Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Vierundzwanzigstes Kapitel

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Dreiundzwanzigstes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Fünfundzwanzigstes Kapitel
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Vierundzwanzigstes Kapitel.




Wir hatten uns in kurzer Zeit auf der Alhambra vortrefflich eingerichtet und uns mit allen heimischen Annehmlichkeiten umgeben. Ein herrlicher Flügel schmückte unsern Salon, und Madame D. hatte mir eine prachtvolle spanische Guitarre geschenkt. – Wenn wir Beide nun vierhändig spielten und sangen, dann versammelten sich sämmtliche Bewohner auf dem Paseo vor unserem Hause und gaben uns ihren Beifall jeder nach seiner Art zu erkennen. Bald waren wir der Gegenstand allgemeinen Interesses unter ihnen, ja sogar die Fonda erhielt täglich lebhafteren Zuspruch von solchen, die das concierto de las estrangeras hören wollten, und wenn ich Abends in unserem Patio Guitarre spielte, wohl auch Lieder aus der Heimath sang, dann kamen die musik- und tanzliebenden Spanier und Spanierinnen herzu und bildeten malerische Gruppen um uns. Oft ergriffen sie auf meine Bitte auch selbst die Guitarre und spielten uns nationale Lieder und Tänze vor, wobei wir nicht selten das charakteristische Schauspiel eines improvisirten Balles genossen.

Um uns mit den Schönheiten dieser unvergleichlichen Gegend bekannt zu machen, fuhren wir gewöhnlich ganz früh Morgens aus und durchkreuzten die elysischen Fluren in allen Richtungen, oder vertieften uns in das blühende Thal des Jenels und die Felsenschluchten des Darrothales. Bei diesen Gelegenheiten betraten wir manche elegante Casa de Recreo und ländliche Posada, theils um uns zu erfrischen, theils um in eine vorübergehende Beziehung zu ihren Bewohnern zu treten, wodurch [218] wir manchen schönen Zug des spanischen Charakters, wie so manches Familien- und Sittengemälde zu beobachten Gelegenheit bekamen. Wir bestiegen auch eines Nachmittages den Gipfel der Silla del Moro, wo wir auf eine Menge Höhlen stießen, von denen die Granadiner behaupten, daß sie als Gräber für ihre Könige gedient hätten. Einige behaupten wieder, es seien Behälter zur Aufnahme des Regens gewesen. Ferner sieht man hier die Trümmer der Verschanzungen, welche die Franzosen 1808 anlegten. Dieser Punkt bietet eine der großartigsten Fernsichten der Welt dar, wie die Reisenden behaupten, und wenigstens ich kann mir nicht verstellen, daß sie übertroffen werden könne. Auf einer Seite entrollte sich das majestätische Panorama der Sierra Nevada, deren blendende Schneekuppen in der glühenden Abendsonne alle Farben des Regenbogens spielten und deren Prismen gleich Diamantenkronen auf ihren Häuptern strahlten. Gerade zu unseren Füßen lag im rothen Abendscheine der Gineraligh mit seinen dunkeln Cypressen- und Granathainen, deren glänzende Blätter von flüssigem Golde überflossen schienen. Tiefer tauchten die im Schatten ruhenden Thürme der Alhambra auf, wie Riesen hervorragend aus dem verschwimmenden Häusermeere von Granada, um dessen Kuppeln, Thürme und Dächer sich ein weicher, durchsichtig-violetter Schleier wob, der in großer Ferne allmälig in helles Rosenroth überging. Dann folgten die ebenen Fluren der Vega, aus deren smaragdenen Olivenwäldern und Gärten zahllose Gehöfte, Villen, Schlösser und Kirchen glühend roth wie brennende Fackeln hervorleuchteten; am äußersten Horizonte, der in Abendroth flammte, waren diese Gefilde von den himmelblauen goldumsäumten Felsenriffen von Illora und Maclin umschlossen. Zur Rechten öffnete sich die ganz in Schatten versenkte Schlucht des Darrothales, dessen gegenüberliegende Hügel alle Nuancen von Violett spielten, bis sie am Fuße in Schwarz endeten. Links liegt das lachende Thal des Jenil mit seinen grünen Weinreben und schattigen Wäldern. Als die Sonne schon hinter den schwarzblauen Kegeln der Sierra Elvira versunken war, der Gineraligh, Granada und die Vega schon in die Schatten der Dämmerung gehüllt lagen, erschien der höhere Theil des Schneegebirges noch in hell violetten Tinten, die je höher desto purpurner und glänzender wurden, bis die Spitzen in das glühendste Dunkelroth übergingen. Allmälig verwandelte sich auch dieses in Rosenroth, dann in Violett, und plötzlich lag die ganze Sierra in Nacht verhüllt, und die ernsten Berghäupter traten nur [219] noch durch ihre Schneefelder aus dem azurnen Hintergrunde des sternbesäeten Himmels hervor.

