Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren/Zweites Capitel

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Erstes Capitel Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren (1877)
von Charles Darwin
Drittes Capitel


[45]
Zweites Capitel.
Allgemeine Principien des Ausdrucks. — (Fortsetzung.)
Das Princip des Gegensatzes. — Beispiele vom Hunde und von der Katze. — Ursprung des Princips. — Conventionelle Zeichen. — Das Princip des Gegensatzes ist nicht daraus hervorgegangen, daß entgegengesetzte Handlungen mit Bewußtsein unter entgegengesetzten Antrieben ausgeführt werden.

Wir wollen nun unser zweites Prinzip betrachten, das des Gegensatzes. Gewisse Seelenzustände führen, wie wir im letzten Capitel gesehen haben, auf gewisse gewohnheitsgemäße Bewegungen, welche ursprünglich von Nutzen waren oder es noch immer sein können; und wir werden nun finden, daß, wenn ein direct entgegengesetzter Seelenzustand herbeigeführt wird, eine heftige und unwillkürliche Neigung eintritt, Bewegungen einer direct entgegengesetzten Natur auszuführen, auch wenn dieselben niemals von irgend welchem Nutzen waren. Einige wenige auffallende Beispiele dieses Gegensatzes werden angeführt werden, wenn wir die speciellen Ausdrucksweisen beim Menschen behandeln werden; da wir aber in diesen Fällen ganz besonders dem ausgesetzt sind, conventionelle oder künstliche Geberden und Ausdrucksarten mit denen zu verwechseln, welche angeboren oder allgemein sind und welche allein als wahre Ausdrucksformen betrachtet zu werden verdienen, so will ich mich in dem vorliegenden Capitel fast ausschließlich auf die niederen Thiere beschränken.

Wenn sich ein Hund einem fremden Hunde oder Menschen in einer wilden und feindseligen Stimmung nähert, so geht er aufrecht und recht steif einher: sein Kopf ist leicht emporgehoben oder nicht sehr gesenkt; der Schwanz wird aufrecht und vollständig steif getragen; die Haare sträuben sich, besonders dem Nacken und Rücken entlang; die gespitzten Ohren sind vorwärts gerichtet und die Augen [46] haben einen starren Blick (s. Fig. 5 und 7.) Diese Erscheinungen sind, wie hernach erklärt werden wird, eine Folge davon, daß es die Absicht des Hundes ist, seinen Feind anzugreifen; sie sind hiernach

Fig. 5. Hund, der sich einem andern Hunde in feindseliger Absicht nähert.
Von Mr. Riviere gez.

in hohem Grade verständlich. Da er sich darauf vorbereitet, mit einem wilden Knurren auf seinen Feind einzuspringen, so sind die Eckzähne unbedeckt und die Ohren werden rückwärts dicht an den [47] Kopf angedrückt; mit diesen letzten Bewegungen haben wir es aber hier nicht zu thun. Wir wollen nun annehmen, daß der Hund plötzlich die Entdeckung macht, der Mann, dem er sich nähert, sei kein

Fig. 6. Derselbe Hund in einer demüthigen und zuneigungsvollen Stimmung.
Von Mr. Riviere gez.

Fremder, sondern sein Herr; und nun muß man beobachten, wie vollständig und augenblicklich seine ganze Haltung umgewandelt wird. Anstatt aufrecht zu gehen, sinkt der Körper nach abwärts oder duckt [48] sich, und führt windende Bewegungen aus; der Schwanz, statt steif und aufrecht gehalten zu werden, wird gesenkt und von der einen zur andern Seite gewedelt; das Haar wird augenblicklich glatt; die Ohren sind heruntergeschlagen und nach hinten gezogen, aber nicht dicht an den Kopf; die Lippen sind schlaff. Dadurch, daß die Ohren nach hinten gezogen werden, werden die Augenlider verlängert und

Fig. 7. Halbblut-Schäferhund, in demselben Zustande wie der Hund in Fig. 5.
Gez. von Mr. A. May.

die Augen erscheinen nicht länger mehr rund und starr. Man muß noch hinzunehmen, daß das Thier zu solchen Zeiten in einem vor Freude aufgeregten Zustand sich befindet; es wird dabei Nervenkraft in Überschuß erzeugt, welche naturgemäß zu Handlungen irgend welcher Art führt. Nicht eine der so eben bezeichneten Bewegungen, welche einen so deutlichen Ausdruck der Zuneigung darstellen, ist [49] von dem geringsten directen Nutzen für das Thier. So weit ich es übersehen kann, sind sie nur dadurch zu erklären, daß sie in einem vollständigen Gegensatze zu der Haltung und den Bewegungen stehen, welche aus leicht einzusehenden Ursachen eintreten, wenn ein Hund zu kämpfen beabsichtigt, und welche demzufolge bezeichnend für den

Fig. 8. Derselbe Hund seinen Herrn liebkosend. Gez. von Mr. A. May.

