Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin/2. Der Tanz um das goldene Kalb

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Otto Glagau
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin
2. Der Tanz um das goldene Kalb
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[62]
Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
2. Der Tanz um das Goldene Kalb.

Niemand – auch unsere lorbeergekrönten Feldherren nicht – Niemand ahnte und konnte ahnen die beispiellos schnellen und gewaltigen Erfolge, womit der Feldzug gegen Frankreich begann. Aber von vornherein war das deutsche Volk voll Hoffnung und Vertrauen, und es zeigte eine Begeisterung und einen Opfermuth, die wahrlich an die Zeit der Befreiungskriege erinnerten. Ganz anders die Börse. Dank ihrem „internationalen“, das heißt vaterlandslosen Charakter wußte die Börse sich vor Angst und Zweifel nicht zu lassen. Noch hatte der Kampf nicht einmal angefangen, da ließ die Börse schon consolidirte preußische Staatsanleihe, also ein Papier, das nur mit dem preußischen Staate selber fallen kann, und das heute mit circa 105 notirt wird, bis auf 80 stürzen!! In Folge dieses Börsenfiebers wurden auch die jeden Augenblick einlösbaren Noten der Preußischen Bank im Klein- wie im Groß-Verkehr vielfach zurückgewiesen, und das Silber- und Gold-Agio (Aufgeld) erstieg eine unsinnige Höhe.

Einmüthig bewilligte der Reichstag die Mittel zur Führung des Krieges, die 120 Millionen-Anleihe des norddeutschen Bundes, und der Reichskanzler legte dieselbe zu dem sehr bescheidenen Course von 88 auf. Aber was geschah?! – Die Zeichnungen fielen höchst kläglich aus; an der Berliner Börse wurden ganze drei Millionen gezeichnet. Die Börse traute dem norddeutschen Bunde nicht; außerdem fanden die Börsen-Matadore den Subscriptionspreis von 88 noch nicht niedrig genug, und überhaupt grollten sie dem Reichskanzler, daß er dem preußischen Finanzminister, und nicht ihnen, das „Geschäft“ übertragen hatte. Es schien den Herren, daß nichts zu „verdienen“ sei; man intriguirte sogar gegen die Anleihe, und daher rührt der Mißerfolg.

Am 4. August lag die Anleihe zur Subscription auf, und am selben Tage erstürmte der Kronprinz von Preußen die Linien von Weißenburg. – Ach, wäre dieser glänzende Sieg doch schon bekannt gewesen, um wieviel „patriotischer“ hätte sich dann die Börse bewiesen! Gewiß, die Anleihe wäre voll gezeichnet; nein, zehnmal überzeichnet worden! Wie lüstern schielten die Herren jetzt nach dem noch unbegebenen Rest der Anleihe! Aber der Finanzminister sagte: Mit nichten! und gab diesen Rest zu weit höherem Course der preußischen Seehandlung ab, die trotzdem ein gutes „Geschäft“ machte, denn wie bekannt, ging die norddeutsche Bundes-Anleihe bald über Pari (100).

„Das Capital hat kein Vaterland!“ – dies ist die wahre Gesinnung, der offne Wahlspruch der Börse, und demgemäß handelte auch einer ihrer Angehörigen, der Banquier G… in Berlin, indem er, noch während wir mit Frankreich im Kriege lagen, flott auf die französische Anleihe zeichnete. Erst der Staatsanwalt und die Anklage auf Landesverrat konnte ihn zum Bewußtsein seiner preußischen Staatsangehörigkeit bringen.

