Der 2. Glaubensartikel/Auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe
« Ich glaube, daß Jesus Christus sei mein Herr | Hermann von Bezzel Der 2. Glaubensartikel |
Auf daß ich sein eigen sei » | |||
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Auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche
unter ihm lebe.
Die erste unter den 129 Fragen, welche der Heidelberger Katechismus in sich schließt, lautet: „Was ist dein größter Trost im Leben und Sterben?“ Und die Antwort heißt: „Daß ich im Leben und im Sterben, beides, nach Leib und Seele, nicht mein, sondern meines treuen Heilandes Jesu Christi bin, der mich erlöset hat von der Gewalt des Teufels und vollkömmlich für mich bezahlt hat mit seinem heiligen Blute.“
Ganz, mit allem, zu allen Stunden, an allen Orten, für den größten Preis erkauft, der je gezahlt wurde. Gott hat sich selbst in den Tod gegeben, damit der Mensch hinfort Gottes sei.
Und nun zum zweiten. Wenn das der Grund ist, der Grund meiner Aneignung an ihn, meiner Zugehörigkeit zu ihm, so soll ich mich auch in seiner Nachfolge als sein Eigentum beweisen, daß ich sein Eigen sei, ganz sein Eigen.
Ach, mein Christ, die ganze Passionszeit ruft dir zu: wer regiert deine Gedanken? Und wenn du nicht antworten kannst: bei allen Gedanken – bei den Gedanken, die mein Hauswesen regieren, die meinen Verkehr beherrschen, die meine Umgebung leiten – ist Jesus das maßgebendste, dann laß die Passion ferne sein, dann hast du wenigstens nicht gelogen. Wenn du nicht sagen kannst:
In Herz und Sinn, in Wort und Wesen
Sei Jesus und sonst nichts zu lesen!
dann ist es besser, du meidest das Kreuz.
Auf daß ich sein eigen sei: zuerst in meiner Gedankenwelt. Alle meine Gedanken zerrinnen und zergehen und verwehen, quälen mich und gehen sinnlos in die Weite und kehren erträgnislos in die Enge zurück, wenn sie nicht von Einem zusammengefaßt und beherrscht, von Einem geleitet und regiert, erfüllt und geheiligt werden. Und dieser Eine ist der Mann am Kreuze. Siehe, du spürst es ja, wie deine Gedanken fliehen und wiederkehren, kommen und forteilen, wie sie dich innerlich zermalmen| und zermürben, so daß man oft möchte gar nicht mehr denken können. Da gibt es nur einen Ruhepunkt, bei dem die Wellen zum Frieden und der Wechsel und Wandel zur Stille und all das, was dich verklagt und entschuldigt, zum Schweigen kommt: das ist das Kreuz des Herrn.Nimm bei all deinen Gedanken dir vor: ich will dich im Gedächtnis bewahren. Du sollst die Gedanken der Feindschaft aus mir tun, alten Groll und neuen Neid von mir tilgen, Liebe zur Eitelkeit und zum Häßlichen von mir ausglühen und meine Gedanken so einfach und so einheitlich machen, daß es für dieselben eigentlich nur zwei Wege gibt: den einen zu dir und den andern von dir; den einen Weg, auf dem ich meine Sorge dir klage, den andern, auf dem ich deine Gnade preise; den einen Weg, auf dem ich zitternd komme und flehe: „erkenne mich, mein Hüter!“ den andern, auf dem ich lobsagend fröhlich ziehe: „der Herr hat Großes an mir getan, des bin ich fröhlich!“ (Ps. 126, 3.)
Und was sind deine Worte? Je älter der Mensch wird, desto redseliger wird er, wenn er sich gehen läßt, und desto wortkarger, wenn er daran denkt, daß er aus seinen Worten gerichtet wird. Wo viele Worte sind, da ist viel Sünde. Je älter der Mensch wird und je mehr er Gefallen an sich selber hat, in sich selbst verliebt ist, desto mehr redet er über sich, von sich, mit sich und desto mehr ist er für andere von Unsegen und Unbedeutung. Es ist hart, wenn der Mensch, je älter er wird, desto nutzloser wird, und wenn er, je weniger er gibt, desto mehr nehmen muß, und sollte doch erst recht viel geben.
