Der Unfried

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Autor: Ludwig Ganghofer
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Titel: Der Unfried
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34–53
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[549]

Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
1.

Nicht ein einziges Wölklein trübte das satte, sommerliche Blau des über Berg und Thal gespannten Himmels; auch die bläulich grauen Rauchsäulen, die von den Dächern[WS 1] mit trägen Wirbeln senkrecht in die Höhe stiegen, erweiterten sich mählich zu dünnem Dunste und zerflossen spurlos in den von Sonnengluth erfüllten Lüften. Die nahen Berge waren von flimmerndem Duft umwoben und schienen in stundenweiter Ferne zu liegen. In dem dunkelgrünen Tann, der sich von steiler Höhe [550] den Wiesen des Dorfes entgegensenkte, rührte kein Windhauch die Wipfel und Zweige. Man hörte nur das schläfrige Gemurmel der spärlich rinnenden Bächlein, die durch Bergfurchen und Felsenschrunde ihren Weg zum Thale suchten und den Schatten des Tannenwaldes verließen, um beinahe lautlos dem breiten, sacht rauschenden Bach entgegenzueilen, der einem hellblitzenden Silberbande gleich das Dorf in weitem Bogen umspannte, in kleinen Laubgehölzen sich verlor und wieder aufblitzte zwischen Wiesen und zwischen Getreidefeldern, auf denen das Grün der hoch stehenden Halme schon in das fahle Gelb der Reife sich zu wandeln begann.

Auf den Wiesen gaukelten weiße Falter von Blume zu Blume; über den Getreidefeldern standen schwärzliche Schnakensäulen in der vor Hitze zitternden Luft, und auf der Straße sumsten die grauen Bremsen und blaugrünen Fliegen um die heißen, verstaubten Steine.

Sonst nirgends eine Spur von Leben in der weiten Thalflur. Auf den Wiesen keine Mähder, auf den Feldern keine Schnitter, kein brüllendes Rind, kein Roß im Geschirr und nirgends ein Gefährt. Es war ja Sonntag – und dazu diese Sonne, diese drückende, glühende, sengende Sonne! Selbst die Schwalben hatten sich müd und schläfrig unter die vorspringenden Dächer geduckt. In den Grasgärten lagen die Hühner und Enten regungslos im spärlichen Schatten der nach Regen lechzenden Obstbäume. Aus den geschlossenen Ställen ließ sich kein Klirren vernehmen, kein Brüllen und kein Wiehern. Oder brüllten die Rinder, wieherten die Rosse, zerrten sie, gefoltert von der Hitze ihrer dumpfen Mauerkeuchen, an ihren Ketten? – und erlosch ihr Lärmen nur unter den Stimmen der „Sonntagsruhe“, welche die Menschen im Dorfe hielten, unter dem Schreien und Kreischen der Kinder, die auf der Straße ihre tobenden Spiele trieben, unter dem schnatternden Gelächter der Dirnen und Weiber, die sich auf den Hausbänken in der brennenden Sonne so wohl zu fühlen schienen, als säßen sie im kühlsten Schatten? Unter dem johlenden, mißtönigen Gesange, der aus den offenen Fenstern der überfüllten Wirthsstube hallte, und unter dem Lachen, Schelten und Schreien, das sich vom Wirthsgarten her vernehmen ließ und sich vermischte mit dem Poltern der rollenden Kugel und dem Gerappel der fallenden Kegel?

Ein armes Ding, so eine Kellnerin im Dorfe, deren eigentlichster Werktag der Sonntag ist! Da rennt sie hin und her zwischen Haus und Garten, athemlos, mit dunkel gerötheten Backen, das Gewand und die weiße Schürze naß von verschüttetem Biere. Kaum ist sie mit den leeren Trinkgeschirren im Hause verschwunden, so kommt sie schon wieder über die Schwelle gehastet, in jeder Hand fünf steinerne Krüge, von denen der Schaum in dicken Flocken niederrinnt. Keuchend erreicht sie die Kegelbahn; ein Dutzend Hände strecken sich ihr entgegen, im Nu ist sie ihrer Bürde ledig, und ehe sie noch recht weiß, von wem sie ihr Geld zu fordern hat, werden ihr schon wieder von allen Seiten leere Gläser und Krüge in die Finger gedrückt und auf die Arme geschoben. Schelten und keifen muß sie, um zu ihrem Gelde zu kommen, und muß sich mit stoßenden Armen umherbalgen in dem dichten Knäuel der hemdärmeligen, von Trunk und Spiel berauschten Bursche. Schreiend, spottend und streitend schieben und drängen sich die Spieler durch einander, die Kugel poltert, die Kegel rasseln, und auf dem „Laden“ klirren und klappern die Markstücke und die blanken Thaler.

Draußen über der Kugelrinne stehen in langer Reihe die Zuschauer, theils solche, die gern mitthäten und mit Aerger das magere Beutelchen in der Tasche befühlen, theils aber auch solche, welche mißbilligend dieses mehr prahlerische als leichtfertige „Umwerfen“ mit dem sauer verdienten Gelde verfolgen.

Zu diesen letzteren mochte wohl auch der Bursche zählen, der jetzt aus der Schar der Zuschauer sich loslöste, den Wirthsgarten verließ, die Straße überschritt und dem offenen Felde zu strebte.

Es war eine schlanke, elastische Gestalt von jugendlicher Kraft und Frische. Der Bursche hätte nicht die blaue Dragonerhose mit den rothen Streifen tragen müssen, schon die stramme Haltung und der feste Gang hätten verrathen, daß es noch nicht allzu lange her war, seit er den Rock des Königs wieder mit der Lodenjoppe vertauscht hatte.

Er trug diese Joppe lose um die Schultern gehängt, und unter ihr zeigte das faltige Hemd im grellen Sonnenschein ein blendendes Weiß, von welchem sich der hochrothe Zackenbesatz der Hosenträger schimmernd abhob.

Der Wohlstand des Hauses, das der Bursche sein Heim nannte, verrieth sich in der schweren Silberkette, die an der offenen, grünen Weste baumelte, in den großen, theuren Hirschhornknöpfen der Joppe und in den zwei hohen, buschigen, werthvollen Adlerflaumstämmchen, die eine schmucke Zierde des grünen Hutes bildeten. Schief und keck saß dieser Hut über dem glänzend braunen Haar; nur kärglich beschattete er mit seiner schmalen Krempe das gesunde, sonnenverbrannte Gesicht, dem das spitz aufgedrehte Schnurrbärtchen über den schwellenden Lippen einen leichten Zug von Stolz und Trotz verlieh, wogegen freilich der gutmüthige, sorglose Frohsinn Einsprache erhob, der aus den braunen Augen leuchtete und lachte.

Raschen Ganges schritt der Bursche über die Wiesen dahin und lenkte auf schmalem Pfade seitwärts zwischen die hohen Aehrenfelder, verfolgt von sumsenden Fliegen. Manchmal blieb er stehen, blies die Backen auf, lüftete den Hut und brummte grollend vor sich hin. „Saxen! Saxen! Is das a Hitz’! Verschmelzen möcht’ Einer gleich!“ Und wieder schritt er seufzend weiter auf seinem Wege.

Aber es war ja kein Weg, den er machte – es war ein Umweg. Denn jenen Hügel, dem er sich nach halbstündigem Marsche zuwandte, hätte er vom Dorf aus in wenigen Minuten erreichen können, wenn er dem breiten Sandsteige gefolgt wäre, der von der Dorfstraße zu jener Höhe emporführte, über deren Linden ein Kirchlein sein spitzes, braunrothes Thurmdach reckte.

Je näher der Bursche den Büschen kam, die den Fuß des Hügels umsäumten, desto langsamer wurden seine Schritte, desto flinker aber die spähenden Blicke, mit denen er durch die Lücken des Laubwerks die grasige Plattform musterte, auf welcher das Kirchlein sich erhob.

Jetzt spielte ein fröhliches Lächeln um seine Lippen, und während er leise mit der Zunge schnalzte, nickte er mit blinzelnden Lidern vor sich hin. Lautlos stieg er zwischen den Büschen empor. Als er die Plattform erreichte, blieb er stehen und theilte mit den Armen das Laubwerk. Wenige Schritte vor ihm stand eine riesige Linde, deren knorriger Stamm von einer verwitterten Holzbank umzogen war. Ein Strohhut mit einem verblichenen blauen Bande und ein plumper Sonnenschirm lagen auf dieser Bank, und daneben saß das Mädchen, dem die Sachen gehörten. Ein schwarz und blau gewürfeltes, verwaschenes Perkalkleid verhüllte den jugendlichen Körper, dessen schlanker Wuchs und knospende Formen trotz der starren Falten des halb schon verwaschenen Gewandes noch in gefälliger Weise sich verriethen. Unter dem Röckchen lugten die gekreuzten Füße hervor, in schneeweißen Strümpfen und mehrfach gestickten, aber spiegelblank gewichsten Schuhen. Die Hände hielten ein Strickzeug und rührten emsig die Nadeln. Es waren zwei braune Hände, die an Arbeit gewöhnt schienen. Auch auf den Wangen des schmalen, mehr kindlichen als mädchenhaften Gesichtes lag ein leichtes Braun, welches jedoch bei dem tiefen Schwarz der Haare, die in zwei schweren Flechten um die Stirn geschlungen lagen, weniger zur Geltung kam. Die Lippen zeigten ein frisches, feuchtes Roth, und in lichter Bläue glänzten die Augen, die das Mädchen in kurzen Zwischenräumen mit fürsorglichen Blicken zu dem kleinen Korbwagen hob, der nahebei im besten Schatten stand und unter dem grünen Vorhang des aufgeschlagenen Dächleins in geblümten Kissen das bausbackige Gesicht eines schlummernden Kindes gewahren ließ.

Nun wieder einmal hob das Mädchen die Augen; diesmal aber zu den raschelnden Büschen. Ein tiefes Roth überflog seine Wangen, als es den Burschen gewahrte, der mit freundlichem Nicken und Lächeln auf die Linde zugeschritten kam.

„Grüß’ Dich Gott, Sanni!“

„Grüß’ Dich Gott, Karli!“ gab das Mädchen leis entgegen und beugte das glühende Gesicht tief über die zitternden Nadeln.

„Hast Dich auch a Bißl in’ Schatten g’macht?“

„Ja, a Bißl.“

„Hast schon Recht! Heut’ leidt’s ein’ schon in der Kühlen! Da möcht’ ja gleich einer in’ Boden ’neinschliefen, bloß daß er der [551] Sonn’ vertrinnt.“ Damit stand der Bursche vor Sanni, lüftete seufzend den Hut und blickte lächelnd auf das emsig strickende Mädchen nieder. „Is verlaubt?“ frug er nach einer Weile, schob Hut und Sonnenschirm bei Seite und setzte sich langsam auf die Bank.

„Aber ich bitt’ gar schön!“ erwiederte Sanni, von Neuem erröthend, und rückte hastig auf die Seite.

„Ja geh’, was bleibst denn net sitzen!“ schmollte Karli und rückte nach. „Is ja Platz g’rad g’nug! Ah – Saxen! Saxen! So a Hitz’!“

„Ja! So a Hitz’!“ bestätigte Sanni, legte das Strickzeug in den Schoß und drückte die Hände auf die glühenden Wangen.

„Es ist schon fürchtig! Aber wirst es sehen, Sanni, das kann net so fortdauern über Nacht. Da kommt noch ’was bis auf ’n Abend.“

„Ja, ich hab’ mir’s selber schon ’denkt.“

Fast gleichzeitig neigten sie sich vornüber, um durch die Bäume nach dem westlichen Himmel auszuschauen. Dabei berührten sich ihre Schultern, und das schienen die Beiden gar nicht zu bemerken, denn lang und ruhig hielten sie in dieser Stellung aus.

„Ganz blau – noch Alles ganz blau!“ versicherte Sanni endlich mit einem stockenden Seufzer und meinte den Himmel.

„Ja, wunderschön blau!“ erwiederte Karli lächelnd und meinte damit Sanni’s Augen. Ganz merklich drohte er dabei das Gleichgewicht gegen des Mädchens Seite hin zu verlieren – und er kippte mit dem Ellbogen fast bis auf die Bank nieder, als Sanni plötzlich aufsprang, um eine Hummel zu verscheuchen, welche sumsend das Dächlein des Korbwagens umflog. Dann neigte sie sich über das kleine Gefährt und strich mit sanfter Hand dem schlummernden Kinde die dünnen Härchen aus der Stirn. Fürsorglich zog sie die grünen Vorhänge zu, umschritt mit musternden Blicken den Wagen und setzte sich auf die andere Seite der Bank, wobei sie gar nicht zu gewahren schien, daß Hut und Sonnenschirm nun zwischen ihr und dem Burschen lagen.

Karli aber zog die Brauen hoch, betrachtete mit scheelen Blicken die beiden Sachen und hob dann langsam die großen Augen zu dem ruhigen Gesichte des Mädchens, das mit nickendem Kopfe und tippender Nadel am Strickzeuge die Maschen zählte.

„Ah ja!“ seufzte er nach einer stummen Weile, blies die Backen auf, streckte die Füße und preßte den Rücken wider den Stamm der Linde. So saß er schweigend und verwandte keinen Blick von den Nadeln, die zwischen Sanni’s emsigen Fingern leise klapperten. Mit einem Male rückte er ein wenig näher, stützte die Ellbogen auf die Kniee und sagte:

„Na, wie Du’s aber kannst! Völlig wachsen sieht man das Strümpferl unter Deine Händ’. Wem g’hört’s denn, han? Für Dich selber kann’s doch net g’hören, denn –“

„Für’s Lehrer-Sepherl g’hört’s,“ fiel Sanni mit hastigen Worten ein, als wollte sie dem Burschen die Mühe ersparen, die ausgesprochene Meinung weiter zu begründen.

„Drum! So ’was hab’ ich mir gleich ’denkt! A Bißl an Augenmaß hat man ja doch im Kopf.“

Sanni erröthete bis unter die Haare, und während sie das Gesicht tief über das Strickzeug neigte, zog sie hurtig die Füße unter das Röckchen zurück.

Lächelnd nahm Karli den Strohhut des Mädchens auf den Schoß und zupfte an dem blauen Bande.

„Han, sag’, wie geht’s denn der Frau Lehrerin?“ fragte er nach einer Weile, legte den Hut auf die andere Seite und rückte näher.

„Dank der Nachfrag’! Es macht sich schon! Gestern hat s’ den ersten Kirchgang g’halten.“

„Is a fleißiger Vogel der Storch im Lehrerhaus, das muß man sagen! Zehn Jahr’ lang sind s’ jetzt verheirath’, sechs Kinder springen im Haus um einander, eins liegt da im Wagerl und ’s jüngste daheim in der Wiegen. Und Du, Du hast es auch net zum Besten dabei. Von ei’m Jahr aufs andere hast mehr Arbeit. Und statt daß Dich am Sonntag a Bißl ausschnaufen könntst, mußt mit alle zwei Händ’ drauf losnadeln, daß Dir d’ Fingerln krumm werden möchten.“

„Ah na – allweil sind s’ noch ganz g’rad!“ lächelte Sanni und schaute mit einem freundlichen, fast dankbaren Blick zu dem Burschen auf. „Und sonst is ’s auch net so arg mit der Arbeit, g’wiß net! D’ Frau Lehrerin greift selber fleißig mit zu – und für ’s Gröbere is ja nachher a Magd auch noch da. Und was ich auch zum thun hab’, ich thu’s ja gern. Ich hab’ ja in den fünf Jahr’, seit mein Ahnl g’storben is, im Lehrerhaus schier gar a zweite Heimath g’funden. Ja, so viel gut is der Herr Lehr’ und d’ Frau Lehrer zu mir – und die Kinderln erst, die hängen mir gar fürchtig an.“

„Ja, ja, ich kann’s ihnen net verdenken!“ betheuerte Karli, ergriff den Sonnenschirm und unterzog den plumpen Mechanismus desselben einer mehrfachen Probe.

„G’wiß wahr, wenn wir oft von mei’m Vater reden, kann d’ Frau Lehrer net g’nug sagen, wie s’ a ganze Angst davor hätt’, daß er amal aus Amerika ’rüberschreiben thät, ich sollt’ zu ihm ’nüberkommen.“

„Geh’ weiter! Das wird ihm doch net einfallen!“ fuhr Karli erschrocken auf, warf den Sonnenschirm zum Hute und rückte dicht an Sanni’s Seite. „Oder hat er leicht wieder ’was hören lassen von ihm?“

Traurig schüttelte Sanni das Köpfchen. „Ah na! Vor zwei Jahr’, wie er g’schrieben hat, daß d’ Mutter verstorben is, das war der letzte Brief – weißt es ja noch, wo selbigsmal im Ort so viel drüber g’redt worden is, weil so g’spaßige Reden drin g’standen sind.“

„Ja, daß die Ein’ g’sagt haben: der schreibt ja wie a Heiliger – derweil die Andern g’meint haben: der schreibt wie – wie einer, bei dem ’s nimmer recht sauber is im obern Stüberl.“

„Karli! Aber geh!“

„No ja – schau – da mußt net gleich beleidigt sein! Ich selber hab’ ja so ’was nie net g’sagt. Der Kummer wird halt so g’spaßig aus ihm g’redt haben – er hat ja Dein’ Mutter selig doch auch recht gern g’habt.“

„O g’wiß! G’wiß! Denn wenn s’ net z’sammg’halten hätten, da hätten s’ ja gar kein’ Trost net g’habt bei aller Noth und allem Elend. Ich sieh s’ noch völlig sitzen vor mir, die Mutter mit ihren lieben, guten Augen und mein’ Vater mit sei’m sinnirlichen G’sicht, halb freundlich und halb ernst. O mein lieber Gott! Jetzt wird er auch anders ausschauen! Elf Jahr’, das is a Zeit! Und wie ’s ihm ’gangen is! ’s Bessere hat er g’sucht, drüben über’m Wasser, und ’s Schlechtere hat er g’funden! Wie oft hat er in die ersten Jahr’ g’schrieben, daß er gern wieder z’ruck möcht’, wenn er nur g’rad ’s Geld aufbringen könnt’ zum Heimreisen.“

„No schau, da wird ’s jetzt auch noch net anders sein mit ihm – und – wie könnt’ er denn nachher dran denken, daß er Dich amal ’nüberkommen laßt? Das kann ich mir gar net einbilden!“

„Wer weiß! ’leicht hat unser Herrgott doch amal an Einsehn g’habt und hat ihm ’s Glück zug’wendt.“

„Geh’! Am End’ haltst es schon gar nimmer aus bei uns! Am End’ wartst schon lang auf so an Brief?“

Hastig hob Sanni den Kopf, schaute mit verschüchterten Augen in das finstere Gesicht des Burschen und beugte sich seufzend wieder über das Strickzeug.

„Und so leicht könntst fort von da?“ forschte Karli weiter. „Gar nix könnt’ Dich halten?“

Eine stille Weile verstrich, ehe Sanni, ohne die Blicke zu heben, mit leiser, zitternder Stimme erwiederte: „Da dürft’ ich wohl net drauf denken, was mich halt’t – da müßt’ ich bloß hören, was mich ruft. Mein Vater is ja doch mein Vater. Und nachher, so gut ich auch g’halten bin im Lehrerhaus – an eigene Heimath is halt doch was anders – und – was mir ’s Aergste is: daß ich net amal an meiner lieben Mutter selig ihrem Grab a Vaterunser beten kann, wenn mir diemal mein armseligs Alleinsein so recht schwer auf’m Herzen liegt.“

Sanni schluckte, legte das Strickzeug in den Schoß und fuhr mit den Handballen nach den Augen.

Sachte zog ihr Karli die Hände vom Gesicht. „Aber geh’, Sannerl! So mußt auch net sein auf amal! Wer wird denn gleich Alles so von der schwarzen Seiten anschauen!“

[552] „O mein! Du hast leicht reden! Du hast Dein’ Heimath, Dein Haus und Dein’ Vater! Du bist der Pointner-Karli und ich – ich bin ’s Bygotter-Deandl!“

„Aber na! Jetzt so ’was! Wie magst denn so an Unterschied machen! Ein Mensch is so viel wie der ander’! Was einer is und hat, das macht kein’ Unterschied! Weißt, auf ’s Einwendige kommt’s an! Ja – so denk’ ich! Und das wird auch noch amal aufkommen, daß ich so denk’!“ Dabei zog der Bursche die Brauen hoch und nickte dem Mädchen, das in scheuem Staunen zu ihm aufblickte, mit anzüglicher Wichtigkeit zu. „Ich bin fein kein Solcher net, der meint, wo a Geldhaufen is, muß noch an anderer dazukommen! Und so denkt auch mein Vater jetzt – denn der hat’s an ihm selber erfahren, wie ei’m ’s Leben ungut wird dabei, wenn alle Tag’ zum hören kriegst, wie viel Geld als Dir der Pfarrer ins Haus kopuliert hat. Wie oft schon hat der Vater zu mir g’sagt: Bua, schau net auf’s Sach’, schau auf’s G’müth! Und so will ich’s auch halten! Ja – ich nimm’ mir amal eine, die mir g’fallt und die mich gern hat!“ Jenes anzüglich wichtige Nicken verstärkte sich, und enger drückte sich Karli’s Ellbogen an Sanni’s Arm. „Und – wer weiß – ’leicht könnt’ ich ja dieselbige schon g’funden haben, die mir g’fallt und –“ Karli verstummte und schaute mit verdrossenen Augen der Mündung des Pfades zu, der vom Dorfe herauf führte. „Na! Jetzt da hört sich aber doch – – wie verirrt sich denn der auf amal daher?“

Die unmuthigen Worte galten einem etwa fünfundvierzigjährigen Manne, der auf der Plattform erschien, eine gedrungene, sehnige Gestalt mit ruhigen, gemessenen Bewegungen. Das ziemlich abgetragene Gewand verrieth den Bauernknecht. Kein silberner Knopf, kein Schmuck irgend welcher Art war an der Tracht des Mannes wahrzunehmen, die Pfeife, die er zwischen den Zähnen hielt, trug einen deckellosen, unbemalten Porcellankopf; keine Schnur, keine Feder zierte den grobfilzigen Hut, unter dessen Krempe die frühergrauten Haare in dichten Büscheln hervorquollen. Die Ohren verschwanden hinter einem kurzen Backenbarte, der wie erstarrte Schaumflocken an den faltigen Wangen klebte. Kinn, Hals und Oberlippe waren glatt rasirt. Zahllose Fältchen reihten sich strahlenförmig um den beinahe farblosen Mund und um die Augen, welche dunkel, ernst und ruhig aus diesem verwitterten Gesichte schauten.

Als der Ankömmling die Beiden gewahrte, die unter der Linde saßen, flog es über sein Gesicht wie ein leises Blinzeln und Lächeln; er nahm die Pfeife aus dem Munde, duckte auf eine ganz eigene Art den Kopf in den Nacken, wozu er die Schultern ein wenig in die Höhe zog, und näherte sich gemächlichen Schrittes mit den Worten:

„No also, ich hab’ mir ja gleich ’denkt, wo ich hingehen muß.“

„Ja was is denn? Was willst denn, Götz’?“ fuhr Karli mit rascher Frage auf, während Sanni erröthend von der Seite des Burschen wegrückte. „Is ’leicht bei uns daheim ’was aus’kommen?“

„Bei uns daheim? Ah na! Aber d’ Sanni sucht man im ganzen Ort.“

Erschrocken sprang das Mädchen von der Bank und begann mit zitternden Händen ihr Strickzeug zusammen zu wickeln. „O mein Gott, ja weßwegen denn? Was hat’s denn ’geben?“

„Aber geh’, da mußt Dich jetzt gar net so aus anander bringen lassen,“ erwiederte der Knecht mit ruhigen Worten; doch wollte das leise Zwinkern seiner Augen und das seltsame Zucken der Mundwinkel mit der Ruhe seiner Worte nicht übereinstimmen. „Ah na, ’was Schreckhafts is da ja g’wiß net dabei. Uebrigens weiß ich selber net g’nau, warum s’ Dich eigentlich suchen. Aber was d’ Leut’ so g’redt haben, kommt’s mir vor, als hätt’ Dein Vater wieder einmal ’was von ihm hören lassen.“

Sanni erblaßte; und unwillkürlich kreuzten sich ihre Blicke mit denen Karli’s, ehe sie mit stammelnden Worten frug: „Is aber auch wahr? Thust mich net spotten? Han? Thust mich net spotten?“

„Spotten? Ja weßwegen denn sollt’ ich Dich spotten? Du thust ja g’rad, als ob ich Dir weiß Gott was g’sagt hätt’ – als ob ich Dir g’sagt hätt’: Dein Vater selber wär’ ’kommen! Uebrigens – ’was G’wisses weiß ich ja net! Wie d’ Leut g’redt haben, hat man so und so denken können. Jetzt weißt ’was – am besten is, Du gehst heim und schaust amal selber nach, ob’s denn auch g’wiß wahr is, daß Dein Vater ’kommen is.“

Mit starren, weit offenen Augen hing Sanni an den Lippen des Knechtes. „Jesus Maria! Jesus!“ löste es sich endlich mit Stottern und Schluchzen von ihrem bleichen Munde; mit zitternden Händen raffte sie Hut und Sonnenschirm auf, und ehe sich Karli von der Verblüffung erholen konnte, die ihn bei den letzten Worten des Knechtes überkommen, hatte sie den Korbwagen in Bewegung gesetzt und verschwand mit ihm hinter der Senkung des dem Dorfe zuführenden Pfades.

„Sanni! Sannerl!“ fuhr Karli auf; aber das Mädchen hatte schon einen zu weiten Vorsprung gewonnen und hörte ihn nicht mehr.

„Karli! Laß das Deandl allein! Was hast denn davon, wann mit ihr laufst? Ihr gehst im Weg um, und Dir kann’s nix nutzen.“

„Daß Du s’ aber auch g’rad daheroben hast finden müssen!“

„Mein, a Stund’ kann’s her sein, da hab’ ich Dich über d’ Felder daherspazieren sehen –“

„A Zufall! A ganzer Zufall!“

„Natürlich – a Zufall!“ lächelte Götz. „Geh weiter! Wirst Dich doch vor mir net hinter d’ Latten stellen wollen? In die zehn Jahr’, wo ich auf Dei’m Vatern sei’m Hof bin, hab’ ich Dich ausg’lernt. Hab’ ja schier selber aus Dir g’macht, was bist. Und im Uebrigen – ’was wär’ denn da dabei, daß net sagen därfest, wie ’s steht. D’ Sanni g’fallt mir selber. Das giebt amal a Pointnerbäuerin, wie s’ Dir Dein bester Freund net richtiger wünschen kann. Ehnder möcht’ ich Dich schelten, daß Dich net besser ’tummelt hast. Denn was Dir z’erst ganz leicht worden wär’, könnt’ Dir von heut’ an a Bißl schwerer werden.“

„Aber is denn auch wahr? Ich will’s ja schier net glauben! Is er denn wirklich ’kommen?“

„No freilich! Ich hab’ ihn ja selber g’sehen – aber ich hab’s doch dem Deandl net so g’rad ’raus sagen können!“

„Na, was so ei’m Menschen jetzt auf amal einfallt! Daherz’kommen! Meinetwegen hätt’ er lang bleiben können, wo er g’wesen is.“

„Er hat auch die Stund’, seit er da is, ’s ganze Ort schon rebellisch g’macht. ‚Der Bygotter, der Bygotter, Jesses, der Bygotter is wieder da!‘ so kannst es schreien hören Straß’ auf und Straß’ ab. Und die Leut’, wo ihn früher ’kennt haben, können sich net g’nug verwundern über sein Ausschauen. No, ich für mein’ Theil hab’ ihn nie net ’kennt! Aber wie er jetzt ausschaut, g’fallt er mir gar net b’sonders. Er hat so ganz ’was G’spaßigs in die Augen – und –“

„Was soll denn das heißen?“ frug Karli, mit heller Unruhe in Worten und Blicken. „Han? Was willst denn da damit sagen?“

„Ja mein, sagen laßt sich so ’was schwer, so was kann man bloß sehen! Aber denken thu ich mir schier: das arme Deandl wird’s bei ihm net gar zum besten haben – und Dein’ Liebssach’ könnt’ a harbe Seiten kriegen. Viel b’sondere Reichthümer muß er net mit’bracht haben aus Amerika. Aber viel b’sondere Frömmigkeit! Ja – a ganz a b’sondere Frömmigkeit! Reden wann ihn hörst, da meinst ja g’rad, es redt a Jud’ vom alten Testament. Aber jeh – da schau –“ und mit der Pfeifenspitze deutete Götz durch die Bäume gegen den westlichen Himmel, „es zieht ja schon völlig schwarz über d’ Leithen ’rein. Das giebt noch ’was, heut’ auf’n Abend – was Ordentlichs! Geh’, schaun wir, daß wir heimkommen. Wann so ’was losgeht, is mir’s lieber unter Dach und Fach’.“

Mit nickendem Kopfe schritt der Knecht dem sandigen Pfade zu, und Karli folgte ihm schweigend, die unmuthigen Blicke nachdenklich zur Erde gesenkt.


[565]
2.

Also b’hüt’ Dich Gott, Pointner“

„B’hüt’ Dich Gott, Nachbar, b’hüt’ Dich Gott auch!“ so gab der Pointner den Gruß zurück und verließ, um die Hausbank wieder aufzusuchen, den Zaun, über welchen hinweg er die erstaunliche Neuigkeit von des Bygotter’s unerwarteter Heimkehr des Langen und Breiten mit dem Nachbar verhandelt hatte.

Karli’s Vater war ein Mann zwischen fünfzig und sechzig Jahren, ein wenig schon gebückt, aber mehr in Folge der schweren Bauernarbeit als vom Drucke des Alters. Das Grau, das sich in die braunen Haare mischte, war noch nicht allzu vordringlich. Gesundheit, Freude an behaglichem Leben und vergnügliche Zufriedenheit sprachen aus dem vollen, leicht gerötheten Gesichte. Ein unvergängliches Lächeln spielte um die Lippen, über denen ein dicker Schnurrbart zu kecken Spitzen aufgedreht war, und lustig funkelten unter den buschigen Brauen die kleinen lichtbraunen Augen.

Hang zur Bequemlichkeit verrieth sich in der Kleidung, die der Bauer trug: in dem leichten Janker, in dem faltigen Hemde darunter, in der weiten, unter den Knieen lose gebundenen Lederhose, in den locker sitzenden, dunkelblauen Strümpfen und in den unförmlichen, aus schwarzen und rothen Filzstreifen geflochtenen Hausschuhen.

Und die Füße mit diesen Schuhen streckte er weit von sich, während er nun im Schatten des flach vorspringenden Daches auf der Hausbank saß, mit den Händen in den Hosentaschen wühlte und mit sorglosen Blicken die drohenden Wetterwolken beobachtete, die sich, einer blaugrauen Mauer gleich, höher und höher emporschoben über die Kette der westlichen Berge. Was konnte das nahende Ungewitter, das so Manchen im Dorfe mit schweren Sorgen erfüllen mochte, den Pointner bekümmern? Festgebaut war sein Haus, schwere Ziegel schützten die Dächer der Ställe, der Scheunen und des stattlichen, zweistöckigen Wohngebäudes. Auf seinen Wiesen lag kein Heu, das der Regen hätte verderben können – und hoch, wie die Halme auf seinen Feldern standen, so hoch waren diese Felder gegen Hagelschlag versichert. Er war überhaupt ein „Aufgeklärter“, der Pointner, und hielt es immer mit den neuen Erfindungen, wenn er durch dieselben sein Leben um eine Sorge ärmer machen konnte.

„Der laßt sich’s wohl sein wie der Bauer auf der [566] Point!“ Das war seit einigen Jahren ein geläufiges Sprichwort im Dorfe geworden. Seit einigen Jahren erst! Denn in früherer Zeit, als die hochselige Kätter, die Pointnerin noch gelebt hatte, da war ein ganz anderes Sprichwort im Umlauf gewesen: „Auweh zwick! Der muß sich ducken wie der Bauer auf der Point.“

Ja, so eine Geldheirath! Der Pointner hatte alle Ursache, seinem Buben die gute Lehre zu geben: „Karli, schau net aufs Geld, schau aufs G’müth.“

Sie hatte ein ungutes Regiment geführt, die Pointner-Kätter. Gleich von vornherein hatte sie sich auf den dicken Geldsack gesetzt, den sie mit in die Ehe gebracht. Und der junge Pointner, der als ein halbfertiger, unselbständiger und allzu gutmüthiger Charakter auf seines Vaters Willen hin ganz plötzlich in diese Heirath hineingesprungen war, hatte von allem Anfang an der mehr als energischen Frau gegenüber das Gleichgewicht verloren. „Um’s lieben Friedens willen“ hatte er klein beigegeben und hatte sich im Stillen mit der Hoffnung auf „seine Zeit“ vertröstet. Aber „seine Zeit“ hatte lang auf sich warten lassen; sie war erst gekommen, als man die Kätter zum Hofe hinausgetragen hatte. Am Werkeltage Arbeit und Arbeit, am Sonntag das Hochamt und der Rosenkranz, und zwischenein zu allen Mahlzeiten die endlosen Litaneien der Kätter: das war durch fünfundzwanzig Jahre des Pointner’s Leben gewesen. Seit dem fidelen Räuschlein, das er sich an seinem Hochzeitstage angetrunken, hatte er keine recht vergnügte Stunde mehr gehabt bis zu dem Tage, an welchem – es war im siebenten Jahre seiner Ehe – sein Bub’, der Karli, getauft worden war. Dann nahm sein Leben wieder den alten unguten Gang – bis zum letzten Tage dieser Ehe, der in Einem so sehr jenem ersten glich: denn als der Pointner nach dem Leichenbegängniß beim „G’sturitrunk“ im Wirthshause saß, rühmte er vor seinen „Mitklägern“ so unermüdlich die guten Eigenschaften der Verblichenen, daß ihm die Zunge ganz trocken wurde; da mußte er denn „netzen und netzen“, und das Ende war, daß der Pointner auf den Füßen der Nachbarn vom Leichenschmaus nach Hause ging.

Ehe noch die vier „schwarzen Wochen“ verflossen waren, führte der Bauer auf der Point eine Neuerung in seinem Hofe ein, welche die Leute des Dorfes zu dem lächelnden Kommentar veranlaßte: „Der Pointner rührt sich!“ Was er in den unfreundlichen Jahren seiner Ehe der Kätter am allermeisten zum wohlweislich verschwiegenen Vorwurf gemacht hatte, das war ihr gänzlicher Mangel an jeglichem Schönheitsgefühl gewesen. Nach den „wirthschaftlichen“ Principien der Pointnerin mußten die Mägde, die jeweilig im Pointnerhofe in Diensten standen, das kanonische Alter noch um ein Erkleckliches überschritten haben. Und da suchte jetzt der Pointner den Beweis, daß nun „seine Zeit“ gekommen wäre, vor allem dadurch zu erbringen, daß er den beiden zahnlückigen Unholden, die mit Keifen und Gezänk in Küche und Ställen umherrumorten, den Abschied gab und an ihrer Stelle zwei junge, dralle, muntere Dirnen auf die Point berief. Dadurch gewann das Leben im Pointnerhof allerdings mit einem Schlag ein neues, ein „junges“ Gesicht; der Tag, der bislang mit Schelten begonnen, mit Schelten geendet hatte, nahm von nun an mit trällerndem Gesang seinen Anfang, mit Scherz und Gekicher sein Ende. Und da nannte es der Pointner: in Haus und Hof nach dem Rechten sehen – wenn er den lustigen Dingern bei der Arbeit zuschaute, wenn er mit ihnen schwatzte und kicherte und sie zur Versicherung seiner Zufriedenheit in die dicken rothen Backen kniff. Geschah es dann manchmal, daß die Nachbarn den Pointner um dieser „Renavürung“ willen in die Zwickmühle nahmen, so vertheidigte er sich lachenden Mundes mit der Versicherung: „Ich schau’ halt auf mein’ Nutzen, denn a junge Hand greift allweil riegelsamer bei der Arbeit zu als wie an alte!“ Eine gewisse Einseitigkeit verrieth sich nun allerdings in dem Umstande, daß der Pointner diesen Satz nicht auch bei der männlichen Hälfte seines Gesindes zur Anwendung brachte. Freilich, daß er seinen „Maier“, den Götz, nicht entließ, das war begreiflich; aber Martl, der „Rosserer“, und Stoffl, der „Hausl“, trugen doch auch zusammen schon ihre hundert Jährlein auf dem Rücken; aber in ähnlicher Weise, in welcher jene „Renavürung“ auf den Bauer gewirkt hatte, wirkte sie auch auf diese beiden Knechte, die zu den gestrengen Zeiten der Pointnerin zwei griesgrämliche Kerle gewesen waren und jetzt mit lachenden Gesichtern umherspazierten, als hätte man ihnen ein Päcklein Jahre von den Schultern genommen. Nur einer war sich bei all diesem Wandel gleich geblieben – das war der Götz. Der ging seinen gleichen, stillen Weg wie zuvor, that auf diesem Wege zehnmal mehr, als seine Pflicht und Schuldigkeit war, und hielt dabei mit Geschick und Ruhe die Zucht unter dem Gesinde aufrecht, welche die lächelnde Nachsicht des Bauern häufig zu lockern drohte.

Und während der Götz in seinem Schweiße schaffte, ließ der Pointner die Arme ruhen und streckte die Füße. Er hatte sich genug geplagt in seinem Leben, so versicherte er bei jeder Gelegenheit; nun wollte er auch einmal den Dank der Arbeit genießen. Auf den Götz durfte er sich ja verlassen; der kannte kein anderes Interesse als dasjenige seines Herrn; und was der Götz dem Pointner anrieth, gedieh immer zum Besten. „Laßt’s mir mein’ Fried’,“ pflegte der Pointner zu greinen, wenn eines vom Gesinde in einer wirthschaftlichen Angelegenheit des Bauern Rath erholen wollte, „laßt’s mir mein’ Fried’ und geht’s zum Götz – der weiß eh’ alles besser wie ich.“

So kam es nach und nach, daß die Knechte und Mägde in allen wirthschaftlichen Dingen den Götz als ihren eigentlichen Herrn erkannten, daneben aber den Bauer, wie das Sprichwort sagt, in die weichste, wärmste Wolle wickelten.

Und wie das Gesinde zwischen Bauer und Maier stand, so ähnlich stand auch Karli zwischen Götz und dem Vater. Er war dem Vater von Herzen zugethan – Respekt aber hatte er vor dem Götz. Daneben bewahrte er in seinem Herzen ein freundliches Gedenken an die verstorbene Mutter, obwohl dieselbe den Bestrebungen des Pointner’s, den Buben gründlich zu verziehen, stets mit verdoppelter Strenge entgegenwirkte, wobei ihr der Götz nach Kräften an die Hand gegangen war.

Ueber die Wandlung auf dem Pointnerhofe hatte sich Karli wenig Gedanken gemacht. Trotz seiner ehrlichen Trauer um die Mutter sagte auch ihm dieser lustige Ton besser zu als die unwirsche Stimmung, in welcher früher die Tage vergangen waren. Und daß seinem jungen Blut das junge Dirnenvolk nicht gefährlich wurde, welches auf dem Pointnerhofe eingezogen war, dafür wußte Götz zu sorgen. Bald nach der Mutter Tod war Karli zum Militär einberufen worden, hatte in München drei Jahre als strammer Dragoner gedient, war dabei nach Soldatenweise aufgethaut und hatte auch ab und zu den „verfluchten Kerl“ gespielt, ohne jedoch aus diesen kleinen Scharmützeln zwischen Ernst und Leichtlebigkeit irgend welchen Schaden an Herz und Seele davonzutragen.

Bei seiner Rückkehr in das Vaterhaus hatte er die Dinge genommen, wie er sie vorgefunden, hatte sich rüstig in die entwöhnte Arbeit wieder eingeschickt – und daß ihm jetzt, wo er manches mit anderen Augen ansah als früher, der leichte Ton, den allen Anderen voraus der Bauer im Pointnerhofe anschlug und den allein der Götz nicht mitredete, nicht mehr gefährlich werden konnte: dafür war die Wirkung eines Zauberblümleins gut, das in dem Herzen des Burschen sachte zu sprossen begann, als er ein gewisses freundliches Dirnlein, dem er als Knabe schon gar gut gewesen, bei der Heimkehr als ein schmuck erblühtes Mädchen wiederfand.

Bei all den sentimentalen Stimmungen, in welche dieses aufkeimende Empfinden den Burschen versetzte, dachte er doch auch mit manch einem praktischen Gedanken an die Zukunft und meinte, daß bald eine Stunde kommen könnte, in der er den Vater bei besonders guter Laune finden müßte. So that denn auch er sein Bestes, um dem Vater das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Und wie sich’s der Pointner wohl sein ließ! Es schien eine rechte Wahrheit in dem Sprüchlein zu liegen, das der Stoffel – der „schwäbische Stoffel“, wie er um seiner Herkunft willen genannt wurde – verfaßt und in Umlauf gebracht hatte:

„Beim Bauern auf der Point
Ischt der luschtbare Frieden dahoint.“

Und dieser „luschtbare Frieden“ sprach aus den zwinkernden Aeuglein, glänzte auf den vollen Backen und lächelte von den Lippen des Pointner’s, während er sich im Schatten auf der Hausbank streckte und dehnte, die Hände in den Taschen, den Steinkrug an der Seite, in behaglicher Ruhe sein friedvolles Haus behütend.

Nun plötzlich seufzte er auf und schnitt eine verstimmte Miene. Es war ihm eingefallen, daß das Haushüten eigentlich eine Arbeit wäre.

[567] Mit blinzelnden Augen schaute er nach der Gasse und brummte: „Das hat man davon, wenn man so Sakra-Deandln recht freundlich halt’t! Da rennen s’ davon, lassen den Bauern in der Einschichten dasitzen, und bei keiner is a Heimkommen zum erwarten! Ich sag ’s, g’rad plagen muß sich der Mensch allweil für andere Leut’!“

Und mit verdrießlichen Blicken spähte er über Hof und Gemüsegarten hinweg den bergwärts sich erstreckenden Wiesen zu, ob nicht etwa der Götz von dorther nach Hause käme.

Da machte er große Augen. Hoch oben in der Wiese hatte er eine weibliche Gestalt gewahrt, die sich dem Gehöfte raschen Schrittes näherte. Sie mußte aus dem Walde gekommen sein und mochte sich wohl verirrt haben. Wenigstens schloß der Pointner so, als die Person inmitten der Wiese eine Weile stehen blieb, ringsum Ausschau hielt, dann wieder vorwärts schritt und mit geschickter Behendigkeit den Stacketenzaun überstieg, der den Gemüsegarten von den steilen Wiesen trennte.

„Hoho, die geht aber amal schön g’radaus!“ lachte der Bauer. „Was is denn jetzt das für Eine? A Hiesige is das net!“

Er stützte die Hände auf die Kniee und schaute neugierigen Blickes der Fremden entgegen, welche leichten Ganges zwischen den Gartenbeeten einherschritt und jetzt den Hof betrat, indeß sie in der einen Hand ein weißes Bündel schlenkerte und mit der anderen das geblumte Kopftuch tiefer in die Stirne zupfte. Es war eine mittelgroße Gestalt mit starken Formen, und dennoch von gefälligem und geschmeidigem Wuchse. Die üppige Büste umschloß ein schwarzes, straff anliegendes Tuchleibchen von städtischem Schnitte. Aus den engen Aermeln spitzten die schmalen Säume weißer Manschetten hervor. Ueber die runden Hüften schwankte in schmalen Falten ein schwarz und weiß gestreiftes Röckchen, das kaum bis zu den Knöcheln reichte. Die ganze Gestalt machte den Eindruck bewußter Sauberkeit, wenngleich die hohen, mit baumelnden Quästchen besetzten Seidenstiefelchen in üblem Zustand sich befanden.

Der Pointner legte den Kopf auf die Seite und spitzte, nach einwärts pfeifend, die Lippen. Und völlig gingen ihm die Backen aus einander, als er erst das Gesicht der Fremden besser gewahren konnte, dieses runde, weiße Gesicht mit den lebhaften schwarzen Augen, mit den molligen Grübchen im Kinn und auf den leicht gerötheten Wangen, auf welchen einige Sommersprossen nur vorhanden schienen, um das reine Weiß und Roth der übrigen Haut noch mehr zu heben.

„Ja was is denn jetzt das?“ rief der Pointner mit Schmunzeln der Näherkommenden entgegen. „Was krieg’ denn ich jetzt da auf amal für an bildsaubern B’such – so ganz von hinterucks? Wo kommst denn her, Madl? Wer bist denn?“

„No, jetzt bin ich schon z’frieden,“ lachte die Fremde und zeigte, indeß sie vor dem Bauer stehen blieb, zwischen den vollen rothen Lippen die schneeweißen Zähne. „Ich hab’ mich schon auf a Donnerwetter g’faßt g’macht; denn so viel kenn’ ich schon, daß a Bauer wenig Freud’ dran hat, wenn man ihm so g’rad ’reinstapft über d’ Wiesen.“

„Macht nix, Madl, macht nix! Kannst ja nix dafür – denn wie ich mir denk’, wirst Dich verirrt haben?“

„Ja, und wie! G’wiß a drei Stund’ bin ich da droben im Holz umeinander ’kraxelt. Und wo bin ich denn eigentlich jetzt?“

Der Pointner nannte den Namen des Dorfes. „Und im B’sondern bist im Pointnerhof, und ich bin der Bauer.“

Mit musternden Blicken überflog die Fremde das Haus und nickte dann unter leichtem Gähnen. „A schöner Hof, der Pointnerhof! G’fallt mir – ja!“

„So, jetzt is recht! Und vom Bauern sagst gleich gar nix! Der g’fallt Dir ’leicht net a Bißl, han?“

Lachend zuckte die Fremde mit den Schultern und schaute dem Pointner aus schief gehaltenem Kopfe mit einem blinzelnden Blick in die Aeuglein.

„Das kannst ja net wissen – denn – so g’rad ’nein ins G’sicht kann ich Dir d’ Schönheiten doch net sagen!“

„Allweil zu! Mußt kein’ Schenirer net haben!“ lachte der Pointner, daß ihm die Thränen auf die runden Backen sprangen. „Ich nimm mir ja auch kein Blattl vor’n Schnabel; ah na, schau, ich sag’ Dir’s gleich ins G’sicht, wie Du mir g’fallst, Du teufelmaßig saubers Madl Du!“

Auch die Fremde lachte. „Bist a lustiger Bauer, das muß ich sagen! Aber – ’s Lachen hilft mir net weiter. Han, das wirst mir schon verrathen können, ob im Ort a Wirthshaus is, wo man über Nacht a Bißl passabel aufg’hoben is?“

„No freilich is a Wirthshaus da! Aber das giebt’s fein net, daß man sich durch ’n Pointnerhof durchtummelt wie a Mäuserl durch d’ offene Stubenthür. So a G’sellschaft krieg’ ich ja gleich net wieder! Da setz’ Dich a Bißl her zu mir!“ Und mit beiden Händen zog der Pointner die Fremde zu sich auf die Hausbank nieder. „So, da bleibst jetzt sitzen, bis eine von meine Deandln heimkommt; die kann Dich nachher führen, daß Dich net wieder verirrst!“

„Meinetwegen! Is auch recht! Ich kann ’s Sitzen jetzt schon verleiden, der Marsch, den ich g’macht hab’, liegt mir ordentlich in die Füß’.“

„Wo kommst denn eigentlich her?“

„Von Rosenheim.“

„Was? Das is ja a Weg von a paar Tag!“

„Ich bin auch schon drei Tag’ unterwegs. Am Mittwoch bin ich aus mei’m Dienst ausg’standen, und da hab’ ich mir ’denkt, ich möcht’ auch amal a Sommerreis’ machen. Und weil ich nach Reichenhall ’nüber hätt’ mögen, wo ich an neuen Dienst suchen will, hab’ ich meine Sachen mit der Eisenbahn vorausg’schickt zum Rösselwirth – und nachher bin ich drauf los marschirt. No, und bis heut’ Mittags is Alles auch ganz gut ’gangen. Aber da droben durchs Holz durch hab’ ich den richtigen Weg verloren – ja – g’rad umeinanderschliefen hab’ ich müssen. Ich bin nur froh, daß ich mein G’wandl ganz davon’bracht hab’ – aber meine armen Schucherln hab’ ich mir sauber zug’richt’.“

Leicht hob sie dabei die Füße und zog das Röckchen ein wenig in die Höhe.

„Jesses, jesses! Ah, ah, ah, ah!“ jammerte der Pointner, wobei der vergnügliche Ausdruck seines Gesichtes mit dem kläglichen Ton seiner Worte wenig übereinstimmen wollte. Und um den Schaden, den die armen „Schucherln“ genommen, besser besehen zu können, beugte er sich vornüber und suchte die bauschigen, seinen Blicken hinderlichen Falten des Röckchens glatt zu drücken. Aber hastig fuhr die Hand der Fremden mit klatschendem Schlag auf seine Finger nieder.

„Jetzt den schau an! Wart’, Du!“ zürnte sie und streifte das Gesicht des Bauern mit einem halb belustigten, halb geringschätzenden Blicke. Auch in der Art und Weise, in der sie den Bauer mit dem Ellbogen von ihrer Seite drängte, verrieth sich kein allzu ernstlicher Unwille; das sah sich eher an wie eine gewohnheitsmäßige Bewegung.

„Jeh! Du bist aber a Schneidige!“ lachte der Pointner, indeß er sich die Finger rieb. „G’hörst ’leicht zu die Igel, han, daß man gar net ankommen därf an Dich. Aber –“ und da tappte er schon wieder nach dem Arm der Dirne, die sich erhoben hatte und nach ihrem Bündel griff, „was is denn? Wirst mir doch am End’ net jetzt schon ausreißen wollen?“

„Ja. Ich mein’, ich find’ ’s Wirthshaus allein auch. Das kannst Dir doch denken, daß Ein’ auf so an Marsch hin der Hunger ankommt.“

„Was? Hungern thut’s Dich? Ja, Du arms Madl! Weßwegen hast denn das net gleich g’sagt! Essen und Trinken kriegst fein im Pointnerhof schon besser als wie im Wirthshaus. Ja, wart’ a Bißl, da is g’holfen auf der Stell’!“

Und während ihm die Fremde mit lächelnder Verwunderung nachblickte, trippelte er davon und verschwand im Hause. Bald kam er wieder zum Vorschein und stellte vor die Dirne ein kleines Tischchen hin, welches von einem weißen, mit grober Kreuzsticharbeit gezierten Linnen bedeckt war. Schwatzend eilte er wieder davon, kehrte zurück, verschwand aufs Neue, und da sah nun die Dirne vor sich auf dem Tische schäumendes Bier in einem geschliffenen Deckelglase, einen frischen Brotlaib und zwei zinnerne Teller mit Rauchfleisch und Käse. Zuletzt brachte der Pointner ein silberbeschlagenes Besteck, kratzte mit der Gabel die angeklebten Brotreste von der Messerklinge, griff nach dem Brotlaib, machte mit der Messerspitze das Kreuz darüber, schnitt ihn zur Hälfte durch und reichte ihn der Dirne hin.

„So, Madl, jetzt iß und laß Dir’s schmecken!“

[570] „Das is aber schon a Bißl z’ viel Freundlichkeit!“ meinte die Dirne mit einem leisen, fast spöttischen Lächeln. „Is das … allweil so der Brauch im Pointnerhof?“

„Was denn anders?“ schmunzelte der Pointner, während er sich an die Seite des Mädchens setzte. „Selig sind, welche die Durstigen tränken und die Hungrigen speisen, sagt der Herr Pfarrer.“

„Aber was sagt denn nachher die Bäuerin zu Deiner christlichen Nächstenlieb’?“

„Gar nix! Die hat der liebe Herrgott selig! Ja – ich bin a Wittiber.“

„So? A Wittiber bist?“ erwiederte die Dirne zögernden Wortes und maß von der Seite die Gestalt des Bauern mit einem wägenden Blick. Dann verzog sie den Mund, und während über ihre schmal gewordenen Lippen ein kurzes Lachen klang – als lache sie über einen Gedanken, der plötzlich in ihr aufgestiegen – drückte sie den Kopf in den Nacken und hob die Schultern in die Höhe.

„Jetzt da schau her!“ staunte der Pointner, als er diese Bewegung des Mädchens gewahrte. „G’rad, als wie wenn’s Eins vom Andern g’lernt hätt’.“

„Was g’lernt?“

„No, weißt, an Maier hab’ ich, Götz heißt er, der macht’s fein g’rad so wie Du – so!“ Dabei suchte er jene Bewegung nachzuahmen, was bei seinem kurzen Halse schwer gelang und possierlich anzusehen war.

„Mein Gott, so werden’s auf der Welt noch mehr Menschen machen!“ meinte die Dirne und griff nach dem Bierglas. Sie klappte mit dem Daumen den Zinndeckel auf, blies den Schaum zurück, nippte und streifte mit der flachen Hand den Deckel wieder zu, ganz in der Weise, wie es die Gewohnheit der Kellnerinnen in den Dorfwirthshäusern ist.

Mit blinzelnden Augen hing der Pointner an ihren Lippen und frug unter Schmunzeln, wie ihr der Trunk munde. Dann war er ihr beim Zerlegen des Fleisches behilflich und bediente sie unter endlosem Zureden und Schwatzen mit überfreundlicher Aufmerksamkeit. Diese ganze Art und Weise des Bauern schien die Dirne entweder nicht zu bemerken oder wie etwas Gewohntes zu dulden. Gleichmüthig aß und trank sie und gab auf die langen, lachenden Reden des Pointners kurze, trockene Antworten, als begänne ihr die Sache langweilig zu werden. Manchmal klang aus ihren Worten ein gar nicht schwer zu verstehender Spott, für den aber das glückliche Selbstbewußtsein des Pointner’s keine Ohren hatte. Als sie einmal mit ihm anstoßen wollte, „auf lange, g’sunde Wittiberzeit“, rannte er davon, um seinen geleerten Steinkrug wieder zu füllen. Und während er dann mit ihr weiter plauderte, trank er häufig und in hastigen Zügen, so daß der sanfte Glanz auf seinen wohlgenährten Backen bald zum hellen Leuchten wurde und die Wirkung des raschen Trinkens nicht nur in seinen sprudelnden Reden sich bekundete.

Nun plötzlich war er ganz untröstlich darüber, daß er die Dirne noch immer nicht um ihren Namen gefragt hätte. „Na, na, wie man auch so ’was vergessen kann! Aber jetzt sag’ mir nur gleich, wie heißt denn, han?“

„Kuni Rauchenberger.“

„Kuni? A schöner Nam’. Kuni, Kuni, das sagt sich schon so g’wiß – da weiß man doch gleich, daß ’was dahinter is. Han, und wo hausen denn Deine Leut’?“

„Aus ’m Oberisarthal bin ich her,“ erwiederte sie, und ein Zug von Schwermuth erschien auf ihrem hübschen Gesichte, „aber – mein Mutterl is lang schon todt!“ Aufseufzend schüttelte sie den Kopf und fügte mit raschen, hart klingenden Worten bei: „Und mein Vater is auch schon verstorben – ja – a Wirth is er g’wesen.“

„O mein Gott! Unser Herrgott soll s’ selig haben – alle zwei!“ so wünschte der Pointner, indem er sich in rührseliger Vertraulichkeit an Kuni’s Schulter lehnte. „Na, na, wie Du mich dauern thust, Du arms Madl, Du! Und jetzt stehst ganz allein in der weiten Welt?“

„Ah na! Ich hab’ schon noch zwei Brüder – und was für Brüder! Der ein’ is in Lenggries – so a Pamperlwirth. Und der ander’, von dem unser Herrgott wissen mag, wo er jetzt g’rad um einander fahrt, der is a Metzger – aber schon mehr a Schinder als wie a Metzger! Das is a ganz a braver – der!“

Dem Pointner war schon das Weinen nahe gewesen; jetzt aber lachte er hell auf. „Sauber! Sauber! Du redst amal schön von Deine Brüder!“

„Sie sind auch darnach!“ klang es hart und schneidend von Kuni’s Lippen. „Die zwei, die haben sich bei mir kein’ gute Nachred’ net verdient – und gar der Metzger!“ Ein tiefer, stockender Athemzug schwellte ihre Brust, und mit hastiger Hand, als würde es ihr plötzlich zu schwül, riß sie das Kopftuch herunter.

Da war dem Pointner schon wieder das Weinen näher als das Lachen. „Geh’, geh’, haben s’ Dich recht schlecht g’halten?“ jammerte er, während er zugleich mit offenem Wohlgefallen zu dem kleinen, rosigen Ohr der Dirne emporblinzelte und zu den dicken, rothbraunen Zöpfen, die über dem weißen, weichen Nacken zu einem straffen Netze verflochten waren. „Na, na, so zwei Teufelsbraten von Brüder! Und so a Schwester haben! Ja – Du – ich wenn fein Dein Bruder g’wesen wär’, ich hätt’ Dich schon anders g’halten – ich schon, ich! Du, da hättst es fein gut g’habt – überhaupt – weißt – auf ’m Pointnerhof, da is fein ’s gute Leben daheim. Ja – g’rad wohl fein laß ich mir’s! Und im nächsten Frühjahr, da übergieb ich mei’m Buben mein’ Hof – und nachher hab’ ich gar kein’ Arbeit nimmer und kein Sorg’ – ja – und nachher laß ich mir’s Leben erst recht schmecken!“

„So? An Buben hast?“ warf Kuni, aus deren Zügen noch die helle Erregung sprach, mit zerstreuten Worten ein. „Und jetzt schon willst übergeben? Geh’, wer wird sich denn so frühzeitig schon auf die linke Seite legen? Bist ja noch so wax bei ’nander – aus Dir lacht ja noch ’s helle Leben!“

„Wahr is, Deandl! Jetzt Du hast amal die richtigen Augen!“ fuhr der Pointner auf und fuchtelte vor Vergnügen mit den Fäusten in der Luft umher. „Und mir g’fallst auch! Weißt ’was G’scheidt’s! Bleibst gleich da bei mir! Und haltst mir mein Haus in Ordnung! Und kochst mir gute Sachen zum essen! Da is nix mehr z’ reden! A ganz a saubers Stüberl kriegst, und Lohn kannst haben, was D’ magst! Ja, da därfst jetzt g’rad verlangen!“

„Ah was! Dummheiten!“ wehrte Kuni und runzelte die Stirn. „Für Dein’ freundliche Bewirthung sag’ ich Dir a schöns Vergeltsgott – und im Uebrigen mach’ ich, daß ich bald weiter komm’. Was thät’ denn ich da heraußen auf dem Nest? Ah na! Ich geh’ nach Reichenhall!“

„Was? Net bleiben willst? Bei mir net bleiben?“ kreischte der Pointner. „Bei mir net bleiben? Oho! Ausg’redt is ausg’redt! Da – da is mein Hand – und jetzt eing’schlagen auf der Stell’!“ Er wartete nicht lange auf den Handschlag; mit allen zehn Fingern haschte er die Rechte der Dirne.

Sie aber entwand ihm die Hand mit den unwilligen Worten: „Geh’ weiter, laß mir mein’ Ruh’!“

Der Pointner zappelte mit den Armen, rollte die Augen, blies die Backen auf und hub zu kollern an: „Madl! Madl! Ich sag’ Dir’s! Ich sag’ –“ Da verstummte er plötzlich und schaute mit halb geärgerten und halb verlegenen Blicken nach dem Thürchen des Straßenzaunes.

[581]
3.

Karli und Götz betraten den Hof. Den Beiden folgten Martl und Stoffel, zwei steife vierschrötige Gestalten – Martl, der einen grauen, struppigen Vollbart trug, in kurzer Lederhose, Hut und Joppe – Stoffel, dem unter dem pechschwarz gewichsten Schnurrbart eine spitz zulaufende „Mücke“ hakenförmig abstand, in enger, langer, an den Knöcheln gebundener Tuchhose, in Hemdärmeln, die Zipfelmütze mit der baumelnden Quaste auf dem eckigen Kopfe.

Die Viere machten verdutzte Augen und schienen an dem gastlichen Tischlein des Pointner’s vorüber marschiren zu wollen. Und so im Vorübermarschiren grüßte Karli: „Grüß’ Gott, Vater! – und Götz grüßte: „Grüß’ Gott, Bauer! Dabei rückten sie gleichzeitig die Hüte vom linken auf das rechte Ohr. Martl nickte nur, und Stoffel schlenkerte die Quaste der Zipfelhaub von der einen Schulter auf die andere.

„So? Kommt’s amal heim!“ fuhr der Bauer auf, indem er seine Verlegenheit hinter Groll und Eifer zu verbergen suchte. Aber gleich wieder fiel er aus dem Tone, mit der lachenden Frage: „Da schau, Karli! Was sagst, was ich für an Gast hab’?“

Karli musterte die Dirne mit einem mißtrauischen Blick; doch als er ihren blitzenden Augen begegnete, schaute er wieder auf den Vater, verzog die Lippen und nickte mit dem Kopfe. – Einige Sekunden mühte sich der Pointner unter Zwinkern und Blinzeln, den Sinn dieses Nickens zu ergründen. Dann gab er die vergebliche Mühe auf und wandte sich keifend an Martl und Stoffel.

„Wo seid’s denn gar so lang g’wesen? Wenn von Euch zwei amal Einer draußen is, kann man ’s Heimkommen auch nimmer erwarten!“

Stoffel schnitt eine Grimasse, beugte den Oberkörper nach vorne und stellte sich auf die Absätze. Martl aber erwiederte:

„No, no! Es hat so noch a halbe Stund’, bis Futterzeit is. Wir sind halt a Bißl vor’m Schulhaus umeinander g’standen. Ja – und noch a ganze Masse Leut’ waren da. Und was das für a Reden [582] g’wesen is – über den Bygotter! Du – der hat sich fein verändert! Den hätt’ ich nimmer ’kennt! Und was der für Sachen treibt! Weißt – wie wir a Zeit lang so dag’standen sind, da is er auf amal unter d’ Hausthür ’raus ’kommen, sein Deandl an der Hand. Und da hat er a völlige Ansprach’ an d’ Leut’ g’halten, daß g’meint hast, Du hast an Vater Kapazinner im Bauernfrack vor Dir. Weißt, vom Joseph in Aegypten hat er ’was g’sagt, als wie wenn er der Joseph wär’ und kämet jetzt heim zu seine Brüder, damit er ihnen ihre Sünden vorhalten könnt’ – und g’rad ermahnt hat er d’ Leut’, sie sollten Buß’ thun und sollten sich aussöhnen mit ihrem himmlischen Vater. ‚Denn das Gericht ist na … he, das Gericht ist na … he, es schwebbet über Euch!‘ hat er allweil g’schrieen. No, jetzt da kannst Dir doch denken, wie d’ Leut’ g’lacht haben. Und die Burschen haben sich gleich an G’spaß aus der Sach’ g’macht und haben a Litanei ang’stimmt: ‚Heiliger Knotzensepp, bitt’ für uns! Heiliger Bygotter, erlöse uns!‘ Ja g’rad krumm werden hättst mögen vor Lachen. Dem Andern is nachher der Kampl g’schwollen, und g’rad d’rauf los g’schimpft hat er – der Moses hat net ärger schimpfen können, wie er vom Berg Sinai ’runterg’stiegen is und seine Juden ums goldene Kalb ’rum g’funden hat. Und in der ganzen Zeit hat er sein Deandl an der Hand bei ihm dort stehen g’habt. Völlig erbarmt hat Ein’ das Madl. Ganz kaasweiß is ’s g’wesen, hat ’zittert am ganzen Leib und g’rad ’neing’starrt hat’s allweil in Boden. Na, na, das sind Sachen! Da möcht’ man gleich lieber weinen, wenn’s net gar so zum lachen wär’!“ Brummend wandte er sich und schritt dem Stalle zu.

Unter unwilligem Schnuffeln schlenkerte Stoffel die Mützenquaste in den Nacken und schlorpte seinem Kameraden nach.

„Na, na, was sind jetzt das für G’schichten! Han, Kuni, was sagst denn Du zu so ’was?“ lachte der Pointner und stieß die Dirne mit dem Ellbogen an.

Kuni fuhr auf wie aus tiefen Gedanken. Sie schien von Martl’s Worten wenig gehört zu.haben. Eine Weile hatte sie den Götz mit forschenden Blicken betrachtet; dann waren ihre Augen auf Karli hinübergeglitten und an ihm haften geblieben. Und offen hatten ihre Mienen das Wohlgefallen verrathen, das sie an der strammen, schmucken Erscheinung des Burschen zu finden schien.

Karli merkte und ahnte nicht, welch einer eingehenden Betrachtung er unterzogen wurde. Während Martl’s Worten hatte er fast regungslos gestanden, eine leichte Blässe auf den Wangen, die Augen mit schwermüthigem Blick zur Erde gesenkt.

Was aber ihm entgangen war, das hatte Götz gewahrt. Und während mitfühlende Theilnahme aus seinen Augen sprach, wenn sie auf dem Burschen ruhten, war ein nicht sehr freundliches Empfinden aus ihnen zu lesen, wenn sie ihre scharfen, durchdringenden Blicke hinüberschossen nach der Stelle, an welcher der hübsche Gast des Pointner’s saß. Dazwischen warf er ab und zu auch einen Blick nach dem Himmel empor, den das dunkle Wettergewölk schon völlig überzogen hatte.

Jetzt fuhr um die Hausecke ein jäher Windstoß, der auf dem Tische das Linnen hoch aufblähte und Alles, womit der Tisch bestellt war, auf die Erde zu schleudern drohte.

Der Pointner und Kuni griffen mit beiden Händen zu; schon aber hatte Götz das Linnen erfaßt und niedergedrückt unter den gelassenen Worten: „Ho, hü, jetzt wird’s aber ernst, wie’s scheint!“ Und achtsam hob er den Tisch empor und trug ihn langsamen Ganges in das Haus.

„Sapra! Jetzt hätt’s aber bald klappern können!“ meinte der Pointner; dann wandte er sich lachenden Wortes an Karli: „Aber was is denn mit Dir? Weßwegen stehst denn gar so verdattert da? Geh’ weiter, rühr’ Dich, komm auch a Bißl ins Reden! Da schau her! Da hast a G’sellschaft, wie Dir a schönere net aussuchen kannst.“ Schmunzelnd griff er der Dirne unter das runde Kinn.

Kuni runzelte die Brauen und wehrte sich mit den Armen gegen die Freundlichkeit des Pointner’s.

„Geh’, Maderl, geh’, was hast denn –“ so wollte er gegen diese ihn verblüffende Abwehr Protest erheben, als auf der Straße ein johlender Lärm sich näherte. „Ja was is denn jetzt da schon wieder?“ frug der Pointner, erhob sich und trippelte in neugieriger Hast dem Zaune zu; kaum hatte er ihn erreicht, da rief er kichernd zu Karli zurück: „Jeh, Du, da komm’ her – – der Bygotter!“

Der Bursche zuckte leicht zusammen. Zögernd that er einige Schritte gegen den Zaun und blieb wieder stehen.

Kuni verwandte keinen Blick von ihm und in reger Spannung erweiterten sich ihre Augen.

Jetzt hörte man von der Straße her eine Stimme, die den Pointner grüßte.

„Grüß’ Gott, grüß’ Gott!“ rief der Bauer lachend entgegen und winkte mit der Hand einem etwa vierzigjährigen, in einen frischgewaschenen Leinwandanzug gekleideten Manne zu, der raschen Ganges draußen vorüberschritt. Es war der Lehrer des Dorfes. Erregung und Unmuth sprachen aus seinem dunkel gerötheten Gesichte. An seiner linken Seite ging eine hochgewachsene, hagere und dennoch breitschulterige, steife Mannsgestalt. Die Füße staken in hohen, fuchsigen Stiefeln; die eine Hand trug einen breitkrempigen Filzhut, die andere führte einen knorrigen Hakenstock. Die langen Flügel eines schwarzen, eng zugeknöpften Rockes flatterten im Winde, und über die Schultern wehten die Spitzen eines mächtigen Bartes, in dessen silbernes Grau vom Kinn weg zwei schmutzig gelbe Strähne sich mischten. Der Mund verschwand unter dem zottigen Schnurrbart. Eine schmale, scharfe Hakennase krümmte sich aus dem fahlen, steinernen Gesichte. Graue, starrblickende, rothumränderte Augen funkelten unter weißen buschigen Brauen, über denen sich eine hohe, knochige Stirne wölbte. Diese Stirn war kahl bis über den Scheitel hinaus; jedoch vom Hinterhaupte und von den Schläfen flatterte ein halb ergrautes Haar in dicken, zerzausten Büscheln.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Pointner dem Manne ins Gesicht und murmelte: „Der hat sich freilich verändert – o mein Gott! Der ganze Jeremias, wie er auf die Trümmer von Jerusalem hätt’ sitzen können.“

Nun lachte er über seinen eigenen Scherz und blinzelte nach dem Mädchen, das zur rechten Seite des Lehrers ging, mit gesenktem Köpfchen, mit blassem, verstörtem Gesichte, mit den zitternden Händen am Schürzenbande nestelnd.

So schritten die Drei an dem Bauer vorüber – und da richtete Sanni zögernd das Köpfchen auf, und ihre Blicke trafen sich mit Karli’s Augen. Hastig nickte er ihr unter herzlichem und doch auch wehmüthigem Lächeln einen Gruß zu. Sie winkte ihm einen traurig stillen Dank zurück und überflog dann mit scheuen, furchtsamen Blicken den Troß der schreienden Buben, die den Dreien ein unliebsames Geleite gaben und hinter denen noch eine lachende, plaudernde Schar von Burschen, Dirnen und alten Weibern sich nachdrängte.

Karli folgte dem Mädchen mit den Augen, bis er Kuni plötzlich mit halblauter Stimme dicht an seiner Seite sagen hörte: „Das is aber amal a liebs und a freundlichs Deanerl!“

Hastig schaute der Bursche auf, erröthete und wandte sich wortlos wieder ab. Auf Kuni’s schwellenden Lippen verstärkte sich das Lächeln, wieder maß sie die Gestalt des Burschen mit musternden Blicken, und in ihren Augen zuckte etwas auf wie trotziger Uebermuth. Dabei merkte sie nicht, daß ihr stilles Gebahren einen aufmerksamen Beobachter gefunden hatte – in Götz, welcher mit verschränkten Armen unter der Haustür lehnte.

Jetzt kam der Pointner kopfschüttelnd vom Zaune zurück und berichtete auf die Frage seines plötzlich gar neugierig gewordenen Gastes, was er über den Bygotter zu berichten wußte.

„A g’spaßiger Nam’ – Bygotter?“ meinte Kuni.

„Weißt, eigentlich heißt er Knotzensepp – ja – Josef Knotz. Aber als a Bursch is er amal im Algäu wo im Dienst g’standen und da hat er sich’s auf a Zeitlang so ang’wöhnt, daß er überall, wo unsereins ‚g’wiß is wahr‘ oder sonst ’was sagt, nix Anders g’sagt hat als wie: ‚By Gott, by Gott!‘ Und drum haben s’ ihn halt nachher den Bygotter g’heißen.“

Während dieser Erklärung des Pointner’s hatten zwei dralle, blonde Dirnen den Hof betreten. Mit stillem Gruße gingen sie vorüber und musterten die Fremde mit neugierigen Blicken. Als sie sich den Ställen näherten, schauten sie noch einmal zurück und stießen sich kichernd mit den Ellbogen an.

Kuni sah es, schoß den Dirnen einen zornigen Blick ihrer dunklen Augen nach und griff nach ihrem Bündel.

„Jetzt mein’ ich doch, es wär’ amal Zeit für mich. Bei dene zwei is ja wohl mein’ versprochene Wegweiserin dabei. [583] Oder –“ und lächelnd wandte sie sich an Karli, „wie is denn mit Dir? Wär’s Dir arg z’wider, wann mich zum Wirthshaus hinführen müßtest?“

„Z’wider?“ brummte Karli. „Wann ’s sein müßt’ – was lieget denn dran?“

„Geh’ weiter! Jetzt Du bist amal a Leimlackl, a langweiliger!“ zürnte der Pointner und suchte Kuni mit den Worten zu trösten: „Mach’ Dir nix draus, Madl! Wann’s Dir recht is, bin ich selber Dein Führer!“

„Du, an Dei’m Vater kannst Dir a Muster nehmen,“ lachte Kuni. „Der hat fein schon a liebers Reden als wie Du! Und so freundlich aufg’wart’t hat er mir! Ja, und ganz erbarmt hat er sich über mich, so daß er mir völlig den Antrag g’macht hat, ich sollt’ dableiben im Pointnerhof. Aber natürlich, ich hab’ Na g’sagt, weil ich mir doch gleich ’denkt hab’, er macht sich bloß an freundlichen G’spaß mit mir. Oder – han, Bauer, is ’s am End’ net a so? Gelt? Hast Dich lustig g’macht über mich?“

„Was? Lustig g’macht.“ stotterte der Pointner, wobei er einen unsicheren Blick auf Karli warf, als wäre ihm jetzt die Sache doch nicht ganz geheuer. „Nix da! Mein Ernst is g’wesen! Mein völliger Ernst. Aber – freilich – Du hast ja schon g’sagt –“

„Ja – wenn’s dengerst Dein Ernst wär’ –“ warf Kuni zögernden Wortes ein und lächelte den Bauer mit blitzenden Augen an.

„Aber g’wiß! Mein Ernst! Aber g’wiß!“ stammelte der Pointner. „Ich werd’ doch in der einen Stund’ net babb sagen und in der andern bibb? Gelt, Karli, gelt, das giebt’s fein net bei mir!“ Dabei faßte er den Sohn an der Weste und redete mit sprudelnden Worten auf ihn ein: „Ah na! Ah na! Gelt, das wär’ schon Dir net recht, wann Dei’m Vatern sein Wort nix mehr gelten thät’! Ja – weißt – und da is jetzt nachher das Deandl ’kommen – das Deandl da – ja – Kuni – Kuni Rauchenberger heißt’s – weißt – und weil ’s Madl jetzt g’rad kein’ Dienst hat, da hab’ ich mir ’denkt – weißt – und weil so wie so an Micheli unser Kathl aussteht, wo bis jetzt Alles in der Kuchl b’sorgt hat – natürlich, das Gausl, das fürwitzig’, muß heirathen – ja, und drum hab’ ich mir ’denkt, die Kuni könnt’ gleich bei uns bleiben, zum Kochen, weißt, und so quasi als Hauserin. Ja, das scheint mir a ganz guter Gedanken – meinst net auch?“

Der Pointner ließ Karli’s Weste fahren und schaute mit einem erwartungsvollen Blick seiner zwinkernden Aeuglein zu dem nicht besonders freundlichen Gesichte des Burschen auf, wobei er zögernd wiederholte: „Meinst net auch?

Karli schwieg, zuckte die Achseln und nickte bedächtig vor sich hin. Das war nun ein Ja und ein Nein, ganz wie es der Pointner nehmen wollte. Vielleicht nahm er es als ein Nein; denn er schnitt eine verdrießliche Miene, und es schienen ihm bereits ärgerliche Worte auf der Zunge zu liegen, als Kuni mit einer Stimme von ganz unerwartet bescheidenem und schüchternem Klang das Schweigen brach.

„Wenn’s Dir fein net recht is, Karli, daß ich dableib’ – vor mir brauchst Dich mit’m Reden g’wiß net z’scheuen. Ich find’ überall mein Platzl; denn das möcht’ ich beileib’ net, daß ich aufs Wort vom Bauern hin auf an Antrag eingeh’, der dem g’wachsenen Haussohn kein’ b’sondere Freud’ net z’machen scheint. Freilich – Du kannst ja net wissen, wie ich mich in der Arbeit anstell’, und wie ich –“

„Aber – was redst denn jetzt da daher! Mir is ja im Traum net eing’fallen, daß ich ’was dagegen zum sagen hätt’,“ wurde sie von dem Burschen mit stockenden Worten unterbrochen. „Ich hätt’ ja kein’ Grund net dazu, daß ich Dich beleidigen thät’. Ah na – der Vater wird schon wissen, was er thut – und –“

„No also, nachher bleib’ ich auch gern, weil ich weiß, daß es Dir g’rad so recht is wie Dei’m Vater,“ fiel Kuni ein. „Und arbeiten will ich g’wiß, was ich kann, und auf Euer Sach’ will ich schauen, wie ich’s versteh! Und da denk’ ich, daß wir mit der Zeit dengerst noch gute Freund’ zu einander werden – Du und ich.“ Dabei streckte sie ihm freundlich die Hand entgegen.

Karli schlug ein und sagte unter verlegenem Lächeln: „No, ja – mußt halt richtig auf’n Vater schauen, und daß er sein Sach’ und sein besseres Essen in der Ordnung kriegt; nachher, mein’ ich, werden wir schon auskommen mit einander.“

„No also! No freilich!“ jubelte der Pointner und rieb sich in hellem Vergnügen die Hände. „Han, Madl, was sagst? Gelt, das is a Bua? Ja – mein Karli – der schlagt mir nach! Das is einer! Der hat a G’müth! Der sorgt sich für sein’ Vater! Aber komm, Madl – komm’ – jetzt komm’ nur gleich mit ’rein ins Haus! Jetzt weis’ ich Dir gleich Dein Stüberl an, und morgen in aller Fruh muß der Martl nach Reichenhall ’neinfahren und Dein’ Kufer holen!“ Dabei faßte er das Mädchen mit beiden Händen am Arme und zog es mit sich fort.

Götz, der noch immer unter der Thür stand, trat bei Seite, um die Beiden einzulassen.

„Geh, schau, da is ja gleich wieder einer vom Haus,“ lächelte Kuni, während sie vor Götz die Schritte verhielt und ihren Arm aus des Pointner’s Händen löste. „Du bist der Götz, gelt? Ja – und wie ich schon g’merkt hab’, wirst Du mein Fürg’setzter beim Schaffen sein. Mußt halt a Bißl Geduld haben mit mir. No also – auf gute Ehhaltenfreundschaft!“

Zögernd legte Götz seine rauhe, sonnverbrannte Hand in die weiße, weiche Hand der Dirne. „Ich mein’, wir zwei werden net gar z’oft mit einander im G’schirr sein,“ sagte er leichthin. „Dein’ Hand schaut sich net an, als wie wenn s’ b’sonders flink nach der Bauernarbeit greifen möcht’.“

„Das is auch gar net nöthig,“ eiferte der Pointner; „die Kuni is da zum Kochen und zu der Nahterei – ja – und zu meiner Pfleg’! Das hättst ja hören können; das hat sich mein Karli gleich zur Bedingung g’macht! Aber komm’, Madl – komm’!“ Wieder zog er die Dirne an den Händen hinter sich her und verschwand mit ihr in der Stube.