Es folgten die Siege von Wörth und Spicheren; es kam der Tag von Sedan – und nun war Niemand „patriotischer“, Niemand von Jubel so voll und so toll wie die Börse. Während unsere Soldaten den Feind vor sich hertrieben, trieb die Börse die Course in die Höhe; während die französischen Gefangenen Deutschland überschwemmten, überschwemmte die Börse den Markt mit ausländischen Papieren. Zunächst führte sie die amerikanischen Eisenbahn-Prioritäten ein, immer eine nach der andern, die seitdem so berüchtigt gewordenen Alabama–Chattanooga, Oregon und California, Georgia Aid, Port Royal, Peninsular, Rockford Rock Island etc. etc., schließlich sechsundzwanzig an der Zahl. Diese famosen Prioritäten fanden in Amerika selber keine „Nehmer“. Folglich mußte Deutschland damit beglückt werden, wo sie in der Hauptsache auch wirklich untergebracht sind. Zum Course von 70 (namentlich in Berlin und in Frankfurt am Main) eingeführt, stehen sie heute durchschnittlich etwa 15 bis 20, weil sie fast alle keine Zinsen mehr zahlen; viele werden gar nicht mehr notirt, da sie völlig unverkäuflich sind, denn die betreffenden Bahnen haben Bankerott gemacht, oder sie liegen unvollendet in Ruinen da. Auf diesem Wege sind an 100 Millionen Thaler in’s Ausland geflossen, und nicht viel weniger dem deutschen Publicum aus der Tasche gestohlen worden. Aber die Lockpfeife der Börse klang auch gar so süß! Die Prioritäten versprachen einen Zinsgenuß von acht bis zwölf Procent; sie konnten und mußten noch bedeutend im Course steigen; sie wurden dem Capitalisten als eine feste Anlage empfohlen, und von diesem sehr häufig mit den sogenannten amerikanischen Bonds, den Schuldverschreibungen der nordamerikanischen Union verwechselt, also für ein Staatspapier genommen, das sich inzwischen bewährt hatte.

Nach den amerikanischen Prioritäten debütirte die Börse mit einer Sorte von Actien, gegen welche selbst die Strousberg’schen Fabrikate solide genannt werden müssen. Es handelte sich um Eisenbahnen, von deren Existenz bisher Niemand in Deutschland eine Ahnung gehabt hatte, wie Lüttich–Limburg, Schweizer Union, Tamines–Landen. Schon der Einführungscours (18 bis 24) ließ auf den eigentlichen Werth der Waare schließen; aber eben dieser niedrige Cours verführte zum Kaufen. „Das Effect ist so billig, daß es steigen muß!“ ließen die betheiligten Bankhäuser austrompeten, und auch der kleine Mann, auch Hausknechte und Wäscherinnen gaben ihre Sparpfennige für Schweizer Union und Tamines–Landen her. Dazu hatten die Papierchen noch einen besonderen Ausputz: Sie, die nie einen Heller Dividende gegeben und nie einen geben werden, sie wurden trotzdem mit vier Procent Zinsen gehandelt, und zwar dem vollen Nennwerth nach. 24 oder gar 18 Thaler wurden angeblich mit 4 Thalern, 100 Thaler also mit 16 bis 24 Procent verzinst. Das sind die sogenannten „Börsenzinsen“ – natürlich eine bloße Fiction. Der glückliche Besitzer zahlt die enormen Zinsen an sich selber, aus seiner eigenen Tasche. Diese federleichten Actien wurden nun zu reinen Spielpapieren, auch in der Hand des Privatmannes, denn Jeder wollte an ihnen nur verdienen, die übermäßigen Zinsen einstreichen und außerdem womöglich noch am Course profitiren. Wirklich wurden Lüttich–Limburg und Schweizer Union bis auf 35 hinaufgetrieben, aber [63] heute stehen sie nur 10* und respective 7, während Tamines–Landen glücklich bei 3* (sage drei!) angelangt sind. Man sieht, die Börse kann Alles brauchen, und sie versteht es, in ihren Netzen Groß wie Klein einzufangen.

Trotz der Menge von fremden Effecten, die sämmtlich unter die Leute gebracht wurden, verspürte man doch Mangel, und um diesem abzuhelfen, beschloß man, neue Papiere zu machen. Man schuf „neue Werthe“; man legte sich auf’s Gründen.

Noch tobte der Krieg, da begannen schon die Gründungen emporzuschießen, wenn auch noch schüchtern und scheu, wie die ersten Gräschen im März. Noch im Jahre 1870 erblickten, Dank dem eben fertig gewordenen Actiengesetz, in Preußen vierunddreißig neue Actiengesellschaften das Licht der Welt. Die meisten davon kamen natürlich aus Berlin, und fast alle fanden Eingang an der Berliner Börse. Doch dies war nur ein kleines Vorspiel. Das eigentliche Drama begann 1871, erreichte seinen Höhepunkt 1872 und fand den Abschluß erst in der zweiten Hälfte 1873, erst viele Monate nach dem Wiener „Krach.“ Auch nach dem „Großen Krach“ fuhr man in Berlin noch munter zu gründen fort. Und darum ist es nöthig, schon jetzt eine viel verbreitete und von mehreren Seiten eifrig genährte Ansicht zu berichtigen: als ob nämlich die Berliner Börse im Gründen hinter ihrer Wiener Schwester zurückgeblieben wäre. Just das Gegentheil! In Berlin ist weit mehr gegründet, und dabei mindestens ebenso viel gesündigt worden wie in Wien.

