „Ich sage nicht das Gegentheil, aber ich bin fest entschlossen, streng sittlich zu bleiben wie bis jetzt.“

„Aber die bösen Zungen behaupten das Gegentheil von Ihnen!“

„Wer kann für böse Zungen!“

„Glauben Sie nicht, die Welt zu versöhnen, und wenn Sie wie einige Heilige lebten, sondern genießen Sie ihr Leben, Sie haben es für denselben Preis.“

„Wenn es mir um die Meinung der Welt zu thun wäre, so hätte ich mir ihre Gunst längst durch Niederträchtigkeit erwerben können, denn sie urtheilt nur nach dem Aeußeren; mein Maßstab von Integrität ist ein anderer als der ihre.“

„Aber bedenken Sie, wie glücklich Sie werden können! Hier vermögen Sie wie eine Fürstin zu leben, je verbindlicher Sie gegen Herrn M. sind, desto mehr wird man Sie honoriren, denn in dieser Nachbarschaft ist die Galanterie der Damen ein Verdienst. Die honorable Frau R. und die vornehme Frau B. in der Nähe, wie eine Menge andere Damen haben ihre erklärten und geheimen Liebhaber, und wer sich hier appart stellt, der kommt nicht fort.“

Ich fühlte mich durch diese schamlose Zumuthung im höchsten Grade widrig berührt, diese freche Verletzung jedes sittlichen Gefühles war mir neu und ich war außer mir, daß mich das Schicksal in diesen beispiellosen Kloak von Unsittlichkeit geschleudert hatte. Ich kannte Niemanden, den ich achtete, als mich selbst, und verachtete diejenigen, die mich zur Sclavin ihrer Sinnlichkeit machen wollten. Gleichwohl wußte ich aus mehrfacher Erfahrung, daß nichts schrecklicher ist als ein entlarvter Mensch, auch wenn er sich selbst entlarvte; was mußte ich von dieser Familie erwarten, wenn ich standhaft blieb! Ich beschloß deshalb, mit der größten Vorsicht und Schonung zu verfahren, und schwieg vor der Hand.

Die Herren waren indessen stehen geblieben und warteten auf uns. Wir befanden uns vor einem uralten viereckigen Thurme, und Herr M. bezeichnete denselben als die Stammburg seiner Familie, in welcher der geächtete M. seinem Könige Trotz geboten hatte. Herr M. besaß einen großen Ahnenstolz, aber nie sah ich Jemanden, der ihn mit mehr Liebenswürdigkeit und Grazie behauptet hätte als er. Er machte häufige Bemerkungen über seinen prachtvollen Körperbau und schrieb diesen seiner edeln Abkunft zu; da sich aber in der Art dies zu thun, der [282] Wunsch zu gefallen, nicht der zu imponiren aussprach, so gab er dadurch Veranlassung zu heiteren Scherzen, nicht aber zu Demüthigungen. Diese Folgerungen konnten weder für Frau M. noch für D. schmeichelhaft sein, allein Beide ertrugen sie mit einer diplomatischen Unverletzlichkeit. Mir fiel bei dieser Gelegenheit Frau M.’s Bild ein, und ich fragte deshalb, wenn und von wem dasselbe gemalt sei? Frau M. nannte den oben erwähnten Londoner Künstler und sagte, es sei vor zwei Jahren gemalt worden. Dann fragte sie mich, ob ich sie getroffen finde? Ich hielt dieses Porträt mehr für eine Satyre als für eine Schmeichelei und antwortete kurz: „Schrecklich getroffen!“

Herr M. gab sich viel Mühe, um sich fesselnd, ja bezaubernd zu machen, und ich bestrebte mich vergebens, seinen verführerischen Blicken auszuweichen. Von jetzt an erbat sich Frau M. meine Gesellschaft regelmäßig für den Abend, welcher mit Soupiren, Trinken und Obscönitäten ausgefüllt ward. Je tiefer ich erröthete und je verlegener ich ward, desto derber wurden die Späße, und selbst Frau M. gab sich alle ersinnliche Mühe, meine Schamhaftigkeit zu ertödten. Unter anderem erzählte sie, daß ihre Mutter, Mistreß N., während des Lebens ihres seefahrenden Gatten einen galanten Wandel geführt habe, ja daß sie selbst, obgleich auf den Namen N. getauft, die Tochter eines Spaniers sei, weshalb sie stets die Mantille und einen hohen Schildkröt-Kamm à l’espagnole trage. Auch von ihrer Schwägerin erzählte sie mir eine solche Geschichte.