Karli näherte sich langsam der Schwelle, zog die Brauen hoch und schaute den Knecht mit einem Blicke an, der zu fragen schien: „Was sagst jetzt da dazu?“

Götz nickte unter einem eigenartigen Lächeln mit dem Kopfe; dann zuckte er die Schultern und sagte: „No – ’s Madl is sauber, da is nix zum reden – und – sie kann Ei’m auch g’fallen, so zum Aufputz in d’ Stuben. Aber – mir schwant, das is kein’ Tauben, die an Fried’ ins Haus bringt. Hast es net g’sehen – die g’wissen Falterln ums Göschl ’rum? Ich bild’ mir ein, die könnten ’was erzählen. Und nachher – in ihre Augen hat s’ Dir so a ganz an eigens G’spiel –“

„Aber jetzt geh’ weiter! Was Du net Alles siehst! So gar g’fährlich wird’s ja doch net sein!“ meinte Karli. „Und schau – über ihre Augen sollst ja gleich gar nix sagen! G’wiß wahr, wie Ihr g’rad so vor einander g’standen seid, da hat’s mich völlig erstaunt, wie sich Dein G’schau mit dem ihrigen gleicht. Ja – an Augenblick is mir’s ordentlich g’wesen, daß ich mich hab’ fragen müssen: hast jetzt Du ihre Augen oder hat sie die Deinen im Kopf.“

„Was net sagst!“ lächelte Götz. „Aber ein Unterschied, mein’ ich, wär’ dengerst dabei: meine Augen schauen nach der Arbeit aus; nach was aber dem Deandl seine Augen ausschauen, das weiß ich net – und – wenn ich mir’s denken könnt’, ’leicht möcht’ ich’s nachher net sagen.“ Damit nickte er dem Burschen einen Gruß zu und schritt, einen prüfenden Blick auf den finsteren Himmel werfend, über den Hofraum hinweg den Oekonomiegebäuden zu.

Eine Weile stand Karli in Gedanken versunken. Dann näherte er sich vollends der Thür, machte aber kurz vor der Schwelle wieder Kehrt und schlug den Weg ein, welchen Götz genommen. Er trat unter die offene Stallthür und schaute schweigend den Knechten bei der Wartung der Pferde zu.

Da hörte er vom Brunnen her eine erregte Mädchenstimme: „Du, Kathl, hast es schon g’hört? Die bleibt fein da im Hof!“

„Aber, Zenz! Wirst doch net denken, daß ich mich da drüber verwundern soll!“ gab eine andere, dünn und spitzig klingende Stimme zur Antwort. „Das hab’ ich mir ja gleich ’denkt, wie ich sie g’sehen hab’. Da müßt’ ich unsern Bauer net kennen –“

Die Dirne verstummte und starrte erschrocken und verlegen in das zorngeröthete Gesicht des jungen Pointner’s, den sie so unerwartet vor sich stehen sah.

„Ich sag’ Dir’s, Kathl,“ fuhr Karli die Magd mit bebender Stimme an; „noch an einzigs solches Wörtl – und Du brauchst Micheli nimmer abz’warten! Da kannst lieber heut’ als morgen Dein’ Kufer packen.“

[586] Kurz wandte er sich von der maulenden Dirne und schritt mit verdrossenem Gesichte dem Hause zu. Schließlich beeilte er sich, die Schwelle zu erreichen. Es fielen schon einzelne schwere Tropfen.

Nun grollte, ohne daß man einen Blitz hätte aufflammen sehen, ein dumpfer Donnerschlag durch die Lüfte, und dicht fallender Hagel prasselte nieder über die Dächer.




4.


Das Dorf hatte zu reden. Im Pointnerhof die neue Dirne – und draußen im „Binderholz“ der Bygotter!

Es verging während der nächsten Tage keine Stunde, ohne daß nicht ein paar Neugierige hinausrannten nach dem Binderholze. Das war ein herrlicher, weit sich hindehnender Tannenwald, der wie ein grüner Riesenriegel zwischen das Bergthal und das ebene Land geschoben lag. In sanfter Neigung zog der Wald sich beiderseits gegen die Berge hinan. Die Straße durchkreuzte ihn, dem Gehänge der Hügel folgend, in beträchtlicher Höhe über dem breiten Schluchtengrunde, durch welchen der Bach in kiesigem Bette seinen Weg nach der Ebene suchte. Je mehr sich der Wald dieser tiefsten Stelle des Thales entgegensenkte, desto reichlicher zeigte sich das sanftere Grün der Buchen und Birken zwischen den dunklen Wipfeln der Tannen, so daß in nächster Nähe des Baches nur noch vereinzelte Nadelpyramiden die dichten, langgestreckten Weiden- und Birkenfelder überragten.

Ein schmaler Fußpfad lenkte vom Dorf einher den Bach entlang und kreuzte sich im tieferen Walde mit einem schlecht gehaltenen, von der Straße sich abzweigenden Holzfuhrwege. Nahe bei dieser Kreuzung lag zwischen Tannenwald und Birkengehölz ein dreieckiger Wiesenraum, auf welchem das magere Gras in wucherndem Moose zu ersticken drohte. Ein verwahrloster Stangenzaun umgrenzte den Raum, in dessen stumpfem Winkel zwei uralte Eichen ein kleines, halbzerfallenes Haus mit dem spärlichen Schatten ihrer knorrigen, laubarmen Aeste bedachten. Das üppige, freundliche Grün des Epheus, der in engen Windungen die beiden Stämme umschlang, zwischen den Aesten sich fortspann und von ihnen seine netzartig verflochtenen Ranken niedersenkte über Dach und Wände dieses Hauses, vermochte den traurigen öden Anblick des Bildes nur wenig zu mildern.

Einer der Stürme, die hinweggebraust waren über die schutzlose Stätte, hatte den Kamin gebrochen, und die Trümmer lagen ausgestreut über das halbvermoderte und übel zerzauste Strohdach. Ueberall an den Wänden war der grobe, verwitterte Mörtelbewurf von der Mauer gebröckelt, und wo er noch an den Steinen hielt, war er durchzogen von klaffenden Rissen. An den Fenstern waren die Scheiben erblindet und zum Theile zerschmettert; die Läden hingen schief in ihren rostigen Angeln; Gras und Moos wucherte auf der verfaulten Schwelle, und graugelbe Schwämme wuchsen aus den Fugen der verschobenen Thür. Unter dem morschen Gebälk des vorspringenden Daches, wo einst mit fröhlichem Gezwitscher die Schwalben hausgehalten in sauberen Nestern, hatten sich die scheuen, piepsenden Rothschwänzchen mit Schmutz und Unrath eingemiethet. Aber auch sie waren davongeflattert und nicht wiedergekehrt, als der Bygotter mit seinem Kinde Einzug gehalten hatte in dieses armselige Haus, das sein Heim und Eigen war.

Vor vierzehn Jahren, da hatte der Bygotter wohl noch inmitten des Dorfes ein freundliches Häuschen besessen; in einer Nacht aber war es niedergebrannt bis auf die Grundmauern. Nur das nackte Leben hatten die Leute gerettet, und der Bygotter hätte betteln gehen müssen mit Weib und Kind, wenn nicht die alte Macksederin mit dem Schwiegersohn ihr Bischen Erspartes getheilt hätte, das sie im Laufe der Jahre von dem kümmerlichen Pensionsgehalte, das sie als Försterswittwe bezog, noch hatte zurücklegen können. Da hatte dann der Bygotter für eine geringfügige Summe das Binderholzhäuschen erworben, das sich schon damals in gar üblem Zustande befand, hatte das alte Gerümpel, mit dem es bestellt war, halbwegs wieder in brauchbaren Stand gesetzt und hatte sich mit den paar Gulden, die ihm noch zur Verfügung blieben, neues Handwerkzeug beschafft. Er war ein gelernter „Dusenmacher“, fertigte aus Lindenholz die verschiedenartigsten Tabackdosen, Büchsen und Kästchen, die mit gepreßten Birkenrinden überkleidet wurden, und war daneben, wie es sein Handwerk mit sich brachte, ein halber Zimmermann und halber Schreiner.

So begann er nun drauf loszuarbeiten – „viechmaßig“, wie ihm das ganze Dorf zugestand; aber Noth und Elend kauerten einmal an seinem Tische und fühlten sich gar wohl und heimisch unter dem unfreundlichen Dache. Die beiden Leute arbeiteten sich im wahrsten Sinne des Wortes die Nägel von den Fingern; aber sie saßen nun einmal auf dem dürren Zweige, und da war kein Loskommen mehr. Und immer noch verlor die Frau den Muth nicht, aber dem Mann begann die Kraft zu erlahmen; dabei wurde er allmählich das, was die Leute im Dorfe einen „Sinnirer“ nennen, ein Mensch, der unablässig die Frage auf den Lippen führt: „Was hab’ ich denn verschuldet, daß ’s g’rad mir so gehen muß?“ – und der, je müder ihm die Hände werden, um so fleißiger all sein Hoffen auf einen unerwarteten Glücksfall setzt.

Die unklaren Gedanken, mit denen der Bygotter verbitterten Gemüthes solch einem ersehnten Unerwarteten entgegensah, gewannen mit einem Mal eine bestimmte Richtung. Es war im dritten Jahre, nachdem er das Binderholzhäuschen bezogen. Da hatte ihm der Zufall eine jener Schwindelbrochüren in die Hände gespielt, welche die Versuchung hinauftragen bis in die höchsten Bergdörfer. Die utopischen Versprechungen, die der Bygotter aus dem abgegriffenen Büchlein herausbuchstabirte, gingen ihm Tag und Nacht nicht mehr aus dem Kopfe. Sein einziger Gedanke war nur noch das „Goldland über’m Wasser drüben“. Er sah sich in seinen Träumen schon inmitten des Urwaldes, den er sich ungefähr vorstellte wie die verwahrlosten Altholzbestände des Binderholzes; er sah und hörte schon die Bäume stürzen unter seiner sausenden Axt, sah auf der urbar gemachten Erde sein stattliches Haus stehen, sah schon die „Farmerer“, die er sich so ähnlich dachte, wie den reichen Freithhofbauern, den alten Pointner und den dicken Grundübler, mit Schmunzeln ihre Prisen aus seinen Birkendosen schnupfen, als hätten sie just auf den Bygotter und seine Schmalzlerbüchsen gewartet – und sah sich nach so und so viel Jährlein zurückkehren in die Heimath, das behäbige Bäuchlein umschnürt mit der von „Dullers“ strotzenden Geldkatze. Von Noth und Elend getrieben, verrannte er sich mit Kopf und Herz in diese für ihn so sonnenklaren Pläne und setzte zu ihrer Verwirklichung die ganze eiserne Zähigkeit ein, die er vorerst vergebens aufgeboten hatte, um sich aus seiner trostlosen Lage emporzuarbeiten. Ganz unerwartet fand er dabei einen eifrigen Helfer im Pfarrer des Dorfes. Dem hatten die „unchristlichen“ Reden nicht sonderlich getaugt, die der Bygotter in der letzten Zeit zu führen liebte; so suchte er diese Reisepläne in jeder nur denkbaren Weise zu fördern, brachte es zuwege, daß dem Bygotter alle Rückstände unter dem Titel eines „Gemeindegeschenkes“ erlassen wurden, und veranstaltete sogar noch eine Sammlung, welche einige hundert Gulden abwarf. Der Bygotter selbst machte zu Geld, was nur einen Käufer fand, sein Handwerkszeug, seinen Hausrath, seine Holzvorräthe – nur für das abgelegene, zerfallende Haus im Binderholze wollte sich kein Liebhaber nennen. Dafür aber gab die alte Macksederin ihr Letztes her – unter der Bedingung freilich, daß ihr Enkelkind, das sechsjährige Sannerl, unter ihrer Obhut in der Heimath verbleibe. Wie sehr auch Sanni’s Mutter dagegen jammern und sich wehren mochte: der Vater hatte ein rasches Ja gesagt, dem er auch Geltung zu verschaffen wußte. Es wäre so besser für das Kind, meinte er; dabei blieben ihm alle vorläufigen Mühsale erspart, während ihm die Annehmlichkeiten der späteren, glücklichen Zeit desto mehr zugute kämen. So siedelte das Sannerl zu der alten Macksederin über, die im Forsthause zwei kleine Hinterstübchen bewohnte – und der lachende Bygotter fuhr mit seinem weinenden Weibe auf einem mit Birkenreisern geschmückten Wagen zum Dorf hinaus, „fort ins Amerika“.

Elf Jahre waren seitdem vergangen, und nun war der Bygotter zurückgekehrt, ohne Weib, ohne gefüllte Geldkatze, mit einer Kiste, welche halb mit Zimmermannswerkzeug, halb mit zertragenen Gewandstücken und allerlei Bücherwerk angefüllt war, und daneben mit jener seltsamen Errungenschaft, um derentwillen er für die Meisten im Dorfe schon in der ersten Stunde seiner Ankunft ein Ziel des Spottes und Gelächters, für wenige ruhiger Denkende ein Gegenstand des Mitleids und der Besorgniß, für den hochwürdigen Herrn Pfarrer aber ein Gegenstand des höchsten Aergernisses geworden war.

Diese Befürchtungen schienen sich aber vorerst in nichts zu bewahrheiten. Der Bygotter ließ sich während der nächsten Tage [587] im Dorfe vor keinem Auge blicken, und die Annäherungsversuche all Jener, die theils aus Neugier, theils aus Gutmüthigkeit, theils des Juxes halber hinauswanderten in die Nähe des Binderholzhäuschens, wies er mit stechendem Blick und starrem Schweigen zurück. Sehen konnten ihn alle, die da kamen: bald vor dem Hause, bald am Rande des Gehölzes, in Hemdärmeln, mit nackten Füßen, mit wehendem Bart und Haupthaar, das Beil oder die Säge in Händen, rastlos arbeitend, schweißtriefend und keuchend wie ein Thier, dem das drückende Joch auf der Stirne liegt. Krachend stürzten unter den hallenden Schlägen seiner Axt die Bäume zur Erde; aus ihnen zimmerte er Bohlen und Pfosten, verbolzte die frisch mit Lehm beworfenen Wände, ergänzte die Schwelle, fügte aus dicken Brettern eine neue Thür, besserte die Fensterkreuze und die Stellung der Läden, deckte das Dach mit plumpen Schindeln und schränkte aus den Aesten der gefällten Bäume rings um den Wiesenraum einen dichten, übermannshohen Zaun, als wäre das Binderholz der Urwald des fernen Westens, als hätte er sich vor reißenden Thieren und farbigen Horden zu schützen.

Die Leute schüttelten die Köpfe und schauten ihm unter Wispern und Flüstern lange Stunden hindurch zu. Manchmal versuchten es ein paar übermüthige Bursche, durch stichelnde Reden den emsig Schaffenden zur Sprache zu reizen; rastlos aber schwang der Bygotter in seinen nervigen Armen das blitzende Beil, und keine Miene seines Gesichtes verrieth, als wäre eine dieser Reden an sein Ohr gedrungen. Nur einmal geschah es, daß sie wenige Worte von ihm zu hören bekamen, die dann aber auch reichlichen Stoff zu Gelächter und langem Gemunkel gaben. Er hatte eine riesige Tanne gefällt, und an dem Stürzen und Krachen schien er seine Freude zu haben; denn aus seinen Augen flackerte ein wildes Feuer. Als der grüne Riese regungslos auf dem Moosgrund lag, schmetterte der Bygotter mit wuchtigem Hiebe die Axt bis an das Heft durch die splitternde Rinde und hob die Arme gegen den Himmel, mit dumpf grollender Stimme aufsprechend in die Lüfte: „Wie dieser Baum dahinstürzt vor der Faust des Mächtigen, so wird, o Herr, der Thron der falschen Götzen stürzen, wenn einst der Tag des Lichtes anbricht, der Deinen Knecht zum Dienste ruft!“ Dann wieder riß er mit jähem Ruck die Axt aus dem Stamme und wetterte mit dem scharfen Eisen in das zitternde Geäst, daß die Zweige flogen und die Späne zischten.

[597] Durch all die Stunden, während welcher der Bygotter in seiner eigenthümlichen Weise werkte und schaffte, weilte Sanni unablässig in seiner Nähe, ging ihm bei der Arbeit nach Kräften an die Hand oder saß unter einem Baume, die zerschlissenen Kleider des Vaters bessernd, und dabei zitterten fast immer heimliche Thränen auf ihren schmalen, blassen Wangen. Wenn sie sich erhob, wenn sie sich entfernen wollte, traf sie stets aus den Augen des Vaters ein finsterer Blick, so daß sie sich wortlos wieder niederließ auf die verlassene Stelle. Am Tage nach des Vaters Ankunft war sie von ihm ins Dorf geschickt worden, um beim Krämer einen Scheffel Kartoffeln, ein Säckchen mit Linsen und Bohnen und allerlei andere Dinge, beim Bäcker eine Metze Mehl und schwarzes Brot zu bestellen. Ihr Weg führte eigentlich nicht am Pointnerhof vorüber; als sie sich dennoch plötzlich vor dem großen, weißen Hause mit den grünen Läden sah, schüttelte sie das Köpfchen darüber, wie es nur möglich gewesen wäre, daß sie so weit vom Wege abkommen konnte. Dabei verzögerte sie die Schritte und musterte das schöne Haus, besonders aber den Hofraum und die blinkenden Fenster mit schüchternen Blicken. Das war doch seltsam, wie leer der Hof sich ansah! Als gäb’ es im Pointnerhause keine Mannsleute! Und da drinnen hausten doch ihrer fünfe, die vier andern – und Karli! Nun plötzlich gewahrte sie hinter einem der Fenster ein ihr völlig unbekanntes, lächelndes, bildsauberes Gesicht mit großen dunklen Augen. Sie wußte nicht, was sie dachte, sie fühlte nur, daß es ihr beim Anblick dieses schönen Gesichtes wie ein Stich durch das Herz ging; so eilte sie davon, und als sie den schmalen Fußpfad am Bache erreichte, fing sie zu laufen und laut zu weinen an.

Seitdem hatte sie das Dorf nicht wieder betreten. Die Woche war vergangen und der Samstag gekommen. Als sie da bei grauendem Morgen ihr kümmerliches Lager verließ und die Stube betreten wollte, hörte sie schon die dumpfe Stimme des Vaters, halb wie Gebet, halb wie Gesang. Sie öffnete die Thür und fuhr sich erschrocken mit den Händen an die Schläfe. Inmitten der Stube lag der Bygotter ausgestreckt mit dem Gesichte auf den Dielen.

„Vaterl – um lieben Herrgotts willen –“ stammelte Sanni unter Thränen. Schon wollte sie auf den Vater zueilen, als er sich murmelnd auf die Kniee emporrichtete und, die Arme ausbreitend, mit starren, glühenden Augen aufschaute zur Decke.

„Vaterl – Vaterl –“ stotterte Sanni leise; er schien sie nicht zu hören, und da verließ sie zögernd die Stube und setzte sich draußen im finsteren Flur weinend auf die morsche, leiterartige Treppe, die zum Bodenraume führte. Dort saß sie lange Stunden, und dabei hörte sie unablässig aus der Stube die dumpfe, murmelnde Stimme des Vaters.

Der trieb es so fort den ganzen Tag, rührte keine Hand zur Arbeit und verzehrte keinen Bissen. Erst gegen Abend [598] verlangte er zu essen. Erleichtert eilte Sanni in die Küche, um dem Vater eine Speise zu richten, die er sie bereiten gelehrt: aus Roggenmehl, getrockneten Erdbeeren, Salz und Wasser. Sie mußte, um Feuer machen zu können, Späne von den Zimmerplätzen draußen im Walde holen. Als sie unter den rauschenden Tannen stand und die splitterigen Scheite in ihre Schürze las, hörte sie rasche Tritte sich nähern, und ehe sie noch aufblickte, schlug mit freudigem Klange Karli’s Stimme an ihr Ohr: „Sanni! Sanni! Ja grüß Dich Gott, Sanni!“

Erröthend und erblassend warf Sanni einen scheuen Blick durch das offene Zaunthor nach dem Hause, raffte mit der Linken die Schürze zusammen und reichte dem Burschen unter stammelndem Gruße die zitternde Rechte.

Mit festem Druck umspannte Karli die kleine Hand und schaute dem Mädchen mit glücklichem Lächeln in die Augen. „Ja weil ich Dich nur amal sieh’! Weil ich Dich doch dengerst wieder amal sieh’! Ja wie geht’s Dir denn, han, so sag’ mir nur g’rad, Sanni, wie geht’s Dir denn? Gelt, gelt, das sind jetzt Sachen! Gar net sagen kann ich Dir’s, wie ich mich g’sorgt hab’ um Dich! G’wiß wahr, so oft bin ich heraußen gewesen – freilich, weißt, unter Tags hab’ ich nie net wegkönnen wegen der Arbeit; bei uns haben s’ ja’s Schneiden schon ang’fangt – aber schier gar alle Abend’ bin ich heraußen g’wesen. Wie a Füchserl um an Taubenkobl bin ich allweil ’rumg’schlichen um den sakrischen Zaun da. Und wie ich Abend um Abend wieder heim hab’ müssen, ohne daß ich Dich g’sehen hab’, g’wiß wahr, da hat’s mich schon so b’langt –“

„Geh’ weiter, wird Dir doch die Zeit net lang ’worden sein!“ fiel Sanni mit leiser und dennoch ein wenig streithaft klingender Stimme ein. „Habt’s ja so an schönen B’such im Hof!“

„Was? An B’such?“ frug Karli verdutzt.

„No ja – die mit dem weißen G’sicht und die schwarzen Augen!“

„Aber geh’, was hast denn jetzt da? An B’such! Das is ja dem Vater sein’ neue Hauserin!“ lachte der Bursche, der ohne großen Aufwand von Scharfsinn in Sanni’s Worten eine Regung schüchterner Eifersucht wahrnahm – und was Wunder, daß ihm diese Wahrnehmung Freude machte! Fester schlossen sich seine Finger um die Hand des Mädchens; er neigte das Gesicht und schaute wortlos lächelnd in Sanni’s Augen, bis auch ihre Lippen sich zu leisem, verlegenem Lächeln kräuselten. Da kicherte er lustig auf: „Aber wart’ – Du bist mir amal Eine!“

„Susanna!“ tönte plötzlich vom Hause her eine strenge, rufende Stimme.

„Jesus Maria – der Vater!“ stotterte Sanni erblassend, zerrte ihre Finger aus Karli’s Händen und huschte davon.

„Sanni – Du – ich wart’ fein noch!“ rief ihr der Bursche flüsternd nach, und während er sich in das tiefere Dunkel des Waldes zurückzog, maß er mit unwirschen Blicken die hohe, hagere Gestalt des Bygotters, welcher finsteren Gesichtes unter der Thür stand und die krallenartig gekrümmten Finger durch die langen Strähne des grauen Bartes zog. Als Sanni den Vater erreichte, trat er wortlos bei Seite, ließ das Mädchen eintreten, folgte ihm und schloß die Thür.

Zu Füßen einer tiefästigen Fichte kauerte sich Karli nieder und starrte, manchmal leise vor sich hinpfeifend, durch das offene Zaunthor nach der geschlossenen Thür und den matt erleuchteten Fenstern.

Die Dämmerung wandelte sich zur Nacht, und während hoch über den schwarzen Wipfeln einzelne Sterne für kurze Dauer aus dem Dunkel der treibenden Wolken blitzten, durchstrich ein sachter Wind die Tannen, ließ das Rauschen des Baches bald näher und bald ferner tönen und weckte im Walde einen feuchten, würzigen Duft.

Jetzt hörte Karli die Thür gehen; hastig sprang er auf, zog sich aber rasch wieder unter die schützenden Zweige zurück; denn die langsamen schweren Tritte, die sich näherten, konnten nicht von Sanni’s leichten und kleinen Füßen herrühren.

Es war der Bygotter. Trotz des Dunkels unterschied der Bursche deutlich die hagere Gestalt des Mannes, der in der Thorlücke des Zaunes erschien, eine Weile regungslos hinauslauschte in den finsteren Wald, dann die aus dicken Planken gefügte Pforte schloß, den hölzernen Riegel vorschob und wieder dem Hause zuschritt.

„Da hast es! Jetzt is ausg’wart’t!“ brummte Karli und löste sich mit einem schweren Seufzer aus seinem Verstecke.

Schon wollte er sich dem Wege zuwenden, als eine Sternschnuppe in leuchtendem Bogen niederschoß zur Erde.

„Daß ich d’ Sanni krieg’!“ fuhr Karli mit hastigen Worten auf und schaute mit freudig glänzenden Augen in den Feuerschein des Meteors, das dicht über dem Dache des Bygotterhäuschens zu erlöschen schien. Das „Ich wünsch’ mir …“ hatte er verschluckt, um die anderen Worte noch herauszubringen, ehe die Erscheinung wieder in Nacht zerfloß. Wäre er nur mit einer einzigen Silbe zu spät gekommen, so hätte ja sein Wunsch „nix ’golten und kein’ Kraft net g’habt“.

Er war aber nicht zu spät gekommen – und da mußte ihm ja von nun an Alles nach seinem Wunsche gehen! „’Troffen hab’ ich’s! Richtig ’troffen!“ lachte er vor sich hin, schnalzte mit den Fingern und schwang mit einem unterdrückten Jauchzer den Hut. In seliger Laune steuerte er gemächlichen Schrittes der Straße zu, pfiff eine lustige Ländlerweise, und als er aus dem Walde auf die nebeldampfenden Wiesen trat, hub er mit lauter Stimme zu singen an und jodelte und dudelte so fort, bis er den Pointnerhof erreichte. Auf der Schwelle empfing ihn Kuni mit den Worten: „Guten Abend, Karli! Wo bleibst denn gar so lang?“

„No ja, der Mensch muß doch Luft schnappen!“

„Geh’! Und alle Abend’?“ scherzte sie. „Und gar so lustig kommst heim von Deiner Schnapperei?“

„No freilich, weißt, der gute Luft am Abend macht Ei’m halt die Brust so weit – g’wiß wahr!“ Lächelnd preßte er die Fäuste an die Rippen und wölbte die kräftige Brust unter einem tiefen Athemzuge.

„Hast schon Recht! Schnauf’ nur g’hörig! Schnaufen is Leben, und ’s Leben is ’was Schöns, wenn’s Einer von der richtigen Seiten packt. Aber jetzt komm’ ’rein! Wer leben will, muß essen auch! Ich hab’ Dir Dein’ Sach’ schon recht schön warm g’stellt!“ Dabei zog sie ihn am Aermel in den Flur, legte die Hände auf seine Schultern und schob ihn so der Thür zu.

Als die Schritte der Beiden verhallten, erhob sich von der Hausbank eine Mannsgestalt, die der Bursche im Dunkel nicht bemerkt hatte. Es war der Götz. Unter einem leisen, gedehnten Pfiffe nickte er gegen die Thür und klopfte die erloschene Pfeife aus.

„Neugierig bin ich doch, ob er net dengerst anbeißt auf ihre verzuckerten Hackerln?“ murmelte er vor sich hin, führte das ausgeschraubte Pfeifenrohr an die Lippen und blies, um es zu reinigen, heftig durch die Bohrung.




5.


Am andern Morgen warf sich Karli schon zu früher Stunde in sonntäglichen Staat und verließ den Pointnerhof. In der Nähe der Kirche stellte er sich auf, um die aus der Frühmesse kommenden Leute zu mustern. Und da er nun einmal auf einem gar so bequemen Fleckchen stand, blieb er die anderthalb Stündlein stehen, bis die Leute zum Hochamt herbeiströmten. Das ganze Dorf wanderte an ihm vorüber; aber weder Sanni erschien, noch der Bygotter. Als schon die drei Glocken zum „Segen“ läuteten, kam der Pointner einhergetrippelt, an Kuni’s Seite, die sich gar schmuck und sauber aufgeputzt hatte. Mit lustigem Zwinkern nickte der Bauer seinem Buben einen Gruß zu, und Kuni rief ihn lächelnd an: Geh’ zu, komm’ mit, versäumst ja den Segen!“

„No – auf das eine Mal wird’s auch net ankommen,“ meinte Karli, grub die Fäuste noch tiefer in die Joppentaschen und spreizte die Füße noch weiter.

Dennoch betrat er, als die Beiden in der Kirche verschwunden waren, den Friedhof. Hier setzte er sich auf die Mauerbrüstung und spähte die Straße entlang, die nach dem Binderholze führte.

„Jetzt das is doch arg! Net amal in die Kirchen gehen!“ brummte er kopfschüttelnd und ging nun endlich mit raschen Schritten dem Portal zu. Eben noch rechtzeitig erreichte er seinen Platz auf der „Pori“, um den Hochwürdigen zur Predigt auf die Kanzel steigen zu sehen.

Auch der Geistliche schien Jemand in der Kirche zu vermissen; denn mit suchenden Blicken musterte er die Schar der „in Christo Versammelten“. Dann begann er zu sprechen – über das Kapitel von den falschen Propheten, aus deren Fährten, wie er verkündete, Hader und Unfried’ zwischen die Saat des frommen [599] Friedens schösse, wie wucherndes Unkraut zwischen die Halme des blühenden Weizenfeldes. Er verallgemeinerte das Thema nach allen Richtungen hin – und beschloß es nach einer Stunde mit dem schon öfters wiedergekehrten Refrain:

„Hütet Euch, meine geliebten Kinder, hütet Euch vor den falschen Propheten!“

Als der Hochwürdige die Kanzel verließ, huschte ein leises Summen durch die ganze Kirche. Jeder und Jede fühlte sich verpflichtet, an den Nachbar oder die Nachbarin die schmunzelnde Frage zu richten: „Weißt, wen er g’meint hat?“

Und diese Frage, die durch die ganze Kirche huschte, flüsterte im „Pointnerischen Weiberstuhl“ auch die Zenz der Kathl zu.

„Dumm müßt’ ich sein, wann ich’s net g’merkt hätt’!“ lautete hier die leise, spitz kichernde Antwort. „Aber g’rad so gut, wie von die falschen Propheten, hätt’ er auch von die falschen Prophetinnen predigen können – von dieselbigen, wo die sanften G’sichter machen und dabei ihre Kluperln[1] einziehen hinter’m Buckel, daß man die lieben Nagerln net sehen sollt’, ehvor’s ans Kratzen geht. So Eine is erst der wahre Unfried’.“

So leise diese Worte gesprochen waren, Kuni hatte sie gehört. Aber in ihrem hübschen Gesichte rührte sich keine Miene; nur über ihre Lider flog ein kaum merkliches Zucken, und es war kein guter Blick, den sie auf ihr offenes Gebetbuch senkte.

Als dann der Gottesdienst zu Ende war, trat sie als eine der Ersten aus den Betstühlen und schritt mit trotzig erhobenem Kopfe an den wispernden Leuten vorüber.

Der Pointner und Karli verließen wenig später mit einander die Kirche. Erst wohnten sie der Gemeindeversammlung bei und machten dann einen Rundgang durch die Gassen des Dorfes. Mit dem Glockenschlage zwölf betraten sie ihren Hof und fanden in der Stube schon die dampfende Suppenschüssel auf dem gedeckten Tische, der mit einem duftenden Resedenstrauße geschmückt war.

„Ich sag’s halt!“ schmunzelte der Pointner. „G’rad freuen kann Ein’ ’s Heimkommen, seit die Kuni im Haus is! Soll mir nur Einer ’was sagen gegen ’s Deandl!“

„Sagt ja kein Mensch ’was!“ lachte Karli, während er die Joppe auszog und an den Thürnagel hängte.

„N … no –“ erwiederte der Pointner zögernd, „Du hörst halt net überall hin. Aber ich weiß schon – aus die Einen red’t der Gift, aus die Andern der Neid.“

Mit verdrießlicher Miene schob er sich hinter den Tisch; aber sein ganzes, rundes Gesicht kam wieder ins helle Lachen, als die Thür sich öffnete und Kuni die Stube betrat, in dem kurzen, braunen, schwankenden Röckchen mit der frischen Leinenschürze, in dem niederen, knapp sitzenden schwarzen Mieder, über welchem sich das schneeweiße Hemd, dessen Aermel die vollen Arme fast bis zu den Schultern nackt ließen, in straffen Falten um die Büste spannte, während es mit einer lose umgelegten Krause den Hals umschloß. Der hübsche Kopf war ein wenig zur Seite geneigt, als trüge er nur schwer das Gewicht der üppigen, röthlich schimmernden Haare, die nach bäurischer Sitte mit zwei dicken Flechten um die Stirn gelegt waren.

Schon am zweiten Tage nach der Ankunft hatte Kuni ihr halb städtisches Gewand gegen die im Dorfe übliche Tracht vertauscht, als hätte sie dadurch schon äußerlich zeigen wollen, wie sie sich Allem und Jedem zu fügen gedenke, was im Pointnerhof bislange Brauch und Ordnung gewesen. Mit flinken Händen griff sie die Arbeit auf und wirthschaftete mit emsigem Eifer in Haus und Küche – und obwohl sie dabei Alles that, wie es bisher gethan worden war, wußte sie doch Allem eine bessere Art und ein gefälligeres Ansehen zu geben.

Dieses Schaffen, Sorgen und Bessern schien ihr selbst Vergnügen und Freude zu bereiten. Für den Götz aber, der sie unausgesetzt beobachtete, gewann es den Anschein, als ob ihr ganzer Eifer nur eine Laune wäre, so eine Art von „G’spaß“, den sie an all dem Neuen und Ungewohnten fände – und vielleicht noch etwas Anderes. So sehr auch Kuni den Pointner verhätschelte, so sehr sie in ihm die Hauptperson des Hauses zu sehen schien und Alles that, was seinem Hange zur Behaglichkeit willkommen war, so daß der Pointner alltäglich mit Schmunzeln betheuerte: „Ja g’rad wie im Himmel is ’s jetzt in mei’m Hof!“ – dennoch meinte Götz zu gewahren, daß es nicht der Pointner, sondern Karli sei, dem das beste Theil dieser geschäftigen Fürsorge zu Gute käme, und daß dieselbe überhaupt der Absicht entspringe, mehr dem Sohne als dem Vater das Leben im Hause so angenehm wie möglich zu machen. Wohin solche Absicht zielen möchte, das meinte sich Götz ohne besonderes Kopfzerbrechen sagen zu können. Sah er es doch mit an, wie Kuni in wenigen Tagen die bescheidene Haltung, welche sie anfangs dem Burschen gegenüber eingenommen, zu einem fast vertraulichen Verkehr umzuwandeln wußte. Karli war eine viel zu gutmüthige Natur, als daß die etwas mißtrauische Zurückhaltung, die er während der ersten Tage gegen Kuni beobachtete, lange bei ihm vorgehalten hätte. Schon am dritten Tage erwiederte er den Gruß, den Kuni ihm bot, mit freundlichen Worten. Bald hörte er gern auf ihr lustiges Geplauder – und das um so lieber, als es ihm selbst bei den sorgenden Gedanken, die er sich um Sanni’s willen machte, im innersten Herzen gar wenig lustig zu Muthe war. So fand er in Kuni’s Art und Weise eine willkommene Aufheiterung und nahm dabei die kleinen Vertraulichkeiten, die sie sich ihm gegenüber mehr und mehr erlaubte, so harmlos hin, wie er sie harmlos gemeint wähnte – er sah in ihnen nichts Anderes als den ländlich sittlichen Beweis der Thatsache, daß sich Kuni im Pointnerhofe aufs Beste eingewohnt hätte. Ueberdies machte es ihm Freude, daß der Vater so vortrefflich versorgt schien – und daneben hatte er gerade genug von des Vaters Natur geerbt, um die geschäftige Fürsorge, welche Kuni in Allem und Jedem bethätigte, mit Behagen zu gewahren und zu genießen. Wenn er nun auch hierin nichts Anderes sah, als die Leistung einer bezahlten Magd, die eben ein wenig mehr als ihre Pflicht that, so war er doch ein zu offener und ehrlicher Bursche, um diesem Mehr die Anerkennung zu versagen. Er nickte zustimmend zu den sprudelnden Lobhymnen des Vaters, und es war bei ihm ein beliebtes Wort, von dem „guten Zuge“ zu sprechen, der mit Kuni in das Haus gekommen wäre.

Als er einmal nach solch einem Worte die Stube hatte verlassen wollen, hatte plötzlich Kuni vor ihm gestanden. Eine Weile hatte sie ihn schweigend angeschaut und ihm darauf mit einem leisen Lächeln die Hand hingestreckt:

„Schau, Karli, das is lieb von Dir, daß Du das Bißl, wo ich Euch zum G’fallen thun kann, was gelten laßt!“

„No ja – was wahr is, muß wahr sein!“ hatte er ruhig erwiedert, hatte ihre Hand gedrückt und war zur Stube hinausgestolpert.

Seit diesem Tage hatte Kuni ihren sorgenden Eifer noch verdoppelt. Daneben hatte sie auch Alles versucht, um sich mit den Dienstboten in gutes Einvernehmen zu setzen. Wenn sie dabei auch genau zu wissen schien, wie sie sich gegen die zwei Dirnen und die beiden Knechte verhalten sollte, so schien sie dem Götz gegenüber die richtige Art des Verkehrs nicht finden zu können. Einmal versuchte sie es mit ruhiger Freundlichkeit, ein andermal mit Lachen und Plaudern; dann wieder zeigte sie ihm gegenüber ohne jegliche äußere Ursache eine seltsame, fast scheue Zurückhaltung, die einen merkwürdigen Widerspruch zu ihrem sonstigen, so sicheren Wesen bildete. Vielleicht fühlte sie, daß sie von ihm schärfer und anhaltender beobachtet wurde, als von all den Andern. Bei Tische wie an den Abenden, wenn Alle beisammen in der Stube saßen, begegneten ihre Blicke immer und immer wieder diesen dunklen, ernst schauenden Augen; und wenn sie einmal zu seinem Gesichte aufsah, ohne seinen Blicken zu begegnen, schien sie ihre Augen von ihm nicht losbringen zu können; dabei zeigten ihre hübschen Züge einen so eigenartig zerstreuten, verlorenen Ausdruck, als wüßte sie selbst nicht, was sie bei all diesem Anstarren dächte oder denken sollte. Wurde sie dann unerwartet angesprochen, so fuhr sie auf, seufzend, wie aus einem Traume – doch verstand sie es, mit klingendem Lachen und lustigen Worten ihr seltsames Gebahren rasch wieder vergessen zu machen. Gewöhnlich waren es Martl und Stoffel, welche bei solchen Gelegenheiten für Kuni’s Scherze und Späße die Zielscheibe abgeben mußten. Die Beiden ließen sich das lachend gefallen, zum ganz besonderen Aerger der Zenz und der Kathl, denen gegenüber Kuni seit dem Sonntage, an welchem der Pfarrer über das Kapitel der falschen Propheten gesprochen, ihr früheres Verhalten in ziemlich schroffer Weise geändert hatte. [600] Hatte sie sonst, so oft sie eine der beiden Dirnen zur Hilfeleistung in Haus und Küche berief, ihr Verlangen mit einem „Sei so gut, Kathl –“ oder „Zenz, ich bitt’ schön –“ eingeleitet, so hieß es jetzt: „Mach’ weiter und komm’ her –“ oder „Das thu’ und das laß bleiben!“ Mit jedem Tage steigerte sich Kuni’s herrische Art und Weise, während die Dirnen mit jedem Tage bockbeiniger wurden. Einmal kam es zwischen Kuni und Kathl in der Küche zum offenen Streite, und das Ende davon war, daß die Letztere heulend und mit brennender Wange zum Pointner gelaufen kam. Der besänftigte die Dirne mit einem Preußenthaler und mit dem Versprechen, der Hauserin tüchtig den Text zu lesen – kaum aber war die Kathl aus der Stube, als er in die Küche trippelte, um Kuni mit den schmeichelnden Worten zu beruhigen:

„Ganz recht hast es g’macht! Laß Dir nur nix g’fallen! Da kann g’schehen was mag – ich hilf zu Dir!“

Seitdem verging beinahe kein Tag, ohne daß eine der Dirnen mit einer Klage gegen Kuni zum Pointner kam. Dem wurde die Sache schließlich zu bunt, und da begann er sich auf’s Jammern zu verlegen.

„So laßt’s doch g’rad mir mein’ Fried’! Ich will mein’ Frieden haben! Und laßt’s mir die Kuni in Ruh’! Is so a lieb’s und a gut’s Madl und schaut auf mich, wie man net besser auf mich schauen könnt’!“

So oder so ähnlich lautete des Pointner’s ewige Litanei, und solche Worte waren es auch, auf die er eines Tages von Kathl die maulende Antwort erhielt:

„Wer is denn schuld d’ran, daß Dein’ Fried’ net hast! Hättst Dir den leibhaftigen Unfried’ net ’rein’zerrt ins Haus!“

Einen Augenblick war der Pointner sprachlos vor Staunen und Wuth. Dann hub er ein lautes Schreien und Keifen an, warf der Dirne den Lohn vor die Füße, jagte sie aus der Stube, schrie nach Kuni und jammerte und greinte, bis er einen „völligen Anfall“ bekam und kraftlos in seinen Lehnsessel sank. Lange Stunden mußte Kuni an seiner Seite sitzen, mußte ihm kalte Umschläge auf den Kopf machen und ihm ihre weiche, kühle Hand auf die heiße Stirn legen. Besonders das letztere Mittel schien gar beruhigend und wohlthätig auf seinen Zustand zu wirken.

Von nun an ließ er Kuni tagsüber kaum mehr für Minuten aus seiner Nähe, und wenn es einmal geschah, daß Kuni von Götz zur Mithilfe bei irgend einer Feldarbeit aufgefordert wurde, die wegen eines nahenden Gewitters rasch bewältigt werden mußte, so jammerte und greinte der Bauer, daß man ihn, den der Pflege so sehr Bedürftigen, mutterseelenallein lasse, daß man ihn behandle, als wäre er der Letzte, der „Garniemand“ im Hause, und er gab keine Ruhe, ehe nicht Kuni mit ihrer Näharbeit wieder bei ihm in der Stube saß. Sie selbst machte dazu eine Miene, daß es ihr ein Anderer als der Pointner leicht würde angesehen haben, um wie Vieles besser als dieses Stubensitzen und das endlose Geschwatz des Bauern ihr die lustige, flinke Arbeit auf dem freien, sonnbeglänzten Felde behagt hätte, wo es Karli all den Anderen zuvorthat mit Eifer, Geschick und jugendlicher Kraft.

Der Bursche war von den Zerwürfnissen und Zwistigkeiten, die es während der letzten vierzehn Tage im Pointnerhofe abgesetzt hatte, wenig berührt worden. Da er Tag für Tag mit Götz auf dem Felde oder in den Holzschlägen arbeitete, hatte er von den meisten dieser Vorfälle überhaupt nichts erfahren, und was ihm davon zu Ohren kam, gewann durch die Darstellung des Pointner’s immer ein solches Gesicht, daß auch Karli stets das Recht auf Kuni’s Seite sehen mußte.

Auch die Leute im Dorfe hüteten sich, von dem, was sie über die Dinge im Pointnerhofe schwatzten und zischelten, vor Karli ein Wörtlein fallen zu lassen. Es waren nicht die besten Augen, mit denen man die „Hergelaufene“ und ihre Stellung im Hause des Pointner’s betrachtete. Nur Einer war im Dorfe, der schaute zu Kuni empor wie zu einer Heiligen. Das war der alte Spinner-Veit. Der hatte als junger Bursche in Rausch und Streit seinen besten Freund erschlagen. Mit langjähriger Zuchthausstrafe hatte er gebüßt, was mehr ein Unglück als ein Verbrechen gewesen, und war dann als gebrochener Greis mit halb zerstörtem Geiste in die Heimath zurückgekehrt, für die Erwachsenen und ihre bäuerische Moral ein Gegenstand der Verachtung, für die Kinder des Dorfes ein schutzloses Ziel des Spottes. Der Spinner Veit konnte kaum einen Schritt vor die Thür machen, ohne daß die herzlosen Rangen in lärmender Schar hinter ihm her waren. Sie äfften den irrsinnigen Alten durch die Geste des Spinnens, warfen mit Erde und Steinen nach ihm und schrieen ihm seine Schande und sein Unglück in die Ohren: Zuchthäusler, Zuchthäusler! Solch einen Auftritt hatte Kuni eines Tages vom Hofe aus mit angesehen, und da war sie in hellem Zorn hinausgeeilt auf die Straße, hatte ein paar von den Buben mit derbem Griffe beim Schopfe erwischt und den mißhandelten Alten vor seinen Verfolgern in das Haus gerettet. Von dieser Stunde an war der Spinner-Veit ihr erklärter Schützling; sie steckte ihm manchen guten Bissen und manch ein klingendes Almosen zu, und so oft er auch im Pointnerhofe vorsprechen mochte, immer fand er bei Kuni freundliche Worte und herzlichen Trost für seinen wirren Jammer. Wohl brummte der Pointner manchmal gegen den Stammgast, den ihm Kuni da ins Haus gezügelt hatte; aber auch er gewöhnte es sich ab, den Spinner-Veit einen Zuchthäusler zu nennen, seit Kuni, die doch sonst mit dem Pointner nur immer im sanftesten Tone sprach, ihn einmal mit bebender Stimme angefahren hatte: „Ich möcht’ mir a G’wissen draus machen, dem armen Teufel allweil wieder sein Unglück vorz’reiben, das er doch lang schon verbüßt hat! Und im Uebrigen – Zuchthaus? – im Zuchthaus is schon mancher g’sessen, der ehnder in a Kirchen ’paßt hätt’.“

Die Dienstboten des Pointnerhofes zuckten natürlich auch die Achseln über Kuni’s Samariterthum. Götz allein, wenngleich er sich mit keinem Worte äußerte, betrachtete Kuni’s Gebahren mit freundlichen Augen. Es schien, als hätte er in ihrer so seltsam sich äußernden Mildherzigkeit eine Entschuldigung für Manches gefunden, was an ihr bedenklich war. Es lag vielleicht hierin die Ursache, daß er, so kühl und vorsichtig er sonst der Dirne auch gegenüber stand, seit jener leisen Warnung, die er bei Kuni’s Eintritt in das Haus dem Sohne des Pointner’s zugeraunt, mit keinem mahnenden Worte mehr auf Karli zu wirken suchte. Und Karli selbst war, wenn er von der Arbeit oder seinen abendlichen Spaziergängen zurückkehrte, allzuviel mit seinen Gedanken wo anders, um etwa durch eigene Beobachtung hinter Dinge zu kommen, die sich ihm nicht von selbst vor die Augen stellten.

Zu Dutzendmalen war der Bursche hinausgewandert nach dem Binderholze. Aber der Bygotter und Sanni schienen wie verschollen in ihrer Waldeinsamkeit, und im Dorfe wußten die eifrigsten Zungen in Bezug auf den Bygotter nichts Neues zu berichten, als höchstens das Eine, daß man den Hochwürdigen wenige Tage nach jener Predigt von den falschen Propheten gegen das Binderholz hätte hinauswandern sehen, von wo er eine Stunde später mit zornigem Gesichte zurückgekehrt sei. Das Gerede, das sich an diese Begebenheit knüpfte, fand weitere Nahrung, als auch am zweiten Sonntage und an einem in die Woche fallenden Feiertage weder der Bygotter noch Sanni in der Kirche erschien.

Wenn Karli bei seinen abendlichen Wanderungen auf eine Gruppe von Männern oder Burschen stieß, welche diese Dinge mit breitem Eifer verhandelten, wurde ihm bei den Schlußfolgerungen, die er da ziehen hörte, bald heiß und bald kalt im Kopf und Herzen. Fragte man ihn um seine Meinung, so äußerte er sich mit einer gewissen, Gleichgültigkeit heuchelnden Zurückhaltung dahin, daß ihn die ganze Geschichte eigentlich nichts anginge; was der Pfarrer mit dem Bygotter hätte, das wäre eben des Pfarrers und des Bygotters Sache; aber – und bei diesem Aber gerieth er unwillkürlich in Hitze – aber das Eine müßte auch einem Blinden einleuchten, daß die Gefangenschaft, in welcher der Bygotter die erwachsene Tochter hielte, allen Gesetzen von Recht und Menschlichkeit zuwiderliefe.

Dennoch erschrak er vor der Art und Weise der Zustimmung, die seine Worte fanden, vor den offenen und versteckten Drohungen, die er wider den Bygotter laut werden hörte. Es fiel ihm ein, daß ja der Bygotter trotz allem und allem Sanni’s Vater wäre und bliebe, daß ihm Sanni anhinge, wie eben ein gutes Kind dem Vater anhängen müßte, und daß also jedes Ungemach, das den Einen träfe, auf die Andere zurückfallen würde. Da suchte er dann wieder einzulenken und die erregten Gemüther nach Möglichkeit zu beruhigen.

Diese Dinge mehrten von Tag zu Tag seine Sorgen um Sanni, so daß ihm die Aufheiterung, die er in Kuni’s lustigem [602] Geplauder fand, mehr als je vonnöthen war. Oft saß er, wenn der Pointner seinen von Ruh’ und Frieden ermüdeten Leib schon aufs Lager gestreckt hatte, noch stundenlang in der Stube mit Kuni beisammen, lauschte ihrem unermüdlichen Geplauder, schmunzelte zu ihren Anekdoten, und wenn gerade der Uebermuth sie packte, wie er das nannte, so ließ er es lachend sich gefallen, daß sie ihn mit der Lichtschere oder mit dem Messerhefte auf die Fingerknöchel schlug oder ihm mit beiden Händen in die Haare fuhr.

Manchmal, wenn sie sich besonders freundlich zu ihm erwies, stieg der Gedanke in ihm auf, Kuni zur Vertrauten seiner Herzenssorgen zu machen. Oft lag ihm das vertrauende Wort schon auf der Zunge, und dennoch wollte es ihm nicht über die Lippen. Er wußte selbst nicht, woran es lag, daß er das Wort nicht heraus zu bringen vermochte.

Eines Abends jedoch, als er wieder einmal von einem nutzlosen Gange nach dem Binderholze zurückkehrte, nahm er sich fest und heilig vor: „Heut’ red’ ich mit der Kuni! Sie muß mir was verrathen, wie ich’s anstellen soll.“

Er fand sie zu Hause in der Stube, sie saß am Tische, auf welchem ein thränendes Talglicht brannte, und putzte aus ihrem Schoße grüne Bohnen in eine Schüssel. Als er eintrat, erhob sie sich mit lächelndem Gruße, schüttete den Inhalt ihrer Schürze auf die Bank und zündete die Hängelampe an.

„Geh, setz’ Dich nieder, ich bring’ Dir gleich Dein Essen,“ sagte sie und huschte aus der Stube.

Karli setzte sich, stützte die Ellbogen auf den Tisch und starrte mit verdrießlichen Blicken in die leise singende Lampenflamme.

Kuni kehrte zurück und brachte einen dampfenden Suppenteller. Dabei schaute sie mit forschenden Blicken in das grämliche Gesicht des Burschen. „Was is denn? Was machst denn schon wieder für a Göschl?“ fragte sie und fuhr ihm mit der Hand über die gesträubten Haare. „Gelt, bist recht müd’?“

Er nickte nur und rührte unablässig mit dem Löffel in der Suppe. Dann fragte er zerstreut: „Wo is denn der Vater?“

„Zum Nachbar is er ’nüber auf an Sprung. Ja – und daß ich net vergiß – recht g’sorgt hat er sich wegen Deiner! Weißt, gegen Abend is a Schrift ’kommen, an Dein’ Adress’, und da hat er g’meint, es müßt’ was Amtliches sein. Ja, ich glaub’, da hat er s’ ’reing’legt –“ Sie ging auf einen kleinen Wandschrank zu und öffnete ihn. „Da – da hast es!“

Karli nahm das Schreiben, das sie ihm reichte, und las die Aufschrift. „Was kann denn jetzt das bedeuten? Es wird doch net“ – er stockte und erbrach das Siegel. Kaum hatte er zu lesen begonnen, als er mit stammelnden Worten auffuhr: „No also – da hab’ ich’s jetzt! Himmel Kreuz Saxen!“

Neugierig näherte sich Kuni. „Was is denn, han?“

„Was wird denn sein! Einrucken muß ich, zu die Manöver – und übermorgen in der Fruh soll ich mich schon beim Regiment stellen! Da soll so doch gleich –“. Aergerlich warf er das Schreiben auf den Tisch und kraute sich mit beiden Händen die Haare.

Mehr noch als er selbst war Kuni erschrocken. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren. Eine Weile stand sie schweigend, dann legte sie eine Hand auf seine Schulter und fragte: „Han, Karli – gehst ungern fort?“

„Na, so a Frag! Gern soll ich auch noch gehn!“ brummte er. „G’wiß wahr, ich bin mit Leib und Seel’ Soldat g’wesen und hab’ heutigen Tags noch grad so mein’ Freud’ und mein’ Lieb’ dazu. Aber – wenn’s nur net jetzt g’rad wär’ – g’rad jetzt!“

„Und – wie lang kann’s denn dauern?“

„No, unter vier Wochen wird’s allweil net abgehn.“

„Vier Wochen?“ flüsterte Kuni und starrte, die rothe Lippe benagend, vor sich nieder.

Karli aß ein paar Löffel Suppe und schob dann den Teller von sich. „Jetzt is mir schon der ganze Appetit vergangen!“

Mit der Zunge fing er die Schnurrbartspitzen zwischen die Zähne und schaute unter hochgezogenen Brauen hervor in die dünnen Dampfwölkchen, die sich aus dem Suppenteller kräuselten.

Kuni seufzte laut, rückte ihm den Teller wieder näher und redete ihm freundlich zu: „Geh’, Karli, schau, essen mußt ja doch a Bißl ’was. Jetzt wirst so wie so recht harte Tag’ kriegen!“

Sie verließ die Stube und kehrte mit einer Schüssel voll Rohrnudeln und einer irdenen Raine zurück, in welcher das Kraut noch schmorte. „So, geh’, laß Dir’s schmecken!“

Karli begann zu essen, als gäb’ es gegen solche Mahnung keine Widerrede; auch schien nach den ersten Bissen der Appetit wieder in ihm zu erwachen, so daß er drauf loslöffelte, als hätte er den ganzen Tag gehungert.

Kuni hatte sich ihm gegenüber an den Tisch gesetzt, die Arme über der Eichenplatte gekreuzt, und so schaute sie ihm schweigend zu, eine Weile mit den Augen jeden Bissen verfolgend, den er zum Munde führte.

Es mußten seltsame Gedanken sein, die in ihrem Kopfe durch einander schwirrten. Ihre frischen rothen Lippen waren wie schmollend aufgeworfen, und zwei kleine Furchen lagen zwischen ihren zusammengezogenen Brauen. Dabei verwandte sie keinen Blick mehr von dem Gesicht des Burschen, und mehr und mehr verschärfte sich der forschende, wägende Ausdruck in ihren Augen. Nun huschte es hell über ihre Wangen, wie der Abglanz eines innerlichen Lachens. Doch rasch verdüsterten sich wieder ihre Züge; unter den eingekniffenen Lidern schienen ihre Augen kleiner und kleiner zu werden, und die winzigen Fältchen an ihren Mundwinkeln, die sich wie Grübchen ansahen, wenn sie lachte, wurden länger und tiefer, ließen jählings ihr Gesicht um Jahre gealtert erscheinen und gaben ihm einen müden, verächtlichen Ausdruck. Ueber ihre Züge ging ein eigenartig zuckendes und zitterndes Spiel, beinahe regungslos aber waren die Augen, welche sie unablässig auf den Burschen geheftet hielt. Nun plötzlich huschte es wie Spott um ihren Mund; die Lippen kräuselten sich zu einem leisen Lächeln, und in ihren Augen blitzte ein funkelndes Etwas auf. Rasch erhob sie sich, stemmte die Faust auf die Tischplatte und nickte kurz vor sich hin, als wäre sie in einer wohlzuerwägenden Sache nach langer Ueberlegung zu einem Entschlusse gelangt. Leichten Schrittes näherte sie sich dem dunklen Fenster, schaute lächelnd noch einmal auf Karli zurück und drückte nun, die Hände hinter dem Rücken faltend, die Stirn wider die Scheiben.

Während all dieser stummen Minuten hatte Karli für nichts Anderes Sinn und Auge gehabt, als für Teller und Schüssel. Er hatte eine Nudel um die andere verschwinden lassen, die Raine fast bis auf den Boden geleert und dazu hatte er unablässig ein Gesicht geschnitten, wie wenn ihm jeder Bissen und überhaupt alles, alles „aber schon so viel z’wider“ wäre.

Mit keinem Blick hatte er auf das Gebahren der Dirne geachtet, und er wurde auf sie erst wieder aufmerksam, als sie sich vom Fenster zurückstieß und ihm zurief: „Jetzt kommt er, Dein Vater!“

[613]
6.

Polternde Schritte ließen sich vom Flur herein vernehmen; die Thür wurde aufgerissen, und der Pointner trippelte mit den jammernden Worten in die Stube: „Ja Karli – was sagst! Is denn auch g’wiß und wahrhaftig wahr, daß einrucken mußt? G’rad beim Nachbar drüben hab’ ich erfahren, daß sein Bua auch an G’stellungsbrief ’kriegt hat, und da hab’ ich mir natürlich gleich denken können – na, na, so ’was!“ Er zog sich einen Stuhl an seines Buben Seite, tätschelte ihm die Schulter, strich [614] ihm die Haare und begann ein Lamentiren, daß es schließlich dem Burschen selbst zu viel wurde.

„Jetzt hör’ amal auf, Vater! Dein Jammern kann Ein’ ja ganz verzagt machen!“ brummte er und rückte vom Stuhl auf die Bank. „Thust ja g’rad, als ob’s bei mir schon ans Köpfen ging’. In vier Wochen habt’s mich wieder daheim, und bis ich erst amal drinsteck’ in der blauen Montur, da hab’ ich nachher auch wieder mein’ Freud’ dran!“

„No ja, no ja,“ begütigte der Alte, „aber sag’, han, wann mußt denn schon fort?“

„Morgen auf Mittag.“

„Was? So g’schwind’ schon? Net amal an ganzen Tag soll ich Dich haben?“

„Mußt ihm halt den heutigen Abend noch recht schön machen!“ meinte Kuni, während sie an den Tisch herantrat. „Sonst könnt’ er bei seine lustigen Kameradschaften in der Stadt drin’ leicht auf’n Pointnerhof und seine Leut’ vergessen!“

„Da hast Recht, Kuni,“ fiel der Pointner ein. „Ich sag’s halt, Du bist allweil die G’scheitere. Und jetzt tummel’ Dich – her mit a paar a drei Glasln – und weiter – hol’ eine ’rauf aus’m Keller, a Flaschen Süßen!“

Er hatte kaum ausgesprochen, da standen die drei Gläser schon auf dem Tische. Karli zog die Lippen auf, drehte an seinem Schnurrbärtchen und schaute mit zerstreuten Blicken in das Gesicht der Dirne, die ihm zublinzelte, als hätte sie ihm mit ihrem Vorschlag eine ganz besondere Wohlthat erwiesen. Während dann Kuni hastig aus der Stube eilte, begann der Pointner aufs Neue sein Jammern, welches der Bursche mit einer Frage nach Götz unterbrach.

„Was? Jetzt is schön! Is Dir ’leicht Dein Vater net G’sellschaft g’nug?“ schmollte der Bauer, um gleich wieder lachend fortzufahren: „Aber hast schon Recht. Wenn’s Dein’ Abschied gilt, da därf der Götz net fehlen!“

Karli erhob sich und trat in den finsteren Hof hinaus. Da hörte er ein leises, klapperndes Pochen. Das klang, wie wenn eine Pfeife ausgeklopft würde, und als er der Richtung zu schaute, aus welcher das Geräusch kam, sah er einzelne mattglimmende Funken zur Erde sinken.

„Götz?“

„Ja?“

Hastigen Schrittes näherte sich Karli dem Knechte, der auf dem Brunnentroge saß.

„Geh weiter, Götz, komm’ a Bißl mit ’rein in d’ Stuben. Heut’ mußt mir noch trinken helfen – auf mein Wohl und mein’ Abschied. Morgen muß ich fort – einrucken zu die Manöver.“

„So? Haben s’ Dich erwischt? Nachher is recht!“ lachte Götz, während er sich langsam erhob.

„Mir scheint ja gar, Du hast a Freud’ dran, daß ich fort muß?“

Götz hatte mit seiner Pfeife zu schaffen, und so verstrich eine Weile, bevor er dem Burschen leichthin zur Antwort gab: „No – weißt! Plagst Dich ja viel – und Bauernarbeit macht steif! Da kannst Dich jetzt bei die Soldaten g’rad wieder a Bißl ausgliedern und bist recht schlingig[2] beinander, ’bald heimkommst und d’ Holzarbeit angeht.“

„Ah was, deßwegen wär’s g’rad net nöthig, daß ich fort müßt’,“ brummte Karli und reckte die kräftigen Arme.

„Gehst’ ’leicht net gerne“. frug Götz mit zögernden Worten.

„Wie nur so fragen magst!“ lautete die unwillige Antwort. „Wenn’s keiner weiß, was mich net fortlassen will aus’m Ort, Du, hätt’ ich mir ’denkt, Du könntst es dengerst wissen. Du bist ja der Einzige, dem ich’s zug’standen hab’, daß mir d’ Sanni g’fallt. Und da soll ich jetzt fort – jetzt g’rad – wo ich gar nimmer weiß, wie ich eigentlich dran bin. B’sinnst Dich noch d’rauf – selbigsmal auf’m Kapellenbergl droben, wie g’sagt hast zu mir: ‚Karli, Karli, ich mein’ allweil, Dein’ Liebssach’ wird a harbe Seiten kriegend‘? Ja, Götz, ja, a recht a harbe Seiten hat’s kriegt!“

Aufathmend schwieg der Bursche’ dann wieder sprudelte es in flüsternden Worten von seinem Munde, und Götz erhielt genauen Bericht von Karli’s eben so unermüdlichen, wie nutzlosen Spaziergängen nach dem Binderholze.

„Schau, Götz, g’wiß wahr, jetzt erst, seit ich d’ Sanni nimmer anders sieh, als wie in meine Gedanken und im Traum, jetzt erst g’spür’ ich’s in mir drin richtig und völlig, wie mir das Deandl so lieb is – so arg lieb. Und wer weiß, wie’s jetzt mit uns schon b’schaffen wär’, wenn net a unguter Zufall den weißbartigen Unfried’ ’neing’schneit hätt’ zwischen uns! Und jetzt, wo mein’ Liebshoffen daliegt wie ’s Winter’treid unterm Schnee, jetzt soll ich fort – und gern auch noch?“

Da fühlte Karli die Hand des Knechtes schwer auf seiner Schulter und hörte ihn mit freudig erregter Stimme sagen: „Recht, Karli, recht! Schau, so hör’ ich Dich amal gern reden! Nimmst mir a ganze Sorg’ von der Seel’. Wär’ mir schier leid g’wesen um Dich! Jetzt aber freut’s mich heilig, weil ich merk’, daß dengerst g’räder g’wachsen bist im G’müth, als wie ich mir selber ’denkt hab’. Und da kannst auch ’leicht fortgehn – ohne Sorg’ und Angst. Bleib’ nur Du fest bei der Stang’ – um d’ Sanni brauchst Dich net z’ kümmern, die is eine von dieselbigen Krisperln[3], wo ’s Ducken und ’s Biegen leicht vertragen, bis wieder a Zeit zum Aufschnaufen kommt. Schon mancher Feichtbaum is z’samm’brochen unterm Schnee – aber nie noch hab’ ich g’hört, daß a Veigerlstöckl d’raufgangen wär’, und wenn er auch haushoch g’legen is, der Schnee, so schwer wie kalt. Ah no, mußt Dich net kümmern, Karli! Schau, jetzt kann ich Dir lang wieder ’s Beste hoffen und wünschen, seit ich weiß, daß um Dich selber kein’ Sorg’ net z’ haben is.“

„A Sorg’ – und um mich? Hätt’ ich am End’ gar auf d’ Sanni schon vergessen sollen, weil ich s’ a paar Wochen lang net g’sehen hab’?“

„No, schau, Dein’ Frag’ überzeugt mich am besten, daß ich mich net sorgen hätt’ brauchen! Und dengerst sag’ ich Dir’s noch amal: net auslassen, Karli, net auslassen!“

„Auslassen? Was Dir net einfallt! Aber weißt – Du mußt mir halt auch a Bißl helfen. Wenn ich jetzt fort bin, könnt’s ja leicht möglich sein, daß Dir d’ Sanni amal in Weg kommt. Und weißt, wann ihr da sagen thätst, daß ich einrucken hab’ müssen –“

„Gern, Karli, gern. Aber besser wär’s, wann Du’s ihr selber sagen thätst – morgen in der Fruh. So viel Kurasch wirst dengerst haben, daß Dich ’neintraust ins Bygotterhäusl. Und wie sich nachher auch der Alte gegen Dich führen mag, a paar Wörtln wirst ja doch anbringen können, daß d’ Sanni weiß, wie s’ dran is.“

„Ja, Götz, ja, und so mach’ ich’s auch! Fressen wird er mich wohl net gleich, der Alte!“

„No also, und nachher schau Dir d’ Sanni nur recht g’nau noch an, damit a nachhaltige Wegzehrung hast für Deine vier Manöverwochen. Da wirst es nachher auch leichter machen können, daß g’rad so wieder heimkommst, wie jetzt fortgehst. Schau, laß Dir’s g’sagt sein, Bua – wann Dir in der Stadt drin so a Pflanzerl, so a g’schmachigs, g’rad vor die Füß’ in d’ Höh’ wachst auf’m Weg – laß d’ Händ’ davon – und denk’ ans Bleamerl, das draußt im Binderholz für Dich im Sprossen is. Was hältst auch viel davon? D’ Lustbarkeit is wie der Wein – aber wie ’s Quellwasser is d’ Lieb’. Schau, so a Krügerl Wein, das leert sich woltern g’schwind, und hinterm Rausch her kommt nachher der schwere Kopf. Aber ’s klare, lautere Wasser, das is der richtige Trunk, der halt’ Ein’ g’sund und frisch, der macht Ein’ hell im G’müth und in die Augen! Und jetzt komm – jetzt macht’s mir selber a Freud’, daß ich auf Dein’ Abschied hin noch a Glasl mit Dir trinken kann!“

Karli schmunzelte, halb vergnügt und halb verlegen. Er schien nicht recht zu wissen, wie er es aufnehmen sollte, als ihn Götz beim letzten Worte mit rauher Zärtlichkeit an sich drückte und ihn dann vor sich her nach dem Hause schob.

Schweigend betraten sie den Flur, und da hörten sie aus der Stube ein helles, klingendes Lachen.

Als Karli die Thür öffnete, sah er den Vater vor dem Tisch im Lehnstuhl sitzen, in Hemdärmeln, mit offener Weste, die Füße mit den großen Filzpantoffeln behaglich ausgestreckt. Die linke Hand hatte der Pointner auf dem Bäuchlein liegen, mit der rechten hielt er unter schlürfendem Zuge das Weinglas an den Lippen. Kuni stand vor ihm, stellte soeben ein geleertes Glas [615] neben die Weinflasche, wischte den Arm über den Mund und wandte sich kichernd der Thür zu. Als sie jedoch neben Karli den Knecht in die Stube treten sah, verstummte sie und furchte die Brauen. Die Gesellschaft, die sich der Bursche mitgebracht, schien ihr aus irgend welchem Grunde nicht zu taugen. Sie schien aber auch Ursache zu haben, ihren Aerger möglichst zu verheimlichen, denn in der nächsten Sekunde lächelte sie schon wieder, und während Götz und Karli näher kamen, nickte sie ihnen freundlich zu: „So, seids schon da! Jetzt ruckts nur gleich hintern Tisch – g’rad a Glasl muß ich noch holen – und –“ damit wandte sie sich an den Pointner, „was meinst denn, Bauer, soll ich net a zweite Flaschen bringen?“

„Da hast Recht! Bring’ nur gleich a drei a vier! Heut’ laß’ ich was aufgehn! Mei’m Karli z’ lieb is mir gar nix z’ viel – aber schon gar nix!“

Hastig griff der Bauer bei diesen Worten nach der Flasche und füllte sich das geleerte Glas.

Kuni hatte schon die Stube verlassen, und während Karli bereits dem Vater gegenüber saß, stand Götz bei der dunklen Fensternische, in die er seinen Hut gelegt; auf seinem sonst so ernsten Gesichte lag noch immer das vergnügte, ein wenig spöttische Lächeln, mit dem er der Dirne nachgeblickt hatte, als sie an ihm vorübergeschritten war. Und da lachte er nun gar, wie unter lustigen Gedanken, halblaut auf.

„Ja was is denn? Was lachst denn jetzt auf amal?“ fuhr der Pointner verwundert auf. „Is denn da ’was zum lachen dran, daß ich mein’ Buben gern hab’?“

„Ah na – mich freut’s g’rad, wie sich die Kuni tummeln kann, wann’s a richtige Arbeit giebt,“ erwiederte Götz. Dann zog er das Pfeiflein aus der Joppe und näherte sich dem Tische.

Der Pointner aber streckte sich und erwiederte befriedigt: „Gelt, siehst es jetzt selber bald ein, Du Thomas, Du ungläubiger! Denn wann auch nie ’was gegen ’s Deandl g’sagt hast, ganz, mein’ ich, hat’s Dir dengerst net ’taugt. Aber natürlich, so a Heilige, die muß ja an jeden Heiden bekehren.“ Und da begann er nun Kuni’s Lob zu singen, sprach von ihrer Sauberkeit, von ihrer Ordnungsliebe, von ihrer flinken, unermüdlichen Fürsorge, führte zum Beweise jeder Behauptung stets sein eigenes, ungetrübtes Wohlbefinden an und malte in ganz grauslichen Farben das jammervolle Leben aus, das ihm in seiner „verlassenen Einschicht“ beschieden wäre, wenn ihm der liebe Herrgott nicht die Kuni ins Haus geschickt hätte.

Götz und Karli, die aus Erfahrung wußten, daß der Pointner in diesem Punkte keinen Widerspruch vertrug, ließen ihn ungestört drauf los schwatzen. Götz nickte nur manchmal; er hatte so viel mit seiner schlecht brennenden Pfeife zu schaffen. Und Karli lachte ein um das andere Mal, als fände er guten, harmlosen Spaß an der Art und Weise des Vaters. Als Kuni dann mit Glas und Flaschen die Stube betrat, fragte er sie in scherzenden Worten, ob ihr im Keller drunten nicht das Ohr geklungen hätte.

„Ja, is schon wahr! Ordentlich g’saust hat’s mir!“ erwiederte sie und schaute ihn mit blinzelnden Augen an.

„Was! Jetzt is schön! Gleich g’saust hat’s Dir?“ kreischte der Pointner in hellem Vergnügen, während er zappelnd auffuhr und die Dirne mit beiden Händen am Rocke faßte. „Jetzt sagst mir aber gleich, auf was für einer Seiten? Gleich sagst es! Auf der Stell’!“

„Auf der linken natürlich! G’wiß habt’s recht g’schimpft über mich!“

„G’schimpft! Was sagst jetzt da dazu, Karli? Natürlich g’schimpft! Gelt, Götz? Und wie g’schimpft!“ platzte der Alte los, während ihm unter Kichern und Pusten die zitternden Backen dunkelroth anliefen.

Auch Kuni lachte, indessen sie aus einer der Flaschen die vier Gläser füllte. Plötzlich aber verstummte sie, zeigte ein gar ernstes Gesicht, und während sie nach ihrem Glase griff, seufzte sie und sagte:

„Jetzt is aber g’nug mit die Dummheiten, sonst möcht’s ja schier kein Mensch net glauben, daß ’s heut’ an Abschied gilt. Geh’, Bauer, nimm Dein Glasl und stoß’ mit an auf Dei’m Buben sein Wohl, und daß ihm nach vier Wochen a g’sund’s und a glücklichs Heimkommen blüht!“

„Bravo, Kuni, bravo!“ schrie der Pointner und erhob das Glas. „Wenn Keiner ans Richtige denkt – Du hast halt allweil Dein g’scheit’s Köpferl in der Höh’! Also ang’stoßen jetzt! Da, Karli, da komm’ her – und leben sollst mir tausend Jahr’ – und gut soll’s Dir geh’n und Alles soll Dir g’rathen, was Dir einbild’st – ja, und a Heimkommen sollst haben, a g’sund’s und a glückselig’s – und – und –“

Da gingen ihm die Worte zu Ende. In ausbrechender Rührung stieß er sein Glas an die Gläser der Anderen, verschüttete dabei die Hälfte seines Weines und goß den Rest mit einem raschen Ruck in den weitgeöffneten Mund. Kuni und Karli lachten und tranken ihre Gläser leer. Götz nippte kaum von seinem Weine und schob das Glas vorsichtig in die Mitte des Tisches. Inzwischen hielt der Pointner schon wieder sein Glas der Dirne hin.

„Mach’ weiter, Kuni, und schenk’ mir ein, denn g’rad a einzig’s Glasl, das is mir fein schon z’ wenig, wann’s mei’m Buben sein Wohlsein gilt!“ Kuni nahm ihm das Glas aus der Hand, und da wandte er sich an Karli: „Gelt, Bua, das weißt, daß ich Dich gern hab’ – ja – und jetzt gehst fort, und vier Wochen lang soll ich Dich nimmer sehen! Du – das is fein a Zeit – g’wiß wahr!“

Die Stimme schlug ihm um; er schluckte und schluchzte, und dicke Thränen rannen ihm über die Backen.

„Aber, Vater!“ stotterte Karli. „Was machst denn jetzt da für G’schichten – wegen nix und wieder nix! Vier Wochen, das is doch kein’ Zeit net, daß man so an Aufheben drum macht!“ Unmuthig griff er nach seinem Glase und warf einen verlegenen Blick auf Götz, der mit gekreuzten Armen saß, an seiner Pfeife schmauchte und den dünnen Rauchwölkchen nachschaute, die er nach jedem Zuge gegen die Decke blies.

„So? Vier Wochen meinst, is gar kein’ Zeit net?“ jammerte der Pointner. „Natürlich, Du hast es lustig bei die Soldaten und bei der ganzen Manövergaudi! Aber ich – ich muß daheim sitzen in der Einschicht –“

„Aber geh’ weiter, Bauer! Da, nimm Dein Glasl und trink’!“ mahnte Kuni, während sie dem gerührten Alten das neu gefüllte Glas unter die Finger schob. „Was machst denn jetzt da Dei’m Bub’n so an traurigen Abschied her! A lustige Stund’ mußt ihm schaffen, damit ihm ’s Fortgehen schwerer ankommt und daß ’s ihn lieber wieder z’ruckzieht in sein’ liebe Hamath!“

„Ja, Kuni, ja, Du hast Recht! Du bist halt allweil die G’scheiter’! Sollst schon gleich leben auch!“ rief der Pointner, wischte sich mit der Linken die Zähren aus den Augen und führte mit der Rechten das Glas an die Lippen. „Lustig, lustig, sag’ ich – lustig is allweil besser als a Traurigkeit! Ja, Karli, ja, das mußt Dir merken! Und drum laß Dir nur nix abgeh’n die Zeit über, wo D’ fort bist. Und Geld gieb ich Dir mit, so viel als D’ magst, und wann nachher heimkommst, da kannst von mir haben, was Dir g’rad einbildst. Und wann meinst, es wär’ an der Zeit, so laß ich Dir gleich mein’ ganzen Hof zuschreiben, daß ich doch auch amal a Ruh’ und an Fried’ hab’. Und da kannst Dir nachher a G’sellin suchen, g’rad wie ’s Dir taugt – aufs Geld brauchst ja net schauen – bloß aufs G’müth – ja – such’ Dir nur eine, a recht a saubere, weißt, so eine, die so a recht a lieb’s G’sichterl hat, daß man gleich ’neinbeißen möcht’!“ Dabei streckte er die gekrümmten Finger nach Kuni’s Wange, als hätte er hierdurch bezeichnen wollen, welch eine Art von „G’sichterl“ er im Sinne hatte. Daß Kuni unwillig vor ihm zurückwich, das schien ihn nicht zu bekümmern. Behaglich ließ er sich in den Lehnstuhl zurücksinken und streckte die Füße.

Jetzt hatte auch Karli seine gute Laune wieder gefunden. Mit leuchtenden Augen saß er, lachte den Vater an und hielt ihm das volle Glas entgegen.

„Ja, gelt, jetzt kannst herheben!“ kicherte der Pointner. „Aber hast schon Recht – da komm her – jetzt stoßen wir mit einander an in Lustigkeit, und leben sollst, Du Sakra-Soldat, und g’rad freuen thut’s mich, daß ich Dich morgen wieder amal anschauen kann in der blauen Montur! Ich bin ja selber amal Soldat g’wesen – wenn auch g’rad drei Monat’ lang – weißt – bis mir mein Vater selig an Ersatzmann ’kauft hat, weil er g’meint hat, daß mir ’s Heirathen besser taugt als ’s Exerciren! Aber die drei Monat’ – Du – das war Dir fein a lustige Zeit. – Kreuzsaxen!“ Er leerte sein Glas, schnalzte mit den Lippen, und dann sprudelten ihm die schnurrigen [616] Erinnerungen an seine kurze Soldatenzeit in langer Reihe über die redseligen Lippen.

Lächelnd hörte Karli dem Vater zu; manchmal, wenn es der Alte gar zu bunt machte und in gar zu handgreiflichen Stücken aufschnitt, reizte der Bursche noch durch zweifelnde Einwürfe den Eifer und die Phantasie des Erzählers.

Als nun die Beiden gelegentlich in einen lautgeführten Disput über das Soldatenleben von einst und jetzt geriethen und Karli den Meinungen des Vaters, welcher natürlich die gute alte Zeit vertheidigte, mit schlagenden Gründen auf den Leib rückte, suchte der Pointner Hilfe bei Götz.

„Du, jetzt red’ Du auch amal was,“ schrie er ihn an, „hockst den ganzen Abend da, wie wenn Dir die Zung’ ang’wachsen wär’! Jetzt bezeugst mir’s, hab’ ich net Recht? Is ’s ehnder net besser und lustiger g’wesen? Jetzt red’ – Du bist ja auch Soldat g’wesen – vor a zwanz’g, fünfazwanz’g Jahr’! Han, bei was für ei’m Regiment bist denn gleich g’standen?“

„Beim achten,“ erwiederte Götz mit einer fast auffälligen Hast.

„No also, jetzt red’, ob’s Dir zur selbigen Zeit net auch besser ’taugt hat, als wie Dir’s heutigen Tags taugen möcht’?“

Das Gesicht des Knechts hatte steinerne Züge angenommen, und ein finsterer, beinahe scheuer Blick war in seinen Augen.