Kaum war der Friede geschlossen, als die Börse ihren Freudentanz begann, den verzückten rasenden Tanz um das Goldene Kalb. Es tanzten die „großen Häuser“ vor; es tanzten die „kleineren Häuser“ nach, und an die Meister und Lehrer schloß sich ein großer tagtäglich wachsender Schwarm von Jüngern und Anhängern, darunter Leute jedes Standes und jeder – Religion. Man tanzte von früh bis spät; man tanzte mit Schreien und Jauchzen durch Monde und Jahre. Nur ein paar Mal brach der wüste Reigen jäh ab. So Ausgang 1871, Frühling 1872 und Spätherbst 1872. Die Tänzer erbleichten und erbebten plötzlich; sie hielten den Athem an und lauschten, aber es blieb still. Der Himmel schien noch immer blau, und so tanzte man weiter. Als nun im Mai 1873 das Ungewitter endlich in Wien losbrach, da wollte man in Berlin die grausen Donnerschläge nicht hören, die den ganzen Himmel überfluthenden und die Erde tief aufwühlenden Blitze nicht sehen, sondern man versuchte auch jetzt noch fortzutanzen. Aber der Boden wankte – die Tänzer stürzten nieder und viele standen nicht mehr auf.

Die fünf Milliarden nebst Zinsen, welche Fürst Bismarck, unter Assistenz des Herrn Gerson-Bleichröder, von Thiers und Favre erstritt, betrachtete die Börse von vornherein als ihr Eigenthum, indem sie meinte, diese fabelhafte Summe müsse ihr direct oder indirect zufließen. Dazu verkündete sie einen unendlichen Aufschwung in Handel und Wandel, ein unendliches Steigen der Preise von Grund und Boden. Nach der Behauptung der Börse und der mit ihr verbündeten „Volkswirthe“ waren wir Alle, vom Kaiser bis zum Bettler, plötzlich reich geworden, das Nationalvermögen hatte sich verzehnfacht, und um dieses kolossale Plus nicht brach liegen zu lassen, mußten damit neue Unternehmungen in’s Leben gerufen, mußten „neue Werthe“ geschaffen werden.

Und es geschah also. Während der beiden Jahre 1871 und 1872 wurden in Preußen zusammen etwa siebenhundertachtzig Actiengesellschaften gegründet. Um diese Zahl gehörig zu würdigen, muß man wissen, daß von 1790 bis 1870, das heißt in achtzig Jahren, zusammen nur circa dreihundert solcher Gesellschaften entstanden sind. Während der beiden Jahre 1871 und 1872 kam also in Preußen auf jeden Tag durchschnittlich eine Gründung. Diese siebenhundertachtzig Actiengesellschaften wurden zum größten Theile in Berlin gegründet oder doch mitgegründet und fast alle an der Berliner Börse eingeführt, während die Zahl der Gründungen und Emissionen in Oesterreich-Ungarn für denselben Zeitraum nur gegen vierhundert beträgt. Somit ist der Beweis geführt, daß die Gründungsepidemie in Berlin weit ärger gewüthet hat als in Wien.

Zu den Firmen, welche sich mit Gründungen befaßten, gehören in erster Reihe folgende: S. Bleichröder und Disconto-Gesellschaft, Berliner Handelsgesellschaft, G. Müller u. Comp., und H. C. Plaut, S. Abel jun., Jakob Landau, Julius Alexander, Delbrück, Leo u. Comp., F. W. Krause u. Comp., Platho u. Wolff, Ries u. Itzinger, Robert Thode u. Comp., A. Paderstein und Eduard Mamroth, Soergel, Parrisius u. Comp. und Norddeutsche Grund-Creditbank, Meyer Ball, Karl Coppel u. Comp., Meyer Cohn, Feig u. Pincus, Hirschfeld u. Wolff, Joseph Jacques, Moritz Löwe u. Comp. etc.

