Der Abschluss des Deutschen Verfassungswerkes auf dem Wiener Congresse

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolf Schmidt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Abschluss des Deutschen Verfassungswerkes auf dem Wiener Congresse
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 3 (1890), S. 277–320.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Freiburg i. Br
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[277]
Der Abschluss des Deutschen Verfassungswerkes auf dem Wiener Congresse.[1]
Von
Adolf Schmidt.


Nachdem der so unerwartete Incidenzfall der Rückkehr Napoleon’s 14 Tage lang alle Kräfte der Diplomatie in Anspruch genommen hatte, machte sich doch allseits die Meinung geltend, dass es zweckmässig sein dürfte, ehe der neue Krieg mit dem Abenteurer aufgenommen werde, mit den wichtigsten Fragen, und namentlich auch in der Deutschen Verfassungsfrage, zu endgültigen Resultaten zu gelangen.

Stein war der Ansicht, es genüge, einige allgemeine Grundsätze der Verfassung aufzustellen und zu verkünden, die Entwicklung derselben aber der künftigen Bundesversammlung anheimzugeben. Hardenberg wollte sogar anfangs die Angelegenheit bis nach dem Kriege vertagt wissen. Dies durfte indess bedenklich erscheinen. Denn wenn auch an dem definitiven Siege über Napoleon nicht gezweifelt werden konnte, so war es doch sehr fraglich, ob man nach der definitiven Beseitigung aller Napoleonischen Gefahren, und damit aller Besorgnisse für die Erhaltung der staatlichen Sonderexistenz, bei den Klein- und Mittelstaaten noch mehr würde erreichen können als eine ganz [278] lockere Allianz, wie sie Metternich anfangs ins Auge gefasst, und wie sie Württemberg seit dem 12. Januar empfohlen hatte. Humboldt war, während Metternich sich lau verhielt, für ein rasches und rüstiges Vorgehen, um Deutschlands Zukunft vor der neuen Waffenkrisis wenigstens im Grossen und Ganzen unter Dach und Fach zu bringen; und ihm schloss sich alsbald Hardenberg an, sowie auch Münster.

Gleicher Meinung waren – nicht die Mittelstaaten, die es vorzogen zu laviren und sich abseits zu halten, wohl aber die Kleinstaaten, aus Scheu vor den Eventualitäten des neuen Europäischen Krieges.

Daher drang denn am 22. März eine neue Note der „vereinigten Fürsten und freien Städte“ bei Oesterreich und Preussen, unter Bereiterklärung zu „angemessener Militärleistung“ und unter Berufung auf den „ganzen Inhalt“ der Noten vom 16. November und 2. Februar[2], auf schleunige Grundlegung der deutschen Verfassung[3]. Der Badensche und der grossh. Hessische Bevollmächtigte verweigerten die Unterschrift. Der Führer der Deputation bei Ueberreichung der Note am folgenden Tage, Plessen, sondirte noch einmal Metternich und Hardenberg in Betreff der Kaiserwürde; der Erstere erklärte, die Annahme sei nicht möglich, weil namentlich Baiern und Preussen dagegen seien; Hardenberg erklärte unumwunden, ein „gehörig starkes“ Kaiserthum sei für Preussens Unabhängigkeit nachtheilig, ein „schwaches hingegen unnütz“ (Pertz: Stein 4, S. 387). Die Preussische Antwort, von Humboldt’s Hand entworfen, datirt vom 29. März (s. Klüber 1, 4, 48 ff.), stimmte dem Wunsche der Kleinstaaten vollkommen bei; dasselbe that eine Oesterreichische Note, die, insofern sie mit der Preussischen „völlig gleichlautend“ war, die Annahme des Humboldt’schen Entwurfes von Seiten Metternich’s voraussetzt. Am gleichen Tage erging auch eine Preussische Note an die Bevollmächtigten von Baden und Grossh. Hessen, insofern sie der Note der „Vereinigten Fürsten“ nicht zugestimmt hatten, und die Folge war, dass Tags darauf, am 30. März, wenigstens der Hessische Bevollmächtigte nachträglich seinen [279] Beitritt erklärte. Eine fernere Preussische Note erging am 31. März an die Bevollmächtigten von Baiern, Hannover und Württemberg; in allen war die Erklärung enthalten, dass das Verlangen der vereinigten Fürsten, „Deutschland wegen seiner Zukunft durch eine feste Verfassung zu beruhigen“, ein gerechtes sei; es müssten sofort in gemeinsamer Berathung wenigstens die wesentlichsten Grundlagen festgestellt werden.

Nur vereinzelte und schwache Stimmen ausserhalb der massgebenden Kreise traten noch für die Kaiseridee ein. So am 22. März ein Memoire, unterzeichnet von den beiden Bevollmächtigten des Burggrafen der ehemaligen Reichsburg Friedberg, Grafen von Westphalen, nämlich: von dem Grafen v. Degenfeld, Oesterreichischem Generalmajor, und Freiherrn v. Hornstein, Oesterreichischem wirklichen Geheimrathe; sowie von den beiden Bevollmächtigten der Fränkischen Reichsritterschaft, nämlich: von dem Freiherrn v. Zobel und Freiherrn Rüdt von Collenberg. Da das Memoire meines Wissens nicht gedruckt ist, schalte ich es hier ein, nach dem Original im Berliner Archiv, und mit genauer Wiedergabe der gebrauchten Orthographie.


„Memoire.

Die neue unerwartete Ereignisse, welche dem teutschen Vaterland mit grosen neuen Opfern aller Art drohen, nöthigen die gehorsamst Unterzeichnete zu nachfolgender ehrerbietigster Vorstellung.

Ihrer und ihrer Committenten Eifer und Patriotismus für die Sache der Gerechtigkeit und des Vaterlands ist unbegrenzt; Allein ihre Kräfte sind geschwächt und die Ungewissheit ihrer Verhältnisse drückt sie ganz zu Boden.

Sollte dieser neue unglückselige Krieg wirklich ausbrechen, so würde diese Ungewisheit der Verhältnisse sie zernichten und alle die feyerlichen Versicherungen von Wiederherstellung der gesezlichen teutschen Freyheit, an die sie bisher so vertrauensvoll geglaubt haben, würden alsdann für ihre künftige Existenz zu spät kommen.

Sie sehen sich daher veranlasst, bey Einem hohen Congress in dem gegenwärtigen gefahrvollen und omminosen Augenblick die wiederholte dringendste Bitte zu erneuern:

[280]

dass sie und das teutsche Vaterland durch einen zu bestimmenden teutschen Kaiser gerettet, dass sein Ruhm, seine Kräfte, seine Gesetze in ihm vereinigt werden mögten, dass ein allgemeines Tribunal zur handhabung dieser Gesetze unter Kaiserlicher Vollziehungs-Gewalt angeordnet, gemäsigte Regierungs-Grundsäze in den teutschen Souverainitäten aufgestellt und Gerechtigkeit die Unterdrückten in Schutz nehmen möge.

Nur auf diese Weise wird Teutschland vor einer fremden Eroberungs-Sucht gesichert und geschickt seyn die ihm drohende grosse Opfer von neuem zu bringen, wobey der immediate Reichs-Adel sich durch zuvorkommende Willfährigkeit und Eifer von neuem auszeichnen wird.

Indem die Unterzeichneten dieses feyerlich zu versichern die Ehre haben, ergreifen sie u. s. w.

 Wien den 22. Maerz 1815.

 Freiherr v. Hornstein
 Graf v. Degenfeld
 Freiherr Zobel zu Darmstadt
 Freiherr v. Rüdt von Collenberg.“

Anderseits trug auch „wiederholt“ unterm 4. April 15[4] der Bevollmächtigte Gärtner, Geheimrat und Bevollmächtigter des grössten Theils der durch den Rheinbund unterdrückten Deutschen Reichsstände, die Bitte vor: „den Rechtszustand von 1806 wiederherzustellen und in dessen Gefolge auch seinen Herren Committenten einen verhältnissmässigen Antheil an der Repräsentation des Deutschen Vaterlandes wieder zu gewähren!“ Wir enthalten uns der Wiedergabe.

Manche fürstliche Bevollmächtigte und ihre Vollmachtgeber verzweifelten an der Deutschen Gegenwart und setzten all’ ihre Hoffnungen für Deutschlands Zukunft schon damals mit Vertrauen auf Preussen. So Gersdorff und sein Vollmachtgeber der nunmehrige Grossherzog von Sachsen-Weimar, Karl August. Hatte dieser doch schon den theilnehmendsten Eifer für den Fürstenbund [281] Friedrich’s des Grossen, wenn auch minder für den Norddeutschen Bund unter Friedrich Wilhelm III., an den Tag gelegt. Am 7. April, am Tage nach der Verkündung der Annahme der grossherzoglichen Würde übersandte Gersdorff an Humboldt[5] folgendes Schreiben nebst Beilage:

„Am 7. April 1815 früh Morgens. 

Indem ich mir die Freiheit nehme, Ew. Excellenz einige Gedanken niedergeschrieben zur Prüfung übersende, welche auf Deutsche Angelegenheiten Bezug haben, bitte ich gehorsamst mich dabei bloss als einen Deutschen zu betrachten.

Aber wesentlich dünkt mir, dass Preussen, wenn es nicht gehen sollte mit einer Conföderation aller Staaten, den gestern geäusserten Gedanken des Abschlusses uniformer Verträge mit Einzelnen ausführte. So würde vielleicht der Keim zu etwas Tüchtigem gelegt, und man hätte den Vortheil, dass, während man sich zur Vertheidigung gegen aussen sehr füglich mit allen Deutschen Staaten und Mächten alliiren könnte, man sich nicht mit solchen zu conföderiren brauchte, deren Machtverhältniss, Sinn und Tendenz nun einmal dem Geiste eines conföderativen Staates, der nicht die Rolle des Oberhauptes in der Conföderation zu spielen berufen ist, entgegengesetzt zu sein scheint.

So verdürbe man sich nicht die Conföderation, indem man, sie aus sich sträubenden Elementen zusammenfügend, ihrem Geiste durch demselben fremdartige Formen zuwiderhandelte, ihrer Haltbarkeit durch eine der Idee der Architectonik widersprechende Bauart Eintrag thäte; und indem man so, von ihrem Zweck sich entfernend, auch ihren Werth verringerte, würde man sich nicht in die Nothwendigkeit versetzen, ein Provisorium zu gründen, welches in einem peremtorischen Zustand nicht etwa aus seinen Keimen erwachsen kann, sondern welches nothwendig erst zerstört werden müsste, damit das Tüchtige gedeihe.

Schlösse man dagegen jetzt mit Hessen, Mecklenburg u. s. w., mit den Herzogthümem Sachsen, mit Schwarzburg, mit Reuss p. p. einzelne uniforme Verträge ab, welche 1. Besitz und Rechte der einzelnen Staaten garantirten; 2. landständische Verfassungen [282] im Sinn der Note vom 16. November begründeten, wovon Preussen die Garantien übernähme; 3. von Seiten der kleinen Staaten das Versprechen enthielten unabhängiger Rechtspflege durch eine dritte Instanz, welche die kleineren Staaten zusammentretend gemeinschaftlich bilden können, und wovon Preussen die Garantien der Fortdauer übernähme; 4. wegen des Anschlusses in militärischer Hinsicht Bestimmungen enthielten oder vorbereiteten, welche die wesentlichen landesherrlichen Rechte aufrecht erhielten und dabei eine nützliche Uniformität und Verbindung der kleinen Contingente mit der Preussischen Armee möglich machten – so glaube ich, hätte man zweierlei erreicht, was dauern kann, und was an sich und eben jetzt für die kleinen Staaten von besonderem Interesse ist. Einmal: Man hätte ihnen Besitz und Rechte garantirt, ihrem Verhältniss zu dem mächtigen Staate aber Klarheit und Bestimmung, dem nothwendigen Einfluss desselben Form und somit Maass und Ziel gegeben. Zweitens: Es wäre der Keim zu einem Föderativverbande in Deutschland gelegt worden, der das Princip und die Kraft der Entwickelung und des Gedeihens in sich hätte, nicht aber den Keim des Verderbens schon bei dem ersten Entstehen im Busen trüge.

Für die herzoglich Sächsischen Staaten möchte es mit Gotha Schwierigkeiten haben, wobei jedoch eine feste Sprache und Bewährung von Ernst im Wollen von Seiten Preussens bald zum Ziele führen könnte. Dann wäre es auch gut und läge in der Sache, die Idee mit dem gemeinschaftlichen Appellationsgericht der Herzöge von Sachsen, wogegen Gotha sich sträubt, behauptend, es bedürfe nicht dreier Instanzen, praktisch zu machen.

Verzeihen mir Ew. Excellenz zweierlei – einmal die Handschrift – dann die Schrift überhaupt, und haben Sie die Güte, alles, was ich hier schreibe, dem Feuer zu übergeben. Ich habe es fürerst nur vertraulich und ohne Auftrag, doch nicht im Widerspruche mit meinem Fürsten, schreiben können.

Gehorsamst 
Gersdorff.“ 
(Dazu folgende Beilage.)

[283]
I.

„Was auch möglich sein könne für Deutschland zu thun – ob es gelinge, allen seinen Theilen Verbindung zu geben oder nur einigen: so scheint mir doch Folgendes wesentlich zu sein in jedem beider Fälle; denn einen von beiden sehe ich – um nicht zu verzweifeln – als wirklich mit Ernst durchzuführen [an].

Erstens: In allen sich verbindenden Staaten werden landständische Verfassungen mit denjenigen Rechten, welche die Note der fürstlichen Bevollmächtigten vom 16. November 1814 ausspricht, eingeführt, ihre Urkunden in den Bundesarchiven niedergelegt und sie unter die Garantie der Verbindung gestellt.