Zorn sind. Ich ersuche den Leser, die vier beistehenden Abbildungen zu betrachten, welche in der Absicht gegeben wurden, um die Erscheinungen eines Hundes unter diesen beiden Seelen zuständen lebendig in's Gedächtnis zu rufen. Es ist indessen nicht wenig schwierig, die Zuneigung bei einem Hunde darzustellen, während er seinen Herrn liebkost und mit seinem Schwanze wedelt, da das Wesentliche [50] des Ausdrucks hier in den beständigen gewundenen Bewegungen liegt.

Wir wollen uns nun zu der Katze wenden. Wenn dies Thier von einem Hunde erschreckt wird, so krümmt es den Rücken in einer überraschenden Art und Weise, richtet das Haar empor, öffnet das Maul und spuckt. Wir haben es aber hier nicht mit dieser so bekannten Haltung zu thun, welche für den Schreck in Verbindung mit Zorn so ausdrucksvoll ist, wir haben es hier nur mit dem Ausdrucke des Zornes oder der Wuth zu thun. Derselbe ist nicht häufig zu sehen, kann aber beobachtet werden, wenn zwei Katzen mit einander kämpfen, und ich habe ihn sehr wohl von einer wilden Katze dargestellt gesehen, die von einem Knaben geplagt wurde. Die Stellung ist fast genau dieselbe, wie die von einem Tiger, welcher gestört wird und über seinem Futter knurrt, was ja Jeder in Menagerien gesehen haben muß. Das Thier nimmt eine kauernde Stellung an, der Körper ist ganz ausgestreckt und der Schwanz wird entweder ganz oder nur die Spitze von einer Seite zur andern geschwungen oder gekrümmt. Das Haar ist nicht im mindesten aufgerichtet. So weit sind sowohl die Stellung als auch die Bewegungen nahezu die nämlichen, wie wenn das Thier bereit ist, auf seine Beute einzuspringen und wenn es ohne Zweifel böse ist. Bereitet es sich aber zum Kampfe vor, dann tritt der Unterschied ein, daß die Ohren nicht nach hinten gedrückt werden; der Mund wird zum Theil geöffnet und zeigt die Zähne; die Vorderfüße werden gelegentlich mit vorgestreckten Krallen vorgestoßen, und gelegentlich stößt das Thier ein wüthendes Knurren aus. (S. Fig. 9 und 10.) Alle oder beinahe alle diese Handlungen sind, wie hernach erklärt werden wird, eine natürliche Folge der Art und Weise, wie die Katze ihren Feind angreift, und der Absicht dies zu thun.

Wir wollen nun einmal eine Katze in einer gerade entgegengesetzten Stimmung betrachten, während sie sich recht zuneigungsvoll fühlt und ihren Herrn liebkost. Man beachte hier, wie entgegengesetzt dabei ihre ganze Haltung in jeder Hinsicht ist. Sie steht jetzt aufrecht mit dem Rücken leicht gekrümmt, was das Haar ziemlich rauh erscheinen läßt, ohne daß es sich jedoch sträubt; anstatt daß der Schwanz ausgestreckt gehalten und von der einen zur andern Seite geworfen wird, wird derselbe vollständig steif und fast senkrecht in die Höhe gehalten; die Ohren sind aufrecht und gespitzt; [51] das Maul ist geschlossen, und das Thier reibt sich an seinem Herrn mit einem Schnurren statt eines Knurrens. Es ist auch ferner zu beachten, wie völlig die ganze Haltung einer schmeichelnden Katze von der eines Hundes in gleicher Stimmung verschieden ist, wenn letzterer mit kriechendem und sich windendem Körper, herabhängendem und wedelndem Schwanze und herabgedrückten Ohren seinen Herrn liebkost. Dieser Contrast in den Stellungen und Bewegungen dieser beiden fleischfressenden Säugethiere in derselben vergnüglichen und zärtlichen Gemüthsstimmung kann, wie es mir scheint, nur dadurch erklärt werden, daß die betreffenden Bewegungen in vollkommenem Gegensatze zu denen stehen, welche ausgeführt werden, wenn die Thiere böse sind und bereit, entweder zu kämpfen oder auf ihre Beute einzuspringen.