„Mein Gott, laß mir mein’ Ruh’! Auf was soll denn ich mich heut’ noch Alles b’sinnen? Mein Denken geht auf morgen und auf d’ Arbeit,“ erwiederte er mit einer Stimme, welche rauher und ernster klang als sonst. „Und im Uebrigen – wie könnt’ denn ich an Zeugen machen für so an Unterschied? Ich weiß wohl, wie ’s früher g’wesen is – hab’ aber kein’ Wissenschaft davon, wie ’s heutigen Tags zugeht bei der Militari.“

„Jesses na, Du Essighafen, Du alter,“ knurrte der Pointner. „Daß aus Dir gar nix zum ’rausbringen is! Das freut doch g’wiß an jeden Menschen, wann er von seiner g’wesenen Zeit verzählen kann! G’rad Du machst an Ausnahm’ und wenn man so amal a Wörtl erfahrt, nachher thust schon gleich, als ob mit G’walt was hergeben müßtest, was selber gern b’halten thätst.“

Der Pointner mußte in diesen Worten einen guten Witz vermuthet haben, denn er lachte aus vollem Halse. Auch Götz lächelte; aber dieses Lächeln sah sich ein wenig gezwungen an, und während er sich mit seiner Pfeife zu schaffen machte, athmete er tief auf; dadurch gewann es fast den Anschein, als wär’ es ihm recht willkommen gewesen, daß ihn das Lachen des Pointner’s jeder Antwort enthoben hatte. Als er nun wieder aufschaute, begegnete er einem neugierig forschenden Blick aus Kuni’s Augen – und da fuhr ihm eine jähe Röthe über die furchigen Backen.

Kuni zuckte mit den Mundwinkeln, schloß halb die Lider und beugte das Gesicht über die Näharbeit, mit welcher sie sich an des Pointner’s Seite zum Tische gesetzt hatte. Götz aber hielt nun unverwandt die Augen nach der Dirne gerichtet; es war etwas halb Furchtsames, halb Feindseliges in diesen seinen Blicken; allmählich aber nahmen sie einen seltsam verlorenen Ausdruck an; Götz mochte mit seinen Gedanken weiß Gott wo verweilen – gewiß nicht am Tische bei diesen drei Anderen, am allerwenigsten bei dem rastlosen Geplapper des Pointner’s.

Der hatte längst wieder den Faden gefunden, schwatzte unermüdlich weiter, und je länger er sich reden hörte, je eifriger er dem von Kuni immer neu gefüllten Glase zusprach, desto rosiger ließ sich seine Stimmung an. Und als er sich wieder einmal über einen seiner vermeintlichen Witze zu Thränen gelacht hatte, klatschte er, im Lehnstuhl sich dehnend, die Hände in einander und kreischte:

„Was? Geht’s bei uns net g’rad lustig zu? A schöners Leben kann’s ja gar nimmer geben als wie im Pointnerhof, und da soll mir noch amal Einer sagen, daß bei uns der Unfried’ daheim is! Was?“

Dabei stemmte er die Fäuste über die Stuhllehne, blies die Backen auf und rollte herausfordernd die vom allzu reichlichen Genuß des Weines aufquellenden Augen.

Kuni lachte trocken auf, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und beugte sich tiefer über ihre nicht allzu emsige Nadel.

Auch Karli lachte.

„Ah was, was redst denn jetzt da daher!“ meinte er. „So was sagt ja kein Mensch net! Ich wüßt’ auch net –“ Da unterbrach er sich und schaute mit verwunderten Augen zu Götz empor, der sich vom Tisch erhoben hatte. „Ja was is denn? Du wirst Dich doch net schon schlafen legen?“

„Was denn? Für mich is lang schon Zeit! Morgen fruh muß ich bei Zeiten ’naus ins Holzerfeld – und da geh’ ich nachher gern a Bißl ehnder fort, daß ich wieder daheim bin, ehvor Dich auf d’ Reis’ machst. Und drum gut’ Nacht mit einander.“

Bei diesen Worten hatte er schon den Hut aus der Fensternische genommen und war auf die Thür zugegangen.

„Aber geh’ weiter, so bleib doch noch a Bißl sitzen,“ grollte Karli; doch kamen seine Worte schon zu spät. Hinter Götz hatte sich bereits die Thür geschlossen.

„Aber so laß ihn doch, wenn er net bleiben mag, der Leimlippl, der langweilige,“ wehrte der Pointner, während Kuni sich aufrichtete, als fühlte sie sich plötzlich von einem unbehaglichen Druck befreit.

Karli furchte die Stirn und drehte das Schnurrbärtchen.

„Jetzt geh’, Vater, schimpfen mußt fein auf ’n Götz dengerst net! Ich mein’, er plagt sich g’nug für uns – und da kann man sich sein Bißl Eigenheit schon g’fallen lassen.“

„No ja, is ja recht! Aber deßwegen muß man ihn net merken lassen, als ob man ohne ihn gar net b’stehen könnt’. Meinetwegen soll er sich schlafen legen, wann er mag! Wir Drei mit einander sind auch g’rad g’nug zum Lustigsein! Gelt, Kunerl – ja? Und jetzt g’rad mit Fleiß – jetzt g’rad freut’s mich recht – jetzt bin ich g’rad recht lustig!“

Kuni schien die Worte des Bauern überhört zu haben. Mit nachdenklichen Blicken hing sie an der geschlossenen Thür. Nun wandte sie hastig das Gesicht gegen Karli; aber die Frage, die ihr auf der Zunge liegen mochte, kam nicht über die Lippen; schweigend zog sie, den hübschen Kopf in den Nacken duckend, die Schultern in die Höhe und beugte sich wieder tiefathmend über ihre Arbeit.

Der Pointner stellte eben das geleerte Weinglas auf den Tisch und fuhr nun mit beiden Händen auf Kuni los.

„Jetzt hör’ amal auf mit Deiner ewigen Stichlerei, jetzt hab’ ich’s g’nug.“

„Aber geh’, Bauer,“ lachte Kuni, deren nachdenkliche Stimmung jählings verflogen schien. „Du hast mich doch net in Dienst g’nommen zum Muckenfangen!“

„Nix da! Jetzt wird aufg’hört! Jetzt heißt’s lustig sein! Weiter amal mit Dei’m G’lump.“

Dabei hatte der Pointner mit der einen Hand Kuni’s Arm ergriffen und suchte ihr mit der andern die Näharbeit zu entreißen.

Kuni aber wußte sich ihm unter lachenden Worten zu entwinden, und um dem Armbereich des Alten zu entkommen, rückte sie dicht an Karli’s Seite, welcher dem Vater gegenüber Kuni’s Partei mit den Worten ergriff: „Aber so laß doch ’s Deandl nähen, wenn’s amal nähen will!“

„Ahan, natürlich, da hat man’s wieder amal!“ kreischte der Pointner. „Das is doch g’wiß, daß die Jungen allweil z’sammhelfen gegen ein’ Jeden, der in die verstandsamen Jahr’ is! Aber vor der Hand bin ich noch der Herr im Haus. Und drum sag’ ich Dir’s, Kuni – jetzt thust, was ich haben will – und Dein’ Arbeit legst mir weg – und da setzt Dich her an mein’ Seiten und unterhaltst Dich mit mir, oder – oder –“ Schwerfällig erhob er sich und machte Miene, der Dirne in ihren Fluchtwinkel nachzurücken.

Da warf nun Kuni ihr Nähzeug in die Fensternische und lachte:

„Ja, ja – meinetwegen in Gottes Namen – gieb Dich nur z’frieden, ich thu’ Dir ja schon Dein’ Willen! Aber niedersetzen mußt Dich und mußt mir mein’ Ruh’ lassen!“

„No also, nachher is recht – und da ruckst jetzt her!“ Damit ließ sich der Pointner in seinen Lehnstuhl zurücksinken, und vor Freude darüber, daß er seinen „verstandsamen“ Willen durchgesetzt hatte, glänzten ihm die runden dunkelrothen Backen wie zwei große Granatkugeln. Er hub sein altes Kichern und Schwatzen an, leerte ein Gläschen ums andere, erzählte Schnurren über Schnurren und stritt sich über die Wahrheit seiner Geschichten bald mit Karli und bald mit Kuni, welche unermüdlich die Gläser füllte, wobei sie Karli’s Glas mit ganz besonderer [618] Aufmerksamkeit bedachte; dazu scherzte und plauschte sie, daß nicht nur der Pointner in Seligkeit völlig zerfloß, sondern auch Karli an ihrer lustigen Art und Weise offenes Gefallen fand. Die Unterredung mit Götz hatte die Sorgen seines Herzens beschwichtigt; der schwere, süße Wein hatte ihn warm und munter gemacht, und so gab er sich gedankenlos der lustigen Gegenwart hin, die ihn des bevorstehenden Abschieds völlig vergessen ließ. Als ihn dann eine Wendung des Gespräches unversehens an den kommenden Tag erinnerte, fuhr er sich mit beiden Händen in die Haare und grollte:

„Na – ganz vergessen hab’ ich! G’wiß wahr – g’rad schad’ is, daß ich fort muß morgen.“

Kuni verstummte inmitten des hellen Lachens, das ihr gerade von den Lippen klang, und ihre Augen schossen einen brennenden Blick auf das Gesicht des Burschen.

Der Pointner aber schlug die Fäuste auf den Tisch und lallte mit schwerer Zunge: „Gelt, Loder, siehst es amal ein, wie’s daheim so gut und schön is? Aber natürlich – heut’ g’fallt’s Ei’m – und morgen, bald man draußen is, da g’fallt’s Ei’m draußen. Da kommt man in d’ Stadt, reißt ’s Maul und d’ Augen auf, und im Manöver erst, da giebt’s ein’ Gaudi über die ander’, und da denkt nachher keiner von die Loder mehr an die armen verlassenen Eltern, die sich daheim hinkümmern müssen –“

„Jesses na! Weil Du Dich so viel kümmern mußt!“ lachte Karli und blies die heißen Backen auf. „Und bildst Dir ’leicht gar ein, daß man an gar nix Anders net zum Denken hätt’ als wie an Dich?“

„Ja, an gar nix sonst, als wie an mich!“ schrie der Pointner. „Ich bin d’ Hauptperson, verstehst mich – und z’erst komm’ allweil ich, und nachher kommt lang nix mehr.“

„Geh’, geh’, gieb Dich nur z’frieden, der Karli denkt schon an Dich!“ so suchte Kuni den Alten zu beschwichtigen, und ein seltsames Zucken ging um ihre Lippen, während sie in einem Tone, als hätte sie ein weinendes Kind zu besänftigen, hinzufügte: „Und schau – weißt – wenn’s Dir halt gar so um Dei’m Buben seine Gedanken z’ thun is, nachher muß halt ich mich a Bißl drum sorgen, daß er auf ’n Pointnerhof net vergißt.“

„Was? han? Was redst jetzt da daher?“ lallte der Pointner, während Karli verwunderte Augen machte.

„Ja, weißt, ich gieb ihm was mit auf d’ Reis’, wo ihm seine Gedanken verzaubert, daß er an gar nix Anders nimmer denken kann, als wie an daheim – ja – an Andenken!“

„So, so? An Andenken?“ staunte der Pointner und machte dazu ein Gesicht, welches deutlich verrieth, daß ihm nach all dem genossenen Weine das Denken bereits zur schweren Arbeit wurde. Mit unsicherer Hand griff er nach dem Glase, begoß sich mit dem Weine die Brust, und während er dann mit dem Handballen die Weste zu reinigen suchte, streckte er sich und gähnte mit weit offenem Munde.

Karli aber sagte in heller Neugier: „Geh’, Du, sag’ – was wär’ denn das nachher für an Andenken? Und so ’was sollt’s geben, wo so an Kraft hat? Ah’ na – das glaub’ ich net, Du machst ja dengerst g’rad an G’spaß – sonst thätst net so dumm lachen dazu.“

„Meinst?“ kicherte die Dirne, zog die Unterlippe zwischen die weißen Zähne und streifte das verdutzte Gesicht des Burschen mit einem übermüthigen Blick ihrer dunklen Augen.

„Geh’ weiter – denn wann schon so ’was Seltsam’s haben thätst, nachher thätst es mir net geben?“

„No – wer weiß – wann recht brav bist.“ Dabei lachte sie den Burschen so eigen an, so wohlwollend spöttisch, daß Karli beim besten Willen nicht mehr wußte, ob er die Sache ernst oder spaßhaft nehmen solle. Doch schien er sich schließlich für das Letztere zu entschließen, denn er puffte seinen Ellbogen an Kuni’s Arm und brummte:

„Geh’ – Du – mit Deine Dummheiten – kannst nix als d’ Leut’ zum Narren halten!“

Da ließ ein rasselndes Geräusch die Beiden nach dem Pointner blicken. Der hielt die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, lag ausgestreckt in seinem Lehnstuhl und schnarchte, daß ihm die Nasenflügel zitterten.

„Du – da schau – Dein’ Vatern hat’s ’nüberg’rissen!“ kicherte Kuni.

„Aber g’schwind hat’s ihn jetzt g’habt! Freilich – ich weiß schon – das gache ’neintrinken, das vertragt er net.“

„Geh’, thu’ net so laut – laß ihn halt schlafen,“ wisperte die Dirne, während sie hastig den Kork von der letzten, noch vollen Flasche nahm und Karli’s Glas bis zum Ueberlaufen füllte.

„Was machst denn jetzt? Die letzte Flaschen hältst g’rad schon stehen lassen können. Ich hab’ auch schon lang g’nug.“

„Geh’ weiter, sei net langweilig! A Mannsbild, wie Du, kann ’was vertragen. Und auf gute Freundschaft müssen wir dengerst auch mit einander anstoßen. Das thät’ mich ja schier kränken, wann fortgehen thätst, ohne daß a Glasl auf mein Wohl austrunken hast.“

Er stieß mit ihr an und leerte sein Glas.

„So laß ich mir’s g’fallen“ nickte sie und griff wieder nach der Flasche. Während sie einschenkte, rückte sie dicht an seine Seite. „Ja Du – was ich sagen will – weißt es schon?“ kicherte sie ihm ins Ohr und berichtete, was sich seit einigen Tagen die Leute im Dorfe von der Huber-Kathl, von der Tochter des Nachbarn, erzählten. Er lachte zu der Geschichte, obwohl er sie bereits kannte. Da wußte denn Kuni gleich wieder etwas Anderes zu erzählen, und so plauschten sie mit verhaltenen Stimmen weiter, kicherten und tranken – und geduldig ließ er es geschehen, wenn sie ihn dabei in ihrer gewohnten Weise neckte, bei der Nase faßte, ins Ohrläppchen kniff oder an den Haaren zog. Wenn er über eine ihrer Geschichten gar zu laut lachte, packte sie ihn beim Schopfe und drückte ihm ihre Hand auf den Mund. Im eifrigen Plaudern legte sie manchmal ihren Arm auf seine Schulter. Als er sich einmal, die Backen aufblasend, halb emporrichtete, strich sie ihm die Haare aus der feuchten Stirn und kicherte: „Is Dir denn gar so warm?“

Er lächelte harmlos und meinte: „Ah na – das g’rad net – aber’ –“

Was er mit diesem „aber“ hatte sagen wollen, das brachte er nicht heraus, denn ganz unerwartet nahm der Pointner die Aufmerksamkeit der Beiden in Anspruch. Der hatte plötzlich sein Schnarchen eingestellt, murmelte und lallte unverständliche Worte, schnarchte wieder ein Gesetzlein und lallte aufs Neue. Darüber hatten die Beiden eine Weile zu kichern, als hätten sie einen besseren Spaß nicht erleben können. Dann wieder begannen sie das alte Plauschen und Scherzen, bis sich die Schwarzwälder Uhr mit einem mahnenden Schlag vernehmen ließ.

Völlig erschrocken fuhr Karli in die Höhe. „Jesses – jetzt is gut – eins hat’s g’schlagen!“ stammelte er. „Und morgen soll ich wieder ’raus in aller Fruh! Na – so kurz is mir schon bald kein’ Zeit nimmer worden!“

Hastig schob er sich hinter dem Tisch hervor und streckte die Glieder.

Langsam erhob sich Kuni, während sie den Burschen mit einem wägenden Blicke musterte; dann lächelte sie leise und duckte den Kopf zwischen die runden Schultern.

Karli war auf den Vater zugetreten und rüttelte ihn am Arme. „Vater – Vater – thu’ Dich schlafen legen – eins hat’s g’schlagen.“

Der Pointner rührte sich ein wenig, lallte mit schwerer Zunge und schnarchte weiter.

Karli wollte die Weckversuche von Neuem beginnen, als Kuni an seine Seite trat und ihn vom Lehnstuhl wegschob. „Geh’ weiter – ich schau’ schon, daß er ’neinkommt in sein Kammerl.“

„No, da kannst noch a schöne Plag’ haben,“ meinte Karli und wandte sich lachend der Thür zu. Als er auf der Schwelle stand und ihm die frische kühle Luft des offenen Flurs entgegenstrich, hob er den einen Arm an die Stirn und lehnte sich an den Thürpfosten.

„Karli – geh – was hast denn auf amal?“ hörte er Kuni mit leisen Worten fragen.

„Nix – gar nix! Den Wein fang’ ich halt a Bißl zum spüren an,“ erwiederte er, athmete tief auf und zog, in den Flur hinaustretend, hinter sich die Thür zu. Da vernahm er auch schon aus der Stube die greinende Stimme des Vaters. Ein paar Stufen stieg er die Treppen empor; dann kehrte er wieder um und tastete sich durch den finsteren Flur in die Küche, um dort einen tüchtigen Trunk frischen Wassers zu sich zu nehmen, da er nach all’ dem genossenen Weine einen brennenden Durst zu fühlen [619] begann. Als er wieder in den Flur zurückkehrte, meinte er Kuni’s zornige Stimme zu vernehmen. Neugierig steckte er den Kopf in die Stube und sah, wie die Dirne mit dunkelrothem Gesicht aus der anstoßenden Kammer trat und die Thür zudrückte, durch die er den Vater lachen und nach Kuni rufen hörte.

„Was is denn? Was hat’s denn geben?“

„Ah mein – Dein Vater – a Bißl z’viel hat er halt!“ erwiederte Kuni in ärgerlichem Tone.

„No freilich hat er z’viel,“ meinte Karli lächelnd, während er vollends in die Stube trat. Gähnend reckte er die Arme und setzte sich, wie von plötzlicher Müdigkeit befallen, wieder an den Tisch.

Inzwischen hatte Kuni zwei Talglichter angezündet. Nun brachte sie die beiden Leuchter herbei, und während sie den einen in der gesenkten Hand behielt, schob sie den andern vor Karli hin und blies an der Hänglampe die Flamme aus. „Da hast Dein Licht! Ich leg’ mich jetzt schlafen derweil. Aufräumen kann ich ja morgen in der Fruh auch noch.“ Sie sagte das mit hastigen Worten, und ihre Stimme hatte dabei einen eigenthümlich heiseren Klang. „Gut’ Nacht also, gut’ Nacht!“

„Gut’ Nacht, Kuni!“ nickte der Bursche und fügte dann lächelnd bei: „Aber was ich sagen will – was is denn mit dem Andenken, wo mir versprochen hast?“

Da blitzten die Augen der Dirne auf wie in heimlicher Freude. Mit einem lautlosen Schritte trat sie dicht vor Karli hin, griff nach seinem Kopfe, und während sie ihn mit sachter Zärtlichkeit an den Haaren schüttelte, beugte sie das Gesicht zu ihm nieder, tauchte ihre Augen mit heißfunkelnden Blicken in die seinen und wisperte ihm zu: „Was mit dem Andenken is? Droben hab’ ich’s – in mei’m Stüberl! Mußt halt nachfragen, wann ich’s g’rad bei der Hand hab’.“

Jählings wandte sie sich nach diesen Worten von ihm ab und huschte mit flinker Eile zur Stube hinaus.

[629] Mit aufgezogenen Brauen und verdutzten Augen schaute Karli der zur Stube hinauseilenden Kuni nach. Dieser Abschied mochte ihm doch ein wenig sonderbar bedünken. Aber Müdigkeit und Wein hatten ihm den Kopf bereits so schwer gemacht, daß er keine sonderliche Lust mehr zum Räthsellösen verspürte. Und wenn er sich schon Gedanken machen wollte, da hatte er ja an ganz andere Dinge zu denken, als an die „Dummheiten“ einer Magd. Seufzend streckte er die Füße, verschlang die Hände hinter dem Nacken, lehnte den Kopf an die Mauer und starrte so in den flackernden Schein der Kerze.

Er dachte an den kommenden Tag, an die Unterredung mit Götz, und überlegte, wie er seinen Entschluß, Sanni zu sprechen, am besten verwirklichen könnte. Es war selbstverständlich, daß er schon am frühen Morgen die blaue Montur anlegen würde. Erstens stand sie ihm einmal so gut zu Gesicht, und zweitens mußte Sanni, wenn er sie nur sehen sollte, ohne sie sprechen zu können, aus seinem Gewande den Zweck seines Besuches errathen. Das war aber nur ein angenommener Fall, denn in seiner rosigen Hoffnungsseligkeit war er der festen Ueberzeugung, daß ihm am kommenden Morgen alles nach Wunsch gelingen mußte. Er hörte sich schon in einem heimlichen Waldversteck mit Sanni plaudern und legte sich in Gedanken die Worte zurecht, in denen er „gar g’scheit“ mit ihr reden wollte, damit sie beide vor seinem Abschied doch wüßten, wie sie mit einander dran wären. Mit dem Bygotter würde es freilich seiner Zeit noch „schieche Sachen“ absetzen – so etwas schwante ihm – aber desto leichter und glatter würde er dafür mit dem eigenen Vater ins Reine kommen. Der Pointner konnte es ja kaum erwarten, daß er den Hof an seinen Buben los wurde – und daß dem Pointner die Sanni als Schwiegertochter wie keine Andere gefallen würde, darüber war Karli schon längst mit sich im Klaren, denn seiner Meinung nach gab es auf der weiten Gotteswelt kein weibliches Wesen, welches so wie Sanni die Ansprüche des Pointners gedeckt hätte: „a richtig’s G’müth, bildsauber, und so a recht a lieb’s Gsicht’l, daß man gleich ’neinbeißen möcht’!“ Was Wunder also, daß Karli in den Träumen des Halbschlummers, der ihn allmählich überfiel, bereits seinen [630] und Sanni’s Namen von der Kanzel verkünden hörte, daß ihm schon die Hochzeitsgeigen in den Ohren klangen, und – und – aber was er weiter noch hätte denken und träumen können, das hatte er schon hinübergenommen in den tiefen Schlaf, in welchen er, trotz seiner unbequemen Lage auf der harten Holzbank, mit lächelndem Behagen hineingeduselt war.

Stille Minuten vergingen. In der Stube war nichts zu hören, als die gleichmäßigen Athemzüge des Schlafenden, die leisen Pendelschläge der Wanduhr und das Ticken eines Holzwurmes. Mehr und mehr brannte die Kerze nieder; endlich erlosch sie, und die Gluth des Dochtes verqualmte in einem dünnen Rauchfaden. Da knarrte draußen die Treppe. Es war, als stiege Jemand mit leisen langsamen Schritten über die Stufen nieder. Durch das Schlüsselloch der Thür fiel ein dünner Lichtstreif; nun verschwand er wieder, mit sachtem Knirschen rührte sich die Klinke, und es öffnete sich die Thür, wobei ein dünnes Pfeifen aus ihren Angeln kam.

Karli erwachte. Es war ihm zu Muth, als hätte er eine Ewigkeit geschlafen. Im ersten Augenblick meinte er, daß er den Morgen versäumt habe und daß es der grelle Schein der Sonne sei, was ihm die verschlafenen Augen blendete. Erst als er sich halb emporrichtete, merkte er, daß er noch immer in der Stube saß und daß nicht die Sonne ihn in die Augen stach, sondern die flackernde Helle einer Kerzenflamme.

Nahe vor ihm stand Kuni, in der Hand den Leuchter mit der brennenden Kerze. Ein kurzes, dunkelrothes Röckchen schwankte um ihre Kniee und zeigte die weißbestrumpften Füße, die in leichten Pantoffeln staken. Den hübschen Kopf ein wenig zur Seite geneigt, so stand sie mit einem halb ärgerlichen, halb verlegenen Gesichte, über welches die zuckende Flamme zitternde Lichter warf, während die gelösten rothbraunen Haare, die ihr in langen Wellen um die Schultern rieselten, in metallenem Schimmer glänzten.

„Was – was is denn g’schehen – was willst denn?“ stotterte Karli, dessen Wangen von einer brennenden Röthe überflogen waren.

„Ja merkst es denn net, Du Dapperl, weßwegen als ich da bin?“ lächelte Kuni. „Eing’schlafen bist ja – daherunten in der Stuben – schau, und ’s ganze Licht is Dir ausbrennt!“

„No mein – das macht ja nix!“ stammelte der Bursche, dessen Augen mit scheuen Blicken über die Gestalt der Dirne huschten.

„Natürlich, machen thut’s freilich nix!“ wisperte Kuni, während sie einen hastigen Blick nach der Kammerthür warf, hinter welcher man den Pointner schnarchen hörte. „Aber droben, mein’ ich, hättst dengerst a bessers Schlafen, als wie da herunten auf der harten Bank! Ich hab’ mir’s aber gleich ’denkt, wie ich Dich so lange net kommen hab’ hören. Na, na, wie hast Dich denn nur so versitzen können? Geh, Du bist mir die richtige Schlafkappen!“

Kichernd streckte sie die Hand, mit welcher sie bisher die losen Falten des weißen Linnens dicht am Halse zusammengehalten hatte, und haschte den Burschen scherzend beim Schnurrbart.

Die Röthe auf Karli’s Wangen wurde zu dunkler Gluth, und ein trunkenes Feuer erwachte in seinen Augen. „Kuni – Kuni –“ stieß er mit bebender Stimme hervor, schlug seine Hände mit heftigem Griff um den Arm der Dirne und drückte ihn an seine Brust.

Kuni fühlte seinen heißen Athem; sie spürte das Zittern seiner Hände, und da stammelte sie wie erschrocken: „Aber, Bua, geh, was hast denn, sei doch g’scheit!“ Und während sie mit nicht allzu ernster Anstrengung ihren Arm zu befreien suchte, streckte sie den andern Arm mit dem Lichte weit zur Seite und drückte, als wäre ihr schon bange vor seinen Küssen, den Kopf tief in den Nacken.

Da öffneten sich langsam die Hände des Burschen, der mit erschrocken staunenden Augen an Kuni vorüber auf die weiße Kalkwand starrte. Dort sah er den mächtigen Schattenriß eines Gesichtes – aber diese harten, strengen Züge glichen nicht dem weichen, schmucken Profil der Dirne; sie glichen den steinernen Zügen des stillen ernsten Knechtes – und dem Burschen kam es vor, als wäre die Mauer von Glas und als stünde Götz hinter ihr, mit einem ins Riesenhafte gewachsenen Kopfe, mit finster drohendem Gesicht. Und während er so auf das seltsame Bildniß starrte, klangen in seinem Ohre die Worte, welche Götz vor Stunden im dunklen Hofe draußen zu ihm gesprochen – und vor den Augen stieg ihm Sanni’s Bild empor.

Mit verblüfften Mienen stand Kuni vor dem Burschen, dessen wunderliches Gebahren sie sich nicht zu deuten wußte. Nun drehte sie, der Richtung seiner starren Blicke folgend, den Kopf – und da verschwammen jene warnenden Züge an der Wand in einen formlosen schwarzen Schatten.

Aufathmend wandte Karli sein brennendes Gesicht der Dirne zu, und es zuckte so eigen um seine Lippen, als er ihr mit rauher Stimme zurief: „Geh’ weiter – und laß’ mir mein’ Ruh’! Ich bin schon munter jetzt – und weiß mein’ Liegerstatt allein zu finden!“ Polternd erhob er sich und schritt der Thür zu.

Kuni taumelte, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Bis in die Lippen war sie erblaßt, und während ihre Züge sich zur Unkenntlichkeit verzerrten, sprühte ein jäh erwachender Haß aus ihren Augen. Doch eine Sekunde nur – und jede Spur von Erregung war von ihrem Gesichte verschwunden. Und nur ein wenig Verwunderung sprach aus ihrer Stimme, als sie lächelnd sagte: „Was bist denn auf amal so grob? Da hätt’ ja doch ehnder ich an Grund dazu – ja – völlig weh thut mir mein Arm! Du bist mir Einer!“

Karli hörte noch das spitzklingende Kichern, mit welchem sie ihre Worte schloß, und sah noch, wie sie die Haare, die ihr über die Schultern gefallen waren, zurückschüttelte in den Nacken. Dann überschritt er die Schwelle und schlug hinter sich die Thür zu. Es war auch höchste Zeit, daß er aus der Stube kam. Ueber den letzten, lauten Reden, welche die Beiden geführt hatten, und über dem Knallen der Thür mußte der Pointner erwacht sein. Karli hörte die brummende Stimme des Vaters und es war ihm auch, als ginge drinnen die Kammerthür.

Hastig eilte er über die Treppe hinauf, tappte sich durch die Finsterniß in sein Stübchen, warf die Kleider ab und streckte sich auf sein Lager. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf und keiner wollte ihm zu rechter Klarheit kommen. Dann wieder lauschte er mit verhaltenem Athem; aber Minute um Minute verstrich, ohne daß er Kuni über die Treppe heraufkommen und ihre Kammer betreten hörte. Aergerlich kehrte er sich endlich gegen die Wand und versuchte zu schlafen.

Was hatte er denn überhaupt an Kuni zu denken? Er hätte sich ohnehin am liebsten die Ohren vom Kopfe reißen mögen vor Unmuth darüber, daß sein Blut einen Augenblick die Oberhand über sein Herz hatte gewinnen können. Nun fiel ihm auch wieder jener seltsame Schatten ein – und als er nicht wußte, was er von der Sache glauben sollte, mußte der „gute Schutzengel“ herhalten, der ihm gewiß all’ das eingegeben hatte, was er dem wunderlichen Bilde gegenüber gedacht und empfunden. Das tröstete und beruhigte ihn und ungestört konnten seine Gedanken an dem Häuschen im Binderholz vorüber in die sonnige Zukunft wandern. Darüber fielen ihm die Augen zu, und Sanni und Liebe füllten seine Träume.




7.


Der Morgen graute durch das kleine Kammerfenster, als Karli durch ein Pochen an der Thür geweckt wurde. „Ja, ja – was is denn?“ stotterte er und rieb sich die verschlafenen Augen.

Da steckte Götz den Kopf zur Thür herein und nickte ihm lächelnd zu: „Ich bin’s! Guten Morgen! Gelt, versaum’ Dich’ net!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er die Thür wieder zu, um seiner Arbeit nachzugehen.

Eine halbe Stunde später war Karli zum Ausgang gerüstet. Wenn er meinte, daß ihm die blaue Dragoneruniform nicht übel stehe, so war das keine ungerechtfertigte Eitelkeit. Das lichte Blau mit den hochrothen Anschlägen paßte so gut zu seinem frischen, sonnverbrannten Gesichte mit dem sauber gescheitelten braunen Haar. Der knapp anliegende Waffenrock gab ihm eine stramme Haltung und hob den Wuchs seines jugendlich kräftigen Körpers. An dem Tuche war kein Stäubchen, und alle Knöpfe funkelten, als wären sie eben erst aus der Hand des Vergolders gekommen. Karli warf noch einen letzten zufriedenen Blick in den kleinen Spiegel, setzte achtsam die steife Mütze übers Haar und stapfte spornklingend zur Kammerthür hinaus. Als er an Kuni’s Stübchen vorüberkam, huschte ein leichtes Roth über seine Wangen. Die Thür stand halb offen und zeigte einen Theil des geordneten Lagers. Karli zog verwundert die Brauen in die Höhe – Kuni war doch sonst keine Freundin von allzufrühem Aufstehen. [631] Unbehaglich war ihm der Gedanke, daß er die Dirne wahrscheinlich drunten im Flur oder im Hofe treffen würde. Ganz erspart konnte ihm diese Begegnung freilich nicht bleiben – aber wenn es schon sein mußte, dann wenigstens später, nur jetzt nicht, wo er es so nöthig und eilig hatte, hinaus ins Binderholz zu kommen. Da athmete er nun erleichtert auf, als er den Hof erreichte, ohne von Kuni etwas gehört oder gesehen zu haben. Wo sie wohl stecken mochte? Aber was kümmerte das ihn? Er zuckte die Schultern, pflückte, als er am Garten vorüberkam, eine feuerrothe Nelke, steckte sie hinters Ohr und wanderte auf der thaufeuchten Straße mit rüstigen Schritten in den herrlichen Morgen hinein.

Ueber dem weiten Thale lag noch das zarte, glanzlose Frühlicht. Die Nebel der Nacht waren schon in Luft zerronnen; nur über den feuchteren Wiesen schwebten noch einzelne graue Streifen; aber auch diese zerschmolzen mehr und mehr, und immer kleiner werdend wirbelten sie sich langsam den steilen Bergwald empor, über welchem auf hochgebauten kahlen Felsen schon der röthliche Wiederschein der steigenden Sonne glühte. Tiefer und tiefer senkte sich dieser helle Glanz dem Thal entgegen, und als Karli den Wald betrat, blitzten schon die ersten goldenen Strahlen durch die Wipfel der leise rauschenden Bäume.

Lautlos zogen seine Schritte über den moosigen Weg; ab und zu nur knackte unter seinen Füßen ein dürres Reis. Winzige Vögel flatterten vor ihm auf und rings um ihn war ein hundertstimmiges Pispern und Zwitschern. Im tieferen Walde gurrte eine wilde Taube und vom nahen Berghang hallten die Schläge einer Axt. Rascher und rascher wurde Karli’s Gang. Jetzt traten die Bäume mehr aus einander, und durch die Lücken ihrer braunen Stämme gewahrte er den hohen, dichtgefügten Zaun, der das Besitzthum des Bygotter’s in weitem Bogen umzog. Unschlüssig blieb er eine Weile stehen, dann schritt er geraden Weges auf die Pforte zu. Sie war von innen fest verrammelt. Mit beiden Händen rüttelte er an ihr, aber sie rührte sich nicht. Lauschend verharrte er, doch war aus Haus und Hofraum nicht der geringste Laut zu vernehmen. „Schlafen werden s’ ja dengerst nimmer,“ murmelte er vor sich hin, besann sich ein paar Sekunden und schlich dann am Zaun entlang einer Stelle zu, wo er eine Lücke wußte, vor welcher er an den vergangenen Abenden manche Stunde mit nutzlosem Spähen verbracht hatte. Da fand er nun wohl die Stelle, aber nicht mehr die Lücke. Sie war mit frischem Astwerk dicht übernetzt. „Jetzt so ’was is doch a Bißl gar zu arg,“ meinte er und schaute ärgerlich um sich. Als er dabei nahe vor sich eine fast bis zur Erde belaubte Buche stehen sah, kam ihm ein rettender Gedanke. Doch schien er ihn im Erfassen schon wieder zu verwerfen, denn seine Augen glitten mit besorgten Blicken über die peinlich saubere Montur. Schließlich siegte aber dennoch die Sehnsucht über die „Propridöt“, und mit raschen, geschickten Griffen zog er sich an der Buche über Aeste und Aeste bis zur Krone empor, deren Laubwerk ihn verbarg und ihm dennoch einen genügenden Ausblick gewährte. Am Hause selbst, dessen Thür geschlossen war, vermochte er nicht die geringste auffällige Beobachtung zu machen. Inmitten der Wiese aber bemerkte er gleich jenes seltsame Etwas, das er wohl auch an den vergangenen Abenden gewahrt, in der Dämmerung aber niemals genauer hatte unterscheiden können. Es war dort ein zimmergroßer, viereckiger Raum vom Grase befreit, mit feinem Sande glatt überdeckt und von weißen, eng neben einander in die Erde gesteckten Stäben umgrenzt, die gegen das Haus zu einen schmalen Durchgang ließen. In diesem Raum erhob sich ein tischartiger Aufbau aus sorgsam an einander gefügten Steinbrocken, über denen eine rohbehauene Felsplatte ruhte, die in der Mitte wie von Ruß geschwärzt erschien.

Während Karli noch mit großen Augen das seltsame Ding bestaunte und erfolglos hin und her sann, wozu es wohl dienen könnte, öffnete sich an der Hütte die Thür, und der Bygotter trat auf die Schwelle.

„Ah, Narr – was is denn jetzt das für an Aufzug!“ murmelte Karli, als er des Alten ansichtig wurde.

Der trat mit zögernden Schritten ins Freie, während seine unheimlichen Augen mit raschen Blicken den Hofraum überflogen. Leicht rührte sich im Winde sein mächtiger silbergrauer Bart, der sich in der Farbe nur wenig von dem absonderlichen Gewande abhob, welches der Bygotter trug. Von den eckigen Schultern hing ihm, aus gebleichter Leinwand gefertigt, ein Etwas bis auf die Kniee nieder, das in der Form halb einem Talar und halb einem Fuhrmannshemde glich; die Aermel reichten den dunkelbraunen fleischlosen Armen kaum bis an die Ellbogen. Um die Beine schlotterte ihm eine weite Hose von gleichem Stoffe. Die Füße waren nackt und statt eines Hutes trug er eine weiße Binde in dicker Wulst um das Haupt gewunden.

Wäre Karli ein wenig bibelkundiger gewesen, als er war, ihm hätte beim Anblick des Alten unwillkürlich jene Stelle aus dem Buche des Propheten Hesekiel einfallen müssen, an der es von den Leviten, den Söhnen Zadok’s, heißt: „Sie sollen zu meinem Heiligthume kommen und sollen meinem Tische nahen, mir zu dienen und meinen Dienst zu besorgen. Und wenn sie eingehen in die Thore des inneren Vorhofs, sollen sie leinene Kleider anziehen, und nicht soll Wolle an sie kommen, während sie mir dienen. Leinene Kopfbinden sollen auf ihrem Haupte sein und leinene Beinkleider an ihren Lenden.“

So wunderlich nun auch der Bygotter anzusehen war, so verlor Karli doch jählings alles Interesse an ihm, als er Sanni hinter dem Alten aus der Thür treten sah. Heftig fing ihm das Herz zu pochen an, und beinahe hätte er auf seinem luftigen Sitze den Halt verloren, so hastig reckte er sich empor, um im Laube eine Lücke zu finden, die ihm einen ungeschmälerten Anblick der Geliebten gönnte. Sie schien ihm in den Tagen, in denen er sie nicht mehr gesehen, größer und voller geworden. Trotz des ärmlichen Alltagskleides, welches sie trug, meinte er sich etwas Schöneres nicht denken zu können, als das Mädchen dort drüben. Da schnitt es ihm ganz in die Seele, als es ihm vorkam, daß ihr Gesichtchen gar blaß und traurig wäre. Und was hielt sie denn nur auf dem Arme? Das sah sich an wie eine hölzerne Schüssel. Und in der anderen Hand? Das war ein Bündel von dünnen Holzspänen und kleinen Scheiten. Und da folgte sie nun mit gesenktem Köpfchen dem Vater, der sich mit stelzenden Schritten jenem seltsamen Ding in der Wiese näherte. Als er vor den weißen Stäben hielt, nahm er Schüssel und Späne aus Sanni’s Händen und gab ihr in hartem Tone irgend eine Weisung. Mit verschüchterten Augen schaute sie zu ihm auf, und als er ihr den Rücken wandte, ließ sie sich außerhalb des umhegten Raumes zögernd auf die beiden Kniee nieder. Der Bygotter aber trat in den sandbestreuten Innenraum, schichtete über der Felsplatte aus den Spänen und Scheiten einen kleinen Stoß, steckte ihn auf eine seltsame Weise in Brand, und als die hellen Flammen in die Höhe züngelten, goß er unter murmelnden Worten den Inhalt der hölzernen Schüssel darüber.

Karli konnte nicht erkennen, was es war; doch meinte er Festes und Flüssiges zu unterscheiden – und als ihm gerade der leichte Wind den Rauch entgegentrieb, der in dicken Wolken aus dem gedämpften Feuer stieg, glaubte er den Geruch von verbranntem Fett zu spüren.

„Ja heilig – mir scheint ja gar, der thut an Opfer halten – ganz nach’m alten Testament!“ staunte der Bursche und schaute mit weit offenen Augen zu, wie der Bygotter sich vor dem Steinbau auf die Kniee warf, sich niederneigte und die Stirn auf die Erde drückte. Als aber auch Sanni mit sichtlichem Widerstreben dem Beispiel des Vaters folgte, ballte Karli die Faust und murrte: Meinetwegen könnt’ er treiben, was er mag – wenn er nur g’rad das arme liebe Deandl aus’m Spiel lassen thät’!“

Da richtete der Alte sich wieder in die Höhe, und mit starren Augen aufwärts blickend zum sonnigleuchtenden Himmel, breitete er weit die Arme.

„Na, na,“ flüsterte es droben in der Buchenkrone, „wer hat denn schon amal so was g’sehen! Der ganze Abraham – g’rad der Hammel geht ihm noch ab zu seiner –“

Mitten im Worte unterbrach sich Karli. Es war ihm gewesen, als hätte er die rauhe, rollende Stimme des Bygotter’s vernommen. Und da verstand er nun deutlich, wie der Alte mit leidenschaftlichen, fast zornigen Lauten emporsprach in die Lüfte: „Im wehenden Rauche, Herr, steigt mein Gebet zu Dir hinauf. Laß’ mich Deine Stimme wieder hören, daß ich den Weg finde, welcher der Weg Deines Willens ist. Ich bin Dein Knecht. Du willst nicht, daß ich mich umsonst gemühet habe und meine Kraft vergeudet um nichts. Sende mir den Schall Deines Mundes, auf daß ich ausgehe, die Finsterniß zu zerstreuen. Mache meine Zunge gleich scharfem Schwerte, und mit dem Schatten Deiner Hand bedecke mich!“

[634] So unbehaglich es Karli bei der ganzen Sache um Sanni’s willen zu Muthe war, jetzt mußte er sich Gewalt anthun, um nicht hell aufzulachen. Es lag nicht in seiner Natur, weiter zu denken, als ihm gerade Ohr und Auge reichte. Sonst hätte er wohl das unheimlich Drohende und Beängstigende erfassen müssen, das aus der ganzen Art und Weise des Bygotters sprach, und statt des mühsam verhaltenen Lachens, das ihm die Thränen in die Augen trieb, hätte ihn vielleicht ein bangendes Grauen überkommen. Auch mit dem Sinn der Worte, die er hörte, machte er sich wenig zu schaffen – sie waren eben sinnlos für ihn. Und so hielt er sich nur an das Aeußerliche dieser Sprache, die in der That bei all ihrer grollenden Leidenschaft etwas von dem lächerlich steifen Pathos und dem kauenden Tone hatte, mit welchem ein schwerhöriger Bauer, für dessen Zunge das Hochdeutsch eine Arbeit bedeutet, seinem frommen Herzen in einsamer Sonntagsstunde die Bibel vorliest.

Als der Bygotter geschlossen hatte, blieb er lange Minuten regungslos mit ausgebreiteten Armen stehen und starrte in die Höhe, als erwarte er eine Stimme aus den Lüften oder ein Zeichen am Himmel. Dann plötzlich riß er, wie in jählings ausbrechender Wuth, vom Halse an sein Gewand entzwei, raufte den Bart, schlug mit den Fäusten die entblößte Brust und schrie mit heiser gellender Stimme: „Er hört mich nicht – will nicht hören das Rufen meiner Seele – nicht riechen den Rauch meines Brandes – nicht sehen die Flammen meines Feuers! Ekel und Aas ist ihm mein Opfer!“

Mit beiden Händen griff er in das verglimmende Feuer, und unter keuchenden Worten, deren Laute in Stöhnen und Schluchzen unverständlich erstickten, schleuderte er die halbverkohlten Scheite und die mit Funken gemischte Asche nach allen Seiten aus einander.

„O lieber, lieber Heiland – Vaterl – Vaterl!“ jammerte Sanni, während sie in zitterndem Schreck in die Höhe sprang und an die Seite des Vaters eilte. Der schien beim Anblicke seines Kindes wie aus einem wilden Traume zu erwachen. Schlaff sanken ihm die Arme nieder, und ein heftiges Zittern befiel seine hohe, magere Gestalt. Offen klaffte sein Mund, und mit glühenden, blutumränderten Augen starrte er in das bleiche, von Schreck und Angst verwirrte Gesicht des Mädchens. Nun streckte er langsam die eine Hand, spannte die knöchernen Finger um Sanni’s Arm, und während er die flackernden Blicke gegen Himmel hob, klang es in dumpfen Lauten von seinem Munde: „Und es geschah nach diesen Dingen, daß der Herr ihn versuchte – und Gott rief ihn bei seinem Namen – und da sprach er: hier bin ich!“

Wieder schaute der Bygotter in Sanni’s Gesicht, vorgeneigten Kopfes und mit einem Blick, als wolle er durch ihre angstvollen Augen tief in ihr Herz und ihre Seele schauen. Dann richtete er sich straff empor.

„Komm!“

Mit beiden Händen faßte er Sanni’s Hand und führte sie langsamen Schrittes mit sich fort ins Haus.

Dem Burschen droben in der Buchenkrone war zu Muthe, er wußte selbst nicht wie. Nun war ihm denn doch das Lachen vergangen. Was er zu der seltsam erschreckenden Wendung, welche dieser für ihn närrische Auftritt genommen, sich denken sollte, das wußte er freilich nicht. Er fühlte nur die drückende Angst, die in seinem Herzen um Sanni erwacht war. Mit Worten konnte er sich’s allerdings nicht sagen, was er denn eigentlich für das Mädchen besorgte. Aber von einem Narren war eben Alles zu befürchten. Denn daß der Bygotter ein Narr sei, das war jetzt bei ihm ausgemacht, das hatte er gleich, nachdem sich hinter den Beiden die Thür geschlossen, kopfschüttelnd und mit flüsternden Worten ausgesprochen:

„Na, na – so a Narr – der is ja ganz verruckt – der g’hört ja hinter Schloß und Riegel!“

Mit verlorenen Blicken irrten seine Augen über die Wiese, über den verlassenen Altar und über die im Grase zerstreuten Kohlenreste, von denen einzelne noch in dünnen Fäden rauchten. Dann suchte er wieder die Thür, und so saß er, keinen Blick von dem Hause verwendend, erregt und beunruhigt von jedem gedämpften Geräusche, das von da drüben seine lauschenden Ohren traf. Er hatte dabei so viel mit seinen langsamen Gedanken zu schaffen, daß er gar nicht merkte, wie schnell ihm die Zeit verrann. Schließlich zog er aber doch einmal die Uhr hervor, und da erschrak er völlig, als sie ihm die neunte Stunde zeigte. „Jesses na – jetzt muß ich gehn – jetzt kann ich nimmer länger warten!“ stammelte er trübselig vor sich hin.

Schon wollte er sich zum Niedersteigen anschicken, als er drüben am Bygotterhäuschen die Thür gehen hörte. Und die helle Freudenröthe schlug ihm in die Wangen, als er Sanni mit einem hölzernen Wassereimer über die Schwelle treten und um die Hausecke verschwinden sah. Da wurden seine langsamen Gedanken gar flinkfüßig, und er hatte es gleich heraus, daß sie zum Brunnen ging, der hinter dem Hause war, im entlegensten Winkel des Gartens, gegen die Fenster vollkommen gedeckt durch die Stämme und das wirre Epheugeschling der beiden alten Eichen, welche das Dach beschatteten. Da war auch jede Spur von Rücksicht auf die schöne Montur vergessen. Mit einem hurtigen Rutsch erreichte er den Boden, rannte an der Umfriedung entlang, und als er die dem Brunnen zunächstliegende Stelle erreichte, schwang er sich kurz besonnen auf die Schneide des Zaunes. Das ging nun freilich ohne Rascheln und Poltern nicht ab – und Sanni, welche am Brunnen auf die Füllung des Eimers wartete, blickte erschrocken auf. Ein leiser Schrei huschte von ihren Lippen, als sie auf der Höhe des Zaunes die himmelblaue Gestalt erscheinen sah. Aber sie hatte den Burschen schon erkannt, noch bevor ihr Karli mit leisen Worten zurufen konnte: „Mußt net erschrecken – ich bin’s – ich – der Karli.“

Doch dieses Erkennen schien ihren Schreck noch zu mehren. Abwehrend streckte sie die Arme vor, als Karli niedersprang ins Gras und ihr entgegen eilte. Und während er mit glückseligem Lächeln und leuchtenden Augen ihre beiden Hände faßte, bewegten sich wortlos ihre Lippen und kein Tropfen Blut war in ihrem Gesichte.

„Hab’ ich Dich recht erschreckt – geh’ – Du Hascherl, Du arms!“ flüsterte er und drückte im Uebergefühl seiner Freude beinahe Sanni’s Finger wund. „Aber schau, es is nimmer anders ’gangen – und ich hätt’ in Frieden net fort können, ohne daß ich Dir’s g’sagt hab’ – weißt – einrucken muß ich – auf vier Wochen – zu die Manöver.“

Da löste sich Sanni’s Zunge. „Karli – Karli – um tausendgottswillen thu’ ich Dich bitten,“ stammelte sie mit versagender Stimme, während eine namenlose Angst aus ihren großen, blauen Augen sprach, die in ruheloser Hast zwischen dem Burschen und dem Hause hin und wieder glitten, „geh’, Karli – um Gottswillen geh’ – der Vater – wann er Dich sehen thät’ – Du kennst ihn net – er kann zum Fürchten sein!“ Ein Schauer überflog ihre schmalen Schultern.

„Fürchten? Ah na! Ich fürcht’ kein’ Menschen net, und schon g’wiß net, wann’s um Deinetwegen is!“

„Na, Karli – Du weißt net – schau – schier gar kein’ Herzschlag spür’ ich nimmer – vor lauter Angst. Du kannst net denken, wie er is – und jetzt erst – kaum a halbe Stund’ kann’s her sein, da hab’ ich ihm bei Blut und Leben schwören müssen, daß – daß –“ Ihre Worte stockten, und eine brennende Röthe flog über ihre schmächtigen Wangen. Dann schaute sie mit einem herzinnig flehenden Blicke zu ihm auf und weinte: „Thu’s mir z’ lieb, Karli – und geh’!“

Und mit zitternden Händen schob sie ihn schon von sich und dem Zaun entgegen.

„Ja, ja, Alles – schau – Alles thu’ ich, was Du haben willst,“ stotterte er verwirrt und unwillkürlich ein wenig angesteckt von Sanni’s Angst, „Alles thu’ ich – aber z’erst mußt mir sagen, ob auch a Bißl an mich denken magst, derweil ich fort bin?“

„G’wiß, Karli – g’wiß – in jeder Stund’ – hundertmal in jeder Stund’!“

Da wurde es ihm nun schwer, einen hellen Juhschrei zu unterdrücken. Aber die beiden Hände streckte er, faßte Sanni am Kopfe, zog die Widerstrebende stürmisch an sich und –

„Susanna! Wo bleibst Du so lange?“ tönte hinter dem Hause die zornige Stimme des Bygotters.

Erbleichend stieß Sanni den Burschen von sich. Der aber hätte einer solchen Mahnung nicht mehr bedurft. Mit einem einzigen Satze gewann er den Zaun, und rascher noch, als er vom Walde hereingekommen, stand er wieder draußen unter den Bäumen, mit dunkelrothem Gesichte, mit hämmerndem Herzen, lauschend unter fliegenden Athemzügen. Er hörte die Schritte des Alten näher kommen, hörte ihn seine Frage wiederholen und hörte die tonlose Antwort seines Mädchens: „Ich komm’ ja schon, Vater.“

[635] „Susanna! Was hast Du? Was ist geschehen? Warum zitterst Du? Warum bist Du so blaß?“

„So viel – erschrocken bin ich, Vater – a Wiesel – ja – a Wiesel is mir aus die Bretter ’raus an d’ Füß’ hing’fahren.“

„Närrin! Ein Thier ist Gotteswerk wie Du und ich!“

Langsam hörte Karli die Schritte der Beiden sich entfernen. Erleichtert athmete er auf, drückte kichernd die Augen zu, setzte die verschobene Mütze zurecht, klopfte den Rindenstaub von der blauen Montur und eilte hastigen Ganges davon. Er kehrte nicht auf die Straße zurück, sondern suchte durch Birken- und Weidengebüsch den nahen Fußpfad zu gewinnen, der sich bis in die Nähe des Dorfes immer am Ufer des Baches hielt.

Freudige Zufriedenheit war vorerst der einzige Ausdruck in Karli’s Zügen. Als er aber die Ereignisse der letzten Minuten noch einmal an sich vorüberziehen ließ, schien sich diese Zufriedenheit merklich zu mindern. „Das armselige Bußl hätt’ ich ihr dengerst noch geben können – auf die einzige Sekund’ da wär’s jetzt auch nimmer an’kommen,“ meinte er und machte eine verdrießliche Miene zu der Erfahrung, daß die besten Einfälle immer zu spät sich einzustellen pflegen. Dann dachte er an alles Andere, was diesen letzten Minuten vorausgegangen, und da war er gleich mit sich darüber einig, daß irgend etwas zur Erlösung Sanni’s geschehen müßte. Bevor er aber noch denken konnte, was da zu thun wäre, fiel es ihm wieder ein, daß jede Maßregel gegen den Bygotter auch auf Sanni eine schlimme Wirkung üben würde. Da war es ja eigentlich seine Pflicht, von Allem zu schweigen, was dieser Morgen ihm verrathen hatte; denn wenn die frommen Seelen des Dorfes oder der Hochwürdige im Pfarrhofe von diesem gottlästerlich heidnischen Treiben erfahren würden, das müßte einen schönen Spektakel setzen, aus dem der Bygotter wohl kaum mit heiler Haut entrinnen möchte. Dem Burschen schauderte ordentlich der Rücken bei dem Gedanken, was Alles ein unvorsichtiges Wort da heraufbeschwören könnte. Aber dem Götz, das wußte er, dem durfte er sich ohne Sorge anvertrauen und der würde auch sicher einen guten Rath zu dieser verwickelten Geschichte finden.

Unter solchen Gedanken hatte Karli die Nähe des väterlichen Hofes erreicht und sah von Weitem schon den Götz am Zaune stehen. Der Knecht schien ihn erwartet zu haben, und zwar mit Ungeduld, denn er winkte mit den Armen und rief dem Burschen entgegen: „Ja, Bua, wo bleibst denn so lang? Jetzt hast aber Zeit! Bis in d’ Station ’nein zieht sich der Weg. Länger als a halbe Stund’ darfst Dich nimmer verhalten; sonst versäumst mir noch den Zug und ruckst am End’ gleich mit Straf’ bei Deiner Schwadron ein.“

Als Karli zu Götz an den Zaun herantrat, sah er, daß inmitten des Hofes schon die leichte Einspännerkutsche von Stoffel in Bereitschaft gesetzt wurde, während unter der Stallthür soeben Martl mit der Frage erschien: „Was is? Soll ich einspannen?“

„Ah na, es is noch Zeit. Aber den Schimmel kannst derweil anschirren,“ erwiederte Götz und wandte sich wieder zu Karli, der jetzt den Hof betrat. „No, wie hat’s Dir ’gangen? Weil gar so lang ausblieben bist, mein ich, wirst dengerst ’was ausg’richt’ haben?“

„Da hast Recht! Für heut’ bin ich woltern z’frieden,“ lächelte der Bursche und wollte schon einen ausführlichen Bericht beginnen, als er Kuni unter die Hausthür treten sah.

Merkwürdig! Er hatte die ganze Zeit über so viel gedacht – und hatte dabei Kuni völlig vergessen.

„Du, da paß auf, was Dir ich Alles zum verzählen hab’,“ flüsterte er dem Knechte zu. „Aber jetzt muß ich z’erst um meine Sachen schauen. Wir Zwei haben ja noch Zeit mit einander – oder net? Du fahrst mich doch in d’ Station ’naus?“

„Natürlich, das is doch g’wiß, daß ich mir das von kei’m Andern net nehmen lass’.“

„No also, nachher richt’ ich mich jetzt z’samm’ derweil.“

Und steif erhobenen Kopfes stelzte Karli auf die Thür zu, an deren Pfosten Kuni mit verschränkten Armen gelehnt stand. Ihr Gesicht war nicht so frisch und rosig wie sonst. Ein müder Zug lag um ihre Lippen und eine leichte Blässe deckte ihre Wangen. Ihre Augen allein waren unverändert – es war in ihnen eher noch ein heißeres Funkeln, ein unruhigeres Leben als je.

Mit wohlwollendem Lächeln und freundlichen Blicken empfing sie den Burschen. Karli meinte, er sähe das gleiche Lächeln und die gleichen Blicke, die sie stets für ihn gehabt. Und dennoch war etwas ganz Eigenes in diesem Lächeln und diesem Blick. Mit scherzenden Worten schalt sie ihn wegen seines befremdlichen Ausgangs und wegen seines verspäteten Heimkommens. Er zuckte die Schultern und redete sich auf die „guten Kameraden“ aus, „wo Ein’ aufhalten auf Schritt und Tritt“. Ohne ihr ins Gesicht zu sehen, drückte er sich an ihr vorüber und schaute in die Stube, die er leer fand.

„Wo is denn der Vater?“

„Davon is er, an nothwendigen Gang hat er g’habt.“

„Ah was, nothwendig! Hätt’ auch daheim bleiben können, wann er weiß, daß ich fort muß auf vier Wochen.“

„No schau, schiergar die gleichen Wort’ hat der Vater g’sagt: hätt’ auch daheim bleiben können, der Sakrabua, am letzten Tag’.“

Gegen die Logik dieser Erwiederung fand Karli nichts mehr einzuwenden. Aergerlich zog er die Thür zu, deren Klinke er nicht aus der Hand gelassen, und stapfte an Kuni vorüber die Treppe hinauf.

Mit funkelnden Augen schaute sie ihm nach, und während sie so mit ihren beweglichen Blicken seine kräftige, schmucke Gestalt verschlang, erschien in ihren Zügen ein Ausdruck, fast wie Bedauern um irgend ein Etwas, fast wie peinigender Aerger über irgend ein Geschehenes, das nun nicht mehr ungeschehen zu machen war. Als aber Karli in der Höhe der Treppe verschwand, kehrte sie sich trotzig auf den Hacken um, und nach der offenen Küche sich wendend, drückte sie den Kopf in den Nacken und stieß mit zornigen Worten hervor: „Ah was – jetzt mag’s gehen, wie’s geht!“

[660] Inzwischen hatte Karli seine Kammer erreicht. Eilfertig packte er Alles, was für seine Reise nöthig war, in eine kleine hölzerne Truhe. Dabei dachte er an die eben überstandene Begegnung mit Kuni, kam von einem Gedanken auf den anderen, und so lebte der ganze vergangene Abend wieder in ihm auf. Da kam es ihm plötzlich so vor, als ob die sonderbare Fürsorge, welche sein langes Verweilen in der Stube bei Kuni erweckt hatte, immerhin zu einer näheren Untersuchung herausfordere. Mit kritischen Augen betrachtete er Kuni’s Verhalten während all der letzten Wochen; er dachte an die Art und Weise, in welcher sie die Nachricht von seiner Einberufung aufgenommen hatte; es fiel ihm ein, daß es Kuni gewesen, welche die kleine Kneiperei am vergangenen Abend veranlaßt hatte; er besann sich auf die Emsigkeit, mit welcher sie ihm das Glas gefüllt; er dachte an den doch etwas gar zu lustigen Aufzug, in dem sie vor ihm gestanden, er stellte sich ihr ganzes Benehmen vor und wiederholte sich all ihre Worte, in denen er nun mit einem Male einen recht merkwürdigen Doppelsinn zu ergründen vermeinte – und während er so sann und dachte, ging ihm – langsam, aber doch – nicht nur ein Kerzenlicht, sondern gleich ein ganzes Großfeuer auf. „Jetzt da schau – das is aber amal Eine,“ nickte er lächelnd vor sich hin. Und ganz allein seiner „G’scheitheit“ galt dieses Lächeln. Er hatte wohl seine kleine Portion Eitelkeit; die reichte aber doch nicht aus, um alle Beweggründe für Kuni’s angelnde Pläne lediglich in einer etwaigen Unwiderstehlichkeit seinerseits zu finden.

Der schöne Pointnerhof und so und so viel Tagwerk Wald und Wiesen – das war’s! „Ah, da legst Dich nieder!“ Und wie schlau sie das eingefädelt hatte! Da wurde zuerst der alte Bauer verhätschelt und verwöhnt, dann der heirathsfähige Sohn ins Netz gesponnen und zugleich mit ihm der ganze stattliche Hof. Aber sein guter Schutzengel war denn doch noch schlauer gewesen. Freilich hatte sie es gar geschickt verstanden, sich den Rückzug zu decken – das mußte sich Karli zugestehen, besonders wenn er an Kuni’s letzte Worte dachte.

„Beweisen kann ich ihr allweil nix! Aber es is bloß, daß man sich auskennt! Und unter vier Augen will ich’s ihr auch zum Merken geben.“

Mit dieser Meinung und Absicht schloß er seine kritische Thätigkeit, packte die Truhe bei den eisernen Henkeln und trug sie hinunter in den Hof, wo er sie dem Stoffel zur Verladung auf die Kutsche übergab. Während er über die Treppe niedergestiegen war, hatte ihm Kuni aus der Küche zugerufen, daß er zum Frühstück kommen möchte. Mit selbstbewußtem Lächeln und erhobenem Kopfe – er fühlte sich ja nun als Herr der Situation – betrat er die Stube. Da dampfte auf dem Tische schon die Kaffeeschüssel zwischen zwei riesigen Semmeln. Er rückte in die Bank und schaute mit lustig blinzelnden Augen auf Kuni, die seinen Löffel aus der Lade hervorsuchte. Als sie ihm denselben reichte, sagte sie: „Der Kaffee muß aber jetzt gut sein – drei Stund’ steht er schon in der Röhren drin.“

„No weißt – a g’sunder Hunger und a gut’s G’wissen, da schmeckt Ei’m Alles!“ lachte Karli.

Es war ein herausforderndes Lachen.

Kuni machte die Augen klein und etwas Drohendes zuckte um ihre Lippen. Aber wortlos kehrte sie dem Burschen den Rücken und legte sich mit den Armen in die Fensternische.

„Was is denn, siehst noch nix vom Vater?“ frug Karli unter Kauen und Löffeln.

„Na! Aber ich mein’, er könnt’ jetzt dengerst bald da sein. Das heißt, ich kann mich ja täuschen auch.“

„Täuschen? Warum? Thust Du Dich denn gar so leicht täuschen?“

Langsam richtete sich Kuni auf und schaute ihn mit zwei Augen an, so harmlos verwundert, als wüßte sie mit dem besten Willen nicht zu verstehen, was der stichelnde Ton seiner Worte bedeuten sollte. „Täuschen? Wie so? Was meinst denn da damit?“

„Geh’ – so a g’scheit’s Deandl wie Du – und so a kurz’ G’mirk! Das sollt’ man gar net meinen!“ spottete Karli. „Aber ja – was ich sagen will – was is denn nachher mit demselbigen Andenken, wo mir anhängen hast wollen – weißt, daß ich auf ’n Pointnerhof net vergessen sollt’ – und auf seine Leut’?“

Kuni biß sich auf die Lippen – sie schien an dieses im Uebermuth gesprochene Wort nicht mehr gedacht zu haben; doch konnte Karli von dieser Wirkung seiner Frage nichts gewahren; er hörte nur, wie Kuni in einem Tone, als wäre nun die Reihe zu sticheln an ihr, über die Schulter zu ihm zurücksprach: „Jetzt laßt aber bei Dir ’s G’mirk aus! Ich hab’ Dir’s doch gestern g’sagt, daß man zu so ’was brav sein muß – und gar so brav, mein’ ich, bist net g’wesen.“

„Ah ja – so brav, wie Du g’meint hättst, daß ich sein sollt’, bin ich freilich net g’wesen.“

Karli hatte das letzte Wort noch auf den Lippen, da stand die Dirne schon hoch aufgerichtet und mit blitzenden Augen vor ihm am Tische.

„So – ah so – jetzt fang’ ich erst zum merken an, was denn Dein g’spaßig’s Reden eigentlich zu bedeuten hat,“ stieß sie in abgerissenen Lauten hervor, als wäre sie vor Zorn und Entrüstung nicht mehr ihrer Sprache mächtig. „Mir scheint ja gar, Du bild’st Dir ein –“ Da brach sie nun plötzlich wieder in helles Gelächter aus, trat mit einem raschen Schritt auf Karli zu und faßte ihn mit derber Hand beim Schopf. „Ja was fang’ ich denn an mit Dir, Du Grashupferl, Du dalket’s! Jetzt den schau an – was der sich einbild’t!“

„Geh’, Du – hör’ auf mit Deine Sachen!“ brummte Karli, während er sich auf eine nicht besonders sanfte Art von Kuni’s Hand befreite. „So kannst fein mit ei’m Buben reden, der noch aufs Millipfandl ansteht, aber net mit mir! Wir Zwei, wir haben ausg’scherzt mit einander!“

„Ja, Recht hast, daß sich der Ernst bei so ’was besser für mich schicken thät’,“ fiel Kuni mit hart und scharf klingender Stimme ein. „Aber Du, mein’ ich, Du könntest dengerst z’frieden sein, daß ich die Sach’ von der g’spaßigen Seiten nimm – und Dei’m Vater nix sag’ davon. Denn weißt, wie Du Dich aufg’führt hast und jetzt g’rad aufführst, das paßt sich in gar kei’m Fall net – und am allerwenigsten Einer gegenüber, zu der bald Mutter sagen mußt – verstehst mich!“

Dem Burschen blieb der Bissen im Halse stecken, und klirrend fiel ihm der Löffel aus der Hand. Eine brennende Röthe überzog sein Gesicht; er würgte und schluckte, und während er mit zitternden Armen sich in die Höhe stemmte, schaute er die Dirne mit erschrockenen Augen an und stotterte: „Was – was is – was soll jetzt das für a Reden sein?“

Um Kuni’s Lippen zuckte ein grausames Lächeln.

„No also – gelt – da schaut sich jetzt die Sach’ doch anders an? So wie der Pointner g’meint hat, hättst es freilich erst erfahren sollen, wann von die Manöver z’ruckkommst. Aber jetzt hab’ ich Dir’s doch wohl sagen müssen – weißt – denn von ei’m Deandl, wo Tag und Nacht schon an nix als wie an d’ Hochzeit denkt, von dem wirst ja dengerst net glauben, als könnt’s noch Augen auf an Andern haben – und gar auf ihrem Hochzeiter sein’ halbg’wachsenen Buben!“

Mit verstörten Blicken irrten Karli’s Augen durch die Stube. „Vater – der Vater – wo is der Vater?“

„Fort is er – ich hab’ Dir’s ja schon g’sagt. Und wer weiß – ’leicht is er am End’ gar zum Pfarrer ’nauf. Denn daß ich Dir’s sag’ – ja, völlig pressiren thut’s ihm, daß wir in der Kirchen verkünd’t werden mit einander – ich und Dein Vater.“

„Du – im Guten sag’ ich Dir’s – mein’ Vater laß mir aus’m Spiel!“ fuhr Karli mit bebenden Worten auf. „Und überhaupt – jetzt hab’ ich’s g’nug – die ganze Narretei!“ Mit geballten Fäusten, mit zorngeröthetem Gesichte und drohenden Blicken trat er vor Kuni hin, welche ruhig stand und ihm [662] mit blitzenden Augen entgegensah. „Oder – oder meinst am End’, daß heut schon Fasnacht is?“

Da ließen sich rasche, trippelnde Schritte vom Flur herein vernehmen.

Lauschend hob die Dirne den Kopf; dann trat sie mit boshaftem Lächeln um ein paar Schritte zurück und sagte: „No schau – wann mir net glaubst – da kannst ja jetzt Dein’ Vater fragen, wie lang noch is – bis auf d’ Fastnacht.“

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sich die Thür öffnete und der Pointner in feinem Sonntagsstaat auf der Schwelle erschien.

Der Bauer schaute drein, als hätte er das Räuschlein vom vergangenen Abend noch nicht völlig ausgeschlafen. Als er den Burschen gewahrte, warf er die Arme in die Höhe und lachte gezwungen: „Ah, da schau – da bist ja noch! Ja g’rad freuen thut’s mich, daß ich Dich dengerst noch –“ Da stockte er mitten im Worte – Karli’s Aussehen mochte ihm wohl zu denken geben – und mit schiefen Augen, aus deren scheu verlegenen Blicken kein besonders gutes Gewissen sprach, betrachtete er die Beiden, die vor ihm in der Stube standen. „Ja was is denn?“ stotterte er, drückte mit zitternden Händen hinter sich die Thür zu und gab sich alle Mühe, ein lustig verwundertes Lächeln zu zeigen.

Karli stand, als hätte eine Lähmung seinen Körper befallen; nur die Arme konnte er strecken; aber die Zunge wollte ihm kaum gehorchen, als er dem verlegen Lächelnden mit tonlosen Worten zurief: „Vater – na, Vater, thu’ kein’ Schritt net weiter – kein’ Schritt net, eh mir net g’sagt hast, ob’s denn wahr is – ob’s denn wahr sein kann!“ Wie jäh hervorbrechendes Schluchzen klang dieses letzte Wort.

Da schien dem Pointner schwül zu werden. Er blies die Backen auf, nahm den Hut mit den schweren Goldtroddeln vom Kopfe und strich sich die Haare in die Stirn. Dann machte er einen Versuch, seinem Buben mit muthigem Blick in die Augen zu schauen. Aber es blieb beim Versuche; er schielte nur mit hilfloser Jammermiene zu Kuni hinüber und greinte: „Jetzt schau – jetzt hab’ ich Dich so viel ’bitt’ – und hast mir’s auch versprochen – und jetzt hast es ihm dengerst g’sagt!“

Kuni zuckte die Schultern und drehte ihm den Rücken zu.

Einen Augenblick war Todtenstille in der Stube, dann aber hallte ein dumpfer, gurgelnder Aufschrei von Karli’s verzerrten Lippen. Und unter diesem Aufschrei stürzte der Bursche mit erhobenen Armen auf den Vater zu und packte den erschrocken Lallenden mit beiden Fäusten an der Brust. „Vater – Vater!“ schrie er in zornerstickten Lauten auf ihn ein, während er ihn rüttelte und schüttelte, als hätte er einen Berauschten vor sich, den er gewaltsam zu nüchterner Besinnung bringen müßte.

Plötzlich fühlte er seine Arme niedergeschlagen und sich bei Seite geschleudert. Keuchend richtete er sich auf und sah, wie Kuni Hand in Hand mit seinem Vater stand, wie zum Schutze des Alten, dem unter Karli’s Fäusten Hören und Sehen vergangen schien. Und während der Pointner, Angst und Zorn in dem schlotternden Gesichte, unter schnaubenden Athemzügen und unverständlichem Stottern mit der zitternden Linken an seinem zerrauften Hemde nestelte, verrieth sich offene, ungeheuchelte Entrüstung in den funkelnden Augen der Dirne und wirklicher, ehrlicher Zorn in der bebenden Stimme, mit der sie den Burschen anfuhr: „Bist Du a Mensch von Fleisch und Blut – a Mensch – der Hand anlegt an sein’ leiblichen Vater!“

Karli stand regungslos und bleich bis in die Lippen. Nun schwellte ihm ein tiefer, stockender Seufzer die Brust und dicke Thränen füllten seine Augen.

„Ja – der liebe Herrgott soll’s an meiner Hand net strafen, was ich mit ihr verübt hab’ im gachen Zorn,“ so stotterte er vor sich hin. Dann wieder seufzte er und schaute mit traurigen Blicken auf den Vater. „Ob mir mein’ G’waltthat verzeihen kannst – ich weiß net und will Dich auch net fragen drum. Und ich will Dir auch net reden von der Mutter selig – und will Dir auch net reden von Deine Jahr’ und Dei’m guten Nam’ – und will Dir net reden von mir und daß ich Dich g’wiß in Ehren g’halten und gern g’habt hab’, und daß ich Alles ehnder um Dich verdient hätt’, als – als – ah na – von gar nix will ich reden, denn ich weiß ja, daß ich ’s Recht zum Reden mit meine hitzigen Händ’ verspielt hab’. Und im Uebrigen – Du bist der Herr im Haus – und mußt Dir selber sagen, was thust – und was thun willst!“

Karli schwieg; unter Thränen war ihm die Stimme erstickt. „Na – na, Karli – schau, laß mit Dir reden,“ stammelte der Pointner, dem der tiefe, unverhehlte Kummer des Burschen ins Herz zu greifen schien.

Karli aber hörte nicht auf die Worte des Vaters. Er wischte die Hände über die Backen und wandte sich gegen Kuni, die ihm mit finsteren Blicken in die nassen Augen sah. „Und Du – jetzt freilich – wie Alles steht – da hat’s jetzt freilich auch für mich den Anschein, wie wann’s ich ganz allein wär’, der sich ’täuscht hat. G’rad Einer hat die richtigen Augen g’habt – der Götz – der Götz da draußen! Der hat mir so ’was prophezeit am ersten Tag! Aber mag’s jetzt gehen, wie’s will – ich wünsch’ Dir auch nix Schlecht’s net an – und wünsch’ Dir a Leben, a langs – aber – aber wenn auch alt wirst und weiße Haar wann kriegst – daß ich Mutter sag’ zu Dir, das, Kuni, das wirst net erleben!“ Schluchzend ging er, indeß sich der Pointner unter greinendem Stottern die Haare kraute, auf das Fenster zu, in dessen Nische die Soldatenmütze lag. Da fielen seine Blicke auf eine verblaßte Photographie, die unter dünnem Goldrahmen an der Wand hing. „Geh’, Mutterl,“ weinte er mit leiser Stimme und drehte das Bild gegen die Wand, „dreh Dich um und mach’ Deine Augen zu – sonst könnt’st am End’ was sehen, wo Dir d’ Augen übergehn!“

Als er sich von der Wand wieder abkehrte, stand Kuni dicht vor ihm; sie hielt den Arm gestreckt, als hätte sie verhindern wollen, was Karli gethan.

„Ah so, mir scheint, das taugt Dir net, an was ich Dich jetzt g’rad g’mahnt hab’?“ fuhr er sie mit neu ausbrechender Bitterkeit an. „Hast ja selber a Mutter und an Vater g’habt – aber das kann ich Dir sagen: gar viel Ehr’ machst ihnen net! Freilich, sie werden Dich halt ’zogen haben darnach!“

Da ging in Kuni’s Zügen eine erschreckende Wandlung vor sich. „Karli, ich rath’ Dir’s im Guten,“ schrie sie mit einer Stimme, welche bebte vor wildem Zorn, „bring’ mein’ Mutter net in d’ Red’ – und den net, der mein Vater war!“

„Du bringst ja d’ Red’ von selber drauf! Man braucht g’rad merken, was Du für Eine bist, so kann man’s leicht errathen, was das für an Acker g’wesen sein muß, der Dich in d’ Höh’ ’bracht hat!“

In fahler Blässe erstarrte Kuni’s Gesicht. Einen Augenblick stand sie regungslos; dann stürzte sie auf Karli zu, und während sich der Pointner mit stammelndem Schelten vergebens zwischen die Beiden zu drängen suchte, krampfte sie die Hände um die eine Hand des Burschen, krümmte ihm in sinnloser Wuth die Finger und schrie und schluchzte: „Karli – die Red’ nimm z’ruck – ich rath’ Dir’s im Guten – die Red’ nimm z’ruck! Leicht könnt’ mich noch a Reu’ ankommen, daß ich mich ’neing’stellt hab’ zwischen Dein’ Vater und Dich – aber die Red’ nimm z’ruck – jetzt auf der Stell’ – oder ich müßt’ dran denken mein Leben lang – und vergelten müßt’ ich Dir’s in Haß, weil mir das Einzig’ verschandelt hast in Schimpf und Spott, was mir lieb’ is g’wesen, seit ich leb’! Die Red’ nimm z’ruck – und wann ich Dir d’ Finger brechen müßt’ – die Red’ nimm z’ruck!“

„Na – na – und net a Wörtl nimm ich z’ruck – kein einzigs Wörtl net!“ keuchte der Bursche in Schmerz und Zorn. Dann riß er sich gewaltsam los, stülpte schwerathmend die Mütze über das Haar und schritt zur Thür.

Nun aber schoß der Pointner auf ihn los, faßte ihn beim Arm und kreischte: „Ja Himmelsakra – jetzt wird’s mir aber z’ bunt; jetzt bleibst mir da und laßt in Güt’ und Frieden mit Dir reden!“

„Geh, Vater – geh! Du b’haltst Dir ja Dein’ Fried’ im Haus; der Unfried’ bin ja ich – und ich muß fort!“

Mit einem ungestümen Ruck befreite Karli seine Arme und war zur Thür draußen, noch ehe der Pointner ihn von Neuem haschen konnte.

„Karli – Karli – ja Kreuzsaxen – Karli – hörst denn net –“ zeterte der Alte und rannte hinter dem Burschen in den Flur hinaus. Unter der Hausthür aber blieb er stehen, blies kopfschüttelnd die Backen auf und wischte sich mit dem Aermel die nasse Stirn. Er mochte wohl unwillkürlich die Empfindung [663] haben, daß es ihm wenig gezieme, den häuslichen Streit vor die Augen der Dienstboten hinauszutragen; denn drüben vor den Ställen sah er Zenz und Martl bei einander stehen, und während Stoffel eben die beiden Flügel des Zaunthores aus einander zog, stand Götz inmitten des Hofes vor der mit einem kugelrunden Schimmel bespannten Kutsche, zur Abfahrt fertig, Zügel und Peitsche in Händen.

Mit verwunderten und besorgten Blicken schaute Götz in die bleichen, erregten Züge und auf die nassen, gerötheten Augen des Burschen, der in erregter Eile auf ihn zugeschritten kam.

„Ja, Karli, han, was is denn?“

„Zeit is, daß ich fortkomm’ – mach’ weiter, Götz – ich mein’, mir brennt der Boden unter die Füß’.“

Da trat unter der Hausthür drüben Kuni an des Pointner’s Seite; ihre Augen, die wie zwei glühende Kohlen aus dem blassen, starren Gesichte funkelten, überflogen mit einem raschen Blitz den Hof und dann flüsterte sie dem Bauer einige Worte ins Ohr.

„Na, na, das thu’ ich mei’m Karli net an – na – g’wiß net,“ wehrte sich der Pointner, um kleinlaut beizufügen: „Das heißt – wann Du’s halt haben willst – aber mußt es ihm schon selber sagen!“

Und mit scharfer Stimme rief Kuni in den Hof hinaus: „Du, Götz, der Bauer will haben, daß an Andrer fahrt! Dich braucht er daheim bei der Arbeit!“

„Aber, Bauer, was is denn auf amal – ah na, das laß ich mir fein net anthun!“ fuhr der Knecht mit unmuthigen Worten auf.