Diese Firmen vollbrachten, einzeln oder in Gruppen vereint, die Kreuz und Quer, mit- und durcheinander die größten und wuchtigsten Gründungen. S. Bleichröder und Disconto-Gesellschaft, die bekanntlich einen Weltruf und Verbindungen über die ganze Erde haben, gründeten häufig in Verbindung mit dem Hause Rothschild und der Oesterreichischen Creditanstalt, mit Wilhelm Behrens in Hamburg, Wilhelm von Born in Dortmund. Mewissen und Freiherr Abraham von Oppenheim in Köln etc., und diese Gründungen erstrecken sich nicht nur über ganz Deutschland, sondern auch über Oesterreich-Ungarn, Rußland, Schweiz, Italien, Frankreich etc. Bei der „Centralbank für Handel und Industrie“, die deshalb in Börsenkreisen auch die Bezeichnung „Repräsentationsbank“ erhielt, betheiligten sich wohl ein paar Dutzend Bankhäuser und Bankinstitute in Berlin, Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, München, Wien, Pest, Hamburg, Mailand und Rom – und man könnte hiernach fast auf den Gedanken kommen, daß solche Gründung doch ein äußerst schwieriges und mühsames Werk ist. Berliner Gründer waren in der Regel auch in der Provinz überall mit thätig, wo sie in Verbindung mit den Eingeborenen eine Unzahl von Gründungen, und darunter die bösesten, verübten. So namentlich in Stettin, Breslau, Görlitz, Grüneberg, Posen, Magdeburg, Hannover, Erfurt, Mühlhausen, Leipzig, Dresden und Chemnitz.

Ferner zeichneten sich durch die Menge der Gründungen folgende Banken aus, von denen merkwürdiger Weise die meisten soeben selber gegründet waren: Deutsche Unionbank, Centralbank für Handel und Industrie, Berliner Bank, Berliner Bankverein, Berliner Wechslerbank, Deutsche Bank, Centralbank für Genossenschaften, Allgemeine Depositenbank etc. Sie haben alle viel gesündigt und viel zu verantworten, aber sie waren noch lange nicht die schlimmsten. Als solche, als eigentliche Gründerbanken, die das Gründen gewerbsmäßig und zum Theil fast ausschließlich betrieben, kennt und nennt man Gewerbebank H. Schuster und Compagnie, Centralbank für Bauten, Preußische Bodencreditactienbank und Vereinsbank Quistorp. Der besseren Uebersicht halber wollen wir diese Gründerbanken schon jetzt skizziren:

Die Gewerbebank H. Schuster und Compagnie ist sehr berühmt geworden durch die Lasker’schen „Enthüllungen“ am 7. Februar 1873; weit berühmter, als sie es eigentlich verdient. Sie that sich 1864 mit einem baar eingezahlten Capital von zweihundertfünfzigtausend Thalern auf, ging aus conservativen Kreisen hervor und betonte als ihren Zweck „die Hebung des Credits von Handwerkern und Fabrikanten.“ Gewiß ein höchst ehrenwerther Zweck und ein Institut, das einem wahrhaften Bedürfnisse entsprach! Zu den Gründern gehörte der frühere Chefredacteur der „Kreuzzeitung“, der damalige Justizrath Herr Wagener, später Wirklicher Geheimer Oberregierungsrath und vortragender Rath beim Staatsministerium. Die Bank scheint auch mehrere Jahre hindurch ein ganz solides Geschäft betrieben zu haben, bis sie dem Gründungsschwindel verfiel und ihr Capital von ursprünglich einer Viertel Million rasch auf sechs Millionen erhöhte. Der persönlich haftende Gesellschafter, Herr Schuster, gründete mit zwei Aufsichtsräthen der Bank, den Herren Oder und Wagener, unmittelbar nach Ausbruch des neuen Actiengesetzes die famose „Pommersche Centralbahn“, deren Actien, mit hundertzwei und einhalb an der Börse eingeführt, heute 4 Brief stehen, das heißt mit vier zu haben sind, aber auch dafür noch keinen Käufer finden. Das überaus kunstvolle Gewebe dieser Gründung, bei welcher das Gesetz ein Dutzend Mal in der ergötzlichsten Weise umgangen ist, enthüllte, als die Krisis bereits heranzog, eben Herr Lasker. Der Fall „Schuster-Oder-Wagener“ machte, weil er der erste war, der zur öffentlichen [64] Sprache kam, ein gewaltiges Aufsehen, und namentlich die Berufsgenossen der Attentäter, die Gründer und ihre Helfershelfer, wußten sich vor Entrüstung und Abscheu nicht zu lassen. An der Börse aber witzelte man ganz laut: Herr Wagener verdiene sein Schicksal, weil er es so billig gemacht habe – um lumpige vierzigtausend Thaler, die er noch mit Oder und Schuster theilen müsse. – In der That war Herr Wagener ein bloßer Dilettant, nicht werth, den eigentlichen Gründern die Schuhriemen aufzulösen, und neben der „Pommerschen Centralbahn“ hat die Gewerbebank Schuster noch eine ganze Reihe ähnlicher Gründungen vollführt, über die man bisher kein Wort verlor.