In diesen beiden Fällen, beim Hunde und der Katze, haben wir allen Grund zu glauben, daß die Geberden sowohl der Feindseligkeit als auch der Zuneigung angeboren oder ererbt sind; denn sie sind in den verschiedenen Rassen der Species und in allen Individuen einer und der nämlichen Rasse, sowohl jungen als alten, beinahe identisch dieselben.

Ich will hier noch ein anderes Beispiel des Gegensatzes im Ausdrucke anführen. Ich besaß früher einen großen Hund, welcher wie jeder andere Hund ein großes Vergnügen daran fand, hinaus spazieren zu gehen. Er zeigte seine Freude darin, daß er gravitätisch mit hoch erhobenen Schritten vor mir her trabte mit hoch emporgehobenem, dabei aber nicht steifem Schwanze. Nicht weit von meinem Hause führt ein Fußweg rechts vom Hauptgang ab nach einem Gewächshause hin, was ich häufig für ein paar Augenblicke zu besuchen pflegte, um nach meinen Versuchspflanzen zu sehen. Dies war jedesmal eine große Enttäuschung für den Hund, da er nicht wußte, ob ich den Spaziergang fortsetzen würde; und die augenblickliche und vollständige Veränderung des Ausdrucks, die ihn überfiel, sobald er nur meinen Körper im Allergeringsten nach dem Fußwege sich wenden sah (und zuweilen that ich es nur des Versuches wegen), war förmlich lächerlich. Sein Blick der größten Niedergeschlagenheit war jedem Gliede meiner Familie bekannt und wurde das „Gewächshaus-Gesicht“ genannt. Es bestand dies darin, daß der Kopf sehr gesenkt wurde, der ganze Körper ein wenig zusammensank und bewegungslos blieb, daß die Ohren und der Schwanz ganz plötzlich herunter sanken, [52] wobei aber der Schwanz nicht im Mindesten gewedelt wurde. Mit dem Sinken der Ohren und dem Hängenlassen seines großen Mauls wurden auch die Augen bedeutend im Aussehen verändert und

Fig. 9. Katze, böse und zum Kampfe bereit. Nach dem Leben gez. von Mr. Wood.

sahen, wie ich der Ansicht war, weniger glänzend aus. Sein ganzes Aussehen war das der mitleidswerthen, hoffnungslosen Niedergeschlagenheit; und wie ich schon gesagt habe, es war lächerlich, weil die [53] Ursache so unbedeutend war. Jeder einzelne Zug in seiner Stellung war in vollständigem Gegensatze zu seiner früheren freudigen, aber doch würdevollen Haltung; es kann dies, wie mir scheint, auf keine andere Weise erklärt werden, als durch das Princip des Gegensatzes.

Fig. 10. Katze in zärtlicher Stimmung. Gez. von Mr. Wood.

Wäre nicht die Veränderung so augenblicklich gewesen, so würde ich dieselbe dem Umstande zugeschrieben haben, daß sein niedergeschlagener geistiger Zustand, wie beim Menschen, das Nerven- und Circulationssystem und dadurch nothwendigerweise den Tonus seines [54] ganzen Muskelsystems afficirte, und zum Theil mag dies auch wirklich die Ursache gewesen sein.


Wir wollen nun untersuchen, auf welche Weise das Princip des Gegensatzes beim Ausdrucke entstanden ist. Bei gesellig lebenden Thieren ist das Vermögen gegenseitiger Mittheilung zwischen den Gliedern einer und derselben Gemeinde, — und bei andern Arten zwischen den verschiedenen Geschlechtern ebenso wie zwischen den Jungen und Alten —, von der größten Bedeutung für sie. Diese Mittheilungen werden meist mittelst der Stimme bewirkt; es ist aber sicher, daß Geberden und ausdrucksvolle Stellungen in einem gewissen Grade gegenseitig verstanden werden. Der Mensch gebraucht nicht bloß inarticulirte Ausrufe, Geberden und ausdrucksvolle Mienen, sondern hat noch die articulirte Sprache erfunden, wenn freilich das Wort „erfunden“ auf einen Proceß angewendet werden kann, der sich durch zahllose halb unbewußt gethane Abstufungen vollzogen hat. Ein Jeder, welcher Affen beobachtet hat, wird nicht daran zweifeln, daß sie vollkommen die Geberden und den Ausdruck unter einander und, wie Rengger bemerkt, auch die des Menschen verstehen.[1] Wenn ein Thier im Begriffe ist, ein anderes anzugreifen, oder auch, wenn es sich vor einem andern fürchtet, macht es sich häufig in seiner äußern Erscheinung schreckenerregend, es richtet das Haar auf, vermehrt dadurch scheinbar den Umfang seines Körpers, zeigt die Zähne, oder schwingt seine Hörner, oder stößt wüthende Laute aus.