Karli aber nahm ihm schon mit heiserem Lachen Zügel und Peitsche aus den Händen. „Geh, Götz – sei z’frieden – ich weiß ja, warum. Man fürcht’ sich halt vor der Nachred’, wo mir zwei mit einander halten könnten. Sei z’frieden, Götz, und thu’ Dich bei der Herrschaft net verklamperln wegen meiner! Dein Herr is ja der Bauer auf der Point – und b’hüt’ Dich Gott, Götz, b’hüt’ Dich Gott! Aber wenn ich Dich net haben kann – kein’ andern Fuhrmann brauch ich net! Ich stell’ halt in der Station drin ’s Roß zum Wirth ’nein – da kannst es holen lassen – b’hüt’ Dich Gott, Götz, b’hüt’ Dich Gott!“ Die Thränen liefen ihm über die zuckenden Backen, während er sich mit zorniger Hast in den Wagen schwang. Er zog die Zügel an und ließ den Schimmel die Peitsche kosten, daß das erschrockene Thier mit fuchtelnden Hufen in die Höhe stieg. „Fort, Schimmel, fort – und b’hüt’ Dich Gott jetzt, Glück und Fried’!“

Mit schnatternden Rädern sauste die Kutsche zum Thore hinaus.

Regunglos stand Götz inmitten des Hofes. Ein herbes Lächeln irrte ihm über die Lippen, und langsam glitten seine Augen von dem enteilenden Gefährt hinüber zu der Stelle, an welcher Kuni stand.

Der Pointner aber humpelte über die Stufen herunter, wischte sich die Augen und kreischte dann, mit erhobenen Armen winkend, dem Wagen nach: „B’hüt’ Dich Gott – b’hüt’ Dich Gott, Karli – und gelt – schau fein a Bißl auf Dich – und daß mir g’sund wieder heimkommst! B’hüt’ Dich Gott!“

Drüben vor der Stallthür puffte inzwischen die Zenz ihren Ellbogen an Martl’s Arm und zischelte: „Du, da paß’ auf – da hat’s was ’geben – wirst es sehen – ganz ’was B’sonders! Leicht hat dem Unfried da der Frieden schon gar z’lang dauert, und da wird s’ halt nachher a Bißl ’was aufg’rührt haben.“

Martl zuckte die Achseln, spuckte durch die Zähne und schlurfte brummend in den Stall.

Vorn am Zaune drückte Stoffel die beiden Thorflügel zu, und als das Geräusch der Räder verhallte, warf er die Quaste der Zipfelmütze von der einen auf die andere Seite und sang gedankenlos und gähnend vor sich hin:

„’s Radel geht um und um,
Hurax dax do –
’s Glück findt man über Nacht,
Ja – aber wo!“




8.


Seit drei Tagen stand Karli beim Regimente. Der angestrengte Dienst gestattete ihm nicht, sich allzu viel mit sich selbst und mit den Angelegenheiten zu beschäftigen, die er zu Hause verlassen. Das Alles ging ihm freilich keinen Augenblick aus dem Kopfe; aber er wußte keinen Gedanken zu fassen, der ihn weiter brachte, der ihm irgend welchen Trost oder Rath geboten hätte. Es lag wie eine Betäubung über ihm, die sich nur löste, wenn er an Sanni dachte, um dann einem tiefen, hoffnungslosen Kummer Platz zu machen. Sobald aber Karli bei solchem Empfinden zu dem Momente gelangte, in welchem seine Zukunft ihm so schwarz erschien, daß er sie schwärzer nicht mehr malen konnte, so kam auch immer wieder in ihm zum Durchbruch, was er von der leichtsinnigen Natur des Vaters geerbt hatte. Dann war er nicht übel geneigt, Alles, was er mit wachen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatte, für einen bösen Traum zu halten, aus dem er jählings zu Freude und glückseligem Behagen erwachen müßte. Dann meinte er, das Alles müßte von selbst sich lösen und verschwinden, wie ein Herbstnebel beim Erwachen der Sonne, und da konnte er etwas Anderes sich gar nicht vorstellen, als daß er nach seiner Rückkehr von den Manövern im Pointnerhofe Alles so finden würde, wie es seinen Wünschen am besten taugte. War aber seine steigende Hoffnung auf solcher Höhe angelangt, dann kam der Rückschlag, unter dessen Wirkung ihm wieder ganz schwarz vor den Augen wurde, wenn er an die Zukunft dachte.

Das war der immergleiche Kreislauf seines rastlosen Brütens. Das ging in ihm herum wie ein Mühlrad, welches von weiß Gott welcher Kraft in Bewegung gesetzt wurde, nur nicht von des Burschen eigenem Willen. Er war zu verstört, zu betäubt, um zu einem bewußten Willen kommen zu können.

Erst am vierten Tage, der einen dienstfreien Nachmittag brachte, weil mit dem folgenden Morgen der Abmarsch ins Lager erfolgen sollte – als er da um die Mittagsstunde mit todmüden Gliedern auf seiner Pritsche lag, mit brennenden Augen aufstarrend zur Decke, da erst wurde es ein wenig heller in seinem Kopfe, und er begann sich zu sagen, daß ihm aller Zorn und Kummer nicht nagelgroßen Nutzen brächte, daß vielmehr irgend etwas unternommen werden, irgend etwas geschehen müsse. Aber was? Das war nun freilich eine heikle Frage, und Karli vergrübelte eine lange Stunde, bis ihm einfiel, daß er ja an den Vater schreiben und ihm in Güte vorstellen könnte, was eben „verstandsamer“ Weise dem Pointner in dieser Sache vorzuhalten war.

Bei diesem Gedanken sprang er mit gleichen Füßen von der Pritsche und setzte sich zum Schreiben fertig ans Fenster. Das Datum schrieb er dicht an den oberen Rand des Bogens, mit winzigen Buchstaben – ihm war ja das Herz so voll, und Alles, was da drinnen war, mußte jetzt heraus und auf das Papier hin – da hieß es natürlich mit dem Platz sparen. Dann ging es an die Ueberschrift, mit schönen Zügen und einem kühnen Schnörkel um das Ganze: „Mein lieber Vater!“

Weiter kam er nicht, der Schweiß brach ihm aus allen Poren; vor Erregung zitterten ihm die Hände; mit knirschenden Zähnen zerkaute er die Spitze des Federstiels; hundertmal fuhr er in die Tinte, beklexte das Fenstergesimse und seine Finger – aber weiter kam er nicht.

Es war aber auch ein waghalsiges Unterfangen, schreiben zu wollen bei diesem Spektakel, wie er hinter Karli’ s Rücken tobte. Seine Kameraden putzten sich für den Ausgang und genossen schon das Vorgefühl der kommenden Nachmittagsfreuden. Von dem Schabernack, den sie trieben, bekam auch Karli seinen Theil zu kosten, und als er zornig wurde, lachten die Andern vor Vergnügen. Dann wieder wollten sie wissen, was er denn so Wichtiges zu schreiben hätte, ob er um ein „Busserl“ ans „Schatzerl“ oder ans „Mutterl“ um eine „Rauchwurst“ schriebe. Schließlich zogen sie ihm die Feder aus den scheckigen Fingern, rissen ihm das Papier unter den Händen fort, und da half ihm nun kein Sträuben, er mußte die gute Montur aus der Truhe holen, und dann ging es hinaus zum Tempel, geraden Wegs zum „Schimmelwirth-Garten“, wo die Blechmusik unter grünen Bäumen schmetterte und das Hofbräu schäumte in steinernen Krügen.

Dort saß nun Karli wie ein „angemalter Türk’“ inmitten der lustigen Schar. Als aber einmal das Gespräch aufs „Dahoam“ kam und jeder mit leuchtenden Augen von seinem „Ort“ erzählte, fing er doch an, die Ohren zu spitzen und sich mit Eifer in das Gespräch zu mischen. Und da sah er es nicht als einen Zufall, sondern als eine offenkundige Fügung Gottes an, daß einer der Kameraden in Rosenheim zu Hause war, ein anderer im Oberisarthal, in Kuni’s Heimath.

[678] Der Kamerad Karli’s aus dem Oberisarthal kannte die Kuni, wenngleich er sie seit mehreren Jahren, seit dem Begräbniß ihrer Mutter, nicht mehr gesehen hatte. Das wäre eine saubere stattliche Frau gewesen, die „Bachwirthin“; nur hätte sie „allweil so viel traurig“ in die Welt geschaut. Alle Leute wären ihr gut gewesen und hätten ihr schließlich das Sterben wie eine Erlösung vergönnt; denn bei ihrem Manne, der eine gewisse Berühmtheit als der größte Grobian des ganzen Thales genossen, hätte sie es nicht zum Besten gehabt; von dem hätte sie mehr Schimpfnamen als gute Worte, mehr Schläge als gute Bissen bekommen. Die erste Frau war ihm ganz plötzlich weggestorben, und da hatte er sich seiner Wirthschaft und seiner zwei kleinen Buben willen zu einer neuen Heirath entschließen müssen. Aber im ganzen Umkreis des Thales hatte er keine Dirne gefunden, die es mit ihm hätte wagen mögen. Da war er dann einmal ein paar Wochen verschwunden und hatte zur Ueberraschung des ganzen Dorfes eine bildsaubere, blutjunge Frau von irgend woher mit nach Hause gebracht. Mit fleißigen Händen hatte die junge Bachwirthin zugegriffen, hatte die verlotterte Wirthschaft recht „auf den Glanz“ wieder hergerichtet und hatte durch ihr stilles, freundliches Wesen die Gäste „haufenweis“ in ihre Schenkstube gezogen. Ein paar Monate war nun die Sache ganz gut gegangen. Als aber erst der Bachwirth etwas von einem verschwiegenen Heirathsgut zu merken begann, das ihm die junge Frau mit in die Ehe gebracht, da nahm’s mit dem Frieden ein Ende. Von dem Tage, an welchem die Bachwirthin der Kuni das Leben geschenkt, hatte sie keine gute Stunde mehr – ausgenommen ihre letzte. Und von der Art und Weise, wie der Bachwirth mit der Mutter umsprang, lernten es die beiden Buben, ihre jungen Fäuste auf Kuni’s Rücken zu üben. Sie ging noch nicht in die Schule, da kannte man sie im ganzen Dorfe nur mehr unter dem Namen „das Prügeldeandl“. Bei solchem Leben war es völlig zu verwundern, daß nicht ein Krüppel aus ihr wurde, sondern eine so saubere, musper[4] gewachsene Person. Sie war noch nicht siebzehn Jahre alt, da fingen schon die Burschen an, ihr nachzusteigen. Wenn einer von ihnen aber mit einem Antrag herausrückte, lachte sie ihm ins Gesicht, huschte in die Küche hinaus und tätschelte ihrer Mutter die eingefallenen Wangen. Jede solche Abfertigung trug ihr aber einen bösen Dank von sechs gesunden Fäusten ein; denn der Bachwirth und seine Buben hätten es gerne gesehen, wenn ihre Tischrunde um einen hungerigen Magen ärmer geworden wäre. So arg sie es aber auch mit ihr trieben, dennoch gelang es ihnen nicht, ihr das Leben im Hause, das Bleiben bei der Mutter zu verleiden. In Kuni’s Meinung schien die Welt überhaupt nur von zwei Menschen bewohnt: von der Mutter und von ihr. Diese Dinge spielten sich so fort, bis die Bachwirthin ganz unerwartet zu kränkeln begann. Der Doktor vermochte ein bestimmtes Leiden an ihr nicht zu erkennen, und dennoch wurde die Sache immer schlimmer. Tag und Nacht wich Kuni nicht von dem Bette der Mutter, und als die Bachwirthin trotz aller dieser aufopfernden Pflege eines Tages die Augen schloß, um sie nie wieder aufzumachen, gebärdete sich Kuni in ihrem Schmerze wie eine Verrückte. Man mußte sie, als der Sarg gebracht wurde, mit Gewalt von der Leiche reißen. Zwei Tage später aber, als die Bachwirthin zur ewigen Ruh’ getragen wurde, da schien ihr Schmerz sich ausgetobt zu haben.

„Denn ’s Deandl ist dag’standen, kein’ Rührer net hat’s ’than, wie wenn’s von Stein wär’ auf und auf,“ erzählte der Oberisarthaler. „Kein’ Greiner net hast g’hört von ihr, die Zähn’ hat s’ über einander ’bissen, g’rad auf in d’ Höh’ hat s’ allweil g’schaut, und net a Zährl is in ihre Augen g’wesen. Und nachher, bei der Todtenmess’, da hat man s’ noch g’sehen, ganz z’hinterst in der Kirch’. Wie aber nach der Mess’ der Bachwirth mit die Leut’ heim’gangen is zum Schmaus, da war kein’ Kuni nimmer da – und seit der Zeit hat man ’s Deandl daheim im Ort nimmer verschaut mit kei’m Aug’ net. Und erst zwei Jahr’ danach, selbigsmal, wie der Schnaps über’n Bachwirth Herr worden is, und wie man nachher d’ Hinterlassenschaft ausg’schrieben hat, da is a Brief von der Kuni ’kommen. Auf Alles thät’ s’ verzichten, hat s’ geschrieben – und ’s ganze Dorf hat sich krank g’lacht über den Brief, bloß die zwei Bachwirthbuben haben sich g’ärgert, daß ihnen d’ Haar’ aufg’stiegen sind – so spöttisch hat er sich g’lesen! Ja, und der Brief is aus Rosenheim g’wesen.“

„Was? Was is? Was habt’s da g’redt?“ mischte sich der Rosenheimer ins Gespräch, als er seine Heimath nennen hörte.

„Ah, nix, g’rad von ei’m Deandl is d’ Red’ g’wesen, von ei’m Deandl aus mei’m Ort daheim, Kuni Rauchenberger heißt’s.“

„Kuni Rauchenberger? Jetzt den Nam’, mein’ ich, hab’ ich auch schon g’hört. Und hast net g’sagt, sie hätt’ sich bei mir daheim in Rosenheim aufg’halten? No freilich, jetzt denk’ ich mir auch, daß ich s’ kenn’. So eine von der mittlern Größ’ – net? Schön mollet beim Zeug, a mudelsaubers G’sicht, kohlschwarze Augen und a Bißl fuchsige Haar’? Hab’ ich Recht? No also, das kann so kein’ Andere net sein als wie die Kuni, dieselbig, wo durch a paar a drei Jahr’ bei’m untern Bräu drunten Kellnerin g’wesen is!“

„Was? A Kellnerin?“ fuhr Karli auf.

„Ja, und was für eine! Die hat ihr G’schäft verstanden, wie wann s’ schon mit ’m weißen Schurz auf d’ Welt ’kommen wär’! Bei’m untern Bräu is d’ Stuben allweil voller Leut’ g’wesen, da hat er jetzt a gut’s oder a schlecht’s Bier haben dürfen. Sein’ Kellnerin hat allweil ’zogen. Weißt, die hat Dir so a g’wisse Art g’habt, b’sonders, wenn s’ g’rad beim richtigen Hamur war. An anders Mal freilich wieder, da hat s’ Dir ihre Täg’ g’habt, wo kein’ Silben net ’raus ’bracht hast aus ihr, und wo s’ Dir ein’ Jeden g’rad so ang’schaut hat über d’ Achsel. Aber natürlich, g’rad so ’was hat bei die Leut’ verschlagen. Es hat sich auch schier a Jeder verschaut in ihre Teufelsaugen – ja – ich selber bin amal a Zeitl so dumm g’wesen. Aber mir is halt ’gangen wie den Andern – für an Jeden hat’s den gleichen, spöttischen Lacher g’habt!“

„Geh’! A Kellnerin! Jetzt so ’was is doch a Bißl hart zum glauben?“ frug Karli in lauernder Spannung.

„No, weißt, das war Dir halt auch a ganz a b’sonderne. Das heißt, Einer is schon allweil zu’kehrt, in der letzten Zeit, [679] so a Schlari[5], so a g’spaßiger, mit dem man ’s Deandl a Zeit lang z’sammg’redt hat – aber es kann auch nix dahinter g’wesen sein; denn vor der ganzen Stuben voll Leut’ hat’s dem Kerl amal eine ’neing’feuert über’s G’sicht, und hinther hat’s nachher g’heißen, es wär’ ihr Bruder g’wesen. Und d’ Stadtleut’ erst, die hat’s Dir weiters net anlaufen lassen! Und dengerst is Keiner davon ’blieben, weil s’ Dir g’rad ihr Gaudi g’habt haben an ihre g’schnappigen Reden. Und der Bräumeister, natürlich, der hat g’lacht, was er lachen hat können – dem hat’s am besten ’taugt! Dafür hat er aber nachher auch im Schrecken d’ Händ’ über’m Kopf z’sammg’schlagen, wie’s Deandl im letzten Herbst amal über Nacht auf und davon is, und wie nach a paar Wochen d’ Fliegen in seiner Wirthsstuben die einzigen Zehrgäst’ g’wesen sind. No, und d’ Leut’, die haben a Zeit lang g’redt davon; nachher hat kein Mensch mehr ans Deandl ’denkt. Und da kannst Dir jetzt fürstellen, was man für Augen g’macht hat, wie ’s Deandl heuer im Frühjahr über Nacht auf amal wieder da war. Der Bräu, natürlich, der hat’s aufg’nommen mit offene Arm’, und es is auch die alte Gaudi gleich wieder an’gangen. Aber ich weiß net, der richtige Zug is dengerst nimmer dabei g’wesen. Mir scheint, sie hat die alte Schneid’ nimmer g’habt zu ihrem G’schäft, und kein’ Freud’ mehr d’ran. A paar Monat’ hat sie sich g’halten; nachher hat s’ wieder auf’künd’t – und es heißt, sie wär ins Reichenhallerische ’nein. Wer weiß, ’leicht hat sie sich auch g’ärgert über d’ Leut’. Sie wird halt ’was von dem G’red’ erfahren haben, wo selbigs Mal im Ort um’gangen is – no ja – wie d’ Leut’ halt reden! Aber ich glaub’s amal net, denn wann ich mir denken will –“

Was sich der Rosenheimer denken wollte, sollte Karli nicht mehr erfahren; denn eben stimmte die Blechmusik mit schmetternden Klängen eine Münchner Volksweise an, und dazu erhob sich von allen Tischen ein johlender Gesang:

So lang’ der alte Peter,
Der Petersthurm noch steht …“

Säbelgerassel, lautes Klappern der zinnernen Krugdeckel und taktmäßige Stockschläge begleiteten diesen Gesang.

Einer von den wenigen Gästen des Schimmelwirthgartens, die bei diesem Gesange nicht mitthaten, war Karli. Er saß mit aufgestützten Armen und schaute mit finsteren Augen auf seinen Krug. Dann plötzlich fuhr er tiefaufathmend auf. Doch blieb er noch eine Weile sitzen, bevor er sich erhob, um sich ohne Abschied von seinen Kameraden davon zu schleichen.

Jetzt wußte er, was er dem Vater schreiben sollte. Mit glühendem Kopfe, erhitzt von dem überraschen Gange und zitternd vor Aufregung erreichte er die Kaserne. Er warf Mütze und Waffenrock bei Seite, suchte den angefangenen Brief hervor und setzte sich wieder ans Fenster.

„Mein lieber Vater!“ flüsterte er seufzend vor sich hin. Dann begann er zu schreiben, zuerst langsam, aber rascher und rascher kritzelte und kratzte seine Feder über das von den Händen der Kameraden beschmutzte und zerknitterte Blatt. Zuerst verallgemeinerte er den Fall und stellte dem Vater in wirklich herzlichen Worten vor, was eine Heirath in seinen Jahren zu bedeuten habe. Und nun gar eine Heirath mit einer Dirne, die den Jahren nach seine Tochter sein könnte! Und was die Leute dazu sagen würden, die bisher vor der „Hochehrensamkeit“ des Pointnerhofes den Hut auf die Erde gezogen. Und gar nicht zu reden davon, was er mit dieser Heirath einem Gewissen zufüge, der freilich mit seinen „hitzigen Händen“ das Recht zum Reden verspielt hätte – „aber doch, daß es mir mein lieber Vatter verzeihen wird, weil ich mir allweil noch zu sagen trau, daß es mein lieben Vater auch nicht anders ankommen wär, wenn ihm der liebe Ahnl selig auch so hätte gmacht, und nur so für der Thür hinsetzen und ein Tritt und zugeschlagen, wo ein drinnen sliebe Mutterl selig in Schmerzen gebohren hat.“ Und während er diese Worte schrieb, fiel ihm eine dicke Thräne auf das Blatt; er suchte sie mit dem Handballen fortzuwischen und verlöschte dabei die nasse Schrift. Seufzend fuhr er sich mit dem Aermel über die schweißbetropfte Stirn, schluckte ein paarmal, trocknete die Augen und kritzelte mit zitternden Fingern weiter. „Und überhaupts, wenn mein lieber Vater leicht glaubt, daß ich so bin und vom Heirathen überhaupts nicht wissen will, wenn es eine vom Ort is, und wo zu mein lieben Vatter passen thut und man eine Achtung haben kann. Aber das ist was anders, und weil es mir mein lieben Vatter zlieb schier das Herz abdruckt, wenn man sieht, daß es so Eine ist eine solchene. Wo man im Schimmelwirth beim Bier davon reden hört, was das für Eine ist. Einmal schon diese Familli, wo man sich schamen muß, wenn man mit ihnen beineinander kommt, wo sich der Vater in Schnaps versoffen hat, und die miserabligen Brüder, wo ihre Stiefmutter schiergar umbracht haben und die Schwester nicht viel mehr. Dann auch weil die Kuni überhaupts keinen ehrlichen Namen nicht hat und bis über ihrene Ohren roth werden muß, wenn man sie nach ihrem Vater fragt. Und daß ich nur mein lieben Vater verzähle, wo er sie fragen kann, ob sie nicht durchbrennt ist und hat in Rosenheim eine Kellnerin gmacht. Und das weiß man schon daß eine Kellnerin nichts ist, nur ein Handüchl für ein Jeden seine Händ, wo er sich dran hinbutzt. Wo man auch in Rosenheim nur nachfragen braucht, was dLeut reden –“

Karli stockte; es war ihm, als hätte sich eine Hand mit schwerem Druck auf seine Finger gelegt, um ihn am Weiterschreiben zu hindern. Mit verdrossenem Gesichte schaute er auf, und während er durch das Fenster nach dem Himmel starrte, verschwamm ihm allmählich das lichte Blau in eine trübe, graue Fläche, aus welcher er Kuni’s Gestalt emportauchen sah. Drohend schaute sie ihn an – nein, nicht drohend – mit dem Ausdruck unsagbarer Traurigkeit. Und das war auch die Kuni nicht, das war ein Kind, ein kleines Mädchen mit röthlichen, zerzausten Haaren, mit einem schmalen, blassen Gesichtchen, auf dessen Wange sich blutige Nägelspuren zeigten. Es trug nur ein rothes Unterröckchen und hielt mit den kleinen Händen das Hemdchen dicht an den Hals gezogen – dann plötzlich streckte es die zitternden Aermchen in Zorn und Angst von sich, und da fiel ihm das Hemdchen über die Schultern, welche bedeckt waren mit blauen Striemen. Und nun mit einem Male stand an des Kindes Seite eine bildsaubere junge Frau, mit „so viel traurigen“ Augen, und das Prügeldirnlein flog auf die Mutter zu, krampfte die Aermchen um ihre Kniee, drückte das Gesichtchen in ihren Schoß und schluchzte und schluchzte –

Hastig neigte Karli den Kopf, und in ungelenken Zügen schrieb er mit schwerer Hand noch die Worte an den Brief: „Aber ich glaube, daß es genug ist und das man lieber Vater sich daß überlegen wird. Und indem ich mein lieben Vater aus das Beste grüße, verbleibe ich mit den herzlixten Grüßen mein lieben Vater bis in den Tod – sein – lieber Karli.“

Aufathmend sprang er in die Höhe und behauchte den Brief so lange, bis die Tinte völlig eingetrocknet war. Dann verschloß er ihn und rannte aus der Kaserne, um den nächsten Briefkasten zu suchen. Und da kam’s ihm nun wieder so in die Augen – und auf dem ganzen Wege brachte er dieses Bild nicht mehr aus den Gedanken, dieses zerraufte, zerschlagene Dirnlein. Welch ein entsetzliches Leben – das Leben dieser Mutter und dieses Kindes! Da war es ja wirklich zu verwundern, daß eine „so saubere, musper gewachsene Person“ aus diesem Kinde geworden, und nicht ein Krüppel! Oder war es unter dem grausamen Drucke dieser bitteren Jugend nicht am Ende doch zum Krüppel verwachsen – zum Krüppel an Herz und Seele – zu einem Krüppel des Glückes, mit dem man sein Erbarmen haben mußte, statt in Zorn und Haß mit ihm zu rechten? Zu rechten – und weßhalb? Geschlagen und gepeinigt bis aufs Blut, und dann verlassen von Gott und Menschen, umhergestoßen in fremder Welt, ohne Trost und Rath – war es denn nach solch einem Leben zu verwundern, daß sie mit beiden Armen sich an einem Orte festzuklammern suchte, an dem sie zum ersten Male sich wohl und behaglich fühlte, an welchem sie etwas galt, an welchem sie nur lachende Gesichter gesehen, nur freundliche Worte gehört? Freilich hätte ihr die Dankbarkeit einen andern Weg zeigen sollen als jenen, welchen sie für ihren Zweck gewählt – so meinte Karli. Und Eines – Eines war unter gar keinen Umständen an ihr zu entschuldigen: die schlaue Scheinheiligkeit, mit der sie es zu vertuscheln verstanden, was zwischen ihr und dem Vater im Gange war. Die Sache mußte ja doch seit Langem reif gewesen sein; sonst hätte sie an jenem Unglücksmorgen nicht so Knall und Fall über ihn herplumpsen können, gerade in der Stunde, in der er sich durch seine „unsinnige Einbildung“ vor Kuni’s Augen in [680] den Anschein der lächerlichsten Eitelkeit gebracht hatte. Aber mochte sie nun auch so grundschlecht gehandelt haben, wie keine Andere gehandelt hätte – ein gutes und gesundes Fleckchen mußte ja dennoch in ihrem verkrüppelten Herzen sein, sonst hätte sie nicht mit solch einer abgöttischen Liebe auf Leben und Tod an ihrer armen Mutter hängen können.

Da gewahrte Karli an einer Mauerecke den gesuchten Briefkasten. Hastig schob er den Brief in den schmalen Spalt. Doch als er ihn mit leisem Knistern niederfallen hörte, zwängte er gewaltsam die zitternden Finger unter die Klappe, als hätte er den Brief noch einmal erhaschen mögen. Der aber lag schon in der unerreichbaren Tiefe des Briefkastens.

„Meintwegen – jetzt kann ich’s auch nimmer anders machen!“ murrte Karli und wanderte zögernden Schrittes zur Kaserne zurück.

Am andern Morgen erfolgte der Abmarsch ins Lager, und es kamen Tage, deren Aufregung und Strapazen dem Burschen nur selten Einkehr bei sich selbst gestatteten. Und wenn er wirklich einmal mit einem ruhigen, bewußten Gedanken an die Dinge zu Hause dachte und darüber grübelte, welche Wirkung sein Brief wohl auf den Vater geübt haben könnte, dann überkam ihn zumeist ein Gefühl von unbehaglicher Bangigkeit, über dessen Ziel und Ursache er sich keine Rechenschaft abzulegen wußte. Da schüttelte er manchmal gar unwillig den Kopf, schluckte Alles mit Gewalt hinunter, was in ihm aufstieg, und redete sich in eine Hoffnungsseligkeit hinein, die ihm statt des zweifelhaften Gesichtes der Gegenwart nur die Zukunft mit lächelndem Antlitz zeigte.

So war eine Woche vergangen. Als Karli dann eines Nachmittags vom Manövergefechte in sein Quartier einrückte, wurde ihm durch die Post eine kleine Kiste überbracht. Sie kam von Hause und war mit allerlei Fleischwaaren vollgepackt. Auf dem Boden der Kiste fand sich ein kleines Säcklein angenagelt, welches zwanzig Preußenthaler enthielt – und einen Brief des Pointner’s. Er lautete:

„Mein lüber Karli! Da schig ich Dir was zum schnabulüren, weil wir ein Sau gschlacht haben und ein Lampl, das Du mir nicht von Fleisch fahlen dust, mein armer Puab, beim Exerziren und der filen Plag und schlechte Kohst. Und ein bisl Geld auf ein gute Mas Bier und das Dein gschtrengen Herr Wachmeister ein bisl einreiben kannst, daß er Dich beser halten duht. Und so ietz las Dir Schmeggen, und nur gwis nix laß Dir nix abgehen, was Dein alten Vater im Herzen kimmern dät. Sonst get es mir gut, nur das Du nicht da bist, was ich in meiner Draurigeit immer dran denke. Und las Dir kein graus Haar nich waxen, wo ich Dir son verzichen hab. Weil ich kein solchener bin, wo sein liben Son des sein Kann, und daß ich gwis alles Recht mache, das es Dir recht is. Wo es schon einmahl so sein mus, und weis ich auch, daß der lübe god schon noch die Stund kommen last, wo ich mit mein gutten Karli ales dadrüber mit einand ausred, das er sein alten dummen Vater nicht bes ist. Was ich Dir auch schreiben Wil, daß der Stofl gestern auf sein Nas gfallen ist und sich ganz blüedig schlagen hat in Gsicht, grad derweil die Kuni fort is in ihr Heimahd, und das sie Dich schön grießen laßt. Und must nich derschreggen, weil der Schiml, wo Du so hizig gfahren hast, ganz dempfig heim kommen is und leicht grebiern mus. Aber macht nichs und gibts auch ned, das ich zwegen ein lausigen Ros mein liben Karli des sein kunt. Und also mach Dir nigs draus und pfiet Dich Got, mein lieber Bueb, womid ich Dich grisse, und so auch der Getz und ale und insbsonders Dein alter

 dalketer Vater
 mit seim Gsalbader.“

Karli las, und las zum zweiten und dritten Male, und während ihm die hellen Thränen über die Backen rieselten, lachte und lachte er, und das war ein so übermüthig seliges Lachen, wie es ihm wohl selten noch in seinem Leben von den Lippen geklungen war.

Daß sein Brief solch eine rasche, radikale Wirkung üben könnte, hatte er sich denn doch nicht träumen lassen. Wohl kam ihm in des Vaters Brief die eine und andere Stelle etwas dunkel vor. Um so deutlicher las er die Erfüllung seines ganzen Hoffens aus jenen anderen Worten: daß der Vater Alles so richten wollte, wie es seinem lieben Buben recht wäre – daß die Kuni bereits ihren Laufpaß erhalten und lange schon den Weg nach ihrer Heimath genommen. Der Vater hätte ja mit dem besten Willen nicht deutlicher schreiben können! Und wie zufrieden und fröhlich mußte ihn dieser verständige Entschluß gestimmt haben! Das verrieth sich aus dem lustigen Verslein, mit dem der Vater seinen Brief geschlossen. Nach diesem Schlusse konnte Karli die Stelle mit der „Draurigeit“, die ihn anfangs so eigenartig berührt hatte, nur als einen gut gemeinten, aber etwas mißglückten Scherz betrachten. Daß sein eigener Brief vom Vater nicht mit einer einzigen Silbe berührt wurde, das fiel ihm mit keinem Gedanken auf. Die Freude war in ihm zu mächtig, als daß sie ihn hätte zu langem Denken kommen lassen. Daß Alles nun wieder gut wäre, das war sein einziger Gedanke – und der ließ in ihm nur noch Raum für die eine Erwägung, wie lieb der Pointner seinen Buben haben mußte, da er nicht einmal wegen der Geschichte mit dem Schimmel ein hartes Wort für ihn hatte. Daß ihm der Vater die „hitzigen Händ’“ vergessen konnte, daß er die Kuni aus dem Hause gestampert, das waren in Karli’s Augen für die Liebe des Vaters zwei Beweise, die weitaus noch von diesem dritten übertrumpft wurden: daß ihm der Bauer auf der Point den in Zorn und Erregung zu Schanden gehetzten Schimmel verzieh.

In seligem Taumel durchschwärmte Karli die Nacht. Jetzt waren ja Glück und Sanni in seinem Herzen wieder oben auf. Wie im Fluge vergingen ihm die folgenden Tage, und dennoch meinte er, die Stunde der Heimkehr kaum erwarten zu können.

Die Manöver gingen zu Ende; in drei Tagemärschen kehrte Karli’s Regiment nach München zurück, und dann kam der langersehnte Mittag, an welchem er, als der Eiligste von der ganzen Schar der „Urlauber“, aus der Kaserne nach dem Bahnhof stürmen konnte.

Gegen zehn Uhr Abends erreichte er die Endstation seiner Fahrt. Hier nächtigte er, denn er hätte vor zwei Uhr sein Dorf nicht erreichen können, und während es ihm die größere Freude schien, das Wiedersehen bei hellem Sonnenlicht zu feiern, hätte er’s für die unverzeihlichste Sünde gehalten, den guten alten Vater mitten in der Nacht aus dem besten Schlaf zu reißen.

Bei grauendem Morgen brach er auf, nachdem er für die gelegentliche Heimschaffung seines Koffers Sorge getragen hatte.

Rosige Gedanken kürzten ihm den Weg, der hügelauf und hügelab durch Wiesen, Wald und kahle Felder zog. Der Herbst verrieth sich schon in all dem kränkelnden Grün; an manchen Stellen deckte ein dünner Reif die Büsche und das Gras; und die schweren Frühnebel schienen sich untrennbar auf dem Grunde und in den Bäumen verfangen zu haben; dennoch war es Karli zu Muth, als hätte er nie noch einen schöneren Morgen gesehen. Das war ein Morgen, der in seiner Wirkung jenem Abend glich, an welchem über dem Bygotterhäuschen ein Stern sich geschnäuzt hatte. Und wie damals heimwärts auf der offenen Straße, so jodelte und dudelte jetzt Karli durch den Wald dahin. Als er dann seinem Dorfe bis auf eine halbe Wegstunde nahegekommen war, schlug er einen ziemlich beträchtlichen Umweg ein. Auf der Straße mußte man ihn im Pointnerhofe schon von Weitem kommen sehen – er aber wollte den Vater überraschen und so dachte er sich von der Waldseite über die Wiesen in das Haus zu schleichen.

Schon traten die Bäume weiter aus einander und Karli meinte zwischen ihnen bereits den leichtgesenkten Wiesenhang zu gewahren. Da fiel im Dorfe drunten ein Schuß, nun wieder einer, ein dritter und vierter, dann mehrere zugleich, und in das Knattern und Krachen mischten sich kreischende Jauchzer und johlendes Geschrei. Da drunten schien eine Taufe gefeiert zu werden. Aber nein – jetzt trug der bergwärtsziehende Wind auch die Töne von Geigen, Trompeten und Klarinetten, die Klänge eines lustigen Marsches herauf. Das mußte ja eine Hochzeit sein! Und all das hörte sich an, als käme es aus nächster Nähe – am Ende gar aus dem Hofe des Nachbars! Karli lächelte. Er gönnte der Huber-Kathl diese Freude – es war ja bei ihr recht an der Zeit gewesen, daß sie Hochzeit machte. Und wie schnell sich das gegeben hatte, nachdem es doch vor vier Wochen noch nicht den Anschein gehabt hatte, daß es die Kathl durchsetzen würde.

Lächelnd trat Karli unter den Bäumen hervor auf die Wiese – und das Lächeln erstarrte ihm auf den Lippen. Zu seinen Füßen lag das elterliche Haus, der ganze Hofraum war [682] mit Menschen angefüllt, das Zaunthor weit geöffnet, hoch über den Köpfen der Leute schwankte der buntbebänderte Stab des Hochzeitladers; ein langer Zug entwickelte sich aus der Hausthür; ihm schlossen sich die Menschen, die den Hofraum füllten, in drängenden Gruppen an, und während die Musikbande unter schmetternden Klängen schon in die Straße schwenkte, blitzten hinter den Scheunen all der Nachbarhöfe die krachenden Schüsse auf.

Eine fahle Blässe hatte das Gesicht des Burschen überzogen; weit offen starrten seine Augen, seine Züge verzerrten sich; die dünne Gerte mit der Blätterquaste, die er sich im Walde geschnitten, sank ihm aus den zuckenden Händen und keuchende Athemzüge erschütterten seine Brust. Er stand, als hätte der Anblick einer gespenstigen Erscheinung seine Glieder gelähmt. Doch als die lustigen Töne des Hochzeitmarsches sich mehr und mehr entfernten, als der Letzte des Zuges hinter den die Straße deckenden Häusern verschwand, da schien ein Taumel die Kniee des Burschen zu brechen. Stöhnend raffte er sich auf. „Vater – Vater –“ kreischte er in schluchzenden Lauten gegen die Straße nieder, schlug die Hand in den Nacken, um die sinkende Mütze auf seinem Kopfe zu halten, und keuchend, stöhnend und schluchzend stürmte er in wahnsinnigem Laufe thalwärts über die Wiesen. Von Sekunde zu Sekunde steigerte sich noch die Hast seines Laufes. Doch als er die Stelle erreichte, an welcher sich der Wiesengrund in steiler Neigung gegen den umzäunten Garten senkte, verlor er die Gewalt über seinen Körper. Er stürzte und wurde mit der ganzen Wucht des jähen Sturzes wider den Gartenzaun geschleudert, daß dieser krachend unter ihm zusammenbrach.

Rasche Tritte näherten sich vom Hofe – und Götz erschien. „Ja was is denn –“ rief er über den Garten her, um erblassend zu verstummen, als er jenen gewahrte und erkannte, den er in weiter Ferne wähnte. „Jesus Maria – Karli – Du!“ stammelte er, sprang herbei und zog den Halbbewußtlosen an seine Brust empor. „Ja mein lieber, lieber Herrgott – was is denn da jetzt g’schehen! Und heut’ g’rad hat Dich Dein Unstern heimführen müssen – heut’ g’rad – Du armer Bua!“

„So – Du – Du bist da!“ glitt es in tonlosen Worten von Karli’s zuckenden Lippen. „Jetzt da schau her – a Knecht daheim – daheim, wenn sein Bauer sein Bauer Hochzeit halt’.“

„Wer hätt’ denn nachher ’s Haus g’hüt’t, wann Alles bei der Gaudi is! Aber geh, Karli – komm – kannst Dich ja schier net auf die Füß’ verhalten – schau’, da – da setz’ Dich a Bißl her!“ Er zog ihn nach einer nahen Gartenbank und drückte ihn darauf nieder. „So, schau’, und g’rad a wengerl hab’ Dich jetzt stad, weißt, daß ich Dir um an Trunk Wasser schauen kann.“

Schwerathmend, zitternd am ganzen Körper, das bleiche Gesicht von Schweiß bedeckt, saß der Bursche und starrte mit irren Augen dem Knechte nach, der um die Scheune verschwand.

Mit einem Krug voll Wasser kehrte Götz zurück. Karli trank in langen Zügen, und wortlos ließ er es geschehen, daß ihm Götz mit nassem Tuche das Gesicht erfrischte. Dann plötzlich krampfte er die Hände um den Arm des Knechtes und schluchzte: „Götz – Götz – sag’ mir’s, Götz – ich hab’s ja g’sehen – hab’s g’sehen mit die eigenen Augen – aber sag’ mir’s – sag’ mir’s Du – is denn auch wahr – sag’, Götz, sag’, därf’s denn wahr sein, daß der Vater so – so was thun kann?“

„Geh’ weiter, Karli, schau’, was hilft denn ’s Reden jetzt! Geh, komm mit ’rein ins Haus! Mag’s jetzt sein, wie’s will – jetzt heißt’s halt: tragen – daß Dich zum Schaden net auch der Spott noch trifft! Schau’ – es is g’rad wegen die Nachbarsleut’! Da spitzt ja schon einer her über d’ Hecken – so dumm! Geh’ – komm mit ’rein ins Haus!“

Götz warf noch einen zornigen Blick auf die nahe Hecke hinüber; dann zog er den Burschen am Arme mit sich fort ins Haus.

[699] Als Karli mit Götz die Stube betrat, suchte er mit den Augen die Stelle, an welcher das Bild seiner Mutter gehangen – und fand die Mauer leer.

„So, Mutterl – so? Bist schon dahin – und hast schon Platz g’macht? Ah ja – für mich wird’s auch bald Zeit sein!“ Mit beiden Händen deckte er das Gesicht, wankte nach der Bank und warf sich schluchzend über den Tisch. Dann wieder fuhr er auf: „Na – g’wiß wahr – Alles, Alles könnt’ ich ihm verzeihen, aber nie net hätt’ ich mir ’denkt, daß er so falsch sein kann, und daß er mir net amal den Tag anzeigt, an dem er Hochzeit macht.“

„Dein Vater hat Dir geschrieben – am selbigen Morgen noch, an dem der Tag von der Hochzeit festg’setzt worden is. Ich selber war dabei, wie er den Brief dem Postboten ’geben hat – und gestern muß der Brief in München g’wesen sein.“

„Und gestern bin ich fort! Aber na – na – ins Lager hat er mir noch g’schrieben, daß Alles gut und recht wär’, und daß die Kuni lang schon fort is in ihr Hamath.“

„Sie war auch fort – aber freilich, fünf Tag’ später war s’ wieder da, mit die Schriften, denk’ ich, wo s’ zur Heirath ’braucht hat. Ich sag Dir’s, Karli, bei der, da könnt’ a Fuchs in d’ Schul’ gehen. Am selbigen Tag, wo Du fort bist, hab’ ich mir gleich schon ’denkt, es muß ’was B’sonders ’geben haben. Aber daheim im Haus, da hat man kein Wörtl nimmer g’hört, und von mir selber bin ich halt auch net hinter ’s Richtige ’kommen. Wie ’s Deandl nachher fort war, hab’ ich freilich g’merkt, daß Dein Vater allweil um mich ’rumgeht, als möcht’ er mir ’was sagen, was ihn druckt, oder möcht’ mich fragen um ’was. Aber er wird halt ’s Kurasch net g’funden haben – und wie die Kuni wieder da war, da hat er sich schon so wie so kein Wort nimmer z’reden ’traut – ja, ich sag’ Dir’s, diemal hat er sich völlig ang’schaut, wie wann er sich fürchten thät’ vor ihr – weiß Gott, wegen was – und ganze Tag’ sind g’wesen, wo kein’ Lacher von ihm nimmer g’hört hast! Und da kannst Dir jetzt denken, wie ich g’schaut hab’ – ich und alle und ’s ganze Dorf mit einander – wie auf amal am letzten Sonntag Dein Vater mit der Kuni verkündt worden is in der Kirchen – einmal für dreimal. Und gleich am andern Tag is d’ Hochzeit festg’setzt worden.“

„Und Du, Götz – Du hast gar nix g’sagt – und zug’schaut hast, statt daß mei’m Vatern fürg’stellt hättst –“

„Was willst von mir! Ich bin der Knecht, und Dein Vater is der Bauer. Und amal, da hab’ ich’s dengerst vergessen und hab’ Dein’ Vater drum ang’redt – aber d’ Antwort hab’ ich von der Kuni ’kriegt. Und von der Stund’ is ’s Deandl Dei’m Vater nimmer von der Seiten g’wichen – und wo ich ’gangen und g’standen bin, da war auch die Kuni net weit. Ich weiß ja, daß ich ihr noch nie net ’taugt hab’. Sie hat von eh’ was g’habt gegen mich, das hab’ ich an Allem g’merkt – und b’sonders seit dem Tag, Karli, wo Du ins Manöver fort bist. Von da an hat s’ Dir so a g’spaßige Freundlichkeit g’habt für mich – weißt – so a Freundlichkeit, bei der der Haß aus alle Augen schaut – der Haß und d’ Furcht! Und so gar Unrecht hat s’ auch net damit! Vom ersten Schritt ins Haus ’rein hab’ ich’s ihr ang’sehen, daß die nix Gut’s net unters Dach ’rein bringt. Aber diemal nachher – diemal is mir’s dengerst wieder g’wesen, als ob ich mich ’täuscht hätt’ in ihr – mit mei’m unguten Glauben. Denn daß ich Dir’s sag’, Karli – ich will Dein’ Vater net weiß malen – aber sie hat ’was an ihr, wo Ei’m ankann –“

Jählings richtete Karli das verweinte Gesicht empor, und mit einem höhnischen Gelächter, das Zorn und Thränen halb erstickten, schrie er gegen die Decke: „Ja jetzt is schön – Du also auch – ja sag’ – ’leicht bist mir gar noch eifersüchtig auf mein’ Vater!“

„Dir, Karli, kann ich nix verübeln – und heut’ schon g’wiß net. Und daß ich in der Kuni ’s Deandl g’sehen hab’ – ich weiß – das glaubst ja dengerst net von mir. G’rad einmal, Karli’ – ein einzigsmal g’rad haben meine Augen nach so ’was ausg’schaut – und kein zweitsmal nimmer in mei’m Leben!“

Vor dem tiefernsten, schmerzdurchzitterten Ton dieser Stimme verging dem Burschen das Lachen, und mit erschrockenen Augen starrte er auf den Knecht.

Götz athmete schwer auf, fuhr sich langsam mit den Händen über die geschlossenen Augen und sprach mit rauher Stimme weiter: „Was mich diemal an der Kuni so g’spaßig an’packt hat – ich ’ kann’s net sagen – und gar lang hat so ’was auch nie net ’dauert bei mir. Oft war’s bloß a Minuten – und in der nächsten hab’ ich ’s Deandl schon wieder g’rad so ang’schaut, wie selbigsmal, wo s’ mir die erste Hand hin’boten hat. Ich hab’s von Anfang g’wußt, daß mit der Kuni der Unfried zur Thür’ ’rein tanzelt – aber daß sich derselbig Anfang zu ei’m solchen End’ auswachst, das hätt’ ich mir dengerst nie net träumen lassen! Denn schau, Karli – daß ich Dir’s offen einb’steh’ – was ich g’forchten hab’, hab’ ich g’forchten ganz allein für Dich – denn weißt, in junge Jahr’, da is halt ’s Blut so a Sach’ – das kann Dir Keiner besser sagen als wie ich – und um Dich wär’s mir leid g’wesen – um Dich und d’ Sanni!“

„Für mich hast g’forchten, Götz – für mich?“ stotterte Karli, während eine flüchtige Röthe seine verstörten Züge überhuschte. „No schau – ein’ Offenheit is die ander’ werth!“ Und mit stockenden Worten berichtete er dem Knechte, was in jener Nacht nach seinem lustigen Abschied vorgefallen.

Erregte Spannung im Gesichte, mit vorgestrecktem Kopfe, Schritt um Schritt, kam Götz auf Karli zu gegangen.

„Natürlich, wie ich am andern Morgen nach’denkt hab’ über alles,“ so schloß der Bursche, „da hab’ ich halt auch nix anders ’glaubt, als daß die Kuni ihr’ Rechnung g’macht hätt’ mit mei’m rauschigen Blut. Aber was für a unsinnige Einbildung das g’wesen is, das hab’ ich gleich erfahren müssen, wie ich ’runter ’kommen bin in d’ Stuben –“

Karli verstummte und schaute mit fragenden Blicken in die seltsam funkelnden Augen des Knechtes, der mit heftigem Griffe seinen Arm umklammert hatte und nun in überstürzten, halblauten Worten auf ihn niedersprach: „Und wie in d’ Stuben ’kommen bist, Du hast zum spötteln ang’fangt – gelt? Und hast es ihr so hing’rieben, was sie für Eine wär’? Und z’erst, da hat s’ Dich ang’schaut, wie wann s’ kein Wörtl net verstehen thät’ – gelt? – und nachher auf amal, da hat s’ Dir g’rad ins G’sicht ’neing’lacht – und hat Dir g’sagt, wie denn Du so ’was von ei’m Deandl denken könntst, das über a paar Wochen schon Hochzeit mit Dei’m Vater macht? Red’, sag’ ich Dir – hab’ ich Recht oder net?“

„Ja, Götz – ja – so is g’wesen!“ stotterte Karli. „Aber – wie kannst denn Du erfahren haben –“

Wieder verstummte er und schaute kopfschüttelnd auf Götz, der die Hände an die Stirn schlug und unter heiserem Lachen den Kopf zwischen die aufgezogenen Schultern drückte.

Und in die seltsamen Laute dieses Lachens mischten sich jetzt die näherkommenden Klänge von Trompeten, Geigen und Klarinetten, mischte sich das Kreischen und Krachen der Jauchzer und Schüsse, die den Hochzeitszug auf seinem Wege begleiteten.

[700] Erbleichend schnellte Karli in die Höhe und taumelte der Thür zu. Götz aber hielt ihn am Arme zurück. „Was is? Wo willst denn hin?“

„Fort will ich – fort! Und Du – Du wirst es auch net wollen, daß ich da herin in der Stuben stehen muß, wann der Vater sein’ liebe Braut zur Thür ’reinführt!“

„Da sorg’ Dich net, sie kommen jetzt net heim! Der Zug muß halt am Hof vorbei, wann er von der Kirch’ zum Wirthshaus will. Da, schau zum Fenster ’naus, da sind ja d’ Musikanten schon!“

Mit beiden Armen zog Götz den Burschen in die Mitte der Stube, und da standen sie nun und sahen es mit an, wie draußen auf der Straße die Geiger und Bläser vorüberzogen, Paar um Paar, die hohen Spitzhüte mit dicken Blumensträußen geschmückt. Ihnen folgte der Hochzeitslader, und in tanzendem Gange schwenkte er seinen hohen Stab, dessen bunte Bänder lustig im Winde flatterten. Dann kam der Pfarrer, inmitten des Paares, das er verbunden „für Leben und Sterben, für Erde und Himmel“. Kuni, in reichem bäuerlichen Gewande, trug den Kopf mit der blitzenden Brautkrone stolz erhoben; eine leichte Blässe lag auf ihrem hübschen Gesichte; sie schaute gerade vor sich hin, mit einem leisen, fast verächtlichen Lächeln, das auf ihren Lippen wie versteinert schien. Mit dem energischen Gange dieser Beiden vermochte der Pointner nicht Schritt zu.halten. Er ging gebückter als sonst und verwandte keinen Blick von der Erde.

„Da – da, Götz – da schau ihn an – mein’ Vater!“ fuhr Karli, die Hand nach dem Fenster streckend, mit bebenden Worten auf. „Schaut er net aus, wie wann er die schwere Sünd’ am Buckel spüret, die er an mir verübt – an mir und mehr noch an ihm selber?“ Schluchzend kehrte er sich vom Fenster ab, schlug den Arm vor die Augen und wankte aus der Stube.

Mitleidigen Blickes schaute Götz ihm nach. Dann wandte er mit nickendem Kopfe die Augen gegen die Kammerthür und raunte mit herbem Lächeln vor sich hin: „Ja, Bauer, jetzt erbarmst mich selber! Das Räuscherl, wo Dir an’zecht hast zum Abschied von Dei’m Buben, das kommt Dir theuer z’stehen.“

Langsamen Ganges folgte er dem Burschen in den Flur hinaus und sah ihn mit schwankenden Schritten über die Treppe steigen. Als Karli die oberste Stufe erreichte, mußte er sich an die Mauer stützen, so zitterten ihm die Kniee. Stöhnend raffte er sich wieder zusammen und suchte seine Kammer. Er stieß die Thür vor sich auf, und da traf sein erster Blick das verblaßte Bild seiner Mutter, das zu Häupten des Bettes an der Wand hing.

„Mutterl – Mutterl, gelt ja – wir zwei – wir g’hören jetzt zu anander!“ weinte er, warf sich über das Bett und vergrub das Gesicht tief in die Kissen. So lag er und rührte sich nicht; nur die Schultern zuckten ihm unter heftigem Schluchzen.

Eine Stunde mochte vergangen sein, als sich wechselnde Stimmen im Flur und Schritte auf der Treppe vernehmen ließen. Erschrocken fuhr Karli in die Höhe. Da öffnete sich schon die Thür, und Götz erschien. Mit einem eigenen Lächeln sprach er den Burschen an: „Karli, Dein Vater is da, und ich, meint er, soll Dir’s sagen – er hätt’s halt gern, wann mit ihm ’nübergingst ins Wirthshaus!“

„Ich? Und ’nübergehn? Na – nie net!“ schrillte es mit zornigen Lauten von Karli’s Lippen. „Ehnder fall’ ich um am Platz!“

„Karli – Bua!“ tönte von draußen eine schüchterne Stimme, und über der Schwelle tauchte der Pointner auf.

„Vater!“ schrie der Bursche, während ihm das Blut mit dunkler Röthe in die Stirne schoß und seine Hände sich zu zuckenden Fäusten ballten.

Dem Pointner zitterten die Backen; er flocht die Hände ineinander, Thränen füllten seine Augen, und mit angstvollen, flehenden Blicken schaute er zu Karli auf. Es war ein Etwas in diesen Blicken, das dem Burschen unwillkürlich die Fäuste öffnete.

„Laß gut sein, Vater,“ stieß er mit versagender Stimme vor sich hin, „laß gut sein – rechten därf ich net mit Dir – und daß wir zwei in der Güt’ miteinander reden, dazu is lang schon z’spat!“

„Na, Karli – na – schau, laß Dir sagen – schau g’rad erst hab’ ich’s g’hört, daß da bist, und da hat’s mir kein’ Ruh nimmer g’lassen, und vom Mahl bin ich weg – und schau, für Dich und mich wär’s besser g’wesen, wenn Alles vorbei g’wesen wär’, bis heim wärst ’kommen – aber jetzt – schau – jetzt – weil jetzt schon da bist, jetzt wirst mir doch so ’was net anthun können, daß net amal zu meiner“ – – der Pointner würgte das Wort hinunter, das ihm auf der Zunge gelegen, „daß Du daheim bleibst, wo ’s halbete Dorf Dei’m Vater z’ Ehren geht! Schau, Karli – g’rad das Einzige thu’ mir net an!“

„Ich kann net, Vater – na – na – ich kann net!“

„Karli, laß Dich erbitten – thu mir so ’was net an!“

Bei dem rührend flehenden Ton dieser Stimme versagten dem Burschen die Worte; er schüttelte nur heftig den Kopf und wandte sich zur Seite.

Da schien der Pointner am Erfolge seiner Bitte zu verzweifeln. Er ließ die Hände auseinanderfallen, seufzte tief auf und neigte mit traurigem Gesichte das Kinn auf die Brust. „No also – wann halt gar net kannst – nachher kannst halt net! Und schau, Karli – ich bin Dir net harb drum, na, g’wiß net – aber – aber was mir da jetzt anthust, das kann Dir schon gar net sagen!“

Langsam kehrte sich der Pointner gegen die Thür, und tiefer und tiefer sanken ihm die Schultern, während er mit zitternd tastenden Füßen über die Schwelle schlich. Es schien, als wäre in diesem Augenblick richtig das Alter über ihn gekommen.

Karli aber fuhr auf, in zitternder Unruh, und als hätte er sich von Götz einen Rath erholen wollen, so flogen seine Augen nach der Stelle, an welcher der Knecht gestanden. Doch Götz war lange schon verschwunden. Eine Weile noch stand der Bursche – in seinen Zügen spiegelte sich der heftige Kampf, den er im Innern stritt. Dann stürzte er aus der Stube, und als er auf der untersten Treppenstufe den Vater gewahrte, rief er ihm mit heiser überschlagender Stimme zu: „Vater – a paar Minuten wann warten magst – nachher – nachher komm’ ich halt!“ Und bevor es der Pointner noch zu einer Antwort brachte, stand Karli schon wieder in seiner Stube, schlug hinter sich die Thür zu, riß mit zitternden Händen die beim Sturze zu bösem Schaden gekommene Uniform vom Leibe und warf sich in seinen bäuerlichen Sonntagsstaat.

Als er dann so verwandelt die Treppe niederstieg, streckte ihm der Pointner von unten die beiden Arme entgegen, mit leuchtenden Augen, mit thränenüberströmten Backen und unter den schluchzenden Worten: „Karli – das vergiß ich Dir net – und mag’s jetzt gehen, wie’s will – eh’ laß’ ich mir d’ Haut übern Buckel ziehen, eh’ daß ich zugib, daß Du in Dei’m Recht verkümmert wirst – na, Karli – das vergiß ich Dir net! Und komm jetzt – komm, mein Bua – komm – komm –“

Mit beiden Händen faßte er den Sohn am Arme und zog ihn mit sich fort ins Freie. Auf der Hausbank saß Götz, und Karli athmete erleichtert auf, als er den herzlichen, ermunternden Blick gewahrte, der ihn aus den Augen des Knechtes traf. Zu einem Worte ließ ihn der Pointner nicht mehr kommen. Er riß ihn mit sich fort, durch das offene Zaunthor, auf die Straße hinaus, vorüber an Häusern und Gehöften. Wer auch den Weg der Beiden kreuzen mochte, bekam vom Pointner die Worte zu hören, die er unter Thränen lachend sprach: „Du – da schau – mein Karli is ’kommen – ganz extra auf den heutigen Tag – ganz extra is er ’kommen – gelt, da schaust!“ Ja freilich schauten die Leute – kopfschüttelnd und lächelnd. Und als die Beiden das Wirthshaus erreichten, in dessen ebenerdiger Stube die „halbeten“ Hochzeitsgäste, die nicht zur Tafel geladenen Burschen und Dirnen schon des baldigen Tanzes harrten, füllten sich alle Fenster mit neugierigen Gesichtern. Das Alles sah der Pointner nicht; er sah nur seinen Buben, er zog ihn über die Schwelle, er schleppte ihn hinter sich die Treppe hinauf, zerrte ihn gegen die Thür des leeren Tanzsaales – und da ließ er nun plötzlich die Hände von ihm und stotterte in Schreck und Sorge: „Karli – thu’s mir z’lieb – und nimm Dich z’samm’!“

Aus der Thür des Nebensaales, in welchem an langer Tafel die Mahlgäste saßen, kam ihnen Kuni entgegen. Während hinter ihr die Thür sich mit Leuten füllte, streckte sie dem Burschen lächelnd die beiden Hände hin, unter den lauten, herzlich klingenden Worten: „Ja Karli – grüß’ Dich Gott! Und schau, a größere Freud’ hätt’ ich schon net haben können, als daß Du jetzt dengerst net fehlen thust an mei’m Ehrentag!“ Da kam ein boshaft spöttischer Zug in ihr Lächeln, und während sie Karli’s Hände schüttelte und drückte, dämpfte sie die Stimme: „Ja, jetzt komm nur gleich! G’rad ’nüber von mir mußt sitzen! Von meiner Familli is ja keiner net da – weißt – daß Dich net [702] schaamen mußt! Und ich – ich bin ja jetzt die Bäurin auf der Point – und das is doch g’wiß was anders als wie so a lumpige Kellnerin, wo nix anders net is als wie a Handtüchl für ei’m Jeden seine Händ’. So geh – so komm doch, Bua!“

Bis in die Lippen war Karli erblaßt, und mit zornigen Blicken suchten seine Augen den Vater. Der aber machte ein Gesicht, dem es deutlich anzusehen war, daß er nicht wußte, was er zu Kuni’s seltsamer Rede denken sollte. Jetzt war aber auch für ihn keine Zeit zum Denken. „So geh, so komm doch, Bua, geh!“ mahnte er mit Kuni’s Worten, faßte Karli am Arme und zog ihn gegen die Thür des Nebensaales. Mit dem Ellbogen stieß er die Leute bei Seite, die sich zur Begrüßung herandrängten, und kreischte: „Da schaut’s her, was da für a Gast noch kommt!“ Was noch auf den Stühlen saß, erhob sich; nur der hochwürdige Herr blieb sitzen. Der Pointner aber zog seinen Buben nach der Mitte der Tafel, ergriff das nächste Glas und stieß es auf einen Teller, daß er in Scherben aus einander fuhr. „Stad sein, sag’ ich – jetzt hab’ ich ’was z’ reden! Da schaut’s her – mein Bua is ’kommen zum heutigen Tag! Und daß ich a größere Freud’ net hätt’ erleben können, das is wahr. Und reden will ich mit jedem, der’s net glaubt! Da giebt’s fein nix zum lachen – hörst es, Holzerbauer? Ja – und g’rad freuen thut’s mich, daß man mich als Hochzeiter noch net hat leben lassen! Denn der, wo z’erst heut’ leben soll, das is mein Bua! Und leben soll er hundert Jahr’ – na – gleich tausend Jahr’ – denn für so an Buben sind hundert Jahr’ gleich gar nix! Gelt, jetzt könnt’s lachen – ja – das is der Neid, weil keiner von Euch Glatzköpf’ so an Buben hat wie ich! Und drum soll’s ihm auch gut gehen, und Alles soll er haben, was er sich einbildt! Und leben soll er – he! Musikanten! Blasen, sag’ ich – Kreuzsaxen – g’rad blasen! Und leben soll er – dreimal – na – hundertmal hoch!“

Da schlang der Alte unter Schluchzen und Lachen seinen Arm um Karli’s Hals und leerte in gurgelnden Zügen sein Glas bis auf die Neige.




9.


An der Hochzeitstafel war die Ordnung wieder hergestellt, und in das schnatternde Geplauder mischte sich das Klappern der Gläser und Teller.

Dem Pfarrer gegenüber, der zwischen dem Brautpaare saß, hatte Karli seinen Platz erhalten. Er hob fast keinen Blick von seinem Teller, und um jedem Gespräche mit seinem Nachbar auszuweichen, nahm er zwei- und dreimal von jeder Schüssel und aß von jeder Speise so lange, bis die nächste an die Reihe kam. Auf die sprudelnden Fragen des Vaters konnte er freilich nicht immer die Antwort schuldig bleiben. Der stieß vor jedem Trunke mit ihm an und that überhaupt, als hätte der festliche Tag nur den einen Zweck, seinen Buben zu ehren – als wären die fünfzig Gäste nur geladen, um Karli’s Heimkehr mit ihm zu feiern. Er wurde ordentlich verdrießlich, als draußen die Musik begann, als der Pfarrer sich erhob, um das Hochzeitspaar zum Ehrentanz in den Saal zu führen.

Auch Karli erhob sich – erleichtert aufathmend. Es war ihm eine Wohlthat, nun endlich von Kuni’s funkelnden Blicken und ihrem ewigen Lächeln erlöst zu werden. Unter der Schar der anderen Gäste drängte er sich in den Tanzsaal. Der Pointner mochte wohl seit langen Jahren kein Tänzlein mehr versucht haben; seine Füße waren der flinken Bewegung entwöhnt und geriethen immer wieder aus dem Takte. Dafür aber that Kuni durch energische Führung das Möglichste, damit ihr „Ehrentanz“ für all diese hundert neugierigen Augen nicht zu einem lächerlichen Schauspiel wurde.

Mit finsteren Augen schaute Karli zu. Doch als er gewahrte, daß dem Vater allzu wirblig zu Muthe wurde und seine Beine schon gar zu sichtlich ins Zittern geriethen, näherte er sich mit raschen Schritten dem Paare, löste Kuni’s Hand von der Schulter des Vaters, schwenkte sie unter seinem Arme durch und tanzte mit ihr weiter, während der Pointner pustend und schnaubend seitwärts an die Mauer taumelte.

Drei Runden tanzte Karli mit Kuni; dann stellte er sie an die Seite des Pfarrers, stieß mühsam ein „Vergelt’s Gott, Hochzeiterin!“ hervor und schoß davon. Als er die Treppe erreichte, schallte ihm aus der unteren Wirthsstube lautes Gelächter, Citherklang und eine jodelnde Stimme entgegen. Drunten im Flur prallte er auf einen Burschen, der mit wieherndem Lachen aus der Stube getreten war. Als er den jungen Pointner erkannte, packte er ihn mit beiden Händen am Arme und schrie: „Jesses na, Du bist da! Und g’rad hat man g’redt von Dir! Du, wenn jetzt g’rad dag’wesen wärst, da hättst lachen können! Weißt, der Maurer-Hansl hat a nagelneu’s Liedl zum Besten ’geben – vom Haserl und der Feechin (Füchsin). Aber geh weiter – geh ’rein a Bißl – Dir z’lieb muß er’s noch amal singen!“ Unter diesen Worten wurde Karli von ihm in die Wirthsstube gezogen, wo unter einer lachenden Gruppe von Burschen und Dirnen der Maurer-Hansl vor der Cither saß. „He, da schaut’s her – wen ich da daherbring’! Und mach’ weiter, Hansl – jetzt fang nur gleich noch amal an – der Karli muß Dein Liedl hören.“

„Ah na, ich ’trau mich net,“ meinte der Hansl, während er verlegen die Finger über die Saiten strich.

„Därfst Dich schon trauen! Der Karli is Dir net harb d’rum! Kannst es ihm ja am G’sicht ablesen, was ihm der heutige Tag für a Freud’ macht! Geh weiter und sing’!“

Und während sich alle Gesichter in Neugier und Schmunzeln nach dem jungen Pointner wandten, ließ der Hansl die Saiten schnarren und sang dazu mit näselnder Stimme:

„Z’naxt war ich gen Holzen,[6]
Net lang noch is ’s g’we’n,
Hab’ a ganz an alt’s Haserl
In Daxboschen[7] g’sehn.

Vor Kält’ hat’s Dir g’schnadert,[8]
Kein’ Sonn hat’s erwarmt –
O mein Gott, wie hat mich
Das Haserl erbarmt!“

Einer der Burschen ließ ein gröhlendes Lachen hören, während die andern in mißtönigem Chor wiederholten:

„O mein Gott, wie hat mich
Das Haserl erbarmt!“

Mit einem lauernden Blicke schielte Hansl zu Karli auf, griff einen schwirrenden Accord und sang:

„Z’naxt war ich gen Holzen,
Weiß nimmer, wann’s war,
Hab’ a Feechin drauß g’sehen
Mit brandrothe Haar’.

Mit ei’m bluhweißen Brüsterl,
Hab’s g’sehen ganz g’nau,
Mit schneeweiße Pranterln,[9]
Mit ei’m sakrischen G’schau!“

Auf Karli’s Wangen wechselte Röthe mit Blässe. Er riß mit einem zornigen Ruck seinen Arm aus den Händen des Burschen, der ihn in die Stube geschleppt, und trat mit blitzenden Augen dicht an den Tisch, indessen der Maurer-Hansl die dritte Strophe begann:

„Z’naxt war ich gen Holzen,
Hab’ Schindelholz ’kliebt,[10]
Da hat sich das Haserl
In d’ Feechin verliebt.
Und a Manderl hat’s g’macht
Und a Hupferl hat’s ’than
Und hat – –“

Doch weiter kam der Maurer-Hansl nicht, denn mit hastigem Griffe hatte ihm Karli die Cither aus den Händen fortgerissen. In der Stube wurde es plötzlich so still, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören. Und da beugte sich Karli weit über den Tisch und raunte dem Burschen mit zornbebender Stimme ins Gesicht: „Jetzt hab’ ich’s g’nug. – verstehst mich – mit Deine spöttischen G’sang’! Und Dir und all die Andern sag’ ich’s – so lang ich noch zwei g’sunde Arm’ an meine Achseln hab’, so lang laß’ ich kein’ Spott net auf mein’ Vater kommen. Und was die Ander’ angeht – mag’s jetzt sein, wie’s will – von heut’ an tragt s’ mei’m Vatern sein’ Nam’ – und für den steh’ ich ein! Und drum gieb ich Dir’s z’merken – g’rad hören därf ich, daß Du Dein saubres Liedl noch an einzig’s mal wo singst – nachher wachsen wir z’samm’ – wir zwei – verstehst mich!“

Schwerathmend richtete sich Karli auf, warf einen drohenden Blick auf all die verdutzten Gesichter, rückte den Hut und verließ die Stube.

[716] Karli blieb unter der Hausthür stehen, schloß die Augen und drückte die Hand an die Stirn. Dann schüttelte er heftig den Kopf, als hätte er Alles, was drückend auf ihm lastete, gewaltsam von sich werfen mögen, sprang mit einem Satze über die drei hölzernen Stufen nieder, huschte hinter das Haus, schlich die Kegelbahn entlang, übersprang einen Zaun und eilte quer über die Wiesen der Straße zu, die nach dem Binderholze führte.

Als er den Waldsaum erreichte, stieg er über den Straßengraben hinweg, schleuderte den Hut bei Seite und warf sich der ganzen Länge nach ins Moos. Gleich aber richtete er sich halb wieder auf und lauschte gegen die Stelle, an welcher sich die Straße mit einer Biegung in den tieferen Wald verlor. Nun vernahm er den deutlichen Hall von Schritten, und da machte er schon Miene, zwischen die Bäume zu flüchten. Aber nein – vor dem, der dort einhergewandert kam, laut vor sich hinpfeifend, die eine Hand in der Hosentasche, die andere Hand am Stocke, mit dem er über der Schulter ein dickes Bündel trug – vor dem brauchte er sich nicht zu verbergen. Der war ja nicht aus dem Dorfe – von dem hatte er keine Frage zu befürchten, vor welcher er die Fäuste ballen oder die Augen hätte niederschlagen müssen.

Seufzend warf sich Karli wieder in das Moos zurück, verschlang die Hände hinter dem Nacken und schaute unter halbgeschlossenen Lidern hervor dem Näherkommenden entgegen, den man wohl für einen wandernden Handwerksgesellen halten konnte. Aber sicher hatte nicht er dem Meister, sondern der Meister ihm gekündigt – so meinte Karli, auf den der Fremde beim ersten Blick einen unbehaglichen Eindruck machte. Es war eine schlanke, kräftige Gestalt, die aber bei faulem Gange träg in sich versank. Das in halb städtischem, halb bäuerischem Schnitte aus schwarz und grün gewürfeltem Tuch gefertigte Gewand war zertragen und unsauber gehalten. Ein zerknitterter, hellgrauer Filzhut saß schief über den schwarzen, peinlich frisirten Haaren, die sich mit breiten Haken in die Schläfe krümmten, wodurch das blasse, scharfgeschnittene Gesicht noch schmäler erschien, als es war. Der dünne, schwarze Schnurrbart war in steif gewichste Spitzen ausgezogen; Kinn und Wangen waren sorgfältig rasirt. An der rechten Seite des Halses zeigte sich eine schlecht verheilte Schnittnarbe, die sich unter dem schneeweißen Papierkragen verlor. Eine bauschig gebundene, hellblaue Kravatte verdeckte nur halb die zerknüllten Brustfalten des unsauberen Hemdes.

Als sich der Fremde bis auf einige Schritte genähert hatte, drückte Karli die Augen zu – wenn er schlief, brauchte er nicht zu grüßen. Es schien auch, als wollte der Fremde vorübergehen; plötzlich aber hielt er die Schritte an, musterte den im Moose Liegenden mit einem stechenden Blick seiner grauschillernden Augen, überstieg den Straßengraben, puffte die Stiefelspitze an Karli’s Sohle und sprach ihn mit scharfer, spöttisch klingender Stimme an: „Geh Du, mach’ Deine Guckerln auf!“

Karli öffnete die Augen und heuchelte eine verschlafene Miene.

„Was is denn – bin ich da recht am Weg ins Ort ’nein?“ fragte der Andere und nannte den Namen des Dorfes.

„Natürlich – geht ja d’ Straßen g’rad aus!“

„Und ’s Wirthshaus? Is wohl net weit von der Straßen?“

„Hart dabei. Wer an Durst hat, verleid’t kein’ Umweg.“

„Wie schaut’s denn da mit der Unterkunft aus?“

„Für Unserein’ thut’s es. Aber für noblige Leut’ – natürlich, da wird’s spuken.“

„Und a saubere Kellnerin? Was?“

„Wann s’ Ihnen g’fallt! Ich hab’s noch nie drum ang’schaut.“

„Geh’!“ lächelte der Fremde und kniff die Augen ein, als fänden Karli’s Worte bei ihm keinen besonderen Glauben. Und als der Bursche verwundert aufschaute, sagte der Andere in einem ganz eigen gedehnten Tone: „Ich mein’, ich sollt’ s’ kennen – Euer’ Kellnerin. Sie is doch erst vor a paar Monat’ eing’standen? Oder net?“

„Was? D’ Walli? Die is so schon a drei a vier Jahr’ beim Zeug.“

Jetzt war an dem Andern die Reihe, ein verdutztes Gesicht zu zeigen. Und da hatte er nun auch mit einem Male ausgefragt. Eine Weile stand er schweigend, mit finster zusammengezogenen Brauen; dann nickte er dem Burschen einen ungezogen kurzen Gruß zu, sprang über den Straßengraben zurück, und während er mit trägen Schritten weiterbummelte, murmelte er bissig vor sich hin: „Verflucht – da hab’ ich am End’ gar den Ludersweg umsonst g’macht!“

Je weiter er sich von Karli entfernte, desto rascher wurde sein Gang. Nach einer Viertelstunde erreichte er das Wirthshaus und schob sich in der Stube hinter einen Tisch. Während die Kellnerin davonrannte, um den von ihm bestellten Krug Bier zu holen, lachte er spöttisch auf und schaute ihr mit Blicken nach, als vergliche er sie in Gedanken mit einer anderen.

Als die Dirne zurückkehrte, winkte er gegen die zitternde, hallende Decke und fragte: „Wen graben s’ denn da schon wieder ein?“

Die Kellnerin schaute ihn fragend an und kicherte dann: „Ah so – wer heirath’, meinen S’? Der Bauer auf der Point. Ja, a ganz an alter – und ganz a junge heirath’ er – sein’ Hauserin, die vor a paar Monat’ erst bei ihm eing’standen is. Mit der haben s’ uns auch ’was Saubers g’schickt – d’ Rosenheimer!“

Mit starren Augen schaute der Fremde auf die Lippen der Dirne. Nun sprang er auf und klatschte mit wieherndem Gelächter die Hand auf den Tisch.

„Ja was haben S’ denn auf amal?“

„Was ich haben thu’? Den Bauer muß ich mir anschauen – den Bauer – und sein’ Hochzeiterin!“

Mit grober Armbewegung schob er die Kellnerin bei Seite, eilte aus der Stube und sprang in langen Sätzen die Treppe hinauf. Mit Mühe nur vermochte er sich in den Tanzsaal zu drängen. Hier stand er in einer dichten Gruppe von Burschen und überflog mit funkelnden Augen das Gewirr der Tanzenden. Da zuckte es in Zorn und Spott über sein Gesicht, und unablässig folgten seine lauernden, stechenden Blicke einem Paare. Jetzt trat dieses Paar aus der Reihe der Tanzenden, und während sich der ermüdete Tänzer mit den Fäusten den Schweiß von den Backen wischte, fuhr sich Kuni mit einem weißen Tuch über Stirn und Wangen. Sie wollte schon wieder zu tanzen beginnen, als sie über ihre Schulter eine spöttische Stimme hörte: „Grüß’ Dich Gott, Hochzeiterin!“

Erschrocken fuhr Kuni zusammen, und die glühende Röthe ihres Gesichtes verwandelte sich jählings in fahle Blässe. Sie stand wie gelähmt, und ein starrer, angstvoller Blick war in ihren Augen.

„Grüß’ Dich Gott, hab’ ich g’sagt!“ wiederholte jene spottende Stimme. „Oder hat Dir die gache Freud’ ’leicht d’ Red’ verschlagen? G’laden hast mich freilich net zu Deiner Hochzeit, aber ich trag’ Dir’s net nach, ich bin schon amal so a guter Kerl – und da kannst g’rad sehen, wie gern als ich Dich hab’ – Tag und Nacht bin ich g’laufen, daß ich noch recht komm’ zu Dei’m Ehrentag. Und da wirst mir ja dengerst an Tanz verlauben – mir als Deiner nächsten G’freundschaft?“

Kuni schwieg; mit Augen, in deren Blicken sich zitternde Angst und glühender Haß verriethen, hing sie noch immer an dem Gesichte des Burschen und übersah die Hand, die er ihr entgegenbot.

Da trat er mit grinsendem Lächeln dicht an ihre Seite: „Oder – meinst vielleicht, es thät’ sich net schicken für Dich? Denn wenn auch schon bis heut’ den gleichen Namen tragen hast mit mir, so könntst Dir ja dengerst einbilden, daß Dein’ Familli die besser is als wie die meinig’?“

In scheuer Hast hob Kuni die Hand, als hätte sie dem Sprecher den lauten Mund verschließen wollen. Ihre Augen füllten sich mit Thränen; einen ängstlichen Blick noch warf sie auf die neugierigen Gesichter der Umstehenden und sank dann, einer Ohnmacht nahe, in die Arme des Fremden, der sie in tollem Wirbel mit sich hineinriß in das Gewühl der Tanzenden.

Im gleichen Augenblick drängte sich der Pointner aus der Thür des Nebensaales, mit brennendem Gesichte und mit den kreischenden Rufen:

„Karli! Bua! Ja wo is denn mein Karli? Hat denn Niemand mein’ Buben net g’sehen? Karli! Karli!“

[717] Da konnte der Pointner aber lange rufen und suchen. Wenn er seinen Buben hätte finden wollen, hätte er einen andern Weg nehmen müssen, als vom Tanzsaal in das Nebenzimmer, von dort in die untere Wirthsstube und von der Stube wieder in den Tanzsaal. Er hätte hinauswandern müssen ins Binderholz, wo Karli hoch oben saß im Wipfel einer tiefästigen Buche.

Vielleicht aber ahnte der Bursche, daß er im Wirthshause vermißt und gesucht wurde; denn seufzend und kopfschüttelnd warf er einen letzten Blick auf das stille Bygotterhäuschen und das öde Gehöft, ließ sich achtsam zwischen den Aesten niedergleiten, eilte lautlos den hohen Zaun entlang und schlüpfte durch die Birken- und Weidenbüsche, um den Fußweg zu gewinnen. Als er einer kleinen Lichtungnahe kam, über welche der Pfad hinwegführte, blieb er lauschend und betroffen stehen. Durch dünnes Buschwerk scholl ihm ein sachtes Plätschern und ein halblauter Gesang entgegen, dessen schwermüthige Weise von dem monotonen Rauschen und Murmeln des Baches begleitet wurde. Eine jähe Röthe schoß ihm in die Wangen; mit zitternder Vorsicht theilte er die Büsche, und dann plötzlich sprang er durch die schlagenden Zweige mit jubelndem Aufschrei dem Ufer zu.

Erschrocken fuhr Sanni in die Höhe, und das weiße Linnen, das sie im rinnenden Wasser des Baches gespült hatte, sank ihr aus den Händen. Doch ehe sie noch ein Wort über die Lippen brachte, hatte der Bursche sie schon umschlungen, an seine Brust gerissen, und unter stammelnden Lauten überströmte er Sanni’s Mund und Wangen mit glühenden Küssen. Regungslos, als wüßte sie nicht, wie ihr geschähe, ließ sie all diese stürmische Zärtlichkeit über sich ergehen. Nun aber schien ihr die Besinnung zu kommen, sie riß sich gewaltsam los, und es war, als wollte sie fliehen. Doch blieb sie mit einem unsagbaren Blick an den Augen des Burschen hängen – und da hob sie nun selbst die zuckenden Arme, schlug sie in heiß erwachender Leidenschaft um Karli’s Nacken und drängte sich stammelnd und schluchzend an seine Brust, als wäre sie einsam, verlassen und verirrt in weiter Welt gestanden und hätte nun plötzlich ihr Heim und ihren Ort gefunden.

