Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Viertes Kapitel

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Drittes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Fünftes Kapitel
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Viertes Kapitel.




Ich war noch an demselben Tage mit den Kindern und Mary bei unserem Thee, als der Bediente mich zu Mistreß H. in den Salon rief, wo die ganze Familie versammelt war. Bei meinem Eintritt empfing mich die Megäre mit einem Sturm von Schimpf- und Spottreden, daß mir vor Schrecken schwindlig wurde.

„Wie haben Sie sich, schrie sie, unterstehen können, mich bei der Königin herabzusetzen? Sie nichtswürdige Deutsche! Jetzt eben ist Doctor K., der Kapellan Ihrer Majestät, hier gewesen, um sich nach Ihnen zu erkundigen, weil Sie einen Bettelbrief an sie geschrieben und mich verleumdet haben.“

„Madame, erwiederte ich mit vieler Fassung, ich habe keinen Bettelbrief an die Königin geschrieben, sondern habe sie blos gebeten, mich aus dieser Lage zu befreien, ohne Ihrer Majestät Vorschriften zu machen. Die Königin braucht Dienerinnen, und ich besitze Fähigkeiten. Ich habe meine Lage der Wahrheit gemäß geschildert, daß ich meine Gesundheit durch Sie verloren, daß Sie mir meinen Gehalt durch Arzt- und Apotheker-Rechnungen verkümmern, daß ich aber fest entschlossen bin, dem langsamen Tode, dem Sie mich und Mary preisgeben, zu entrinnen. Nicht ich habe Sie, sondern Sie haben sich selbst durch Ihre Gottlosigkeit herabgewürdigt. Wenn ich Sie verleumdet hatte, warum haben Sie mich nicht mit dem Kapellan der Königin confrontirt?“

Die ganze Familie schrie hier auf mich ein und Alle außer Fräul. H. überhäuften mich mit den pöbelhaftesten Reden. In keiner Familie außer in englischen habe ich bei äußerlicher Vornehmheit diese maßlose Gemeinheit nach innen gefunden.

„O, es ist nur ein Glück, sagte Mistreß H. mit hämischem Lachen, daß Se. Ehrwürden gleich an die rechte Quelle gegangen sind. Sie haben ein Zeugniß bekommen, daß seine Wirkung gewiß nicht verfehlen wird.“

Ueber diese Verhöhnung aller Wahrheit brachen Alle in ein schallendes Gelächter aus, obwohl sie wußten, daß wir zwei unglücklichen Mädchen unsere Schuldigkeit mit äußerster Anstrengung gethan hatten.

„Diese nichtswürdigen Deutschen, fuhr die H. fort, sind nicht werth, [26] den englischen Boden zu betreten, aber jedes englische Herz haßt sie auch wie den Aussatz."

Der Haß dieser Elenden gegen mein Volk rief meinen ganzen Zorn auf: „Es ist Schade, Madame, rief ich, daß Sie Ihre saubern Gefühle für die Deutschen nicht in Gegenwart des Doctor K… ausgesprochen haben; die Königin, als Deutsche, hätte daraus gleich auf alles Uebrige schließen können."

Hiermit endete diese Unterredung und ich entfernte mich. Die gute Mary theilte meinen Gram und meine Thränen, sie gab sich viel Mühe, mir Muth und Trost einzusprechen, denn sie trug unter ihrer braunen Haut ein so edles Herz, wie je unter einer weißen geschlagen hatte. Nie entdeckte ich einen unlautern Zug in ihrer geistigen Physiognomie.

Am andern Tage erhielt ich einen Brief von Doctor K…, worin er mir mittheilte, daß er sich auf Befehl Ihrer Majestät der Königin nach meinen Verhältnissen erkundigt und in Erfahrung gebracht habe, daß sie sich ganz anders gestalteten, als ich sie geschildert, daher Ihro Majestät beschlossen hätten, nicht weiter darauf zu reflektiren.

Meine Arme sanken kraftlos herab, meine Augen wendeten sich fragend nach dem Himmel, denn am Himmel, nicht blos an den Menschen hätte ich verzweifeln mögen.