Da diese wie alle südlichen Gegenden wegen ihrer verdünnten Atmosphäre und der senkrechteren Sonnenstrahlen eine sehr kurze Dämmerung haben, so kehrten wir beim Licht einer Fackel, womit wir unseren Führer versehen hatten, in die Alhambra zurück, kleideten uns um und begaben uns in das Theater.

Nach einem Aufenthalte von vier Wochen verließen wir Granada, und der Abschied von dieser herrlichen Stadt und ihren interessanten Bewohnern war einer der schmerzlichsten, deren ich mich erinnere. Eine wahre Beruhigung war es mir, daß ich die Alhambra, ganz speziell aber unsere Wohnung daselbst, wie auch die schönsten Ansichten von den Umgebungen gezeichnet hatte, an denen ich mich im grauen Norden zu laben hoffte.

Mitte Oktober traten wir bei einer angenehmen Temperatur und freundlichem Himmel unsere Reise nach Malaga an, wohin uns der Weg zunächst über die Vega führte. In dem weiten Flußthale des Jenils, strahlend von Fruchtbarkeit wie die Ebene von Granada, tief im Gebirge, an einer romantischen Stelle, wo der Fluß die Berge von Anteguera und Montefrio durchbricht, liegt das jetzt unbedeutende Städtchen Loja an einem sich steil erhebenden Hügel, auf dessen höchsten Felsenkuppen ein stattliches Castell thronet. Ringsum thürmen sich zackige Felsen empor, daher das Wappen der Stadt: eine von Dornen umringte Rose mit der Devise „una flor entre las espinas“ - eine Blume unter Dornen.

Der Gasthof war ziemlich schlecht, aber wir mußten hier übernachten und hatten daher Gelegenheit, einem interessanten Schauspiele[WS 1] beizuwohnen. Eine Truppe Zigeuner führte nämlich den Fandango, die Cachucha, den Bolero und einige ihrer eigenen Tänze mit jener Meisterhaftigkeit auf, die wir schon in Granada wahrgenommen hatten. Diese Tänze, welche eine Menge Formen pantomimischer Liebeserklärungen vorstellen, waren mitunter etwas obscön; allein man konnte ihnen wegen der seltenen Grazie der schönen Tänzer und Tänzerinnen und ihrer melodischen Stimmen, mit denen sie die Musik theilweise begleiteten, die Bewunderung nicht versagen. Ihre gerundeten Gestalten waren in die schönsten andalusischen Costüms gekleidet, und ihren Castagnetten wußten sie bald den lockenden Ausdruck der Liebe, bald das ängstliche Schwirren [220] der Sehnsucht, bald den Charakter des Spottes und Zornes zu geben. Und wenn die Mädchen dann, das Tamburin mit beiden Händen spielend, ihre runden Arme erhoben, während sie auf der Spitze eines Fußes schwebten, so glaubte man wirklich Huldgöttinnen zu erblicken. Sobald der Morgen graute, brachen wir auf und setzten unsere Reise durch die unwirthbaren Berge der Sierra, deren Felsen uns durch die Dunkelheit wie drohende Riesen anstarrten, rüstig fort. Als wir gegen Mittag aus dem Geklüft heraustraten, öffnete sich unseren Blicken eine wonnige Aussicht auf ein buschiges Hügelland, hinter dessen Kuppen der Meeresspiegel hervorblickte, während es im Westen von den Bergketten der Sierra Ronda begrenzt ward.