„Sannerl! Schatzerl! Deandl! Schau – jetzt is mir Alles eins! Jetzt kann meintwegen heirathen, wer mag! Weil nur wir Zwei wieder amal bei ’nander sind!“ jauchzte Karli, während er das Mädchen nach einem halb von Gebüsch umwachsenen Steinblock führte und an seine Seite zog. „Aber jetzt – jetzt sag’ mir nur gleich, ob auch Dein Versprechen g’halten hast und ob auch fleißig an mich ’denkt hast in die vier ewigen Wochen? Gelt – so oft hast g’wiß net an mich ’denkt, wie ich an Dich denkt hab’. Aber schau, wenn ich ’s Denken an Dich net g’habt hätt’ – ich hätt’ ja schiergar narrisch werden müssen in all meiner Kümmerniß. Aber – was schaust mich jetzt so an – verstehst mich denn net? Ja weißt denn am End’ gar net amal, was heut’ für a Tag is – was heut’ im Ort drin g’schieht?“

Wie hätte Sanni das wissen können! Seit Karli’s Abschied hatte sie keinen andern Menschen gesehen, als ihren Vater; seit langen Wochen war es heute zum ersten Male, daß sie den Bereich des umzäunten Hofes überschritten hatte.

In stockenden Worten gestand ihr Karli, was der vergangene Morgen über ihn gebracht. Doch schien diese Nachricht auf Sanni nicht die niederschmetternde Wirkung zu üben, welche Karli befürchtet haben mochte; denn als er sie an den „Besuch“ erinnerte, den sie vor langen Wochen an einem Fenster des Pointnerhofes gewahrt hatte, als er nach zögernden Umschweifen endlich damit herausplatzte, daß heute dieser „B’such“ mit seinem Vater Hochzeit hielte, fuhr dem Mädchen anstatt des erwarteten Schreckensrufes ein freudiges „Gott sei Dank!“ über die Lippen.

Mit verdutzten Augen schaute Karli auf „Was? Was, Gott sei Dank?“

„Daß – daß der selbige B’such Dei’m Vater ’golten hat und – net –“ Weiter kam Sanni nicht; in lieblicher Verwirrung barg sie ihr Gesicht an Karli’s Brust.

Nun verstand er sie, und eine leichte Röthe huschte über seine Züge, während er mit leisen Worten schmollte:

„Aber, Schatzerl, geh’, wie hast denn da an Augenblick lang eifern können? Und auf so Eine noch dazu.“

„Aber sie is halt gar so viel sauber g’wesen – und – und so glanzige Augen hat s’ g’habt!“ entschuldigte sich Sanni.

Karli lächelte und drückte das Mädchen glückselig an sich. „Ah na – wer Dich amal in die Gedanken hat, der schaut sich g’wiß auf nix anders nimmer um. Und weiter brauchst Dich auch net z’ kümmern wegen der g’spaßigen Heirath da. Seit wir Zwei mit einander gleich auf gleich sind, kümmert mich schon gar nix mehr! Mag der Vater hausen mit seiner Bäuerin – ich hab’ zwei junge Arm’, ich will mir schon a Heimatl schaffen für Dich und mich! Und überhaupts – mein Muttergut kann mir der Vater net verwehren! Und das will er auch net, ich weiß! Heut’ in der Fruh erst hat er mir’s g’schworen, und unser Herrgott hört an jeden Schwur und straft Ein’ um an jeden, der ’brochen wird –“

Karli verstummte, zu Tod erschrocken über die unverhoffte Wirkung seiner Worte. Sanni’s Wangen erblaßten, ein Zittern befiel ihren Körper, mit angstvollen Augen starrte sie ins Leere und schlug dann erschauernd die Hände vor das Gesicht.

„Ja – ja – er hört an jeden Schwur, und jeden straft er, der wo ’brochen wird!“ stöhnte sie unter Thränen. „Und ich – ich hab’ g’schworen – und – und –“ Tiefathmend ließ sie die Hände sinken und schaute mit nassen Augen zu Karli auf. „Aber ich kann ja nix dafür – ich hab’ net anders können – und es mag mich auch net g’reuen, und wann ich’s gleich büßen müßt’ an mei’m Leben.“

[718] Aufschluchzend umschlang sie ihn mit beiden Armen und schmiegte sich in Angst und Beben an seine Brust.

„Aber, Schatzerl – Jesus Maria – ja was is denn?“ stotterte der Bursche in beklommener Sorge. „Ja ich bitt’ Dich gottstausendmal – so sag’ mir nur g’rad –“

„Selbigsmal – Du weißt es ja noch – wie mir selbigsmal so an lieben Abschied g’sagt hast,“ zitterte es in fliegenden Worten von Sanni’s Lippen, „hast es denn selbigsmal net g’merkt, daß ich schier auf’n Tod erschrocken bin, wie ich Dich g’sehen hab’ –“

„Ja – aber –“

„Selbigsmal in der Fruh, da is ’was g’schehen – und ich kann’s net sagen – aber – aber da muß mei’m Vater ’was in’ Kopf ’nein ’kommen sein – was Seltsams, wo ich mir gar net denken kann – und da hat er mich an der Hand in die Stuben ’neing’führt – g’wiß wahr, ganz zum Fürchten is er g’wesen – und da hat er mich Sachen g’fragt, daß ich ganz erschrocken bin – und – ja – und wie ich ihm nix anders hab’ sagen können, als daß ich brav g’wesen bin mein Leben lang und daß ich mei’m lieben Herrgott ohne Scheu mein Herz auf d’ Hand hinlegen könnt’ – da hat er völlig aufg’schnauft, mein Vater – und g’halst und ’druckt hat er mich, daß mir schier Angst worden is – ja – und nachher hab’ ich ihm bei Blut und Leben schwören müssen –“

„Was, Sanni, was hast schwören müssen?“

„Schwören hab’ ich müssen, daß – aber ich kann Dir’s net sagen, wie’s der Vater g’sagt hat – weißt, g’meint hat er halt, es sollt’ für mich kein andres Mannsbild geben als wie der liebe Herrgott und der Vater, und an kein’ dürft’ ich denken, mit kei’m dürft’ ich reden, um kein’ sollt’ ich mich harben und kein’ dürft’ ich gern haben –“

„Na, na, jetzt da hört sich fein schon gar Alles auf!“ rief Karli mit zornbebenden Worten aus. „So a Vater – der so ’was von sei’m Deandl verlangen kann! Und bei so einer Narretei auch noch unsern Herrgott zur Aushilf’ nehmen! Geh’, Sanni, sag’ Dei’m Vater, wann er sich schon gar so gut auskennt im Testament, nachher soll er sich auch auf dieselbigen Sachen b’sinnen, wo für die andern Leut’ taugen, net g’rad für seine narrischen G’schichten allein – weißt – daß unser Herrgott in seiner Allgütigkeit amal g’sagt hat: Liebet einander – und – und es is net gut, wann der Adam allein is!“

Mit einem freudig aufleuchtenden Blick schaute Sanni in Karli’s Augen und schmiegte sich noch enger an ihn.

Karli aber, den die Wahrnehmung, daß er das beste Wort getroffen, ordentlich wachsen machte, predigte in flammendem Eifer weiter: „Ah na – das sag’ Dir ich – da brauchst Dich fein jetzt gar net z’ kümmern. Denn unserm lieben Herrgott sein Verstand geht dengerst noch über Dei’m Vatern sein’ g’spaßige G’scheitheit. Und für so an unsinnigen Schwur, zu dem Dich Dein Vater überhaupts noch ’zwungen hat, für so an Schwur hat unser Herrgott g’rad an Lacher! Bei so ’was sagt man halt Ja, daß man vor der Narretei sein’ Fried’ hat, und weiters braucht man sich net z’ halten. Das sag’ ich vor ei’m Jeden, und wann’s der Pfarrer is, und g’rad so sag’ ich’s Dei’m Vater, und wann’s mir einfallt, nachher geh’ ich schon auf der Stell’ auch ’nein zu ihm und sag’s ihm schnurg’rad ins G’sicht.“ Dabei schüttelte er die Fäuste, hob sich halb in die Höhe und that, als hätte er wirklich nichts Eiligeres im Sinne, als seine letzten Worte zur Wahrheit zu machen.

Erschrocken zog ihn Sanni wieder auf den Stein zurück.

„Mein Gott, Karli, laß Dir nur so ’was nie net einfallen! Du kennst mein’ Vater net! Und Gott sei Dank, heut’ könntst ihm schon gar nix sagen, heut’ is er gar net daheim. Am Sonnberg is er droben! Um Mittag erst is er fort, und da kann er auch vor Abend schier net daheim sein. Sonst hätt’ ich mich auch net weg ’traut vom Haus. Aber mir is g’rad g’wesen, als müßt’ ich wieder amal an andere Luft zum schnaufen kriegen als g’rad die unser’.“

„Hast schon Recht g’habt, Sanni, ganz Recht! D’ Viecher sperrt man hinter die Zäun’ und net die g’wachsenen Leut’. Aber was ich fragen will: der Sonnberg mit sei’m ganzen Holz, der g’hört ja zu unserm Hof. Was hat denn Dein Vater da droben zum schaffen?“

„Ich kann mir’s selber net denken. Er redt auch so über seine Sachen schier nie mit mir. Aber seit a paar Wochen hab’ ich’s schon öfter mit ang’sehen, daß er ganze Stund’ lang draußen im Hof g’standen is, und g’rad allweil hat er ’naufg’schaut gegen d’ Sonnbergplatten. Und was er jetzt droben thut, ich kann mir’s net denken.“

„Am End’ is er gar so gach in d’ Höh’ g’stiegen, weil er meint, da droben redt er sich leichter mit sei’m Herrgott, weil er ihm näher is – und ’leicht zündt er ihm wieder a Feuerl an.“ Dazu lachte Karli spottend auf. Dieses Lachen aber that ihm bitter leid, als er in Sanni’s angstvoll staunende Augen sah und den schmerzlich traurigen Zug gewahrte, der in ihrem Gesicht erschienen war. Mit sanfter Zärtlichkeit drückte er ihr Köpfchen an seine Brust und flüsterte: „Geh’, schau, mußt mir net harb sein, daß ich so dumm hab’ ’rausreden können. Aber weißt, mir is halt g’rad wieder eing’fallen –“

Und da erzählte er, auf welche Weise er an dem bewußten Morgen zum heimlichen Zeugen jenes seltsamen Vorganges geworden war.

Als er davon sprach, wie eigen das Alles auf ihn gewirkt hätte, zuerst belustigend, dann aber unheimlich, seufzte Sanni tief auf, nickte mit kummervollem Gesichte vor sich hin und flüsterte unter Thränen:

„Ich weiß ja, es is a Sünd’ für a Kind, bei sei’m Vatern an so ’was z’ denken; aber ich kann mir net helfen; oft kommt’s mich mit G’walt so an, daß ich denken muß, wie wann er diemal net ganz licht wär’ in sei’m Kopf. Aber natürlich, mein’ schuldige Lieb’, die redt mir’s allweil wieder aus, und nachher kann ich’s auch wieder mit ansehn, wie er schafft und umeinander hantirt im Haus, ich sag’ Dir’s, viel g’scheiter und anstelliger noch als hundert Andere. Darnach aber, da packt’s ihn auf amal wieder an, daß ich mir schier nimmer z’ helfen weiß vor Fürchten und Aengsten. Ich kann Dir’s net sagen, Karli, und Du kannst es net denken, wie er oft sein kann in sei’m Zorn, daß mir im Schrecken oft der Herzschlag aushalt’ – und – und net bloß im Zorn – g’rad so in seiner Lieb’.“

Sanni verstummte, und ein Schauer rüttelte ihre Schultern.

„Na, na, und da sollt’s gar kein’ Hilf’ net geben und kein Wehren?“ grollte Karli, während er den Arm noch fester um Sanni’s Nacken schlang.

„Im Anfang, weißt – wegen seiner g’spaßigen Glaubenssach’ – da hab’ ich allweil g’meint, wie wann’s nix anders wär’, als so a ung’scheite Einbildung, wo d’ Leut’ oft haben und dabei ganz g’scheit sein können. Jetzt aber weiß ich schon bald nimmer, was ich denken soll. Wann ihn nur g’rad hören könntst, wie er diemal redt – das is oft, daß ich kein einzigs Wörtl net versteh’, wenn ich auch gleich a jedweds Wörtl deutlich hören kann. Und an andermal redt er wieder, daß ich mein’, das hätt’ ich Alles schon g’hört – in der Schul’ oder in der Christenlehr’. Ganze Täg’ und Nächt’ lang sitzt er über seine Büchersachen – oder wann er allein in der Stuben is, da halt’ er ganze Predigten für ihm selber. Wann ich mein’, daß ich’s recht versteh’, so wart’t er auf a g’wisse Zeit, wo er nachher die Leut’ fromm machen will, und wo er Alles in der Welt wieder so richten möcht’, wie’s um Abraham’s Zeiten unter die Patriarchen g’wesen is. Ja, ich sag’ Dir’s – vom richtigen Gottesglauben zum lieben Heiland und seiner heiligen Mutter, da därf ich ihm gleich kein Sterbenswörtl net sagen – da kann er ganz aus einander kommen. Und auf die geistlichen Herrn – Du – da hat er’s erst abg’sehen. Die heißt er ein Pharisaer und ein Baalspfaffen um den andern hin und her – ja – daß ich mich heimlich oft kreuzigen thu’.“

„No – da – da wann der Pfarrer amal dahinter kommt, da kann’s was setzen!“

„Und was man am allerwenigsten mit ihm reden därf, das is von überm Wasser drüben – und von mei’m Mutterl selig. Und ich möcht’ doch diemal ’was davon erfahren, wie’s ihm drüben in Amerika ’gangen hat – ja – und ganz wohl thät’s mir, wann ich diemal mit ihm diskrieren könnt’ von mei’m lieben Mutterl. Aber wann ich anfang’ davon, da kann er ganz verblassen, und da macht er mir Augen an wie zwei feurige Kohlen, daß mir d’ Red’ gleich auf der Zung’ erstickt. Und so viel kann er in Zorn g’rathen, wann ich ihm diemal im Guten zusprich, daß er doch ’s richtige Schaffen und ’s Verdienen amal anfangen müßt’! Da hat er Dir gleich den lieben Herrgott in der Red’, der wo die Vogerln ernährt und die Bleameln auf’m Feld draußt [719] g’wanden thut. Und allweil ärger wird’s – allweil ärger mit jedem Tag. Und in der letzten Zeit da redt er g’rad allweil von der ‚Erleuchtung‘ – und von der ‚Vorbereitung zu Gottes Werk nach Gottes Willen‘ – und allweil hat er an ‚Ausgang‘ in der Sprach’ – was er da damit meinen kann, das weiß ich mir gar net z’ denken. Und ganze Täg’ lang thut er beten in seiner g’spaßigen Weis’ – und martern thut er sich und fasten, daß er schier ganz von die Kräften fallt.“

„O mein Gott, Schatzerl – ja da fehlt’s ja weit!“

„Ja – gelt?“ sagte Sanni weinend. „Und wie’s mir da dabei z’ Muth sein muß, das kannst Dir denken! Und am allerschwersten liegt’s mir am Herzen, daß der Vater auch mich mit G’walt von meiner Christenpflicht abhalt’. Ich kann ja bald die Tag’ nimmer zählen, daß ich kein’ Kirchen nimmer g’sehen hab’! Und seit der heiligen Osterzeit hab’ ich nimmer kummlicirt und bin bei keiner Beicht’ nimmer g’wesen. Da kann’s ja schiergar nimmer möglich sein, daß mich der liebe Herrgott auch noch a Bißl gern hat!“

„Aber geh’, wie kannst denn jetzt so daherreden! Der liebe Herrgott – und Dich net gern haben! Ja wen sollt’ er denn nachher mögen, wann er Dich net mag! Geh’, Schatzerl, Du bist ja eine von dieselbigen, die unserm Herrgott sein’ Sonntagsfreud’ ausmachen! Und weg’m Beichten? O Du Hascherl, Du! Was kannst denn Du zum Beichten haben?“

So tröstete Karli in zärtlichen Worten weiter, und als ihm die Worte schließlich ausgingen, half er sich mit Küssen und Küssen. Und ganz besonders diese letztere Sprache war es, welche auf Sanni’s Kummer die am besten tröstende Wirkung zu üben schien. Ihre Thränen versiegten; eine sanfte Röthe färbte ihre schmächtigen Wangen, und ihre Augen strahlten im Schimmer süßer Trunkenheit.

Als sie dann endlich einmal von einander ließen, schauten sie sich erröthend in die Augen, und Karli kicherte:

„Jetzt da schau, wie’s wir Zwei mit einander können! G’rad ein Bußl ums ander’ – gar nimmer zum zählen. Ja hast mir denn Du schon b’standen, daß Du mich mögen thust? Hab’ Dir denn ich schon g’sagt, daß ich Dich gern hab’?“

„Ich mein’, das wird’s jetzt nimmer brauchen!“ sprach Sanni lächelnd, und weil seine übermüthigen Blicke sie gar verlegen machten, wußte sie sich keine andere Hilfe, als ihr Gesicht an seine Brust zu drücken.

Da schlang er wieder die Arme um ihren Hals und lachte glückselig auf. Mitten in diesem Lachen aber verstummte er; es war ihm gewesen, als hätte er hinter sich einen knisternden Schritt, ein Rascheln in den Büschen gehört, und als er hastig über die Schulter blickte, sprang er erbleichend auf und taumelte, Sanni mit sich reißend, fast bis an das Ufer des Baches zurück.

Hinter dem Steine, von wirrem Gezweige halb verdeckt, stand der Bygotter, mit vorgestrecktem Halse, die eine Hand über dem kahlen Scheitel, die andere mit krallenartig gekrümmten Fingern weit ausgestreckt. Grauenerregend war sein fahles Gesicht verzerrt, und was aus seinen blutunterquollenen Augen funkelte, das war wie der Blick eines Raubthieres. Doch nur eine Sekunde stand er so; dann schlug er unter einem gurgelnden Laut die Büsche aus einander und stürzte mit erhobenen Fäusten auf Karli zu.

[733] Ein gellender Aufschrei zitterte in die Luft – Sanni hatte ihn ausgestoßen – und mit gerungenen Händen warf sie sich dem Vater entgegen. Der Bursche aber riß sie an seine Seite zurück, und während er den einen Arm um ihre Schultern preßte und den anderen wie zur Abwehr über seine Stirn warf, brach es in heißen, bebenden Worten von seinen bleichen Lippen: „Sorg’ Dich net, Sanni – ich kenn’ kein Fürchten net – und sehen soll er’s, Dein Vater, daß wir z’sammg’hören, ich und Du!“

Noch hatte er nicht ausgesprochen, da stand der Bygotter schon auf Schrittesbreite vor den Beiden. Einen Augenblick noch schien es, als müßte er die erhobenen Fäuste nun niederschmettern über das Haupt des Burschen – dann aber ließ er langsam die Arme sinken und stierte keuchend zu Boden, als vermöchte er die unerschrockenen, zornigen Blicke nicht zu ertragen, die ihm aus Karli’s Augen entgegenblitzten.

Aufathmend drückte der Bursche die Geliebte noch enger an sich. Doch Sanni wand sich aus seinen Armen, und die zitternden Hände faltend, stammelte sie unter Thränen: „Vater – Vater –“

Da richtete der Bygotter sich in die Höhe, und vor der unheimlichen Wildheit, die in seinem verzerrten Gesichte zuckte und aus seinen rollenden Augen flackerte, erstarben die Worte auf Sanni’s Lippen. Mit einem taumelnden Schritte trat er dicht vor das Mädchen hin; ein Schauer überrann seine hagere Gestalt, und mit keuchender, kaum verständlicher Stimme raunte er seinem zitternden Kinde zu:

„Das Siegel der Vollendung warst Du mir – Deines Vaters Leben solltest Du sein – und Deines Vaters Vernichtung willst Du werden. Tausend Wege sind – und einer nur ist Gottes Weg. So wähle zwischen ihm und allen – wähle zwischen Deinem Vater und diesem, der Deinen Sinn bethöret, auf daß Du buhlest mit ihm in Sünden!“

Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte seine Brust; er drückte die zuckenden Fäuste wider seine Stirn und wankte in das Gebüsch, dessen Zweige raschelnd hinter ihm zusammenschlugen.

Die Beiden folgten ihm mit den Augen und standen wie erstarrt. Karli war es, der zuerst wieder Bewegung und Sprache fand. „Na – na – das is ja die helllichte Narretei!“ stotterte er. „Sanni – Sanni – zu dem laß’ ich Dich nimmer heim! Der is ja freilich zum Fürchten – der! Komm, Sanni, komm – Du gehst mit mir!“

Als er bei diesen Worten ihren Arm mit beiden Händen umklammerte, fuhr sie aus ihrer Betäubung auf, starrte ihm mit angstvollem Blick ins Gesicht und stammelte: „Er is mein Vater, Karli – mein Vater!“

„Und ich, Sanni? Was bin denn nachher ich? Bin ich Dir gar nix – han?“

Da schlug sie ihre Arme um seinen Hals und unter Küssen weinte sie: „Mein Alles, Karli – mein Alles bist – mein Alles – aber – aber –“

Laut schluchzend riß sie sich von ihm los, raffte das Linnenzeug vom Ufer und flog davon wie ein gescheuchtes Reh.

„Sanni – Sanni!“ hörte sie Karli mit bebender Stimme noch rufen, als sie die Büsche schon gewonnen hatte.

Blaß, erschöpft und zitternd erreichte sie das Zaunthor des väterlichen Gehöftes. Dasselbe stand weit offen vor ihr, und auf der Hausthürschwelle kauerte der Vater, mit aufgestützten Armen, das Gesicht in die Hände vergraben. Als Sanni den Hof betrat, warf er den Kopf empor, und wie in wilder Freude blitzte es über sein Gesicht. Je näher ihm aber Sanni kam, desto starrer und härter wurden seine Züge wieder, und regungslos, mit lauernd funkelnden Blicken schaute er in ihre scheuen, flehenden Augen, während sie vor ihm stand, bebend am ganzen Leibe, keines Wortes mächtig. Er sprach keine Silbe; er stellte keine [734] Frage an sie; schweigend wartete er, bis sie in leisen, stockenden Lauten die Sprache fand. Und da sagte sie ihm, daß es ihr letzter Gedanke gewesen wäre, ihm das Herz zu betrüben, ihn wissentlich zu hintergehen. Als er das Haus verlassen, hätte sie gethan, wie er ihr befohlen – sie hätte seine Linnengewänder am Brunnen gewaschen. Aber in dem harten, moosigen Brunnenwasser hätte sie das Linnen nicht rein und weiß gebracht, und so wäre sie gegangen, um es im rinnenden Bache zu spülen. Und da wäre er plötzlich vor ihr gestanden – er – und da hätte sie in ihrer jäh erwachten Herzensfreude vergessen, was sie dem Vater vor Wochen in die Hand gelobt. Zitternd verstummte sie; aber immer noch schwieg der Bygotter, ihre Augen gebannt haltend mit funkelnden Blicken – und da begann sie aufs Neue zu sprechen, flüsternd und unter Thränen, und Alles sagte sie dem Vater, was sie ihm von Karli zu sagen wußte – von seiner Liebe und von ihrem eigenen Herzen.

Als sie geendet hatte, erhob sich der Bygotter und winkte ihr, daß sie ihm folgen sollte. Er schritt ihr voraus in die traurig kahle Stube und trat auf den morschen Tisch zu. Hier lag ein großes Buch, und das schlug er auf.

„Komm’ zu mir! Und wenn Du die Wahrheit geredet hast, so lege Deine Hand hierher – auf Gottes Wort!“

Sie legte ihre Rechte auf das Buch. „Daß ich d’ Wahrheit g’sagt hab’, Vater!“

„Und daß Du nichts verschwiegen hast – nichts – nichts?“

„Und daß ich nir verschwiegen hab’!“

So beängstigend auf Sanni bis nun die finstere Starrheit des Vaters gewirkt hatte, ebenso beängstigend wirkte jetzt auf sie die unheimliche Freude, welche jählings aus seinen glühenden Augen brach. Er riß sie an sich und drückte sie an seine Brust, daß ihr der Athem fast verging. Er streichelte ihr mit zitternden Händen das Haar und die Wangen, und während er ihre Stirn mit heißen Küssen bedeckte, lallte und schluchzte er: „Susanna – mein Kind – mein Leben giebst Du mir wieder – und die Hoffnung meiner Seele! Meines Ausgangs Schwelle bist Du, von reinem Holze und unbetreten! Die Leiter Jakob’s bist Du mir – das Siegel der Vollendung! Meine Augen hatten wider Dich gezeuget – und Gott hat gezeuget für Dich. Seine Arme stehen Dir offen – und harren wird er und sitzen auf den Steinen des Weges, wenn Du mir vorangehst, auf daß ich ihn finde, der sich verschließet vor mir!“

Wieder preßte er sie an seine Brust, mit so ungestümer Gewalt, daß ihr unter einem stöhnenden Laute die Sinne vergingen.

Als sie wieder zum Bewußtsein erwachte, sah sie sich in ihrer Kammer auf dem Bette liegen. Draußen in der Stube hörte sie die hastigen Schritte des Vaters, ein Poltern wie von fallenden Scheiten und dann ein Rascheln, als würden Späne auf die Dielen geworfen. Eine Weile lauschte sie in einem traumhaften Zustande den Geräuschen, welche durch die geschlossene Thür an ihr Ohr schlugen und die sie sich nicht zu deuten wußte. Die Gedanken versagten ihr. Aufseufzend drückte sie die Hände vors Gesicht und weinte bittere Thränen. Dann wieder horchte sie – eine Thür hatte sie gehen hören, und es kam ihr vor, als verließe der Vater das Haus. Da hörte sie auch seine Tritte von draußen her über den gepflasterten Vorplatz hallen und auf dem knisternden Kiesweg sich entfernen. Sie sprang vom Bette und eilte an das kleine vergitterte Fenster; aber sie konnte von ihm aus das Zaunthor nicht gewahren. So flog sie auf die Thür zu – und fand sie verschlossen. Mit erschrockenen Augen starrte sie die Bretter an, und dann überfiel sie eine namenlose Angst – um sich selbst? – um den Vater? Das wußte sie nicht; sie fühlte nur, daß es ihr war, als möchte ihr der Herzschlag stocken und das Blut gerinnen. „Jesus Maria!“ schrie sie schluchzend auf und begann mit beiden Händen an der Thür zu rütteln. Ein Knirschen und Knacken – und unter ihrer schwachen Kraft zerbrach das vom Roste zerfressene Schloß. Aufathmend taumelte sie in die Stube. Hier stand sie eine Weile und starrte nach dem Tische, auf welchem zwei lange Kienholzfackeln und ein großes Bündel dünn geschliffener Späne neben schweren Fichtenscheiten lagen, die mit Stricken zu einem mächtigen Packe verschnürt waren. Dann eilte sie in den Flur hinaus und fand auch die Hausthür versperrt. Aber die Stubenfenster waren ja nicht vergittert! Sie flog zurück, riß an einem der Fenster den Flügel auf und sprang in den Hof hinaus. Zitternd lehnte sie sich an die von der sinkenden Sonne röthlich beschienene Mauer und drückte die Hände vor die Augen. Nun wußte sie sich nicht zu sagen, weßhalb sie das Alles gethan, und wozu. Da fielen ihre verstörten Blicke auf das halb offene Zaunthor, welches, vom Winde leicht bewegt, in seinen hölzernen Angeln knarrte. Mit zögernden Schritten näherte sie sich dem Thore, trat unter die leise rauschenden Bäume hinaus und rief mit schwankender Stimme ziellos in die Dämmerung des Waldes: „Vater! – Vater!“

Wie aber hätte der Bygotter diesen schwachen, scheuen Ruf noch hören sollen? Er war schon zu weit von seinem Gehöft entfernt. Er hatte die Straße schon erreicht, auf welcher er mit weit ausgreifenden Schritten dem Dorf entgegenwanderte. Die langen Flügel seines Rockes flatterten hinter ihm; der graue mächtige Bart wehte über seinen Schultern; unter seinen Schritten wirbelte der Staub empor und legte sich weiß in die Runzeln der hochschäftigen Stiefel. Seine Augen waren halb in die Höhe gerichtet und starrten mit flackernden Blicken ins Leere. Er sah nicht die Schönheit des Abends, dessen roth überglühter Himmel die herbstlich bunte Landschaft mit einem zauberhaften Schimmer übergoß. Und als er das Dorf erreichte, schaute er nicht links noch rechts und sah nicht, wie die Leute an die Fenster eilten, wie sie aus den Thüren stürzten, wie sie ihm mit den Armen nachdeuteten und wispernd oder lachend zu einander traten.

Vor einem Hause endlich hielt er still – vor dem Hause des Krämers. Und diese Augen, die der alte Krämer machte, als er den Bygotter in seinen Laden treten sah! Und mehr noch, als er hörte, was der Bygotter von ihm zu kaufen wünschte: ein Messer, wie es die Schlächter führen, mit langem und breitem Stahl, scharfgeschliffen und niemals noch von einer Hand benützt. Kopfschüttelnd legte ihm der Krämer das Gewünschte vor. Mit funkelnden Augen betrachtete der Bygotter das Messer und prüfte die Schärfe der blitzenden Klinge an seinem Daumennagel. Was es kosten sollte? Zwei Mark und achtzig Pfennige – und das wäre geschenkt, meinte der Krämer – auch nur aus alter Freundschaft könnte er das Messer zu diesem Preise lassen. Der Bygotter nickte nur, stieß das Messer in die lederne Scheide und schob es hinter den hohen Schaft des linken Stiefels. Dann sagte er, daß er nicht bezahlen könne – aber er wolle tauschen – Gold für Eisen. Dabei griff er in die Tasche und legte einen kleinen goldenen Reif auf den Ladentisch – den Ehering seines Weibes. Der Krämer machte verdutzte Augen; aber er war mit dem Tausche zufrieden. Das konnte er nun freilich dem Bygotter nicht mehr sagen – der hatte, ohne die Meinung des Krämers abzuwarten, den Laden verlassen.

Und wie er durch das ganze Dorf einhergeschritten, so schritt er nun, der Straße folgend, wieder heimwärts. Doch hatte er die Hälfte des Dorfes noch nicht durchwandert, als er plötzlich wie angewurzelt inmitten der Straße stehen blieb.

Winselnde Geigentöne und schmetternde Trompetenklänge schollen ihm entgegen.

Da wurde dem Pointner mit seiner jungen Bäuerin „heimgeblasen“. Der Zug erfüllte die ganze Straße. Voraus die Musikanten. Hinter ihnen der Hochzeitslader inmitten des Brautpaares – und während Kuni frei an seiner Seite schritt, mit blassem, verstörtem Antlitz, mit schmalen Lippen und gesenkten Augen, hatte er schwere Mühe, den taumelnden Pointner aufrecht zu erhalten und vorwärts zu bringen. Den Dreien folgte ein einzelner Hochzeitsgast mit eingekniffenen Augen, die Cigarre schief im Munde, die beiden Hände in den Taschen der schwarz und grün gewürfelten Jacke.

Dann kam die lange Paarreihe der Mahlgäste, unter ihnen Karli, finster zu Boden starrend, Martl, Zenz und Stoffel mit lachenden Gesichtern. Ein Trupp johlender Burschen und kichernder Dirnen hatte sich dem Zuge angeschlossen.

Näher und näher kam dieser Zug, und immer noch stand der Bygotter auf der gleichen Stelle. Aus seinen Blicken sprühte ein wilder Zorn; seine Hände ballten sich, und an Stirn und Schläfen schwollen ihm die Adern zu dicken Striemen. Und jetzt erhob er mit drohendem Schütteln die Arme; aber die Worte, mit denen er diese Gebärde begleitete, erstickten ungehört unter dem Schmettern der Trompeten.

Nun standen die Musikanten dicht vor dem Bygotter; der Zug staute sich; die Leute reckten die Hälse und traten aus der [735] Reihe. Da schien es, als möchten die Musikanten die Klügeren spielen, denn da der Bygotter nicht zur Seite wich, schwenkten sie um ihn herum. Einen der Bläser schien aber doch die Neugier zu packen; er setzte die Trompete ab und schaute lachend zurück; ein anderer that’s ihm nach, die übrigen geriethen aus dem Takte; nach einem kurzen, ohrzerreißenden Tongewirr verstummte die Musik, und das Gelächter wurde hörbar, mit dem es durch die Reihe schrie und kreischte: „Jesses, der Bygotter, da schaut’s her, der Knotzensepp!“ Im Nu hatte eine lachende Schar den Bygotter umringt, dessen zornig rollende Stimme alle anderen übertönte: „Feste feiern sie, den Bauch füllen sie mit Fraß und Jauche, mit Pauken und Zinken tanzen sie die Straße des Lasters und der Sünde, statt daß sie wandeln den Weg des Herrn in Sack und Asche! Aber kommen wird ein Tag, nahe ist er und eilet schon herbei! Ein Tag des Grimmes ist selbiger Tag, ein Tag der Vernichtung, ein Tag der Finsterniß, ein Tag der Drangsal und Angst!“

„Miau – ouih – au – oh,“ kam es mit Winseln, Stöhnen und Gelächter von allen Seiten, während man den Hochzeitslader die Musikanten anschreien hörte: „Ja malefiz noch amal – spielen, sag’ ich – und weiter! Wie könnt’s Euch denn aufhalten lassen von dem alten Narren da, daß mir der ganze Zug aus einander kommt!“ Dem Pointner aber schien diese Anordnung nicht zu taugen. „Nix da – da’blieben wird!“ lallte er. „Ich möcht’ auch ’was hören – und wann ich gleich an Rausch hab’ – ich g’hör’ ganz vornhin – ich bin der Hochzeiter!“

Und während dieses Durcheinanders von kreischenden Worten und spottenden Lauten rollte und grollte die Stimme des Bygotter’s: „Das Unheil und die Rache sehet Ihr schweben über Eurem Haupte, und nichts thuet Ihr, sie abzuwenden! Ihr ziehet Euch die Strafe her an Stricken des Lasters und an Wagenseilen den Sündenlohn! Das Rind kennt seinen Hüter und der Esel die Krippe seines Herrn; Ihr aber kennt nicht den Gott, von dem Ihr ausgegangen. Ein Volk Gomorras seid Ihr; von Euren Köpfen bis zu Euren Füßen ist an Euch nichts Reines und Gesundes! Die sich Männer heißen unter Euch, sie mästen sich vom Raub der Armen, der in ihren Häusern ist. Stolz dünkt Ihr Euch, und Helden meint Ihr zu sein! Ja, Helden seid Ihr im Schlemmen und Völlern! Und hoffärtig sind Eure Weiber und Töchter! Sie gehen einher mit gerecktem Halse, frech die Augen werfend und klirrend mit silbernen Ketten, die Haare duftend von Oel! Aber ein Tag wird kommen, und statt des Wohlgeruches wird Moder sein, Verwesung statt schwellenden Fleisches und statt der duftenden Haare wird Glatze sein!“

Da hob sich über das Johlen und Lachen, welches die Reden des Bygotter’s begleitete, eine schrille Mädchenstimme: „Buben! Buben! Ihr wollt’s Buben sein und laßt’s auf Euere Deandln solchene Sachen sagen! Pfui der Teufel! Von mir aus könnt’s heut’ Nacht mit die Besenstiel tanzen! Und was a richtigs Deandl is, die halt’s mit mir!“ Und aus der Schar der Dirnen kam die Zustimmung: „Ja! Ja! Ihr seid’s Buben! Schöne Buben!“ Einer der Burschen lachte: „Recht hat d’ Wabi – ganz Recht!“ Eine andere Stimme schrie: „Werft’s ihn ’nein in Straßengraben!“ und eine dritte rieth: „Haut’s ihn durch, daß ihm d’ Heiligkeit zu blaue Fleck’ auswachst!“

Der Bygotter aber streckte die Arme gegen den Himmel und donnerte in die Lüfte: „Ihr Schmähen hörst Du, Gott, und ihre Anschläge wider mich! Zahl ihnen Vergeltung nach ihrem Thun und Reden! Dein Fluch komme über sie! Verfolge sie im Zorne. Tilge sie hinweg –“

„Tilgen? Was? Tilgen? Wart’ – Dir will ich tilgen!“ kreischte der Maurer-Hansl, stürzte auf den Bygotter zu und packte ihn an der Brust. Ein wilder Tumult erhob sich, ein Dutzend Arme schwang sich in die Höhe, und während die Aelteren und Besonnenen, unter ihnen Karli, vergebens zu wehren suchten, regnete es Faustschläge über Kopf und Schultern des Bygotter’s.

Der rührte keinen Arm zur Abwehr. Mit jauchzender Stimme schrie er gegen Himmel: „Sieh, Herr – Deinen Knecht sieh an – was der duldet um Deines Namens willen! Meinen Rücken gab ich den Stoßenden und meine Wange den Schlagenden. Mein Antlitz biete ich der Schmach und dem Speichel! Sieh, Herr – Deinen Knecht sieh’ an –“

Da hatte sich Karli durch den Knäuel der Raufenden durchgezwungen. Unter zornigen Worten schlug er die Arme nieder, die den Alten gefesselt hielten, und stieß ihn gegen die freie Straße. Unter der Wucht dieses erlösenden Stoßes taumelte der Bygotter bis an den Zaun des nächsten Gehöftes. Hier raffte er sich auf, riß vom Halse an das Hemd entzwei und schrie: „Hier – sehet – meine nackende Brust! Ich fürchte nicht Eure Fäuste! Denn nahe ist, der mir Recht schafft! Mit ihm zusammen will ich auftreten. Wer ist mein Gegner – er nahe sich mir! Siehe, sie Alle, wie morsche Rinde zerfallen sie, und ihr Staub zergehet in fließendem Wass…“

Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, und während rinnendes Blut seine linke Backe färbte, stürzte er mit dumpfem Schlag zu Boden.

Ueber die Köpfe der Burschen hinweg hatte von irgendwoher ein Stein die Schläfe des Bygotter’s getroffen.

Allen Andern voraus, eilte Karli auf den leblos Scheinenden zu. Wirres Geschrei erhob sich. Keiner wollte wissen, wer den Stein geworfen, keiner wollte es gethan haben. Und mitten in dieses Schreien, Schelten, Streiten und Jammern schmetterten die Trompeten der Musikanten, die der Hochzeitslader endlich zu Paaren gebracht. Energisch griff er dem Pointner unter die Arme, zerrte ihn an Kuni’s Seite; den Dreien folgten all die Vielen, welche jetzt „dahinten“ nicht mehr „dabei sein“ wollten, und so ging es vorwärts unter lustigen Klängen, bis der Pointnerhof erreicht war.

Hier schenkte der Hochzeitslader dem neuvermählten Paare den sonst üblichen „Zuspruch“. Er schob den lallenden Pointner über die Hausschwelle bis unter die offene Stubenthür. Dann warf er ihn in Kuni’s Arme, rückte den Hut und kehrte schnaufend in den Hof zurück, um die Musikanten nach dem Wirthshaus zu führen.

Während sich unter einem fidelen Marsche der Hof entleerte, zog Kuni in der dämmerigen Stube drinnen den schwankenden Pointner gegen die Kammerthür. Der aber wollte nicht folgen; mit Gewalt suchte er sich loszureißen und lallte dazu mit schwerer Zunge: „Na – net – ich mag net! Mein’ Karli möcht’ ich haben – mein’ Buben! Na – und Kreuz Teufel noch amal – ich laß’ ihn net drauß – unter dene Wildling’ – daß ihm ’was g’schieht – allein – solchene Räuber und Mörder – Spitzbuben – Halunken – Mordbrenner! Mein’ Buben möcht’ ich haben – mein’ Karli!“

Da stieß ihn Kuni mit zorniger Faust in die Kammer und schmetterte zwischen ihm und sich die Thür zu. Schwer athmend stand sie und preßte die Hände wider die Stirn. Eine Weile noch hörte sie den Pointner in seiner Kammer rumoren, dann wurde es stille hinter der Thür. Und da schritt sie wankenden Ganges durch die dunkle Stube, sank stöhnend auf die Holzbank nieder, warf sich über den Tisch, und das Gesicht in die Arme grabend, brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus.




10.


Eine Stunde später – und stille Nacht lag über dem Pointnerhofe. Scharf und schwarz hoben sich die Dächer vom Himmel ab, an welchem in zahlloser Schar die Sterne funkelten. Manchmal trug der wechselnde Wind den vermischten Hall eines Jauchzers und einzelne gedämpfte Klänge der Tanzmusik vom fernen Wirthshaus her. In den Ställen rasselte ab und zu eine Kette; leise flüsterten die nahen Bäume, und melancholisch plauderte der Brunnen.

Mit gekreuzten Beinen, die qualmende Pfeife an den Lippen, saß Götz auf einer Ecke des Brunnentroges. Vor ihm, die Hände hinter dem Rücken verschlungen, stand Martl. Schweigend schauten sie vor sich hin. Sie hatten ja lange genug geredet über diese Hochzeit und über die Geschichte mit dem Bygotter. Das heißt, geredet hatte der Martl, während Götz ein wortkarger Zuhörer gewesen.

Jetzt reckte Martl gähnend die Arme. „No also, legen wir uns halt schlafen.“

„Kannst schon gehn!“

„Und was is dann mit Dir?“

„Ich hab’ noch kein’ Schlaf net!“

„Geh weiter, versaumst ja die schönste Zeit! Aber mein’twegen! Gut’ Nacht!“ Bei diesen Worten hatte sich Martl schon zum Gehen gewandt. Da kehrte er wieder um. „Ja, Du, was [736] ich schier vergessen hätt’. Weißt denn schon, daß wir morgen an neuen Einstand kriegen am Hof? An Herrn Bruder von der gnädigen Frau Bäuerin!“

Götz setzte die Pfeife ab und hob den Kopf.

„Ja, heut’ Nachmittag bei der Hochzeit, da is er auf amal da g’wesen, der Herr Bruder. Kein Mensch net hat ihn kommen sehen. Und a sakrische Freud’ muß die Bäuerin g’habt haben mit ihm. Alle Farben hat s’ g’spielt, und völlig ’zittert hat s’ an Händ’ und Füß’. Und wie der Bauer dazu ’kommen is, da hat sich der Herr Bruder gleich auf B’such eing’laden, und da is Dir die Bäuerin ordentlich erschrocken! G’wiß wird sie sich ’denkt haben, daß der Bauer grob werden könnt’ – auf so a Keckheit ’nauf. Er hat auch net gleich anbeißen wollen, der Bauer. Aber wie nachher die Bäuerin so g’redt hat, als wie wann ’kein rechter Platz net wär’ im Hof, da hat der Herr Bruder seiner Frau Schwester g’rad ’nein ins G’sicht g’lacht. Ja, und den Bauern hat er untern Arm g’nommen und hat ihn wo ’nein’zogen in a Eck, wo s’ nachher ein Haferl um’s ander’ schön sauber aus’bichelt[11] haben mit einander! No ja – und morgen wird er sein’ Einstand halten, der Herr Bruder. Aber kannst Dir denken, was d’ Leut’ für Augen g’macht haben, und wie g’spaßig da um einander g’redt worden is. Wann die Bäuerin schon an Bruder hätt’, warum hat s’ ihn net zur Hochzeit eing’laden und hat net g’redt davon? Und wann s’ ihn schon net eing’laden hat, wieso nachher is er ’kommen? Weßwegen war s’ denn so derschreckt? Und wann s’ ihn net mag, weßwegen laßt s’ ihn denn ins Haus? Ich sag’ Dir’s, Götz, das Fragen und Wispern hat unter die Leut’ schiergar kein End’ net g’nommen! Aber no, jetzt is er amal da, der Bruder! Auf wie lang, das weiß ich net. Geht mich auch nix an! Und jetzt gut’ Nacht.“

Von Neuem gähnend schlurfte Martl davon.

Mit nickendem Kopfe schaute Götz ihm nach, und als der Andere verschwunden war, schleuderte er die Asche aus der Pfeife und stieß mit zornigem Lachen vor sich hin: „Morgen schon oder übers Jahr – aus’blieben wär’ er ja nie net – der Bruder von weiß Gott woher!“

Rasche, hallende Schritte näherten sich auf der Straße.

Götz erhob sich und ging auf das Zaunthor zu.

„Karli!“ rief er mit halblauter Stimme in die Nacht hinein.

„Ja, Götz!“ scholl es entgegen.

Karli betrat den Hof und drückte in zitternder Erregung die Hand des Knechtes.

„Wo kommst denn her so spät? Beim Tanz wirst dengerst so lang net ’blieben sein?“

„Wie kannst denn so ’was denken? Heimschaffen hab’ ich ihn helfen – den selbigen – wirst ja wohl g’hört haben, was g’schehen is! Na! D’ Haar’ möchten Ei’m aufstehn! Komm, Götz, komm! Ganz drucken thut’s mich, daß ich mich amal ausred’ zu Dir!“

Mit ungestümer Hast schob Karli seinen Arm unter den des Knechtes und zog ihn mit sich fort, quer durch den Hof und in den Garten zu jener gleichen Bank, zu welcher Götz ihn am verwichenen Morgen nach jenem plötzlichen Sturze geführt hatte. Noch auf dem Wege zur Bank erzählte Karli, wie er unter Beihilfe einiger anderer Burschen den Bygotter nach Hause geschafft hätte. Der hätte sich aus seiner Betäubung bald wieder erholt; aber wenn sie auch gleich gesehen hätten, daß es so gar gefährlich um ihn nicht stünde, so hätten sie ihn doch nicht mehr aus ihren Händen gelassen. In schäumendem Zorne hätte sich der Bygotter anfangs gegen ihre Führung gewehrt und hätte dazu bald in den lächerlichsten und bald in den unheimlichsten Worten getobt und geschrieen. Als er aber gemerkt hätte, daß ihm alles Sträuben und Toben wenig nützen könnte, wäre er ganz willig und still geworden, und so hätten sie ihn hinausgeführt bis ins Binderholz.

„Stockfinster is ’s g’wesen,“ erzählte Karli, „aber natürlich, den Weg, den hätt’ ich ja mit verbundene Augen g’funden. Kenn’ ja da draußen jeden Span, der um einander liegt, und jeden Stein. Und wie wir nachher so auf dreißig Schritt zum Zaun hinkommen, da hab’ ich gleich g’merkt, daß ’s Thor offen steht, und für’kommen is mir’s, als sehet ich am linken Pfosten so an g’spaßigen Fleck, der sonst net da g’wesen is. Und wie ich noch so hinschau’ durch d’ Finstern, fangt sich der Fleck zum rühren an, und da hab’ ich auch d’ Sanni gleich ’kennt. Sie muß beim Thor heraußen auf ihren Vatern g’wart’t haben, wie wann sie sich schon ’denkt hätt’, daß ’was B’sonders g’schehen wär’. Und da schlagt s’ auch schon d’ Händ’ in einander, und ‚Vater – Vater!‘ schreit s’ – ich sag’ Dir’s, Götz, die Stimm’ is mir durch’s Herz durch’gangen wie a Stich! Und der Bygotter, wie er sein Deandl hört, macht an Rumpler rechts und links, wirft den Ein’ von uns hinum, den Andern herum, fahrt wie der Teufel auf d’ Sanni zu, reißt’s Deandl am Arm mit ’nein in Hof – und die Bretter hat er hinter ihm zug’worfen, daß ’s g’rad so g’scheppert hat. Ehvor noch von uns Einer an Rührer hat machen können, hat der Bygotter schon den Riegel zug’habt – drin im Hof is’s dahin’gangen übern Kies – und gleich drauf hab’ ich d’ Hausthür ’schlagen hören.“

Sie hatten die Bank erreicht. Seufzend ließ sich Karli nieder und zog den Knecht an seine Seite. Dann wieder begann er zu erzählen, von der Begegnung, die er Nachmittags mit dem Bygotter gehabt, von jenem Morgen vor seiner Abreise, von Allem, was er mit eigenen Augen wahrgenommen oder durch Sanni erfahren hatte.

„Die ganze Zeit schon hab’ ich mir’s denkt,“ so schloß er endlich in heißem Eifer, „und heut’ am Heimweg hab’ ich mir’s g’schworen, daß da ’was g’schehen muß. Das arme Deandl hat ja a Leben, daß’s net zum sagen is! Und net amal in die Kirchen laßt er’s gehen, damit sie sich in der Ordnung mit unserm Herrgott trösten könnt’ – und auch diemal mit andere Leut’ reden – wenn’s auch g’rad an einzigs Mal wär’ in der Woch’. Was meinst? Ich hab’ mir schon ’denkt, ich sollt’ mit ’m Lehrer reden, daß sich am End’ der um d’ Sanni annimmt. Oder – wann gar nix hilft – nachher wird halt dengerst der Pfarrer hinter’n Bygotter einrucken müssen!“

„Der Pfarrer? Ah na! Wie ich die Sach’ jetzt anschau’, mein’ ich, daß da der einzig’ rechte Helfer der Doktor wär’ – wenn überhaupts noch was zum helfen is!“

Da fühlte Götz die zitternde Hand des Burschen auf seinem Arme. Wortlos saßen sie eine Weile. Dann athmete Karli tief auf und murmelte:

„Ja – gelt? So ’was hab’ ich mir selber auch schon g’sagt. Aber natürlich, der Sanni z’ lieb hab’ ich halt dengerst net d’ran glauben mögen. An Elend is ’s allweil g’wesen, die ganze Sach’ – aber das, Götz, das wär’ a fürchtigs Unglück!“

„No geh’, mußt Dich auch net gleich von Allem so anpacken lassen!“ mahnte Götz, während er sich langsam erhob. „Mit ’m Jammer is nie nix g’holfen! Machst halt morgen amal an Sprung hin zum Dokter und verzählst ihm Alles. Nachher werden wir schon sehen, was er meint. Oder wann’s Dir lieber is, geh’ ich statt Deiner. Und jetzt verschlafen wir die Sach’ amal!“

„Schlafen? Ich – und schlafen? Unter ei’m Dach, unter dem – ah!“ Dumpf stöhnend schlug der Bursche die Arme über die Stirn. Sein Leid um Sanni hatte ihn die eigenen Sorgen völlig vergessen lassen, und da waren sie nun plötzlich zu doppelt fühlbarer Pein in ihm erwacht.

Mit schwerem Drucke legte sich die Hand des Knechts auf seine Schulter.

„Geh’, Karli, sei gescheit! G’schehen is g’schehen! Jetzt heißt’s halt weiter denken. A Bißl an ungute Zeit wird’s freilich setzen für Dich –“

„So? Meinst? Ah na, kein’ Tag net bleib’ ich im Haus, und wann ich an Bauernknecht machen muß!“

„Ja natürlich, daß Dich d’ Leut’ auslachen! Bist Dein halbeter Vater, der auch gleich ’s Kind mit ’m Bad ausschütt’ und meint, er müßt’ a Dummheit hinter ei’m Unsinn verstecken. Nix da! G’rad jetzt mußt bleiben, Dir selber und Dei’m Vater z’lieb! Wie sich Alles anschaut jetzt, mein’ ich, Du wirst Dich mit ihm so gar hart net fahren. Aber natürlich, nix G’wiß weiß man allweil net, wie ’s Wetter ausfallt mit der Zeit. Das is gar a zitteriger Barameter – die Bäuerin von heut’! Aber mußt denn nachher gleich an Bauernknecht machen? Was ich Dir sagen will – es is g’rad, daß man weiter denkt – für alle Fäll’ – – der schöne Freithof is auf der Gant und wär’ billig zum haben. Mit Dei’m Muttergut, mein’ ich, zahlst ihn baar aus.“

[738] „Vergelt’s Gott, Götz – vergelt’s Dir Gott! Schau, ganz aufg’richt’ hast mich jetzt wieder!“ sprudelte es über Karli’s Lippen. „Gleich morgen red’ ich mit ’m Vater –“

„Oeh a, langsam, langsam!“ lächelte Götz. „Brennt Dir schon wieder ’s Roß mit der Deichsel durch! Für alle Fäll’ – verstehst mich – hab’ ich Dir g’rathen. Und da redst für den Anfang amal gar nix und schaust a Zeit lang zu, wie ’s Wetter thut – und vergißt dabei net, daß Dein Vater allweil Dein Vater is –“

„Das is er auch! Und weil’s mich so anhalt’t an ihn, g’rad deßwegen hätt’ mir nix Aergeres net g’schehen können!“

„No also! Und da wirst nachher schon sehen, wie’s geht. Und daß über die ersten Tag’ a Bißl leichter wegkommst – in der letzten Woch’ hat d’ Holzarbeit am Sonnberg’ ang’fangen und morgen in der Fruh müßt’ ich wieder ’nauf. Geh’ Du statt meiner – aber zeitlich mußt in d’ Höh’ – ich hab’ um sechs Uhr in der Fruh schon ’s Treffen ang’sagt mit die Holzknecht bei der Holzerhütten. Und drum schau’ Dich jetzt um an g’sunden Schlaf um, daß morgen Dein’ Kraft wieder frisch bei ’nander hast. Wann’s Zeit is, weck’ ich Dich schon. Und jetzt gut’ Nacht – und sei mir g’scheit!“

Götz mußte noch den stotternden Dank des Burschen über sich ergehen lassen. Dann trennten sie sich mit einem kräftigen Händedruck. Der Knecht suchte sein Stübchen im Gesindetrakt, Karli seine Kammer im Hause.

[751] Als nun der Bursche lang ausgestreckt auf seinem Lager ruhte, verging ihm noch ein Viertelstündchen in wechselnden Gedanken, bis der gesunde Schlaf ihn überkam, den Götz ihm gewünscht. Und da spann sich ihm der letzte Gedanke – der Gedanke an Sanni – hinüber in einen sorgenlos glückseligen Traum. Das war eine lange Geschichte von zärtlichen Stunden mit traulichem Plaudern und endlosen Küssen. Und im Schlußkapitel dieser in die Zukunft wandernden Geschichte sah sich Karli in die Stube des Bygotterhäuschens treten, die ein warmes, goldig zitterndes Sonnenlicht erfüllte. Auf einem Stuhle saß der kurirte, lustig lachende Bygotter, von dessen Kopf der Doktor eben eine ellenlange, weiße Binde schälte. Und Sanni stand an der Seite des Vaters, von Sonnenglanz umflossen, mit leuchtenden Augen, mit glühenden Wangen, das gewisse, flimmernde Krönlein über den zierlich geflochtenen Haaren.

Dieser Traum aber – wie wenig entsprach er der Gegenwart und Wirklichkeit!

Nicht warmes, goldig zitterndes Sonnenlicht erfüllte die Stube des Bygotterhäuschens, sondern der röthlich trübe, zuckende Schein eines mit rußender Flamme brennenden Kienspanes, der in einer Klunse des brüchigen Kachelofens steckte. Hinter diesem Ofen lag der Bygotter auf seinem Kotzenbette, mit verbundenem Haupte. Frische Blutspuren zeigten sich auf seiner fahlen, furchigen Wange und von geronnenem Blute war sein Bart verfilzt. Sanni saß vor ihm auf einem hölzernen Schemel, und während sie die Arme des Vaters auf die Decke niederzudrücken suchte, schluchzte und stammelte sie:

„Vaterl – schau – um tausendgotteswillen thu’ ich Dich bitten – hab’ Dich doch stad – und laß mich fortgehn, daß ich um an Dokter schau!“

„Thörin, Du – Thörin! Was schauest Du mit Deinen Augen aus nach Menschenhilfe! Den Gott verderben will, für den ist Hilfe nicht bei Menschenhänden! Den Gott erretten will, den hauchet er an mit seines Mundes Odem – und siehe, er geht gesund von dannen!“

„Vaterl – mein Gott – so laß Dir doch sagen – schau, g’rad a Bißl hab’ Dich stad! Es muß Dir ja schaden.“

„Nein – nein – nicht ruhen will ich und will nicht schweigen – und stille will ich nicht sein! Denn siehe, meine Feinde toben, und meine Hasser heben das Haupt! Herr – Herr – thu’ ihnen wie Midian, wie Sissera, wie Jabin am Bache Kison! Mache sie dem Wirbel gleich – den Stoppeln vor dem Winde! Verfolge sie mit dem Feuer, das den Wald verbrennt und den Berg entzündet! Verfolge sie mit Deinem Sturme – mit Deiner Windsbraut scheuche sie fort! Zu Schanden müssen sie werden – zu Schanden – umkommen in Hohn und Ekel –“

Er wollte vom Lager springen, aber kraftlos sanken ihm die Arme nieder; schwer fiel sein Haupt zurück auf das raschelnde Kissen, und ein gedehntes Stöhnen quoll aus seiner tief einsinkenden Brust:

„O – o – wie glühender Brand ist mein Gebein – meine Zunge klebt am Gaumen – welk gesenget wie Gras ist mein Herz – um Deines Zornes willen – denn aufgehoben hast Du mich und hast mich niedergeworfen –“

Und wieder erstickte seine Stimme unter dumpfem Stöhnen.

In wortlosem Kummer schlug Sanni die Hände vor das Gesicht und weinte:

„Na – na – mein lieber, lieber Herrgott – was thu’ ich denn g’rad – was thu’ ich denn?“

Die flackernde Helle, welche in der Stube herrschte, wurde trüber und trüber. Der Span war niedergebrannt, und glühende Kohlenstückchen fielen von dem qualmenden Stumpfe, der zu erlöschen drohte. Mit einem müden Seufzer erhob sich Sanni, steckte einen neuen Span in Brand und trat die auf den Dielen zerstreuten Funken aus. Dann kehrte sie zum Vater zurück, befühlte in zitternder Sorge seine glühenden Hände und flüsterte: „Vaterl – Vaterl – laß mich doch gehn! Schau, g’rad fliegen will ich – und auf der Stell’ wieder will ich da sein!“

Er schien sie nicht zu hören; schwer athmend lag er, unverständliche Worte raunend, die heißen Augen mit starrem Blick zur Höhe gerichtet. Ohne sich zu regen, ließ er es geschehen, daß ihm Sanni den blutbefleckten Bund von der Schläfe löste. Beim Anblick des zerrissenen Fleisches überrann ein Schauer ihre Schultern. Sie tauchte den Bund in kaltes Wasser und legte ihn wieder über die wunde Stelle. Wankend, als brächen ihr die Kniee, ließ sie sich auf den Schemel nieder, drückte ihre Hände über die Hände des Vaters und hing mit nassen Augen unverwandt an seinem Gesichte.

Lautlose Minuten verrannen. Ruhiger und ruhiger wurden die schweren Athemzüge des Bygotters; seine Züge verloren ihre Starrheit und erschlafften – und da schloß er nun tiefseufzend die faltigen Lider.

Zweimal erhob sich Sanni, um neues Kienholz aufzustecken, und einmal ging sie, ein Fenster zu öffnen, damit der Qualm, der die Stube füllte, einen Abzug fände. Und immer lag der Vater regungslos und mit geschlossenen Augen. Das gewahrte Sanni mit beklemmender Freude. Und da meinte sie, daß sie wohl auch das Haus verlassen könnte, ohne daß der Vater erwachen würde. Es war wohl ein weiter Weg, den sie im Sinne hatte – aber sie selbst brauchte ja diesen Weg nicht ganz zu machen; nur bis zum ersten Hause wollte sie laufen und Jemand wecken, der ihr für gute Worte ins Dorf hinein nach dem Doktor ginge.

Mit vorsichtigem Zögern erhob sie sich, zog ein wollenes Tuch von der Ofenstange und schlang es um die Schultern. Unhörbaren Schrittes näherte sie sich rücklings der Thür und verwandte dabei keinen Blick von den geschlossenen Augen des Vaters. Der Athem stockte auf ihren offenen Lippen, während sie mit der einen Hand den Drücker, mit der andern den Schnabel der Klinke faßte. Tief athmete sie auf, als es ihr gelungen war, die Thür lautlos zu öffnen, und auf den Zehen huschte sie über die Schwelle.

[752] Da kam’s wie ein Rasseln und Aechzen aus der Stube.

Der Bygotter war aus den Kissen aufgefahren. Mit glühenden Augen spähte er nach allen Winkeln; seine Züge erstarrten wie in tödlichem Schreck; keuchend hob sich seine Brust, und mit gellendem Schrei durchhallte Sanni’s Name das nachtstille Haus.

Bleich und zitternd stürzte Sanni in die Stube, riß das Tuch von ihren Schultern und eilte auf den Vater zu, der sich vom Lager erheben wollte. Mit stammelnden Worten suchte sie ihn zu beruhigen. Er aber krampfte die knöchernen Finger um ihre Hände, drückte sie vor dem Bette aus die Kniee nieder und schrie ihr mit schäumendem Zorne ins Gesicht: „Wohin wolltest Du – wohin – wohin?“

Unter Schluchzen gestand sie ihm, weßhalb sie die Stube verlassen hätte.

Aufathmend beugte er sein Gesicht dem ihrigen entgegen und schaute ihr mit durchbohrendem Blick in die Augen. Dann ließ er ihre Hände, drückte sie an seine Brust und streichelte ihr Haar. Mit bebender, kaum verständlicher Stimme raunte er zu ihr nieder:

„Nein – nein – Du hast mir nicht entlaufen wollen – zu ihm, der Deinen Vater bestehlen will – um den Baustein seines Werkes – um den Tag der Vollendung. Deines Vaters Tochter bist Du – nicht Deiner Mutter Kind – Deiner Mutter, die ihren Mann verwarf – und nicht hören wollte seines Gottes Stimme –“

Er fühlte, wie Sanni unter seinem Arme zuckte, als wollte sie sich ihm entwinden – und da preßte er sie noch enger an seine Brust.

„Deines Vaters Tochter bist Du –“ flüsterte er in Lauten unheimlicher Zärtlichkeit, „Deines Vaters – an dem Du hangest in Liebe! Und Einen weiß ich, der es Dir lohnen wird; auf seine Hände wird er Dich nehmen und wird Dich erheben, auf daß Du die Größe Deines Vaters siehest. Das Fürchten wird er aus Deiner Seele blasen, und Deine Sorge wird sein wie Spreu im Winde. Mein Leiden sieht er – und sein Blick ist Heilung und Kraft. Er ist der Gott, der Wunder thut. Ihn sahen die Wasser und bebten. Fluthen gossen die Wolken, vom Donner dröhnte die Luft, und seine Pfeile flogen. Horch auf, mein Kind – hörst Du ihn? Seine Stimme redet und Donner krachen im Wirbelwind – es zittert und wankt die Erde!“

Unter Thränen seufzend schüttelte Sanni den Kopf und schaute mit traurigen Augen zu ihrem Vater auf, der wie in athemlosem Lauschen regungslos ins Leere starrte.

Da huschte ein dumpfes Klirren durch die Stube – ein großer Nachtfalter war in vollem Fluge wider eines der Fenster geprallt.

„Hörst Du ihn?“ schrie der Bygotter auf und zerrte an beiden Armen das Mädchen zu sich empor. „Er pochet an bei mir mit seiner weiten Hand! Er will mich des Weges mahnen! Und sein Wille ist geschehene That! Wie Wasser vom Steine rinnet, rinnet der Schmerz von mir! Sieh her – Susanna – sieh her!“ Mit zitternden Händen riß er sich den feuchten Bund vom Kopfe. „Wo siehst Du noch Blut und Wunde an meinem Haupte? Er ist der Gott, der Wunder thut! Lobet ihn!“

„Vater – Vater – um Gotteswillen – ja was thust denn? Jesus Maria!“ schluchzte Sanni in Angst und Sorge.

Doch ungehört verhallte ihr Schluchzen unter dem Jauchzen des Bygotters: „Lobet ihn vom Himmel her, all seine Engel, all seine Heere! Lobet ihn, Sonne und Mond, alle leuchtenden Sterne! Denn er gebot und ihr waret geschaffen! Lobet ihn von der Erde her, ihr Ungeheuer und alle Tiefen, Feuer und Schnee, Sturmwind, der seine Stimme trägt! Lobet ihn, Berge und Thäler, Felsen und Gewässer, Bäume und liebliche Blumen! Lobet ihn, Thiere und alles Vieh, Gewürm und gefiederte Vögel! Lobet ihn, Könige und Völker, Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Knaben! Lobet ihn – erhaben ist sein Name allein, seine Herrlichkeit über Erde und Himmel!“

Mit verzücktem Gesichte sank der Bygotter in die Kissen zurück; wie Flammen brannten seine Augen, und es zitterte sein mächtiger Bart, während seine Lippen in unverständlichem Gemurmel sich bewegten.

Mit scheuen Augen schaute Sanni zu ihm auf; es berührte sie so eigen, als sie gewahrte, daß die Wunde an des Vaters Schläfe sich wirklich geschlossen und zu bluten aufgehört hatte.

Als sie den Bund, den er noch immer in seinen zuckenden Fingern hielt, unter seinen Händen hervornehmen wollte, zog er sie an ihren Armen in die Höhe und raunte ihr zu: „Geh, Susanna – geh zum Fenster – und siehe, wie weit der Tag noch ist!“

Sie erhob sich, näherte sich dem Fenster, wischte den grauen Thaubehauch vom Glase und blickte nach dem Himmel.

„Es muß bald tagen, Vater. D’ Stern’ verlöschen schon.“

Tiefathmend richtete der Bygotter sich noch höher empor, und seltsam feierlich klang die Stimme, mit welcher er dem Mädchen zurief: „So hole mir Wasser, daß ich mich wasche!“

Sanni zögerte und wollte sprechen. Ihr Zögern aber schien den Vater in Zorn zu bringen, und in scharfem Ton wiederholte er: „Bringe mir Wasser, daß ich mich reinige!“

Da nahm sie das Becken mit dem blutigen Wasser von der Erde und verließ die Stube. Müden Schrittes trat sie ins Freie. Auf dem Grunde und über dem Walde lag noch die dunkle Nacht, während die Spitzen der Berge sich schon in mattem Grau vom Himmel abhoben, an welchem nur einzelne Sterne noch mit zuckenden Strahlen gegen das bleiche Licht des nahenden Morgens kämpften. Mit leisem Fauchen zog der herbstlich kalte Frühwind um das Haus. Fern aus dem Thalgehölze tönte der klagende Ruf eines Käuzleins, und über den Bach herüber, von den Waldgehängen des Sonnberges, hallte das dumpfe Röhren eines brünftigen Hirsches.

Ein Schauer flog über Sanni’s Schultern, als sie über die Schwelle trat. Und dennoch that ihr die kalte Luft so wohl, die sie mit langem Athemzuge zwischen die zitternden Lippen sog.

Nun stand sie am Brunnen. Im Troge wusch sie das Becken rein und schob es unter den spärlich rinnenden Strahl. Und während mit Plätschern und Gurgeln das Gefäß sich langsam füllte, schlang Sanni die Arme um den Brunnenstock und drückte die heiße Stirn in den feuchtkühlen Moosbehang. Sie war wie betäubt und hatte keinen Gedanken, der ihr zu vollem Bewußtsein kam. Nicht nur in ihren Gliedern spürte sie diese durchwachte Nacht; nach all dieser Aufregung, Angst und Sorge kam die gedankentödtende Erschlaffung.

Das Becken war gefüllt. Seufzend nahm sie es auf, vergoß einen Theil des Wassers wieder und kehrte in das Haus zurück.

Als sie die Stube betrat, erschrak sie. Aber sie sprach kein Wort. Was der Vater sonst bei Aufgang der Sonne zu thun pflegte, das schien er eben nun einmal bei grauendem Morgen beginnen zu wollen. Er stand inmitten der Stube, hatte die weiße Leinenbinde um das Haupt gewulstet und trug jenes seltsame leinene Gewand, das ihm Sanni vor langen Wochen nach seiner Angabe hatte fertigen müssen. Und er mußte das Kleid nun in fieberhafter Eile umgeworfen haben: das sah sie noch an der zitternden Hast, mit welcher er irgend ein Etwas hinter dem breiten Leinengurt verbarg, der um seine Hüften geschlungen war.

Sanni wußte, wie wenig ihr Reden und Bitten beim Vater galt, wußte, daß der leiseste Widerspruch ihn zu maßlosem Zorne reizte – und dennoch – als sie ihm näher trat und seine in dunkler Röthe glühenden Wangen, seine brennenden Augen sah, da wollte sie dennoch sprechen und bitten. Aber die Heftigkeit, mit der ihr der Vater befahl, das Becken unter seine Hände zu halten, erstickte die Sprache auf ihren Lippen. Unter murmelnden Worten wusch er sich die Hände; dann mußte sie das Gefäß auf die Erde stellen, und er tauchte die nackten Füße in das Wasser.

„Rein bin ich, Herr – und den Weg will ich gehen, den Du gezeiget Deinem Knechte!“ sprach er mit hallender Stimme vor sich hin. „Die Stunde ist gekommen – schon grauet der Tag – und es ist Zeit zum Werke.“

Seine hohe, hagere Gestalt schien noch zu wachsen, als er dem Tisch sich näherte.

„Komm her, Susanna – komm her zu mir – dies sollest Du tragen!“

Er nahm das Bündel Späne vom Tische und band es auf Sanni’s Rücken. Das schwere Scheitholz schnürte er über die [754] eigenen Schultern. Eine der zwei langen Kienholzfackeln schob er gleich einem Schwerte hinter den Leinengurt, die andere nahm er in die Rechte und entzündete sie an dem flackernden Spane, der den engen Raum erleuchtete. Als die Fackel mit heller Flamme brannte, hieß er Sanni vorangehen in den Flur – und als das Mädchen im Dunkel der Thür verschwand, schlich er lautlosen Trittes dem Ofen zu und riß die Leuchte aus der Klunse. „Alles – Alles, Herr – mein Weib – mein Haus – und mein Letztes!“ raunte er mit grinsendem Lächeln vor sich hin und stieß das brennende Ende des Spanes zwischen die Kotzen und das Heu seines Bettes. Ein rasches Feuer lief, die krausen Härchen der wollenen Decke sengend, über die ganze Länge des Lagers. Doch ehe noch aus dem Heu die helle Flamme aufwärts leckte über die Wand, hatte der Bygotter schon den Flur betreten und die Thür hinter sich ins Schloß geworfen. Da faßte er Sanni bei der Hand und zog sie an seiner Seite über die Hausschwelle.

Während sie hinaustraten in den grauenden Morgen, fiel es Sanni auf, daß der Vater Eines vergessen hatte, das ihm doch sonst bei jedem solchen Gange die Hauptsache war. Und damit ihn diese Vergeßlichkeit, wenn er sie wahrnähme, nicht erzürnen möchte, mahnte sie ihn mit schüchterner Stimme: „Vater – ’s Fetter hast, und ’s Holz, aber – aber –“

Der Vater schien sie zu verstehen, und es ward ihr so seltsam zu Muthe, als sie das starre Lächeln sah, mit dem er sagte: „Gedulde Dich, mein Kind – Gott wird sich sein Opfer ersehen!“

Sie schritten über den knirschenden Kies dahin. An der Stelle, an welcher der schmale Sandweg sich nach dem steinernen Tisch in die Wiese abzweigte, zögerte Sanni.

„Komm’ – es dehnet sich der Weg!“ hörte sie den Vater murmeln, der seine Hand noch fester um ihre Finger schloß, um sie in rascherem Gange mit sich fortzuziehen.

Und so durchschritten sie das Thor und wanderten durch die thaufeuchten Birkenbüsche dem Bache zu, den sie an seichter Stelle durchwateten. Dann ging es bergwärts durch den pfadlosen Tannenwald.

Von der brennenden Fackel des Bygotters qualmte der Rauch empor und scheuchte die kleinen Vögel, die mit erschrockenem Pispern durch das wirre Netz der Zweige flatterten. Einmal flog ein Häher auf und kreischte und gackerte wie in Zorn und Entsetzen. Die Fackelflamme loderte im thalwärts ziehenden Winde, und immer trüber wurde ihr röthliches Licht, je heller der Himmel durch die leise nickenden Zweige blickte.

Rastlos schritten die Beiden bergan. Sanni athmete schwer; aber sie hatte nicht den Muth, den Vater um kurze Ruhe zu bitten; er schien es so eilig zu haben.

Nun erreichten sie einen breiten Pfad, der in mäßiger Steigung zur Höhe führte. Ihm waren sie eine kurze Weile gefolgt, als der Bygotter jählings die Schritte verhielt. Zorn und scheue Furcht zugleich sprach aus den weit offenen Augen, mit denen er nach einer feuchten Stelle des Weges starrte, auf welcher sich die frische Spur eines genagelten Schuhes zeigte. Lauschend richtete er sich auf, schüttelte den Kopf, daß sein Bart in langen Wellen schwankte – und sie stiegen weiter zur Höhe. Doch immer wieder zeigte sich jene Fährte. Je häufiger sie erschien, desto mehr überkam eine zitternde Unruhe den Bygotter. Dann endlich blitzte es in wilder Freude aus seinen Augen; er hatte gewahrt, daß jene Spuren einem schmalen Steige folgten, der von dem breiten Wege seitwärts in den Hochwald lenkte.

Sanni war so erschöpft, daß sie auf einen Baumstock niedersank, während der Vater einige Schritte dem seitwärts ziehenden Steige folgte. Nun riß er sie am Arme empor. „Komm – komm – des Herrn Auge will erwachen!“ fuhr er sie mit heiserer Stimme an und zerrte sie mit sich fort.

Sie gelangten auf eine lichte Rodungsfläche und sahen ein Rudel Hochwild über Gestrüpp und dorrende Kräuter flüchten. Eine kurze Strecke ging es noch durch steilen Lärchenwald. Die Dämmerung hatte sich zum hellen Morgen gewandelt, als sie eine von welkem Gras übersponnene Kuppe erreichten, welche zwei bewaldete Schluchten von einander trennte und gegen die kahlen Wände des Sonnberges hin mit niederen, brüchigen Abstürzen in ein weites, von wirren Steinblöcken überstreutes Felsenkar verlief.

Der Bygotter entzündete die zweite Fackel an dem niedergebrannten Stumpfe und stieß sie aufrecht in eine morsche Stelle des Grundes. Dann warf er von seinem Rücken die Fichtenscheite auf die Erde und nahm die Späne von Sanni’s Schulter.

Athemlos und vor Ermüdung am ganzen Leibe zitternd kauerte sich Sanni auf den kalten Boden. Mit verlorenen Blicken schaute sie zum zerrissenen Grat des Sonnbergs auf, der schon in röthlichem Lichte glühte. Sie schaute über Wälder und Wälder in die weite Ferne, wo der Himmel mit langgestreckten, in bunten Farben leuchtenden Wolken überzogen war. Sie blickte nieder ins Thal, das noch im grauen Morgenschatten lag und von weißen Nebelstreifen übersponnen war, die in trägem Zuge die winzigen Häuser des Dorfes enthüllten und wieder verbargen. Ihre Blicke wanderten aufwärts über die tausend Wipfel und irrten über die zu ihrer Linken liegende Waldschlucht nach dem jenseitigen Gehänge, durch dessen gelblich grüne Lärchen sie das steinbeschwerte Schindeldach einer Holzerhütte gewahren konnte. Dann wieder folgte sie mit müden Blicken dem Vater, der aus dem Felsenkar in keuchender Eile Steine um Steine schleppte, die er auf der Höhe der Kuppe zu einem breiten, ebenen Sockel an einander reihte. Ueber diese Steine schichtete er im Geviert die schweren, langen Fichtenscheite, und beinahe kindisch war die emsige Genauigkeit anzusehen, mit welcher er die in der Mitte gebrochenen Späne in die Lücken des Holzstoßes vertheilte.

Da fluthete eine grelle, warme Helle über den Grund – hinter den fernen Bergen war die Sonne aufgetaucht. In wirren Stößen wechselte der Wind; er trug den Glockenschlag der sechsten Stunde vom Thal herauf und machte die trübe, qualmende Fackelflamme lodern und rauschen.

Fröstelnd, die Arme um die Kniee geschlungen, saß Sanni auf der Erde. Mit nassen, traumverlorenen Augen starrte sie in die Sonne. Sie sah nicht, wie der Vater mit seinem seltsamen Werke zu Ende gedieh, wie er ein Bündel Stricke vor den Holzstoß legte und ein großes, blitzendes Messer zur Bereitschaft in eines der obersten Scheite stieß. Sie fühlte nur plötzlich, wie er sie am Arme faßte und emporzog. Als sie zu ihm aufschaute, erschrak sie bis ins Herz vor seinem Gesichte und seinen Augen, und da folgte sie ihm willenlos zur Höhe der Kuppe.

„Kniee nieder,“ keuchte er, „und ich will Dir sagen, wie Du beten sollest.“

Zitternd that sie, wie er wollte, und sprach in stotternden Lauten seine Worte nach.

„Gott ist mein Hirt,“ so betete er mit heiserer Stimme vor, „auf grünem Anger lagert er mich – und meine Seele erquicket er. Auch wenn ich wandle – durch ein Thal des Todesschattens – fürchte ich – nichts Uebles – denn Du, Herr, bist bei mir – ich stütze mich auf Deinen Stecken! Du rüstest mir – ein Mahl – salbest mit Oel mein Haupt – mein Becher fließet über –“

„Mein Becher – fließet über –“ stammelte Sanni; während dieser Worte glitten ihre Blicke nieder ins Thal, und Entsetzen lähmte ihre Zunge, als sie an einer Stelle des ebenen Waldes schwarze, von rothen Flammen durchzüngelte Rauchwolken in die Lüfte steigen sah.

„Und ich wohne – in Deinem Hause immerdar!“ betete der Bygotter.

Da raffte sich Sanni von der Erde empor, krampfte die eine Hand in die Schulter des Vaters, streckte die andere nach dem Thale und kreischte in verzweifelter Angst: „Jesus Maria – Vater – da – da schau – brennen thut’s – unser Haus brennt – unser Haus!“

Sie wollte thalwärts stürzen, doch mit eisernem Griffe fühlte sie sich von den Händen des Vaters gefangen.

„Laß brennen!“ keuchte er, „laß brennen! Gott wird Deinem Vater Paläste bauen! Laß brennen – und – und nicht warten soll er – er sehnet sich – seines Opfers –“

Mit jähem Griffe zerrte er die Zöpfe von ihrem Haupte, daß sie aufschrie in Schmerz und Angst. Mit beiden Händen riß er ihr das Mieder vom Leibe – und da begann sie mit schlagenden Armen sich zu wehren und kreischte und lallte: „Um Herrgottswillen – Vater – laß mich doch gehn – Jesus Maria – Vater – was thust denn – Vater!“

Er aber hörte ihr Flehen nicht, gewaltsam sprengte er die Nesteln ihres Gewandes, zerriß das Linnen an ihrem Halse und [755] keuchte: „Und es geschah – nach diesen Dingen – daß mich der Herr – versuchte – und er sprach: nimm doch Dein Kind – Dein einziges – das Du liebest – und opfere mir – Dein Kind – auf einem Berge – den ich Dir sagen werde –“

Da wich aus Sanni’s Armen die letzte Kraft; wie Erstarrung kam es über ihre Glieder; sie stierte in das grinsende Gesicht des Vaters, erkannte den Wahnsinn in seinen glühenden Augen, erkannte, daß sie verloren war – und unter einem gellenden, markerschütternden Aufschrei schwanden ihr die Sinne.