Da ist die „Schloßbrauerei Schöneberg“, sind die „Norddeutschen Eiswerke“ (vormals Bolle), und da ist der Bauverein „Thiergarten Westend“, von der Börse gleich bei der Einführung „Sumpfend“ getauft – lauter Gesellschaften, deren unglückliche Aktionäre heute über die Urheber Ach und Weh schreien. Dazu hatte die Gewerbebank H. Schuster und Compagnie über das ganze Land, vorzugsweise in den Mittel- und Kleinstädten, ein Netz von Filialen und Agenturen ausgeworfen, und in diesen Maschen fingen sich, angelockt durch das Aushängeschild „Gewerbebank“, ehrliche Land- und Handwerksleute, die ihr gutes Geld gegen buntbedrucktes Papier eintauschten, mit dem sie nun die Tabakspfeife anzünden können.

Eine der größten Blasen, die aus dem Hexenkessel emporstiegen, war die „Centralbank für Bauten“, die zum Verfasser Herrn Eduard Mamroth hat. Sie erwarb und verkaufte Häuser und Baustellen, bauete und übernahm Bau-Ausführungen, lieh Baugelder, handelte mit Baumaterialien, und betrieb daneben noch „Bank- und Handelsgeschäfte jeder Art“. Aber daran nicht genug, sie legte sich auch auf’s Gründen; sie gründete in Berlin und außerhalb, sie gründete Eisenwerke und Eisengießereien, eine „Centralfactorei für Baumaterial“ und nicht weniger als vier Zweigbaugesellschaften: Ostend, Südend, City und Cottage. Nach zehnmonatlichem Bestehen vertheilte die „Centralbank“ bereits eine Dividende von dreiundvierzig Procent – wie das gemacht wird, werden wir später erfahren – und in Folge dessen ging der Cours im April 1873, kurz vor dem Krach, bis auf vierhundertzwanzig hinauf. Von dieser wahnsinnigen Höhe stürzte er in den nächsten sechs Monaten bis unter fünfzig. – Ein Gutsbesitzer hatte sein Gut verkauft und kam mit einem Baarvermögen von zweihundertfünfzigtausend Thalern nach Berlin, um hier als Rentier zu leben. Er ließ sich überreden, sein Capital in der „Centralbank“ anzulegen und kaufte zum Course von vierhundert für achtzigtausend Thaler Actien, die ihm also dreihundertzwanzigtausend Thaler kosteten. Den Rest mit siebenzigtausend Thalern schoß der Banquier bereitwilligst zu und behielt die Actien als Unterpfand in Verwahrung. Der Cours begann zu sinken und sank ohne Aufhören; der Banquier verlangte Deckung, und da diese nicht geleistet werden konnte, ließ er die Actien im Wege der Execution an der Börse verkaufen. Der ehemalige Gutsbesitzer hatte in noch nicht einem halben Jahre sein ganzes Vermögen verloren und war dem Banquier auch noch zwanzigtausend Thaler schuldig. – So ging es mit der „Centralbank für Bauten“, aber mit den Tochtergesellschaften ging es noch schlechter: Ostend, im Frühjahre 1873 auf hundertachtzehn, notirt jetzt fünfzehn; Südend, damals hundertsechsundzwanzig, jetzt neun, und Cottage, damals sechsundneunzig, heute eins, schreibe Eins. Wie schnell auch der Ruhm der Welt schwindet, noch schneller schwinden an der Börse die Course!