Zu unseren Füßen lag ein weites Thal, und in Mitte von Rebengelände das Städtchen Colmonar. Ueberall sah man Weinberge, die den berühmten Malaga hervorbringen, und unzählige schneeweiße Winzerhäuser schimmerten freundlich aus den üppig belaubten Weingärten hervor. Um ein Uhr erreichten wir die Fuente de la Reyna, einen hellen Brunnen, von wo aus wir die reiche Ebene von Malaga erblickten, durch welche der Rio da Guadalhorco sich windet. Ueber ihr glänzten die Kuppen der Sierra de Mijas, die ganz dunkelblau am westlichen Ende der Vega lag, und gerade unter uns schienen die weißen Häuserreihen von Malaga aus den blauen Meeresfluthen aufzutauchen, überragt von dem hohen Kuppelthurme der majestätischen Cathedrale. Unser Wagen verfolgte die vielen Krümmungen, in welchen die Straße sich durch die Rebenhügel windet, und als wir den letzten Abhang hinabflogen, glänzten die dreieckigen Fischersegel wie zuckende Flammen auf dem Meeresspiegel hin und her und die Abendsonne vergoldete schon die westlichen Zinnen und Thürme von Malaga.

Es war ein herrlicher Abend, und nachdem wir im englischen Hotel abgestiegen waren und an der Table d’hôte gespeist hatten, machten wir einen Spaziergang, um beim Lichte des Leuchtthurmes den Hafen zu besehen. Ein magischer Anblick! Auf der Cortina del Muollo, oder dem Hafen-Quai, welcher von einer Reihe hoher, balcongezierter Paläste geschmückt ist, wimmelte es von Menschen, welche theils promenirten, theils vor den Kaffeehäusern saßen und dem Spiele wandernder Musikanten zuhörten. Wir richteten unsern Weg nach dem herrlichen, 3916 Fuß langen Molo, an dessen Ende der riesige Leuchtthurm steht, und betrachteten von hier aus das nächtliche Panorama. Viele hundert [221] Schiffe lagen im Hafen, und von einigen tönte der Gesang der Lootsen dumpf herüber. Jetzt steuerte der Mond am sternbesäeten Nachthimmel hinter der Kuppel der Domkirche herauf und stellte ihre Verzierungen in tiefen Schatten, während durch ihre Bogen sein magisches Licht strömte, so daß es bisweilen aussah, als stürze eine Fluth durchsichtiges Silber hindurch. Von hier wandten wir uns nach der Alameda, die sich vom Hafen bis an den Guadalmedina erstreckt und ganz von palastartigen Gebäuden eingefaßt ist. In der Mitte derselben liegt die öffentliche Promenade, ganz aus exotischen Bäumen gebildet und mit antiken Marmorbüsten und Fontänen geziert. – Wir betrachteten lange das Treiben der eleganten Welt, welche hier versammelt war, und ich hörte mehrmals die deutsche Sprache von Vorübergehenden.

Wir verweilten einige Tage in Malaga und besuchten die Merkwürdigkeiten, zu denen namentlich die Alcazaba, das Castillo Gibralfaro und die Kathedrale gehören. Erstere ist ein kleines, von alten Festungsmauern umgürtetes Viertel am östlichen Ende der Stadt, zwischen dem Hafen und dem Hügel, auf dessen Gipfel sich die Wälle des Gibralfaro erheben, und deren alterthümliche Mauerthürme mit Hufeisenbogen, so wie die ganz schmalen orientalischen Gassen noch an die Araberherrschaft erinnern. Dies Viertel war einst ein stark befestigtes Schloß der Könige von Granada, und ein schönes maurisches Thor führt noch nach dem Inneren seiner stolzen Zinnen, es ist jedoch dermalen mit armseligen Hütten angefüllt. Die vormalige Hauptveste des maurischen Reiches, el Gibralfaro, dient noch als Fort und kann ohne die Erlaubniß des Commandanten nicht erstiegen werden. Von seinen Wällen hat man einen herrlichen Blick auf den Hafen und seine hervorspringenden Mauern, welche nichts anderes sind als die Felsen der Sierra de Mijas. Bei klarem Wetter kann man die röthlichen Felsen des hohen Gibl-al-Kibir unweit Ceuta in Afrika erkennen, obgleich die Entfernung 18 deutsche Meilen beträgt.