Wie der Ton einer springenden Glocke zitterte dieser Schrei durch die Lüfte, weckte im Walde und an den kahlen Felsenwänden das Echo und drang über die schattige Schlucht – durch Bäume und Bäume – bis vor das kleine hölzerne Haus, vor dessen offener Thür Karli stand, den Hut in Händen, den Bergsack mit dem Wettermantel hinter den Schultern. Lauschend mit erhobenem Kopfe stand er. Vor kurzer Weile schon meinte er eine kreischende Stimme gehört und erkannt zu haben. Nun schlug der verhallende Schrei an sein Ohr – und da hielt es ihn nicht länger. Er schleuderte den Hut bei Seite und rannte zwischen den Bäumen dahin. Als er das Gehänge der Schlucht erreichte und den Ausblick nach der Sonnbergplatte gewann, bot sich seinen Augen ein Bild, das ihm unter Grausen und Entsetzen einen eisigen Schauer über den Nacken jagte. Der Herzschlag stockte ihm; er stand einen Augenblick wie gelähmt; nun aber stürzte er mit verzweifelten Sprüngen über den steilen Hang der Waldschlucht nieder, und während er sich auf der anderen Seite aufwärts mühte, stammelte er mit blassen Lippen: „Heilige Mutter – Dich thu’ ich bitten – g’rad net z’spät kommen laß mich – g’rad net z’spät!“

Als er den waldigen Saum der Kuppe erreichte, wankten ihm vor Erschöpfung die Kniee. Der Athem versagte ihm; er griff mit beiden Händen in die Luft und taumelte wider den Stamm einer Lärche. Doch unter dem ersten Blick, mit dem er die Höhe der Kuppe suchte, mit dem er die lodernde Flamme und den Scheiterhaufen gewahrte und auf ihm den weißen, leblos scheinenden Körper, halb verdeckt durch die Gestalt des Bygotters, der mit glühenden Augen gegen Himmel starrte und in der Rechten das blitzende Messer geschwungen hielt – bei diesem ersten Blicke schon kehrten ihm die verlorenen Kräfte zurück. Er warf die Arme in die Höhe und stürmte in gewaltigen Sprüngen den grasigen Hang empor. Unter seinen Füßen bröckelte der morsche Grund, Steine rieselten und rollten – das aber hörte der Bygotter nicht – der hatte nur Ohr und Auge für den Himmel und rief mit schäumendem Zorn in die Lüfte: „Herr – Herr – was schweiget Deine Stimme – siehe – ich stoße zu – ich stoße!“

Bei diesem Worte fuhr er mit der Linken in Sanni’s gelöste Haare und zerrte mit wilder Grausamkeit das todtenblasse Haupt seines Kindes über den Rand der Scheite nieder. In seiner Rechten zuckte die blitzende Klinge – doch ehe sie zum Stoße niederfahren konnte, schlugen sich Karli’s Hände mit eisernem Griff um den Arm des Bygotters. Dem sprangen jählings die Finger auf, im Bogen schwirrte das Messer über die Böschung der Kuppe hinaus – ein Laut, wie das kurze, heisere Brüllen eines rasenden Stieres – ein starrer Blick noch, Aug’ in Auge – dann lagen die Beiden an einander, Brust an Brust, Wange an Wange, mit regungslosen Armen sich umkrampfend. Kein Wort, kein Schrei, nur schnaubendes Keuchen und rasselnder Athem quoll aus ihrem Munde. Sie wichen nicht von der Stelle; sie schwankten im Ringen nur hin und her, und ihre Füße wühlten sich in die morsche Erde, während an ihren Gesichtern und Fäusten die Adern zu dicken Schnüren schwollen und die Haut in bläulicher Röthe sich straffte. Doch gegen die zähe Kraft des Wahnsinns kämpfte hier die doppelte Macht der Jugend und Liebe. Der Bygotter taumelte, und Karli gewann den ersten Schritt. Dieser kleine Vortheil stärkte und befeuerte seine Kräfte; er gewann einen zweiten Schritt, einen dritten. In wilder Verzweiflung rang und kämpfte der Bygotter; doch Karli zerrte, stieß und drängte ihn Schritt um Schritt aus der Nähe des Holzstoßes, mehr und mehr dem Absturz der Kuppe entgegen. Da wich der Grund unter den Füßen seines Gegners; Karli warf sich nach rückwärts und schmetterte zugleich die mit dem ganzen Aufgebot seiner Kräfte jählings befreiten Fäuste wider die Brust des Bygotters. Dieser taumelte, warf die Hände mit den Fetzen, die er aus dem Gewande des Burschen gerissen, schlagend in die Höhe, brach unter einem gurgelnden Wuthgeschrei in die Kniee und rollte und stürzte, von Staub und Steinen umwirbelt, über die steile Böschung nieder in das Felsenkar.

Karli stand und drückte die zitternden Fäuste auf seine Brust, die sich unter fliegenden Athemzügen hob und senkte. Die dunkle Röthe seines Gesichtes wandelte sich in fahle Blässe und wortlos rührten sich seine Lippen, während er dem Stürzenden den Rücken kehrte. Mit vorgestreckten Armen und laut aufschluchzend eilte er dem Scheiterhaufen zu. Doch mochten ihm Schreck und Grausen auch Herz und Seele füllen – als seine Blicke über die schutzlose Schönheit des Mädchens glitten, das in regungsloser Ohnmacht über den scharfkantigen Scheiten lag, überkam es ihn wie süßer Schauer. Mit einem zitternden Athemzuge schloß er die Augen und preßte die Fäuste über die Lider. Ein rappelndes Geräusch, das sich aus der Tiefe des Felsenkars vernehmen ließ, schreckte ihn auf.

„Heilige Mutter, o heilige Mutter –“ stammelte er, riß in angstvoller Hast das Messer von der Hüfte und durchschnitt die Stricke, mit denen Sanni’s Hände an die Knöchel ihrer Füße gefesselt waren. Dann raffte er seinen Wettermantel auf, der ihm während des Kampfes aus den Riemen des Bergsackes geglitten war, warf ihn über Sanni, und ihren Körper in die große weiche Kotze hüllend, riß er sie mit beiden Armen empor an seine Brust. Ihr blasses Haupt schwankte über seine Schulter, ihre gelösten Haare rieselten bis zu seinen Knieen nieder – er wollte sie noch bequemer legen; doch über den Rand der Kuppe tauchte schon das grausenhaft verzerrte, blutüberronnene Gesicht des Bygotters auf, und getrieben von Angst und Entsetzen stürzte Karli mit seiner Last davon. Er gewann den Schatten der Bäume und die Tiefe der Waldschlucht. Bei dem kühnen Sprunge, mit welchem er über das verwaschene Rinnsal des Baches setzte, erwachte Sanni aus ihrer Ohnmacht. Mit starren Augen schaute sie um sich, erkannte den Geliebten, schlang unter wimmernden Lauten die Arme um seinen Hals, und wieder schwanden ihr die Sinne.

Karli vermochte kaum mehr zu athmen; seine Kniee wankten; träger und schwerer wurden auf dem steilen Gehänge seine steigenden Schritte, und während tief aus dem Thal ein dumpfer verworrener Lärm und die rasch auf einander folgenden Schläge der Feuerglocke tönten, hörte Karli hinter sich schon das Brechen von Zweigen, das Knattern fallender Steine und das Keuchen des Verfolgers.

Schon meinte er, daß ihm kein anderer Ausweg mehr verbliebe, als seine Last auf die Erde zu legen und von Neuem den Kampf mit dem Wahnsinnigen anzunehmen. Da scholl es aus der Höhe des Waldes mit gedehntem Rufe: „Heda – Götz – heda!“

Von Karli’s Lippen gurgelte ein erstickter Freudenschrei – das mußten die Holzknechte sein, mit denen Götz um die sechste Morgenstunde das Treffen angesagt. Er raffte seine schwindenden Kräfte zusammen und schrie mit gellender Stimme gegen die Höhe: „Mannerleut’ – Jesus Maria – Mannerleut’ – da her – da – da!“

Erschrockene Stimmen gaben ihm Antwort, und unter den Bäumen tauchten drei stämmige, verwitterte Gestalten auf. Was ihre Augen gewahrten, das verstanden sie nicht. Aber es genügte ihnen, daß sie den Sohn ihres Brotherrn erkannten, daß sie ihn verfolgt sahen – und als sie gar in der halb lächerlichen, halb grauenerregenden Erscheinung, die über den jenseitigen Hang der Waldschlucht niederstürmte, den Bygotter zu erkennen meinten, warfen sie ihre Geräthe bei Seite und stürzten an Karli vorüber dem Verfolger entgegen.

Der Bygotter sah sie kommen, hielt inmitten des Hanges inne, ballte in grinsender Wuth die dürren, blutigen Fäuste, und während Karli erschöpft und keuchend mit seiner Last die sichere Höhe gewann, flüchtete der Wahnsinnige in rasendem Laufe thalwärts und verschwand mit zornig gellendem Gelächter hinter den schlagenden Zweigen eines dunklen Tannendickichts.


[767]
11.

Längst waren die Schläge der Feuerglocke schon verstummt; doch immer noch eilten neue Gruppen von Leuten und Kindern nach dem Binderholze hinaus. Aber nur Schreck und Neugier trieb sie, nicht das Mitleid; denn von Jenen, welche bereits zum Dorfe zurückkehrten, konnten sie erfahren, daß es da draußen Nichts mehr zu helfen und zu retten gab.

Das Bygotterhäuschen lag in sich zusammengestürzt, ein glostender Trümmerhaufen, dessen strahlende Hitze kaum ein Nähertreten gestattete. Der dünne, immer wieder versiegende Wasserstrahl, den die verrostete Spritze zwischen die wirr durch einander glühenden Balkentrümmer schickte, verpuffte wirkungslos zu weißem Dampfe. Schreiend und kreischend eilten Männer, Weiber und Kinder, Eines das Andere hindernd, mit den ledernen Wasserkübeln hin und her. Als aber der Maurer-Hans meinte: „Ich mag nimmer, es is ja dengerst Alles umsonst,“ – da redete ihm Eines ums Andere diese Meinung nach, warf den Kübel bei Seite und schob die nassen Hände in die trockenen Taschen. Sie Alle hatten es überhaupt mit dem Reden nöthiger gehabt als mit dem Wassertragen und Löschen. In Schreck und Jammer hatte man hin und her gestritten, ob der Bygotter mit seinem Kinde verbrannt wäre oder ob er nicht etwa schon vor Ausbruch des Brandes mit Sanni das Haus verlassen hätte. Nur Wenige waren dieser letzteren Ansicht. Die Meisten glaubten, daß Vater und Tochter unter dem glühenden Gebälk verkohlt und begraben lägen. Und während diese das entsetzliche Schicksal des lieben Mädchens beklagten, sprachen sie mit Bezug auf den Alten von einem „Gericht Gottes“ – und sie äußerten diese Meinung besonders laut in der Nähe des Pfarrers, der im Kreise der Gemeinderäthe stand, finsteren Blickes auf die rauchenden Trümmer starrte und keine Silbe verlauten ließ.

Während so geredet, gestritten und gejammert wurde, hatte ein Einziger immer wieder die Schreier zum Zugreifen angetrieben und dabei selbst mit verzweifelter Hartnäckigkeit gegen das Feuer gekämpft, um wenigstens die Gluth jener Balken zu ersticken, die über Kammer und Stube niedergestürzt waren. Schließlich aber hatte auch er seine kühne Mühe als erfolglos aufgeben müssen. Die stäubenden Funken hatten faserige Löcher in seine durchnäßten Kleider gebrannt, sein Haar und Bart war angesengt, und sein Gesicht und seine Hände waren schwarz von Ruß und Rauch. Alle Glieder zitterten an ihm, während er sich dem Brunnen näherte, um sich zu waschen. Es war der Götz. Schwerathmend richtete er sich auf, schleuderte das Wasser von den Händen und fuhr sich durch die Haare. Ihm fehlte sein Hut. Wo aber hätte er den wohl suchen und finden mögen? Seufzend schüttelte er den Kopf, drängte sich durch die schreienden Leute, nickte dem Lehrer und seiner Frau, welche mit blassen Gesichtern Seite an Seite standen einen wortlosen Gruß zu und verließ das Gehöft.

Als er eine halbe Stunde später den Pointnerhof erreichte, hörte er aus der Stube die zornig keifende Stimme des Bauern, welcher in kurzen Zwischenräumen von der jungen Bäuerin mit erregten Worten unterbrochen wurde.

Ein bitteres Lächeln irrte über seine Lippen. „A guter Anfang – das muß ich sagen!“

Zögernd betrat er die Stube; da humpelte der Pointner gerade in die Kammer hinaus, und während er hinter sich die Thür zuwetterte, rief ihm Kuni mit bebender Stimme nach:

„Mußt ihn halt an anders Mal an Dein’ Bettfuß anbinden! Oder hätt’ ich ’leicht in aller Fruh schon vor seiner Thür stehen sollen und aufpassen, wo er hinrennt?“

„Wann der Bauer wissen möcht’, wo der Karli is,“ ließ sich Götz von der Schwelle her vernehmen, „am Sonnberg is er droben bei der Holzarbeit.“

„So? Und wer hat’s ihm denn ang’schafft?“ fuhr Kuni zornig auf.

„Ich, Kuni – oder – ah ja – von heut’ an muß ich ja Bäuerin sagen – ich werd’ mich schwer d’ran g’wöhnen. Ich also, Bäuerin – ich hab’s ihm g’rathen – und daß er über die ersten Tag’ leichter wegkommt, hab’ ich g’meint.“

Auf Kuni’s Lippen schien ein heftiges Wort zu liegen; aber es wurde nicht laut; denn als sie das Aussehen des Knechtes gewahrte, stammelte sie erschrocken:

„Ja lieber Herrgott – Götz, wie hast denn Du Dich zurichten lassen! Es wird Dir ja doch am End’ nix g’schehen sein?“ Sie wollte ihm entgegen eilen, doch hielt sie inmitten der Stube wieder inne.

Es mochte sie die abweisende Handbewegung verdrossen haben, mit welcher Götz erwiederte:

„Was soll mir denn g’schehen sein! A paar Löcher hat’s mir halt in d’ Joppen brennt – aber viel weiter als bis auf d’ Haut ’nein, mein’ ich, is ’s net ’gangen!“

„Aber – draußen nachher – wie steht’s denn draußen?“

„Da is Alles hin – Alles! Und wann der Bygotter net selber an’zündt hat und is mit sei’m Deandl auf und davon, vor ’s Feuer zum Dach ’naus g’schlagen hat – so mein’ ich, er halt’ den Bauern so bald kein’ Predigt nimmer – und – und ’s Deandl, das arme, wird auch lang ausg’schnauft haben. Gelt – ja – da kann Ein’ d’ Sprach’ verlassen. Aber weißt denn auch, wer d’ Sanni g’wesen is?“

Die Stimme zu zitterndem Flüstern dämpfend, war er Schritt um Schritt auf Kuni zugetreten. Den Hals gestreckt, mit zuckenden Lippen und Wimpern, als wären ihm die Thränen nahe, schaute er ihr in die Augen. Kuni erwiederte diesen Blick, den Oberkörper wie in Scheu und Furcht ein wenig zurückgeneigt, den Kopf zwischen die aufgezogenen Schultern geduckt, mit einem blassen, von scharfen Zügen durchschnittenen Gesichte, das während eines Tages und einer Nacht um Jahre gealtert schien.

Wäre Karli jetzt vor diesen Beiden gestanden, so hätte er bei der Erinnerung an jenen seltsamen Schatten wohl kaum mehr die Klugheit seines Schutzengels in Rechnung ziehen mögen; er hätte die Erklärung in der erschreckenden Aehnlichkeit gefunden, welche nun so jählings in den Gesichtern dieser Beiden zu Tage trat.

Und während sie vor einander standen, wiederholte Götz mit zitterndem Flüstern:

„Weißt auch, wer d’ Sanni g’wesen is? – Dem Karli sein Schatz!“

Sie hatte es gewußt – wenigstens hatte sie es geahnt, seit jenem ersten Tage schon, an welchem sie den Pointnerhof betreten. War es doch diese Ahnung gewesen, die ihren Uebermuth gereizt hatte. Und der Kampf mit jenem kleinen, blassen, schwächlichen Ding, das sie auf der Straße draußen hatte vorübergehen sehen, war ihr als ein gar leichter erschienen, als einer, den man spielend gewann. Und wie war sie unterlegen! Wie übel war ihr das gefährliche Spiel gerathen!

Daran aber dachte sie in diesem Augenblick mit keinem Gedanken. Nur Mitgefühl und tiefe Erschütterung sprachen aus ihren Zügen, während sie die Hände in einander schlug, während Thränen ihre großen Augen füllten und ihre blassen Lippen sich wortlos bewegten.

[768] „Und – ob jetzt ’s Unglück g’wiß oder ung’wiß – es wär’ mir leid, wann’s der Karli von weiß Gott wem so g’radweg hören müßt’. Drum wirst wohl nix dagegen haben, Bäuerin, wann ich ’naufspring’ zu der Holzerhütten?“

„Ja, Götz – ja – schau nur gleich, daß ’naufkommst – und sag’s ihm fein net z’ gach ins G’sicht!“

Mit verwunderten Augen schaute Götz die Bäuerin an, und ein weicher, freundlicher Ausdruck erschien in seinen Zügen.

„Hätt’s net ’denkt, daß Dich Dei’m Bauern sein Bua so jammern könnt’!“ Er hob die Hand, wie um sie auf Kuni’s Schulter zu legen, und sagte in einem Tone, als hätte er vergessen, daß er, der Knecht, vor seiner Bäuerin stehe: „Dich lernt sobald auch Keiner aus! Und schau – oft schon hab’ ich mir’s g’sagt – dengerst is ’s schad’ um Dich! Aus Dir hätt’ amal was werden können!“

„So – geh’, geh’!“ lachte Kuni bitter auf, während ein finsterer Schatten über ihre Züge huschte. „Und was nachher meinst denn, das werden hätt’ können aus mir?“

„Was anders, als aus Dir ’worden is!“ erwiederte Götz mit trockener Härte, zog die Schultern auf, nickte und verließ die Stube.

Als er den Flur betrat, hörte er über den gepflasterten Vorplatz langsame Schritte näherkommen. Dieser Schritt war ihm unbekannt. Kopfschüttelnd trat er unter die Hausthür und sah vor sich einen Fremden stehen, in schwarz und grün gewürfeltem Anzug, den zerknüllten grauen Filzhut schief über den schwarzen, ölig glänzenden Haaren. Götz hatte diesen Menschen niemals noch gesehen, und dennoch meinte er zu wissen, wer vor ihm stehe – der bewußte „Bruder“. Mit scharfen Blicken maß er den Fremden von den Füßen bis zum Kopfe, und das Resultat dieser Musterung schien kein sonderlich beruhigendes für ihn zu sein. Tiefer und tiefer furchten sich seine Brauen, während sich seine Blicke in das blasse, spöttische Gesicht und in die grauen, halb zugekniffenen Augen des Fremden bohrten.

Der stand, mit der Hüfte auf den Stock gelehnt, und ließ sich diesen nicht gerade schmeichelhaften Empfang eine Weile gefallen. Dann plötzlich kreuzte er den Rock über die Schenkel, blies gleich einem Raucher seitwärts durch die geschlossenen Lippen, und aus seinen grauen Augen blitzte ein tückischer Blick, während er mit gedehnten Worten frug: „Is die Bäuerin daheim?“

„Mir scheint!“

„No also – siehst net, daß ich ’nein will – Lackl! Geh’ halt auf d’ Seiten!“

„Die Lackeln sind bei uns net daheim – wir kriegen s’ allweil von draußen ’rein,“ erwiederte Götz mit trockenen Worten und stieg von der Schwelle, um die Thür freizugeben.

Trägen Schrittes ging der Fremde an ihm vorüber. Noch einmal kreuzten sich ihre Augen; es war das ein Blick, in welchem es die Beiden offen gestanden, daß sie sich haßten.

Götz schaute dem Andern nach, bis er ihn in der Stube verschwinden sah. Dann warf er mit einem kurzen, zornigen Lachen die Schultern auf und ging, um seine durchnäßten und verdorbenen Kleider gegen andere umzutauschen.

Als er einige Minuten später das Gesindehaus verließ, um den Weg zur Holzerhütte auf dem Sonnberg einzuschlagen, hörte er von einem der Fenster her die jammernde Stimme des Pointner’s. Er sah auch gleich, mit wem der Bauer sprach – draußen vor dem Zaune stand der Lehrer mit seiner Frau.

Götz näherte sich den Beiden. Doch hatte er den Zaun noch nicht erreicht, als er die lange Straße einher ein wirres Lärmen und Schreien tönen hörte. Erschrocken sprang er dem Gatter zu. Hier sah er, wie aus der Höhe des Dorfes sich ein dichter Menschenknäuel, der sich vor jedem Hause durch neuen Zulauf vergrößerte, dem Pointnerhof entgegenwälzte.

„Ja was is denn – was hat’s denn jetzt da schon wieder ’geben?“ greinte der Pointner, der mit müdem Gesicht und schweren Augen im offenen Fenster lag.

Der Lehrer zuckte die Achseln und schaute kopfschüttelnd dem lärmenden Trupp entgegen.

Götz aber schrie mit heiserer Stimme:

„Bauer – Bauer – da muß ’was g’schehen sein! Dein Karli is voran – und tragen thut er ’was – auf seine Arm’!“

„Ja lieber Herrgott – es wird doch ihm nix –“ Die Stimme des Pointner’s erlosch, und sein Kopf verschwand. Doch schon nach wenigen Sekunden erschien der Alte mit verstörtem Gesicht in der Hausthür, und unter stotternden Worten humpelte er der Thür zu. „Jesus Maria – ja Bua – ja Bua – ja was is denn?“ kreischte er und starrte, die Hände ringend, auf Karli, der seinem Vater entgegenwankte, von einer schreienden, wild erregten Schar umdrängt, bleich bis in die Lippen, naß von Schweiß, zu Tod erschöpft, eine seltsame Last auf den zitternden Armen. Der Pointner erkannte an dieser Last die braune Kreisterkotze, die er im Frühjahr erst für seine Holzerhütte gekauft hatte; sie war zu einem schweren Pack gerollt, mit Riemen verschnürt – und aus dem unteren Ende sah er zwei nackte, zarte Füße schwanken, während auf Karli’s rechtem Arme mit geschlossenen Augen ein blasses Mädchenhaupt gebettet lag, von welchem das gelöste schwarze Haar in langen, feuchten Strähnen niederfloß.

„Vater – da – da schau her!“ stammelte der Bursche, dessen heiße Augen keine Thränen mehr hatten. „Da schau – d’ Sanni – dem Bygotter sein’ Sanni –“

Weiter brachte er kein Wort hervor, die Erschöpfung lähmte ihm die Zunge. Keuchend drängte er sich dem Hofe zu. Während sich ihm die ganze Schar der Schreier und Gaffer nachschob, erfuhr der Pointner von den drei Holzknechten, was droben auf der Sonnbergplatte vorgefallen wäre. Noch hatten sie ihren wirren Bericht nicht zu Ende gebracht, als Karli mit wankenden Knieen innehielt. Angstvollen Blickes starrte er um sich und keuchte:

„An Doktor – g’rad betteln thu’ ich – schaut’s um an Doktor! ’s Deandl kennt mich schon nimmer – aus ei’m Fieber fallt’s ins andere.“

Ein paar Burschen lösten sich aus dem schreienden Kreise, aber ihnen voraus hatte Götz schon die Straße erreicht und rannte hastigen Laufes davon.

Auf Karli’s Arm aber legte sich eine zitternde Hand, und als der Bursche das verstörte, schweißberonnene Gesicht erhob, schaute er in die blassen erregten Züge der jungen Pointnerin.

„Mach’ weiter, Karli, und ’nein ins Haus! Da is kein’ Zeit net zum verlieren! Und in mein’ Kammer ’nauf! Mach’ weiter, geh’!“ so hörte er sie mit fliegenden Worten sagen, und willenlos folgte er, während sie ihn am Arme nach der Thür zog. Den Beiden schloß sich die Frau des Lehrers an, und so erreichten sie den Flur und stiegen die Treppe hinauf. Droben in dem Stübchen, welches Kuni bis zum verwichenen Tage bewohnt hatte, hoben die zwei Frauen das bewußtlose, im Fieber lallende Mädchen von Karli’s Armen auf das Bett, und während Kuni schon die Riemen löste, mit denen die wollene Decke um Sanni’s Körper geschnürt war, schob die Lehrerin den Burschen über die Schwelle und schloß hinter ihm die Thür.

Draußen taumelte Karli in die Arme des Vaters. Der zog ihn unter Stottern und Jammern mit fort und stützte ihn beim Niedersteigen über die Treppe gleich einem Kranken. In der Stube drückte er ihn auf den Lehnstuhl nieder, rannte nach frischem Wasser, und während er ihm aus einem Glase zu trinken gab, strich er ihm die klebrigen Haare aus der nassen, bleichen Stirn.

Inzwischen stand der Lehrer draußen unter der Hausthür und vertheidigte dieselbe gegen die Schreier und Dränger, die am liebsten den Pointnerhof gestürmt hätten – weßhalb, das wußten sie selbst nicht recht. Dabei hatten sie auch von dem Vorgange auf dem Sonnberg droben nur unklare Begriffe, und eigentlich wußten und verstanden sie nur das Eine, daß der Bygotter sein Kind hätte tödten und verbrennen wollen. Da kamen sie nun gleich überein, daß Einer, vor dem das Leben seines eigenen Kindes nicht sicher wäre, eine Gefahr für das ganze Dorf bedeute. Die Frage aber, wie dieser Gefahr zu begegnen wäre, theilte die Schreier sofort in zwei Parteien. Die älteren Männer und die Weiber wollten vor Allem die Meinung und den Rath des Pfarrers hören; die Burschen aber hielten hartnäckig an der Ueberzeugung, daß hier das einzig Richtige eine rasche Selbsthilfe wäre. Was mit dem Bygotter zu geschehen hätte, das sei die zweite Frage; vorerst komme es darauf an, daß man den „g’spaßigen Heiligen“ hinter Schloß und Riegel bringe. Da die beiden Parteien sich nicht einigen konnten, setzte jede einzelne für sich ihren Willen durch. Ein Häuflein machte sich nach dem Pfarrhofe auf, die Burschen aber zogen in lärmender Schar zum Binderholze, um von dort aus über die Gehänge des Sonnberges eine Streife nach dem Bygotter zu unternehmen. Doch wurde deßhalb der Hof vor dem Pointnerhause nicht leer. Es verblieben neben [770] der lieben Jugend all die männlichen und weiblichen Diplomaten, welche nicht so und nicht so sagen wollten, damit es schließlich nicht hieße, sie hätten so oder so gesagt, und welche bei nichts dabei sein wollten, als höchstens beim Schreien und Maulaufreißen.

Und während nun diese Verbliebenen mit kreischenden Stimmen ihre diplomatischen Meinungen tauschten, erzählte Karli in der Stube drinnen mit müden tonlosen Worten dem Vater die Geschichte dieses Morgens, soweit er sie selbst erlebt und begriffen, und er fügte aus früheren Tagen bei, was nöthig war, damit der Pointner den Inhalt dieser vergangenen Stunden verstehen konnte. In Starren und Staunen hörte der Alte zu, und immer wieder schlug er unter Anrufung Gottes und aller Heiligen die Hände über dem Kopfe zusammen. Als Karli mit versagender Stimme von den Empfindungen sprach, die ihn beim Anblick des armen, gequälten Mädchens überkommen hätten, und wie ihm vor Angst und Leid schier das Herz zersprungen wäre, da brach dem Pointner die Rührung in dicken Zähren aus den Augen. Mit beiden Händen faßte er den Burschen am Kopfe und schluchzte ihn an: „Sag’s ’raus, Karli, – sag’s ’raus – brauchst Dich net scheuen vor Dei’m Vater! Sag’s ’raus, daß d’ Sanni gern hast!“

Schwerathmend nickte der Bursche vor sich hin.

„Und wie lang’ denn schon – wie lang’ denn, Karli? Sag’s!“

„Mein – seit ich halt denk’! Und – und g’wiß weiß ich’s, seit ich ’s erstmal in Urlaub heimkommen bin.“

Da mischte sich ein zorniger Ton in die Stimme des Pointner’s. „Jesses na – und warum hast denn net g’redt – net lang schon g’redt! Tausendmal für einmal hätt’ ich Dir mein Jawort g’sagt – und übergeben hätt’ ich Dir – ja – und heirathen hättst können – ja – und Alles wär’ anders jetzt – Alles – Alles –“

Jählings verstummte der Alte; es war ihm gewesen, als hätte er in der Stube irgend ein Geräusch vernommen; hastig richtete er sich auf, schaute mit ängstlichen Augen umher und fuhr erschrocken zusammen, als seine Blicke auf das Ledersofa im Ofenwinkel fielen. Dort in der hintersten Ecke saß Kuni’s Bruder regungslos ausgestreckt, mit zwinkerndem Lächeln, einen erloschenen Cigarrenstummel zwischen den gelben Zähnen.

Der Pointner kraute sich die Haare und stotterte: „Jetzt – g’wiß wahr – jetzt hab’ ich ganz vergessen –“

„Macht nix! Nur net scheniren wegen meiner,“ lächelte der Gast. „Ich mach’s g’rad so, ich schenir’ mich auch net.“

Mit betroffenem Gesichte war Karli aufgesprungen. Er war am verwichenen Nachmittag von seinem heimlichen Gange gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, um sich dem Zuge anschließen zu können, in welchem dem Pointner und seiner jungen Bäuerin „heimgeblasen“ wurde; so wußte er noch nichts von dem Besuche, der sich da ins Haus gebeten; doch erkannte er auf den ersten Blick jenen spöttischen Fragesteller aus dem Binderholze.

Der kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen und lächelte: „Jetzt weiß ich net – wir zwei, mein’ ich, wir müßten uns schon amal wo g’sehen haben?“

Karli schwieg, rührte keinen Finger und schaute nur mit verdutzten Augen den Vater an.

„Ja, da schau, Bua – der Herr da – der hat uns halt jetzt amal b’sucht – weißt – a Bruder is er von meiner … von – von der Kuni – ja!“ stotterte der Pointner. „Gregor heißt er, und a Metzger is er – und jetzt hat er sein’ Schwester b’sucht – und da wird er halt jetzt a paar Tag bei uns da bleiben –“

„No – wer weiß – wann’s mir g’fallt, bleib’ ich länger auch,“ meinte Gregor.

„No ja – natürlich – so lang’s der Schwager halt aushalt’,“ verbesserte sich der Pointner mit verzagter Stimme, „das is ja g’wiß – und natürlich – ja –“

Da gingen ihm die Worte aus, und weder Karli, noch der Schwager wollte ihm weiter helfen. Ein unbehagliches Schweigen folgte, welches schließlich von Karli gebrochen wurde, der nach kurzem Aufhorchen in zitternder Erregung der Thür zueilte. „Der Götz! Der Götz kommt mit’m Doktor!“

Aufathmend humpelte der Pointner seinem Buben nach, welcher draußen im Flur schon mit überstürzten Worten auf den bejahrten, ruhig horchenden Doktor einsprach. Der nickte bedächtig mit dem Kopfe und schob die Brille höher. Gemächlichen Schrittes stieg er die Treppe hinauf. Karli und der Pointner folgten, doch durften sie die Krankenstube nicht betreten. Nur die Frau des Lehrers verblieb bei dem Doktor. Kuni kam in den Flur heraus. Wie auf geheime Verabredung traten diese Drei in Karli’s Kammer; hier setzte sich der Pointner seufzend auf das Bett, und während sich Karli bleich, wortlos und zitternd an die weiße Kalkwand lehnte, trat Kuni, die Arme hinter dem Rücken verschränkend, vor das kleine Fenster und schaute mit starren, finsteren Blicken durch die trüben Scheiben.

Eine bange Viertelstunde verging. Dann hörte man nebenan die Thür gehen, hörte eine schluchzende Stimme und die knarrenden Stiefel des Doktors.

Nun erschien der alte Herr über der Schwelle. Sein Votum lautete: „Ein schweres Nervenfieber im Anzug – und das Schlimmste zu befürchten.“

Dem Pointner kam ein Zittern in die Kniee; Karli aber griff mit den Händen in die Luft, und er wäre zu Boden gestürzt, hätte ihn Kuni nicht mit raschen Armen aufgefangen. –

[781] Tage und Tage verstrichen.

So sehr der Bygotter in aller Leute Mund war, so wenig bekamen ihre Augen von ihm zu sehen. Jene Burschenschar, die Partei der Selbsthilfe, die an jenem Morgen einen so lärmenden Auszug gehalten hatte, war nach erfolgloser Streife bei Einbruch der Dämmerung gar schweigsam und verdrossen in das Dorf zurückgekehrt. Doch konnte sich auch die andere Partei keines besseren Erfolges rühmen. Der ausführliche Bericht, den der Pfarrer an das Bezirksamt hatte abgehen lassen, hatte zwar bewirkt, daß ein zwei Mann hoher Gendarmerieposten in das Dorf verlegt worden war. Auch war für den Fall, daß man des Bygotters habhaft würde, ein Irrenwärter in Aussicht gestellt. Vorerst aber hatte es bei diesen Verfügungen sein Bewenden; denn so viele Stunden auch die beiden Wächter der Sicherheit bei Tag und Nacht im Binderholze verpassen mochten, so häufig sie auch alle Winkel und Schlupfe der Sonnbergschluchten durchstöberten – der Bygotter blieb verschollen, als wäre er durch die Luft entflogen oder in die Erde versunken.

Die abenteuerlichsten Gerüchte waren über ihn im Umlauf. In diesen Gerüchten spielte nicht selten jener bekannte Unbekannte, dessen Namen man gerne durch drei Kreuze zu ersetzen pflegt, eine wesentliche Rolle. Aber je unheimlicher den Leuten der Vater wurde, je mehr er für ihren engen Verstand in das Reich des Un- und Außernatürlichen entwich, desto menschlich näher rückten ihre Herzen seinem Kinde. Es war eine Art von Fanatismus in dem Mitleid, welches man mit Sanni fühlte. Weder Alt noch Jung, weder Mann noch Weib ging am Pointnerhofe vorüber, ohne sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen.

Da war nun freilich wenig Tröstliches zu vernehmen. Seit langen Tagen lag Sanni bewußtlos und in hohem Fieber. Was zu ihrer Pflege nur geschehen konnte, das geschah. Zweimal des Tages kam der Doktor. Kuni, die Frau des Lehrers und eine Wärterin theilten sich in die Wache. Der ganze Hofraum, und auf eine weite Strecke auch die Straße, war dicht mit Stroh überschüttet, welches das Rollen der Wagen und den Hufschlag der Pferde unhörbar machte. Daneben wachte der Pointner mit Eifer und Aengstlicheit über die Ruhe im Hause. Wo sich nur eine Fliege rührte, war er gleich mit seinem „Pst, pst, Jesus Maria, stad sein!“ bei der Hand. Im Uebrigen aber trippelte und hockte er umher wie – das Sprichwort sagt: wie Einer, dem das Zäpflein hinunter gefallen. Eine stäte Verzagtheit lag über ihm, die sich jedesmal zu einer seltsamen Scheu und Unruhe steigerte, so oft ihm Karli in die Nähe kam. Der aber schien Alles vergessen zu haben, was die vergangenen Wochen zwischen ihn und den Vater geworfen. Den letzten Brief des Pointner’s, den er von der Regimentskanzlei nachgeschickt erhalten, hatte er zerrissen, ohne ihn zu lesen. Sanni war sein einziges Denken, ihre Genesung sein einziges Hoffen. Er rannte wie verloren umher, war zu keiner Arbeit zu brauchen, und wenn er ja einmal [782] zugriff, griff er Alles von der verkehrten Seite an. Hundertmal des Tages schlich er auf den Zehen vor das Stübchen hinauf und pochte mit leisem Finger an. Dennoch war er niemals zu bewegen, die Krankenstube zu betreten. Eine eigene, ihm selbst unerklärliche Scheu hielt ihn davon ab. Manchmal nur lugte er mit nassen, traurigen Augen durch eine Thürspalte, und dann sah man es seinen Zügen an, wie ihm der Anblick des schmächtigen, von brennender Fieberröthe übergossenen Gesichtchens, das so regungslos in den geblümten Kissen lag, das Herz zusammenkrampfte. Ganze Nächte durchwachte er in seiner Kammer, das Ohr an die Mauer gedrückt, als könnte er den ersten leichteren Athemzug der Kranken, das erste Wort ihres wiederkehrenden Bewußtseins erlauschen.

So begreiflich nun auch das Benehmen des Burschen war, so verblüffend wirkte für manches beobachtende Auge die Ausdauer, mit welcher sich Kuni der Pflege Sanni’s widmete. Sie erntete auch Lob und Anerkennung von allen Seiten. Nur Karli vermochte es der jungen Bäuerin gegenüber zu keinem herzlichen Worte zu bringen, so häufig er sich auch im Stillen des Undanks zieh, und so sehr es ihn drängte, ihr einmal die Hand hinzustrecken, wenn sie mit verwachten Augen und bleichem, müdem Gesichte aus der Krankenstube trat.

Dann war auch noch ein Anderer, der in Kuni’s Verhalten kein besonders rühmenswerthes Werk der Barmherzigkeit erkennen wollte. Das war der Götz. In der ersten Stunde, das gab er zu, da hätte sich in ihr das richtige Herz gerührt. Und so hatte auch er zu Anfang ihre ausdauernde Pflege mit freundlich verwunderten Augen wahrgenommen. Allmählich aber war es ihm vorgekommen, als sei ihr das Verbleiben im Stübchen droben nur ein willkommener Vorwand, um die Stube und den Hof zu meiden, wo ihr Bruder mit der qualmenden Cigarre die Tage verlungerte. Unausgesetzt beobachtete Götz diese Beiden, ohne daß es ihm gelingen wollte, das Verhältniß, in welchem sie zu einander standen, klar zu durchschauen. Vielleicht wäre ihm das leichter geworden, wenn Karli Zeit oder Anlaß gefunden hätte, sich gegen Götz über all die sonderbaren Dinge auszusprechen, die er damals im Schimmelwirthsgarten zu München über Kuni’s Herkunft, über ihre Familie und über das Verhalten ihrer Brüder zu hören bekommen. So aber hatten die drängenden Ereignisse dem Burschen den Mund verschlossen – vielleicht auch schwieg er in Wahrung des Namens, welchen Kuni nun einmal trug. Götz war also bei seiner forschenden Beobachtung allein auf seine Augen und auf die Gedanken angewiesen, welche Kuni’s und Gregor’s Benehmen in ihm erweckten.

Jene erste Vermuthung, daß dieser „Bruder von irgendwo“ durch ganz andere Bande mit Kuni verknüpft sei, als durch geschwisterliche Bande, hatte er gleich in den ersten Tagen fallen lassen. Eine solche Beziehung hätte sich seinen wachsamen Augen und Ohren verrathen müssen, wenn auch nur durch einen winzigen Blick, durch einen flüchtig vertraulichen Druck der Hände oder durch ein leise gerauntes Wörtchen. Und so wenig ihm Kuni auch Anlaß gegeben hatte, Gutes von ihr zu denken – es war in seinem Innern doch eine Stimme, die es ihn auf die Dauer nicht glauben lassen wollte, daß sie so ganz verdorben wäre, um schon am ersten Tage nach der Hochzeit die ehrlose Schande in ihr Haus zu laden. Gregor mußte also doch wohl ihr wirklicher Bruder sein; denn wenn er nicht ihr ehemaliger Geliebter war, so konnten nur verwandtschaftliche Rücksichten sie bewegen, den widerwärtigen Gesellen unter ihrem Dache zu dulden. Freilich war es eine recht merkwürdige Geschwisterliebe, welche Kuni für diesen Bruder zu hegen schien. Sie wich ihm ersichtlich aus auf Schritt und Tritt, vermied jedes längere Gespräch mit ihm, und Götz meinte, daß es nur um Gregor’s willen geschehe, wenn sie sich von den gemeinsamen Mahlzeiten ferne hielt und sich mit der Krankenpflege entschuldigte. Das Gefühl, dem dieses Verhalten entsprang, schien mehr als nur Unbehagen und Widerwille – es erschien den forschenden Augen des Knechtes wie zitternde Scheu. Kuni haßte ihren Bruder, aber sie fürchtete ihn; er mußte durch irgend ein Etwas über sie Gewalt haben, daß sie bei all ihrem Hasse seine Nähe ertrug. In diesem geheimen, unerklärlichen Zwange meinte Götz auch die Ursache der seltsamen Veränderung zu sehen, welche sich in Kuni’s ganzem Wesen vollzogen hatte. Sie war in diesen Tagen eine völlig Andere geworden, als sie bis zum Tage der Hochzeit gewesen. Ihr helles, übermüthiges Lachen war erstorben, ihre berechnende Sicherheit geschwunden, ihr ganzer Trotz gebrochen, und unter der Wirkung des bangenden Kummers, den sie leiden mochte, schien so manches Gute lebendig zu werden, das unter Schmutz und Asche bisher vergraben lag in ihrer Seele.

Wenn Götz sich über diesen sonderbaren Umschlag seine Gedanken machte, mußte er häufig eines Vorfalles gedenken, dessen Zeuge er zufällig geworden war. Zwei Tage nach Gregor’s Ankunft hatte der alte, närrische Spinner-Veit, der „Zuchthäusler“, wieder einmal im Pointnerhofe vorgesprochen. Es schien, als hätte Kuni sein Kommen abgepaßt, als hätte sie es aus irgend welchem Grunde befürchtet; denn der Spinner-Veit hatte noch nicht die Hausschwelle betreten, da stand sie schon vor ihm, mit scheuen Augen und erregten Zügen, und unter wispernden Worten führte sie ihn zurück an das Zaunthor und schob ihn auf die Straße hinaus. Gleich am folgenden Morgen suchte Götz den Alten in seinem Armenstübchen auf und erfuhr nun, daß Kuni dem Spinner-Veit das Betreten des Pointnerhofes verboten habe, allerdings mit den freundlichsten Worten. „Jetzt is mein’ einzige Freud’ dahin,“ greinte der arme Narr, „denn wann ich ihr g’rad a Bißl gut wär’, hat die Bäuerin g’sagt, nachher soll’ ich mich net ehnder wieder sehen lassen, solang sie’s mir net selber verlaubt. Und schau, was kann ich denn nachher machen jetzt? Denn lieber möcht’ ich versterben, eh daß ich g’rad a Schrittl thät’, wo ihr net taugt – so viel gern hab’ ich s’, Dein’ Bäuerin, ja!“

In sonderbarer Bewegung hatte Götz den Alten verlassen. Von diesem Tage an beobachtete er Gregor mit noch schärferen Augen, da bei diesem allein die Ursache liegen konnte, weßhalb der Spinner-Veit seine „einzige Freud’“ entbehren mußte. Ihn drückte wohl die Ahnung, daß hinter diesen Räthseln Ereignisse im Anzug wären, welche nicht vorübergehen würden, ohne die Wohlfahrt des Hauses zu schädigen, als dessen Glied er sich mit vollem Rechte betrachten durfte. Dennoch brachte er es nicht über sich, von dem, was er dachte und gewahrte, gegen Karli oder den Pointner nur ein einziges Wort verlauten zu lassen. Aber er verblieb im Hofe und schickte an seiner Stelle den Martl zu den Holzarbeiten auf den Sonnberg.

Den lauernden Augen Gregor’s blieb es nicht verborgen, wie aufmerksam er von Götz beobachtet wurde. Da ging er nun bald dem Knechte auf jede mögliche Weise aus dem Wege; bald wieder drängte er sich mit herausfordernder Ausdauer in seine Nähe und schaute ihm durch lange Stunden mit zwinkernden Blicken und spöttischem Lächeln bei der Arbeit zu. In solchen Stunden aber schien ihn Götz geflissentlich als Luft zu betrachten. Schließlich kehrte sich der Andere mit einem spitzigen Lachen auf dem Absatz um und suchte den Pointner auf, dem gegenüber er alles Mögliche an dem „Maier“ auszusetzen hatte. Doch wollte es ihm niemals recht gelingen, den Pointner gegen Götz in Harnisch zu bringen; er brachte im Gegentheil den Bauer nur gegen sich selbst in Hitze, so daß es eines erklecklichen Aufwandes an Späßen und Anekdoten bedurfte, um den Pointner wieder in gute Laune zu versetzen – in eine Laune, welche meistentheils ohnehin nur eine gespielte war; denn wenn der Bauer auch manchmal unwillkürlich über den bissigen Spott und die gewagten Scherze des Schwagers ins Lachen kam, so schien die Nähe seines Gastes doch niemals besonders angenehm auf ihn zu wirken.

Der Einzige im Hofe, welcher mit Gregor in ruhiger Gleichmäßigkeit verkehrte, war Karli. Der Besuch war nun einmal im Hause, und das war für ihn eine Thatsache, deren Aenderung man eben abwarten mußte. Sonderlich gewogen war er dem Gaste freilich nicht. Ihm ekelte es fast vor diesem Burschen, dessen Faust er in Gedanken immer zum Schlage gegen ein wehrloses Kind erhoben sah, so oft er ihn betrachtete. Aber was hatte er sich schließlich darum zu kümmern, wenn Kuni die Gegenwart dieses Menschen ertrug, der nur dem Namen nach ihr Bruder war, der wacker mitgeholfen hatte, ihr die Jugend zu verbittern und das Zusammenleben mit der Mutter zu verkümmern – vorausgesetzt, daß Alles auf Wahrheit beruhte, was er im Schimmelwirthsgarten erfahren. Er wußte selbst nicht, wie es kam – aber manchmal zweifelte er an dieser Wahrheit. Vielleicht war Alles erlogen, vielleicht hatte Kuni den Inhalt jenes Briefes, den er aus München an den Vater geschrieben, aufs Klarste widerlegen können? Dann aber hätte der Vater wohl um so eher Ursache gehabt, ihn einmal bei Seite zu nehmen, vertraulich [783] mit ihm zu reden und ihm zu sagen: Alles, was Du geschrieben, ist Lüge und Verleumdung. So aber hatte der Vater bisher mit keinem Worte noch jenes Briefes gedacht. Vor diesem Widerspruch blieb Karli stehen und dachte nicht mehr weiter. Er hatte allzuviel mit seinem Herzen und seiner Hoffnung auf Sanni’s Genesung zu thun, um sich lange Gedanken über Gregor und alles Andere zu machen. Vor allem suchte er die Ruhe im Hause zu wahren, ließ also Gregor seines Weges gehen, und verzog nur manchmal die Lippen, wenn er so mit ansah, wie bequem es sich der Bursche auf dem Sofa zu machen wußte, wie tief er in die Cigarrenschachtel des Pointner’s griff, wie fleißig er jeder Arbeit aus dem Wege ging, dafür aber mit staunenswerther Pünktlichkeit zu jeder Mahlzeit erschien.

Einmal aber wollte den jungen Pointner diese Langmuth doch im Stiche lassen. Es war am neunten Tage seit Sanni’s Erkrankung. Der Doktor hatte bei seinem Morgenbesuche ein gar ernstes Gesicht gezeigt und schließlich gestanden, daß dieser Tag die Entscheidung bringen müsse, entweder die Wendung zum Besseren oder – das Schlimmste. Auf des Pointner’s jammernde Bitte hatte man diese Eröffnung vor Karli geheim gehalten. Der Bursche schien es aber zu fühlen, daß ihm irgend etwas verschwiegen wurde. Mit unruhigen Augen schaute er Jedem ins Gesicht, hielt immer wie unter stätem Lauschen die Lippen halb geöffnet und schoß in zitternder Aufregung während des ganzen Vormittags in Haus und Hof umher. Mittags bei Tische hielt er es kaum eine Minute auf seinem Platze aus. Um ihn ein wenig zu zerstreuen, nahm ihn der Pointner zur Besichtigung einer Wiese mit, die man ihm zum Kaufe angetragen hatte. Auf halbem Wege aber brannte Karli dem Vater durch und rannte wieder nach Hause. Als er hier den Flur betrat und über die Treppe hinaufschleichen wollte, schlug eine scharfe Stimme an sein Ohr. Unwillig über diese Ruhestörung öffnete er die Stubenthür und sah Götz mit zorngeröthetem Gesichte vor dem Tische stehen, hinter welchem Gregor saß, der eben unter bissigen Worten ein blankes Messer in die Tischplatte stieß.

„So, g’rad kommst recht,“ fuhr Gregor auf, als er des Burschen ansichtig wurde, „und da kannst Dei’m lümmelhaften Knecht gleich sagen, wie a Dienstbot’ mit der Herrschaft ihre Gäst’ zum reden hat!“

„Vor allem bitt’ ich mir a staders Reden aus,“ erwiederte Karli gereizt. „Und im Uebrigen – was hat’s denn geben, Götz?“

„Was wird’s denn ’geben haben? An Pfifferling!“ schnitt Gregor dem Knechte die Antwort ab. „Da am Tisch bin ich g’sessen, und in der Langweil’ hab’ ich mein Messer ’raus’zogen und hab’ so a Bißl im Holz umeinander g’stupft – und da kommt auf amal der arragante Lackl da ’rein –“

„Ja, ich komm’ in d’ Stuben,“ fiel Götz mit harten Worten ein, „und wie ich sieh, daß ihm nix G’scheiters net einfallt, als daß er den ganzen Tisch verschneidt, g’rad wie a Büberl –“

„Ja Himmel, Teufel!“

„– g’rad wie a Büberl, wo zum ersten Mal an Feitl in d’ Hand kriegt – da hab’ ich mir zum sagen ’traut, daß man mit ander’ Leut’ ihrem Sach’ dengerst a Bißl feiner umgeht und schon gar mit ei’m Tisch, an dem man dreimal im Tag von der Freundschaft zehrt.“

Gregor’s blasse, verlebte Züge spielten ins Grünliche. Mit einem knirschenden Fluche sprang er hinter dem Tische hervor. Karli aber vertrat ihm raschen Schrittes den Weg, und während er mit zornigen Blicken die schneeweiß gescheuerte Tischplatte streifte, in welche Gregor’s Name schon zur Hälfte tief eingeschnitten war, stieg ihm das Blut mit dunkler Röthe ins Gesicht.

Gregor stutzte, als er in Karli’s blitzende Augen sah, und murrte: „Jetzt ich sag’ halt –“

„Und ich – ich sag’ –“ fiel ihm Karli mit bebender Stimme ins Wort; doch weiter kam er nicht; erschrocken verstummte er und lauschte nach dem Flur hin.

Fliegende Tritte eilten draußen über die Treppe nieder, die Thür wurde aufgerissen, und Kuni schoß in heller Aufregung über die Schwelle: „Is der Karli net – Gott sei Dank, Karli, daß daheim bist! Jetzt komm nur geschwind, komm, d’ Sanni is aus’m Fieber erwacht, und g’rad allweil nach Dir verlangt s’ – nach Dir, Karli, nach Dir!“

Der Bursche stand und zitterte an Händen und Füßen. Der tödlichste Schreck hätte ihn nicht so sehr um alle Fassung bringen können, wie es die jähe Freude that. Doch als ihn Kuni am Arme packte, riß er sich mit einem schluchzenden Laute los, stürmte aus der Stube, und mit zwei Sätzen stand er oben auf der Treppe. Hastig stieß er die schweren Schuhe von den Füßen und taumelte in die Kammer. Die Wärterin, welche zu Häupten des Bettes stand, nickte ihm lächelnd zu; er aber sah sie nicht, er sah nur das schmale, blasse, von den schwarzen Haaren umrahmte Gesichtchen, aus welchem zwei feuchte blaue Augen ihn in heißer Sehnsucht entgegenleuchteten, und sah nur die mageren, wachsbleichen Hände, die sich verlangend nach ihm erhoben.

„Sanni – Sanni!“ stammelte er in Weh und Freude, und vor dem Lager in die Kniee brechend, umschlang er die Geliebte mit beiden Armen und barg sein thränenüberströmtes Gesicht an ihrer Brust.

Leise weinend legte sie ihre Wange auf seinen Scheitel und streichelte ihm mit bebender Hand die Haare.

Da klang von der Thür her ein schwerer stockender Seufzer; die Beiden aber hörten ihn nicht; nur die Wärterin drehte das Gesicht über die Schulter und schaute verwundert in die finsteren Züge der jungen Bäuerin, deren Augen unverwandt und mit verzehrenden Blicken an dem jungen Paare hingen. Als aber Sanni sich plötzlich aufrichtete, wandte sich Kuni hastig ab und verschwand im Dunkel des Flurs.

Mit ängstlichen Blicken schaute Sanni um sich, und in scheuer Frage glitt es von ihren schmalen Lippen: „Wo – wo is er – wo is er denn?“

„Mußt Dich net sorgen, Schatzerl – fort is er!“ stammelte Karli ohne Besinnen; er sagte eben, was ihm der Augenblick auf die Zunge legte. „Fort is er! Fort! Und wieder ’nüber in sein Amerika!“

Erschrocken starrte ihm Sanni in die Augen; ein Zittern kam über ihre Arme, und in lautes Weinen ausbrechend, barg sie das Gesicht in beiden Händen.

Karli wollte ihr die Arme niederziehen, wollte sie mit zärtlichen Worten beruhigen, aber die Wärterin duldete nicht, daß er noch länger bleibe. Sie schob ihn zur Thür hinaus und hielt ihm dabei mit leisen Worten vor, welche üble Folgen solche Aufregung für Sanni haben könnte.

Glücklicher Weise bewahrheitete sich diese Befürchtung nicht. Tag um Tag verging, und jeder brachte einen merklichen Fortschritt in Sanni’s Besserung. Da machte nun die Frau des Lehrers den Vorschlag, daß Sanni, sobald es thunlich wäre, vom Pointnerhof in das Lehrerhaus übersiedelt werden sollte. Alle waren dafür, der Pointner, Götz, der Doktor – nur Kuni und Karli wehrten sich gegen dieses Vorhaben mit allen Kräften. Aber die Beiden mußten sich bescheiden, als Sanni selbst mit schüchternen Bitten für die Uebersiedlung eintrat. Ein sonniger Oktobertag begünstigte die Sache. Der von Götz so ziemlich wieder in Ordnung gebrachte Schimmel wurde vor die kleine Kutsche gespannt und Sanni auf den mit Kissen ausgelegten Sitz gehoben. Dann ging es in langsamem Zuge die Straße dahin; Karli führte das Pferd am Zügel, während der Pointner an der rechten, die Frau des Lehrers an der linken Seite des Wagens schritt. Götz war auf die Straße hinausgetreten und schaute dem Gefährte nach, bis es um eine Biegung des Weges verschwand.

Nun schloß er das Zaunthor und schlug die Richtung nach dem Holzhof ein; doch als er um die Hausecke biegen wollte, stand er plötzlich still. Durch ein offenes Fenster schlug aus der Stube die erregte Stimme der Bäuerin an sein Ohr: „Und ich will amal nix hören davon. Und jetzt laß mich aus!“

„Und jetzt g’rad will ich’s haben, daß Du ihn ausschaffst!“ erwiederte kaum verständlich eine zischende Stimme.

„Den Götz – und ausschaffen? Da – reiß an Stein aus der Wand! Wie so a Stein in d’ Mauer, so verwachsen is der Götz in’ Hof!“

„Ob jetzt verwachsen oder net! Ich sag’ Dir nur g’rad das Eine: er oder ich! Daß aber ich net gutwillig geh’, das brauch’ ich Dir net erst zum sagen. Da könnt’ ich ’leicht zum Abschied a Bißl ’was verzählen! G’spaßige G’schichten – ja!“

Da wurde es so still in der Stube, daß Götz den Pendelschlag der Wanduhr hören konnte. Bis in die Lippen war er erblaßt, und nun ballte er die Fäuste, schüttelte zornig den Kopf und ging mit lauten Schritten davon.

[796] Noch hatte Götz den Holzhof nicht erreicht, als Gregor, den Hut auf dem Kopfe, aus der Hausthür trat. Unter spöttischem Lächeln folgte er mit eingekniffenen Augen dem Knechte, steckte eine Cigarre in Brand und schlenderte, die Fäuste tief in die Taschen grabend, zum Thor hinaus. Er schien in bester Laune zu sein, wie Einer, dem irgend ein Wunsch nach Willen gerathen.

Das Ziel seines Weges war das Wirthshaus. Dort war er der einzige Gast; aber die dralle Kellnerin genügte ihm als Gesellschaft, und an ihrer Seite verkneipte er den Nachmittag.

Als er kurz vor der Dämmerung den Pointnerhof wieder betrat, kam ihm ein Bettler entgegen, der eben unter der Hausthür eine Gabe von Kuni erhalten hatte, ein ruppiger, unappetitlicher Kunde. Der zerrissene, in verzogenen Falten schlotternde Zwillichanzug, den der Alte trug, mochte seit Jahren keine Wäsche mehr erlebt haben. Was er auf dem Kopfe sitzen hatte, schien einmal eine blaue Soldatenmütze gewesen zu sein. Durch den Spalt, der den abgerissenen Lederschild von dieser Kappe trennte, hatte sich ein Büschel der borstigen grauen Haare gezwängt. Das Gesicht war fast nur Bart, welcher struppig nach allen Seiten stand, in allen Farben spielte und sich immer bewegte, als wäre der Mund, der darunter verborgen lag, unaufhörlich im Kauen. Ueber den schmutzigen Stacheln des Schnurrbartes saß eine Nase, die [797] einem kugelrunden, bläulich angelaufenen Kupferknopfe glich. Das linke Augenlid war geschlossen und tief in die leere Höhle eingesunken. Das andere Auge, von dessen entzündeten Rändern eine Thränengasse in den Bart verlief, hatte einen feuchten und steifen Glanz.

Gregor stutzte, als er den Alten näher kommen sah, und während er die Brauen in die Höhe zog, zuckte es in verächtlichem Aerger um seine schmalen Lippen. Auch der andere riß beim Anblick des Burschen sein weitoffenes Auge noch weiter auf, verzögerte seinen tappenden Gang, zog mit zitterndem Arme den großen Hakenstock höher an die Brust und nahm eine scheue Miene an. Die Beiden schienen sich zu kennen. Dennoch gingen sie wortlos an einander vorüber. Dann aber drehten sie zugleicher Zeit den Kopf über die Schulter, kehrten sich um und blieben vor einander stehen.

Gregor schob die Hände in die Taschen und schaute aus stolzer Höhe auf den schmutzigen Kunden nieder, der ein Gesicht machte, als könnte ihm eine größere Ehre nicht widerfahren als diese Ansprache, deren er nun gewürdigt wurde.

„So? Haben s’ Dich wieder amal auslassen? Lump alter!“

„Ja, aber lang, mein’ ich, wird’s net dauern,“ entgegnete der Andere mit einer zerstörten Stimme, die so tief und hohl klang, als säße ihm der Kehlkopf zu unterst im Schlunde. „Der Winter is auch schon vor der Thür, da wird mir nix Anders übrig bleiben, als daß ich mich wieder ’neintummel’ in unserm König sein’ warme Stuben.“

Gregor lachte. „G’fallt’s Dir denn so gar gut da drin?“

„No mein, a z’friedens G’müth g’hört halt dazu,“ lautete die seufzende Antwort. „Und es is auch so weit gar net übel. A gut’s Essen – a langsame Arbeit – die schönste Liegerstatt – mehr kann sich ja Unsereiner net verlangen.“

„Aber der Schnaps? Was? Der Schnaps?“

„Der Schna – a – aps!“ quoll es mit wehmüthigem Stöhnen aus dem wackelnden Barte hervor. „Ah ja! Da fehlt’s freilich weit! Und g’wiß wahr, wenn mir da drin –“ dabei deutete der Alte mit dem Stock über die Schulter weg, „wenn mir da drin die Zung’ diemal gar so trocken worden is, da hab’ ich oft an dieselbigen Zeiten ’denkt, wo mir ein Glasl ums ander’ ’zahlt hast.“

Gregor lächelte und schaute ziellos ins Blaue, als dächte auch er an „dieselbigen Zeiten“.

„Ja – ja – a gut’s Herz hast allweil g’habt,“ kicherte der Alte, „und drum muß Dir’s auch gut gehn. Was is denn? Wie bist denn g’stellt jetzt?“ Er winkte mit einem Blicke gegen das Haus. „G’hörst ’leicht da ’rein?“

„So halb und halb.“

„So halb – und halb?“ wiederholte der Andere, wobei seinem starren Auge das versuchte pfiffige Blinzeln nicht recht gelingen wollte. Dann streckte er den Kopf und raunte gegen Gregor’s Ohr: „Du! Da halt’ Dich fein fest an! Is a nobligs Haus! Zehn Pfennig hab’ ich ’kriegt und –“ verstummend trat er einen Schritt bei Seite und schaute an Gregor vorüber mit steifem Blick dem Knechte nach, der aus dem Hause getreten war und quer über den Hof nach den Ställen ging. „Was habt’s denn da für Ein’ im Haus? G’hört der am End’ zu Dir?“

Hastig wandte Gregor das Gesicht und konnte gerade noch sehen, wie Götz in der Thür des Pferdestalles verschwand.

„Ah ja – ich täusch’ mich net – er is ’s schon!“ murmelte der Alte. „Wie heißt er denn gleich?“

„Gotthard Sauer,“ erwiederte Gregor mit leiser Stimme, während sich in seinen Zügen eine lauernde Spannung zeigte.

„Gotthard Sauer? Ah na! So hat derselbige net g’heißen. Aber macht nix. Ich hab’ mich net verschaut. Schon wie ich ’kommen bin und wie er vor mir ins Haus ’nein is, da hab’ ich ihn schon gleich wieder ’kennt am ersten Blick. Und wenn’s auch schon lang her is – er hat ja ’s G’sicht darnach – zum merken.“

„Und woher kennst ihn? Woher?“

„Aus der warmen Stuben! Ja, a meiniger Kamerad is er g’wesen!“ kicherte der Alte, und während er mit dem Ellbogen den Hakenstock an sich drückte, ahmte er mit den zitternden, von Schmutz überkrusteten Fingern die Bewegung des Spinnens nach.

[798] Da packte ihn Gregor beim Arme und fuhr ihn mit zischender Stimme an: „Wann aber der Nam’ net stimmt!“

„Macht nix! Macht nix! Leicht b’sinn’ ich mich auch nimmer richtig auf sein’ Nam’. Aber – sein’ Nummer weiß ich noch – der Dreiundsiebz’ger is er g’wesen! Und Einer von die G’wichtigen! Zwölf Jahrln hat er g’habt! A Malefizzeit – so was! Mir waren meine vier schon z’viel, wo s’ mir selbigsmal ’naufg’hängt haben, völlig unschuldig, wegen so ei’m miserabligen Schlösserl, wo mir unter der Hand verbrochen is. Aber no – jetzt bin ich’s g’wohnt –“

„Laß mich in Ruh’ mit Dei’m G’wasch,“ raunte Gregor dem Alten mit heiserer Stimme zu. „Warum s’ ihn ’packt haben, sag’ mir!“

„Ja mein, da bin ich überfragt. Aber was B’sonders muß er ang’stellt haben, weil er gar so stolz g’wesen is! Ja! Wir Alle, wir waren ihm gar net nobel g’nug!“

„Na – na – es kann net sein! Du mußt Dich dengerst verschaut haben in ihm!“

„G’wiß net! Das heißt, es is a Bißl lang schon her – und wetten möcht’ ich g’rad net, aber – schwören thu’ ich!“

„’s Wetten wär’ mir lieber! Aber wissen möcht’ ich’s! Und mach’ weiter, da kommst mit mir jetzt und fragst ihn vor meiner ins G’sicht ’nein, ob er’s is!“ Ein paar Schritte zerrte Gregor den Alten mit sich fort; dann plötzlich wieder blieb er stehen, schüttelte heftig den Kopf und murmelte: „Na – nix – so geht’s net! So taugt’s mir net!“ Mit einem forschenden Blick überflog er das Haus und den leeren Hofraum, griff in die Tasche, drückte dem verdutzten Alten ein Markstück in die Hand und flüsterte ihm zu: „Da hast a Zehrgeld. Und jetzt gehst ins Wirthshaus und bleibst über Nacht. Es soll Dir ’was tragen – ’leicht kann ich Dich morgen als Zeugen brauchen!“

„Ah so? So steht’s?“ kicherte der Alte unter einem verständnißinnigen Grinsen. „Und weißt es ja – Dir thu’ ich allweil gern an G’fallen! Ich – ich bezeug’ Dir Alles – was Du haben willst. Heut’ g’rad so wie selbigsmal!“ Dabei schielte er mit einem zwinkernden Blick zu Gregor empor.

„Halt’ Dein’ Schnabel und mach’, daß weiter kommst!“ zischelte der Bursche, wandte sich hastig ab und ging, die Fäuste in die Taschen grabend, dem Hause zu. Unter der Thür schaute er noch einmal zurück und sah den Vagabunden mit wackelndem Kopfe durch das Zauntor auf die Straße schlurfen. „Lump alter! Du bist mir amal g’legen ’kommen!“ lächelte er vor sich hin, und während er langsam hinüberblickte gegen die Ställe, blitzte eine boshafte Freude in seinen Augen auf.

Er sah den Stoffel aus einer Thür treten, sah ihn ein Brett quer über den Brunnentrog legen und allerlei Riemenzeug herbeischleppen. Nach einer Weile kam auch Götz zum Brunnen und füllte einen hölzernen Eimer zum Trank für die Pferde.

Mit gekreuzten Armen lehnte sich Gregor an den Thürpfosten, furchte die Brauen, zog über den geschlossenen Zähnen die Lippen aus einander und starrte nachdenklich vor sich hin. Dann plötzlich fuhr er mit der Hand in die Tasche und brachte mehrere Markstücke hervor, die er der Reihe nach betrachtete. „Akrat is eins dabei!“ lachte er leise auf, drückte die ausgewählte Münze mit dem Daumen gesondert in die Hand und schob die andern wieder in die Tasche.

Langsam schlenderte er auf den Brunnen zu und begann in einem gar gnädigen Ton mit Stoffel zu plaudern, der mit einer Bürste das Riemenzeug bearbeitete, um die darüber gestrichene Schwärze in Glanz zu bringen. Und während er so plauderte und lachte, klapperte er unablässig mit dem Gelde in seiner Tasche. Stoffel spitzte die Ohren und meinte schließlich mit einem neidischen Seitenblick: „Saxen, da scheppert’s aber!“

„No ja, wo Vögel sind, da zwitschert’s halt,“ gähnte Gregor, zog die Hand aus der Tasche, warf ein Markstück in die Luft und fing es wieder mit geschicktem Griff.

„Ah! Nobel!“ staunte Stoffel. „Das möcht’ ich schon noch amal sehen.“

„So schau halt her!“

Wieder flog das Markstück in die Höhe – so hastig aber auch Stoffel mit beiden Händen zugreifen mochte, dennoch kam er um einen guten Bauernschuh zu kurz.

„Ja, g’schnitten!“ lachte Gregor und schnappte die fallende Münze dem Knechte vor der Nase weg. Da hörte er schwere Tritte aus dem Stalle näher kommen. Hastig streckte er die geschlossene Faust. „Aber schau – daß net meinst, ich bin Einer von die Neidischen – wann d’ Jahrzahl errathst – g’rad oder ung’rad – nachher g’hört’s Dein!“

Die Verdrossenheit in Stoffel’s Zügen verwandelte sich in zweifelnde Hoffnung. Er schielte nach der Hand, die sich ihm entgegenbot, schlenkerte die Quaste der Zipfelmütze vom linken Ohr aufs rechte und brummte: „Ich glaub’s net!“

„Auf Ehr’!“

„No also – ung’rad!“

„So schau Dir’s an!“

Mit beiden Händen tappte Stoffel nach Gregor’s Faust; doch als er sie fest geschlossen fand, murrte er entrüstet: No freilich, wie soll ich denn da schauen! Aufmachen sag’ ich!“

„Plag’ Dich halt a Bißl!“ lachte Gregor.

Während Stoffel nun gewaltsam die Faust des Burschen zu öffnen suchte, trat Götz zu den Beiden, schob den Eimer unter die Röhre und wandte sich wieder zum Gehen, als hätte er in der Gesellschaft, die er am Brunnen fand, die Füllung des Eimers nicht erwarten mögen.

Da öffnete Gregor von selbst die Finger. Stoffel riß die Münze an sich, schob sie vor die funkelnden Augen und schrie in heller Freude die Zahl hinaus, die er auf der Prägung gefunden: „Dreiundsiebz’g!“

Als wäre vor Götz ein Blitzstrahl niedergefahren, so zuckte er zusammen. Die Kniee schienen ihm brechen zu wollen, und mit beiden Händen griff er nach der nahen Mauer.

Gregor hatte genug gesehen. Nun brauchte er keinen Zeugen mehr. Mit einem boshaften Lächeln wandte er sich ab, und während er dem Hause zuging, hörte er hinter sich den Stoffel jubeln: „Da schau, Götz – da schau her! A Markstück hab’ ich g’wonnen. Rathen hat er mich lassen – und ung’rad hab’ ich g’rathen! Und g’wonnen hab’ ich! A Dreiundsiebz’ger war’s! A Dreiundsiebz’ger!“

Als Gregor die dämmerige Stube betrat, fand er Kuni damit beschäftigt, den Tisch für das Abendessen zu decken.

„No also? Hast Dich schon b’sonnen?“ fragte er, während er den Hut in einen Winkel schleuderte. „Ja oder na?“

Kuni warf die Bestecke, die sie aus der Lade genommen, auf den Tisch, trat mit hastigen Schritten vor den Burschen hin und sagte mit einer mühsam gedämpften, vor Erregung bebenden Stimme: „Mit Ja und Na is da nix g’sagt! Ich will mich amal ausreden mit Dir – und ganz! Und heut’ noch! In der Nacht, da wart’ ich hinter der Holzleg’ draußen, bis vom Wirthshaus kommst; denn im Haus herin is kein Reden für uns! Ich mag amal nimmer – ich mag net! Und ich sag’ Dir’s im Ernst!“

„Oho! Oho! Im Ernst! Jetzt da muß ich mich dengerst gleich um an Aufheiterung umschauen für Dich! No also, paß’ auf, heut’ Abend kannst noch an G’spaß erleben – an ganz an guten!“

„Gori!?“

„Mußt Dich net sorgen! Dir gilt’s für heut’ noch net!“ erwiederte der Bursche mit höhnischem Lachen. „Aber – a Kunststückel will ich probiren. Paß’ auf – ich reiß’ an Stein aus der Wand, und wenn er gleich drein verwachsen is! Und bei dem G’spaß, da kannst Dich g’rad überzeugen, wie d’ Leut’ über g’wisse Sachen denken!“

In Kuni’s Zügen stritten Zorn und Angst. „Was? Was is jetzt das schon wieder? Was hast im Sinn? Es is nix Gut’s! Ich kenn’ Dich, Gori, und ich sag’ Dir’s –“

Jählings verstummte sie, huschte zum Tische zurück, und während sie mit zitternden Händen die Bestecke vertheilte, lauschte sie in scheuer Unruhe den Stimmen und Tritten, die sich vom Flur herein vernehmen ließen.

Die beiden Pointner hatten das Haus betreten.




12.


Kaum eine Stunde später war’s, da brannte in der Stube schon die Hängelampe über dem gedeckten Tisch.

Hinter dem Ofen lag Gregor mit ausgestreckten Beinen auf dem Sofa Nebenan in der Kammer, deren Thür offen stand, rumorte der Pointner, und während er die schweren Schuhe in eine Ecke stieß, hörte man ihn seufzen, als wäre er nicht der Bauer auf der Point, sondern das armseligste Häuflein Elend.

[799] Karli lehnte, ein Knie auf die Holzbank stützend, in einer Fensternische und schaute mit zerstreuten Blicken in die sinkende Nacht hinaus. Er sah über den dunkelnden Himmel in raschem Zuge schwere, finstere Wolken aufwärts steigen, welche nach dem vergangenem schönen Tag einen der jähen Witterungswechsel zu bringen schienen, wie sie im Hochland dem Herbste eigen sind. Unter verlorenen Gedanken schaute Karli zu, wie hinter den treibenden Wolken Stern um Stern erlosch und wie die dunklen Kuppen der Berge immer tiefer in die wallenden Nebel versanken.

Lautlosen Schrittes kam der Pointner in seinen Filzpantoffeln aus der Kammer geschlichen. Während hinter ihm die Thür langsam zufiel, lugte er mit schiefen Augen auf den Ofenwinkel. Schwer seufzte er auf – er mochte wohl der vergangenen Zeiten gedenken, in denen er auf dem nun immer besetzten Sofa dort hinten die Dämmerstunde verduselt hatte, bis man ihn zur dampfenden Schüssel rief. Mit nickendem Kopfe, gähnend und seufzend, begann er ein unruhiges Umhertrippeln und griff in wehmüthiger Zerstreutheit mit den Händen nach allen Dingen. Ein paarmal räusperte er sich, nur um die drückende Stille zu unterbrechen, die in der Stube herrschte; dabei glitten seine Augen immer wieder mit halb scheuen, halb ungeduldigen Blicken zu Karli hinüber. Schließlich trat auch er an das Fenster, legte die Hand auf Karli’s Rücken, duckte den Kopf und schaute durch die Scheiben.

„Mir scheint, es überzieht sich a Bißl!“ sagte er mit einer Stimme, als hätte er dafür, daß es sich da draußen „ein Bißl überzog“, um Entschuldigung bitten müssen.

„A Bißl? So schau nur g’rad, ganz schwarz wird Alles,“ erwiederte Karli, während er ein wenig bei Seite rückte, um dem Vater Platz zu machen. „Mir scheint, heut’ Nacht schlagt ’s Wetter um!“

„Ja, kann schon sein!“ klang es mit dünnem Lächeln hinter dem Ofen hervor.

Die Beiden am Fenster schienen diese Stimme aus dem Hintergrunde überhört zu haben.

„Ah na, ich glaub’s net!“ versicherte der Pointner, während er sich, erleichtert aufathmend, neben Karli ins Fenster legte. „Der Mond is im Wachsen, der reißt’s schon wieder durch.“

„Wird sich wohl hart machen! Schau nur g’rad an, wie’s d’ Nebel niederdruckt. Aber am Heimweg hab’ ich mir schon so ’was ’denkt, weil’s auf amal gar so frisch über d’ Leithen ’runter ’zogen hat. Völlig frieren hätt’s Ein’ können! Wer weiß – ’leicht wirft’s uns schon an Schnee über’s Dach.“

„Jetzt gehst mir aber weiter,“ lachte der Pointner. „Drei Tag’ noch auf Allerheiligen – und schneien! Wo Ein’ die Sonn’ heut’ noch am Buckel ’brennt hat!“

„Macht nix! Wirst es sehen, heut’ über Nacht schlagt’s um. Der Götz hat die ganze Zeit schon g’meint, daß der Winter nimmer lang’ warten laßt! Und der versteht sich aufs Wetter.“

„Natürlich! Der Götz! Wann der was sagt, nachher haben bei Dir alle Andern ausg’redt!“ schmollte der Pointner in einer Anwandlung von Eifersucht. Nun hörte er ein Poltern an der Thür, und da er sich die Ursache desselben wohl zu deuten wußte, richtete er sich auf, strich die Hand über Karli’s Haare und sagte in traulichem Tone: „Aber komm, jetzt gehn wir essen.“

Zenz und Kuni hatten die Stube betreten, und hinter ihnen war Stoffel über die Schwelle gestolpert.

Kuni brachte ein hölzernes Geschirr voll gebratener Kartoffeln; dieselben schüttete sie rings um die irdene Schüssel, welche Zenz in die Mitte des Tisches gestellt hatte, und in welcher eine „braungeschmalzene“ Brotsuppe dampfte. Einen Teller erhielt nur der Bauer, für welchen auch ein Extragericht aufgetragen wurde – Nudelsuppe mit einer halben Henne.

„In Namen Gottes, Vaters und des Sohnes –“ fing der Pointner, sich bekreuzigend, zu beten an, worauf die Andern mit murmelnden Stimmen einfielen.

Der Erste, der sich nach dem Amen hinter den Tisch schob, war Gregor. Mit nicht sonderlich erbauten Blicken streifte er die Suppenschüssel; dann zwinkerte er den Teller des Pointner’s an und spöttelte: „Aber nobel ißt der Herr Schwager – akrat wie a Kindbetterin.“

„Johohoho,“ lachte Stoffel, während er für sich einen dreifüßigen Stuhl herbeizog. „Wann ich wieder amal auf d’ Welt komm’, werd’ ich auch a Großbauer und laß mir alle Tag’ ’was Extrigs kochen.“

„Jetzt red’ net so dumm, sondern hock’ Dich nieder und iß,“ schalt der Pointner, während er einen zornigen Seitenblick auf Gregor warf.

Und Karli fragte:

„Was is denn? Wo is denn der Götz?“

„Der wird schon noch a Bißl ausbleiben. Den Schimmel hat er nachfüttern müssen,“ antwortete Stoffel. Dabei griff er schon mit der Linken nach der größten Kartoffel, die er in seiner Nähe zu finden wußte. Durch einen Druck des Daumens öffnete er die Schale, stach mit der Rechten einen Theil der weißen, dampfenden Frucht auf den Löffel und fuhr damit in die Suppenschüssel.

Schweigend thaten es ihm die Andern nach. Die meiste Eile, satt zu werden, schien Gregor zu haben. Dabei blitzten seine Augen immer wieder nach der Stubenthür.

Niemand achtete auf ihn, außer Kuni, in deren Zügen eine seltsame Erregung zitterte. Sie verwandte fast keinen Blick von seinem Gesichte. Er merkte wohl, daß sie ihn beobachtete; doch schien er sich blutwenig um die halb ängstliche, halb drohende Sprache zu kümmern, die ihre Augen redeten. Jetzt sah sie ein böses Lächeln um seine dünnen Lippen zucken, hörte zugleich einen schweren Schritt im Flur – und aus ihrem Munde rang sich ein dumpfer, heiserer Laut, als hätte ihr plötzlich eine unsichtbare Hand die Kehle zusammengeschnürt.

Die Thür öffnete sich, und Götz betrat die Stube.