Zweitens: In jedem der sich verbindenden Staaten wird eine unabhängige Rechtspflege hergestellt, welche sich durch die Organisationen dreier Instanzen ausspricht. Kleine Staaten (zumal wenn die in ihnen regierenden Häuser einer und derselben Dynastie angehören) formiren die dritte und letzte Instanz gemeinschaftlich, bei welcher Grundsatz ist, dass Präsident und Richter, ohne auf vorhergegangenes förmliches Verfahren gegründetes Urtheil und Recht nicht abgesetzt, noch in ihren Gehalten verkürzt werden können.

Drittens: Es besteht ein Bundesgericht zu Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Staat und Staat, Fürst und Fürst (salva der Austrägalinstanz) nach Recht.

Viertens: Wie die Militärverfassung im Bunde Einheit und Kraft erhalten könne, ohne wesentliche landesherrliche Rechte zu beeinträchtigen, bleibt künftigen organischen Gesetzen überlassen zu bestimmen.

II.

Ob es nicht besser sei, sich mit B[aiern] etc. nur zu alliiren, nicht zu conföderiren – dagegen durch Conföderation Pr[eussens] mit den kleinen Staaten Norddeutschlands, wenngleich der Name Conföderation nicht genannt würde, ein für Deutschlands Zukunft heilsames Verhältniss vorzubereiten?

Nicht ohne Beziehung auf den Inhalt derjenigen Besprechung, [284] welche ich mit Ew. E. heute früh[6] über deutsche Angelegenheiten zu haben die Ehre hatte, lege ich – bloss als Deutscher – einige Gedanken hin.

Je mehr ich denke, um so mehr fürchte ich, dass jetzt aus Deutschland – dies Volksgebiet in seinem ganzen Umfange genommen – etwas Tüchtiges nicht werden könne, und ich gehe weiter, behauptend, dass, weil der Grund meiner Zweifel in der lichten Erkenntniss der Unadäquatheit der Mittel zum Zweck, der Discrepanz der Elemente zum Sinn der Schöpfung enthalten ist, [es] besser gethan sei, das undankbare Werk eines Versuchs mit dem Unmöglichen besser nicht zu beginnen. Zu Deutsch: Der Sinn, welchen B[aiern] etc. durchblicken lassen, der Grund warum sie bloss eine Verbindung zur Vertheidigung gegen aussen wollen, ist wohl evident; und mit also Gesinnten ist es besser, sich nicht in ein Verhältniss zu setzen, welches den Namen eines Bundes nicht zu führen vermag, ohne seinem Wesen Eintrag zu thun. Denn allerdings wesentlich scheint mir der Unterschied zwischen einer Allianz und einem Bunde, einer Conföderation zu sein.

Wenn die erste zwischen unabhängigen Staaten, ohne durch organische Vorrichtungen ihrem Rechtsverhältniss Garantie zu geben, Verträge zu vorübergehenden Zwecken stiftet: so ist die Absicht, ist der Geist und Sinn der letzteren, wenn mich nicht alles täuscht, zwischen mehreren Staaten eine Einheit dauernd und durch Organisation von Rechtsinstituten zu begründen, sie aus dem Zustand bloss coexistirender, nur durch Macht oder nach Umständen auf einander influirender, lediglich nach wechselnden Interessen der Politik in Berührung kommender Staaten, in eine Gesammtheit zu bilden, in einen Staatenstaat zu formiren. Es liegt wohl unmittelbar in dem Begriff eines solchen, dass er das genaue Analogon eines einzelnen Staates insofern sei, als in ihm sich Verhältnisse und Bedürfnisse wiederholen, welche nothwendig in jenem stattfinden. Verhältnisse der Individuen im Staat zu einander und der Staaten im Staatenstaate gegenseitig sind sich gleich, und als Bedürfniss für beide zeigt sich theils die Gesetzgebung, [285] theils, zu Handhabung dieser, die Obrigkeit. Für die Obrigkeit aber ist der nöthige Grad von Macht, um das Gesetz des Ganzen gegen jeden Einzelnen oder gegen mehrere Widerstrebende geltend machen zu können, unentbehrlich. Bei der Schwierigkeit nun, welche in einer Conföderation mehrerer Staaten hinsichtlich der Ausstattung der ihnen doch unentbehrlichen Obrigkeit mit der nöthigen Macht stattfindet, indem – ohne sich selbst aufzugeben, welches doch dem Zweck widersprechen würde – kein einzelner Staat so viel zu dieser nöthigen Dotation von seiner Macht abgeben kann, als hinreicht, ein taugliches Ganzes von Centralgewalt zu stiften, ist es erforderlich, dass einer unter den Bundesstaaten in sich selbst diese erforderliche Macht besitze. So wird er jedem einzelnen und zugleich mehreren der Conföderativstaaten imponirend gegenübertreten können, wenn sie dem Gesetze des Bundes den Gehorsam weigern wollten; er selbst aber wird nicht der Gesammtheit aller Conföderativstaaten despotisch entgegentreten können, aus dem einfachen Grunde, weil wir nicht in Utopien leben, sondern in der Mitte der Europäischen Staatenrepublik existiren.

Nach dem einfachen Verhältniss dieses Gesetzes der Wechselwirkung muss sich das eigenthümliche Leben einer Conföderation, eines Staatenstaates entwickeln, und einmal richtig eingeführt und organisch begründet sicher fortführen.

Deutschland – wenn wir von der Gegenwart ausgehen wollen und gegen Revolutionen, welche das Oberste zu unterst kehren und leicht nach 25 Jahren mit einem Soldatenkaiser endigen, den gehörigen gesunden Abscheu hegen – Deutschland, im Ideal seiner Wiedergestaltung gedacht, kann nur einen solchen Staatenstaat bilden, für welchen die Namen Reich oder Bund – sowie für dessen vertragsmässiges Haupt: Kaiser, Beschützer, Bundesvorstand oder wie sonst – nur verschiedene Ausdrücke für einen und denselben nothwendigen Begriff sein würden.

Doch selbst zu diesem Ideal vermag Deutschland nicht – jetzt wenigstens gewiss nicht – zu kommen. Im Süden hauptsächlich, im Norden zum Theil, liegen die Hemmungen dieser Ausbildung.

Allein es fragt sich: Soll Deutschland auch zum Theil zu gar nichts Vernünftigem kommen? Soll nicht, was da kann, geschehen? [286] Und sollen nicht eben in der Morgenröthe eines verhängnissvollen Tages die Keime begünstigt werden, damit sie vielleicht am Abend Früchte tragen?

Allerdings scheint es, kann, recht behandelt, klug menagirt, jetzt viel geschehen, ob es zwar nur theilweise möglich ist; dennoch viel, weil es den Anfang begründen kann, nach richtigen Verhältnissen, zu einer Evolution von politischen Gestaltungen in Deutschland, deren – allerdings ungewisses, aber mögliches Ende die Erreichung jenes Ideals des politischen Zustandes Deutscher Nation wäre, ihrer Formation in den kräftigen, gegen aussen und in sich selbst abgeschlossenen Organismus eines Staatenstaates, welcher nun nach Belieben Reich oder Bund zu nennen wäre.

Im Norden sind die Elemente zur Gestaltung einer tüchtigen Conföderation gegeben. Liberalität in den Maximen, Schnelligkeit in Wahl der nothwendigsten Mittel können – selbst wenn der Name der Sache für jetzt vielleicht besser nicht ausgesprochen würde – die Basis zu einem Gebäude bilden, welches, zuerst aus Preussen und den mindermächtigen Staaten Deutschlands im Norden formirt, später und unter Umständen ohne Revolution, durch wahre zeitgemässe Reformation und Hinzugewinnung mehrerer Conföderirten, zu einem Gebäude für ganz Deutschland erwachsen könnte, unter dessen ehrwürdigen und festen Wölbungen späte Nachkommen die Ruhe finden und der Selbständigkeit geniessen könnten, für deren Abwesenheit die Gegenwart büssen muss.

G[ersdorff].“ 




Inzwischen hatten die Vorarbeiten, um von Seiten Preussens und Oesterreichs für die gemeinsame Berathung einen abgekürzten Verfassungsentwurf vorzulegen, schon ihren Anfang genommen, und damit begann der Schlussact des Verfassungswerkes. Auf diesen Schlussact beziehen sich im Berliner Archiv Rep. VI die hier zu verwendenden Fascikeln Nr. 80–87.

Humboldt war schon am 23. März, wie Hardenberg der Deputation der Kleinstaaten erklärte, damit beschäftigt, einen „gedrängten Auszug seines Verfassungsentwurfs zu machen“. [287] Dieser Auszug ist wohl das Schriftstück, das sich im Berliner Archiv Nr. 81 als ursprünglicher Preussischer Entwurf (nämlich für diesen Schlussact der Verhandlungen) vorfindet; dasselbe weicht nur wenig von dem gleich anzuführenden ersten Aprilentwurf ab. Der Vermerk „remis à l’Autriche“ will wohl nur so viel sagen, dass dieser Auszug in seiner definitiven Redaction an Metternich übersandt wurde, d. h. in seiner Gestalt als erster Aprilentwurf. Dieser ist mit anderen enthalten in Nr. 80 in der Serie, die den Titel führt: „Différentes minutes des plans Prussiens et Autrichiens changés et modifiés successivement.“

Da diese schliesslichen abgekürzten Preussischen und Oesterreichischen Entwürfe zum Bundesvertrag, die auch in andere Serien hineingreifen, noch keineswegs ihrem Texte und ihrer Wechselwirkung nach vollständig bekannt sind – namentlich fehlen gerade die beiden wichtigsten bei Klüber[7], und sind auch weder bei Pertz noch bei Treitschke u. A. erwähnt –, und da nichts interessanter ist, als einen Einblick zu gewinnen in die Art und Weise, wie in ihnen allmählig alles noch Feste und Starke gelockert und verwässert wurde: so halte ich es für angezeigt, wenigstens die charakteristischen Unterschiede zwischen ihnen hervorzuheben. Das Denkwürdigste ist, dass Hardenberg in Uebereinstimmung mit Humboldt augenfällig im Beginn dieses Schlussactes darauf ausging, die Parität Oesterreichs und Preussens in der Leitung des Bundes, die er im Juli 1814 so beharrlich gegen Stein’s Andrang zu Frankfurt a. M. festgehalten, im October dagegen seinem Freunde Metternich gegenüber so nachgiebig preisgegeben hatte, nunmehr doch noch zu erlangen. Im Folgenden werden wir die verschiedenen Entwürfe dieser Zeitspanne ohne Rücksicht auf den Fundort lediglich nach der Zeitfolge numeriren.

I. Vorläufiger Preussischer Entwurf in 14 Artikeln, B. A. Nr. 80, nachweisbar vom Anfang April, da er mit dem bei Klüber 1, 4, 104 ff. identisch ist. Es ist offenbar die definitive Redaction des ersten Preussischen Entwurfs, auf die das „remis à l’Autriche“ zu beziehen ist. Es ist daher wesentlich ein Auszug aus Humboldt’s Decemberentwürfen oder den Entwicklungen [288] der 12 Artikel[8]; einiges ist nach dem Oesterreichischen Decemberentwurf (Klüber 2, 1), der die Mittelstaaten durch die Lockerheit des Bundes, die Kleinstaaten durch Gleichheit der Rechte zu gewinnen bedacht war, abgeschwächt. Jedoch behielt, im Gegensatz zu jenem, der Preussische Entwurf im § 3 neben der Bundesversammlung einen Vollziehungsrath als erste Kammer, und im § 7 das Bundesgericht bei. Andererseits blieben die im österreichischen Decemberentwurf verzeichneten Vorrechte Oesterreichs: der „Vorsitz“, die „Aufsicht über die materielle Leitung der Geschäfte“, das Entscheidungsrecht bei Stimmengleichheit und die einzig permanente Stellung in dem Ausschuss für das Auswärtige, vollständig unberührt, die Frage der obersten Leitung also eine offene, welche als solche die vollkommene Gleichstellung der beiden Grossmächte, die Parität oder, wie man es damals genannt zu haben scheint, die Parallelisirung, sei es als Zweierdirectorium oder in irgend einer anderen Form, zuliess.