Da das Vermögen der gegenseitigen Mittheilung sicherlich für viele Thiere von großem Nutzen ist, so hat die Vermuthung a priori nichts Unwahrscheinliches in sich, daß Geberden, welche offenbar entgegengesetzter Natur sind, verglichen mit denen, durch welche gewisse Gefühle bereits ausgedrückt werden, zuerst willkürlich unter dem Einflusse eines entgegengesetzten Gefühlszustandes angewendet worden sein dürften. Die Thatsache, daß die Geberden jetzt angeboren sind, bietet keinen gültigen Einwurf gegen die Annahme dar, daß sie ursprünglich beabsichtigt waren; denn werden sie viele Generationen hindurch ausgeführt, so werden sie wahrscheinlich schließlich vererbt werden. Nichtsdestoweniger ist es mehr als zweifelhaft, wie wir sofort sehen werden, ob irgend welche von den Fällen, welche [55] unter die vorliegende Kategorie des Gegensatzes gehören, in dieser Weise entstanden sind.

Bei conventionellen Zeichen, welche nicht angeboren sind, wie bei denen, welche die Taubstummen und die Wilden benutzen, ist von dem Principe des Gegensatzes oder der Antithese zum Theil Gebrauch gemacht worden. Die Cistercienser Mönche hielten es für sündhaft zu sprechen, da sie es aber nicht vermeiden konnten, eine gewisse gegenseitige Mittheilung zu unterhalten, so erfanden sie eine Geberdensprache, bei welcher das Princip des Gegensatzes angewendet worden zu sein scheint.[2] Dr. Scott, von der Exeter Taubstummen-Anstalt, schreibt mir, daß „Gegensätze beim Lehren der Taubstummen, welche einen lebendigen Sinn für dieselben haben, sehr viel benutzt werden.“ Trotzdem bin ich doch überrascht gewesen, wie wenig völlig unzweideutige Beispiele sich dafür anführen lassen. Dies hängt zum Theil davon ab, daß sämmtliche Zeichen gewöhnlich irgend einen natürlichen Ursprung haben, und zum Theil von der Gewohnheit der Taubstummen und Wilden, ihre Zeichen zum Zwecke größerer Geschwindigkeit so viel als nur möglich zusammenzuziehen.[3] Ihre natürliche Quelle oder ihr Ursprung wird daher häufig zweifelhaft oder geht vollständig verloren, wie es in gleicher Weise auch bei Worten der articulirten Sprache der Fall ist.

Überdies scheinen viele Zeichen, welche offenbar zu einander im Verhältnis des Gegensatzes stehen, beiderseits als selbständige Bezeichnungen entstanden zu sein. Dies scheint für die Zeichen zu gelten, welche die Taubstummen für Licht und Dunkelheit, für Stärke und Schwachheit u. s. w. benutzen. In einem spätern Capitel werde ich zu zeigen versuchen, daß die einander entgegengesetzten Geberden der Bejahung und der Verneinung, nämlich das senkrechte Nicken und das seitliche Schütteln des Kopfes, beiderseits wahrscheinlich [56] einen natürlichen Ausgangspunkt hatten. Das Schwingen der Hand von rechts nach links, welches von manchen Wilden als Zeichen der Verneinung gebraucht wird, dürfte als Nachahmung des Kopfschüttelns erfunden worden sein; ob aber die entgegengesetzte Bewegung des Schwingens der Hand in einer geraden Linie vom Gesicht abwärts, welches als Zeichen der Bejahung gebraucht wird, durch den Gegensatz oder in irgend einer völlig verschiedenen Art und Weise entstanden ist, bleibt zweifelhaft.