[814] Guten Abend!“ grüßte Götz. Und während Karli den Gruß erwiederte, machte Kuni eine Bewegung, als hätte sie aufspringen mögen, um den, welcher da die Stube betreten hatte, vom Tische fern zu halten. Fragend schaute der Pointner zu ihr auf, und aus Gregor’s Augen traf sie ein stechender Blick. Da rückte sie mit zitternder Hand den Stuhl, als ob er schlecht gestanden hätte.

Inzwischen hatte Götz seinen Hut in die nächste Fensternische gelegt. Dort blieb er stehen, bekreuzte sich, verschlang die Hände über der Brust und betete.

Nun kam er zum Tische.

Als er sich an Karli’s Seite niederließ, schaute ihm der Bursche betroffen in die Augen. Er hatte noch niemals ein lustiges Gesicht an Götz gesehen, aber auch nie noch Züge von dieser starren Trauer und finsteren Härte.

Götz schien diesen besorgten Blick nicht zu gewahren. Er nahm seinen Löffel auf, wischte mit den Fingern darüber, legte den linken Arm auf den Tisch und wollte zu essen beginnen.

Im gleichen Augenblick zog Gregor hastig die Hand von der Schüssel, warf den Löffel nieder, daß er hoch aufsprang, und lehnte sich mit gekreuzten Armen an die Mauer zurück.

„Aber was is denn jetzt das für an Art!“ fuhr der Pointner entrüstet auf; doch als wäre er selbst über seinen Ton erschrocken, so fügte er kleinmüthig bei: „Weßwegen ißt denn net weiter?“

„Weßwegen? – Weil ich mich z’ gut dafür halt’, als daß ich mit Ei’m aus der gleichen Schüssel schlamp’, der wo im Zuchthaus g’sessen is!“

Kuni schnellte von ihrem Stuhl empor: „Gori!“ stammelte sie; doch ihre weiteren Worte erstickten unter Karli’s schrillender Stimme. Mit dunkelrothem Gesichte war der Bursche aufgesprungen und hatte den Pointner am Arm in die Höhe gerissen.

„Vater – Vater – so ’was laßt net sagen an Dei’m Tisch – und z’ allerletzt von Ei’m, dem unser Schüssel schon länger taugt, als recht is!“

„Oho! Wirfst mir gar das Bißl Essen vor!“ spottete Gregor. während der Pointner ein unverständliches Stottern hören ließ, „Soll ich Dir’s zahlen? Was kost’s?“

„So? Spötteln? Spötteln willst auch noch? Wart’, Herr Vetter – Dir lern’ ich ’s Reden im Ernst!“ schrie Karli weinend vor Zorn. Mit Stammeln und Stottern suchte der Vater ihn zu beruhigen und auf die Bank niederzuziehen. Karli aber riß sich los und schrie auf Gregor ein: „Und auf der Stell’ jetzt – auf der Stell’ giebst Rechenschaft über Dein’ Red’! Wer – wer is im Zuchthaus g’sessen? Vom Pointnerhof wohl keiner net! Denn unter unserm Dach – verstehst mich – unter unserm Dach is noch allweil Alles sauber g’wesen – bis auf a g’wisse Zeit! Wer, frag’ ich – wer is im Zuchthaus g’sessen? Meinst ’leicht, mein Vater – oder ich? Und Du, Stoffel – laßt Du Dir so a Schand’ ins G’sicht ’neinsagen? Oder Du?“

Da wurde seine zornige Sprache zum Lallen, und verstummend starrte er mit erschrockenen Augen auf Götz, welcher regungslos an seiner Seite saß, die Fäuste in den Tisch gestreckt, mit leichenblassem Gesichte, mit trostlosem Blick und zitternden Lippen.

Nur der Pendelschlag der Wanduhr, sonst war kein Laut in der Stube zu hören.

Ein häßliches Lachen unterbrach diese Stille. „Ahan, mir scheint jetzt merkst ’was von der Sauberkeit unter Dei’m Dach!“ Und lachend schob sich Gregor aus der Bank, stellte sich mit gespreizten Beinen vor den Tisch, und die Hände in die Taschen grabend, wiegte er sich auf den Hacken seiner Stiefel.

Zenz und Stoffel schauten sich mit langen Gesichtern an; der Pointner schüttelte nur immer den Kopf, wühlte mit beiden Händen in seinen Haaren und schielte rathlos zu Kuni auf, welche hinter ihrem Stuhle stand und mit unruhigen Fingern über die Lehne tastete, während ihre Augen in scheuer Erregung zwischen Götz und Gregor hin- und widerglitten; Karli aber rüttelte den Knecht am Arm und stammelte: „Na – na – es kann net wahr sein! So red’ doch, Götz – so red’ doch – und sag’s ihm, daß er g’logen hat!“

Götz schien ihn nicht zu hören; er starrte regungslos ins Leere und raunte mit gebrochener Stimme vor sich hin: „Also wieder amal! Elf Jahr’ lang’ hab’ ich a Ruh’ g’habt – elf gute Jahr’ – und jetzt is’s wieder da! Mein Lieb’ und Glück – und mein verlorenes Leben – und noch net haben s’ g’nug! Und noch net lassen s’ mich in Ruh’! Herr Gott, was für a Denken hast Du in d’ Menschen g’legt, daß s’ kein Vergessen gar net kennen!“

Mit einem schluchzenden Laut erlosch seine Stimme, und schwere Thränen tropften von seinen Wangen nieder auf den Tisch.

Wieder herrschte lautlose Stille. Von draußen aber war ein dumpfes Rauschen zu hören, das aus der Ferne sich zu nähern schien. Jetzt pfiff ein jäher Windstoß um die Mauern; mit lautem Klirren flog ein Fenster auf, und fauchend zog ein kalter Luftstrom in die Stube.

„Na – na – was das jetzt Alles is!“ stotterte der Pointner, während er sich zitternd erhob, um das Fenster zu schließen.

Langsam richtete Götz den Kopf empor. Seine nassen Augen glitten über die von der zuckenden Lampenflamme trüb erhellten Gesichter und blieben an Kuni’s blassen Zügen haften.

„Ja – schaut’s mich an! Im Zuchthaus bin ich g’sessen – und Eisen hab’ ich ’tragen – und hab’ a Menschenleben auf mei’m G’wissen.“

„Jesses na!“ hörte man drüben am Fenster den Pointner kreischen; Zenz und Stoffel rückten scheu vom Tische; sogar auf Gregor’s Lippen erlosch das spöttische Lächeln, während er betroffen den Kopf aus den Schultern hob. Nur Kuni rührte sich nicht, als hielte Götz sie gebannt mit seinen Augen. Und schwer athmete sie auf, als er die Blicke von ihr wandte und mit einem schmerzlich bitteren Lächeln auf Karli schaute, der erschrocken von seiner Seite gewichen war.

Hastig erhob er sich, stieß sich aus der Bank und blieb vor Karli stehen.

[815] „Mußt Dich net fürchten – ich sorg’ schon, daß morgen Alles wieder sauber is unter Dei’m Dach. Wie’s mich von überall vertrieben hat – das einzige, gottverhaßte Wort – so vertreibt’s mich auch wieder von da, wo ich mich elf Jahr’ lang’ ’rein verwachsen hab’ – wie a Stein in der Mauer, hab’ ich heut wen sagen hören.“

Er machte ein paar Schritte in die Stube, blieb wieder stehen, schaute zu Karli zurück und fuhr mit schluchzenden Worten auf: „Na – na – von überall bin ich fort und hab’ kein Wort net g’sagt – aus Dei’m Haus aber, Karli, aus Dei’m Haus kann ich net fortgehn, ohne daß ich g’redt hab’. Und was ich auch zum sagen hab’, a Jed’s kann’s hören – g’rad Einer net – Einer net!“

Seine Stimme hatte sich zu schneidender Schärfe gehoben, und mit brennenden Blicken richteten sich seine Augen auf Gregor.

Der Bursche lächelte, zog erwartungsvoll die Brauen hoch und rührte sich nicht vom Flecke. Verdutzt aber schaute er darein, als Kuni hastigen Schrittes vor ihn hintrat und ihn mit zorniger Stimme anfuhr: „Geh, sag’ ich Dir – geh!“

„No ja – meinetwegen! Mich plagt d’ Neugier auf sein’ Unschuld net!“ lachte Gregor, nahm den Hut von der Ofenstange und verließ die Stube. Götz folgte ihm mit den Augen, bis sich die Thür geschlossen hatte.

„Wie er’s erfahren haben mag, ich kann mir’s net denken!“ stieß er mit bebenden Worten vor sich hin. „Und – er – er weiß net, was er mir anthan hat! Aber mag er’s jetzt ’than haben, bloß in der Bosheit, die aus seine Augen schaut – oder – oder weil er mich g’forchten hat –“

„G’forchten? Ja wegen was denn?“ ließ sich der Pointner mit schüchterner Frage vernehmen.

„Wegen was?“ wiederholte Götz. Da trafen sich seine Blicke mit Kuni’s erschrockenen Augen. Eine Weile schwieg er und sagte dann in einem eigenen, ausweichenden Ton: „Ich weiß net, wegen was! Aber no – jetzt is’s g’schehen! Und vor’gangen is mir’s auch schon – schon wie ich ’rein bin in d’ Stuben. A Stund’ kann’s her sein, da hab’ ich so schon a Mahnung ’kriegt – gelt, Stoffel? Und dengerst hab’ ich’s net glauben mögen – weil’s über mein’ Kraft geht, daß ich fort soll von da, wo ich g’meint hab’, ich hätt’ mir mit blutiger Arbeit ’s Recht verdient zum Bleiben und amal zum ruhigen Versterben.“

Mit ausgestreckten Händen und bleichem Gesichte wankte Karli auf ihn zu.

Götz aber wehrte ihn von sich. „Laß gut sein! Ich weiß ja, daß Du mich halten thätst. Aber d’ Leut’, Karli – d’ Leut’ lassen’s net zu. Und daß sie’s jetzt erfahren, was ich hinter mir hab’ – Einer wird schon sorgen dafür. Und Jedem kann ich ’s ja net verzählen, was mich ins Zuchthaus ’bracht hat! G’wiß wahr – unverdrossen hab’ ich mich für Dein’ Vater ’plagt, und Dich hab’ ich gern g’habt – bist mir g’wesen wie mein Kind. Aber wie jetzt Alles steht – ich verlang’ mir kein’ andern Dank, als daß kein’ schlechten Gedanken über mich net b’haltst und daß mich mit ei’m guten Abschied gehen laßt. Wohin – das weiß ich freilich net. Heimath hab’ ich ja keine! Im Unterland, weit draußen, haben meine Eltern g’haust, arme Schlucker. Wie s’ verstorben waren, is ’s Häusl mit’m Schuldenzahlen drauf’gangen, und mir is nix verblieben, als meine sechzehn g’sunde Jahr’ und zwei Arm’, die bei jeder Arbeit schneidig zu’griffen haben. Drum hab’ ich auch gleich an guten Dienst g’funden. A paar Jahr’ sind drüber hin’gangen. Unter der Woch’ hab’ ich g’arbeit’ wie a Roß – am Sonntag aber, wann ich meine paar Halbe Bier ’trunken hab’ und bin so um einander g’stiefelt auf die Felder und im Holz – da war’s mir wohl – und oft hätt’ ich im Uebermuth gleich unsern Herrgott g’fragt, was d’ Welt denn kosten möcht’. G’rad Eins noch hat mir g’fehlt zum völligen Glück – und das Eine hab’ ich auch bald g’funden!“

Schwer athmend verstummte er; als würden ihm die Kniee schwach, so tastete er rückwärts nach dem Ofen und ließ sich auf die Holzbank niedersinken.

„Neunzehn Jahr bin ich alt g’wesen. Da bin ich amal in a Nachbarort zur Kirchweih ’gangen. Und selbigs mal – da hab’ ich a Deandl g’sehen – a ganz a jungs. Schon gleich wie ich’s ang’schaut hab’, da is mir’s so g’spaßig warm in mir drin aufg’stiegen. A gar so a liebs G’sichtl hat s’ gehabt – g’wiß wahr – und so viel gute Augen! An einzigen Tanz g’rad hab’ ich mit ihr g’macht, und nachher hab’ ich zug’schaut, wie sie sich alle um’s Deandl g’rissen haben – und a jedsmal, wenn s’ an mir vorbei ’tanzt is, da hat s’ mich ang’schaut. Wie’s nachher Abend ’worden is, hat s’ heimgehen müssen. A vier a fünf Burschen haben s’ g’führt – und ich bin nach’gangen, weit hintendrein. Wie aber ’s Deandl in ihr Haus ’nein is – in a ganz armseligs Häusl – da hab’ ich mich ’tummelt und hab’ ihr noch an guten Abend g’wunschen. In der Nacht vor’m nächsten Sonntag hab’ ich ihr den ersten Buschen an’s Kammerfenster g’steckt. Im Garten hab’ ich ’paßt – und wie s’ meine Bleameln g’funden hat, hab’ ich mich ’zeigt. Ueber und über hat sie sich verfarbt und hat ’s Fenster zug’schlagen – in der Kirchen aber hat s’ mein’ Buschen am Mieder g’habt. Und nachher – ja, nachher – da war’s halt so, daß wir uns gern g’habt haben. Gern haben – es is g’rad a Wörtl – aber was sagt sich net Alles damit! Gern haben, wenn’s Einer richtig g’spürt, heißt leben – und sterben.“

„Leben – und sterben!“ seufzte Karli vor sich hin. Lautlos saßen die Andern auf ihren Stühlen. Nur Kuni stand hoch aufgerichtet inmitten der Stube, mit halbgeöffneten Lippen, starre Spannung in den Zügen, die funkelnden Augen unverwandt auf Götz gerichtet.

Der strich sich langsam mit dem Rücken der zitternden Hand über die Stirn: „A Glück is zwiefach Glück, wann’s heimlich is ! An Kameraden hab’ ich g’habt im Deandl sei’m Ort – das war der Einzig’, der von meiner Liebssach’ g’wußt hat – a braver, seelenguter Mensch, aber auch einer von dieselbigen Hascher, auf denen ’s Leben um einander trampelt mit g’nagelte Schuh’! Sonst hat kein Mensch ’was erfahren davon – am allerwenigsten dem Deandl ihre Leut’. Die zwei, die waren a Bißl von der harben Art. Was hätt’ uns auch ’s Reden g’holfen! An a Heirathen war ja kein Denken net – ’s Deandl hat nix g’habt und ich noch weniger. Aber wir zwei, wir sind ja schon z’frieden g’wesen mit der Lieb’ allein – und jung g’nug zum Warten auch. Aber no – wie’s halt geht! Z’erst bin ich bloß alle Sonntag ’nüber – bald aber waren mir die zwei Stund’ Weg an kei’m Abend nimmer z’weit. Da hat aber auch mein Bauer bald ’was g’merkt von meine heimlichen Weg’ und hat mich zur Holzarbeit am Berg ’naufg’schafft. Keine vierzehn Tag’ noch bin ich droben g’wesen, da haben s’ mich zu die Rekruten ’packt. In der Nacht, wie ich mei’m Schatz B’hüt Gott hab’ sagen wollen – da is a Licht in ihrer Kammer g’wesen, und ’s Fenster war verhängt – und für’kommen is mir’s, als wie wenn ’s Deandl krank wär’ und wär’ ihr Mutter bei ihr drin. G’wart’t hab’ ich – und g’wart’t – und d’ Nacht is vergangen – und fort hab’ ich müssen – ohne Wort und Abschied – und vor Leid und Weh hab’ ich g’meint, es druckt mir ’s Herz schier ab. Sieben Jahr’ Soldat sein – das heißt fein ’was, wann Einer kein anders Denken net hat als auf sein Lieb’. Den Sprung aber, den ich vor Freuden g’macht hab’ – wie ich in der Stadt drin ’s Nummer ’zogen hab’ – und hab’ mich freig’spielt g’habt!“

„Freig’spielt“ staunte der Pointner. „Du warst ja doch beim achten Regiment?“

„Ich? Na – ich net! Ich hab’ mich freig’spielt. Und in der gleichen Stund’ noch bin ich davon und heimzu in ei’m Sauser. Und wie ich da durch’s Holz durch komm’ – zwei Stund’ weit von mei’m Ort – da hör’ ich von weitem schon a Rumpeln und Rasseln – und kaum daß ich mich recht versieh, da sausen Dir schon zwei scheuche Roß daher – und die Kutschen dahinter hat’s hin- und herg’worfen, als müßt’ s’ in jedem Augenblick ’neinfliegen unter die Bäum’. A Herr is dring’sessen, ganz kreidenblaß – und neben seiner a noble Frau, die g’rad ein’ Schrei um den andern ’than hat. Natürlich – was will ich machen? Wie’s halt jeder g’macht hätt’! Mit ei’m Fahrer –“ Dabei schoß er von der Bank empor und griff mit beiden Fäusten in die Luft. Eine brennende Röthe färbte sein bleiches Gesicht, seine Augen blitzten auf, und während er in fliegenden Worten weitersprach, begleitete er seine Schilderung mit hastigen, erregten Gesten. „Mit ei’m Fahrer bin ich zug’sprungen auf d’ Roß, hab’s Handpferd bei die Zügel, ’s ander’ bei der Stang’ erwischt, hab’ mich dran hing’hängt mit mei’m ganzen G’wicht – woltern a vierzig Schritt weit haben s’ mich fortg’rissen – und auf amal sind s’ g’standen und haben ’zittert am ganzen Leib – und [816] g’schnauft und g’schaumt. Und die im Wagen drin, die haben Dir weiter auch net aufg’schnauft jetzt! Derweil is der Kutscher nach’kommen, über und über voller Staub, blutig im G’sicht – und den linken Arm, den hat er nimmer rühren können. Lang’ hab’ ich s’ net reden lassen – am Bock bin ich ’naufg’sprungen, hab’ den Kutscher an mein’ Seiten g’nommen und bin davonkutschirt – g’radaus und rechts und links – wie’s mir ang’sagt worden is. Vor ei’m Schlößl hab’ ich g’halten – und mit der Herrschaft hab’ ich am Tisch essen müssen. Und wie der Schloßherr in mei’m Reden so g’merkt hat, daß ich mich auf die Bauernsach’ versteh’ als wie an Alter, da hat er mir nach ’m Essen sein’ Maierhof ’zeigt – und ’s End’ davon war, daß er mir die Pachterei an’tragen hat. Mir is Dir gleich d’ Red’ im Hals drin stecken blieben – aber ich hab’ an mein liebs Deandl ’denkt, hab’ mir’s Kurasch g’nommen und hab’ ihm g’sagt: gleich morgen könnt’ er mich haben, aber zugeben müßt’ er, daß ich heirathen därfet. Und Ja hat er g’sagt – und zehn Preußenthaler Angeld hat er mir geben – und ich – ich bin davon und heimzu wie der Teufel und g’rad g’lacht und g’weint hab’ ich in ei’m Trumm – vor hellichter Freud’! Ja – denken wann ich mögen hätt’, zu was ich heimkomm’ – da wär’ ich freilich net gar so g’sprungen!“

Die Stimme schlug ihm über, und langsam griff er mit der Hand an seinen Hals. Niemand in der Stube rührte sich. Bange Spannung lag auf allen Gesichtern und mit regungslosen Blicken waren alle Augen auf Götz gerichtet.

„A Sonntag war’s – g’spaßig! – End’ und Anfang – jedesmal a Sonntag! Es is schon auf’n Abend ’gangen, wie ich zu die ersten Häuser ’kommen bin. Im Sinn g’habt hab’ ich’s wohl, als sollt’ ich g’radwegs zu mei’m Deandl seine Leut’ hingehn. Hätt’ ich’s nur so g’macht – hätt’ ich mir’s nur net ausg’redt! Ich aber hab’ mir ’denkt, daß vor alle Andern mein Deandl unser Glück erfahren müßt’ – und gar so heimlich hab’ ich mir’s fürg’stellt, wann ich mich z’erst noch drüber freuen könnt’ mit ihr allein! Und weil’s mir auf der Straßen noch a Bißl z’ lebendig war, hab’ ich mir ’denkt, ich kehr’ a paar Stund’ im Wirthshaus zu. Da war a lustige G’sellschaft bei einander – ich hab’ mich dazug’setzt – hab’ mir an süßen Wein geben lassen – g’rad g’schmeckt hat er mir! – und ein Liedl hab’ ich g’sungen um’s ander’! Und da war von die Burschen einer, der a Geld ’braucht hätt’ – der hat a kleine Uhr und a silberne Halsketten zum Kauf um’boten. Da hab’ ich g’meint, mein Deandl könnt’ a Freud’ dran haben – hab’s Geld am Tisch hing’haut – und ’s Uehrl mit der Ketten hab’ ich mir umg’hängt. Und wie ich aufschau, steht mein Kamerad vor mir. G’rad Augen hat er an mich hin g’macht. Ich aber hab’ ihn ’packt und hab’ ihn g’halst – und hab’ ihn ’neinzogen in an Winkel – und all mein’ Seligkeit hab’ ich an ihn hinplauscht mit meiner lustigen Zung’. Und da hat er g’sagt, er thät’ mir Glück wünschen zu meiner Nummer und zu meiner Herrschaft, aber – aber – das ‚aber‘ hat mich heiß g’macht. Doch kaum ich g’hört hab’, was dahintersteckt, hab’ ich ihm hellauf ins G’sicht g’lacht – hab’ mein’ Hut von der Wand g’rissen und bin davon. Und g’rad g’lacht hab’ ich! Mein Deandl – und an Andern heirathen! Und so Ein’ noch dazu! Freilich der reichste Bauernsohn – aber der ärgste Lump im ganzen Ort, der alle paar Häuser weit a Madl in der Schand’ hat sitzen lassen! Ja mein – g’rad allweil ’nausgelacht hab’ ich in die sternscheinig’ Nacht!“

Diese Worte begleitete ein heiseres Lachen.

Er zog die Pfeife aus der Joppentasche, und schien nicht zu wissen, daß er es that. Er suchte wohl unwillkürlich seine zitternden Hände zu beschäftigen. Und während er ein um das andere Mal die Röhre aus der Pfeife riß und wieder festschraubte, stieß er Wort um Wort vor sich hin: „Und ich hab’ noch allweil g’lacht – wie ich schon da g’standen bin – vor mei’m Deandl sei’m Haus. Gleich von der Straßen aus hat man über a steils Wiesenfleckel in d’ Höh ’nauf müssen – und da hab’ ich mich ’naufg’schlichen – unter die Apfelbäum’ – und auf amal – da hör’ ich a Wispern – an Schritt noch hab’ ich g’macht, und nachher bin ich g’standen, als wär’ ich Stein worden auf und auf. ’s Kammerfenster is offen g’wesen und ’s Deandl war dabei – und Einer is im Fenster g’sessen – und ich hab’ ihn ’kennt – an der Stimm’ schon – den selbigen – und von der Heirath hat er g’redt – und – und ’s Deandl hat’s ang’hört – ohne Widerred’ – und auf amal – da schlagt er d’ Arm’ um ihren Hals. D’rauf zuspringen hab’ ich wollen – aber kein’ Rührer net hab’ ich z’wegen ’bracht; völlig schwarz is mir’s worden vor die Augen – a Fenster hab’ ich noch schlagen hören, und nachher hab’ ich a Sausen in die Ohren ’kriegt und hab’ mich anhalten müssen am Baum, daß ich net umsink’. Und wie ich mein G’sicht wieder ’krieg’, da steht er da vor meiner – in mir drin steigt’s mir siedheiß auf – ‚Du – Du!‘ – sonst hab’ ich kein Wörtl net g’habt – und wie er die Andern ’rum’bracht hat, so hat er mein Deandl ’rum’bracht; das war mein einzig’s Denken. Und wie er’s die Andern g’macht hat, macht er’s mei’m Deandl – und da bin ich ihm schon mit alle zwei Fäust’ am Hals, daß er kein’ Laut nimmer giebt – und hab’ ihn hindruckt an den nächsten Baum – und wie mehr er sich wehrt, wie wilder bin ich ’worden – und – und auf amal – da merk’ ich, daß er kein’ Arm mehr rührt. Da packt’s mich an, wie an eiskalter Schreck – und wie ich d’ Händ aufmach –“

Ein dumpfes Klirren mischte sich in seine Worte; Götz hatte die Pfeife fallen lassen, deren Kolben auf den Dielen in Scherben zerschellt war.

„Und wie ich d’ Händ’ aufmach’ – da schlagt er nieder wie a Stückl Holz. Ich will ihn noch derhalten – aber da reißt’s ihn schon über d’ Wiesen weg – bis mitten ’naus auf d’ Straßen. ‚Jesus Maria!‘ – das war Alles, was ich ’rausbracht hab’. Kaum haben mich d’ Füß’ noch ’tragen, wie ich ’nunter bin zu ihm. Auf’m G’sicht is er g’legen, ’s Blut is ihm unter die Haar’ ’rausg’schossen, kein’ Schnaufer nimmer hab’ ich g’merkt und kein’ Herzschlag nimmer g’spürt.“

„O lieber Gott – Du heiliger Herrgott!“ stotterte der Pointner, während Zenz sich murmelnd bekreuzigte.

„Da hat mich ’s Grausen ’packt – und auf und davon bin ich – g’radaus über d’ Wiesen,“ sprach Götz mit tonloser Stimme weiter. „Aber z’ruck’trieben hat’s mich wieder – und in der Verzweiflung hab’ ich mein’ Kameraden g’sucht. G’weint hat er um mich – g’weint wie a Kind. Ueber Nacht hat er mich b’halten und hat mir versprochen, daß er kein’ Zeugen macht und nix vom Deandl redt – und ’s Deandl selber, hab’ ich g’meint, hätt’ ja Grund g’nug zum Stadsein. Und da hab’ ich mich auch net ’täuscht! Am andern Morgen hab’ ich mich stellen wollen – aber kaum ich auf der Straßen g’wesen bin, haben mich d’ Schandarm’ schon g’habt. Die Uhr mit der silbernen Ketten hat mich verrathen – er hat’s in die starren Finger g’halten. Viel Plag’ haben s’ net g’habt mit mir, die Herrn vom G’richt! Im Wirthshaus g’trunken und auf der Straßen g’rauft, hat’s g’heißen – und ich hab’ Ja g’sagt zu Allem.“

„Weßwegen aber hast Dich net g’wehrt?“ fuhr Karli mit bebender Stimme auf. „Weßwegen hast ihnen net g’sagt, daß Alles mehr a Unglück g’wesen is als wie a Sünd?“

„Weil ich ’s Deandl in d’ Red’ hätt’ bringen müssen! Denn mag’s an mir auch g’handelt haben, wie ich’s nie net ’denkt hätt’ von ihr – nie net! – nie! – sie hätt’ mich erbarmt in ihrer Schand’! Und ich – ich hätt’s net vertragen, daß ich vor’m G’richt ihr G’sicht hätt’ anschaun müssen Stund’ um Stund’. Und ob jetzt auch der schwere Fall, den der Ander’ auf d’ Steiner von der Straßen ’than hat, erst ’s Unglück fertig g’macht hat, schuld dran war ich ja dengerst – und drum hab’ ich mein’ Straf verdient. Aber freilich, wie mein Spruch verkündt worden is, da hat’s mir halt doch an Schrei aus’trieben – und niederg’worfen hat’s mich, wie wann mir Einer d’ Füß’ abg’schlagen hätt’. Zwölf Jahr’! Zwölf Jahr’ so mitten ’raus, das is so viel wie’s ganze Leben! Und wie s’ mich ’neing’führt haben – wie’s mir g’wesen is – aber na! Weßwegen soll ich’s sagen? Es g’spürt’s mir ja dengerst Keiner nach! Und nach die ersten paar Jahr’, da hab’ ich’s ja auch verwunden – und in Geduld hab’ ich ’tragen, was ein Tag um den andern ’bracht hat. G’rad vor der Nacht – vor der Nacht hab’ ich mich g’forchten – wann ich so g’sessen bin in der Finstern, und es hat mir mein G’wissen kein’ Schlaf net vergönnt – und wann ich mir d’ Augen blutig g’weint hab’ um mein Glück und um mein Deandl! Zwölf Jahr’ hab’ ich g’habt – und im neunten haben s’ mich g’nadigt – wegen meiner Führung. Wie ich draußen g’standen bin unterm lichten Himmel, da hab’ ich d’ Arm’ g’streckt, und aufg’schnauft hab’ ich, und wenn ich mir auch g’sagt hab’, daß mein Leben ausg’lebt is, so hab’ ich mir doch ’denkt: ich [818] will’s in der Arbeit zeigen, daß ich noch Einer bin, der unter die Menschen sein’ ehrlichen Platz verdient. Ja – Narr, der ich g’wesen bin! Mit mir allein g’rad hab’ ich g’rechnet, und hab’ net an das Wörtl ’denkt, das hinter mir nach’gangen is als wie mein Schatten. Alles hat mich verlassen; mein’ junge Zeit, mein Glück, mein Deandl – und treu ’blieben is mir ganz allein das gottverhaßte Wort – so treu wie a blinder Hund. G’wesen is, als traget ich ’s Eisen als a unsichtbarer noch hinter der Hand –“ Aufseufzend streifte er von seiner Linken den Aermel zurück und starrte auf den Knöchel nieder, als wären an ihm die Spuren der Kette noch zu sehen. „Und wo mir Einer gut worden is um meinetwegen und hat mir meine zwei Händ’ in Dank oder Freundschaft g’schüttelt, da hat sich ’s Eisen g’rührt, und da hat noch a Jeder mein’ Hand von ihm g’stoßen in Schimpf oder Grausen!“

Noch hatte Götz nicht ausgesprochen, als eine leidenschaftlich gehobene Stimme durch die Stube schrillte: „Na, Götz – na – net a Jeder! Dein’ Hand gieb her – und da – da hast die meinig’!“

Als Götz mit einem jähen Ruck das Gesicht erhob, fühlte er schon seine Hände von heißen Fingern umschlossen, und Kuni stand vor ihm, die Wangen von brennender Röthe überglüht, mit flammenden Augen, vor Erregung zitternd am ganzen Leibe. „Und mögen’s die Andern halten, wie’s ihnen taugt – und mögen s’ ihren Hochmuth reden lassen statt ihr Herz – und die ganze Welt wenn sich abkehren thät’ von Dir – ich, Götz – ich stell’ mich an Dein’ Seiten!“ sprudelte es in wilder Hast von ihren Lippen. Mit jedem Worte steigerte sich noch die Leidenschaft ihres Tones, und Thränen stürzten aus ihren Augen. „Ich stell’ mich an Dein’ Seiten,“ schrie und schluchzte sie, „und ich halt’ aus bei Dir auf Biegen und Brechen. Bis zur heutigen Stund’ hat’s mir noch kein’ frohe Minuten ’bracht, daß ich den Pointnernamen trag’ – jetzt aber freu’ ich mich d’rum! Jetzt bin ich da – jetzt will ich mich anhalten an mein Recht! Und so lang’ ich noch unter dem Dach da a Wörtl zum reden hab’ – so lang’ ich noch an Schnaufer hab’, da, Götz, da schwör’ ich Dir’s in d’ Hand! – so lang’ sollst Du im Pointnerhof kein ungut’s Wörtl hören, so lang’ sollst Du an meiner Seiten Dein’ Heimath haben, wo Dir verdient hast in ehrenhafter, blutiger Arbeit!“

„Kuni – Kuni!“ stammelte Götz, und dabei war in seinen nassen Augen ein Blick, als könnte er nicht fassen, was er sah und hörte. „Von Dir am allerwenigsten hätt’ ich mir ’denkt, daß Du die Erste bist –“

„Ja – ja – Schand’ g’nug für aus, daß sie die Erste war,“ unterbrach ihn Karli mit erregter, fast zornig klingender Stimme, „sie g’rad, die kaum vom Hörensagen weiß, wie Du Dich in elf Jahr’ schier krumm g’arbeit’ hast für unser Haus und Gut. Schamen müssen wir uns, mein Vater und ich, daß net einer von uns gleich ’s erste Wörtl g’funden hat!“

„Ja ja, schamen muß er sich – er und der Vater!“ kollerte Stoffel vor sich hin, daß sich Zenz erschrocken nach ihm umwandte.

„Aber was von der Bäuerin g’hört hast, soll jetzt doppelt g’sagt sein von mir aus. Da, Götz – gieb mir die ander’ Hand – und da hast die meinig’! Und a Jeder, der wo Dir ’was anhaben will, der soll’s mit mir zum schaffen haben! Und g’halten sollst sein bei uns, daß zwischen morgen und gestern kein’ Unterschied net merkst. Gelt, Vater – gelt? So rühr’ Dich d ch – und red’!“

„Aber ja – no freilich – was wär’ denn da jetzt noch zum reden!“ stotterte der Pointner, in dessen bangen Zügen Verlegenheit mit Rührung kämpfte, während er sich zögernd erhob und mit beiden Händen hinter die Ohren fuhr: „Das is ja g’wiß – mich kennt er ja, der Götz! Aber – natürlich – es is halt so a Sach’! D’ Leut’ halt – d’ Leut’! Denkt’s nur g’rad an Spinner-Veit!“

„Hörst es, Kuni? Hörst es, Karli?“ fuhr Götz, seine Hände lösend, mit bitterem Lachen auf. „D’ Leut’ halt – die Leut’! Recht hat er, Dein Vater, daß ich ihn kenn’! Er hat ja auch, wann’s diemal sein muß, ’s Herz am rechten Fleck. Aber er is halt im g’witzten Alter und weiß, daß Mensch sein heißt: so sein, wie d’ Leut’ Ein’ haben wollen! Ich kenn s’ ja, d’ Leut’! Vier Jahr’ lang hab’ ich s’ ausstudirt! Selbigsmal – wie ich frei worden bin – da hat’s mich in d’ Näh’ von meiner Heimath ’trieben! Ganz heim hätten mich vier Roß net ’bracht! Und ’s Erste, was ich erfahren hab’, is g’wesen, daß mein Schatz, mein lieber, lang schon g’heirath’ hat – ja – vor neun Jahr’ schon – akrat um die Zeit ’rum, wo mein Spruch verkündt worden is. Und so viel Mitleid haben s’ mit mir g’habt, die Bauernleut’ alle – aber keiner is g’wesen, der mich als Knecht hätt’ mögen. Weit fort hab’ ich gehen müssen, bis ich den ersten Dienst g’funden hab’. Aber keine sechs Wochen hat’s dauert, da hat sich schon mein Schatten g’rührt. Und so hat er mich ’trieben von Platz und Platz – von ei’m Dorf ins ander’. Vier Jahr’ lang hab’ ich’s ausg’halten – nachher hab’ ich mir ’denkt: probierst es in der Stadt; wo so viel Menschen sind, da drückt sich schon noch einer ’nein. Aber da hab’ ich gleich gar kein’ Platz net g’funden. Zeugniss’ haben s’ überall verlangt bis auf mein’ Schulzeit z’ruck – und da haben sie s’ halt g’mangelt – die g’wissen Jahr’! Jetzt aber is mir’s z’ viel ’worden – und ich hab’ schon g’sagt zu mir: a Lump werden magst net, ehrlich lassen s’ Dich nicht leben, so mach’ halt aus und gar mit Dir! Und wie ich mit dem Gedanken um einander renn’ zwischen die Häuser, da hat mir’s der liebe Herrgott ’geben, daß mein Kamerad an mich hinlauft – der einzige Mensch, der mir Freundschaft g’halten hat! Mein Gott, der hat sich weiters auch net g’altert g’habt! Is auch Einer g’wesen, den ’s Glück am Zug g’habt hat, und der in der Heimath kein’ Ruhstatt hat finden können. So hat er’s jetzt überm Wasser drüben probiren wollen – in der andern Welt. Götz hat er g’heißen – Gotthard Sauer –“

„Gotthard Sauer! So heißt ja Du!“ unterbrach ihn Kuni mit schrillenden Worten.

„Ja – seit dem selbigen Tag. Denn wie ich ihm mein Elend so vorg’jammert hab’, da hat er z’erst g’meint, ich sollt’ mit ihm. Aber an einzig’s Hemd am Leib und a paar Gulden noch im Sack – da reist Einer schwer. Und da hat er mich bei der Hand g’nommen – und da hat er g’meint, überm Wasser drüben thät’ kein Mensch mein’ Nam’ net kennen, keiner thät’ wissen, was für a Schand’ drauf liegt – da drüben wär’ ein Nam’ wie der ander’. Und so hat er mir an’boten, daß ich als Gotthard Sauer bleiben sollt’ – und weit davon sollt’ ich gehen, hat er g’meint, ’leicht wo ’nauf ins Oberland oder ins Fränkische ’nein – und er nachher, er thät’ als Lechner-Xaver fortgehn übers Wasser. Und so lang hat er mir zug’redt, bis ich Ja g’sagt hab’. Was thut man net fürs Leben! Sein Taufschein hat er mir ’geben, sein Zeugniss’ alle, sein’ Paß vom achten Regiment –“

„Jesus Maria – ja was is denn!“ kreischte mit einem Male der Pointner und streckte die Arme gegen Kuni, welche mit kreideblassem Gesichte, mit geschlossenen Augen und klaffendem Munde stand, taumelnd mit den Händen nach einer Stütze griff und lautlos in die Kniee brach, noch ehe der Bauer sie erreichte.

Karli, Zenz und Stoffel eilten auf die Ohnmächtige zu, und während der Pointner sich an ihrer Seite auf die Kniee warf, schalt er in rathlosem Zorn zu Götz empor: „Da schau – das hat man jetzt davon – von Deine grausigen G’schichten – daß Ei’m d’ Haar’ aufstehn möchten!“

Regungslos, mit erschrockenen Augen starrte Götz auf die Gruppe zu seinen Füßen.

„Sie schnauft schon wieder – da – ich g’spür’s!“ schrie Zenz. „A Wasser schafft’s her – a Wasser!“

Der Pointner schoß in die Höhe, und während er, um den Wasserkrug vom Tisch zu holen, an Götz vorüberrannte, fuhr er ihn an: „Was stehst denn noch da? Damit s’ gleich wieder den Schrecken hat, wann s’ d’ Augen aufmacht?“

Da bückte sich Götz, hob mit zitternder Hand die zerbrochene Pfeife von den Dielen, streifte noch mit einem scheuen, verlorenen Blick das bleiche Gesicht der Ohnmächtigen und verließ die Stube.

Ein heftiger Windstoß prallte ihm entgegen, als er die Hausthür öffnete. Mit Pfeifen und Rauschen umfuhr es die Mauern. Eine Weile zögerte er; dann fuhr er sich mit der Faust über die Augen und schritt hinaus in die stürmische Nacht.


[831]
13.

Die Wolken schienen an den finsteren Dächern und an den Wipfeln der halb schon entblätterten Bäume anzustreifen. Sie lagen so dicht und schwer, daß der Sturm, so heftig er auch tobte, sie kaum zu bewegen vermochte. In das Pfeifen und Rauschen des Windes mischte sich das Kreischen der rostigen Dachfahnen, das Klappern der losen Fensterläden, das Aechzen der Bäume und das Knarren ihrer Aeste. In wirbelnden Säulen fuhren die dürren Blätter über die Straße hin oder sammelten sich, wenn die Gewalt des Sturmes sich für eine kurze Weile schwächte, auf der Erde zu raschelndem Tanze. Dann fielen auch schwere Tropfen, doch immer versiegte der Regen wieder, sobald der Wind mit heftigen Stößen sein altes Treiben und Rauschen begann.

Langsamen Schrittes folgte Götz der dunklen Straße. Seine Joppe flatterte und die gezausten Haare peitschten ihm die Wangen. Er schien die scharfe Kälte nicht zu fühlen, die ihn umwehte. Fast vor jedem Hause blieb er stehen, als hätte er stummen Abschied nehmen mögen von jeder Thür, durch die er gegangen, von jedem Fenster, aus dem er in all den verwichenen Jahren so manchen freundlichen Gruß und manch ein trauliches Wort vernommen. Auf den Kirchhof trat er, wanderte durch die Reihen der Gräber und verhielt sich vor jedem Hügel, zu welchem vor Jahr und Tag seine eigene Hand eine Schaufel voll Erde geworfen. Nun stand er vor einem eisernen Gitter, das ein zimmergroßes Geviert umschloß. Es erhob sich in ihm nur ein einziger Hügel – das Grab der seligen Pointnerin – und das drückte sich hart in eine Ecke, um Raum zu lassen für die Kommenden.

„Da – da, hätt’ ich g’meint – da sollt’ ich auch amal mein Platzl finden! Aber jetzt – wo jetzt!“

Er fuhr sich über die Augen, dann faltete er die Hände und betete.

„B’hüt’ Dich Gott halt, Bäuerin!“ seufzte er auf, bekreuzte sich und verließ den Kirchhof.

Er wanderte durch das halbe Dorf zurück, erstieg den Kapellenberg und setzte sich auf jene Bank, auf welcher Sanni gesessen, als er ihr die Nachricht von der Ankunft ihres Vaters brachte.

Auf dieser Höhe hauste der mächtige Sturm in seiner ganzen Wildheit. Er pfiff und johlte um die Mauerecke der Kapelle und heulte durch die Luken des Glockenturmes. Er peitschte das letzte Laub von den Bäumen und schlug die dürren Zweige von ihren Aesten.

Götz fühlte, wie der gewaltige Stamm der Linde, an die er sich mit dem Rücken lehnte, bis ins Mark erzitterte. Rindenstücke und kleine Zweige rieselten über ihn nieder, und häufig sah er sich in eine völlige Wolke der wirbelnden dürren Blätter gehüllt.

Ein Schauer rüttelte seine Schultern. Seufzend erhob er sich. „Es is kein Bleiben net!“ murmelte er – und es hatte dieses Wort für ihn einen doppelten Sinn. Es galt dem Orte, an dem er sich befand, und schloß zugleich die Reihe der Gedanken, welche ihm hier durch Kopf und Herz gestürmt.

[832] Während er zum Dorfe niederstieg, ließ das Tosen des Windes nach. Er schaute in die finstere Höhe. Nun würde wohl auch die Schwere der Wolken zu ihrem Rechte kommen. Unwillkürlich fiel er in rascheren Gang.

Als er den Pointnerhof erreichte, sah er hinter keinem der Fenster mehr ein Licht. Freilich, es mochten ja Stunden vergangen sein, seit er das Haus verlassen. Schon wollte er sich dem Zaunthor nähern, als er ein leises, klirrendes Geräusch zu hören vermeinte. Seine Augen überhuschten die Giebelwand und blieben betroffen an einem Fenster haften. Dort schob sich ein dunkles Etwas über die Brüstung ins Freie, glitt auf die Erde nieder und huschte an der Mauer entlang – eine weibliche Gestalt – und Götz erkannte sie. An der Hausecke blieb sie wie lauschend stehen und verschwand dann in der Tiefe des finsteren Hofes – nach einer Richtung, aus welcher sich ein dünnes Hüsteln hatte vernehmen lassen. Und er kannte dieses Hüsteln.

„Also doch!“

Mit zitternden Händen klammerte sich Götz an die Stäbe des Zaunes. Er wußte nicht, weßhalb es ihn so eigen schmerzte, daß er nun dennoch Recht gehabt – mit seinem ersten Gedanken über Kuni und den „Bruder von irgendwo“.

Wenn Gregor wirklich ihr Bruder war, wozu dieses heimliche Stelldichein in der Nacht? Und wenn sich Bruder und Schwester schon Dinge zu sagen hätten, die kein fremdes Ohr erlauschen sollte – konnten diese Beiden dazu nicht eine andere Stunde finden? Weßhalb hatte Kuni das Knarren der Hausthür zu scheuen, weßhalb mußte sie mit so lautloser Vorsicht durch das Fenster steigen, wenn sie den Bruder suchte – und nicht ihren Liebhaber? Wie häßlich, ach, wie häßlich! Und wie sie das Heucheln verstanden hatte in all dieser Zeit! Und jetzt gerade mußte er hinter die abscheuliche Wahrheit kommen, jetzt gerade, wo es ihn so sehr gefreut hätte, wenn er besser von Kuni hätte denken dürfen – von ihr, die ihm heute vor allen Anderen zuerst die Hand geboten!

Er wollte sich zum Gehen wenden, doch brachte er keinen Fuß von der Stelle. Durfte er denn gehen? Durfte er schweigen? Wurde er nicht selbst zum Mitschuldigen dieser häßlichen Heimlichkeit, wenn er sie schweigend geschehen ließ? Noch war er ja ein Glied dieses Hauses, über dessen Ehre er aus Pflicht und Dankbarkeit zu wachen hatte. Nur daß es sie gerade war, sie, die ihm heute in dieser bitteren Stunde die gedrückte Seele erhoben und getröstet und seinem Herzen dadurch so eigen nahe getreten – daß sie es gerade war, über die er nun Zorn und Schimpf heraufbeschwören sollte! Aber durfte er in seinem rechtlichen Sinn ein unklares Empfinden über die klare Pflicht, durfte er die Freude einer Minute über die Wohlthat dieser elf vergangenen Jahre setzen?

„Nein! Ich därf’s net hingehen lassen! Und reden müßt’ ich, und wenn’s mein’ eigne Schwester wär’.“

An der Stelle, an welcher er stand, überstieg er den Zaun. Er streckte die Hand nach dem Fenster – und zog sie kopfschüttelnd wieder zurück. Trotz des lauten Windes hörte er aus der Kammer ein rasselndes Schnarchen.

„An guten Schlaf hast, Bauer, daß Dein Ehr’ verschlafst!“

Hastigen Schrittes lenkte er um die Mauer nach der Hinterseite des Hauses. Dort kletterte er über das Scheitholz, welches an der Wand hoch aufgeschichtet war, und pochte an ein Fenster des oberen Stockes.

Stotternde Worte und dumpfe Tritte ließen sich hören und das Fenster wurde aufgerissen.

„Wer is da?“

„Ich bin’s, Karli.“

„Du, Götz – Du! Ja um Gotteswillen, was is denn?

„Geh ’nunter, Karli – geh ’nunter, sag ich Dir, und weck’ Dein’ Vater auf!“

„Na – jetzt so ’was! Ja was hast denn auf amal?“

„Dein’ Vater weck’ – und frag ihn, wo sein’ Bäuerin is.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Götz zu Boden. „Jesus Maria – jetzt is gut!“ hörte er den Burschen noch stammeln, dann sah er sein Gesicht verschwinden, sah, daß das Fenster offen blieb, und vernahm nach einer Weile das matte Knirschen einer Thür.

Da schoß ihm ein heißes Blut in die Stirn. Hatte er auch wirklich recht gethan? Oder hätte er nicht wenigstens einen anderen, besseren Weg finden können, als gerade diesen, der zu offenem, peinlichem Hader führen mußte? Wenn er auf Kuni zugetreten wäre – wenn er gütlich mit ihr gesprochen hätte? Er hatte doch vor kurzen Stunden erst erfahren, wie sie bei all den verwerflichen Eigenheiten ihres verbildeten Charakters ein so empfängliches Herz in ihrem Busen trug. Vielleicht hätte sie auf seine Worte gehört – vielleicht hätte sie die Häßlichkeit ihres heimlichen Treibens eingesehen und hätte sich durch diese Einsicht zur Umkehr bewegen lassen! Aber freilich, vielleicht auch nicht! und dann wäre er mit einer Ausrede abgefertigt worden – und sie hätte ihre Heimlichkeit eben nur noch heimlicher weitergetrieben.

Jählings schrak er aus seinen Gedanken auf, und ein Schauer rann ihm über den Rücken. Er glaubte nicht an Gespenster – aber wenn es Gespenster gäbe, meinte er, so müßten sie wohl der unheimlichen Erscheinung gleichen, welche lautlos unter den finsteren Bäumen näher schlich – eine hagere, fast übermenschlich hohe Gestalt, die wie mit weißen Grabtüchern angethan erschien. Diese Tücher sah er im Winde flattern und hörte das Murmeln einer hohlen Stimme. Wer das auch sein mochte – sicher war es Einer, der im Bereich des Pointnerhofes nichts zu schaffen hatte, Einer, der nichts Gutes im Sinne haben mochte.

Hastigen Schrittes trat er auf den Schleicher zu, faßte ihn am Arm und frug: „Wer bist – was hast daherin zum schaffen in der Nacht?“

Nur einen keuchenden Laut erhielt er zur Antwort; doch bedurfte er einer solchen nicht mehr – er hatte den Bygotter bereits erkannt. Der staunende Schreck, der ihn darüber befiel, raubte ihm einen Augenblick die Fassung, und diesen Moment benützte der Andere, um den Arm loszureißen und mit langen Sprüngen durch die Bäume gegen die offene Wiese zu flüchten. Ueberstürzten Laufes folgte ihm Götz. Er sah ihn an der bergwärts steigenden Hecke gegen die Höhe fliehen, sah ihn hinter einer Wölbung des Bodens untertauchen; ein paarmal schimmerten ihm noch die weißen Tücher durch die Nacht entgegen; dann war der Fliehende im Dunkel verschwunden, und kein Laut, kein Zeichen mehr verrieth, welchen Weg er genommen. Eine Weile rannte Götz noch ziellos in die Finsterniß hinein, bis er endlich, hoch oben in der Wiese, schwer athmend einhielt.

Ohne große Gedankenmühe meinte er sich sagen zu können, was der Bygotter hier gesucht haben könnte. Und sicher war er nicht zum ersten Male hier gewesen. Irgendwo im Walde oder in den Bergen droben mochte er seinen Schlupfwinkel haben, den er nur zu nächtiger Zeit verlassen hatte, um den Aufenthalt seines Kindes zu erforschen.

Quer über die finstere Wiese schritt Götz der jenseitigen Hecke zu und folgte dann langsamen Ganges den thalwärts ziehenden Büschen, welche hart an der Rückwand des Gesindehauses endigten.

Nun hatte er den ebenen Grund erreicht, und er wollte schon die Hecke verlassen, als er betroffen die Schritte verhielt. Eine gedämpfte Stimme war an sein Ohr geschlagen. Seine Augen suchten die Richtung, aus welcher er die Stimme vernommen hatte, und da gewahrte er auf kaum zehn Schritte vor sich eine männliche Gestalt, welche an die fensterlose Rückwand des Gesindehauses gelehnt stand. Das konnte nur der „Bruder“ sein, und er meinte trotz des herrschenden Dunkels auch das Weib zu erkennen, das an Gregor’s Seite auf den zu Füßen der Mauer übereinandergeschichteten Brettern kauerte.

Die Beiden schwiegen jetzt, und Kuni hielt wie lauschend den Kopf erhoben.

„Ah na – es is nix zum hören als der Wind und ’s dürre Land in die Stauden,“ murmelte sie nach einer Weile. Dann seufzte sie auf und sprach in raschen, halblauten Worten weiter: „Und jetzt sag ich Dir’s zum letzten Mal – morgen in der Fruh gehst fort. Kannst Dich auch selber um an Ausred’ b’sinnen, damit Dein Fortgehn net so auffallt – Dir selber z’lieb!“

„Laß’ mich aus! Ich hab’ Dir’s schon g’sagt! Ich denk’ an kein’ Fortgehn net! Warum denn auch? Ich hab’ mein’ kommode Liegerstatt, mein g’sundes Essen – und um an Biergroschen [834] manchmal, da brauch’ ich mich auch net z’sorgen – Du schwimmst ja jetzt im Geld.“

„Na, na, so sag’ mir nur g’rad das Eine – steigt denn gar net a Bißl a Scham in Dir auf? Aber freilich, Du därfst Dich ja stellen, wie D’ magst – mehr kannst ja dengerst nimmer z’wegen bringen, als was schon lang vermöcht hast: daß mir z’wider bist in d’ Seel’ ’nein. Aus’kennt hab’ ich mich schon lang in Dir! Hast mich ja schon die ganzen Jahr’ in Rosenheim g’schunden und aus’preßt bis aufs Blut – da brauch’ ich gar net an die alten Zeiten denken. Das Eine aber hätt’ ich dengerst net ’glaubt von Dir: daß den traurigen Muth hast und kannst Dich ’neinsetzen in das Haus, wo ich verheirath bin – und daß Du’s treiben kannst auf a solchene Weis’! G’wiß wahr – wie ich das schmarotzerische Tagdiebleben mit ang’sehn hab’, wo die ganze Zeit her g’führt hast, da hab’ ich Dich bloß anschauen dürfen, und es is mir g’wesen, als müßt’ ich ausspeien vor Dir!“

„Das muß ich schon sagen – Du redst amal sauber mit Dei’m Bruder!“ fiel Gregor lachend ein und legte dabei einen seltsam spöttischen Ton in sein letztes Wort.

„Bruder? Du bist mein Bruder net!“

„Geh’? Bist am End’ gar noch stolz da drauf? Freilich, so a noble Familli wie die Deinig’, das giebt’s gar net leicht. Da därf man schon suchen. Ja, ja, da hast schon Recht, daß gar so hochmüthig daherredst. Und schöne Sachen sagst mir hin! Aber no – ich bin a guter Kerl – ich trag’ Dir nix nach. Ich kenn’ Dich ja länger – ein andersmal wirst wieder anders reden. Und ’s Warten verdrießt mich net.“

„Du hast kein’ Zeit zum Warten nimmer! Die ganzen Tag’ her hab’ ich Dir’s schon sagen wollen – und allweil hab’ ich’s g’schoben, weil ich Dein Reden g’forchten hab! Du selber aber hast mir d’ Furcht aus ’m Herzen ’trieben! Heut’ Abend hast Dein Maß zum überlaufen ’bracht – durch Dein’ heimtückische Bosheit, mit der an Menschen elend g’macht hast, der Dir seiner Lebtag nie nix ’than hat.“

„Nix ’than? So?“ brauste Gregor mit rohen Worten auf. „G’nug hat er mir ’than! Scheniert hat er mich, mit seine g’schaftigen Augen. Und Luft hab’ ich schaffen müssen!“

„Luft? Für wen? Denn Du, Gori, Du gehst allein – der Götz aber bleibt!“

„Jetzt da schau her! Weßwegen nimmst Dich denn gar so an um ihn? Machst mich ja völlig neugierig, was er Dir is!“

„Z’lieb is er mir, als daß ich von ihm noch länger red’ mit Dir! Und ’leicht – ’leicht is er mir mehr, als Du Dir denken kannst.“

„Ja Narr – ja Narr!“ scholl es mit häßlichem Lachen in Wind und Nacht hinaus. „Da hast Recht – auf so ’was hätt’ ich nie net ’denkt! Ausschauen thut er freilich net darnach, der alte Pharisäer!“

„Gori!“

„Was schreist denn so – daß man Dich drei Häuser weit hören muß?“ zischelte der Bursche, während er unwillkürlich vor Kuni zurückwich, welche so dicht vor ihm stand, daß er durch die Dunkelheit ihre Augen funkeln sah.

„Mag man mich hören – meintwegen! Und Dir – Dir sag’ ich jetzt was! Jetzt bleibst mir auch kein’ einzige Nacht nimmer da! Und auf der Stell’ kannst gehn – denn Du – Du thust mir kein Schritt nimmer ’nein ins Haus!“

„Was? ’s Haus willst mir verbieten? Du? Ah geh! Da müßt’ ich schon z’erst a Wörtl reden –“

„Red’! Red’! Jetzt is mir schon alles eins! Ja – die ganzen Tag’ her – da hab’ ich mich g’forchten Stund’ um Stund’ – vor Dir und vor allem, was ’leicht in Deiner Bosheit reden könntst. Jetzt aber – jetzt is mir d’ Furcht vergangen!“

„Geh! Seit wann denn?“

„Seit wann? Seit ich wen hab’, an den ich mich anhalten kann, der mir a Trost sein wird und a Hilf’ –“

„Ah so – Dein’ Götz, Dein’ lieben! Da hätt’ ich jetzt schier vergessen –“

Jählings verstummte Gregor. Er hatte kein verdächtiges Geräusch und keinen Schritt vernommen; er sah nur plötzlich, daß sie zu Dreien waren.

Da fühlte er auch schon eine Faust an seiner Brust, spürte den Hauch eines heißen Athems in seinem Gesichte und hörte eine in Zorn und Erregung keuchende Stimme: „Du – Du so a Red’ thust Du a zweits Mal nimmer!“

Einen Augenblick stand Kuni wie gelähmt. Dann aber fuhr sie mit schluchzenden Lauten auf, packte Götz am Arme und riß ihn von Gregor zurück. „Na – net – net anrühren thu’ ihn! Der is Dein’ Hand net werth! Mich laß reden mit ihm – mich! Aber net in Zorn und Haß will ich reden – na – in Güt’ und Dankbarkeit. Denn was er mit seiner heutigen Schlechtigkeit auch vermeint hat – mir hat er an G’fallen ’than damit, wie mir unser Herrgott selber an größern net hätt’ erweisen können. Denn was er mir auch g’nommen hat – mein Kinderglück, mein’ Ruh’ in die letzten Jahr’, an jeden Kreuzer, den ich mir verdient hab’, und mein Glauben an d’ Menschen – heut’ hat er mir ’was ’geben, was Alles wett macht. Ja, Gori – heut’ hast mir wiedergeben, was ich g’meint hab’, ich hätt’s mit meiner Mutter ins Grab ’neing’legt – mein Herz, mein Leben und Lieben – – mein’ Vater hast mir geben!“

„Was – was is jetzt das für a Reden?“ stotterte Gregor

„Z’gut g’wesen is mir das Wort, als daß ich’s vor Dir auf mein’ Zung’ hätt’ nehmen mögen. Jetzt aber magst es wissen – mein Vater is er, der Götz – mein Vater!“

Lautlose Stille folgte; nur der Wind war noch zu hören, der um die finsteren Mauern des Hauses fuhr und raschelnd durch die schwarzen Büsche zog.

„Ah, da legst Dich nieder! Was man heut’ net Alles erfahrt! Ja g’rad schauen thu’ ich!“ brach Gregor mit heiserem Lachen das Schweigen.

Durch dieses Lachen wurde Götz aus seiner Betäubung aufgerüttelt. „Kuni – Kuni!“ schrie er in die Nacht hinein, und fast wie zornige Härte klang es aus dem Ton dieses Namens.

„Gelt – magst es schier selber net glauben,“ schluchzte sie, während sie mit zitternden Händen an seinem Arm hing. „Und ich weiß auch warum! Ich – ich kann ja z’frieden sein – ich find’ an Vater, der mein’ Achtung werth is und mein’ Lieb’! Aber Du – – der liebe Herrgott soll mir’s verzeihen, daß ich Dir kein anders Kind net geben kann, als wie ich eins bin. Aber wann net glauben kannst, so sag’ g’rad eins noch – sag’ mir, wie das Deandl g’heißen hat, von dem uns heut’ verzählt hast.“

„Lenei hat ’s g’heißen – Lenei Brandtner.“

„Und Brandtner Magdalen’ hat mein’ Mutter g’heißen und“ – da verstummte sie, richtete die Augen auf Gregor und fuhr ihn nach kurzem Schweigen mit schrillenden Worten an: „Du – was willst denn Du noch da.“

„Ah ja – hast Recht,“ erwiederte Gregor mit galligem Lachen. „Da wird’s jetzt weiters kein’ Flennerei absetzen! Und von so ’was bin ich noch nie kein Freund net g’wesen!“ Er grub die Hände in die Taschen und wandte sich zum Gehen. Ueber die Schultern spottete er noch in widerlicher Weise zurück: „Da gratulier’ ich halt derweil! Und schier was einbilden thu’ ich mir d’rauf, wie ich zwei zu einander ’bracht hab’, wie ’s die Katzen hätten net schöner z’sammtragen können. Und daß mir fein Dein’ Vater recht gut betten thust, er is ja gar so lang auf der harten Pritschen g’legen – schau – und da räum’ ich Dir gleich mein Stüberl ein! Im Wirthshaus bin ich auch net schlecht versorgt – d’ Walli wird mir schon a Platzl wissen – ich – versteh’ mich ja auf’s Reden mit die Kellnerinnen – so oder so! Und wer weiß, leicht find’ ich drüben auch noch a G’sellschaft, die sich net ungern ’was verzählen laßt – es is nur g’rad, daß d’ Leut’ morgen in aller Fruh dem Pointner a richtigs Glück anwünschen können! Na, wie’s der Bauer jetzt ’troffen hat – jetzt braucht er seine Weiberleut’ gar nimmer mit ’m Spinnen plagen – sein Schwiegervater versteht’s ja besser!“ Mit diesen Worten bog er um die Ecke; man hörte noch sein häßliches Lachen und dann verhallte sein Schritt im Winde.

[850] Mit beiden Armen hatte Kuni sich an Götz geklammert, wie um ihn zu verhindern, auf Gregor loszustürzen; dazu sprach sie in wirren, stammelnden Worten zu ihm auf, als sollte nur der Klang ihrer Stimme jenen grausamen Spott übertönen: „Geh, mußt Dich net kümmern – und Gott sei Dank, jetzt is er ja fort!“ flüsterte sie, während jenes giftige Lachen verklang, als hätte sie Götz damit einen Trost gesagt. Da fühlte sie, daß er wankte. „Ja um Gotteswillen – was is Dir denn?“

„Nix – nix! ’s Stehn vermag ich nimmer – d’ Füß’ lassen mir aus.“

Erschrocken führte sie ihn zu den Brettern, auf denen sie gesessen, und drückte ihn darauf nieder. „Ja – gelt – ich weiß schon – ich hab’s ja heut’ selber g’spürt, wie’s Ein’ anpackt – so auf amal. Denn wie ich Dich heut’ Dein Unglück hab’ verzählen hören, da hab’ ich mir noch allweil net denken können, was ich auf d’ Letzt zum hören krieg’. Aber ’s Herz hat’s mir aufg’rührt bis in ’tiefsten Winkel ’nein – und doppelt deßwegen, weil Dein Unglück dem Unglück von Ei’m zum gleichen war, von dem mir mein’ Mutter selig auf ihrem Sterbbett ’s erste Wörtl g’sagt hat. Und wie ich nachher auf amal den Namen hör’, den s’ mir in ihrer letzten Stund’ ins Ohr ’nein g’wispert hat“ – Erschauernd barg sie das Gesicht in beide Hände. Dann wieder schluchzte sie vor sich hin: „Ja – jetzt – jetzt weiß ich, wie’s mir g’wesen is die ganze Zeit! Bald hab’ ich g’meint, als thät’ ich mich fürchten vor Dir; bald hab’ ich g’meint, ich müßt’ Dir gut sein, bald wieder, als müßt ich Dich hassen –0 – ’s Blut halt, ’s Blut is ’s g’wesen, wo sich g’rührt hat in mir – nur g’rad verstanden hab’ ich’s net.“

„Na – na – es kann net sein – ich kann’s ja net glauben!“ stöhnte Götz.

Als hätte Kuni seine Worte überhört, so sprach sie mit raunender Stimme weiter. „G’wiß – ich mein’ schier, als sähet ich mein Mutterl wieder daliegen vor mir, mit ihrem weißen, traurigen G’sicht, wie s’ mich bei der Hand nimmt und zieht mich hin zu ihr und sagt mir ins Ohr: ‚Gelt, Miedei, das versprichst mir, wenn Dich unser Herrgott mit ihm amal z’sammführen sollt’, so sagst es ihm, daß ich mein’ Lieb’ zu ihm mit ’nübernimm in d’ Ewigkeit!‘ Und völlig reden hör’ ich s’ noch, mit ihrer müden ’brochenen Stimm’, wie s’ mir Alles verzählt hat – ihr Glück und Elend. Wie s’ Dich so lieb g’habt hat – lieber als gut und recht war. Und wie nachher aus’blieben bist, Tag um Tag – und wie s’ von ihre Leut’ nix Anders net erfahren hat als Schimpf und Schläg’ und Vorwürf’, weil sie sich hinhängt an Ein’, der nix is und nix hat. Und wie der Vater nach a paar Tag’ schon mit ei’m Hochzeiter daher ’kommen is – und wie sie sich g’wehrt hat z’erst mit Händ und Füß’ – und wie sie sich dann hat dreingeben müssen, weil s’ g’hört hat, daß man Dich zu die Soldaten nimmt und daß auf sieben Jahr’ lang nimmer heim kommst. Und nachher, da hat s’ mir verzählt vom Morgen nach derselbigen Nacht, – wie s’ schiergar g’meint hat, sie müßt’ vor Leid und Elend ihren Verstand verlieren – und wie s’ ihr Vater am selbigen Tag noch fortg’schafft hat, weit fort, zu seiner Schwester – und wie man s’ da verheirath’t hat, schiergar von ei’m Tag auf den andern – an den, zu dem ich neunzehn Jahr hab’ Vater sagen müssen.“

Schwerathmend verstummte Kuni. Da hörte sie an ihrer Seite ein dumpfes Schluchzen. Schweigend verschlang sie die Hände im Schoß und starrte in die Nacht hinaus. Sie schien auf ein Wort von Götz zu harren. Und als sie ihn nur schluchzen hörte, hätte sie ihm so gerne ein Wort des Trostes gesagt, hätte so gerne den Arm um seinen Nacken gelegt. Aber sie fand nicht den Muth dazu. Nur die nasse, zitternde Wange lehnte sie an seine Schulter, während sie in leidenschaftlicher Erregung wieder zu sprechen begann. Sie erzählte von ihrer Mutter, erzählte von dem martervollen Leben, das die arme Frau an ihres Mannes Seite hatte tragen müssen. Sie erzählte von sich selbst, von ihrer bitteren freudlosen Jugend und schießlich von ihrer Flucht. Geraden Wegs wäre sie nach der Heimath ihrer Mutter gewandert.

„Ich hab’ net lang auf unsern Herrgott g’wart’t – ich selber, hab’ ich g’meint, ich selber müßt’ Alles dazuthun, daß ich die Botschaft ausrichten könnt’, wo mir mein Mutterl selig auf’tragen hat in ihrer letzten Stund! So hab’ ich Dein’ Heimath aufg’sucht! In Dei’m Ort aber hat mir kein Mensch net sagen können, wo ich Dich finden müßt’. Platz um Platz bin ich Dir nach’gangen, bis ich z’letzt aufs Ung’wisse hin erfahren hab’, wie wann vor lange Jahr’ über’s Wasser fort wärst nach Amerika.“

„Ah ja – was Anders hast ja net erfahren können, so schön und heimlich war Alles g’macht. Jetzt aber, jetzt verwünsch’ ich den Zufall, den ich vor elf Jahr’ als mein’ höchste Wohlthat ang’sehn hab’: daß ich selbigsmal an mein’ Kameraden hing’laufen bin! Denn wenn ich mein’ Namen b’halten hätt’, so hättst mich finden müssen – und wie ’s auch mir nachher ’gangen wär’ – Dein Leben hätt’ sich anders g’wendt – und anders thäst jetzt dastehn vor die Leut’ – und vor Dir selber. Ich weiß, mein Reden muß Dir weh thun – aber ich kann net anders – ich kann net!“

„Macht nix! Von Dir – von Dir lass’ ich mir Alles sagen – Alles!“ erwiederte Kuni in leidenschaftlicher Hast, während sie mit zitternden Händen seinen Arm an ihren Busen preßte. „A ungut’s Wort von Dir is mir hundertmal lieber als a Schmeichelred’ von jedem Andern! Und hast auch Recht – und ich will mich vor Dir net schöner machen, als ich bin! Aber anhalten will ich mich an Dich – und wann mir Dein’ Lieb’ net gern vergönnst, so will ich mir’s verzwingen! Jetzt hat ja mein Leben wieder an Sinn und a Ziel – und anders soll’s werden – anders!“

„Wenn’s nur net z’ spät is jetzt!“

„Na, g’wiß net! Zum Guten is ja allweil Zeit! Und an den Gori, an den will ich mit kei’m zornigen Gedanken mehr [851] denken, denn wer kann sagen, ob ich ohne ihn im Leben noch g’funden hätt’, was mir der heutige Abend ’bracht hat.“

„Ja, unser Herrgott sucht sich manchmal g’spaßige Helfer aus!“ fiel Götz mit rauher Härte ein. „Aber Eins, Kuni, g’rad Eins noch sag’ mir! Zwar sollt’ ich nach der Art und Weis’, in der ich Dich reden hab’ hören mit ihm, kein’ solche Frag’ mehr stellen – aber sag’ mir – is der Gori auch g’wiß kein Anderer g’wesen als wie der, für den er sich im Pointnerhof mit Namen aus’geben hat?“

Kuni schwieg und schaute mit starren Blicken in das finstere Gesicht des Knechtes. Dann jählings schlug sie beide Hände vor das Gesicht, und weinend stammelte sie:

„Na, wie muß ich die ganze Zeit her dag’standen sein vor Deine Augen, daß Du so ’was glauben hast können von mir!“

Götz machte eine Bewegung, als wollte er ihr die Hände vom Gesichte ziehen, und dennoch that er es nicht; er fuhr sich nur mit den Fäusten an die Stirn und athmete tief auf.

So saßen sie eine stumme Weile neben einander, bis Kuni mit leisen Worten wieder zu sprechen begann:

„Mein Bruder – ah ja – mein Bruder is er freilich bloß dem Namen nach g’wesen, aber net aus Blut oder G’fühl. Und das hat er mir auch zum merken ’geben, so bitter, daß ich Dir’s schier net sagen kann! Ich hab’ ja kaum die richtigen Wort’ dafür, was ich als Kind schon leiden hab’ müssen von ihm und von dem Andern! Und wie ich selbigs Mal fort bin aus Lengries, da hab’ ich g’meint, es hätt’ mein’ Leidenszeit amal an End’! Im ärgsten Traum net hätt’ ich mir denken mögen, auf was für Weg’ ich noch amal an einander g’rath’ mit Ei’m von meine Brüder! Derweil ich in Deiner Heimath nach Dir g’sucht hab’, sind die paar Groschen drauf ’gangen, wo ich g’habt hab’. Aber a Dienst für mich is net schwer zum finden g’wesen. G’litten hat’s mich freilich an kei’m Platz net lang – ich hab’ halt net die rechte Ruh’ und Freud’ zur Arbeit g’habt. So bin ich z’letzt auf Rosenheim ’kommen, als Kellnerin – das war noch ’s Einzige, was ich verstanden hab’ und was ich g’wöhnt war. Mein Wirth war allweil z’frieden mit mir – ich hab’ ihm ja Leut’ in sein’ leere Stuben ’bracht – aber kannst mir’s glauben: was ihm Geld ein’tragen hat, hat mir kein’ gute und kein’ ungute Stund’ net ’bracht. Auf Schritt und Tritt sind mir die Burschen nachg’stiegen – no mein, ich hab’ mir’s g’fallen lassen, das g’hört ja halb und halb zum G’schäft – aber um Kein’ hab’ ich mich ’kümmert, und Keiner is mir mehr g’wesen als der Ander’. Schier z’wider war mir a Jeder gleich von Anfang an, weil ei’m Jeden schon im ersten Blick aus die Augen z’ lesen war – auf was er ausgeht. Es hat sich halt a Jeder ’denkt, so a Deandl in seiner verlassenen Einschicht’ wär’ a billig’s Haben für seine g’näschigen Wünsch’. Und überhaupt – wenn a Deandl lernen will, recht grundschlecht von die Menschen denken, so braucht’s g’rad a Kellnerin machen – und da is ’s kein Wunder net, wenn auch diemal an ihr was haften bleibt, was net zum besten ausschaut.“

In überquellender Bitterkeit hatte Kuni diese Worte vor sich hingestoßen; nun schwieg sie und starrte wie in Gedanken vor sich nieder; dann wieder fuhr sie seufzend auf und sprach in hastiger Rede weiter:

„Was das für a Leben g’wesen is, Tag um Tag, ich kann Dir’s net sagen – es steigt mir ’s Grausen schon auf bis in Hals, wann ich nur dran denk’! Diemal freilich hat mich der Uebermuth ’packt, und da hab’ ich mich ’zahlt g’macht bei die Leut’ und hab’ s’ zum Narren g’halten, wie’s mir g’rad eing’fallen is. In der Nacht aber, wenn ich d’ Müdigkeit so im Herzen g’spürt hab’ und in alle Glieder, da hab’ ich mir fürg’stellt, wie verlassen und verloren als ich bin, und g’weint hab’ ich oft die ganze Nacht durch, bis der Tag ins Fenster ’graut hat. Und da war nachher mein einziger Trost, daß ich an mein Mutterl ’denkt hab’, und an den, von dem s’ mir in ihrer Sterb’stund’ g’sagt hat, daß er mein Vater is. Und da war’s wie a Beten für mich, daß ich so ’träumt und vor mich hin sinnirt hab’, wie schön das wär’, wenn jetzt mein Mutterl noch leben thät’, und der Vater wär’ mit ihr bei ’nander, und ich dabei – in Glück und Fried’ und Freud’. Wenn’s aber nachher wieder Tag worden is, da hab’ ich mein lieb’s Erinnern in mein Herz verschließen und mein’ Kammer zusperren müssen, wie der Meßner sein’ Kirchen zusperrt vor der Nacht. Manchmal aber sind mir meine Gedanken nach’gangen in d’ Stuben ’nunter, und da bin ich oft den ganzen Tag lang g’wesen, daß mich d’ Leut’ schier nimmer ’kennt haben. Ja – und g’rad auf so an Tag hat’s ’troffen – da komm’ ich amal ’nein in d’ Stuben, und eiskalt lauft’s mir übern ganzen Leib, wie ich hinterm Tisch den Gori sitzen sieh’. Aufg’stiegen is mir gleich Alles vor die Augen, wie er mich ’plagt und g’martert hat als Kind, er und die zwei Andern, und wie s’ meiner armen Mutter mitg’spielt haben – und da hat mich der Zorn anpackt, und zu’gangen bin ich auf ihn, hab’ ihm ’s Bier wegg’rissen, wo ihm der Wirth schon ’geben hat – und hab’ ihm d’ Stuben verwiesen. Er aber hat mich ang’schaut und hat so g’spaßig g’lacht – und gar so stolz wär’ ich worden, hat er g’spöttelt – gar so stolz, wie sich’s doch g’wiß net schicken thät’ für die Tochter – von einer solchen Mutter. Und noch a Wort hat er g’sagt – und schau, Vater, da hab’ ich mich nimmer aus’kennt – wie a Messer is mir das Wort ins Herz ’nein’gangen, und da bin ich auf ihn zug’fahren in der Wuth und hab’ ihn mit der Faust ins G’sicht ’neing’schlagen!“

Schluchzend verstummte Kuni; doch als sie fühlte, daß ein Arm sich schwer und zitternd um ihre Schultern legte, athmete sie wie getröstet auf, fuhr sich über die Augen, und in bebenden Worten sprudelte es von ihren Lippen:

„Zur Stuben bin ich ’naus; er aber is hinter mir drein, und am Arm hat er mich ’packt und hat mir ins G’sicht ’neing’schrieen: den Schlag, den thät’ er sich net g’fallen lassen, und vor ’s G’richt thät’ er mich bringen. ‚Und einsperren müssen s’ Dich,‘ hat er g’schrieen, ‚und ehnder gieb’ ich kein Ruh’ net, ehvor ich Dich net auch da drin weiß, wo Dein Vater g’sessen is, der Zuchthäusler, der Ein’ um’bracht hat!‘ Da hab’ ich g’meint, es wird mir alles Blut zu Eis vor lauter Schrecken – und wie er weiter g’redt hat, hab’ ich g’merkt, daß er Alles weiß, wie’s mit der Mutter g’wesen is und mit Dir. Wie er’s erfahren hat, ob im Zufall, ob er hinter der Thür g’standen is, wie mir mein Mutterl Alles anvertraut hat oder ob er a Bißl ’was vermerkt und nachher alles Andere ausspionirt hat, das hab’ ich bis heutigen Tags noch net erfahren. Ich hab’ auch selbigs Mal net lang darnach g’fragt – ich hab’ nur g’spürt in mir, daß jetzt mein einziger heiliger Schatz, mein Andenken an Mutter und Vater, in G’fahr is – und da hab’ ich mich an seine Arm’ hing’hängt, und ’bettelt hab’ ich und g’weint – was an Geld in meiner Taschen war, hab’ ich ihm zug’schoben und hab’ ihm Alles versprochen, was er haben möcht’, bloß daß er net reden sollt’ und daß er mein einzigs Gut und Heiligthum, den Nam’ von meine Eltern, unter die Leut’ net umtragen möcht’ in Schand’ und Spott!“

Wie in Erschöpfung erloschen ihr die Worte; frierend schauerte sie zusammen und schmiegte sich zitternd an Götz, der in stummer Bewegung seinen Arm noch enger um ihre Schultern schlang.

„Und g’schwiegen hat er – ja – aber jetzt hat er mich g’habt, wo er mich hat haben wollen, und aus’lassen hat er nimmer. Jeden Tag is er dag’wesen, auf meine Kosten hat er ’zehrt und ’praßt, den letzten Kreuzer hat er ’rausdruckt aus mir – und wenn mir ’s Geld aus’gangen is, so hat er in der Wirthsstuben vor die Leut’ sein Spötteln und Aufziehen ang’fangt – und allweil hab’ ich zittert in der Angst, daß er dengerst amal noch Alles ’rausreden könnt’. Was ich mir z’sammg’spart hab’ an Trinkgelder und an Lohn – Alles hab’ ich ihm ’geben – denn wer sonst gar nix hat, als an Einzigs g’rad, wo ihm lieb und werth is, Du lieber Himmel, was giebt so Einer net, daß ihm das Einzige doch erhalten bleibt! Aber Alles is ihm z’ wenig g’wesen, und oft hab’ ich g’meint, als könnt’ ich mir schon gar nimmer helfen. Amal, da hab’ ich schon g’hofft, ich werd’ von ihm erlöst. Da is in der Nacht Einer ang’fallen worden und da haben s’ den Gori in Verdacht g’habt; er aber hat an Zeugen bringen können, der auf sein’ Unschuld g’schworen hat. Und wie er wieder da war, hat er’s noch ärger mit mir ’trieben, als von Anfang. Und nach’geben hab’ ich, allweil nach’geben – und allen Zorn und Haß, den ich vor ihm in mich ’neindrucken hab’ müssen, den hab’ ich an die andern Leut’ wieder aus’lassen – und wo ich an Menschen hab’ lachen sehen in Freud’ und Zufriedenheit, gegen den is der Neid in mir aufg’stiegen, daß er mich oft ’brennt hat in der Seel’. Und allweil ärger hat’s der Gori ’trieben – und wie ich ihm schon [852] gar nix mehr hab’ geben können, da hat er g’meint, ich könnt’ mir ja leicht vom Wirth sei’m Biergeld a Bißl ’was auf d’ Seiten räumen. Aber na – zum Stehlen hat er mich net ’bracht – da hab’ ich schon lieber mein’ guten Dienst, mein G’wand und Alles im Stich ’lassen – und in der Nacht amal bin ich auf und davon, so weit mich meine Füß’ haben tragen können.“

Götz athmete auf, als hätte er die willkommene Antwort auf eine Frage vernommen, die er auszusprechen nicht den Muth gefunden.