Die „Preußische Bodencreditactienbank“ besteht seit 1869 und hatte ihrem Namen entsprechend den Zweck: die Förderung des Realcredits, besonders durch Gewährung und Vermittelung von Hypotheken. Speculationsgeschäfte waren ihr durch die Statuten ausdrücklich verboten. Als Director fungirte Herr Jachmann, Landrath außer Dienst und Gemahl der bekannten Sängerin und späteren Schauspielerin Johanna Wagner. Die Bank war an der Börse ziemlich unbekannt, bis sich Herr Richard Schweder ihrer annahm. Dieser kam von der „Discontogesellschaft“, wo er nur eine bescheidene Stellung bekleidet hatte, und verstand es, sein Talent dermaßen geltend zu machen, daß ihn Herr Jachmann zum Mitdirector erhob, ja bald vor ihm völlig in den Hintergrund trat. Herr Schweder wurde die Seele und das eigentliche Haupt der „Preußischen Bodencreditactienbank“. Als die Gründungsperiode anfing, ging sein Ehrgeiz darauf los, sich an der Discontogesellschaft, die ihn nicht zu würdigen verstanden, zu rächen, und ihr womöglich den Rang abzulaufen. Wenn ihm dies auch nicht ganz gelang, so ward er ihr doch ein furchtbarer Nebenbuhler. Er ließ rasch hinter einander eine stattliche Zahl von Gründungen aufmarschiren, die alle an der Börse großen Anklang fanden und ihn dort zu einem gesuchten, vielumworbenen Manne machten. Wie ein Feldherr stand er an seinem Platze, neben ihm sein Adjutant, Herr Paradies, Beide mit Bleistiften bewaffnet und umdrängt, umfluthet von Hunderten, die an dem auf den Markt gebrachten neuen „Effect“ Alle „betheiligt“ sein wollten, Alle heißhungrig nach „Albertinenhütte“ (heutiger Cours fünfzehn Brief) oder nach „Lindenbauverein“ (heute siebenzehn) oder nach „baltischen Waggons“ (heute eins Brief) schrieen. Daneben vermehrte Herr Schweder fortwährend das Capital der Bank, gab immer wieder neue Actien mit immer höherem Agio aus, und diese Actien wurden zu einem Hauptspielpapier der Börsenjobber.

Plötzlich fiel es Herrn Schweder ein, daß solche Spekulationsgeschäfte doch eigentlich gegen die Statuten der Bank verstießen, und um sein Gewissen zu entlasten, schuf er flugs eine andere Gründerbank, die sogenannte „Preußische Creditanstalt“. Nun sah man das rührende Schauspiel, wie beide Banken, Mutter und Tochter, zärtlich Arm in Arm wandelten und gleichzeitig, gemeinschaftlich oder jede für sich, rechts und links neue Gründungen ausstreueten. Dieses schöne Paar war noch viel enger zusammengewachsen als die weiland so angestaunten siamesischen Zwillinge. Beide, Mutter und Tochter, hatten nur Einen Kopf, nämlich den Director Schweder, und beide hatten nur Eine rechte Hand, nämlich den Procuristen Paradies. Herr Schweder und Herr Paradies blieben die Mignons der Börsenritter, bis sie im Frühjahre 1873 ihr letztes Kind, die Dannenberger’sche oder eigentlich, Liebermann’sche Kattunfabrik, in die Welt setzten. Die Börse gerieth in Aufruhr; man umdrängte und verfolgte Herrn Paradies, aber diesmal nicht mit Bitten und Schmeicheleien, sondern mit Drohungen und Vorwürfen. Man überschüttete ihn mit Verbalinjurien und machte Miene, zu Realbeleidigungen überzugehen. Da erhob Herr Paradies seine Rockschöße und entfloh. Er lief durch den langen Saal der Fondsbörse und durch den langen Saal der Waarenbörse in das Kündigungszimmer der letzteren und rettete sich hier vor den wuthschnaubenden Verfolgern, welche die „Stücke“, mit denen man sie bei „Dannenberger“ „betheiligt“ hatte, um jeden Preis wieder los werden wollten. Der Dannenberger’sche oder richtiger Liebermann’sche Kattun, der in der Wäsche arg einlief und keine Spur von Farbe hielt, kostete der „Preußischen Bodencreditactienbank“ Ruf und Ansehen, und damit verlor sie auch jeden sittlichen Halt. Sie übertrug das ganze Sündenregister und wälzte alle Verluste auf die „Preußische Creditanstalt“; sie wurde zu einer wahren Rabenmutter und trennte sich mit einem gewaltigen Schnitte von der Tochter, die seitdem ohne Kopf und ohne Hände, ein ungestalteter blutiger Rumpf, in einem dunkeln Winkel der Börse liegt.