Was wird denn von deinen Worten einst gesagt werden? Nimm einmal die Unterhaltung der nächsten zwei Stunden, ehe du heute einschläfst, ins Licht vor seinem Angesicht! Frage dich: was ist durch diese Unterhaltung gegeben worden, gefördert, genützt, oder was ist durch dieselbe geschadet oder verletzt worden?| Du hast vielleicht dort einen Feuerbrand geschürt und hier hast du ein hartes, schnelles Urteil gefällt, das Gottes Engel weitertragen bis vor seinen Thron. Und dort hast du mit leeren Reden dich gesättigt und deine Seele betrogen. Was soll denn dann eigentlich meine Rede regieren? Soll ich Jesum immer im Munde führen, als ob das gottselige Reden etwas wäre? Mit derselben Zunge, mit der ich eben einem Menschen geflucht habe, soll ich des Menschen Sohn preisen? Soll ich mit gottseligen Redensarten mich und andere täuschen und sie zu täuschen versuchen? Das sei ferne. Aber wie man an einem Händedruck spüren kann, ob das Herz die Hände regiert, so muß in jedem deiner Worte der Dank für Jesu Erbarmen und das Verlangen, ihm wirklich zu dienen, erkennbar sein.Immer muß man sich sagen: wenn jemand nicht reicher von uns scheidet, als er kam, so wird er unser Verkläger. Wenn dich heute jemand auf der Straße verläßt, dem du nicht einen Segen gegeben hast, so wird dieser, von dir vernachlässigt, dein Unsegen sein.
Ach, was könnte nur von dieser kleinen Gemeinde erreicht werden, welche Volksmission, welche Volksbekehrung von ihr ausgehen, wenn ihre Worte von Jesus regiert würden! Nicht aufdringlich, aber andringlich; nicht frömmelnd, aber echt; nicht in gesuchter Feierlichkeit, aber in feierlichem Ernste seien deine Worte gesprochen und in Dank gegen Gottes Erbarmen getaucht.
Wollt ihr nicht in dieser Passionszeit Jesum bitten, daß er euren Worten Kraft verleihe? Er braucht nie genannt zu werden, wenn er nur bekannt wird. Man braucht seinen Namen nicht zu nennen, wenn er nur auf den Lippen thront, und wenn nur in unserem ganzen Wesen sein heiliger Ernst leuchtet, leitet und regiert.
Auf daß ich sein Eigen sei, auch in meinen Werken. Und darum heißt es am Schlusse: „und in seinem| Reiche unter ihm lebe.“ Denn in seinem Reiche kann man auch vegetieren; in seinem Reiche kann man auch Jahrzehnte lang ein unnützer, unfruchtbarer Baum sein: „haue ihn ab, was hindert er das Land!“ (Luk. 13, 7.) Darum hat Luther in großem Ernste gesagt: in seinem Reiche unter ihm lebe. Es kommt nicht darauf an, daß ich bin, aber darauf kommt es an, daß ich lebe. Wenn ich heute nicht mehr bin, so sind es andere, die in diese Lücke eintreten, daß die Lücke sich schließe; aberWeil ich leb auf dieser Erde
Such’ ich dich, o Hirt der Herde!
Es ist die Hauptsache, daß der Christ lebt. Christ sein hat viel mehr getötet als gewonnen; Christ sein hat die Kanzeln entleert und die Kirchen entvölkert und die Gemeinden geschädigt. Es werden nicht die, die da „Herr, Herr“ sagen, erobern.