„So hab’ ich mich ’um’trieben a paar Monat’ lang, in die abg’legensten Dörfer, von ei’m Dienst in andern. An kei’m Platz net hab’ ich’s ausg’halten; all mein Denken is Sorg’ und Unruh’ g’wesen, und nie net hat mich d’ Angst verlassen, daß der Gori jetzt in der Wuth erst recht Alles ausg’redt hat, was er reden hat können. Und wissen hab’ ich’s müssen – und z’ruck’trieben hat’s mich nach Rosenheim. Völlig aufg’schnauft hab’ ich, wie ich gehört hab’, daß sich der Gori bald nach meiner fortg’macht hat, kein Mensch hat sagen können, wohin. Und gar nix muß er aus’plauscht haben – kein Wörtl net hab’ ich g’hört – freilich, über mich, da haben d’ Leut’ recht g’spaßig g’redt, aber ganz was Anders, als ich g’forchten hab’. Du mein, über so ’was hab’ ich g’lacht – ich hab’ mein’ alten Dienst wieder ang’nommen und hab’ jetzt d’ Leut’ erst recht zum Narren g’halten, und gar kein’ größere Freud’ net hab’ ich g’habt, als wann ich so an Verruckten recht ins Herz ’nein plagen und ärgern hab’ können. Aber allweil hab’ ich dabei die Sorg’ in mir um einander ’tragen, daß über Nacht amal der Gori wieder da sein könnt’. So hab’ ich z’letzt in der Angst vor ihm mein’ Dienst aufg’sagt – und bin davon! Ins Reichenhall hab’ ich ’nüberwollen –“

„Und im Holz da droben hast Dich verirrt,“ fiel Götz mit schmerzlich bewegter Stimme ein, „und im ersten Haus, wo man Dich aufg’nommen hat in Güt’, bist ’blieben und hast den Unfried’ ’neing’setzt zwischen Leut’, von denen nix Anders net erfahren hast als gute Wort’!“

„Ja – ja – ich muß mir’s g’fallen lassen! Ich hab’ mir’s ja selber schon hundertmal g’sagt in die letzten Tag’, die mir der Herrgott mit’m Gori wieder g’schickt hat als a Straf’! Aber g’wiß – von Anfang an hab’ ich kein’ unguten Gedanken net g’habt dabei. Halb bin ich ’blieben in der Müdigkeit über mein Leben und ’leicht a Bißl aus Uebermuth – halb bin ich ’blieben und hab’ selber net g’wußt warum. Und wie’s mir nach und nach so heimlich ’worden is, wie’s mir so gut ’gangen is, und wie mir mein Schaffen und mein Umeinanderkramen im Haus da so g’fallen hat, und wie mir nach und nach a narrischer Gedanken, mit dem ich an Ein’ im Haus da denkt hab’, zum halben Ernst ausg’schlagen is – da hab’ ich g’meint, an den müßt’ ich mich anhalten, und ich könnt’ mir a Heimstatt für a richtig’s und a ruhiges Leben schaffen, bei dem ich auch amal ’was sein und gelten möcht’! Und das hat sich so ’neing’setzt in mich – und nimmer aus’lassen hat’s mich, so daß ich g’meint hab’, ich müßt’s im Schlechten verzwingen, weil’s im Guten net gehn hat wollen. Und wie’s mir fehlg’schlagen is – g’rad so, wie’s mir zug’hört hat – da hab’ ich mich in der Wuth und im gachen Zorn zu ’was überreden lassen –“

„Sei stad, Kuni – sei stad! Brauchst mir nimmer sagen, was ich lang schon weiß!“ fuhr Götz mit bebenden Worten auf.

„Was – was weißt?“ stotterte sie erschrocken.

„Was mir der Karli verzählt hat – und was ich drüber ’naus leicht hab’ errathen müssen. Kuni – Kuni! Nur g’rad das Eine wann net ’than hättst – das Eine net! Was für a Freud’ könnt’ ich haben in der jetzigen Stund’, wann g’rad das Einzige net g’schehen wär’!“

Mit einem schluchzenden Athemzug in sich versinkend, schlug Kuni die Hände vor die Stirn.

Stumm und regungslos saß Götz an ihrer Seite und starrte mit nassen Augen in die Nacht hinaus.

Vor ihnen, von dem Rande des weit vorspringenden Daches, ging ein leises Triefen und Rieseln nieder. Es hatte längst zu regnen begonnen. Und gleich unter die ersten fallenden Tropfen hatten sich weiße Flocken gemischt.

Leiser und leiser wurde das Rieseln und Triefen; mehr und mehr versiegte der Regen; immer größer und reichlicher fielen die im kalten Wind durch einander wirbelnden Flocken auf die Erde und überall begann schon der Schnee zu haften, und das Dunkel der Nacht verwandelte sich in graue Dämmerung.

Ein Schauer rüttelte Kuni’s Schultern. Schwer athmend richtete sie sich auf und stieß mit tonloser Stimme vor sich hin: „Schier kann ich’s net denken, daß Alles weißt – Alles! Aber a härtere Straf’ hätt’ mir unser Herrgott dafür net schicken können, als daß ich vor Dir so sitzen und fürchten muß: Du weißt es – kein’ härtere Straf’ net, als Dein’ letzte Red’. Aber wie’s auch sein mag jetzt, ein Trost is dengerst dabei, und an den halt’ ich mich an.“ Ihre Stimme hob sich zu festem, fast zornigem Ton. „Mir hab’ ich a Heimath schaffen wollen – und Dir soll’s bleiben. Was mir zum Uebel g’rathen is, soll wenigstens Dir zum Guten sein!“

„Na, Kuni – na! Wie kannst an Augenblick g’rad denken, daß ich mein’ Heimath finden möcht’ unter ei’m Dach, unter das mein eigens Kind den sündhaften Unfried’ ’neing’sät hat mit offene Händ’.“

„Jesus Maria! Du willst net bleiben?“

„Na, Kuni, jetzt schon gar nimmer! Und net an einzigen Tag mehr! Jetzt muß ich Deinetwegen schon gehn!“

„Vater!“ stammelte sie mit versagender Stimme.

„Mußt mich net falsch verstehn!“ erwiederte Götz mit hastigen Worten, in deren zitterndem Klang sich seine Thränen verriethen. „Für mich war so wie so kein Bleiben nimmer. Und wenn ich’s auch schon verwinden könnt’, das Anschaun mit die g’wissen Blick’ und das g’wisse Wispeln hinter Ei’m – und sonst noch alles Andere – ich könnt’ net bleiben mit der ewigen Lug’, daß wir zwei fremd sind zu einander, und daß ich’s net zeigen dürfet, was ich Dir gelten möcht’.“

„Warum denn net – warum sollst es net zeigen dürfen? Jeder soll’s wissen – a Jeder! Und morgen gleich in aller Fruh’ –“

„Laß gut sein, Kuni,“ unterbrach er ihre sprudelnden Worte; „ich denk’ ja net an Dich, und daß Dich ’leicht meinetwegen schamen könntst! Denn wann schon Dei’m Vater z’lieb den Gori vertragen hast – aber ja – was ich sagen will – schau, ich hab’ Dir noch net amal a Vergelt’s Gott g’sagt dafür! So sag’ ich Dir’s halt jetzt – und sag’ Dir’s von ganzem Herzen. Aber daß wir weiterreden – schau – ich muß an die Andern denken – und denk’ an die Bäuerin auf der Point, wo vor die Leut’ kein’ Vater net haben darf, der im Zuchthaus g’sessen is – gleichviel, warum!“

„Jetzt – ja – jetzt wird mein’ Straf’ erst ganz!“ stammelte Kuni unter heftigem Schluchzen. „Aber g’schieht mir schon recht! Hätt’ ich nur mei’m ersten Gedanken g’folgt – g’reut hat’s mich ja so wie so von der ersten Stund’ an! Jeden Tag is mir’s g’wesen, als müßt’ ich auf und davon laufen. Aber da hab’ ich an Brief abg’fangt – ’s schlechte G’wissen hat mich ’trieben dazu – vom Karli war er – und wie ich drin g’lesen hab’, daß er mir d’ Schand’ ins G’sicht ’neinschimpft von wegen mei’m Vater, den ich nie net ’kennt hab’ – da is der Zorn über mich ’kommen und ich hab’ mir g’sagt: jetzt g’rad mit Fleiß! Und jetzt – jetzt muß ich’s büßen an mei’m Vater g’rad! Aber na – na –“

Schluchzend warf sie sich über Götz und schlug in heißer Leidenschaft die Arme um seinen Hals.

„Kuni – Kuni –“

„Na, na, und ich laß’ Dich net fort, und wann ich Dich halten müßt’ mit mei’m Leben! Soll ich Dich g’funden haben in der heutigen Nacht, daß uns der morgige Tag wieder von einander reißt? Na – und ich laß’ Dich net fort und Du därfst net gehn – Du, der Einzig’, an den ich a Recht hätt’ zum halten und lieben! Oder – oder wenn’s net anders sein kann, so nimm’ mich fort mit Dir! Ueberall – überall geh ich hin! Wir zwei, wir brauchen uns, wie’s Feuer a Holz! D’ Händ’ will ich Dir unter d’ Füß’ legen, an die Augen will ich Dir Alles abschauen, und blutig schinden will ich mich für Dich – bloß daß ich mir Dein’ Lieb’ verdien’ – und ’s Bleiben bei Dir. Hundertmal lieber is mir ’s Leben mit Dir, und wenn’s in Noth und Elend wär’, als wie a wohligs Leben in dem Haus da, in das ich net ’neing’hör’, in das ich mich ’neindrängt hab’ mit Schlechtigkeit, in dem ich Alles in Unfried’ ’bracht hab’, was zu einander g’hört! Laß mich mit Dir gehn, Vater – laß mich – laß mich!“

„Um Gotteswillen, Kuni, was redst denn jetzt da daher!“ stammelte Götz und drückte Kuni’s Gesicht, als möchte er ihr krampfhaftes Schluchzen ersticken, mit zitternden Händen an seine Brust. „So sei doch g’scheit – so gieb Dich doch z’frieden! [854] So ’was laßt sich doch net ausreden in einer Stund’ – und in der gachen Hitz’! Schau – laß Dir sagen –“

„Na – na – und ich laß’ Dich net fort – und ich thu’ mir ’was an – oder – oder ich lauf’ Dir nach auf Schritt und Tritt!“

„Aber, Kuni! Um Gotteswillen, so nimm doch g’rad Verstand an!“

„Ja! Hast Recht. Ich will Verstand annehmen! Und ich thu’s auch gern! Ich muß mir’s selber schon sagen, daß net bleiben kannst. Der Gori wird net schweigen – jetzt redt er schon aus Wuth über mich und Dich!“

„Sorg’ Dich net, Kuni! Dem will ich ’s Reden schon verlegen, dem!“

„Du kennst ihn net! Und ’leicht is morgen auch schon für Alles z’spät, ’leicht hat er jetzt im Wirthshaus drüben schon Alles ausposaunt! Und wie d’ Leut’ über manches denken – soll ich Dir a Beispiel sagen? Denk’ an den Spinner-Veit! Und ich, Vater, ich soll das ertragen können, daß Dir a Jeder aus’m Weg geht auf der Straßen und daß Dir die Buben nachlaufen mit G’spött und G’lachter! Na, na, da springet ich schon ins Wasser, eh’ daß ich so ’was tragen möcht’! Es is für Dich kein Bleiben nimmer! Ich sieh’s ja selber ein, daß D’ fort mußt, fort, und heut’ noch in der Nacht! Aber ich laß Dich net gehn allein – ich geh mit Dir – und anhängen thu’ ich mich an Dich – und kein’ Schritt nimmer laß’ ich Dich von meiner Seit’ –“

„Aber, Deandl[12], Du lieber Himmel,“ stammelte Götz, durch die wilde Leidenschaft dieser schluchzenden Worte in hilflose Bestürzung versetzt. „So nimm’ doch g’rad an Rath an – sei doch g’scheit! Es wird sich ja Alles noch rechten und schlichten lassen! Geh weiter, schau, jetzt schlafen wir z’erst amal drüber! Da heraußen is ja doch kein Bleiben nimmer! Schau nur g’rad ’naus in d’ Nacht, wie’s thut! Zitterst ja schon als a ganzer – und es muß Dich ja frieren – hast ja schier nix an – und d’ Nässen muß Dir ja schaden! Komm’ – sei g’scheit – und geh jetzt ’nein ins Haus – und –“

In tonlosem Stottern erloschen seine Worte. Es war ihm eine Erinnerung gekommen, bei der ihm vor jähem Schreck die Sprache verging. Fester noch schlangen sich seine Arme um den Hals des schluchzenden Weibes, und wortlos starrte er eine Weile hinaus in das dichte, weiße Gestöber.

„Ja, Kuni – wer weiß – ob Du net ’s einzig’ Rechte g’funden hast!“ murmelte er mit heiserer Stimme. „Für mich is kein Bleiben nimmer – und im Guten auch net für Dich! Ins Haus kannst nimmer ’nein in Ruh’ – drin warten s’ ja schon auf Dich – ich selber hab’ Dir den Weg verlegt. Zwar hab’ ich Dir Unrecht ’than damit – drin aber werden s’ Dich fragen, wo g’wesen bist. Und da mußt entweder an Verdacht auf Dir liegen lassen, den Keiner weniger auf Dir wissen möcht’ als ich, oder Du mußt die ganze Wahrheit sagen. Und Eins wie’s Andere geht net an. Denn wann der Pointner nach Allem, was er heut’ am Abend g’hört hat, schon wegen ei’m Knecht auf die Leut’ ihr Reden passen und auf ihr Achselzucken schauen muß – hast es ja hören können von ihm – was möcht’ er erst sagen zu so ei’m Schwiegervater! Ja, Kuni, ja, wir zwei, wir haben bloß noch an einzigen Weg! Wir zwei, wir g’hören z’samm’! Ich hab’ mein Leben verloren – Du hast das Deinige verspielt – wir zwei, wir thäten schon zu einander taugen, und wenn ich auch net Dein Vater wär’ und Du mein Deandl net. Und daß ich Dir’s sag’ – ich fang’s zum spüren an – wir brauchen einander wie a Feuer ’s Holz! Und wenn’s Dir ernst war, Kuni – mit’m Fortgehn – ich nimm’ Dich mit!“

„Da hast mich, Vater – da hast mich!“

„Aber sagen muß ich Dir’s – ich kann Dir net viel Gutes zum hoffen geben. Der silberne Ring, den am Finger tragst, der schließt Dein Leben ab – und das einzige Glück, das Dir noch zusteht, is d’ Ruh in Dir und ’s Zufriedensein bei der Arbeit.“

„Na, Vater – net wahr is! Mir steht a Glück noch zu, wo mir lieber is als jedes andere – ’s Bleiben bei Dir – und Dein Lieb’ – Dein Lieb’!“

„Kuni – Deandl!“ stammelte Götz, und heiße Thränen schossen ihm über die Wangen. „In mir – da sollst Dich g’wiß net täuschen! Was ich Dir schaffen und bieten kann, das soll Dir sicher sein!“ Eine zitternde Erregung überkam ihn, und seine Worte begannen sich zu überstürzen: „Und jetzt, Kuni – schau – jetzt kann ich mir’s schon gar nimmer denken, daß ich fort hätt’ sollen – ohne Dich.“

„Ich hätt’ Dich net ’lassen – nie net – nie!“ schluchzte sie und preßte ihr nasses, heißes Gesicht an seine Wange.

„Und mag’s a Unrecht sein, daß ich Dich fortnimm – a Unrecht gegen dem Pfarrer sein heiligs Wort – ich mach’ ja a größers Unrecht gut damit – und da is mit einer Stund’ alles g’löscht und g’hoben, was unter dem Dach da drüben durch lange Jahr’ a unguts Dauern hätt’ haben müssen. Und mir – mir schaff’ ich an Trost für meine letzten Jahr’ – und mag mir’s unser Herrgott verzeihen, daß ich a Bißl an mich selber denk’. Und gar so harb, Kuni – gar so harb sollst es auch net haben bei mir. Ich hab’ schon a Bißl ’was, wo ich mir in elf Jahr’ lang z’samm’g’spart hab – das hilft uns übern Winter fort – und bis zum Frühjahr, da will ich uns schon an Arbeit g’funden haben, und a Platzl zum Bleiben. Aber weit fort müssen wir, weit fort – daß uns keiner mehr erfragt!“

„Ja, Vater, ja!“

„Und heut’ noch müssen wir fort, jetzt in der Nacht!“

„Ja, Vater, ja!“

„In der jetzigen Stund’ noch – aber – aber na – es geht ja net – so kannst ja net fort – hast ja schier nix an! Aber wart’ – mir fallt ’was ein! Ich schaff’ Dir a G’wand!“

In zitternder Erregung löste er sich aus ihren Armen, stieß die schweren Schuhe von den Füßen und eilte davon.

Als er sein Stübchen im Gesindehaus erreichte, verrieth ihm ein lautes Schnarchen, daß er von Stoffel’s Ohren Nichts zu fürchten hatte. Lautlos sperrte er seinen Koffer auf, grub zu unterst einen strotzenden Beutel hervor, den er mit scheuer Sorge an seiner Brust verwahrte. In zitternder Eile schnürte er verschiedene Kleidungsstücke zu einem Pack zusammen, drückte sich eine wollene Mütze aufs Haar und nahm einen faltigen Mantel über die Schulter. So verließ er das Stübchen, eilte quer über den beschneiten Hof nach der Hinterseite des Wohnhauses und warf, was er trug, zu Füßen der Mauer auf die Erde. Wieder kletterte er über das aufgeschichtete Scheitholz empor. „Karli – Karli!“ rief er mit halblauter Stimme, und als er keine Antwort erhielt, schwang er sich durch das offene Fenster. Drinnen in der leeren Kammer machte er Licht, trat in den Flur hinaus und lauschte mit verhaltenem Athem über die Treppe hinunter. Aus der Stube herauf meinte er den murmelnden Klang einer hastig redenden Stimme zu vernehmen. Geräuschlos öffnete er die Thür des nebenanliegenden Stübchens und riß einen Kasten auf, der mit Frauenkleidern angefüllt war. Er nahm, was ihm zuerst in die Hände fiel – ein schwarzes Leibchen, einen gestreiften Rock, und unten aus einem Winkel ein Paar Tuchschuhe mit baumelnden Quästchen.

Auf dem gleichen Wege, auf dem er gekommen, verließ er wieder das Haus. Als er die Rückseite des Gesindetraktes erreichte, kam ihm Kuni schon mit ausgestreckten Armen entgegen. Betroffen starrte sie ihn an, als sie beim falben Schneelicht das Gewand erkannte, das er brachte – das Gewand, in welchem sie an jenem Sonntag den Pointnerhof betreten hatte. Während sie sich bekleidete, stand er wortlos abgewandt. Dann riß er das wollene Tuch von seinem Halse und band es ihr über Stirn und Haare. Auch mußte sie dulden, daß er seinen Mantel um ihre Schultern legte.

„Komm! So komm halt jetzt! Und der liebe Herrgott mag uns gut sein auf unserm heimlichen Weg!“

Laut weinend warf sich Kuni an seinen Hals. Er aber wehrte sie sanft von sich ab, faßte sie bei der Hand und zog sie mit sich hinaus auf die beschneite Wiese und in das dichte Gestöber.

Sie gingen den gleichen Weg, den Kuni einst gekommen.

Als sie den steilen Hang hinter dem Garten überwunden hatten, hielt Götz schwer athmend inne und wandte die Augen nach dem Gehöft zurück.

„So b’hüt Euch Gott halt,“ schluchzte er, „und b’hüt Dich Gott, Du Haus, Du liebs – vom Unfried’ bist erlöst – mag jetzt der Frieden wieder Einkehr halten unter Dei’m Dach!“

Nun schritten sie wortlos bergwärts durch den weißen Schnee und hinter ihnen löschten die fallenden Flocken die Spur ihres Weges.


[874]
14.

Stunden verrannen, allmählich legte sich der Wind und immer spärlicher fiel der Schnee. Die graue Dämmerung wurde zum Tage; langsam hoben sich die dicht und eben liegenden Wolken, gaben den weißen Glanz der Berge frei und zerklüfteten sich, daß der fahlblaue Himmel niederblicken konnte in das winterliche Thal.

Das Dorf erwachte; an den Häusern begannen sich die Thüren zu öffnen, und mit halb verwunderten, halb noch schlafenden Augen traten die Leute über die Schwellen.

Die Beiden nur, die in der Stube des Pointnerhofes saßen, schienen nicht zu merken, daß es Tag geworden.

Karli lehnte sich mit beiden Armen über den Tisch und starrte finsteren Blickes vor sich nieder.

Ihm an der Seite saß der Pointner. Er athmete tief auf, als wäre er eben jetzt verstummt, nachdem er lange gesprochen. In seinen Zügen kämpfte Verstörtheit mit verlegenem Aerger. Heftig zitterte die Hand, mit welcher er an seinem knopflosen Hemdkragen nestelte.

Nun schaute er mit scheuen Augen zu Karli auf und stotterte: No also – hast jetzt gar nix zum sagen – jetzt, wo ich Dir Alles g’standen hab’? Oder kannst mich ’leicht so sitzen lassen und gar nix reden, wo Dir doch denken magst, wie schwer’s ei’m Vater ankommt, wann er sei’m eigenen Buben gegenüber so ’was in Diskurs bringen muß – so ’was!“

Karli schwieg; er schien über seinen grübelnden Gedanken die Worte des Vaters völlig überhört zu haben.

„Jetzt redst mir aber!“ schalt der Bauer in Scheu und Aerger, während er die Finger in den Arm des Burschen kniff. „Oder bist mir am End’ gar noch harb, weil mich d’ Lieb’ zu Dir alles so ’rausreden hat lassen?“

Erschrocken war Karli aufgefahren. „Harb sein?“ stammelte er. „Wie kannst denn so ’was denken! Ich hätt’ doch g’wiß kein’ Grund net und – und – na, gar kein’ Grund net, denn wie sich die Sach’ jetzt anschaut, liegt’s ja offen am Tag, daß ’s nix Anders von ihr g’wesen is als a Rach’ gegen mich. Na, Vater – schau – von Harbsein därfst mir net reden – da thust mich ehnder noch dauern! Denn Du – Du tragst ja an die Folgen schwerer noch wie ich!“

Die ärgerliche Scheu des Pointner’s schlug jählings in weinerliche Rührung um. „Ja, Karli – schwerer – schwer g’nug! Und schau, da is mir’s jetzt a ganze Wohlthat, daß ich Dich auf meiner Seiten weiß – und daß Du Dich so herzlich stellst zu mir – wie a rechter Freund – und wie mein richtiger, g’scheiter Bua – ja!“

„Laß gut sein, Vater – und reden wir nix weiter drüber!“ wehrte Karli mit verlegenem Tone. Dann blickte er in der Stube umher, und jetzt erst schien er des Tages zu gewahren, der sich mit bleichem, kaltem Licht durch die trüben Fenster gestohlen hatte. „Da, Vater – da schau – völlig Tag is ’worden – und Dein’ Bäuerin is noch net da!“

„Macht nix – macht nix!“ wisperte der Pointner, während er sich die Fäuste über die nassen Backen wischte. Und aus seinen kleinen Augen blitzte es fast wie boshafte Schadenfreude. „Macht nix – wie länger als s’ ausbleibt, wie besser is ’s! Sie grabt sich schon a Gruben – sie grabt sich schon eine! Und net g’fallen laß ich mir’s – g’wiß net! Verklagen thu ich s’ – und Du – Du mußt mir an Zeugen machen –“

„Aber, Vater! Wie kannst denn schon von so ’was reden! Z’erst mußt doch warten, bis s’ kommt – und mußt hören, was s’ Dir sagen kann auf Dein’ Frag’!“

„Na – nix da! Da brauch’ ich kein Warten nimmer und kein’ Frag’. Die is schon so Eine – die! Sie hat’s bewiesen! Und was mich völlig überzeugt – der Götz, der hätt’ sich net g’rührt, wann er nix G’wiß’ net g’wußt hätt’. Aber den G’fallen, den er mir ’than hat damit, den will ich ihm danken seiner Lebtag’! Jetzt soll er mir noch ’was reden vom Fortgehn! Jetzt bleibt er mir da!“

„Vater! An solchen G’fallen erst hat’s ’braucht, daß unser Götz bei Dir noch a Bleiben g’habt hätt’? Ich, Vater – ich sag’ Dir’s – er wär’ auch ’blieben ohne dem! Und wann ihn keiner net g’halten hätt’ – ich hätt’ ihn g’halten – ich ganz allein!“

„No ja – no ja –“ stotterte der Pointner, und weiter fand er kein Wort mehr.

Unwillig erhob sich Karli, lehnte sich in die Fensternische und wischte den grauen Beschlag von den Scheiben. Da machte er nun verdutzte Augen, als er überall, wohin seine Blicke trafen, nur Schnee und Schnee gewahrte.

„Da schau, Vater – Winter is ’worden über Nacht!“

Der Pointner trat an seine Seite. „Ja – da hast jetzt dengerst Recht b’halten! Umg’schlagen hat’s – und wie!“ Dann aber, als hätte die Thatsache, daß es Winter geworden, auf seine Stimmung irgend welchen ändernden Einfluß üben sollen, den er nicht dulden konnte, fuhr er scheltend auf: „Aber ein Ding – ob’s jetzt Sommer oder Winter is – das macht jetzt gar nix anders!“ Und so greinte und schalt er weiter, während er mit unruhiger Hast in der Stube auf und nieder trippelte.

Karli hörte nicht mehr auf ihn; mit verlorenen Blicken schaute er durch die Scheiben und seine Stirn furchte sich unter stummen Gedanken. Nun plötzlich stieß er sich heftig vom Fenster zurück und ging mit raschen Schritten der Thür zu.

„Ja, was is denn?“ staunte der Pointner. „Wo willst denn hin? Wirst mich doch net allein lassen?“

„Ich komm’ gleich wieder! G’rad schauen muß ich ’was!“

Der Pointner sah seinen Buben aus der Stube verschwinden und hörte ihn langsam über die Treppe steigen. Eine Weile war Stille – dann kam’s mit hastigem Poltern vom obern Stock herunter, und Karli stürzte zur Thür herein, bleich, zitternd vor Erregung, mit zornig blitzenden Augen.

„Vater! Soll ich Dir ’was sagen?“ schrie er mit heiserer Stimme. „Droben – Dei’m saubern Herrn Schwager sein’ Kammer is leer – und kein Bett net is ang’rührt. Und in der Bäuerin ihrem alten Stüberl steht die Thür sperrangelweit offen – und der Kasten is aufg’rissen, als wär’ a G’wand davon ’tragen worden! Jetzt, Vater – jetzt kenn ich mich aus! Wirst es sehen – sie kommt Dir nimmer – Dein’ Bäuerin – überhaupts nimmer! Jetzt kenn’ ich mich aus!“

Weit riß der Pointner die Augen auf; ein Schlottern kam in seine Kniee, und wortlos bewegten sich seine Lippen.

Draußen ging die Hausthür und ein dumpfes Geräusch wurde hörbar, als pochte Jemand an der Schwelle den Schnee von den Füßen.

Stoffel trat in die Stube. Mit verblüfften Augen schielte er die beiden Pointner an und frug:

„Is der Götz net da?“

„Der Götz? Warum?“

„G’spaßig, g’spaßig!“ murmelte Stoffel. „Im Holzhof is er net, im Stall net – ja wo kann er denn sein? Gleich bei’m Aufwachen hab’ ich g’merkt, daß er sich gar net schlafen g’legt hat. Aber dengerst muß er in der Kammer g’wesen sein. Der Kufer is aufg’rissen und Alles durch einander g’worfen –“

Weiter ließ Karli den Knecht nicht reden. Er eilte zur Thür hinaus, und unter stotternden Worten humpelte ihm der Pointner nach.

Sie erreichten die Kammer im Gesindehaus und starrten auf den offenen Koffer und die zerstreuten Kleidungsstücke.

„Vater – der Götz is fort,“ brach es mit tonloser Stimme von Karli’s Lippen, „fort is er – heut’ in der Nacht!“

„Ich glaub’s net – na – und ich glaub’s net!“ raunte der Bauer seinem Buben zu und schaute von der Seite mit blinzelnden Augen zu ihm auf. „So ’was thut er mir net an, der Götz – daß er fort geht ohne Abschied von mir! Den [875] kenn’ ich! Und ich kann mir schon denken, was los is! Den Götz, den kenn’ ich! Der hat g’wacht für uns – der hat die Ander’ ’troffen in der Nacht – und nach is er ihr – und heimbringen thut er s’ – mitten durchs Ort durch in Schand’ und Spott. Wirst es sehen, Karli! Den Götz, den kenn’ ich!“

Draußen im Flur ließ eine kreischende Stimme sich vernehmen: „Bauer – Bauer!“

Zenz erschien auf der Schwelle.

„Ja um Gotteswillen – was is denn schon wieder?“

„G’schehen, Bauer – g’schehen muß was sein! G’rad is der Martl in Hof ’rein g’rennt!“

„Der Martl?“

„Ja – und g’laufen is er, was er laufen hat können! Und ganz verlechznet hat er sich ang’schaut. Und ins Haus ’nein is er g’rumpelt –“

Da eilten sie Alle, Karli voraus, in den Hof hinunter. Dort stießen sie auf den Knecht, der aus dem Hause kam. Bis zu den Hüften hing der Schnee an ihm; sein Gesicht war von Schweiß beronnen, und der fliegende Gang seines Athems ließ ihn kaum zu Worte kommen.

„Den Bygotter – den Bygotter hab’ ich g’sehen!“ stieß er in abgerissenen Lauten hervor. „Droben am Sonnbergschlag – wie ich ums Tagesgrauen von der Holzerhütten fort bin – da hab’ ich ihn durch die niedern Boschen schliefen sehen – gegen d’ Höh’ zu! Und ausg’schaut hat er – zum Fürchten und zum Erbarmen! Jetzt aber – jetzt muß er sich finden lassen! Der Schnee verrath’ ihn – der Schnee! Droben am Kreuzweg hab’ ich d’ Holzknecht’ warten lassen – und im Vorbeilaufen hab’ ich’s dem Kommandanten ins Fenster ’neing’rufen – ja – der hat sich auch gleich am Weg g’macht, wie ich g’merkt hab’.“

„Ja heiliger Herrgott, ja kommt denn heut’ Alles z’samm’, Alles?“ jammerte der Pointner und schlug die Hände in einander.

Karli aber stürzte in das Haus, und als er wieder unter der Thür erschien, mit Hut und Bergstock, rief er die beiden Knechte zu sich und eilte mit ihnen aus dem Hofe. In dem Hause, in welchem die zwei Gendarmen wohnten, erfuhr er, daß der Kommandant mit einigen Nachbarsleuten bereits nach dem Sonnberg aufgebrochen sei.

Am Waldsaum holten die Drei aus dem Pointnerhofe die Vorausgegangenen ein. Karli wunderte sich, daß der Kommandant allein war, ohne seinen Kameraden. Doch kam er zu keiner Frage; denn als er sich dem Kommandanten näherte, empfing ihn derselbe mit seltsamen Blicken und einem eigenen Lächeln, das ihm unwillkürlich das Blut in die Stirn trieb. Wortlos folgte er den Männern, welche in möglichster Eile bergwärts stiegen durch den spröden Schnee, der immer tiefer wurde, je mehr sie zur Höhe kamen.

Als sie den Sonnbergschlag erreichten und auf die Fährte des Bygotters stießen, zog Karli den Kommandanten bei Seite und flüsterte ihm mit stockenden, vor Erregung bebenden Worten zu: „Gelten S’ – bitten thu’ ich Ihnen – gehen S’ fein net gar z’ hitzig drein! Es is ja kein Spitzbub net, der da zum suchen is – sondern a kopfkranker Mensch, der Ein’ erbarmen muß.“

„Ich weiß schon selber, was ich zu thun hab’. So g’scheit, wie Sie sind, bin ich auch noch!“ lautete die Antwort.

Einer hinter dem Anderen, der Kommandant voraus, so folgten sie der im Schnee deutlich erkennbaren Spur. Diese führte bald durch dichte Büsche und bald durch schütteren Wald, in gerader Steigung gegen die hochliegenden Lärchenbestände; doch ehe sie dieselben erreichte, lenkte sie seitwärts in eine Waldschlucht. Hier vertheilte der Kommandant die Leute, als gält’ es eine Treibjagd abzuhalten. Zwei seiner Nachbarn nahm er mit sich in die Schlucht, in deren schmalstem Theile sie zwar nicht den Bygotter, aber doch seinen Schlupfwinkel fanden, ein geräumiges, von wirrem Gestrüpp verborgenes Felsenloch. Im Hintergrunde der dämmerigen Höhle war auf dem feuchten Grunde aus Moos und dürren Blättern ein Lager aufgeschüttet. Ueberall lagen trockene Beeren umher. In einem Winkel stand ein hohles Rindenstück mit Wasser. Auf einem Steinblock lag der halb zerrissene Kadaver eines Berghasen, der noch eine dünne, aus grauen Haaren geflochtene Schlinge um die gedrosselte Kehle hängen hatte.

Vor kurzer Weile noch mußte der Bygotter hier gewesen sein; denn als der Kommandant und seine beiden Begleiter die Höhle wieder verließen, sahen sie im Schnee eine frische Spur über den steilen Hang der Waldschlucht aufwärts steigen. Mit keuchender Mühe arbeiteten sie sich empor und hielten, als sie unter Bäumen die Höhe erreichten, erschrocken still.

Die kahle, von tiefem Schnee bedeckte Kuppe, die sich vor ihnen erhob, war die Sonnbergplatte. Dort oben, an einer Stelle, von welcher der Wind den Schnee gefegt, sahen sie den Bygotter mit ausgebreiteten Armen auf den Knieen liegen, das starre, leichenähnliche Gesicht gegen den Himmel gerichtet. Sie hörten nur das heisere, zornige Murmeln seiner Stimme, ohne seine Worte zu verstehen. Gleich einer festen Masse stand ihm der mächtige Bart vom Halse. Seine Linnenkleider starrten von Schmutz; überall hingen die Fetzen nieder und die klaffenden Risse entblößten den Körper.

Da brach ein dürrer Ast, auf den sich einer von den Dreien gestützt.

Mit gurgelndem Laute fuhr der Bygotter in die Höhe, seine glühenden Blicke schossen nieder über den Hang, „Philister – Philister über mir!“ schrie er mit gellender Stimme in die Lüfte, stürzte davon in wilder Flucht und verschwand in der Tiefe des nahen Felsenkars.

Mit zornigem Fluche eilte der Kommandant ihm nach, während einer seiner Begleiter durch die hohlen Hände hinunterschrie in die Waldschlucht:

„Leut’ – da ’rauf – da is er – da!“

Nun kamen sie einhergerannt und emporgestiegen, Einer nach dem Andern, mit lautem Schelten oder kreischenden Fragen, und Jeder trat in die ausgewatete Spur, die er vorfand.

Karli, welcher am weitesten von der Sonnbergplatte entfernt gestanden, erreichte als Letzter die Höhe der Kuppe.

Bangendes Entsetzen lähmte seine Schritte, als er jenseit des Felsenkars den Bygotter aufwärts flüchten sah über die steilen, brüchigen Felsen der Sonnbergwände. Und während unter seinen Füßen Schnee und Geröll sich löste und in die Tiefe prasselte, während er Stein um Stein auf seine Verfolger niederschleuderte, gellte seine Stimme:

„Vertilge sie, Herr – vertilge sie – rette Deinen Knecht – schleudere Deine Blitze – Berge stürze über sie – und öffne Deine Wolken – mir – mir! Alles – mein Alles hab’ ich Dir – Dir gegeben! Und Du – was giebst Du mir?“

Da sah ihn Karli stürzen, sah, wie er sich mühsam noch erhielt, wie er sich emporraffte und wieder aufwärts flüchtete gegen den Grat des Berges.

In angstvollem Laufe stürmte der Bursche über den Hang der Kuppe nieder, und während er den letzten der Männer erreichte und am Arme packte, schrie er den anderen nach:

„Leut’ – Leut’ – Jesus Maria – Leut’ – so hört’s doch auf – so laßt’s doch ab von ihm – es muß ja an Unglück geben!“

Sie aber hörten nicht auf ihn. Als hätte der Anblick des Bygotters oder der Sinn seiner Worte oder das unheimliche Sausen der Steine, die, von Fels zu Felsen prallend, über ihre Köpfe hinwegflogen, sie in blinde Wuth gebracht, so kletterten sie ihm nach, und je näher sie ihm kamen, mit desto lauterem Geschrei befeuerten sie einander.

Und immer mischte sich in ihr Geschrei und in das Poltern der fallenden Steine die gellende Stimme des Wahnsinnigen:

„Siehe, Herr – schon nahen sie mir – Deinem Knechte! Ich rufe zu Dir – in meiner Noth – die Wolken öffne mir – den Himmel – sende mir – des Elias’ feurigen Wagen – daß ich auffahre – zu Dir – und Deiner Herrlichkeit –“

Da erlosch diese Stimme; von Karli’s erblaßten Lippen hallte ein dumpfer Schrei, und während die Männer auf dem steilen Berghang in jäher Flucht ihre Rettung suchten, starrte Karli mit brennenden Blicken regungslos zur Höhe. Noch eben hatte dort oben die Gestalt des Bygotters scharf vom Himmel sich abgehoben – jetzt war sie verschwunden – und unter der Stelle, an welcher sie gestanden, stäubte eine weiße Wolke auf, welche langsam erst, dann schneller und schneller über das steile Gewände niederrollte, mit jeder Sekunde sich vergrößerte, Schnee und Steine in breiter Gasse mit sich riß und ein wirres Geräusch [876] erweckte, das aus Rauschen, Sausen, Knattern und Dröhnen sich zusammensetzte, um mit einem donnerähnlichen Schlage zu erlöschen.

Ein grauer Wust von Schnee, Geröll und Staub erfüllte die Hälfte des Felsenkars. Ein zitterndes Summen ging noch durch die Lüfte, während dünne Schneebäche lautlos aus der Höhe nachgerieselt kamen.

Zitternd, mit aschfahlem Gesichte, stand Karli an einen Steinblock gelehnt. Sein ganzer Körper war überstäubt von Schnee und Sand. Dicht vor seinen Füßen waren die äußersten Massen der Lawine ins Stocken gerathen. Er brachte kein Wort über die Lippen. Mit irren Blicken suchten seine Augen die Anderen. Denen war nun aller Zorn und Uebereifer jäh vergangen. Mit blassen, verstörten Gesichtern kamen sie von allen Seiten herbeigeeilt und bekreuzigten sich unter lallenden Worten. Scheuen Blickes schauten sie einander an – sie schienen sich mit den Augen zu zählen. Und Einer fehlte. In ihrem Schreck erkannten sie nicht gleich, welcher es wäre. Endlich stotterte Martl den Namen. Einer der Nachbarn des Kommandanten war es – er hatte bei der Verfolgung des Bygotters die Andern weit hinter sich gelassen und war zuletzt noch ganz in der Nähe des Wahnsinnigen gesehen worden.

Nun begannen sie ein lautes Schreien und Jammern, und Einzelne brachen in wilde Verwünschungen gegen den Bygotter aus: daß er bei der „Gottesstraf’“, die ihn ereilt, auch noch einen Unschuldigen mit ins Verderben hatte reißen müssen.

Als Karli diese Reden hörte, schien ihm ein heftiges Wort auf der Zunge zu liegen; doch schweigend wandte er sich ab. Und auch ein Zweiter stand wortlos vor all diesem Lärme – der Kommandant. Mit zitternden Händen zerrte er an seinem Schnurrbart und brachte die Augen nicht von der Erde.

Inzwischen begannen ein paar von den Männern schon mit Händen und Bergstöcken in den Schnee zu graben. Aber die mit Steinen und Geröll durchsetzte Masse lag wie festgestampft und angefroren. Man mußte um Geräthe und um weitere Leute gehen. Karli zögerte erst, er wollte bleiben – aber die Furcht, daß eine Kunde von dem Geschehenen auf unvorsichtige Weise ins Lehrerhaus dringen möchte, trieb ihn mit den Anderen ins Dorf hinunter.

Als sie den ersten Häusern nahe kamen, eilte Karli voraus. Er traf den Lehrer nicht an; doch versprach ihm die Frau, daß sie den ganzen Tag nicht von Sanni’s Seite weichen und daß sie auch weiterhin Alles dransetzen würde, damit die Genesende Nichts von dem Tode ihres Vaters erführe, ehe nicht ihre Besserung so weit vorgeschritten wäre, daß sie die böse Nachricht ohne Schaden für ihre Gesundheit hören könnte.

Nur halb beruhigt, eilte Karli durch das lange Dorf, in welchem die aufregende Kunde schon von Haus zu Haus geflogen war.

Daheim in der Stube fand er den Vater. Die zornige Erregung, die aus des Pointner’s Augen und Zügen sprach, verwandelte sich in starren Schreck, als er hörte, was Karli mit stammelnden Worten berichtete.

Während sich der Bursche müde auf einen Holzstuhl sinken ließ, rannte der Pointner jammernd in der Stube auf und nieder. Und schließlich fuhr er sich mit beiden Händen in die grauen Haare und hatte nur immer das eine Wort: „So a Tag – na – so a Tag – so a Tag!“

Als er wieder einmal aus dem Fensterwinkel gegen die Thür schoß, schwenkte er sich plötzlich gegen Karli herum, blieb vor ihm stehen, zerrte mit ungestümer Hand ein zerknittertes Blatt aus der Tasche, hielt es dem Burschen dicht vor die Augen und stotterte:

„Da – da – daß auch ’was Neus erfahrst – da lies amal!“

„Was hast denn da?“

„An Brief – und was für ein’! Kein’ halbe Stund’ noch is ’s her, da hat ihn a Bua ’bracht – a fremder – von der Bahnstation. So lies, sag’ ich – lies!“

Karli las; in seinen Händen begann das Blatt zu zittern; betroffen schaute er zum Vater auf, schüttelte den Kopf und las von Neuem.

Es war ein Brief von Götz, in schwerer, unsicherer Schrift mit Blei geschrieben.

Dieser Brief erklärte Alles und verschwieg nur Eins: den Weg, welchen Götz mit Kuni genommen.

„Na! Wer hätt’ sich so ’was ’denkt! So ’was!“ stammelte Karli mit schwankender Stimme.

Weiter ließ ihn der Pointner nicht reden. Er riß ihm das Blatt aus den Händen, zerknüllte es zwischen den Fäusten, und während er sein Auf- und Niedertrippeln wieder begann, tobte er gegen die Stubendecke:

„So ’was – ja – so ’was! Alles kommt über mich – Alles! Schand’ und Spott werd’ ich haben davon, und auslachen werden mich d’ Leut’ am hellen Tag’! Und wenn’s mir auch schon net um die Ander’ is – im Gegentheil – aufschnaufen thu’ ich – aufschnaufen – aber der Götz! Der Götz! Wie soll denn ich und der Hof ohne den Götz g’rathen können! Was fang’ ich denn an ohne den Götz!“

„Aber Vater! So sei doch g’scheit –“

„Na! Ich mag net! Ich möcht’ mein’ Götz wieder haben! Meinetwegen kann er Vater sein, zu wem er mag! Und weßwegen hat er denn da gleich fortlaufen müssen? Da hätt’ er ja bleiben können auch – erst recht! Na – so Eine! Das is Eine! Verführt mir mein’ Götz zum Davonlaufen!“

„Ja Vater, wie redst denn jetzt –“

„Ich red’, wie ich mag! Und ich laß’ net aus, ehvor ich net mein’ Götz wieder hab’! Und wenn s’ schon davonlaufen hat müssen, da wär’ s’ mir schon lieber mit ihrem Bruder davong’laufen – mit ihrem saubern! Ja – daß ich Dir’s sag’! Weißt, was g’schehen is? Im Wirthshaus hat er getrunken die ganze Nacht durch – und über sein’ Schwester hat er g’schimpft, daß ’s kaum zum Anhören war. Und noch Einer is dabei g’wesen, so a Vagabund, so a lumpiger! Der hat von Anfang schon an Rausch g’habt, und da hat er sich gift’, daß sich der noble Herr net zu ihm an Tisch setzt. Und Streit haben s’ ’kriegt – und der Lump hat ihm vorg’worfen, daß er amal falsch g’schworen hätt’ um seinetwegen – und der Schandarm is dazu ’kommen – und auf’packt hat er s’ alle Zwei und hat s’ dahin, schön Hand an Hand! In der Fruh, kaum daß zur Thür draußen warst, is d’ Walli daherg’rennt ’kommen – d’ Wirthskellnerin – ganz verweint! D’ Händ’ hat s’ z’sammg’schlagen über’m Kopf, und g’rad g’flennt und ’bettelt hat s’, ich sollt’ mich doch wehren um mein’ Schwager. Ja – Schnecken! Ich? Mich wehren? Um so an Schwager? Ja – so a Schwager, der kann mir g’stohlen werden! Aber natürlich – Schwager, Schwager – jetzt wird’s allweil heißen: a Schwager vom Pointner! Na! Na!“

Der Pointner schlug die Fäuste vor die Stirn, und die Thränen eines ohnmächtigen Grimmes rannen ihm über die Backen.

Wortlos saß Karli auf seinem Stuhle und starrte den Vater an.

Da trat der Pointner an eines der Fenster, als hätte irgend Etwas im Hofe seine Aufmerksamkeit erregt. Er schluchzte noch einmal auf; wischte die Hände über die Augen und stotterte mit gedrückter Stimme:

„Karli – da – Leut’ sind draußen im Hof. Entweder suchen s’ Dich – oder sie wollen sich Schaufeln und Hacken ausleihen.“

„Jesses na! Ich muß fort, Vater – fort!“ fuhr Karli erschrocken auf. „Ich muß mit ’nauf am Berg – ich muß!“

„Ja, Bua, ja, mußt schon gehn!“ seufzte der Pointner. „Na! Is das a Tag! Du lieber, lieber Gott! Und so an Unglück! Und so auf amal! Na! Na! Und das arme Deandl erst – das arme, arme Hascherl!“

Wenn diese Worte für Karli berechnet waren, so kamen sie zu spät, denn während der Pointner noch sprach, stand der Bursche schon im Hofe draußen. Die Leute, die er dort vorgefunden, waren in der That um Pickeln und Schaufeln gekommen. Karli schleppte herbei, was er nur zu finden wußte.

Dann eilte er mit den Leuten dem Sonnberg zu.

Als sie die Unglücksstätte erreichten, war die traurige Arbeit schon in vollem Gange.

Den Nachbar des Kommandanten fanden sie zuerst; trotz seiner gräßlichen Wunden zeigte er noch Leben; doch während sie ihn auf die Tragbahre betteten, verschied er ihnen unter den Händen.

[877] Eine Stunde später fanden sie den Bygotter. Sein starrer, fast zum Skelette abgemagerter Körper war unversehrt; aber von den zusammengezogenen Brauen aus ging ein klaffender Bruch über die Stirn und das kahle Haupt. Seine Fäuste waren geballt, und über seinem gespenstigen Gesicht lag noch der Ausdruck eines finsteren Zornes.

Die Leute beteten vor den Leichen; dann nahmen acht Männer die beiden Bahren auf, und unter murmelndem Gebete schlossen die übrigen sich an.

Langsam ging es thalwärts durch den beschneiten Bergwald.

Im Dorfe theilte sich der Zug.

Den Bygotter wollten sie zum Armenhause tragen. Karli aber setzte es beim Vater durch, daß der Todte im Pointnerhofe aufgebahrt wurde. Zwei Tage später, am Morgen des Allerseelentages, wurden die Beiden, die in der gleichen Stunde den Tod gefunden, in der gleichen Stunde zur ewigen Ruhe bestattet.

Und während eine dunkle Menschenmenge den weißen Kirchhof füllte, saß Karli im Lehrerhause an Sanni’s Seite.

Das Mädchen ruhte in einem Lehnstuhl, den Schoß von einer wollenen Decke verhüllt. Ihre schmalem blassen Hände lagen auf den weitgespannten Lehnen. Das rührend liebliche Köpfchen mit den sorgsam geflochtenen Haaren war in die Polster zurückgesunken, die feuchten Augen schauten zur Höhe, und über die schmalen Wangen, auf welche die wiederkehrende Gesundheit schon eine zarte, durchsichtige Röthe hauchte, ging ein kaum merkliches Zittern.

Da lösten sich zwei Thränen von ihren Lidern.

„Daß ich heut’ gar so viel auf ihn denken muß“ flüsterte Sanni. „Ob er jetzt wohl schon drüben sein mag – über’m Wasser?“

„Ja, Sanni – jetzt is er drüben – jetzt!“

Von seinem Tone betroffen, schaute sie ihm ins Gesicht. „Was hast denn, Karli?“ fragte sie. Doch bevor er noch eine Antwort finden konnte, hob sie den Kopf und lauschte den dumpfen, schwebenden Glockenklängen, welche die Scheiben der Fenster erbeben machten.

„Ich weiß net, Karli – aber das kann doch kein Kircheng’läut’ net sein? Das is ja g’rad, wie wenn a ’Gräbniß wär’?“

„Ja – a ’Gräbniß – ja freilich a ’Gräbniß.

„Ja mein Gott, wer is denn g’storben?“

„Wer – wer g’storben is? Der alte Häusler – weißt, der Pechlernaz’ – ja – der allweil so viel krank g’wesen is.“

„Geh’! Aber ich mein’ doch, es hätt’ mir d’ Frau Lehrer vor acht Tag’ schon g’sagt –“

„Na – ah na – das kann net sein! Selbigs Mal – g’wiß wahr – da is er erst versehen worden. G’storben – richtig g’storben is er erst vor zwei Tag’!“

„Der arme Hascher, der! Aber schau – dem hat ja der liebe Herrgott ’s Sterben als a Verlösung g’schickt. Und er wird ihn auch gnädig halten in der himmlischen Ruh’.“

„Ja – ja, Sanni, in Ewigkeit, Am’!“

Die Glocken setzten aus, und man hörte vom nahen Kirchhofe herüber den verlöschenden Hall einer einzelnen Stimme. Es war die Stimme des Pfarrers, der die Leichenrede sprach. Das währte eine Weile – dann war ein wirres Gemurmel zu vernehmen.

„Geh’, Karli – geh’ – laß uns auch a Vaterunser beten für sein’ arme Seel’.“

Ihre Hände verschlangen sich, und ihre Stimmen flossen in einander zu leisem Gebete.

Vom Kirchhof herüber tönte ein schwermüthig getragener Gesang, und wieder huben die Glocken ihr schwebendes Läuten an.

[891]
15.

Ein Jahr war übers Land gegangen. Wieder war ein früher Winter mit reichlichem Schneefall von den Bergen niedergestiegen ins Thal. Und wieder war Allerseelentag. Vom frühen Morgen an war der Kirchhof nicht leer geworden von Leuten, welche die geschmückten Gräber ihrer Todten besuchten.

Und auch jetzt noch, während es schon zu dämmern begann und der Schnee in großen Flocken fiel – auch jetzt war die ernste Stätte noch nicht vereinsamt. Männer und Frauen wanderten langsam zwischen den Kreuzen umher und verweilten hier und dort zu kürzerem oder längerem Gebete.

Vor einem eisernen Gitter, welches zwei reich gezierte Hügel umschloß, die Gräber der seligen Pointnerin und des Bygotters, standen drei Menschen – Karli mit seinem jungen Weibe und der Pointner.

Gar wenig hatte sich Karli in diesem Jahre verändert. Nur höher und stattlicher schien er geworden. Der Ausdruck des zufriedenen Glückes, welches aus seinen Augen und Zügen sprach, wurde durch den Ernst der gegenwärtigen Stunde kaum getrübt.

Recht merklich aber hatte der Pointner die entschwundene Zeit zu fühlen bekommen. Grauer und dünner war sein Haar geworden; die glänzende Röthe seiner Backen hatte sich sehr, recht sehr gemildert – und was diese Backen an Röthe eingebüßt, hatten sie an Furchen zugesetzt. Seine Schultern waren gesunken, und das unermüdliche Lächeln des sauber rasirten Mundes schien sich in den müden Zug verloren zu haben, der die Winkel kreuzte. Nur aus den kleinen blinzelnden Augen lugte noch ein wenig der Pointner vom letzten Jahre.

Wie der verkörperte Spätherbst neben dem sprossenden Leben des zum Sommer sich wandelnden Frühlings, so stand dieser Alte neben dem schmucken, vollerblühten jungen Weibe, in welchem man das zarte, schüchterne Ding von einst kaum mehr erkennen mochte. Und dieser weiche, frauenhafte Zug, wie paßte er so gut zu dem sanft gerundeten Gesicht! Wie paßte er so gut zu dem ruhigen Ernste dieser großen, blauen Augen, die jetzt mit regungslosen Blicken auf einem der beiden Gräber ruhten!

Während der Pointner immer wieder die weißen Flocken von seinen Aermeln schüttelte, während er ein um das andere Mal über die Schulter blickte, als dächte er vor den kalten Gräbern schon an die warme Stube zu Hause, verwandte Karli keinen Blick von dem jungen Weibe an seiner Seite.

Nun legte er die Hand auf ihre verschlungenen Finger und sagte: „Geh’ – so lang’ därfst mir fein net bleiben, in dem kalten, nassen Schnee daheraußen!“

„Ja, Recht hat er! Könntest Dir ja schaden!“ bestätigte der alte Pointner mit lautem Eifer und hauchte in die Hände.

Da schloß sie ihr stilles Gebet und bekreuzigte sich, während ein stockender Seufzer ihren Busen schwellte.

Als sie den Kirchhof verlassen hatten, öffnete Sanni einen dunkelblauen Regenschirm und sagte zu ihrem Manne:

„Geh’ nur heim derweil, Karli – ich hab’ mich zu der Frau Lehrerin noch auf an kurzen Plausch versprochen. Der Vater bleibt schon bei mir. Gelt, Vater?“

„Aber g’wiß!“

„No ja – da kann ich ja auch mitplauschen?“ meinte der junge Bauer.

Sanni erröthete. „Ah na – geh’ nur heim – ich kann Dich net brauchen.“

„Nix da – marsch weiter! Wir können Dich net brauchen!“ kicherte der Alte, während er den Sohn mit beiden Armen gegen die offene Straße drängte. „Gelt? Möchtest gern wissen, was ’s da zum Reden giebt – jetzt allweil – Du Nasenweis, Du! Marsch weiter!“

Mit glücklichem Lachen rückte Karli den Hut, und wohl ein Dutzendmal schaute er sich noch um, während er dahinstapfte [892] über die beschneite Straße. Als ihm dann das Lehrerhaus in der Dämmerung und in dem Gewirbel der Flocken verschwand, lachte er noch einmal auf. Was doch ein einziges, kurzes Jahr nicht Alles bringen kann! Und wie glatt sich das Alles gegeben hatte!

Gleich in den ersten Wochen nach jenen ereignißschweren Tagen hatte Karli mit festen Händen die Zügel im Pointnerhofe ergriffen. Und bei der vielen Arbeit, die es da gegeben, hatte er blutwenig Zeit gefunden, sich um das müßige Gerede der Leute zu kümmern, das den Pointnerhof umlagerte. Dem Vater freilich, dem hatte dieses Gerede leidige Sorgen geschaffen; und ein rechter Aerger war ihm der Spitzname gewesen, den ihm der Maurer-Hansl aufgebracht: der „ledige Hochzeiter“. Auch die stille Einsamkeit seiner Stube hatte ihn gar bitter bedrückt. Lange Stunden hatte er oft um den Götz gejammert. Der aber blieb verschollen. Was auch der Pointner, oder der Anwalt, an den er sich, und nicht nur wegen Götz allein, um Rath und Hilfe gewandt hatte, unternehmen mochte – von den beiden Flüchtigen war nicht die geringste Spur zu finden. Da gewöhnte sich’s denn der Pointner allmählich ab, von Götz zu reden. Um so häufiger war dieser Name in Karli’s Mund. Er schaffte den beiden neuen Dienstboten keine Arbeit, ohne beizufügen: „So hat’s der Götz g’macht, und so wird’s auch weiter g’halten!“

Und gegen Martl, Zenz und Stoffel hieß es: „Ihr wißt ja, wie’s der Götz allweil haben hat wollen!“

So kam es, daß Götz, trotzdem er in weiter Ferne weilte, das treibende und ordnende Mittelglied im Arbeitsgang des Pointnerhofes blieb. Und da ging nun Alles so frisch und eben vom Flecke, daß Karli seine helle Freude daran hatte.

Eine schwere Stunde war aber dennoch für ihn gekommen – als Sanni endlich über ihren Vater die Wahrheit hatte erfahren müssen. Aber der herbe Schmerz und die tiefe Trauer, welche diese Stunde über das Herz des Mädchens brachte, linderte und löste sich in dem traulichen Glücke des jungen Weibes.

Mit dem Tage, an welchem Sanni im Pointnerhofe ihren Einzug hielt, begann auch der verdrossene Alte wieder „aufzuschnaufen“. Und da er nun wieder Jemand hatte, der ihn vom Morgen bis zum Abend unterhielt und hätschelte, verging beinahe kein Tag, an dem er nicht unter Kichern und Thränen betheuert hätte: „Mit Dir, Sannerl, mit Dir is halt der Fried’ wieder ein’zogen unter mein Dach!“

Und Karli erst! Der kam nun schon gar aus dem Lachen nicht mehr heraus. Nur Eines fehlte noch, damit sein Glück „als a ganzer in’ Himmel wachsen“ könnte Aber auch dieses Einzige mochte wohl nicht allzu lange mehr auf sich warten lassen.

Diese wohlbegründete Hoffnung leuchtete und lachte aus seinen Augen, als er bei sinkender Dämmerung seinen Hof erreichte.

Unter der Thür begegnete ihm die neue Magd, die einen Zuber voll dampfenden Wassers nach den Ställen trug.

„Drinn in der Stuben is Einer,“ sagte sie im Vorübergehen, „der wart’ schon g’wiß a Stund’.“

„So? Wer denn?“

„Ich weiß net – es muß a Fremder sein.“

Karli zog die Brauen in die Höhe, pochte den Schnee von den Füßen, schüttelte die Flocken von seinem Gewande und trat ins Haus.

Als er in die Stube kam, sah er eine dunkle Gestalt neben dem Tische auf der Holzbank sitzen. Wortlos erhob sich der Fremde.

Karli zögerte einen Augenblick. Dann legte er den Hut ab, ging auf den Schrank zu und entzündete ein Talglicht, das er zum Tische trug. Nun musterte er den Fremden.

Es war ein alter Mann mit schneeweißen Haaren. Dunkle Augen glühten in dem blassen, hohlen Gesichte, das zur Hälfte unter einem weißen, struppigen Vollbart verschwand. In der Hand, mit welcher er sich auf die Tischplatte stützte, hielt er eine zerknüllte Pelzhaube – in der andern einen roh beschnittenen Stock. Er trug eine doppelt über einander geknöpfte Jacke, enge Lederhosen und graue Filzgamaschen über den schweren Schuhen, von welchen der Schnee zu einer kleinen Wasserlache auf die Dielen geschmolzen war.

„Wer bist denn, han? Und was schaffst?“

„Kennst mich ’leicht nimmer, Karli?“ frug eine zitternde, müde Stimme.

„Jesus Maria – Götz! Du!“ stammelte der junge Bauer und schlug die Hände in einander. „Ja wie schaust –“ Das brachte er nicht heraus. Er verschluckte, was er hatte sagen wollen, und stotterte: „Ja, wo kommst denn Du jetzt her? Was bringst denn Du?“

„Was ich bring’? Dei’m Vater sein’ Freiheit!“

Am nächsten Stuhle suchte Karli mit beiden Händen eine Stütze, so heftig zitterten ihm die Kniee. Er rührte die Lippen und starrte rathlos mit erschrockenen Augen auf Götz, der den Stock auf die Holzbank legte, langsam die Jacke öffnete und ein gefaltetes Blatt aus der inneren Tasche nahm.

„Da, Karli – da – gieb’s Dei’m Vater!“

Zögernd streckte der junge Bauer die Hand und verwandte, während er das dünne, knisternde Blatt entfaltete, keinen Blick von Götz. Seufzend schüttelte er den Kopf, näherte sich dem Lichte und begann zu lesen. Eine fahle Blässe überrann seine Züge. Er hielt in den Händen einen Todtenschein – auf den Namen Kunigunde Pointner, geborene Rauchenberger. Als Sterbetag war der 14. Oktober genannt, und darüber stand der Name eines Tirolerdorfes.

„Ja lieber Heiland – lieber, lieber Herrgott –“

Mehr brachte Karli nicht über die bleichen Lippen.

„Gelt? Gelt ja? So ’was! Auf so ’was hättst heut’ auch net aus’denkt!“ raunte Götz mit gebrochener Stimme vor sich hin. „Und um mich – um mich hat sie’s leiden müssen. Und ang’lacht hat s’ mich noch – ang’lacht im letzten Schnaufer. Hingeben hat sie’s müssen, ihr blutjungs Leben – und mich hat s’ übrig lassen! Zu was? Zu was denn hat’s mich übrig lassen? Schad’ is, Karli – schad’ is drum – mir kannst es glauben! Wann Du s’ nur sehen hättst können – Du und Dein Vater – wie s’ worden is und wie sie sich g’macht hat – so brav und richtig! Und wie lieb und gut als s’ g’wesen is zu mir! So z’frieden war s’ – und was hab’ ich ihr denn bieten können, als g’rad mein Bißl Lieb’? Kein’ Arbeit hat s’ verdrossen – ja – und wie wir erst a Platzl g’funden haben – im Tirol drin – so a Winter, Karli, wie das einer g’wesen is! Ich, Karli, ich – und sonst nix hat’s geben für mein Deandl! Und wann ich am Abend heim’kommen bin von der Holzarbeit – wie da unser Stüberl ausg’schaut hat! Und wie wir da bei ’nander g’sessen sind – g’wiß – unser Herrgott hätt’ mich neiden können!“

In Thränen erstickte seine Stimme, und wankend griff er mit zitternder Hand nach dem Tische.

„Aber, Götz – schau – so setz’ Dich doch g’rad a Bißl nieder!“ stammelte Karli.

Götz aber hörte nicht. Mit nickendem Kopfe stand er, ein schwerer Athemzug erschütterte seine Brust, und wieder begann er in abgerissenen Worten zu sprechen: „Und auf so an Winter, Karli – auf so an Winter so a Sommer! A Bauer hat uns ein’dingt g’habt – auf d’ Alm. Wir zwei – und ganz allein da droben! Die schönste Alm – a Vieh, wie’s keins mehr giebt – und so a Freud’, wie’s Deandl g’habt hat d’ran! Und wie ich s’ in die neue Arbeit eing’lernt hab’ – und gleich aufs erst’ mal hat s’ Alles verstanden! Und ein Tag wie der ander’ – so stad und heimlich! Und wie’s auf’n Herbst zu’gangen is, da hab’ ich mich schon wieder auf’n Winter g’freut! Ja – und jetzt is er da – der Winter!“

Götz verstummte und fuhr sich mit beiden Händen über die weißen Haare. Regungslos stand Karli vor ihm, bange Spannung in Augen und Zügen.

„Am zwölften in der Fruh, da hat der Sturm schon ang’fangt – und gleich hab’ ich g’meint, wir sollten heimtreiben. Und da hat s’ mich so viel bitt’, ich sollt’ mich nur g’rad a paar Tag’ noch halten – weil s’ gar so gern heroben war. Und ich – was hätt’ ich ihr denn abschlagen können! Wie’s aber zwei Tag’ lang allweil ärger worden is, und wie’s uns die Schindeln davon gefegt hat von der Hütten wie dürre Blätter, da hat’s halt doch kein Bleiben nimmer ’geben. ’s Vieh is auch schon verzagt und wild g’wesen – und beim Abtreiben erst – wie’s durch’s Holz durch’gangen is, wo die dürren Aest’ g’rad so um einander g’flogen sind – da sind die armen Viecher völlig narrisch worden, und g’rad laufen und schreien haben wir müssen, daß wir s’ zur Noth bei einander g’halten haben. Völlig aufg’schnauft hab’ ich, wie ich d’ Lichten schon g’sehen hab’ in der Tiefen. ‚Jetzt, Kuni, jetzt is gleich überstanden,‘ hab’ ich noch g’sagt – und kaum ich das sag’ – da fallt’s Dir auf amal ’rein übern Wald, wie wann der Himmel sein’ ganzen Luft mit ei’m Mal [894] auslassen hätt’. Die stärksten Bäum’ hat’s Dir hing’worfen wie d’ Waizenhalm’ – und a Krachen war’s – zum Schaudern und Grausen. Und ich – ich will noch auf’s Deandl zuspringen – und da wirft’s mich über a Wurzen – an Kracher hör’ ich hinter mir – und hör’ an Schrei und g’spür’ noch, wie mich ’s Deandl auf d’ Seiten reißt – und da saust der Baum mit die ganzen Aest’ schon nieder neben meiner – und – wie ich aufschau’, fallt mir ’s Deandl schon in d’ Arm’ – kaasweiß im G’sicht – voller Blut am linken Schlaf – und aufg’schnauft hat s’ noch an einzigs Mal – und ang’lacht hat s’ mich noch im letzten Schnaufer. Und überstanden war’s – ja – überstanden!“

In tonlosem Gemurmel verloren sich seine letzten Worte, und seine Gestalt versank in sich, als hätte sich eine drückende Last auf seine Schultern gesenkt. Er schien es kaum zu merken, daß Karli unter stammelnden Worten seine Hände ergriff, daß er ihn niederzog auf die Holzbank, daß er sich an seine Seite setzte und unter Thränen unermüdlich auf ihn einsprach, bald in lautem Jammer und bald in herzlichem Troste.

„Und Recht, Götz, Recht hast g’habt, daß gleich auf uns ’denkt hast,“ so sprudelte es nach all diesen Reden von Karli’s Lippen. „Und jetzt bist da! Und da giebt’s kein Fortgehn nimmer! Der Vater und ich und mein’ Sanni – ja, denk’ Dir, Götz, am Lichtmeß hab’ ich g’heirath’ – und d’ Sanni, Du, da wirst schauen, wenn mein’ Sanni siehst – und g’wiß, Götz, g’wiß – wir Drei, wir werden’s an gar nix fehlen lassen, daß bei uns Dein’ Ruh wiederfindst, und a Trösten – Du armer Kerl, Du!“

Mit trübem Lächeln schüttelte Götz den Kopf und löste seine Arme aus Karli’s Händen.

„Ruh und Trost? Und bleiben? Na, Karli, das is a verlorenes Wort! Daß ich das Blattl dort ’bracht hab’, war mein’ ganze Schuldigkeit. Und jetzt liegt’s da – mein G’schäft is aus – und so kann ich ja wieder gehn!“

„Na, Götz, na, und tausendmal na! Ich laß’ Dich nimmer fort! Da giebt’s amal nix! Und wann der Vater mit meiner Sanni heimkommt –“

„Laß gut sein, Karli! Ich hab’ schon mein’ Platz. Mein Deandl und ich – wir g’hören z’samm! Und übrigens – ich kann net bleiben – ich hab’ ja noch an andern Gang. Mit mir hat ’s G’richt noch a Wörtl z’reden – von wegen mei’m falschen Nam’ und meine falschen Zeugniss’ –“

„Aber Götz! Götz! Ja was hast denn jetzt da im Sinn? Wer hat Dich denn g’fragt danach?“

„Ich will amal sauber machen mit mir! Und fertig will ich sein mit Allem, ehvor ich heimgeh’ zu mei’m Deandl.“

„So? Fortgehn? So? Jetzt sage ich Dir ’was! Da – da bleib’ ich sitzen, und nimmer laß ich Dich aus, bis der Vater und d’ Sanni heim kommt!“

„Dein Vater? Weißt es denn nimmer, wie er g’sagt hat? D’ Leut’ – d’ Leut’ halt, hat er g’sagt. Schau, Karli – und wann ich schon an sonst nix denken müßt’ – es wär’ a Sünd’ von mir, wann ich mein Elend und mein ’brochens Leben Dei’m Glück vor d’ Füß’ hinsetzen möcht’. Ich hab’ in der selbigen Nacht den Unfried’ mit fort’zogen aus Dei’m Haus – sollt’ ich ihn mit mir wieder ’reinführen jetzt? Unfried’ – ja – den Unfried’ habt’s mein Deandl g’heißen, ich aber, ich hab’ s’ mein’ Frieden g’heißen – mein lieben Fried’. No ja, der Herrgott wird schon wissen, warum er ihn mir net länger vergönnt hat – mein Fried’ – als g’rad a Jahr. Daß ich a Unrecht thu’ – ich hab’ mir’s g’sagt in der selbigen Nacht – aber daß ich gar so schwer drum büßen muß –“

Götz verstummte. Mühsam drückte er sich am Tisch in die Höhe, starrte mit nassen Augen gegen die Mitte der Stube, streckte die zitternde Hand und schluchzte: „Da – schau, Karli – g’rad an dem Fleckl da hat s’ gestanden, wie s’ mir selbigsmal ihr Hand hin’boten hat – die erste von allen –“

Seine Worte erloschen, und wankend tastete er nach dem Tische. Erschrocken sprang Karli an seine Seite. „Ja mein Gott – was is Dir denn auf amal?“

„Nix – gar nix! Müd’ bin ich halt a Bißl – müd’. Drei Tag schon bin ich am Weg’ – und heut’ – heut’ bin ich g’radaus ’gangen seit in der Fruh!“

„Jesses na! Ja wie hast denn so ’was vermocht? Und weßwegen hast denn nix g’sagt? So setz Dich doch nieder! Und geh – jetzt schau ich gleich um ’was z’essen und um an frischen Trunk.“

Unter diesen Worten rannte Karli schon der Thür zu: „Nannei! Nannei!“ schrie er in den Flur hinaus. Da draußen aber blieb Alles still. „Macht nix – so schau ich mich halt selber um!“ Er holte das Licht vom Tische, raffte ein Deckelgas vom Schranke und eilte aus der Stube.

In zitternder Hast erhob sich Götz. Er hörte die Kellerthür gehen und hörte Karli’s Tritte über die steinerne Treppe hinunter klappern.

„Fort – fort jetzt! Oder ich könnt’ die rechte Zeit verpassen – bei ihm – und ’leicht auch bei mir!“

So murmelte er in das Dunkel, das ihn umgab, tastete nach seiner Mütze, griff nach dem Stock und schwankte der offenen Thür zu.

Aufathmend trat er in den Hof. Schon wollte er sich gegen die Straße wenden, als er in der Nähe des Zaunes eine kichernde Stimme hörte. Erschrocken eilte er nach der Gartenseite am Haus entlang und drückte sich hinter eine Mauerecke.

Der alte Pointner und Sanni betraten den Hof. Unter der Hausthür stießen sie auf Karli, der eben aus dem Keller kam.

„Vater – so denk’ Dir g’rad – der Götz is da!“

„Was! Der Götz?“

„Ja – und – und kannst Dir auch denken, was er ’bracht hat –“ Da dämpfte sich Karli’s Stimme zu leisem Flüstern.

„Jesus Maria!“ hörte man den Pointner rufen. „Ja, kann’s denn wahr sein!“ Die Sprache verging ihm, bis er sie nach kurzem Schweigen unter schluchzendem Stottern wieder fand. „Der Herr gieb ihr die ewige Ruh’! Schad’, Karli – schad’ is dengerst drum!“

Götz trat aus seinem Versteck hervor.

„Ja – freilich schad’!“ stieß er mit gebrochenem Lachen vor sich hin. Einen letzten Blick noch warf er auf die helle Thür, dann eilte er mit hastigen Schritten dem Garten zu. Während er unter dem Schleier der stöbernden Flocken sich keuchend aufwärts mühte über den steilen, tief beschneiten Wiesenhang, hallte hinter ihm schon Karli’s Stimme: „Götz! Götz! Götz!“

Je lauter und dringender diese Rufe tönten, desto rascher flüchtete jener, dem sie galten, dem hohen Walde zu. In großen Klumpen hängte sich der Schnee an seine Füße; schwerer und schwerer ging sein Athem, immer wieder sank er in die Kniee, immer wieder raffte er sich auf und stürmte weiter, höher und höher, bis er den Waldsaum erreichte. Mit beiden Armen klammerte er sich an den ersten Baum, um vor Erschöpfung nicht umzusinken. Noch hatte er nicht ruhigen Athem gefunden, da stieg er schon wieder bergan, mühte sich durch wirres Gestrüpp und arbeitete sich von Baum zu Baum, überschüttet von den dicken Schneemassen, die aus dem schwankenden Gezweige klatschten. Auf seinem Gesichte stand der Schweiß, und dennoch fühlte er eine schauernde Kälte an seinem ganzen Leibe.

Nun erreichte er einen schmalen, quer über den Berghang ziehenden Pfad. Hier hielt er inne. Die Müdigkeit lag ihm wie Blei in den Gliedern. Und noch drei Stunden bis zu dem Dorfe, in dem er zu nächtigen gedachte! Er mußte eine Weile rasten, um seine schwindenden Kräfte wieder zu sammeln.

An der Stelle, auf welcher er stand, scharrte er den Schnee von der Erde, ließ sich nieder und lehnte den Rücken gegen einen Baum. Mit langsamen Blicken folgten seine Augen dem weißen Pfade.

Vor einem Jahr, da war er diesen gleichen Weg gegangen – mit ihr! Und damals hatte sein Weg ein Ziel gehabt, welches ihm das leere Herz mit stürmischem Leben füllte. Und nun!

Aufseufzend schlug er die Hände vor das Gesicht.

Dann wieder ließ er die Arme sinken. Er schloß die Lider – das kühlte ihm ein wenig die Augen, die wie Feuer brannten. Wie that seinem entkräfteten Körper diese Ruhe so wohl!

Er rührte sich nicht und athmete in langen, tiefen Zügen.

Und seltsam! Er wußte doch genau, woher er kam – vom Pointnerhofe – und dennoch war es ihm, als käme er aus dem winterlichen Bergwald, die Axt auf der Schulter, das Griesbeil in der Hand. Und wie leicht und flink sich auf dem weichen, weißen Schnee das Gehen machte! Er spürte kaum seinen Körper. Dieses Gehen war wie ein sanftes Gleiten, fast wie ein Fliegen. Wenn nur diese Flocken, diese riesigen Flocken nicht wären, die sich ihm mit so eisiger Kälte auf Hände und Wangen legen. Und von den Stellen aus, an denen diese Flocken schmelzen, geht es ihm wie scharfe, kalte Nadeln ins Blut. Wie macht es ihn da so froh, als er sein Haus erreicht und über und über beschneit in das matt erhellte Stübchen tritt.

[895] Da erhebt sich Kuni vom Tische und eilt ihm mit schmollendem Lächeln entgegen: „Aber, Vaterl, geh, wie kannst denn so viel Schnee in d’ Stuben tragen!“

Er schüttelt und schüttelt sich, aber diese Flocken hängen wie die Kletten an seinen Kleidern. Aber sie müssen ja schmelzen, wenn nur erst im Ofen ein Feuer brennen wird.

„Ja, Vaterl! Siehst es denn net – der Ofen glüht ja schon als a ganzer!“

Da macht er erstaunte Augen und murmelt: „G’spaßig, g’spaßig – was jetzt das für a Kälten is – in mir drin!“

„Geh, komm, da wird gleich g’holfen sein!“

Sie öffnet das Ofenrohr, aus dem es dampft und zischt, und stellt dem Vater die brodelnde Suppe hin.

Er nimmt die Schüssel auf und trinkt – er sieht die Suppe vor seinen Augen rauchen, und dennoch rinnt sie ihm wie Eiswasser durch die Kehle.

„G’spaßig – g’spaßig!“ murmelt er wieder.

„Mein Gott, Vaterl, jetzt krieg’ ich schon selber bald an Angst! Ja schau, da mußt Dich ja dengerst niederlegen!“

Sie rückt eine Bank hart an den Ofen, bereitet ihm darauf aus Kotzen ein Lager, löst ihm die Schuhe von den Füßen und bettet ihn, so gut und weich sie es nur vermag. Und wie ihm nun erst recht die Kälte durch die Glieder zittert, wie ihm die Zähne zu klappern beginnen, kauert sie sich vor ihm nieder, nimmt seine erstarrten Hände zwischen die ihrigen und haucht so lange ihren heißen Athem darauf, bis ihm eine seltsam süße Wärme aus den Fingerspitzen in die Arme rinnt, aus den Armen in die Brust und mitten hinein ins Herz. Da nickt er ihr dankbar zu, schließt mit einem langen Seufzer die Augen, und lächelnd schläft er ein. – – Und lächelnd schlief er – und erwachte nicht, als er im Schlaf sich streckte und von dem Baume seitwärts niederglitt in den weichen Schnee – und erwachte nicht, als über ihm die schwer gedrückten Zweige in leisem Winde sich rührten und sein Gesicht verschütteten mit ihrer kalten Last.

In dichter Menge fielen die Flocken, höher und höher mit jeder Stunde hob sich der Schnee über den Waldgrund, und was noch dunkel auf der Erde lag, verschwand allmählich unter dem Weißen Leichentuche, das die Winternacht dem starren Schläfer webte. Die Stunden verrannen, und mit bleichem Licht erwachte der Tag.

Tief im Gebüsche schnalzte eine Amsel, und auf dem Baume, welcher hart am verschneiten Pfade stand, huschte ein Fink aus seinem Schlupf und flatterte auf den seltsam geformten, schneeigen Hügel nieder, der dem Baume zu Füßen lag. Pispernd sträubte der Vogel sein Gefieder, bohrte sein Schnäbelchen in den kalten Schnee und badete sich in den flimmernden Krystallen. Dann schaute er mit kecken Aeuglein rings umher, schmetterte seinen hellen Schlag in den stillen, gleißenden Morgen, spannte die Flügel und schwang sich in die Lüfte.



  1. Kluperln, eigentlich jene kleinen Holzgabeln, mit welchen die zum Trocknen kommende Wäsche am Seil befestigt wird, in bildlichem Sinne: krallenartige Finger.
  2. Schlingig = geschmeidig, gelenkig.
  3. Krisperl = ein zartes, schmiegsames Geschöpf.
  4. schmuck und kernig.
  5. ein unnützer, fauler Bursche.
  6. Neulich war ich bei der Holzarbeit im Walde.
  7. Niederes Fichtengebüsch.
  8. Gezittert.
  9. Pfötchen.
  10. Habe weiches Holz zu Schindeln gespalten.
  11. Einen Krug um den andern geleert.
  12. Deandl, vom Vater zur Tochter gebraucht, hat nur die Bedeutung von „Kind!“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: von Dächern und Dächern; angepasst an Buchausgabe in Ludwig Ganghofers gesammelte Schriften, 1906.