Wenn ich nun spät Abends mit glühendem Gesicht und klopfendem Herzen in das Schulzimmer kam, fand ich Miß H., die schottische Bonne der Kinder, meiner dort wartend, um mich auszukleiden. „Wie verschieden sind Sie von den andern Gouvernanten, die vor Ihnen hier waren! Sie scheinen sich nicht glücklich hier zu fühlen,“ sagte sie eines Abends, als sie mich so aufgeregt und betäubt sah.

„Warum?“ fragte ich.

„Sie sind so zurückziehend und werden so leicht verlegen, während jene sich nackt malen ließen, Sie seufzen, während jene im größten Uebermuthe lebten.“

„Aber wie konnte Frau M. das dulden?“

„Sie hat ihrem Gatten nichts vorzuwerfen.“

Eines Tages, als Herr M. nach S…, wo er Magistrat war, reiste ging D. mit den Kindern und mir spazieren. Unterwegs, während [283] die Kinder vor mir hergingen, erzählte er mir, daß Herr M. sein ganzes Glück ihm verdanke, daß er ihm die reiche Miß N., nachdem er selbst ihr Liebhaber gewesen, zur Frau verschafft und dabei die Bedingung eingegangen sei, sein großes Vermögen dem kleinen John, der sein Sohn sei, zu hinterlassen, selbst aber niemals zu heirathen. Jetzt begriff ich die große Aehnlichkeit zwischen D. und dem Knaben, die besonders im Munde und den großen Vorderzähnen lag. D. ließ sich auch verlauten, daß Frau M.’s Vater sein unermeßliches Vermögen durch Freibeuterei und Sklavenhandel gewonnen habe. Diese Mittheilungen bewiesen einen eben so hohen Grad von Falschheit wie Dummheit von Seiten des Erzählers, und können als ein Beispiel von der Freundschaft der Lasterhaften dienen.

Je länger ich die Kinder beobachtete, je mehr überzeugte ich mich, daß auch sie im hohen Grade überspannt und ausgeartet waren; meine Verwunderung sollte aber noch steigen, als ich entdeckte, daß John und Jessy in demselben Bette schliefen. Meine Bemerkungen darüber wurden von der Mutter sehr ungnädig aufgenommen.

Eines Tages kam Lord N. mit seinem fünfjährigen Sohne zum Besuche, Frau M. unternahm es sogleich, den Knaben zu malen und das Bildniß dem Vater, der als Gesandter nach Neapel ging, als Andenken zu überreichen. Dieses Kunstwerk war in Pastell gemalt, aber in dem Grade verunglückt, daß Lord N. es nicht einmal abholen ließ. Der Knabe zeichnete sich durch Naivetät aus; als er eines Tages mit den Kindern Thee trank, sagte er, ihre Allüren beobachtend, plötzlich ganz laut: „what a crached set you are all of you“ – was für eine verrückte Gesellschaft Ihr alle miteinander seid! – Den kleinen M.’s imponirte das aus dem Stegreif gegriffene Urtheil dieses winzigen Censors so sehr, daß sie ganz schweigsam wurden.