Herr Schweder zog sich, nicht ganz freiwillig, in’s Privatleben zurück, und ihm blieb der Trost einer – Million, die er, vorher ein armer Commis, in zwei bis drei Jahren verdient hatte.

Mit seinem Rückzuge sanken die von ihm bis zu zweihundertachtzig hinaufgetriebenen Actien der Bank bis fünfundfünfzig und tiefer. Herr Paradies und Herr Jachmann folgten ihrem genialen Freunde bald nach, und auch sie gingen selbstverständlich nicht mit leeren Taschen. Zur Ehre des Herrn Jachmann sei’s gesagt: er war dem ganzen Gründungstreiben fremd geblieben – denn er verstand nichts davon. Er hatte immer nur seinen Namen unterschrieben, und dafür außer dem festen Gehalte eine Tantième bezogen, gegen welche das Jahreseinkommen z. B. des Reichskanzlers eine bloße Bagatelle ist. Noch muß hervorgehoben werden, daß die „Preußische Boden-Creditactienbank“ nicht bloß, wie andere Actiengesellschaften, einen gewöhnlichen „Aufsichtsrath“, sondern ein – „Curatorium“ hat, das die Direction in ihrer Thätigkeit controliren soll, daß also Herr Schweder seine statutenwidrigen Gründungen jahrelang unter den Augen des hohen „Curatoriums“ beging, und daß an der Spitze desselben stand und noch heute steht: Seine Excellenz der Wirkliche Geheime Rath und Staatsminister a. D. Herr von B…, zugleich Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses [65] und Mitglied des deutschen Reichstags. Außerdem fungirt nach Paragraph 56 der Statuten bei dieser Bank auch ein Staatscommissarius, der den Geschäftsbetrieb zu überwachen, aber, wie es scheint, sich auch nicht veranlaßt gesehen hat, den Schöpfungsdrang des Herrn Schweder irgendwie zu zügeln. Erst unter Leitung der gegenwärtigen Direction ist das Institut zu seiner ursprünglichen Bestimmung und zu einer soliden Thätigkeit zurückgekehrt, und seitdem hat sich auch der Cours der Actien wieder um das Doppelte gehoben.

Herr Schweder war groß, aber Herr Quistorp war noch größer. Erinnert jener an einen unverantwortlichen Premierminister, so ist dieser einem absoluten Monarchen zu vergleichen. Wie Napoleon Bonaparte schuf auch Heinrich Quistorp Alles selber und allein, und gewissermaßen Alles aus – Nichts. Nachdem er zunächst in seiner Vaterstadt Stettin und, wenn wir nicht irren, dann in England Schiffbruch gelitten, kam er ohne Mittel, ohne Bekanntschaften nach Berlin. Sein erster „Versuch“ war die Villencolonie „Westend“, belegen an der Chaussee nach Spandau, noch hinter Charlottenburg, auf einer kahlen sterilen allen Winden preisgegebenen Anhöhe. Hier steckte er Straßen ab, denen er die lieblichsten hochpoetischen Namen gab, wie Ahorn-Allee, Akazien-Allee, Platanen-Allee etc., und baute in jeder Allee ein oder gar zwei Häuser, zugleich aber auch ein Restaurant ersten Ranges, ein großartiges Casino und eine Wasserkunst. Trotzdem wollte sich kein Käufer, nicht einmal Miether finden, und die luftigen Villen, bei deren Anblick man einen leichten Rheumatismus verspürte, wurden Jahre lang nur von Quistorp und seinen Freunden bewohnt. Anfangs 1870 gründete die „Westendgesellschaft Quistorp u. Comp.“ die „Vereinsbank Quistorp u. Comp.“ in Charlottenburg. Diese patriarchalische Ackerbürgerstadt, wo der Berliner „Sommer-wohnt“, sah sich plötzlich mit einer Bank beglückt, die hier jedoch schlechterdings nichts zu thun fand und deshalb bald nach Berlin wanderte. Damit beginnt Quistorp’s eigentliche Wirksamkeit. Er hatte es verstanden, für sich zu werben, er hatte bis zu den höchsten Kreisen hinauf Gönner und Freunde gefunden. Die in Charlottenburg wohnende Königin Wittwe, deren Frömmigkeit, Wohltätigkeit und Gutmütigkeit bekannt war, unterstützte ihn reichlich; auch andere Mitglieder der Königlichen Familie sollen ihm ansehnliche Summen vorgestreckt haben. Er wußte sich bei den Behörden, bei hochstehenden und einflußreichen Personen einzuschmeicheln, und namentlich gelang es ihm, auch bei der „Preußischen Bank“ Fuß zu fassen; er warb gewisse „Volkswirthe“ und Literaten zu seinem Privatgebrauch an und bewog etliche Beamte, aus dem Staatsdienst in den seinigen überzutreten.