Der § 7 über das Bundesgericht hatte folgenden Wortlaut: „Für diese Fälle (d. h. die Streitigkeiten der Mitglieder des Bundes), sowie für jede andere verfassungsmässige Beschwerdeführung bei dem Bunde, ordnet derselbe sich ein Bundesgericht bei, an dessen Besetzung alle Mitglieder verhältnissmässigen Antheil nehmen.“

Auch den § 9 über die Landstände und die Unterthanenrechte, der ebenfalls sein Mark noch wesentlich bewahrte, gebe ich vollständig wieder. Er lautet nach dem Berliner Archiv (die gleichgültigen Abweichungen bei Klüber lasse ich unberührt) also: „In allen Deutschen Staaten wird die bestehende landständische Verfassung erhalten, oder eine neue eingeführt, damit den Landständen das Recht der Bewilligung neuer Steuern, der Berathung über Landesgesetze, welche Eigenthum oder persönliche Freiheit betreffen, der Beschwerdeführung über bemerkte Verwaltungsmissbräuche, und die Vertretung der Verfassung und der aus ihr herfliessenden Rechte Einzelner zustehe[9]. Die einmal verfassungsmässig bestimmten [289] Rechte der Landstände[10] werden unter den Schutz und die Garantie des Bundes gestellt. Allen Einwohnern zum Deutschen Bunde gehöriger Provinzen wird von den Mitgliedern des Bundes, durch die künftige Urkunde desselben, das nur durch die allgemeine Pflicht der Landesvertheidigung[11] beschränkte Recht der Auswanderung in einen anderen Deutschen Staat, des Uebertritts in fremde Deutsche Civil- und Militärdienste, und der Bildung auf fremden Deutschen Lehranstalten[12], sowie ungekränkte[13] Religionsübung und Pressfreiheit zugesichert[14]. Diese schliesst aber keineswegs die Verantwortlichkeit der Verfasser, Verleger oder Drucker, sowohl gegen den Staat als gegen Privatleute, und zweckmässige polizeiliche Aufsicht[15] auf periodische und Flugschriften nicht aus. Die Rechte der Schriftsteller und Verleger[16] werden durch ein allgemeines Gesetz gegen den Nachdruck gesichert.“

Endlich die Bestimmung im § 11 über die katholische Kirche ist neu; sie fehlt sowohl im Oesterreichischen Decemberentwurf, wie im ursprünglichen Preussischen Entwurf, und geht dahin: „Die katholische Kirche[17] in Deutschland wird unter der Garantie des Bundes eine so viel als möglich gleichförmige, zusammenhängende und die zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse nothwendigen Mittel sichernde[18] Verfassung erhalten.“

(Pertz 4 S. 424) skizzirt den Inhalt dieses Entwurfs, aber ohne der Hauptsache, des Fehlens aller Bestimmungen über die oberste Leitung, gewahr zu werden. Nach ihm (S. 415) fand derselbe „wegen seines schwankenden Ausdrucks wenig Beifall“ [290] – ein Urtheil, das kaum einen Sinn hat, wenn damit eben nicht die Ungewissheit über die Oberleitung gemeint ist. Dass er, wie Pertz ferner sagt (S. 425), „nicht zur Berathung gelangte“, ist insofern nicht zu bezweifeln, als Metternich, dem er natürlich zugestellt war, und der sich auch sicher darüber gelegentlich mündlich äusserte, es noch nicht für gerathen erachtete, durch eine ausschlaggebende Initiative einzugreifen. In Folge dessen beschäftigten sich die Preussischen Bevollmächtigten mit dessen Umarbeitung. Daraus ging hervor:

II. Auf’s neue durchgesehener und veränderter Preuss. Entwurf, B. A. Nr. 80, vom 22. April 1815 datirt. Er fehlt bei Klüber und wird auch bei Pertz nicht erwähnt. Ohne Zweifel gelangte er nicht als neuer Entwurf, sondern als neue Redaction des Entwurfes I zur Kenntniss des Oesterreichischen Cabinets, übte jedoch, wegen der grundsätzlichen Passivität Metternich’s, auch keine antreibende Wirkung aus. Zwar sprach am 24. April Stein mit Metternich, um ihn zu thätigem Eingreifen und raschem Abschluss zu bewegen, „damit das Volk beruhigt werde“; aber er erhielt von ihm nur den delphischen Orakelspruch: „Der Bund werde zu Stande kommen“. [So Pertz S. 415; genauer Stein’s Tagebuch während des Wiener Kongresses, mitgetheilt von Max Lehmann, Hist. Z. Bd. 60, 450 „sie“ d. h. „die Deutschen Angelegenheiten“ w. z. St. k.] Da der II. Entwurf wesentlich mit dem III. übereinstimmt, so begnügen wir uns mit der Hervorhebung weniger Punkte. Die Zahl der 14 Paragraphen wurde beibehalten, aber manches in denselben weiter und schärfer ausgeführt. Gleichwie in I war von irgend welchen Vorrechten Oesterreichs vor Preussen nicht die Rede, die Zweitheilung von Bundesversammlung und Rath blieb bestehen, die Bestimmungen über das Bundesgericht wurden noch mehr präcisirt. Was aber das Wichtigste war: der Paragraph über die Landstände erhielt gleich zu Anfang ein höchst bedeutsames Einschiebsel, indem es nunmehr hiess: „In allen deutschen Staaten wird die bestehende Verfassung erhalten oder eine neue dergestalt zu organisirende, dass alle Classen der Staatsbürger daran Theil nehmen, eingeführt.“ Dann folgt die Aufzählung der landständischen Rechte wie im I. Entwurf: „damit – bestehe.“ Im weiteren Verlauf sind die entbehrlichen Worte „durch die künftige Urkunde desselben“ gestrichen. Ferner heisst es bei den Unterthanenrechten mit [291] Uebergehung der Religionsübung: „Lehranstalten, sowie angemessene Pressfreiheit, welche letztere aber keineswegs – Flugschriften ausschliesst. Die Rechte – gesichert.“ Daran schliesst sich der Zusatz: „Die drei christlichen Religionsparteien geniessen in allen Deutschen Staaten gleiche Rechte, und den Bekennern des jüdischen Glaubens werden, insofern sie sich der Leistung aller Bürgerpflichten unterziehen, die denselben entsprechenden Rechte eingeräumt, welche, unabhängig von allen religiösen Beziehungen und von politischem Einfluss und Wirksamkeit in Staatsämtem (als welche Punkte der Bestimmung der besonderen Verfassungen vorbehalten bleiben) den übrigen Bürgern zustehen“[19].

Der Paragraph über die katholische Kirche erhielt den Zusatz: „Die Rechte der evangelischen gehören in jedem Staate zur Landesverfassung und werden als ein Theil dieser am Bunde, wo es nöthig ist, vertreten.“

Da trotz der Mahnungen Stein’s Metternich noch immer nicht auf eigene Verhandlungen sich einliess, so beschäftigte man preussischerseits sich mit weiteren Verbesserungen von II, und daraus ging hervor:

III. Aufs neue durchgesehener und veränderter Preussischer Entwurf, B. A. Nr. 80, vom 30. April 1815 datirt; dem Fürsten Metternich übergeben am 1. Mai 1815, gedruckt bei Klüber 2, 298 ff. Der Text der wiederum beibehaltenen 14 Paragraphen stimmt wesentlich mit II überein. Von Oesterreichischen Vorrechten ist daher immer noch nicht die Rede; die „zwei Kammern“ als „Bundesversammlung“ und „Bundesrath“ sind beibehalten; ebenso das Bundesgericht, nicht bloss für Streitigkeiten der Bundesglieder, sondern auch für „Verletzung der Bundesverfassung oder aus derselben herfliessender Rechte“, falls die in der Landesverfassung liegenden Mittel der Entscheidung erschöpft sind. Auch blieb der trügerische Passus über die Gleichheit der Bundesglieder, der dem Oesterreichischen December-Plan nachgebildet war, mit Recht weg.

Der § 5 über das Militärwesen, worauf wir nachher ebenfalls zurückkommen müssen, lautete wie früher und wie namentlich schon im Entwurf I (s. Klüber 1, 4, 108) also: „Die Vereinigung [292] der Streitkräfte des Bundes geschieht durch die Stellung angemessener Contingente. Wenn diese nicht stark genug sind, um für sich eine Heeresabtheilung zu bilden, so werden sie an eines der Heere der grösseren Kriegsmächte Deutschlands, unter der Oberaufsicht und Leitung des Bundes und vermittelst einer zweckmässigen Organisation, angeschlossen.“ Der Oesterreichische December-Entwurf hatte nur bestimmt, dass innerhalb der Staaten einer Collectivstimme „der Grössere das Contingent des Kleineren vertragsmässig übernehmen könne“ (s. Klüber 2 ,3).

Der Paragraph über die Landstände hat dieselbe Fassung wie in II. Namentlich ist der durchgreifende Passus über die Theilnahme „aller Classen der Staatsbürger“ und über das Minimum der landständischen Rechte: „In allen Deutschen Staaten – zustehe“ unverändert. Am Schlusse aber heisst es in Betreff der Juden nicht „Rechte eingeräumt“, wie in II, sondern „Bürgerrechte eingeräumt“, und das Folgende ist als entbehrlich gestrichen.

Im Paragraph über die Kirche heisst es nach wie vor: „Die katholische Kirche in Deutschland wird unter der Garantie des Bundes eine so viel als möglich gleichförmige, zusammenhängende und die zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse nothwendigen Mittel sichernde Verfassung erhalten“. Dagegen ist in dem Zusatz über „die Rechte der evangelischen“ der Schluss dahin geändert: „und die Erhaltung ihrer auf Friedensschlüssen, Grundgesetzen oder anderen gültigen Verträgen beruhenden Rechte wird[20] dem Schutze des Bundes anvertraut“.

Da Humboldt im Drange der Umstände genöthigt gewesen war, um nur dem Rufe nach Schluss entgegenzukommen, so viele werthvolle Bestimmungen seiner beiden mit Stein und Hardenberg berathenen December-Entwürfe auszuscheiden, so wurde dem nunmehrigen Entwurfe die „Anmerkung“ vorgesetzt: „Die preuss. Bevollmächtigten – haben ihre Meinung und die Absichten ihres Hofes über die künftige Deutsche Verfassung in zwei ausführlichen, dem Herrn Fürsten von Metternich (im Februar) mitgetheilten und nicht unbekannt gebliebenen Entwürfen dargelegt. Sie bleiben dem Inhalt jener früheren Entwürfe noch jetzt, bis auf unbedeutende Modificationen, getreu. Wenn [293] daher Punkte aus diesen Entwürfen hier übergangen sind, so sind diese Auslassungen nur auf die Nothwendigkeit einer kurzen und leichter zum Ziel führenden Unterhandlung berechnet. Von dem Gange dieser Unterhandlungen selbst wird es abhängen, ob und inwiefern schon der gegenwärtige Vertrag wird eine ihm allerdings sehr zu wünschende grössere Bestimmtheit und Ausführlichkeit erhalten können.“

Das Begleitschreiben an Metternich bei Uebersendung dieses Entwurfs lautete[21]:

„Wien den 1. Mai 1815. 

Die unterzeichneten königl. Preussischen Bevollmächtigten hatten die Ehre, dem Herrn Fürsten von Metternich einen Entwurf zu dem Deutschen Bundesvertrage zu übergeben (d. i. Anfang April). Sie haben die seitdem verstrichene Zeit benutzt, denselben aufs neue umzuarbeiten, und haben mehrere Artikel um so mehr mit grösserer Bestimmtheit fassen können, als der Wunsch, den Bund wirklich im gegenwärtigen Augenblick zu schliessen, sich gerade in dieser Zeit auf das deutlichste und erfreulichste unter den hier anwesenden Bevollmächtigten der Deutschen Fürsten ausgesprochen hat.

Die Unterzeichneten ersuchen jetzt S. Fürstl. Gnaden den Herrn F. v. Metternich auf das dringendste, mit ihnen unverzüglich in die nöthige und, bei der zwischen beiden Höfen schon über diesen Gegenstand herrschenden Uebereinstimmung, gewiss nur kurze Vorberathung über den vorliegenden Entwurf einzugehen. Das den vereinten Deutschen Fürsten und freien Städten wiederholt gegebene Versprechen, diese Angelegenheit vor dem herannahenden Schluss des Congresses zu Stande zu bringen, wird es gewiss auch Sr. Fürstl. Gnaden dem Herrn F. v. M. doppelt wünschenswerth[WS 1] machen, jeden Aufschub hierbei zu vermeiden.

Ueber den in dem Entwurf noch unbestimmt gelassenen 3. Artikel[22] behalten sich die Unterzeichneten vor, S. F. G. bei der mündlichen Berathung ihre weiteren Gedanken vorzulegen, [294] um durch gegenseitige Mittheilung zu einer gemeinsamen Fassung zu gelangen.

Die Unterzeichneten benutzen diese Gelegenheit“ u. s. w.




Dies von Hardenberg und Humboldt Unterzeichnete Schreiben wurde, wie aus den Acten erhellt, wirklich abgesandt. Dennoch vergingen wiederum die nächsten Tage, ohne dass Metternich die Verhandlung mit Preussen eröffnete, so dass Stein eine neue dringende Mahnung von Seiten des Kaisers Alexander betrieb, die jedoch nicht zur Ausführung kam, weil Metternich endlich am 7. Mai den Beginn der Verhandlung verkündete (Pertz S. 425 f.).