Lord N. war ein schöner junger Mann, dem die kalte Ruhe und der sarkastische Ausdruck seines Mundes vortrefflich stand. Eine Freude war es, ihn der gefallsüchtigen Matrone gegenüber zu beobachten, denn die erotischen Schwänke der Dame waren allzu derb. Nachdem sie die Hoffnung aufgegeben, bei dem schönen Aristokraten als Spanierin zu reüssiren, erschien sie eines Tages in schwefelgelbem Damastkleide, dessen tiefer Ausschnitt einen bezaubernden Fernblick auf einen kostbaren Busen und Rücken eröffnete, während ein großer Küpenhut von Spitzen das Lockenköpfchen der neuen Aphrodite neidisch bedeckte. Als man zu [284] Tische ging, hätte Lord N. der Frau vom Hause nach englischer Sitte den Arm bieten müssen, da er aber eine unerschütterliche Ruhe behauptete, chassirte Frau M. wie eine Ballettänzerin, welche dem Publikum ihre Verbeugung zu machen geht, durch die offene Thür in den Saal. Ein muthwilliges Lächeln spielte um den Mund N.’s, als er mich anblickte. Bei Tische verdrehte Mistreß die Augen wie ein sterbender Karpfen, um ihnen einen schmachtenden Ausdruck zu geben, bald schraubte sie die Lippen zu der Form einer Kirsche zusammen, bald zeigte sie durch schalkhaftes Lächeln ihre köstlichen Pariser Zähne. Dabei machte sie verzweifelte Versuche, geniale Einfälle, schwärmerische Gefühle und fashionable Ideen-Association zu entfalten, worauf der gewandte Diplomat mit der feinsten Ironie antwortete.

Bisweilen erzählte mir Mistreß, daß ihr Gemahl sein ganzes Glück ihr allein verdanke, indem seine Güter ganz verschuldet, er selbst aber ganz herabgekommen gewesen sei. Andererseits ging Herrn M.’s Eitelkeit soweit, daß er oftmals erzählte, die Londoner Schneider hätten ihm seine Garderobe umsonst gefertigt, damit er ihre Arbeit durch seine Gestalt verherrliche und ihnen reiche Kundschaft zuführe. Er wurde dabei immer zudringlicher, sowohl er wie seine Frau bemüheten sich, durch allerlei Mittheilungen und Vorspiegelungen meine Gewissens-Scrupel zu überwinden, aber mein innerstes Gefühl sträubt sich, dieselben hier mitzutheilen.

Eines Nachmittags schickte Frau M. die Bonne mit den Kindern spazieren und gab vor, ich solle einige Gesänge und Duette für eine große Soiree mit ihr einstudiren. Als ich mich nun allein im Schulzimmer befand, kamen Herr und Frau M. herein, und letztere sagte frech zu mir: „Hier bringe ich Ihnen meinen schönen Mann, dort haben Sie ein Sopha, geniren Sie sich nicht und seien Sie nicht spröde.“