Hinter der Universität in einem philosophischen Winkel, kurz zuvor „Hegelplatz“ getauft, baute er sich und der Bank ein stolzes Palais und ließ von hier aus in rastloser Aufeinanderfolge an dreißig Gründungen und Emissionen in die Welt gehen: Feilen-, Tabaks-, Papier-, Waggon-, Faß-, Werkzeug-, chemische, optische und andere Fabriken, Bau-, Fuhr-, Pferde-Eisenbahn-, Brauerei-, Dampfschiffs-, Bergbau- und Hüttengesellschaften, die zum Theil in Berlin, zum Theil über ganz Deutschland saßen. Quistorp betonte, daß die „Vereinsbank“ die Gründungen nur „commissionsweise“ betreibe, also selber nicht weiter dabei betheiligt sei und daß die jedesmaligen Verhältnisse von ihr genau geprüft würden, also eine unsolide Gründung gar nicht möglich sei. Von jeder Neu-Gründung bezog die „Vereinsbank“ Agio, so daß sie für 1871 nicht weniger als fünfzehn Procent, 1872 sogar neunzehn Procent Dividende vertheilte. Alle diese Gesellschaften wurden mit der „Vereinsbank“ verknüpft, indem man den Actionären der letzteren immer ein Bezugsrecht auf die neue Emission einräumte und solches von ihnen auch stets benutzt ward, so daß sich zuletzt ein industrieller Rattenkönig gebildet hatte, in dessen Mitte Herr Heinrich Quistorp saß. Aber dieser Mann verstand’s, sich dermaßen als „Biedermeier“ aufzuspielen, daß er nicht nur das Publicum, sondern sogar die Börse berückte. Die Börse, welche sonst Niemandem, nicht einmal sich selber traut, glaubte an – Quistorp. Während sie Herrn Schweder nur eine glückliche Hand nachrühmte, hielt sie Quistorp für den leibhaftigen Bruder Grund-Ehrlich. Die „Quistorp’schen Werthe“ fanden ein ganz besonderes Ansehen, eine außerordentliche Zugkraft; sie wurden von den Banquiers in der besten Absicht ihren solidesten Kunden als „hochfeine“ Capitalanlage empfohlen und mit Vorliebe von dem schlichten Bürgersmanne genommen. Selbst nach dem „Großen Krach“ behaupteten sie noch eine Zeitlang ihren Nimbus, und als endlich auch die „Vereinsbank“ fiel, glaubte man in gewissen Kreisen, das Ende der Welt sei gekommen.

Herr Heinrich Quistorp ist unter den Helden der Gründerperiode einer der merkwürdigsten, und wir werden noch öfter Gelegenheit haben, uns mit ihm zu beschäftigen.


[63] * Dieser Artikel ist schon im December geschrieben, während die genannten Course seit Neujahr durch Hinzuschlagen der Börsenzinsen wieder um vier Procent höher notiren. Sie sind übrigens nur nominell, d. h. die betreffenden Effecten werden kaum noch gehandelt.