Die Motive des Verzuges waren, dass Metternich keineswegs gewillt war, den Preussischen Entwurf zur Grundlage zu nehmen. Vielmehr stellte er demselben einen Oesterreichischen entgegen, den er nach dem Muster seines antipreussischen December-Entwurfs von Wessenberg ausarbeiten liess, und der sichtlich auf dem Grundsatz beruhte: damit Oesterreich ein festes Ganzes sei, muss Deutschland ein lockeres Gefüge bleiben. So entstand

IV. Der Oesterreichische Gegenentwurf vom 7. Mai 1815, in 19 Artikeln. Derselbe ist mitgetheilt bei Klüber 2, 308 ff., auf den ich verweise. Die wichtigeren Punkte sind: a) „Die Mitglieder des Bundes haben gleiche Rechte, und keiner übt eine Herrschaft über die Anderen aus.“ b) „Die Bundesversammlung“ ist eine einige, ohne Vollziehungs- oder Bundesrat; in ihr führen die Bevollmächtigten der Staaten und Staatengruppen „15 Stimmen“; darunter die beiden Hessen zusammen 1 Stimme, ebenso die herzogl. Sächs. Häuser 1, Braunschweig und Oldenburg zusammen 1, die Nassauischen Häuser (mit Einschluss Luxemburgs) 1, und Anhalt nur einen geringen Bruchtheil einer Stimme. „Die erste Versammlung beginnt den 1. September 1815.“ c) „Oesterreich führt den Vorsitz.“ „Bei paribus entscheidet Oesterreich.“ d) „Anordnungen über Errichtung eines Bundesgerichts sind in der nächsten Bundesversammlung zu berichtigen.“ (Hierin lag ein schwaches Entgegenkommen gegenüber dem Preussischen Entwurf.) e) Feststellung der Contingente der Einzelstaaten und der kleinen Staatengruppen, ohne irgend eine Erläuterung, f) „In allen Deutschen Staaten [295] wird die bestehende landständische Verfassung und persönliche Freiheit aufrecht erhalten oder, wo sie dermalen nicht vorhanden ist, jetzt eingeführt und unter Schutz und Garantie des Bundes gestellt.“ (Das war nicht nur noch viel inhaltsloser wie im Oesterr. December-Entwurf, sondern geradezu gefährlich, da dergestalt die willkürlichsten Verfassungen den Schutz des Bundes hätten erlangen können.) g) „Die Angelegenheiten der katholischen Kirche sollen mit dem Römischen Hof auf der Versammlung verhandelt werden.“ (Das war dem Preuss. Entwurf gegenüber zugleich ein Entgegenkommen und eine Correctur durch Hereinziehung des Römischen Hofes.) h) „Die jüdischen Glaubensgenossen bleiben im Genuss der bisher erworbenen Rechte und werden der Erwerbung bürgerlicher Rechte insofern fähig erklärt, als sie sich der Leistung aller Bürgerpflichten unterziehen.“ (Ebenfalls ein Anschluss an den Preuss. Entwurf.) i) Unterthanenrechte: 1. „freier Besitz und Erwerbung von Liegenschaft, ohne in dem fremden Staat mehreren Abgaben und Lasten unterworfen zu werden, als die eigenen Unterthanen. 2. Das Recht des freien Abzugs aus einem Bundesstaat in den anderen, insofern die Militärpflichtigkeit erfüllt ist. 3. Freiheit von allen Abzugs- und Erbschaftssteuern von Ausziehenden, insofern selbige in einen anderen Deutschen Bundesstaat übergehen.“ (Auch diese Bestimmungen bleiben hinter dem Oesterr. December-Entwurf zurück, namentlich wird die „Aufhebung der Leibeigenschaft* nicht mehr erwähnt; und die wichtigen Bestimmungen des Preussischen Entwurfs: Uebertritt in fremde Civil- und Militärdienste, Bildung auf fremden Lehranstalten, Pressfreiheit werden ebenfalls völlig ignorirt.)




In den Verhandlungen zwischen Oesterreich und Preussen, die nunmehr stattfanden – sie begannen nach Pertz (S. 426) am 8., die Conferenzen am 11. Mai –[23], wurde jener Preussische Entwurf vom ersten 1. Mai und der Oesterr. vom 7. Mai zu Grunde gelegt. An der Hand der nachfolgenden, bisher unbekannten neuen Redaction des Oesterr. Entwurfes, und der actenmässigen [296] Vermerke zu dem Preussischen Entwurfe, ergeben sich, abgesehen von redactionellen und unwesentlichen Aenderungen namentlich folgende Resultate.

An den Paragraphen über die „Gleichheit“ der Bundesglieder, über Oesterreichs Vorsitz und Stichentscheidung, und über das Einkammersystem hielt Metternich fest. Dagegen liess er zu, dass die erste Versammlung schon auf den 1. August 1815 festgesetzt werde, und dass die Stimmen der Bundesversammlung von 15 auf 20 erhöht wurden, indem nunmehr Kurhessen und Darmstadt je 1 Stimme erhielten, die herzogl. Sächsischen Häuser zusammen 2, Braunschweig und Oldenburg je 1, Luxemburg und die übrigen Nassauischen Häuser je 1, Anhalt für sich allein 1.

Einen besonders lebhaften Kampf haben sichtlich die Fragen der Contingente, des Bundesgerichts und die landständischen Verfassungen hervorgerufen. An den Preussischen Bestimmungen nahm Metternich so grossen Anstoss, dass er die beiden ersten Fragen ganz und in Betreff der dritten wenigstens die Nebenfrage der Garantie der landständischen Verfassungen an die erste Bundesversammlung verwiesen wissen wollte.

In Betreff des so völlig inhaltsleeren Oesterreichischen Paragraphen über die Landstände liess er sich zu der elastischen Einschaltung herbei, dass die neueinzuführenden „auf die Sicherstellung des Eigenthums und der persönlichen Freiheit berechnet“ sein sollten.

Viel wichtiger aber war, dass sich die Preussischen Bevollmächtigten, wie die Correcturen zum Entwurf III bezeugen, zu Modificationen ihres landständischen Paragraphen bestimmen liessen, die ihm nach erneuter Redaction folgende Gestalt gaben: „Alle Deutschen Staaten werden eine landständische Verfassung besitzen, welche sich auf das Recht der Steuerbewilligung, der Berathung über Landesgesetze, welche Eigenthum und persönliche Freiheit betreffen, der Beschwerdeführung über bemerkte Verwaltungsmissbräuche, und der Vertretung der Verfassung und der aus ihr herfliessenden Befugnisse Einzelner beziehen soll. Die einmal verfassungsmässig bestimmten Rechte der Landstände werden unter den Schutz und die Garantie des Bundes gestellt.“ Hier ist also – abgesehen von dem elastischen Ausdruck „auf das Recht beziehen“, statt „das Recht zustehen“ – vor allem die „Theilnahme [297] aller Classen der Staatsbürger“ wieder getilgt. Dagegen vervollständigte man die Unterthanenrechte nach dem Oesterr. Entwurf, ohne die eigenen aufzugeben, so dass es nunmehr hiess: „Recht der Auswanderung in einen anderen Deutschen Staat mit vollkommener Freiheit von allem Abzugsrecht, des Uebertritts“ u. s. w. Dann nach „Lehranstalten“ die „Freiheit, Grundeigenthum ausserhalb des Staats, den sie bewohnen[WS 2], zu erwerben und zu besitzen, ohne desshalb in dem fremden Staate mehr Abgaben als die dortigen eigenen Unterthanen unterworfen zu sein, sowie angemessene Pressfreiheit“ u. s. w. Nach „ausschliesst“ trat nunmehr die Aenderung ein: „Die Bundesversammlung wird sich bei ihrer ersten Zusammenkunft damit beschäftigen, die Rechte der Schriftsteller“ u. s. w.

Ein eigenes Geschick hatte die Bestimmung über die christlichen Confessionen. Der Preussische Entwurf sagte: „Die drei christlichen Religionsparteien geniessen in allen Deutschen Staaten gleiche Rechte.“ Der Oesterreichische dagegen: „Die Religionsverschiedenheit der christlichen Glaubensbekenntnisse soll keinen Unterschied im Genuss bürgerlicher und politischer Rechte begründen.“ Die Folge war, dass Oesterreich dem engeren Preussischen Entwurf, Preussen dem weiteren Oesterreichischen den Vorzug gab. Humboldt machte daher die Anmerkung: „Besser im Oesterreichischen Entwurf“.

Der Preussische Passus über die katholische Kirche erhielt jetzt auf Grund des Oesterreichischen und der Discussion folgende Aenderungen und Zusätze: „Die katholische Kirche in Deutschland wird, unter der Garantie des Bundes, eine ihre Rechte und die zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse nothwendigen Mittel sichernde Verfassung erhalten. Die gemeinsamen Anordnungen in kirchlichen Angelegenheiten, sowie die Verhandlungen wegen Bestimmung der Verhältnisse der Deutschen Bisthümer mit dem Römischen Hofe, bleiben der Bundesversammlung (also nicht den Einzelstaaten) vorbehalten.“

V. Auf Grund der Verhandlungen mit Preussen stellte Oesterreich am 13. Mai einen abgeänderten Entwurf auf, zu dessen Berathung nunmehr auch die Hannoverschen Bevollmächtigten [298] eingeladen wurden, auf deren Unterstützung, trotz der liberalen Anwandlungen Münster’s, Metternich rechnen zu können glaubte.

Dieser Entwurf vom 13. Mai ist der entscheidende Wendepunkt geworden, und dennoch auffallenderweise, so viel ich weiss, völlig unbekannt geblieben. Weder Klüber noch Pertz noch Treitschke gedenken desselben auch nur mit einer Silbe.

Er findet sich im Berliner Archiv Rep. VI. Nr. 84 unter dem Titel: „Plan Autrichien présenté par le prince de Metternich à la Prusse et au Hannovre dans la conférence du 13 Mai 1815.“ Er hat folgenden Wortlaut, der alle kleineren und grösseren Abweichungen im Verhältniss zu dem gedruckten Oesterreichischen Entwurf vom 7. Mai, und ebenso alle genommenen Rücksichten auf den gedruckten Preussischen Entwurf vom 1. Mai erkennen lässt (Klüber 2, 298 ff. und 308 ff.):

„Art. 1. Die Fürsten und freien Städte Deutschlands mit Einschluss Ihrer Majestäten des Kaisers von Oesterreich und der Könige von Dänemark, Preussen[24] und der Niederlande für ihre Deutschen Besitzungen, vereinigen sich zu einem Bunde, welcher der Deutsche Bund heissen wird.

Art. 2. Der Zweck desselben ist Erhaltung der Unabhängigkeit, der äusseren und inneren Sicherheit, sowie der Integrität der Deutschen Bundesstaaten.

Art. 3. Alle Verbündeten geniessen, in ihrer Eigenschaft als Glieder des Bundes, gleiche Rechte, keiner ist befugt, Oberherrschaftsrechte über den anderen auszuüben.

Art. 4. Die Angelegenheiten des Bundes werden durch eine Bundesversammlung besorgt. Diese besteht aus dem Bevollmächtigten nachbenannter Staaten, welche theils einzeln, theils collective das Stimmrecht ausüben.

Bei dieser Bundesversammlung führt Stimme:

 1. Oesterreich 1  5. Hannover 1
 2. Preussen 1  6. Württemberg 1
 3. Baiern 1  7. Baden 1
 4. Sachsen 1  8. Kursachsen 1

[299]

 9. Darmstadt 1 16. Luxemburg 1
10. Dänemark als Herzog v. Holstein 1 17. Die übrigen Nassauischen Häuser 1
11. 12. Hzgl. Sächs. Häuser 2 18. Anhalt 1
13. Braunschweig 1 19. Die übrigen Fürsten Deutschlands 1
14. Oldenburg 1 20. Die freien Städte 1
15. Die Mecklenburgischen Häuser 1

Art. 5. Die Bundesversammlung hat ihren Sitz zu Frankfurt am Main.

Die 1. Versammlung ist auf den 1. August 1815 festgesetzt.

Art. 6. Oesterreich hat bei der Bundesversammlung den Vorsitz.

Die Stimmenmehrheit entscheidet.

Im Falle einer Stimmengleichheit entscheidet jene des Vorsitzenden.

Art. 7. Die Bundesversammlung wird sich gleich nach ihrer Eröffnung mit Abfassung der Grundgesetze, mit der inneren Einrichtung des Bundes, mit den Bestimmungen der Contingente und der Militäranstalten überhaupt, sowie mit den in Hinsicht auf die Errichtung eines Bundesgerichtes und die Garantie der landständischen Verfassungen in den Deutschen Staaten nöthigen Anordnungen beschäftigen. Die Bevollmächtigten der Bundesglieder werden nicht auseinandergehen, bis sie ihre Arbeit über die obbenannten Gegenstände definitiv vollendet haben.

Art. 8. In allen Deutschen Staaten wird die bestehende landesständische Verfassung erhalten, oder eine neue, auf die Sicherstellung des Eigenthums und der persönlichen Freiheit berechnete, eingeführt und unter den Schutz und die Garantie des Bundes gestellt.

Art. 9. Bei allen Angelegenheiten, wo Religionsverhältnisse eintreten, wird die vollkommenste Gleichstellung der drei christlichen Confessionen als unabänderlicher Grundsatz festgesetzt und in den Ländern und Gebieten des Deutschen Bundes kann die Verschiedenheit der christlichen Confessionen keinen Unterschied im Genusse bürgerlicher und politischer Rechte begründen. Jeder Confession wird die ausschliessliche Verwaltung der Gegenstände [300] ihres Cultus und Kirchengutes vorbehalten und zugesichert[25]. Die jüdischen Glaubensgenossen bleiben in dem Genuss der bisher in den Deutschen Ländern erworbenen Rechte, und es werden dieselben der Erwerbung bürgerlicher Rechte insofern für fähig erklärt, als sie sich der Leistung aller Bürgerpflichten unterziehen.

Art. 10[26]. Die durch den Reichsdeputationsschluss vom Jahre 1803 getroffenen Verfügungen in Betreff des Schuldenwesens, sowie die durch denselben festgesetzten Pensionen an geistliche und weltliche Individuen werden von dem Bunde aufrecht erhalten und garantirt.

Ebenso werden die so billig und vortheilhaft, als es die Umstände erlauben, zu bestimmenden Rechte der mittelbar gewordenen Reichsstände unter die Garantie des Bundes gestellt.

Art. 11. Alle Mitglieder des Bundes versprechen, sowohl ganz Deutschland als jeden einzelnen ihrer Mitstände gegen jeden Angriff einer auswärtigen Macht in Schutz zu nehmen und garantiren sich gegenseitig ihre sämmtlichen unter dem Bunde begriffenen Besitzungen. Sie verpflichten sich ebenfalls, keine Verbindungen einzugehen, die gegen den ganzen Bund oder einzelne Mitglieder desselben gerichtet sind, oder jenem und diesen unmittelbar oder mittelbar gefährlich werden könnten. Sie machen sich endlich verbindlich, einander unter keinem Vorwand zu bekriegen oder ihre Streitigkeiten durch Gewalt beizulegen.