Ich richtete mich in meiner ganzen Höhe auf und maß beide mit Ernst und Verwunderung, was die Schamlose mit einem Lügengewebe über meinen bisherigen Lebenswandel, wie ich es bei den Engländern gewöhnt war, beantwortete. Ich parirte diese Angriffe mit der Ruhe, welche das moralische Uebergewicht verleiht, und hielt Herrn M. damit in der Ferne. Als ich mich mit der an Leib und Seele verkommenen Messaline allein befand, erklärte sie mir sehr entschieden, daß ich nur unter der Bedingung in ihrem Hause bleiben könne, daß ich mich verbindlich [285] gegen ihren Mann erweise. Ich versicherte sie, daß ich durchaus nicht geschaffen sei, ihrem Wunsche Genüge zu leisten, und hoffte sie dadurch zu versöhnen. Weit gefehlt! Im Gegentheile ließ sie mich die Folgen ihres Zornes ahnen und führte ihren polnischen Hofmeister und seine Frau als Beispiele ihrer Rache an, ohne jedoch genau zu sagen, wodurch sie diese geweckt hätten. Hingegen beschuldigte sie die Leute der schändlichsten Handlungen und Vorhaben, zeigte mir eine Menge anonymer Briefe voll schauderhafter Brandmarkung, und versicherte triumphirend, daß sie bereits Maßregeln zur völligen Vernichtung ihrer Stellung in der menschlichen Gesellschaft getroffen habe. Mir graute vor dieser teuflischen Verworfenheit, und ich beschloß trotzdem, daß dieses in materieller Beziehung die vortheilhafteste Stelle war, die ich noch eingenommen, und trotz der zu erwartenden Verfolgungen, das Haus zu verlassen. Zu diesem Ende schrieb ich einen sehr höflichen Brief an Frau M., worin ich versicherte, daß meine Gesundheit das Klima Schottlands nicht vertrage, sondern von Tag zu Tag bedenklicher werde, und bat sie, mich ehebaldigst zu entlassen. Hierauf zeigte sich eine große Bestürzung in der Familie, die beiden Gatten waren sichtlich beängstigt, Mistreß M. versuchte wiederholt, mich in meinem Entschlusse wankend zu machen, Herr M. suchte vergebens seinen Kummer zu verbergen. Als ich aber unerschütterlich blieb, nahmen Beide plötzlich eine feindselige Stellung gegen mich ein und griffen mich mit allen Waffen gemeiner Seelen an. Hohn, Verleumdung, Lüge, das ganze Zeughaus der Hölle wurde gegen mich in Bewegung gesetzt und bald war ich das Stichblatt der Bosheit aller Besucher von Ph… Um mich ganz einzuschüchtern, machte mich Frau M. auf den Busenfreund ihres Gatten, Herrn C., aufmerksam, bezeichnete ihn kühn als das Hauptwerkzeug ihrer Rache, ja geradezu als den Verfasser jener vernichtenden Briefe. Er hatte in österreichischen Diensten gestanden. Unter der zahlreichen Elite, welche das Schloß frequentirte, lernte ich Herrn W., Verfasser der bekannten Novelle the Crescent and the Cross – „Der Halbmond und das Kreuz“ – kennen, wie auch seine Gemahlin, eine sehr hübsche und junge Irländerin; er entfaltete viel Geist und Weltkenntniß in seinem Umgange.

Da ich seit meiner Kündigung bei jeder Gelegenheit schnöde und verletzend behandelt ward, so blieb ich möglichst viel für mich, indessen kam Frau M. bisweilen auf mein Zimmer, um vor mir „ihr Herz [286] auszuschütten“. Eines Tages erzählte sie mir nicht ohne sichtliche Zufriedenheit, sie habe einen Spanier als Hauslehrer für ihre Kinder engagirt, zeigte mir auch seine Diplome als Professor der Philologie und Philosophie an der Universität Madrid, welches er in Folge der politischen Wirren hatte verlassen müssen. Er sollte noch an demselben Abend ankommen, Frau M. hatte sich auf’s schönste geschmückt, ein kostbares Spanier-Costüm sollte ihre Magerkeit verdecken, und schauspielernd wallte sie mit sichtlicher Ungeduld in den schönen Gemächern auf und ab.