Darauf kommt es an, daß meine ganze Persönlichkeit lebt, nicht mit Worten, nicht mit glänzenden und gleißenden Werken, sondern in ihr selbst, in ihrer Natürlichkeit, die er geheiligt hat, in ihrer Bedeutendheit, die er gewonnen hat, in ihrer Eigenart, in ihrer Einzigartigkeit, die er befreit hat von den Schlacken des selbstwilligen Wesens. So gewiß jeder von uns ersetzt wird, so schnell, so rasch und ganz, so gewiß wird auch keiner mehr auf Erden kommen genau so wie du und ich. Denn jeder hat ganz bestimmte Räume zu beherrschen, ganz bestimmte Zeiten zu durchmessen, ganz bestimmte Menschen zu gewinnen. Und wenn wir diese Räume leer lassen und diese Zeiten nicht auskaufen und diese Menschen nicht gewinnen, so gehen diese Räume klagend und verklagend vor uns her, die unbenützten Zeiten beschuldigen uns gar schwer, und die von uns getäuschten und nicht gewonnenen Menschen erheben die Anklage: sie haben nichts an uns getan! Das ist der größte Vorwurf, den man einem Christen machen kann und der auch in der Ewigkeit als solcher erhoben| wird: man hat an dir nichts gehabt. Du bist in die Kirche gegangen, du bist zum Sakrament gelaufen, du hast auch manches Mal in der Stille gebetet, aber niemand merkte das und niemand wußte das. Und doch heißt es: „wer an mich glaubet, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers ausgehen.“ (Joh. 7, 38.)In seinem Reiche werden alle Nutzlosen, die nur einen Raum ausfüllen, werden alle Unfruchtbaren, die nur Zeit abtragen, werden alle Undiensamen, die nur eine gewisse Form des Christentums gezeigt haben, rücksichtslos ausgestoßen. Denn in seinem Reiche gibt es nur eine Losung: arbeite bis an den Abend! Das heißt: unter ihm leben, nicht ein Scheinleben mit allerlei erborgtem Flitter, nicht ein Scheinblühen mit allerlei erträumtem Glanze, sondern wahres Leben mit dem ganzen Ernste einer Persönlichkeit, die alles, was sie ist, durch Christum und darum für Christum ist.
Auch darauf kommt es nicht an, daß man in seinem Reiche aufgeregt lebt, allerlei anfängt, allerlei Werke beginnt, neue Anstalten gründet, neue Pläne macht, Reichskirchen baut, allerlei Gemeinschaften der Arbeit beitritt, das ist alles nutzlos. Es ist weit besser, du bist ein Mensch für dich, als eine Nummer neben andern. Es ist weit besser, du bist dein eigen in der von Christo erlösten persönlichen Art, als daß du dich da anschließest und dich dort hinzumachst. Dort wirst du getragen und trägst selbst nichts. Jeder Verein – ich bin gewiß kein Gegner christlicher Vereine, sie sind eben ein notwendiges Übel – aber jeder Verein hat die Gefahr, daß einer so viel gilt wie der andere, und einer sich also von dem andern mit fortnehmen läßt, ohne selbst Persönlichkeit zu werden.
Aber es kommt nicht darauf an, daß du, wenn es einmal zum Sterben geht, ihm deine Vereinszugehörigkeit vorträgst und ihm aufweisest all das, was du an dir hast tun lassen, sondern darauf| kommt es an, daß du sagen kannst: „ich habe in deinem Reiche unter dir gelebt.“ Du allein warst die Autorität, die mein Wesen bestimmte; du warst die Größe, die mein Denken beherrschte, du warst der Inhalt meiner Worte und du warst das Ziel meiner Wünsche; nach dir ging mein Heimweh, und von dir kam meine Hilfe. Ich habe gelebt, so wie du mich gelebt hast, als du mich littest, bis du am Kreuzesstamm meine Schande gebüßt hast: so habe ich dich erlebt, dieweil ich dich liebte, und habe dir gelebt, so gut ich es vermochte. Es war mein ganzes Wesen darauf gerichtet, daß aus meiner armen Art ein Leben herausglühte, von dir geboren, Leben herausströmte, von dir geweckt. Ich lag da, – hartes Gestein, unschön und unscheinbar, ohne Wesen und ohne Wille; da hast du mit deinem Worte mich berührt und mit deinem Blick den Stein geschmolzen. Da ging viel Kraft heraus, und ich wurde nicht müde. Denn nicht der Mensch wird müde, der da lebt, sondern der Mensch wird müde, der nur zu leben scheint. Nicht der Mensch wird matt, der seine Kraft in Christi Nachfolge verzehrt, sondern der wird matt, der seine Kraft an die trügerische Welt vergeudet.Liebe, die mich hat gebunden
An ihr Joch mit Leib und Sinn;
Liebe, die mich überwunden
Und mein Herz hat ganz dahin;
Liebe, dir ergeb’ ich mich.
Dein zu bleiben ewiglich.
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