Am südlichen Fuße des Castellberges liegt der prachtvoll ausgestattete englische Friedhof mit seiner geschmackvollen Capelle, das Ganze von stattlichen Parkanlagen umgeben. Die der Maria de la Encarnacion geweihte Kathedrale ist das interessanteste Gebäude von Malaga, im edelsten florentinischen Style ganz aus weißem Sandstein erbaut. Der 267 Fuß hohe Glockenthurm endigt in einer schönen Kuppel, die über alle anderen Thürme der Stadt hoch empor ragt. Das Innere zerfällt [222] in drei Schiffe, deren Boden aus einem Getäfel großer polirter Platten weißen und rothen Marmors besteht. Die Kapelle und der Altar de la Encarnacion sind mit den prächtigsten Marmor Verzierungen und einer Geburt Christi von Murillo geschmückt. Das Chor ist ein Meisterwerk von Schnitzerei und mit trefflichen Basreliefs des berühmten Dom Pedro de Mena geschmückt. Die Frauen von Malaga Malaguenas genannt, gelten nach denen von Cadix als die schönsten, geistreichsten und gebildetsten in Andalusien, und zeichnen sich durch ihren feinen Ton aus. Eine gebildete Malaguena, selbst wenn sie nicht schön ist, wird doch stets durch den Klang ihrer Stimme, Blick, Mienenspiel, Bewegung, Haltung und den Geist der Rede fesseln. Diese Eigenschaften im Bunde mit einem hellen Verstande bezeichnen die Spanier treffend als Sal de la Muger, das Salz des Weibes, und geben ihm den Vorzug vor der plastischen Schönheit. Aber auch die Männer sind sehr interessant, obgleich der National-Charakter hier weniger als im Inneren Spaniens hervortritt, weil er durch den ununterbrochenen Umgang mit Fremden sehr abgeschliffen wird.