Die Entscheidung in streitigen Fällen über staatsrechtliche Verhältnisse sowohl der einzelnen Mitglieder zum ganzen Bund, wie auch der verschiedenen Bundesstaaten zu einander, wird der Bundesversammlung vorbehalten.

Art. 12. Die Verfügungen in Hinsicht auf die Freiheit des Verkehrs zwischen den Deutschen Bundesstaaten und jener der Schifffahrt nach den auf dem Congress in Wien festgesetzten Grundsätzen werden in die Grundgesetze des Bundes eingetragen werden.

[301]
(Dazu) drei nicht numerirte Artikel.

Art. –. Die Fortdauer der auf den Rheinschifffahrts-Octroi angewiesenen Renten, die durch den Reichsdeputationsschluss vom 25. Februar 1803 getroffenen Verfügungen in Betreff des Schuldenwesens, sowie die durch denselben festgesetzten Pensionen an geistliche und weltliche Individuen werden von dem Bunde garantirt. Die Mitglieder der ehemaligen Dom- und freien Reichsstifter haben die Befugniss, ihre durch den erwähnten Reichsdeputationsschluss festgesetzten Pensionen ohne Abzug in jedem mit dem Deutschen Bunde in Frieden lebenden Staat verzehren zu dürfen.

Das fürstliche Haus Thurn und Taxis bleibt in dem bisherigen Besitz und Genuss der Posten in den freien Städten Deutschlands, und es werden demselben überdies, in Beziehung auf den 13. Artikel des mehrerwähnten Reichsdeputationsschlusses, seine auf Belassung der Posten oder auf eine angemessene Entschädigung gegründeten Rechte und Ansprüche gesichert. Dieses soll auch stattfinden, wo die Aufhebung der Posten seit 1803 gegen den Inhalt des Deputationsschlusses bereits geschehen wäre.

Art. –. Den Unterthanen der Deutschen Bundesstaaten wird von den souveränen Bundesgliedern gegenseitig zugesichert: a) Liegenschaften ausserhalb des Staates, den sie bewohnen, zu erwerben und zu besitzen, ohne desshalb in dem fremden Staate mehreren Abgaben und Lasten unterworfen zu sein, als dessen eigene Unterthanen; b) das Recht des freien Wegzugs aus einem Deutschen Bundesstaat in den anderen, insofern der Auswandernde seine Militärpflicht erfüllt hat und ausweisen kann, dass er in dem anderen als Unterthan angenommen wird; c) die Freiheit von allen Abzugs- und Erbschaftssteuern von dem ausziehenden Vermögen, insofern es in einen anderen Deutschen Staat übergeht.

Art. –[27]. Um zugleich die Lage der durch den Rheinbund oder nach dessen Errichtung mittelbar gewordenen Reichsstände, so viel es die gegenwärtigen Verhältnisse gestatten, zu verbessern, sind die souveränen Bundesglieder dahin überein gekommen: a) diese Stände als die ersten Standesherren in ihren [302] Staaten nach der ihnen gebührenden Rangordnung zu betrachten, und b) ihnen allen diejenigen, ihre Personen, Familien und Besitzungen betreffenden Rechte und Vorzüge zuzusichern, die mit den Regierungsrechten der Staaten, welchen sie angehören, vereinbar sind. Hierher gehören: 1. Die unbeschränkte Freiheit, ihren Aufenthalt nach Gutdünken in jedem zum Bunde gehörigen oder mit demselben in Frieden lebenden Staat zu nehmen. 2. Nach den Grundsätzen der früheren Deutschen Verfassung über ihre Güter- und Familienverhältnisse selbständig für ihre Nachkommenschaft verbindliche Verfügungen zu treffen[28]. Die vor Errichtung des Rheinbundes bestandenen Familienverträge werden aufrecht erhalten, und es kann ohne Einwilligung sämmtlicher Agnaten kein neuer errichtet werden. 3. Die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeitspflege in erster Instanz, sowie auch die Ortspolizei auf ihren ehemaligen unmittelbaren Besitzungen. 4. Steuerfreiheit für ihre Personen, Schlösser, Häuser, eingezäunte Gärten, Forsten und Jagden.

Die nämlichen Rechte und Vorzüge werden dem ehemaligen Reichsadel zugesichert.“




Humboldt unterzog sofort, ohne Zweifel noch am selbigen Tage, am 13. Mai, diese neue Redaction des Oesterreichischen Entwurfs und den Preussischen einer vergleichenden Kritik, die im Berliner Archiv[29] sowohl im Original wie in einer Copie vorhanden ist, die selbst wieder ein paar Randbemerkungen Humboldt’s trägt. Das Actenstück, das natürlich in erster Linie für Hardenberg bestimmt war, lautet: „Die meines Erachtens unumgänglich nöthige Bestimmung, dass die Mitglieder den Bundesbeschlüssen unbedingt Folge leisten müssen, kommt im ganzen Oesterreichischen Plan nicht vor.

Art. 1 und 2 wird die Bestimmung „beständiger Bund“ vermisst.

Art. 3 würde ich höchstens für die Beibehaltung des Anfangs stimmen. Oberherrschaftsrechte lassen sich nicht einmal voraussetzen.

[303] Art. 4–7. In diesen Artikeln vermisse ich: 1. ob die Bundesversammlung beständig oder vorübergehend vereinigt sein soll. Nach Art. 7 soll sie nicht vor Beendigung der Grundgesetze auseinandergehen. Hiernach scheint sie daher nicht beständig sein zu sollen. 2. Ihren Wirkungskreis und ihre Gewalt. 3. Die Mittel, die sie zur Vollstreckung ihrer Beschlüsse anwendet.

Die Militäranstalten und das Bundesgericht kommen im ganzen Entwurf nur hier vor. Sie verdienen nicht allein eigene Artikel[30], sondern die künftige Versammlung hat auch gar keine Grundlage zur Berathschlagung über diese so ungemein wichtigen Gegenstände.

Art. 8. Die Landstände bloss auf die Sicherstellung des Eigenthums und der persönlichen Freiheit zu beschränken, scheint mir ein zu enger Begriff. Die Bewilligung der Steuern und die Mitberathung bei Gesetzen kann um so weniger entbehrt werden, als bereits alle Deutschen Fürsten, die neuerdings Stände eingerichtet haben, dies anerkannt haben und die hier vereinigten einen viel weiteren und genügenden Begriff von Landständen festgesetzt haben. Auch über die Zusammensetzung der Stände liesse sich etwas hinzufügen.

Art. 9. Die ausschliessliche Verwaltung der Kirchengüter bloss der Kirche oder ihren Gemeinden zuzusichern, greift zu sehr in die Rechte des Staats ein und kann höchst nachtheilig werden. Die Phrase im 11. Preussischen Artikel ist vorsichtiger und schützt die Kirche dennoch.

Die Juden fähig zu erklären, ist wohl kein in einem Staatsvertrag passender Ausdruck. Erklärt man sie für fähig, so muss man auch ihnen die Rechte einräumen, und dann ist es wieder sehr viel, allgemein von den bürgerlichen Rechten zu reden. Die Preussische Redaction lässt mehr Freiheit und ist doch bestimmter und nützlicher für die Juden. Die Zusicherung der bisher erworbenen Rechte wird in den Ländern, wo Regierungen nach Französischen Maximen bestanden haben, viel Widerspruch und selbst Streit erregen.

Ueber den Zusammenhang der katholischen Kirche und die [304] Rechte der evangelischen, als Kirche, ist im Oesterreichischen Entwurf gar nichts gesagt.

Art. 10 fällt weg.

Art. 11. Die erste Hälfte scheint mir im Preussischen Entwurf bestimmter und besser. Gegen die blosse Beibehaltung der letzteren würde ich nichts haben, da die Bestimmungen des 6. Preussischen Artikels der künftigen Berathung vorbehalten bleiben können.

Art. 12 scheint mir, da der Entwurf über viel wichtigere Dinge nichts sagt, zu sehr ins Detail gehend und nicht wichtig genug.

Artikel der Mediatisirten. Dieser Artikel scheint mir nicht genügend: 1. könnte ohne allen Schaden die hier doppelt auffallende Erwähnung der souveränen Fürsten wegbleiben; 2. sind ihre Rechte nicht einmal unter die Garantie des Bundes gestellt; 3. ist ihre Landstandschaft wenigstens nicht ausdrücklich erwähnt; 4. dürfte es besser sein, ihre Rechte entweder gar nicht einzeln aufzuzählen oder sie vollständiger und genügender zu bestimmen. Die Wahl des Aufenthaltsorts geniesst jeder Bürger, die erste Instanz hat fast in ganz Deutschland selbst der mittelbare Adel; 5. die Mediatisirten und die Reichsritterschaft völlig gleichzusetzen, ist gegen die ersten ungerecht, da nur sie wirklich Reichsstände waren; 6. die Stelle im Preussischen Artikel, der sich auf die durch den Wiener Congress angeschlossenen Mediatisirten bezieht, wird Preussen sich auf jeden Fall vorbehalten müssen.

Art. der Renten u. s. f. (im Preuss. Entw. Art. 12).

1. Das Schuldenwesen müsste wohl näher bestimmt werden[31].

2. Die Auslassung des Sustentationswesens und des Bischofs von Lüttich ist zwar unschädlich, da der gewählte Ausdruck beides unter sich begreift. Aber die Erwähnung würde zur Beruhigung dienen. 3. Ueber die Posten ist der Preussische Entwurf gleich gerecht und günstiger für das Haus Taxis.

Art. Die Rechte der Unterthanen (im Preussischen Entw. Art. 9).

Sagt so wenig, dass ich ihn auslassen würde. Das Recht in fremde Dienste zu gehen, auf fremden Universitäten zu [305] studiren, könnte wenigstens hinzukommen; und ob es möglich ist, eine Deutsche Verfassung zu machen, in welcher gar nicht der Pressfreiheit gedacht wird, möchte ich sehr bezweifeln.

Der Preuss. Entwurf enthält noch drei Artikel: 5, 7, 8, über das Militärwesen, das Bundesgericht und die Gerechtigkeitspflege. Die beiden letzten wenigstens halte ich für unentbehrlich. Fehlen diese und bleiben die über die Landstände und die Rechte der Einzelnen so wenig befriedigend wie im Oesterr. Entwurf: so wird der ganze Bundesvertrag die allgemeinen Erwartungen täuschen, alle Wirkung verfehlen, ja vielmehr eine nachtheilige hervorbringen. Auch kann die Bundesversammlung diesem Uebel durch ihre Grundgesetze nicht abhelfen, denn sind einmal die Basen so wenig genügend gelegt, so werden diejenigen Stände, welche den Zwang der Verfassung fürchten, sich nie nachher zu mehr bequemen.“




Auf Grund des Oesterreichischen Entwurfs vom 13. Mai fand nun am folgenden Tage die entscheidende Conferenz statt. Das Resultat war, wie es im Berliner Archiv (Nr. 80) heisst,

VI. der „Entwurf des Deutschen Bundesvertrages so wie er nach einer mit Fürst Metternich, Baron Wessenberg, Graf Münster und Graf Hardenberg[32] gehaltenen Conferenz beschlossen worden war. 14. Mai 1815“. Derselbe entsprach noch nicht ganz, aber in allem Wesentlichen bereits dem letzten endgültigen Entwurf vom 23. Mai. Was an der vollen Identität noch fehlte, wurde in den nächsten Tagen noch nachgeholt. Denn ein Vermerk im Archiv sagt ausdrücklich: „Wieder umgeändert und neu abgeschrieben 17. Mai“. Wir fassen die Ergebnisse vom 14. bis 17. Mai zusammen.

Metternich liess es sich gefallen, dass der Bund im Art. 1 als „beständiger“ bezeichnet, und im Art. 3 die Phrase von „Oberherrschaftsrechten“ ersetzt wurde durch die „gleichmässige Verpflichtung“ aller Mitglieder, „die Bundesacte unverbrüchlich zu halten“; ferner, dass Art. 4 die Bundesversammlung als „beständige“ [306] qualificirte und, gewissermassen als Ersatz des Zweikammersystems, bestimmte, dass sie bald als „engerer Ausschuss“ functioniren sollte, bald als „Plenum“ mittelst Erweiterung der Stimmenzahl und Vertheilung derselben je nach der Grösse der Staaten, jedoch so, dass jeder mindestens eine Stimme für sich erhielt. Dagegen wurden die Stimmen der engeren Bundesversammlung wieder von 20 auf 15 herabgedrückt. Den Stichentscheid Oesterreichs bei Stimmengleichheit gab Metternich auf. Als Termin für die Eröffnung der ersten Versammlung blieb am 14. Mai noch der 1. August 1815 bestehen, wurde aber darnach auf den 1. September festgesetzt. In Bezug auf Bundesgericht und Gerechtigkeitspflege drang einigermassen Humboldt durch. Die letztere erhielt einen eigenen Artikel in Bezug auf die Gerichte dritter Instanz, des Inhalts: „Diejenigen Bundesglieder, deren Besitzungen nicht eine durch die organischen Gesetze zu bestimmende Volkszahl (bei welcher jedoch verwandte Fürstenstämme und die freien Städte die ihrige zusammenzählen können) erreichen, werden sich zur Bildung eines gemeinschaftlichen obersten Gerichtes vereinigen.“ Alles Uebrige freilich des viel bedeutsameren Preussischen Paragraphen blieb ausgeschlossen. Ueber das Bundesgericht wurde wenigstens in dem darauf folgenden (nicht in einem „eigenen“) Artikel gesagt: Die Bundesversammlung „ordnet sich ein Bundesgericht bei, an dessen Besetzung alle seine Mitglieder verhaltnissmässigen Antheil nehmen. Die Gegenstände und den Umfang der Wirksamkeit desselben bestimmen die Grundgesetze des Bundes.“

Der obige Oesterreichische Art. 7 („die Bundesversammlung wird sich gleich nach ihrer Eröffnung mit – beschäftigen“) erhielt nunmehr den Zusatz: „Sie stellt ihre Berathungen über diese Gegenstände als engerer Ausschuss an, legt aber hernach den so abgefassten Entwurf der ganzen Versammlung zur Prüfung und Genehmigung vor.“ Noch am 14. Mai wurde der Art. dahin geändert: „Die Bundesversammlung wird in der Form, die sie am zweckmässigsten erachtet, gleich nach ihrer Eröffnung die Abfassung der Grundgesetze und die organischen Einrichtungen des Bundes in Rücksicht auf alle Gegenstände, welche dessen auswärtige, militärische und innere Verhältnisse betreffen, in Berathung nehmen.“ Diese Bestimmung wurde darnach mit ganz gleichgültigen Redactionsänderungen beibehalten, [307] zugleich aber wurde hinzugefügt: Die Bundesversammlung werde die von ihr als engere Versammlung „gemachten Entwürfe noch einmal als Plenum zur Genehmigung oder Verwerfung in Berathung nehmen, mit dem Unterschiede jedoch, dass kein Bundesglied bei der Annahme der Grundgesetze durch Stimmenmehrheit gebunden werden kann“.