Es war offenbar, daß Doctor K… entweder ein böswilliger oder dummer Mensch war, sonst würde er nicht diesen Weg eingeschlagen haben, um die Wahrheit zu erfahren; es galt also zu wissen, welches von beiden er war? Im ersteren Falle war Alles verloren, im letzteren konnte ich ihm Beweise liefern. Ich beschloß daher, ihn aufzusuchen, und obgleich ein heftiges Fieber in meinem Pulse wühlte, begab ich mich doch nach seiner Wohnung in St. James Street; eine bedeutende Entfernung von der unsrigen in Montague Square. Meine Haut, Zunge und Lippen waren wie Pergament, vor meinen Augen flimmerte es, und doch besaß ich nicht mehr so viel, um einen Miethwagen anzunehmen, ich mußte mich von Zeit zu Zeit an den Souterrain-Geländern anhalten. Die Sonne brannte wie Feuer und ich hatte einen so heftigen Durst, daß ich mein Alles für einen Trunk guten Wassers gegeben hätte, was in London nicht zu haben ist. Ich, ein siebenzehnjähriges Mädchen in dieser unermeßlichen Stadt, krank, verlassen, verfolgt, ohne Geld, ja ohne irgend einen Ausweis, und das Alles durch die sogenannten edeln Briten! Entsetzliches Schicksal! – Gewiß war ich ein [27] Gegenstand des Mitleids, denn viele Vorübergehende blieben stehen und sahen mich an. Ich kann mit Recht sagen, daß ein innerlicher Stolz mich stets hinderte, meine Gefühle zur Schau zu tragen, und zum Weinen bin ich gar nicht geneigt; aber als ich mich dem Doctor K. gegenüber befand, stürzten mir die Thränen aus den Augen. Der brennende Durst, der Tumult des Fiebers in meinem Blute, die unbeschreibliche Herzensangst machten mir das Sprechen unmöglich.

„Ich habe nicht viel Zeit," sagte der Geistliche sehr trocken.

Ich machte die Anstrengung einer Sterbenden und es bedurfte aller meiner moralischen Kraft, um mir die Sprache wieder zu geben. „Ich komme, sagte ich, Ihnen Belege für die Wahrheit meiner Aussage zu geben, hier sind die Zettel, auf welche Mistreß H. die Auslagen für Arzt und Apotheke, wie auch den von mir erhaltenen Ueberschuß berechnet hat. Dieses Wenige habe ich für mich und die in gleicher Lage befindliche Bonne, Mary B…, in Mistreß H. Hause verausgabt, und zwar für die uns fehlenden Nahrungsmittel. Gleichwohl ist meine Gesundheit durch übermäßige Anstrengungen, Entbehrungen und schlechte Behandlung so erschüttert, daß ich fortwährend des Arztes bedarf und mir nichts übrig bleibt, als in mein Vaterland zurückzukehren. Da sich aber meine Prinzipalität fortwährend weigert, mir meinen rückständigen Gehalt auszuzahlen, so fürchte ich, daß sie ihn mir wieder zu verkümmern gedenkt, und in dieser ganz hilflosen Lage habe ich die Gnade der Königin angerufen."

Mit diesen Worten reichte ich dem Kapellan die Rechnungen nebst der Adresse des Arztes und bat ihn dringend, sich bei diesem nach mir und Mary B… zu erkundigen. Er hatte mich mit sichtbarer Ungeduld angehört und die Zettel gelesen, und indem er sie von sich schob, sagte er kalt: „Mistreß H. ist eine eben so geachtete wie bekannte Dame und verdient, daß ihr Glauben beigemessen werde. Uebrigens wüßte ich nicht, woher ich die Zeit nehmen sollte, wenn ich mich um alle die Deutschen kümmern müßte, die hier nicht fortkommen können; es stürzen sich viele in die Themse, warum kommen sie herüber!" –

„Aber ich habe das königliche Versprechen, daß Ihre Majestät die Königin auf meine Bitte zu reflektiren geruht, erwiederte ich, und da Allerhöchstdieselbe Ew. Hochwürden mit der Untersuchung meiner Verhältnisse beauftragt hat, so ist es Ihre Pflicht, dies gründlich zu thun.“

Bei diesen Worten stand Doctor K. auf und entgegnete, daß er [28] seine Pflicht kenne und gethan, mir auch den letzten Entschluß der Königin mitgetheilt habe.