An einem sonnenlichten Nachmittage nahmen wir auch von diesem irdischen Paradiese Abschied und begaben uns an Bord des Dampfers Peninsula, um nach Lissabon zurückzukehren. Alles war Leben auf dem Schiffe wie am Lande, was reichen Stoff zu Betrachtungen bot. Schiffsleute, Passagiere, Lastträger, Beamte, Jung und Alt, Männer und Weiber, Alles rannte durcheinander, schrie, tobte, fragte, fluchte, stieß sich, drängte sich – das Ganze ein ungeheuerer Ameisenhaufen, das Deck ein Nudeltopf, halb zum Lachen, halb zum Todtärgern. – Der Himmel war zwar heiter, jedoch lagerten einige weiße Wolken wie Schneegebirge am südlichen Himmel, die sich nach und nach gen Norden zogen. Mit Sehnsucht seufzten wir dem Augenblicke entgegen, da man die Anker lichten sollte, denn wir hofften noch die schönen Küsten Spaniens heute vom Meer aus zu sehen. Um sechs Uhr gab endlich der Kapitain den Befehl, die Anker zu lichten, die Schiffsglocke schallte laut, die Maschine ächzte und pustete, und nach wenigen Minuten hüpfte das schöne Boot leicht und graziös auf der Spiegelfläche des Hafens dahin. Am tiefblauen, unergründlich durchsichtigen Westhimmel flammte die Abendsonne mit der Kraft einer bengalischen Riesenflamme und übergoß die Sierra Mejiga wie das Meer mit einem blendenden Feuer, vor dem man die Augen mit der Hand schützen mußte. Malaga stand wie ein großes [223] hellbeleuchtetes Amphitheater vor uns, die Fenster der Häuser und Kirchen blickten uns wie Augen ängstlich flimmernd nach, und außerhalb des Hafens ging die See schon so hoch, daß das Spazieren auf dem Decke unmöglich war. Gegen acht Uhr erhob sich ein starker Südwestwind und auf dem Schiffe entstand plötzlich eine lebhafte Bewegung, denn der Capitain donnerte einen Befehl nach dem anderen durch das Sprachrohr, die Segel wurden gerefft und das Steuer gewendet. Das Boot arbeitete sich wüthend durch die brüllenden Wellen gegen Süden, jetzt auf die Spitze eines solchen Wasserberges, der sich wie ein rasend gewordener Leviathan bäumte, hinaufschießend, als wolle es das Ungeheuer am Kopfe niederreißen, jetzt in den Abgrund wie ein Geier aus der Luft hinabstürzend, so daß der Schlot aus einer horizontalen Lage in die andere fiel und man die Macht des Gleichgewichtes bewundern mußte, die das Schiff vor dem Umschlagen bewahrte. Wir krochen ganz durchnäßt von Seewasser in unsere Cajüte, und Madame D. gelangte mit größter Mühe in ihre Coje. Das Wimmern und der Geruch waren hier aber so furchtbar, daß ich eben wieder hinauf krabbeln wollte, als ich zu Boden geschleudert ward und ein dumpfes Brausen und entsetzliches Durcheinander schreiender Stimmen entstand. In der Kajüte schrieen Alle: „Wir sind gestrandet, wir sind verloren!“ und einige Passagiere wälzten sich aus ihren Cojen, andere schrieen und rangen die Hände. Sobald ich mich aufgerafft hatte, kroch ich die Treppe hinan, eine Sturzsee rollte über das Deck und überschüttete auch mich, während ein Matrose herabeilte und bei einem Haare mich die Treppe hinunter geschleudert hätte. Das Schiff schwankte entsetzlich hin und her, ohne sich jedoch vorwärts zu bewegen, und auf dem Verdeck war ein fürchterliches Hin- und Herlaufen, lebensgefährliches Umherrollen schwerer Lasten und Schreien zahlloser Stimmen. Ich hielt mich am Treppengeländer an, von wo aus ich ein schreckliches Schauspiel beobachten konnte. Ein kleiner Kutter war gegen unser Schiff geworfen worden, hatte das Steuer verloren und war jedenfalls rettungslos, denn die Peninsula hatte beigelegt und man war soeben bemüht, die Schiffbrüchigen an Kabeln auf unser Deck zu ziehen. Der Capitain des Kutters beschwor den unsrigen, wenigstens einen Theil seiner Ladung mit an Bord zu nehmen, aber schon lösten sich die Planken seines Fahrzeuges, das Wrack entglitt den Grappeleisen, der Capitain sprang mit einem Tau um den Leib in See, ward aber sogleich durch die donnernden Wogen zurückgerissen, worauf [224] der Rumpf des Kutters von ihnen augenblicklich verschlungen ward. – Die erste Empfindung der Retter wie der Geretteten, der Passagiere wie der Mannschaft beider Fahrzeuge, war Freude, denn alles, was der Mensch hat, giebt er für sein Leben hin; aber nie werde ich den traurigen Anblick der braven Seeleute vergessen, die jetzt als nackte Bettler vor uns standen und händeringend ihre Habe in die Tiefe sinken sahen. Der Sturm ward inmittelst immer heftiger und ich dermaßen seekrank, daß ich endlich ganz gleichgiltig gegen alles war, was um mich her vorging. Plötzlich legte sich das Schiff so auf die Seite, daß ich mit mehreren Reisenden aus der Coje kollerte, worauf ich mich mühsam die Treppe hinauf schleppte. Oben angekommen, sah ich, daß das eine Rad des Dampfers ganz in freier Luft wirbelte, und eine gegen uns heranrollende haushohe Welle sich über uns zu stürzen drohete. Wäre dies geschehen, so hätte sie uns jedenfalls in den Abgrund versenkt; aber indem ich die Katastrophe erwartend einen gellenden Schrei ausstieß, brach der Wasserberg auf einmal donnernd zusammen und spritzte ungeheuere Massen zischenden Schaumes über uns hin. Das Meer war in unbeschreiblicher Aufregung, es schien von tanzenden und jauchzenden Dämonen zu wimmeln, es war ein Donnern, Zischen, Brausen, Pfeifen und Heulen in Luft und Wasser, das nur von Millionen höllischer Stimmen herrühren zu können schien. Die ganze Nacht tobte und raste es so fort, bis endlich gegen Morgen die Wuth der Elemente gestillt schien, gleich als hätten sie sich nun überzeugt, daß es ihnen nicht gelingen werde, uns auf die Küste zu schleudern; denn dieses Unglück hatte der Capitain befürchtet. Aber die Gefahr war noch nicht überstanden, denn wir näherten uns jetzt den Felsenriffen der Punta de Europa, an der schon so manches Fahrzeug zertrümmert ist. Die Brandung ging so hoch, daß der Leuchtthurm bisweilen von Wogen fast bedeckt war, indem diese bis an die Laternen hinauf peitschten; erst nach längerem Kampfe gelang es der Peninsula, den gefährlichen Punkt zu umsteuern, worauf die von hohen Thürmen und Wällen gekrönte Festung Gibraltar vor uns empor leuchtete, indem die Morgensonne auf einmal mit Macht und Pracht alle Geister der Finsterniß und des Abgrundes nach allen Weltgegenden hin verjagte. Dieser Wandel ist unbeschreiblich großartig, sogar nirgends und niemals auf dem Festlande zu erleben, denn plötzlich leuchtete der strahlende Dom des Himmels, wo kurz vorher noch Nacht und Grauen herrschten, über einer zwar noch hoch gehenden und rollenden [225] See, die aber mit dem schreckenvollen Meere von vorhin kaum eine Aehnlichkeit mehr hatte. Es war, als ob sich ein grimmiger Löwe plötzlich aus einem blutschnaubenden Ungeheuer in ein weidendes Lämmchen verwandelt hätte.