Hiernach blieb also im Art. 7 auch die Erwähnung der „Garantie der landständischen Verfassungen in den Deutschen Staaten“ weg. Das war um so bedeutsamer, als der Gang der Debatten über den die Landstände betreffenden Artikel dahin führte, dass die darin verbürgte Garantie gleicherweise in Wegfall kam. Dieser Gang ist ein höchst denkwürdiger.

Der Preussische Art. über die Landstände hatte diesen bis dahin immer noch „das Recht der Steuerbewilligung, der Berathung über Landesgesetze, welche Eigenthum und persönliche Freiheit betreffen, der Beschwerdeführung über Verwaltungsmissbräuche und der Vertretung der Verfassung“ zugesprochen unter „Schutz und Garantie des Bundes“ (s. oben S. 296). Der Oesterreichische dagegen verhiess nur landständische Verfassungen, die „auf Sicherstellung des Eigenthums und der persönlichen Freiheit berechnet“ wären, ebenfalls unter „Schutz und Garantie des Bundes“ (s. S. 299). Der 14. Mai war der verhängnissvolle Tag der Entscheidung. Metternich wollte offenbar unter keinen Umständen ein Mehreres concediren, und die Bevollmächtigten Preussens und Hannovers sahen zweifellos das Gebotene als so wenig oder vielmehr als so nichtig und selbst bedenklich an, dass ihnen ein Preisgeben aller näheren Bestimmungen immer noch besser erscheinen durfte wie dieser Oesterreichische Artikel, der den elendesten Verfassungen zum Schutz gereicht haben würde. Und so kam es denn, dass beide Theile die näheren Bestimmungen fallen liessen und sich mit jener inhaltsleeren Formel begnügten, mit der in den nächsten Jahrzehnten ein so frevelhaftes Spiel getrieben wurde.

Mit welchen Gefühlen mag Humboldt in der Conferenz vom 14. Mai den Bleistift ergriffen und geführt haben, als er, wie das Actenstück im Archiv zeigt, den Preussischen Text des Paragraphen durchstrich, um ihn durch die Bleistiftsworte zu ersetzen: „In allen Deutschen Staaten soll eine landständische Verfassung bestehen.“ Im weitern Verlauf drang Humboldt noch mit einigen [308] seiner Mahnungen wenigstens theilweise durch. Der Passus über die katholische Kirche wurde in der Fassung: „Die katholische Kirche in Deutschland wird, unter der Garantie des Bundes, eine ihre Rechte und die zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse nothwendigen Mittel sichernde Verfassung erhalten“ sanctionirt, aber ohne weiteren Zusatz. Der Preussische Passus über die Rechte der Evangelischen wurde ebenfalls angenommen. Der Passus über die Juden fand bis zu den Worten, „Bürgerrechte eingeräumt“ Aufnahme, aber mit dem abschwächenden Zusatz: „wo dieser Reform Landesverfassungen entgegenstehen, erklären die Mitglieder des Bundes, diese Hindernisse so viel als möglich hinwegräumen zu wollen“. Dass die überflüssige Betitelung der Fürsten als „souveräne Fürsten“ nach dem Begehr Humboldt’s gestrichen wurde, versteht sich von selbst; hatte doch früher schon Metternich seinerseits dieselbe energisch bekämpft. Unter die Unterthanenrechte wurde nunmehr in der That noch aufgenommen „das Recht, in Civil- und Militärdienste eines anderen Deutschen Bundesstaats zu treten“, aber das Recht, auf fremden Universitäten zu studiren, von Oesterreich verworfen; und in Bezug auf die Pressfreiheit war nicht mehr zu erlangen, als dass die Bundesversammlung sich „bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung zweckmässiger Gesetze über die Pressfreiheit und – gegen den Nachdruck beschäftigen“ sollte. Wie der Artikel über die Landstände, so war auch dieser Passus höchst unbestimmt und bedenklich; denn wie jener auch Landstände ohne Rechte zulassen konnte, so konnte auch ein Gesetz „über die Pressfreiheit“ handeln, ohne Pressfreiheit im wahren Sinne des Wortes zu geben, ganz abgesehen davon, dass ein blosses „Beschäftigen“ nicht für ein Abschliessen bürgte, sondern eine Anweisung ad calendas Graecas werden konnte. Endlich erhielt der Artikel über die Mediatisirten durch Humboldt und Hardenberg einige Aenderungen und Zusätze. Der dergestalt mit Preussen und Hannover vereinbarte definitive Entwurf umfasste 17 Artikel.

Was übrigens in Betreff des Artikels über die Landstände Hardenberg bestimmen mochte, einen so inhaltsleeren Artikel schliesslich zuzulassen, liegt wohl auf der Hand. Schien doch alles, was man durch die Preussische Formulirung hatte erreichen wollen, längst erreicht! Hatten doch die vereinigten [309] Kleinstaaten seit Mitte November wiederholt amtlich auf das feierlichste gelobt, ihren Landständen jene vier Competenzen beizulegen! Waren ihnen doch hierin die Südstaaten, Baiern, Württemberg und Baden in der Zeit vom December bis Februar gefolgt! Oesterreich aber war durch keine Artikel zu zwingen; und was Preussen angeht, so wusste ja Niemand besser wie Hardenberg, dass die Preussische „Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volkes“ der letzten Feilung unterlag und unter seiner Gegenzeichnung nächster Tage (am 22. Mai) ins Leben treten sollte. Diese landständische Verfassung Preussens sollte aber ebenfalls wesentlich das gewähren, was man allseits bisher, mit Ausnahme von Oesterreich, zu gewähren sich anheischig gemacht hatte. Daran freilich dachte Hardenberg damals nicht, dass, abgesehen von der ehrenwerthen Ausnahme der drei Südstaaten, alle jene feierlichen Gelöbnisse der Deutschen Regierungen fast durchweg alsbald in Schaum zerinnen, d. h. in treulosen Wortbruch enden sollten. Der Schaden würde vielleicht geringer gewesen sein, hätte man wenigstens aus dem Oesterreichischen December-Entwurf, dem man doch leider so vieles entnahm, auch die Bestimmung herübergenommen, dass die Landstände „binnen Jahr und Tag eingeführt“ werden sollten.

Die Preussische Verordnung vom 22. Mai ermangelte nicht, überall einen grossen, die Hoffnungen belebenden Eindruck zu machen, obwohl das Berathungsrecht darin nicht ausdrücklich ab ein Zustimmungsrecht qualificirt war und die Landesrepräsentanten „aus den Provinzialständen“ gewählt werden sollten. Indess das Verfassungswerk selbst konnte Zweifel und Unebenheiten verschwinden lassen, und die Vollendung dieses Werkes durfte man noch vor Ende des Jahres 1815 mit Zuversicht erwarten. Denn der „Entwurf“ hatte sogar bestimmt, dass die Verfassungscommission sofort „am 1. Juni zusammentreten“ und die „Verfassungsurkunde spätestens mit dem 1. September vollenden“ solle. Das war nun freilich in der „Verordnung“ schliesslich aus Rücksicht auf den Wiener Congress und aus Vorsicht dahin geändert worden, dass sie „am 1. September zusammentreten“ solle, ohne Angabe eines Schlusstermins. Indess liess sich doch nach Massgabe der Zeitabstände im Entwurf voraussetzen, dass man preussischerseits für die Fertigstellung [310] der Preussischen Verfassungsurkunde nicht auf mehr als drei bis vier Monate rechne.

Inzwischen waren, um das Deutsche Verfassungswerk zu vollenden, alle zur Eröffnung der allgemeinen Conferenzen erforderlichen Vorkehrungen seit dem 17. Mai getroffen, die Einladungen festgestellt und auf den 23. Mai erlassen worden. Die von Oesterreich Neugeladenen, ausser Preussen und Hannover, waren: Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Darmstadt, Luxemburg, Holstein und fünf von den vereinigten Fürsten und freien Städten gewählte Deputirte, nämlich Plessen, Keller, Minckwitz, Senator Smidt, Berg. In der Eröffnungssitzung am 23. las Metternich nur den vereinbarten Entwurf der Grundzüge vor, mit der Erklärung, dass man „deren nähere Entwicklung dem Bundestage vorbehalten müsse“. Der Entwurf, der sofort durch Dictatur vervielfältigt wurde, sollte drei Tage von den Betheiligten geprüft und in der zweiten Sitzung am 26. discutirt werden.

Im Berliner Archiv liegt dieser „Entwurf einer Deutschen Bundesacte“ handschriftlich dem Protokoll der ersten Sitzung vom 13. Mai bei (Nr. 85 Protocolles des conférences des plénipotentiaires et députés des princes et villes libres de l’Allemagne) mit dem Vermerk von Humboldt’s Hand: „Zuerst von dem Oesterreichischen Hofe entworfen, in Conferenzen mit Preussen und Hannover abgeändert und dann den Deutschen Fürsten officiell vorgeschlagen.“ Der Text ist natürlich vollkommen identisch mit dem bei Klüber 2, 314 ff. Die „Beilagen“ der Protokolle, die Klüber 2, 324 ff. abgedruckt hat, sind übrigens weder bei diesem noch im Berliner Archiv ganz vollständig, d. h. manche findet man dort und nicht hier, sowie umgekehrt. Beiläufig bemerke ich, dass das in der Beilage bei Klüber S. 391 wahrscheinlich wegen Unleserlichkeit ausgelassene Wort im B. A. „Collocationen“ lautet.

In der Sitzung vom 26. Mai ging es seltsam zu. Württemberg fehlte in dieser wie in allen anderen Sitzungen; Baden und Sachsen lehnten wegen Mangel an Instructionen die Betheiligung ab; die fünf Deputirten der vereinigten Fürsten und freien Städte erklärten sich im Auftrage ihrer Committenten für incompetent, „im Namen Aller abzuschliessen“, und beantragten „die Zulassung aller Bevollmächtigten zu den ferneren Berathungen“. Man trat [311] indess in diese ein, und nunmehr begann eine Sturmfluth von Anträgen heranzudrängen. Voran ging Baiern; aber mit Baiern wetteiferte namentlich Darmstadt und die Summe der Kleinstaaten in rücksichtsloser Bekrittelung der Vorlage, jedoch mit dem Unterschiede, dass jenes in viel höherem Masse dazu berechtigt erscheinen durfte, wie diese. Nicht ein einziger der 17 Artikel blieb unangefochten. Und was wurde angefochten? Alles, was diesen angeblich so opferbereiten Kleinstaaten nicht genug der Ehren, der Rechte und Vorrechte einzuräumen schien. Darmstadt voran forderte, dass in den Artikeln 1, 16 und 17 das Beiwort „souverän“ für die Fürsten wieder hergestellt werde. Die Deputirten der Fürsten verlangten, dass alle Staaten „einzeln“ aufgeführt und dass auch die Unverletzbarkeit „jedes einzelnen unter ihnen“ als „Zweck des Bundes“ bezeichnet werde. Sie bestanden ferner wieder darauf, dass „allen Verbündeten gleiche Rechte“ zugesprochen und jede „Oberherrschaft irgend einer Art über den Anderen“ verpönt würde. Alle wollten bei einer Fülle von „Gesetzen oder Vereinbarungen“ im „Plenum“ je eine „Virilstimme“ haben, und überdies, dass bei „Grundgesetzen“ die „Einstimmigkeit Aller erforderlich“ sei. Auch solle die Stimmenmehrheit nirgends entscheiden können, „wo jura singulorum eintreten“. Dabei verschaffte Darmstadt durch einen Zusatz zu Art. 6 (nachher 7) wieder bei Stimmengleichheit in der engeren Bundesversammlung die Entscheidung dem „Vorsitzenden“ (nicht „Oesterreich“, wie der Oesterreichische Entwurf vom 7. Mai sich ausgedrückt hatte)[33]. Die im Entwurf noch nicht bestimmte „Volkszahl“ für die Berechtigung zu einem „Gericht dritter Instanz“, die aber der Preussische Entwurf bereits auf „300 000“ normirt hatte, sollte nach der Forderung der unglaublich opferscheuen Kleinstaaten auf „150 000 Seelen“ beschränkt werden. Charakteristisch ist ihr Verlangen, dass, falls „Bundesglieder, welche Staaten ausser dem Bunde besitzen, unter sich in Krieg gerathen, dem Deutschen Bunde vorbehalten sei, die Neutralität bewahren zu dürfen“. Im Verein mit Darmstadt und Holstein bekämpften die Deputirten der vereinigten Kleinstaaten um die Wette die Erwähnung der „Juden“ in der Bundesacte. Dagegen beantragen sie freilich [312] zu dem Artikel über die Landstände den Zusatz, dass „den Ständen das Mitberathungsrecht bei allgemeinen gesetzlichen Verfügungen, die Bewilligung der Steuern und das Recht gemeinschaftlicher Beschwerdeführung bei dem Landesherrn zugestanden werde“. Indess, einmal ist diese Ausdrucksweise im Verhältniss zu früheren schon eine abgeschwächte; ferner fehlt ganz das Recht der Vertretung der Verfassung; und endlich durfte man sich ja ungescheut mit liberalen Forderungen brüsten, da man ja im Voraus gewiss sein konnte, damit auf keinen Fall durchzudringen.