Wenden wir uns nun zu den Geberden, welche angeboren sind oder allen Individuen der nämlichen Species gemeinsam zukommen und welche unter die vorliegende Kategorie des Gegensatzes fallen, so ist es äußerst zweifelhaft, ob irgend welche von ihnen ursprünglich mit Vorbedacht erfunden und mit Bewußtsein ausgeführt worden sind. Beim Menschen ist das beste Beispiel einer Geberde, welche in einem directen Gegensatze zu andern, naturgemäß unter einem entgegengesetzten Seelenzustande ausgeführten Bewegungen steht, das Zucken mit den Schultern. Dies drückt Unfähigkeit oder eine Entschuldigung aus, — es bezeichnet etwas, was nicht gethan werden kann oder was nicht vermieden werden kann. Die Geberde wird zuweilen bewußt und willkürlich gebraucht; es ist aber äußerst unwahrscheinlich, daß sie ursprünglich mit Vorbedacht erfunden und später durch Gewohnheit fixirt worden ist; es zucken nämlich nicht allein kleine Kinder in den oben bezeichneten Gemüthszuständen mit ihren Achseln, sondern die Bewegung wird auch, wie in einem spätern Capitel gezeigt werden wird, von verschiedenen untergeordneten Bewegungen begleitet, dessen sich nicht ein Mensch unter tausend bewußt wird, wenn er nicht speciell dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit zugewendet hat.

Wenn Hunde sich einem fremden Hunde nähern, so können sie es unter Umständen für zweckmäßig halten, durch ihre Bewegungen zu erkennen zu geben, daß sie freundlich gesinnt sind und nicht zu kämpfen wünschen. Wenn zwei junge Hunde im Spielen einander anknurren und sich in das Gesicht und die Beine beißen, so verstehen sie offenbar unter einander ihre Geberden und Manieren. Es scheint geradezu bei jungen Hunden und Katzen ein gewisser Grad instinctiver Kenntnis davon zu existiren, daß sie ihre kleinen scharfen Zähne oder Krallen beim Spielen nicht zu derb gebrauchen dürfen, doch kommt Letzteres zuweilen vor und dann ist ein Gewinsel das [57] Ende vom Lied; im andern Falle würden sie wohl oft sich gegenseitig die Augen verletzen. Wenn mein Pintscher mich im Spielen in die Hand beißt, oft gleichzeitig dazu knurrend, und ich sage dann, wenn er zu stark beißt, zu ihm: „ruhig, ruhig“, so beißt er zwar weiter, antwortet mir aber doch mit ein paar wedelnden Bewegungen des Schwanzes, was zu bedeuten scheint: „es schadet nichts, es ist ja nur Spaß.“ Obgleich nun wohl Hunde in dieser Weise andern Hunden und dem Menschen wirklich ausdrücken und auszudrücken wünschen können, daß sie freundlicher Stimmung sind, so ist doch nicht zu glauben, daß sie jemals mit Vorbedacht daran gedacht hätten, ihre Ohren zurückzuziehen und herabzuschlagen statt sie aufrecht zu halten, ihren Schwanz herabhängen zu lassen und damit zu wedeln, anstatt ihn steif und aufgerichtet zu tragen u. s. w., weil sie gewußt hätten, daß diese Bewegungen in einem directen Gegensatze zu denen stehen, welche sie in einer entgegengesetzten und bösen Stimmung ausführen.

Wenn ferner eine Katze, oder vielmehr wenn irgend ein früher Urerzeuger der Species im Gefühle einer zuneigungsvollen Stimmung zuerst seinen Rücken leicht gekrümmt, seinen Schwanz senkrecht nach oben gehalten und seine Ohren gespitzt hat, kann man wohl glauben, daß das Thier mit vollem Bewußtsein gewünscht habe, damit zu zeigen, daß sein Seelenzustand der directe Gegensatz von dem sei, wo es in fertiger Bereitschaft zum Kampfe oder auf seine Beute einzuspringen eine kriechende Stellung einnahm, seinen Schwanz von einer Seite zur andern krümmte und seine Ohren herabdrückte? Selbst noch weniger kann ich glauben, daß mein Hund seine niedergeschlagene Haltung und sein „Gewächshaus-Gesicht“ mit Willen anlegte, eine Haltung, welche einen so vollkommenen Contrast zu seiner früheren gemüthlichen Stimmung und ganzen Haltung bildete. Es kann nicht angenommen werden, daß er gewußt habe, ich würde seinen Ausdruck verstehen und er könne damit mein Herz erweichen und mich zum Aufgeben des Besuchs des Gewächshauses veranlassen.