Es war ein reizender Nachmittag im Juni, vor dem Schlosse hielt dasselbe Cabriolet, welches mich von der letzten Eisenbahn-Station nach Ph… gebracht hatte, der Lärm des Vorfahrens hatte mich an’s Fenster gelockt, und so sah ich einen der schönsten Männer aussteigen, der, nachdem er dem Bedienten sein Porte-Manteau übergeben, in das Schloß ging. Ich erkannte sofort den Spanier in ihm und hätte mich, um seine Bekanntschaft zu machen, gern dem Familienkreise angeschlossen, allein ich hatte das längst eingestellt und konnte es heute ohne spezielle Einladung nicht wagen. Gegen 11 Uhr kam H. zu mir und erzählte, daß Herr M. das Engagement des Professors gänzlich ignorire, ja diesem sofort die Thüre gewiesen habe. Hierauf hätte der Spanier Frau M.’s Briefe als Legitimation vorgezeigt und mit der schmerzlichsten Bestürzung gestanden, daß er für die weite Reise von London nach Ph… sein letztes Geld ausgegeben, dringend um die Erfüllung des Contractes gebeten; allein alles, was Herr M. bewilligt, war ein Nachtquartier, eine Mahlzeit und freie Rückreise bis zur Eisenbahn-Station am nächsten Morgen gewesen, weil diesen Abend kein Zug mehr ging. Miß H. versicherte, daß der Spanier wie ein Wahnsinniger in seinem Zimmer auf- und abgehe, wovon ich mich auch alsbald überzeugte, indem ich mich auf den Vorsaal verfügte. Mir blutete das Herz bei der Vorstellung von der Lage dieses Fremden, ich nahm mir vor, ihm das Reisegeld bis London vorzustrecken und dachte schon auf ein Palliativ für ein so demüthigendes Anerbieten. Dies, wie die Schritte des Unglücklichen, die in der Stille der Nacht herüberschallten, Schmerz über meine eigene Lage und Mitleid mit der fremden ließen mich erst gegen Morgen einschlafen. Der Lärm eines fortrollenden Wagens weckte mich bald, ich eilte an’s Fenster und sah ihn in der Richtung nach S… dahineilen, obgleich es erst fünf Uhr war. Trotz der fabelhaften Ruchlosigkeit, die in diesem Hause herrschte, [287] bemühte man sich doch sorgfältig, den Schein der Religiosität aufrecht zu erhalten, es gab sogar in jedem Gastzimmer eine Bibel, und aus derjenigen, welche in des Professors Zimmer geprangt hatte, hatten die Dienstleute einen beschriebenen Zettel gucken sehen, den sie Morgens der Dame des Hauses brachten. Aber ungeachtet ihres spanischen Blutes und ihrer angeblichen Kenntniß der spanischen Sprache konnte diese ihn doch nicht lesen, sondern brachte ihn mir zum Uebersetzen, bei welcher Gelegenheit ich ihn abschrieb. Ich füge hier eine buchstäbliche Uebersetzung dieses Zettels bei, der in spanischer Sprache geschrieben war.

Mein Lebewohl.

     Verflucht sei das Haus, welches dem Bedrängten seine Gastfreundschaft verkauft und sein edles Herz zwingt, durch Schaam und Erniedrigung sie zu erkaufen, wo das Unglück nicht geachtet, der Fremdling mit Spott und Sarkasmus empfangen wird; verflucht sei das Haus, wo es kein Gefühl des Mitleides giebt, wo die Thränen des Unglücklichen mit kaltem Blicke betrachtet werden und wo das Elend dasselbe Echo weckt, wie eine Goldkugel, die vom Himmel auf eine Sandwüste fällt. Verflucht sei die Seele, welche sich eine Religion von Selbstsucht gemacht hat und, den Lohn ihrer Ruchlosigkeit nicht fürchtend, die Schuld der eigenen Thaten auf andere wirft. Gott wird aber den Schimpf, der seinem Ebenbilde zugesagt ward, einst rächen, er wird den Gerechten nicht dem Pharisäer gleichstellen, denn das Herz des Guten wie des Bösen sind offen vor ihm, und der Verschwender, welcher dem Bettler die Brosamen seines Tisches versagt oder für den Preis der Schande verkauft, ist ein Ungeheuer vor dem Richter des Weltalls.

     Den 1. Juni.

Dieser mysteriöse Ausbruch der Verzweiflung fand einige Aufklärung durch allmählig kund werdende Notizen. Frau M. hatte ihren Gatten von der Unterhandlung mit dem Spanier allerdings in Kenntniß gesetzt, freilich aber nicht von seiner Schönheit, die sie vielleicht selbst nicht gekannt haben mochte. M., der eitelste Wollüstling, hatte sich augenblicklich von dem Spanier verdunkelt gefühlt und blos deshalb ihn zurückgeschickt; hätte dieser übrigens die Landesgesetze gekannt, so hätte ihm sein Recht werden müssen, denn er hatte schriftlichen Contract gehabt, [288] leider aber freilich keine Mittel, um in Schottland bleiben und klagen zu können, und dann hätte er auch nach Edinburg reisen müssen, denn in S… war M. selbst Magistrat. Gewiß ahnete der edle Unterdrückte nicht, daß die Ergießungen seines gerechten Zornes einst der Oeffentlichkeit würden übergeben werden.