Es ist nicht zu verwundern, wenn die Bevollmächtigten Oesterreichs, Preussens und Hannovers aus der Sitzung vom 26. Mai Entrüstung und Unwillen davontrugen. Daher kamen denn auch zunächst die Preussischen überein, für ein mehr summarisches und kategorisches Verfahren einzutreten. Humboldt verfasste in diesem Sinne ein von Hardenberg und ihm unterzeichnetes Schreiben, das im Berliner Archiv (Nr. 86) im Original und in Copie vorhanden ist und also lautet:

 „An den Fürsten Metternich.

Wien den 27. Mai 1815. 

Die in der gestrigen Sitzung über den Entwurf eines Deutschen Bundesvertrages gemachten Aeusserungen, zusammengenommen mit der Kürze der Zeit, welche noch zur Erledigung aller Congressgeschäfte übrig bleibt, veranlassen die Unterzeichneten, dem Herrn Fürsten von Metternich, Fürstliche Gnaden, folgende vertrauliche Eröffnungen zu machen.

Es ist von dringender und absoluter Nothwendigkeit, die Angelegenheit des Bundesvertrags vor dem Abgange der Cabinetter von Wien zu beendigen. Ohne zu gedenken, dass es nachher den Unterhandlungen an allem Nachdruck gebrechen, und daher Zögerungen jeder Art eintreffen würden, lässt sich auch jetzt übersehen, dass die Schlussacte des Congresses unmittelbar nach der Entfernung der Cabinetter, wenn nicht vielleicht noch vor derselben beendigt sein wird. Allein unstreitig werden dann nicht alle Congressgesandten hier bleiben wollen, bis der Deutsche Bund geschlossen ist, und dieser und seine Hauptgrundgesetze werden also nicht in die Schlussacte eingetragen werden können. Alsdann aber verliert man gänzlich die Vortheile, die man sich [313] mit Recht von der schnellen Schliessung des Bundes verspricht, und welchen die Vorschlagenden so viele und wichtige Punkte aufgeopfert haben. Es würde alsdann wenig Unterschied zwischen der Unterhandlung hier und der in Frankfurt sein, und wenn man es wollte dahin kommen lassen, wäre es besser, alles bis Frankfurt aufzuschieben.

Es ist ferner keineswegs rathsam, über die gestern zu unserem Entwurfe gemachten Bemerkungen eine förmliche Discussion zu eröffnen. Da die verschiedenen Meinungen so weit voneinander abweichen, dass Baiern einigemal geäussert hat, dass der Bundesvertrag kein inneres Verhältniss der Staaten betreffen dürfe, und die vereinigten Fürsten dagegen ausdrücklich auf Bestimmung der Rechte der Landstände gedrungen haben, und da wir von der nächsten Sitzung an mit den Abgeordneten aller Fürsten und Städte, also mit einer grossen Anzahl, uns zuberathen haben (was, da einmal Baden und Darmstadt in unserer Versammlung einzeln auftraten, zu verweigern weder möglich noch gerecht war), so ist von einer Discussion schwerlich eine Uebereinkunft und am wenigsten eine schnelle zu erwarten. Bei dieser Discussion würden aber auch Preussen, Oesterreich und Hannover in einem ganz falschen Lichte und einer durchaus unrichtigen Stellung erscheinen. Denn, um die allgemeine Uebereinkunft zu erleichtern, und nicht gegen ihren eigenen Entwurf zu reden, würden sie diejenigen Meinungen nicht unterstützen können, welche einen bestimmten, kräftigen und den gerechten Erwartungen Deutschlands entsprechenden Bund wünschen; und gerade die Höfe, die seit dem Anfang der Unterhandlung alles, was von ihnen abhing gethan haben, um wieder einen allgemeinen Rechtszustand in Deutschland zu begründen, würden hier das Ansehen haben, alle dahin abzweckenden Einrichtungen zu schwächen, zweifelhaft zu machen oder wenigstens in die Ferne zu stellen. Die Unterzeichneten sind bei allen Vorberathungen durchaus der Meinung Sr. Fürstlichen Gnaden des Herrn Fürsten Metternich beigepflichtet, dass dasjenige, was die früheren Entwürfe hierüber enthielten, nur der Nothwendigkeit, jetzt und schnell[34] den Bund wirklich zu schliessen, aufgeopfert werden könne; und sie gestehen frei, dass sie[35] einzig und allein, um [314] nicht jede allgemeine Vereinigung der Fürsten Deutschlands zu hindern oder aufzuschieben, aber übrigens mit sehr schmerzlichen Gefühlen, einen Entwurf mit vorgelegt haben, von dem sie nur zu sehr empfinden, wie wenig er dem wichtigen Zwecke entspricht, den man sich unmittelbar nach der Befreiung Deutschlands von der fremden Oberherrschaft[36] und noch bei dem Anfang des Congresses vorgesetzt hatte und wie ungünstig dies auch auf die allgemeine Stimmung einwirken wird. Sollte dieser Entwurf durch eine Discussion, für welche der jetzige Augenblick, in dem die schnelle allgemeine Uebereinkunft der vorherrschende Gesichtspunkt ist, immer ungünstig bleibt, noch mehr geschwächt werden, so ist kaum der mindeste günstigere[37] Erfolg der Verhandlungen in Frankfurt abzusehen.

Unter diesen Umständen scheint die Vorlegung eines Ultimatums das einzige zum Zweck führende Mittel. Im gegenwärtigen Augenblick ist der Widerspruch noch mit vieler Mässigung und von einigen Seiten nur halb geäussert worden; jetzt ist dafür die Zustimmung zu einem schon ganz auf allgemeine Annahme berechneten Entwurf noch möglich; auch ist das Gefühl allgemein, dass auf jeden Fall etwas zu Stande kommen müsse, und wird, sowie bestimmt und entschieden erklärt wird, dass weitere Unterhandlungen unmöglich sind, zur Annahme wirken.

Der Vorschlag, welchen die Unterzeichneten der Prüfung des Herrn Fürsten Metternich, Fürstl. Gnaden, vorlegen zu müssen glauben, geht demnach dahin:

1. Dass die Bevollmächtigten der drei Höfe die gestern gemachten Bemerkungen auf das Genaueste prüfen und soviel davon in ihren Plan aufnehmen sollten, als möglich ist, und als sich durch die Mehrheit derer, welche dafür stimmen, empfiehlt.

2. Dass Oesterreich und Preussen alsdann in der Montagssitzung den so abgeänderten Vorschlag mit der Eröffnung vorlegten, dass sie die Bemerkungen, soweit als sie es für möglich hielten, benutzt hätten, allein nunmehr in ihrem Entwurf keine weiteren irgend wesentlichen Abänderungen annehmen, noch in Discussion von Vorschlägen dazu (d. i. zu wesentlichen [315] Aenderungen) eingehen könnten, da sie überzeugt wären, dass er nichts weder für das Ganze noch irgend einen Einzelnen Bedenkliches enthalte, dasjenige hingegen, was ihm fehle, in Frankfurt nachgeholt werden könne.

3. Dass sie bereit wären, mit jedem der Fürsten, welcher diesem Entwurf beitreten wolle, den Bund wirklich abzuschliessen.

Eine solche Erklärung würde höchst wahrscheinlich die Annahme von Seiten der meisten Mitglieder der Versammlung sogleich zur Folge haben, und sollten sich noch einige für jetzt ausschliessen, dürften sie wohl unfehlbar später, wenn sie sehen, dass der Bund wirklich zu Stande gekommen wäre, den Beitritt nachsuchen.

Die Unterzeichneten haben die gegenwärtige Note zugleich der königlich Hannover’schen Congressgesandtschaft mitgetheilt. Sie benutzen diese Gelegenheit, Sr. Fürstlichen Gnaden dem Herrn Fürsten Metternich die Versicherung ihrer vollkommensten Hochachtung zu erneuern.

Hardenberg.     Humboldt.“ 

An die Hannoversche Gesandtschaft wurde diese Note „in Abschrift mitgetheilt“.




Dem entsprechend wurden für den 29. Mai die sämmtlichen Bevollmächtigten eingeladen und in der Sitzung die zwischen „Oesterreich und Preussen concertirten Erklärungen und Vorschläge“ auf Grund der am 26. „gemachten Erinnerungen“ vorgetragen. Eine Discussion innerhalb des gegebenen Rahmens liess sich indess so wenig ausschliessen, wie das Einbringen neuer Anträge in Bezug darauf. So begann denn der Strom der Discussion und der Anträge von neuem in den täglichen Sitzungen vom Montag den 29. Mai bis Sonnabend den 3. Juni. Endlich wurde am 1. Juni auf Grund aller stattgehabten Discussionen und Abstimmungen eine Commission ernannt, Präsident v. Berg und Senator Smidt, um eine neue Redaction der Bundesurkunde für den folgenden Tag zu besorgen. In der That las die Commission am 2. Juni diese neue Redaction, die nunmehr 20 Artikel umfasste, in der Sitzung vor (Klüber 2, 479 ff.) und am 3. Juni kam dieselbe formell zur Vorlage (ebend. 493).

[316] Man hätte nun glauben sollen, dass man sich allseits bescheiden und die kleinlichen, dünkelhaften und eifersüchtigen Gelüste zügeln werde, wenn denn doch einmal auf Opferwilligkeit im wahren Sinne des Wortes nirgends zu rechnen war. Vielmehr begann noch gleich am 3. Juni – es war die achte Sitzung – ein wahres Wettrennen nach neuen Beschlüssen für – Deutschlands Heil. Nicht Baiern nur und Sachsen, sondern auch Kleinstaaten, wie vor allen Darmstadt, Kurhessen und Nassau, bestanden auf dem Beiwort „souverän“ und setzten es durch, obgleich der Staatskanzler Hardenberg sich widersetzte und zu Protokoll erklärte, dass der „Ausdruck überflüssig sei und der Sache nichts hinzu thue“. Dann spielte sich eine Fülle von Rangstreitigkeiten ab: Darmstadt pochte darauf, dass es in der Rheinbundszeit die grossherzogliche Würde und damit „volle königliche Ehren“ erlangt habe und beanspruchte „gleichen Rang mit den Kurfürsten“ (Klüber 2, 415, 496). Andererseits wollte Braunschweig vor Mecklenburg rangiren, Lippe vor Schaumburg, Hohenzollern gleich nach Anhalt. Baiern, das schon wiederholt erklärt hatte, dass es sich „seine Beistimmung“ zu der Bundesacte „ausdrücklich vorbehalten“ müsse, erklärte auch jetzt bald bei diesem, bald bei jenem Artikel oder Absatz schlankweg, dass es demselben „nicht beitreten könne“.

Auch beantragte Baiern, im Verein mit Darmstadt, das sich ja überhaupt bei diesem beklagenswerthen Abschwächungsgeschäft in der Rolle einer leitenden Macht zu gefallen schien, den Wegfall des Bundesgerichts, obgleich Darmstadt früher für dasselbe gestimmt hatte. Man konnte aus diesem Abfall entnehmen, wessen man sich in Bezug auf die so ruhmredig verkündeten landständischen Verheissungen von Seiten der Kleinstaaten zu versehen habe. Ebenso bestand Baiern im Verein mit Darmstadt darauf, dass die in der Oesterreichisch-Preussischen Vorlage und in der neuen Redaction derselben den Mediatisirten vorbehaltenen „Curiatstimmen in dem Pleno“ beseitigt würden. Darmstadt rechtfertigte dies damit, dass es „eine Anomalie“ sei, wenn „Mediatisirte wieder unmittelbare Bundesglieder werden und zu Antheil an Bestimmungen der Bundesacte halten könnten“ [?]; es sei „unmöglich“, dass sie zugleich „in den Bundeslanden mittelbar und auf der Bundesversammlung unmittelbar sein könnten“, das „widerspreche allen Grundsätzen der Staatseinheit“; gegen [317] „Antheil der Mediatisirten an den Berathungen des Bundes müsse man sich verwahren“ (Klüber 2, 362; 447; 468; 475; 500). Und in einer bei Klüber (zu S. 362) fehlenden, im Berliner Archiv zum Theil erhaltenen Beilage äussert Darmstadt: Es sei eine „allen metapolitischen Grundsätzen widerstrebende Idee“, dass „Subordinirte mit ihren Oberen auf einer Linie und als Mitpaciscenten erscheinen sollen“. Kurhessen, das in der Rheinbundzeit als Nichtexistenz keine Mediatisirungsgeschäfte hatte machen können, votirte entgegengesetzt: „Freilich scheine es eine Anomalie, dass Fürsten, welche ihre Selbständigkeit verloren haben, in eine Versammlung souveräner Fürsten Sitz und Stimme haben sollen; indessen fand dieses schon in der ehemaligen Reichsversammlung statt“ (ebend. S. 446).