Es muß daher in Bezug auf die Entwickelung der Bewegungen, welche unter die vorliegende Kategorie gehören, noch irgend ein anderes, vom Willen und Bewußtsein verschiedenes Princip thätig gewesen sein. Dies Princip scheint im Folgenden zu bestehen: jede Bewegung, welche wir unser ganzes Leben hindurch willkürlich ausgeführt [58] haben, hat die Thätigkeit gewisser Muskeln erfordert; und wenn wir eine direct entgegengesetzte Bewegung ausgeführt haben, so ist beständig eine entgegengesetzte Gruppe von Muskeln in Thätigkeit gekommen, — wie beim Drehen nach rechts oder nach links, im Fortstoßen eines Gegenstandes von uns weg oder im Heranziehen desselben zu uns her, und beim Heben und Senken einer Last. Unsere Intentionen und Bewegungen sind so stark mit einander associirt, daß, wenn wir recht eifrig wünschen, daß sich ein Gegenstand in irgend einer Richtung bewegen möchte, wir es kaum vermeiden können, unsern Körper in derselben Richtung zu bewegen, obgleich wir uns dessen vollkommen bewußt sein mögen, daß dies keinen Einfluß haben kann. Eine gute Erläuterung hievon ist bereits in der Einleitung gegeben worden, nämlich in den grotesken Bewegungen eines jungen und eifrigen Billard-Spielers, wenn er den Lauf seines Balles verfolgt. Wenn ein Erwachsener, oder auch ein Kind, in leidenschaftlicher Erregung irgend Jemand mit erhobner Stimme sagt, er solle fortgehen, so bewegt er meist seinen Arm, als wenn er den andern damit fortschieben wolle, obgleich der Beleidiger nicht nahe dabei zu stehen braucht, und obschon nicht die geringste Nöthigung dazu vorhanden zu sein braucht, erst durch eine Geberde noch zu erklären, was gemeint wird. Wenn wir auf der andern Seite eifrig wünschen, daß Jemand nahe zu uns herankommen möchte, so handeln wir so, als ob wir ihn zu uns heran ziehen wollten; und Ähnliches tritt in zahllosen andern Fällen ein.

Da die Ausführung gewöhnlicher Bewegungen entgegengesetzter Art, unter entgegengesetzten Willenseinflüssen, bei uns und den niederen Thieren zur Gewohnheit geworden ist, so erscheint es, wenn Thätigkeitsäußerungen einer bestimmten Art mit bestimmten Empfindungen oder Erregungen in feste Association zu einander getreten sind, natürlich, daß Handlungen einer direct entgegengesetzten Art, wenn sie auch ohne Nutzen sind, unter dem Einflusse einer direct entgegengesetzten Empfindung oder Erregung unbewußt durch Gewohnheit und Association ausgeführt werden. Nur nach diesem Grundsatze kann ich es verstehen, auf welche Weise die Geberden und Ausdrucksformen, welche unter die Rubrik der Gegensätze gehören, entstanden sind. Wenn sie freilich dem Menschen oder irgend einem andern Thiere zur Unterstützung inarticulirter Ausrufe oder der Sprache von Nutzen sind, so werden sie auch willkürlich angewendet [59] und die Gewohnheit dadurch verstärkt werden. Mögen sie aber als ein Mittel der Mittheilung von Nutzen sein oder nicht, so wird doch die Neigung, entgegengesetzte Bewegungen bei entgegengesetzten Empfindungen oder Erregungen auszuführen, wenn wir nach Analogie urtheilen dürfen, durch lange Übung erblich werden; und darüber kann kein Zweifel bestehen, daß mehrere, von dem Princip des Gegensatzes abhängige Bewegungen vererbt werden.


  1. Naturgeschichte der Säugethiere von Paraguay. 1830. S. 55.
  2. M. Tylor gibt in seiner ,Early History of Mankind' (2. edit. 1870, p. 40) eine Beschreibung der Geberdensprache der Cistercienser und macht einige Bemerkungen über das Princip des Gegensatzes bei den Geberden.
  3. s. über diesen Gegenstand das interessante Werk von Dr. W. R. Scott, The Deaf and Dumb, 2. edit. 1870, p. 12. Er sagt: „Diese Zusammenziehung natürlicher Geberden, in viel kürzere als es der natürliche Ausdruck erfordert, ist unter den Taubstummen sehr gewöhnlich. Diese zusammengezogene Geberde ist häufig so verkürzt, daß sie alle Ähnlichkeit mit der naturgemäßen Form verloren hat, aber für die Taubstummen, welche sie gebrauchen, hat sie noch immer die Stärke der ursprünglichen Bezeichnung.“
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