Jetzt fühlte ich mich überzeugt, daß dieser Mensch nicht geschaffen war, ein Retter der Unglücklichen zu sein, denn er handelte öffenbar nur nach Rücksichten und hatte die Königin über die Quelle seines Berichtes ganz bestimmt nicht wahr unterrichtet; sie hätte darüber lachen müssen. Ich übergehe die grausamen Chikanen der Mistreß H., welche auf dieses Ereigniß folgten und mich abermals auf das Krankenlager streckten; nur erwähne ich, daß sie mir bei meiner Wiederherstellung wieder ihre Rechnungen nebst zwei Pfund Ueberschuß meiner Besoldung hinlegte. Sofort erließ ich wieder Ankündigungen in den Blättern, empfing auch Einladungen, die aber alle durch mein kränkliches Ansehen fruchtlos wurden. Unter anderen Zuschriften erhielt ich auch eine Adresse Lady Georgiana N. in Nr. 7. Park Crescent. Es war meine letzte Hoffnung, ich schickte ein inbrünstiges Gebet zum Himmel um Erlösung aus meinem Jammer, und begab mich klopfenden Herzens dahin. Lady Georgiana war eine hohe, schlanke Dame von sehr vornehmen und graziösen Formen. Sie sagte mir, daß sie vier Söhne und drei Töchter habe, wovon der älteste in einem Institut erzogen werde, und daß sie eine junge Deutsche suche, die ihre Sprache grammatikalisch und praktisch zu lehren verstehe und die Gouvernante in Beaufsichtigung der Kinder unterstütze. Der Lady gegenüber saß in einem Lehnstuhle ein beleibter Herr, den sie mit den Worten anredete: „Halten Sie dieses Fräulein für stark genug, Sir Charles?" – „Geniren Sie sich nicht, fuhr sie gegen mich fort, dieser Herr ist mein Arzt." – Dieser richtete nun einige Fragen an mich, worauf er der Lady erklärte, daß ich nur die Bleichsucht habe, die er in kurzer Zeit zu heilen hoffe.

Lady Georgiana bot mir einen sehr geringen Gehalt und obenein unter der Bedingung, daß Frau H’s. Zeugniß günstig ausfalle.

Denselben Nachmittag wurde ich in den Salon citirt, wo mich meine Herrin mit den Worten anschnaubte: Was haben Sie denn gemacht? Erst haben Sie mit dieser Dame Verhandlungen gepflogen und sich nachher anderwärts beworben? Soeben hat Lady N. nach Ihrem Zeugnisse hergeschickt – hätte ich das gewußt, so hätte ich Ihnen keins ausgestellt."

„Aber jene Dame hatte ja gar nicht im entferntesten auf mich reflektirt, erwiederte ich.

[29] „Sie haben ihr aber doch anheimgestellt, sich nach Ihnen zu erkundigen!“

Und hier brach sie wieder in einen Schwall von Schmähungen auf die armen Deutschen aus, die zum Glück von dieser hohen Ungnade nichts verspürten. Außer der Freude über meine bevorstehende Befreiung – denn Lady Georgiana hatte mich für den Anfang des neuen Quartals engagirt – hatte ich noch eine unbeschreibliche Genugthuung. Ich hatte meiner Freundin Mary nämlich den Rath gegeben, ihre Mutter, den Magistrat der Insel Trinidad und Dr. M… von ihrer Lage zu benachrichtigen und, da die Farbigen nie ordentlich lesen und schreiben lernen, in ihrem Namen es selbst gethan. Die Briefe hatte ich Poste restante adressiren lassen, was auf dem Lande bei Frau H’s. Einflusse kaum möglich gewesen wäre. Auf diesem Wege erhielt Mary Nachricht von ihrer Mutter, daß der Magistrat ihrer Heimat versprochen habe, die Mistreß zu Erfüllung ihres Gelöbnisses anzuhalten. Die H., welche mit demselben Schiffe Nachricht von dort erhalten hatte, war außer sich, ihre Pläne vereitelt zu sehen und ihr erster Verdacht fiel auf mich, weil der Brief an ihre Tochter in einem fehlerhaften Englisch geschrieben. Die üble Behandlung, die sie mir dafür zu Theil werden ließ, schmerzte mich weniger, als die Trennung von meinen beiden Freundinnen. Da Fräulein H. trefflich portraitirte, so zeichnete sie Mary und mich, nahm auch noch Copieen für sich davon. Bei meinem Abgange brachte ihre Mutter wieder ihre bekannten medizinischen Rechnungen nebst zwei Pfund Ueberschuß, so daß jedesmal die angebliche Instandhaltung meiner Gesundheit acht Pfund vierteljährlich kostete. Mein Abschied von meinen Freundinnen und der kleinen Oriana war herzlich und schmerzlich und voll Schwüre ewiger Freundschaft.