Die Berathung am 3. Juni umfasste zwar alle 20 Artikel; aber manches blieb noch unentschieden, während die wichtigsten der angegriffenen Punkte, wie Bundesgericht und Curiatstimmen der Mediatisirten, noch aufrecht erhalten wurden; und nichts bürgte dafür, dass nicht in der nächsten Sitzung, die auf den anderen Tag, Sonntag den 4. Juni, 8 Uhr Abends angesetzt wurde (ebend. 503), ein neuer Erguss von Anträgen und Bedenklichkeiten sich aufthat. Da entschlossen sich die Preussischen Bevollmächtigten dem Fürsten Metternich gegenüber zu dem folgenden Memorandum, das, von Humboldt’s Hand verfasst, im Berliner Archiv Nr. 87 vorliegt[38].

„Die Berathungen über den in der gestrigen Sitzung vorgelegten Entwurf sind so weit gediehen, dass es nicht scheint, dass eine weitere Erörterung des Inhalts der einzelnen Artikel nöthig sei. Ein grosser Theil derselben ist übereinstimmend angenommen worden, und bei den übrigen, nach dem Sinne, der sich in der Verhandlung im Ganzen aussprach, abzufassen [?], hat sich nicht sowohl ein wesentlicher, die Vereinigung verhindernder Widerspruch, als vielmehr nur Verschiedenheit der Ansicht oder Mangel an hinreichender Instruction zum Beitritt gezeigt. Die Gesinnungen, die von allen Bevollmächtigten ohne Ausnahme [318] ausgesprochen worden sind, beweisen überdies die allgemeine bestimmte Absicht, in den Bund einzugehen und denselben sobald als immer möglich zu schliessen. Es stehen daher diesem seit dem Anfang des Congresses lebhaft gewünschten Abschluss nicht wahrhaft verhindernde, sondern – und auch dies nur von einigen Seiten – mehr bloss aufhaltende Schwierigkeiten entgegen.

Zugleich ist die Nothwendigkeit, wirklich zum Abschluss zu gelangen, in die Augen fallend. Den Congress auseinandergehen lassen, und dessen Schlussacte abfassen, ohne ihr die Hauptgrundgesetze des Deutschen Bundes einzuverleiben, würde nichts anderes heissen, als der lebhaften Erwartung Deutschlands nicht entsprechen, das Gebäude, welches die Ruhe und Unabhängigkeit des gemeinschaftlichen Vaterlandes und das politische Gleichgewicht Europas sichern soll, ohne eine seiner nothwendigsten Stützen lassen, in einen neuen Krieg Ungewissheit über die wichtigsten politischen Verhältnisse, getheilte Meinungen, wenige Erwartungen und Besorgnisse hinübertragen. Durchdrungen von dieser Ueberzeugung sehen sich daher der Oesterreichische und Preussische Hof veranlasst, Folgendes als ihre beiderseitige feste und unwiderrufliche Meinung zu erklären:

1. dass die Berathung über den Inhalt der einzelnen Artikel des Entwurfs zum Bundesvertrag, wie er in der gestrigen Sitzung vorgelegt worden ist, für geschlossen angesehen werden muss, und in der heutigen nur noch in der Redaction Veränderungen beigebracht werden können;

2. dass Oesterreich und Preussen diesen Entwurf in allen seinen Punkten annehmen und zu unterzeichnen bereit sind;

3. dass, insofern der Mangel an hinreichenden Instructionen bei den Bevollmächtigten einiger Staaten eine gleichzeitige Unterzeichnung des Bundesvertrags noch jetzt unmöglich machen sollte, Oesterreich[WS 3] und Preussen diejenigen Bevollmächtigten, welche den von ihnen angenommenen Entwurf gleich unterzeichnen zu können glauben, hierzu noch in der heutigen Sitzung in der Hoffnung einladen, dass der Beitritt der übrigen werde in der möglichst kurzen Frist gleichfalls erfolgen können.“

Zugleich entwarf Humboldt eine Einleitung zu dem Bundesvertrage, welche von der Voraussetzung ausging, dass „einige der Bevollmächtigten“ demselben noch nicht beigetreten wären, namentlich die Baierischen, während die Württembergischen ihre Betheiligung [319] von vornherein aufgegeben hatten, der Badensche die seinige seit dem 1. Juni. Da es anders kam, war diese Einleitung allerdings nicht verwendbar.

Das Memorandum der Preussischen Bevollmächtigten hatte offenbar am 4. Juni Verhandlungen mit Metternich und die Verschiebung der nächsten Sitzung auf den 5. Juni zur Folge. Metternich schien auch vollkommen gleicher Meinung zu sein wie Hardenberg und Humboldt. Daher das ohne Zweifel verabredete Verfahren in der gedachten Sitzung. Metternich gab „Namens Sr. Maj. des Kaisers von Oesterreich eine Erklärung zu Protokoll, dass… die Oesterreichischen Bevollmächtigten nun verlangen müssten, die Bundesacte noch vor Schliessung des Congresses unter den Schutz der europäischen Mächte gestellt zu sehen, und dass sie bereit seien, den Inhalt der in dem letzten Protokoll aufgeführten Artikel als die Grundlage des Bundes anzunehmen“. Er fügte hinzu, dass „die Beschleunigung des Abschlusses durch die Umstände dringend nothwendig geworden“, und – mit einem Anflug von Ironie – dass „an dem Beitritt der Fürsten und freien Städte um so weniger zu zweifeln sei, als sie sich erinnern würden, wie dringend sie bei dem Oesterreichischen und Preussischen Hofe darauf ihre Anträge gerichtet hätten, dass vor Ende des Congresses der Deutsche Bund festgestellt werden möge“.

Sofort wurde zur Abstimmung geschritten. Preussen stimmte natürlich dem Oesterreichischen Votum zu, und ebenso die übrigen Staaten mit folgenden Ausnahmen: Nassau erklärte: es trete bei, wenn alle beitreten (ebend. 514, 557); Darmstadt: wegen einiger Punkte müsste es sich das Protokoll noch offen halten; Sachsen: es könne aus Mangel hinreichender Instruction in Betracht einiger Punkte noch nicht unbedingt beitreten, und weil der Beitritt sämmtlicher Fürsten die Voraussetzung sei; Baiern: es sei genöthigt, seinen definitiven Beitritt noch vorzubehalten. Württemberg und Baden fehlten.

Auf Baierns Beitritt, der denjenigen Sachsens, Württembergs und Badens nach sich ziehen musste, legte Metternich natürlich das grösste Gewicht. Er bewirkte daher, dass man die definitiven Instructionen Baierns abwartete, die dann auch zeitig genug eintrafen, um noch eine Sitzung am 8. Juni der Einigung zu widmen. Baiern beantragte eine Reihe unbedeutender und minder wesentlicher Abänderungen, die keine Schwierigkeiten machten; vor [320] allem aber, zur höchsten Befriedigung Darmstadts, den Wegfall des Bundesgerichts, d. h. das grösste Opfer, das nach den bisherigen Abschwächungen überhaupt noch gebracht werden konnte. Wohl traten für das Bundesgericht noch einmal Oesterreich und Preussen ein, sowie auch namentlich Hannover, Sachsen, Kurhessen, Mecklenburg, Holstein-Oldenburg, die sämmtlichen herzoglich Sächsischen Länder und Lübeck: dennoch wurde zur „Bewirkung einer Vereinigung“ eine Umgestaltung des Art. 11 im Sinne Baierns und mit ihr der Wegfall des Bundesgerichts beschlossen. Ausserdem wurde auch auf Baierns Antrag der Art. 16, die Bestimmungen über die katholische und evangelische Kirche, ganz gestrichen, unter der Beschönigung, dass „dieser Artikel, so wie er da liege, schwer zu fassen sei, in nähere Bestimmungen hineinzugehen aber manche Bedenklichkeiten habe“ (Klüber S. 535).

Am 10. Juni wurde die Bundesurkunde von den Bevollmächtigten aller Staaten, mit Ausnahme Württembergs und Badens, unterzeichnet. Die beiden Fehlenden hielten es nun doch für gerathen, nachträglich durch Accessionserklärungen dem Bunde beizutreten. Dass die Preussischen und Hannoverschen Bevollmächtigten in amtlichen Erklärungen ihr schmerzliches Bedauern ausdrückten über den kläglichen Ausfall des Verfassungswerkes, ist allbekannt (s. z. B. Klüber 524, 556). War auch ein erbliches Kaiserthum damals unerreichbar, eine straffere Centralisation würde jedenfalls bei wirklich opferbereiter Gesinnung erreichbar gewesen sein; statt dessen trat ein Bund ins Leben, der von vornherein unverkennbar phthisische[WS 4] Anlagen in sich trug.



Anmerkungen

  1. Die Abhandlung stammt aus einem hinterlassenen Werke des 1887 in Jena verstorbenen Historikers, das unter dem Titel „Geschichte der Deutschen Verfassungsfrage während der Befreiungskriege und des Wiener Congresses, 1812–1815“, demnächst im Verlage der G. J. Göschen’schen Buchhandlung in Stuttgart erscheinen soll.
  2. S. Klüber 1, 1, 72 und 1, 3, 127.
  3. Sie steht bei Klüber 1, 4, 43 ff. Die Varianten im Berliner Archiv sind geringfügig; namentlich fehlt hier das „einstimmig“ in Z. 4.
  4. Der 14. im Berliner Original ist ein Versehen, wie der Vermerk „pr. 6. April 1815“ beweist.
  5. Nach Treitschke 1, 694 an Hardenberg.
  6. Diese Aufsätze sind also am 6. April geschrieben, der voranstehende Brief am 7.
  7. Ich brauche hiernach kaum zu bemerken, dass die summarische Uebersicht der Entwürfe bei Klüber 2, 293 ff. von 7 an incorrect ist.
  8. Am 16. October 1814 dem Fünfer-Ausschuss vorgelegt.
  9. Der Oesterr. Dec.-Entwurf hatte sich mit der nichtssagenden Phrase begnügt: den Landständen „werden in Hinsicht der Steuern und der allgemeinen Landesanstalten besondere Rechte eingeräumt“.
  10. Im ursprünglichen Preuss. Entwurf Nr. 80 hiess es: „Die jetzt vorhandenen oder noch einzuführenden landst. Verfassungen.“
  11. Bei KlüberBundesvertheidigung“ (!).
  12. Bei Klüber„Universitäten“.
  13. Bei Klüber „uneingeschränkte“.
  14. In dem ursprünglich Preuss. Entwurf hiess es: „Religionsübung und auf Verantwortlichkeit gegründete und mit zweckmässiger polizeilicher Aufsicht auf die Herausgabe periodischer Schriften verbundene Pressfreiheit“. Dafür fehlt das oben Folgende.
  15. Bei Klüber „Anstalten“ (!).
  16. Bei Klüber „Schriftsteller gegen den Nachdruck“ (!)
  17. Bei Klüber „Religion“.
  18. Die Worte „und die – sichernde“ fehlen bei Klüber.
  19. Der Oesterr. Dec.-Entwurf hatte nur „Duldung der Juden“ verheissen.
  20. Klüber „sind“.
  21. Berl. Arch. Nr. 82. Es fehlt bei Klüber und wird auch sonst nirgend, so viel ich weiss, erwähnt.
  22. Betreffend die Organisirung der Bundesversammlung, Frage der obersten Leitung u. s. w.
  23. [Vgl. Stein’s Tagebuch während des Wiener Congresses. Mitgetheilt und erläutert von Max Lehmann. Histor. Z. Bd. 60, 452.]
  24. Die 2. Stelle im Gegensatz zu den gedruckten Entwürfen beruht wohl nur auf Zufall.
  25. Der Passus über die katholische Kirche in dem Entwurf vom 7. Mai ist hier weggelassen, vielleicht nur in der Hast, die sich auch im Folgenden documentirt.
  26. Ist überflüssig, da die beiden hier behandelten Punkte in den nicht numerirten Artikeln wiederkehren.
  27. Dieser Art. entspricht genau dem § 14 des Oesterr. Dec.-Entwurfs (Klüber 2, 4 f. und dem § 15 des Entwurfs vom 7. Mai, ebenda 2, 312 f.).
  28. Statt des nun folgenden Satzes hiess es im December und am 7. Mai: „Alle hierüber seit der Errichtung des Rheinbundes erlassenen Verordnungen werden ausser Wirkung gesetzt“.
  29. „Nr. 86 Notes officielles, minutes d’articles et autres pièces détachées“.
  30. Randbemerkung von Humboldt’s Hand zur Copie: „Man will eigene Artikel“.
  31. Randbemerkung von Humboldt zur Copie: „auszulassen“.
  32. Die Preussischen Bevollmächtigten Fürst Hardenberg und Humboldt sind als selbstverständliche Theilnehmer nicht namhaft gemacht.
  33. Klüber S. 353. 409. 483, vgl. 310.
  34. [„Hier“ Treitschke 1, 698.]
  35. [„Einzig und allein aus diesem Grunde“ Treitschke 1, 698.]
  36. [„v. d. f. O.“ fehlt bei Treitschke.]
  37. [„günstige“ Treitschke.]
  38. Der Titel von Nr. 87 lautet: „Propositions pruss. faites dans la supposition que la Bavière n’accéderait que plus tard au pacte fédératif, et changées après par son accession.“ Das folgende Memorandum ist jedoch, wie man gleich sehen wird, allgemeinerer Natur. Das fehlende Datum ergibt sich aus dem Zusammenhange.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wünchenswerth
  2. Vorlage: bebewohnen
  3. Vorlage: Oestereich
  4. Phthise = allgemeiner Verfall des Körpers od. einzelner Organe. (grie.-lat. / med.)