Im Hafen von Gibraltar angelangt, setzten wir die Mannschaft des verunglückten Kutters, lauter Engländer, an’s Land, und da die Peninsula sich einige Stunden hier aufhielt, so erstiegen wir die steilen Gassen, den Fuß des schwarzen Felsens und endlich die Wälle der Festung, von welchen aus wir die Küste des andern Welttheils erblickten. Die herrlichen Anlagen der öffentlichen Gärten prangten von tropischer Vegetation, baumhohe Schäfte der Aloë wuchsen aus Felsenritzen, wie bei uns die Kiefern, und zeichneten sich äußerst prachtvoll vor den übrigen Gewächsen aus.

Obwohl unsere Augenblicke hier gezählt waren, konnte ich mir doch nicht versagen, die Tochter von Mistreß St. aufzusuchen, um ihr mein Beileid am Tode ihrer guten Mutter zu bezeigen, und ungeachtet sie noch in tiefer Trauer war, nahm sie mich dennoch sehr freundschaftlich auf. Nachmittag 3 Uhr bestiegen wir wieder das Dampfschiff und schwebten bald darauf zum Golf hinaus. Um 6 Uhr erreichten wir die Höhe der Stadt Tarifa (südlichster Punkt von Europa), deren hohe Waldberge sie zärtlich zu umarmen schienen, und der Leuchtthurm ragte kühn aus dem Eilande hervor, das hoch inmitten der See lag. Die Sonne stand bereits am westlichen Rande des Horizontes, als wir die blendenden Minarets und das hochgethürmte Castell von Tanger aus den dunkeln Bergen, welche die Stadt umschlingen, hervortreten sahen und hinter diesen die Schneekuppen des Atlas erblickten. Ich weidete mich lange an diesem reizenden Bilde, bis die letzten Schatten desselben am Horizonte verschwanden und die Nacht ihre Schleier über das Meer breitete. Da wir in der vorigen Nacht keinen Schlaf, sondern nur Angst und Schrecken genossen hatten, begaben wir uns heute zeitig zu Bette und erwachten erst, als die Sonne schon aufgegangen war und wir uns in der Bay von Cadix befanden. Wir benutzten die kurze Zeit, während welcher das Schiff hier lag, um unsere frühere Fonda hier aufzusuchen, und wurden sowohl von den Wirthsleuten wie von Antonia und ihrer Familie auf das herzlichste bewillkommnet. Nach dem Genusse eines schmackhaften Frühstücks besahen wir nochmals die herrliche Stadt mit ihren pompösen Ansichten nach allen Richtungen hin. Meine Erzählung [226] von der schönen Dolores in Sevilla machte große Freude und erhöhete das Interesse dieser gutmüthigen Menschen für mich noch um ein bedeutendes. Sie begleiteten uns bis an den Hafen und winkten uns noch lange mit ihren weißen Tüchern zu, als wir schon lustig hinaus dampften. Ich konnte mich der Thränen nicht enthalten, als ich dieses Land verließ, an dessen Volke ich so unzählige schöne und edle Züge gesehen hatte, ohne je eine Spur von Niederträchtigkeiten zu entdecken, und indem ich mir die schönen Eindrücke zurückrufe, welche es zu jeder Zeit auf mich gemacht hat, kann ich nicht umhin, dem spanischen National-Charakter vor jedem andern den Vorzug zu geben. Gewiß tragen zu der Uneigennützigkeit und Großmuth desselben das glückliche Klima und der verschwenderische Boden seines Landes das meiste bei; vielleicht hat sogar die Großartigkeit und der Zauber der Natur durch die Schönheit und Erhabenheit ihrer Eindrücke einen noch mächtigeren Antheil daran, vielleicht wäre der Spanier unter ungünstigeren Verhältnissen auch ein anderer. Und doch, wenn ich an die Griechen und Italiener denke, deren Vaterland auch zu den bevorzugtesten Ländern des Welttheils gehört, und deren Geschichte auch mit der spanischen so viele Berührungspunkte hat, so muß man doch sagen, daß der Volkscharakter im Blute und in der Raçe liegt.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schanspiele